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Aus dem noch unerforschten Inneren meines Schädels

31. Mai 2024

Montag, 31.05.2004 – Nagasaki Feeling in Hirosaki

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

Ich lerne am Morgen munter drauf los und fahre bereits früh zur Universität, weil Lernen und CDs brennen ganz hervorragend gleichzeitig machbar ist. Am Ende habe ich ausreichendes Wissen über Texte, Kanji und Grammatik und habe mir 30 Episoden von „Konjiki no Gash Bell!“ angeeignet. SangSu will mir heute Abend außerdem noch „Azumanga Daiô“ überlassen, damit ich mir eine Kopie der CDs ziehen kann.

Dann schreiben wir die Klausur bei Yamazaki, die mir flüssig von der Hand geht, aber jedes Mal, wenn ich hier bei einer Klausur ein gutes Gefühl habe, kommen am Ende doch nur 50 % raus.

Dann versuche ich, meine Post zu schreiben, aber daraus wird nicht viel, weil der GMX-Server streikt. Die Seiten brauchen ewig zum Aufbauen, wenn das überhaupt ganz gelingt. Dann schaue ich stattdessen nur die anderen Accounts an, aber da ist ja nie viel los.

Abends finde ich einen Brief von meinem Großvater vor, in dem er ein offizielles Schreiben der Universität an mich weiterleitet: Ich bin „von Amts wegen exmatrikuliert“.

Ja, warum denn jetzt das? Ich habe meinen Semesterbeitrag doch überwiesen, und sogar die Beurlaubung fristgerecht verschickt! Das Schreiben sagt nichts über die individuellen Gründe aus, es ist ein Standardbrief. Ach, was liebe ich die Bürokratie… macht Euch bloß nicht zu viel Arbeit, Leute! Aber eines stellt der Brief deutlich klar: Er wurde versendet am 06. Mai, und zwar als erstes an meine alte, nicht mehr genutzte Adresse im Petrisberg. Habe ich meine Adressänderung bei meiner Rückmeldung zum Wintersemester nicht angegeben? Dummer Fehler… auf jeden Fall ist das Schreiben dann in Gersheim gelandet und von dort aus nach Japan geschickt worden. Ich hätte einen Monat Zeit, mich die Entscheidung zu reklamieren, heißt es. Von dem Monat sind jetzt noch sechs Tage übrig. Dann sollte ich das Problem gleich morgen in Angriff nehmen.
Melanie trifft wegen dieser Nachricht beinahe der Schlag. Dass ich in dieser Situation ruhig bleibe, erscheint ihr völlig befremdlich. Aber wenn ich jetzt hier das Zipperlein kriege und Panik schiebe, bringt mich das nicht nur nicht weiter, sondern es hindert mich ja auch am klaren Denken. Ich muss versuchen, (m)einen Fehler zu finden, und das Merkblatt, auf dem das Procedere einer Rückmeldung auf Entfernung dargelegt war, haben wir nicht mehr. Aber ich bin ganz sicher, dass darauf nur geschrieben stand, dass man lediglich den Semesterbeitrag überweisen müsse, unter Angabe der persönlichen Matrikelnummer als Verwendungszweck.
Ich werde morgen früh Mails an die entsprechenden Stellen schreiben und andere „Japan Veteranen“ um Rat fragen. Wenn ich sechs oder sieben Leute anschreibe, sind meine Chancen gar nicht schlecht, dass zumindest einer antwortet. Das wäre dann die übliche Erfolgsrate. Ich sollte morgen Abend auch mit dem Studentensekretariat in Trier und meiner Bank in Homburg oder Gersheim telefonieren. Ich muss gegebenenfalls die Überweisung an die Landeshochschulkasse nachweisen. Sawada-sensei sollte ich ebenfalls einen Besuch abstatten, nicht, dass eine Exmatrikulation in Trier das sofortige Ende meines Stipendiums bedeutet oder ähnlichen Mist. Ich gehe also schlafen. Ich könnte morgen einen klaren Kopf gebrauchen.

30. Mai 2024

Sonntag, 30.05.2004 – Gibt’s hier nichts zu trinken?

Filed under: Japan,My Life — 42317 @ 7:00

Wir spielen heute also Reisbauern. Dazu fahren wir, der Kurs von Kuramata-sensei, zusammen mit Kashima-sensei und einem mir unbekannten Lehrer in ein nahes Städtchen (Dorf), dessen Namen ich mir als „Inakadate“ gemerkt habe, und finden uns am Rathaus ein. Eigentlich hatte ich gedacht, dass es sich dabei um eine kleine Aktion ausschließlich für uns Austauschstudenten handeln würde, mit vielleicht ein oder zwei einheimischen „Veteranen“ als Instruktoren. Stattdessen sehe ich hier Hunderte von Leuten! Die meisten davon sind offenbar professionelle Bauern, und da ist eine kleine Gruppe von Landfrauen in traditioneller Arbeitskleidung, aber es befindet sich auch eine französische Reisegruppe vor Ort; etwa zehn Erwachsene, vielleicht mehr, und etwa ein halbes Dutzend Kinder zwischen sechs und vierzehn Jahren sind hier. Auch Maeda Yôko ist hier, mit ihrer Tochter Minato und ihrem zweiten Sohn Riku, den sie auf dem Rücken trägt.
Die Anwesenden werden in kurzen Eröffnungsreden begrüßt und eine ältere Dame erklärt kurz, wie Reis überhaupt gepflanzt wird. Man nimmt sich ein Stück Erde mit Sprösslingen aus bereitgestellten Kästen, sofern  einem diese nicht von Leuten am Rand des Feldes auf Wunsch zugeworfen werden. Auf dem Schlamm des Feldes ist ein enges Schachbrettmuster eingezeichnet und man setzt jeweils einen Sprössling auf die Kreuzungen, indem man mit dem Finger ein zwei bis drei Zentimeter tiefes Loch bohrt und den Grashalm hineinsetzt.

Und dann geht es los, barfuß in den Matsch. Der ist überraschend warm und fühlt sich sehr gut an, sehr weich und ohne irgendwelche Bröckchen, und auch der harte Untergrund ist frei von Störobjekten. Da hat jemand gute Vorarbeit geleistet. Ich fühle mich beinahe 20 Jahre jünger und erinnere mich an Zeiten, in denen ich zu weniger produktiven Zwecken im spätsommerlichen Schlamm gespielt habe.
Ich habe mit dem Gedanken gespielt, meine Schuhe anzulassen, nachdem ich beobachtet hatte, dass die Einsinktiefe nicht über die Höhe meiner Stiefel hinausgehen würde, aber das Argument, dass ich mit den Schuhen, wenn auch grob gereinigt, ja wieder in das Auto unseres Centerchefs steigen müsste, lässt mich den Gedanken verwerfen.
Man muss sich vorsichtig bewegen, weil man etwa 25 cm tief einsinkt und leicht hinfallen kann, wenn der Fuß im falschen Moment zu sehr oder zu wenig stecken bleibt. Stolpern oder ausrutschen sind die Alternativen. Wir alle haben Kleider zum Wechseln dabei, aber dennoch möchte ich nicht derjenige sein, der ein Schlammbad nimmt und anschließend entsprechende Fotos ertragen muss. Ich pflanze etwa eine halbe Stunde lang Reis, dann weiß ich, dass es zwar Spaß gemacht hat, dass ich aber darauf verzichten kann, meinen Lebensunterhalt damit zu verdienen. Wir haben heute ein ungeheuerliches Glück mit dem Wetter, es ist warm und so schwach bewölkt, dass die Sonne nicht vom Himmel brennt, aber es gibt ja auch schlechte Tage, an denen die Bauern trotzdem raus müssen, wenn sie was zu beißen haben wollen.

Ich wandere noch in der Gegend herum und fülle meinen Fotospeicher. Wegen des ereignisreichen Wochenendes kann ich leider nicht so viele Fotos von dem heutigen Ereignis machen, wie ich gerne würde, aber da das Center an Wochenenden geschlossen ist, kann ich meine Kamera von Samstag auf Sonntag nicht entleeren.
Ich habe mich die ganze Zeit schon gefragt, wozu dieser seltsame Holzrahmen gut ist, der da von einem Planquadrat des Feldes zum anderen verschoben wird. Und dann werden mit Plastikbändern an Holzstöcken Markierungen in den Boden gesteckt. Der Fall wird klar, wenn man a) alle Ausführungen des ersten Redners bei der Begrüßung verstanden hat (nein, mein Herr) oder b) auf den Turm des schlossartig angelegten Rathauses steigt. Es werden hier drei Sorten Reis gepflanzt und jetzt erst wird mir der Zweck klar. Jede dieser drei Reissorten hat eine andere Blattfarbe, Gelb, Grün oder Lila. Die mit Hilfe der Markierungen angelegte Kombination der Sorten auf dem Feld wird letztendlich ein Bild ergeben, sobald der Reis ein gewisses Wachstumsstadium erreicht hat. Das linke Bild wird einen Mönch darstellen, das rechte (für das ich keinen Platz mehr hatte) eine Frau, und das Ganze wird noch weiter verziert durch einen Schriftzug. Im Turm selbst befinden sich Fotos mit den verwendeten Felddarstellungen der vergangenen Jahre. Die Mona Lisa war auch schon dabei.

Wir waschen nach getaner Arbeit unsere Füße und Hände (kaltes Wasser und Kratzbürste!) und bekommen ein kostenfreies Mittagessen geboten, das ich sehr genieße. Es handelt sich um einen Gemüseeintopf mit Shimidôfu (das ist Tofu, der über Winter dem Frost ausgesetzt wird), und lustigerweise gibt es hier Reis nur in Form von Onigiri.
Und, hey, hieß es nicht, dass nach getaner Pflanzarbeit in Japan kräftig einer gehoben wird? „Ta-ue de Sake ga nomeru zo!“ heißt es doch in dem Lied von „Beethoven & Barracuda“, oder hat da jemand übertrieben? Ich muss mich also leider ausschließlich an die Flasche Aquarius halten, die ich selbst mitgebracht habe.

Wir machen uns auf den Heimweg. Ich bearbeite in der Bibliothek noch meine Post, kann aber wegen der morgigen Klausur nicht ewig bleiben. Ich stelle auch fest, dass meine Haut an exponierten Stellen von der Sonne gerötet ist, aber ich verspüre kein Brennen, auch nicht, wenn ich daran reibe.
Guter Tag.

29. Mai 2024

Samstag, 29.05.2004 – Gib’s ihm!

Filed under: Japan,My Life,Spiele — 42317 @ 7:00

Melanie hat uns also auf eine Liste setzen lassen, damit wir an dem Ausflug in den Apfelpark teilnehmen können. Zu unser aller Unglück regnet es aber am Morgen. Melanie ruft daher gleich nach der Öffnung der Bibliothek ihre Post ab und findet, wie bereits vermutet, die Absage vor. Währenddessen befinde ich mich noch auf dem Weg zur Universität. Melanie kommt mir an der Polizeistation entgegen und sagt Bescheid. Das ändert natürlich an meiner Fahrtrichtung nichts, da es mich eh zur Bibliothek zieht. Der Regen am Morgen sorgt allerdings den ganzen Tag über für ein sehr schwüles Klima, das übermäßige Bewegung sehr unangenehm macht.

Ich sehe also meinen ganzen Tagesplan gefährdet. Es war ja geplant, dass BiRei nach dem Ausflug bei MinJi reinläutet, um ihr zu sagen, dass wir bereit zum Losfahren seien. Nach der derzeitigen Lage werde ich BiRei aber erst gar nicht zu Gesicht bekommen, und ich habe keine Ahnung, wo die beiden jeweils wohnen. Ich glaube nur, dass MinJi im Kaikan wohnt. Ich könnte also die Briefkästen durchgehen – aber ich habe wiederum keine Ahnung, wie sie ihren Namen, „Choi MinJi“, auf Japanisch schreibt. Sollte mich der Regen am Morgen jetzt einen (den?) Höhepunkt der Woche kosten?
Aber das Problem erübrigt sich um fünf nach halb Drei: MinJi ist hier und sitzt an einem Rechner drei Meter von mir entfernt. Gut, dann kann ich ja in Ruhe mein Zeug fertig schreiben und muss nur darauf achten, dass sie mir nicht „entwischt“. Um kurz nach halb Fünf gehe ich zu ihr hinüber und kläre sie über die Lage auf. Sie schreibt also BiRei eine Nachricht und die antwortet, dass sie um kurz nach Fünf am Haupttor sein könne.
Leider stellt MinJi zehn Minuten vorher fest, dass sie nicht, wie üblich, mit dem Fahrrad hergekommen, sondern mit einem Auto gebracht worden ist, also will (muss) sie erst ihr Fahrrad holen.
Mein erster Gedanke: „Sie kann mein Fahrrad nehmen, um schneller zu sein.“
„Und was mache ich dann mit zwei Fahrrädern?“ Ah, ja… wo sie Recht hat, hat sie Recht.
„Dann gehen wir zusammen mein Fahrrad holen, ja? BiRei kommt die gleiche Straße runter gefahren, wir können sie also nicht verpassen und keiner muss hier warten.“
Also schiebe ich mein Fahrrad neben ihr den Berg hoch und wir treffen BiRei tatsächlich auf dem Weg.
„Was ist mit Melanie?“ Die Frage musste auftauchen.
„Sie ist wieder nach Hause gefahren heute Morgen. Offenbar hat sie es vergessen.“ Allerdings muss ich zugeben, dass ich Melanie gegenüber den Sachverhalt „Sushi, Samstag, 17:00“ etwas deutlicher hätte hervorheben können.
BiRei wartet also an Ort und Stelle, MinJi geht ihr Rad holen und ich düse nach Nakano, um Melanie zum Essen zu holen, trotz des gestern für den Ausflug gemachten und daher noch ungenutzten Kartoffelsalats.
Melanie ist aber nicht da. Ich vermute, dass sie mehr als minder zum Vergnügen ins Ito Yôkadô gefahren ist. Ich fahre also wieder zum Haupttor der Universität und muss doch tatsächlich noch drei Minuten auf meine Begleitung warten. Ich schildere die Sachlage und die beiden sind sich einig, nicht ohne Melanie gehen zu wollen. Also schlage ich vor, dass wir alle zusammen nach Nakano fahren und dort auf Melanie warten.
Die ist allerdings in der Zwischenzeit wieder zuhause eingetroffen und wir können um Sechs die Fahrt zum Sushi Shôgun beginnen, nachdem ich MinJi mit einem Glas Wasser und ein paar Eiswürfeln wieder „einsatzfähig“ gemacht habe.

Wir müssen zehn Minuten warten, dann sind vier Stühle frei. Ich halte mich mit dem Essen zurück, weil ich auch noch ein bisschen Kartoffelsalat essen möchte, damit der nicht schlecht wird. MinJi zeigt uns ein paar alte Fotos von ihr und ihr Bild aus der Oberschule kommentiere ich mit „Da drauf siehst Du aus wie ein Yankee!“ Zur Erklärung: „Yankees“ sind im Japanischen „böse“ Schulmädchen, also solche, die auf verschiedene Arten und Weisen gegen Regulierungen verstoßen, sei es, dass sie ihre Kleidung modifizieren oder mit unorthodoxen Frisuren und Haarfarben aufwarten.

Eine knappe Stunde später gehen wir wieder, und weil der Tag noch jung und BiRei noch nie im Sakurano gewesen ist, besichtigen wir das Kaufhaus. Das Anschauen von Kleidern mit gesalzenen Preisen hält sich jedoch in Grenzen, und nachdem ich mir mit MinJi ein paar Minuten von „Majô no Takkyûbin“ („Kiki’s Delivery Service“) angeschaut habe, der Film läuft auf einem Bildschirm in der Kinderecke, fahren wir in den vierten Stock hoch, wo sich die obligatorische Spielabteilung befindet. Wir spielen zwei Runden Shufflepuck zu viert (das heißt, man versucht einen Puck auf einem Luftpolster in das gegnerische Tor zu schießen) und lassen ein paar Fotos von uns vor dem riesigen „Neputa“ Lampenschirm machen, von dem hier ebenfalls ein Exemplar zu finden ist.
Schließlich stellt MinJi klar, dass sie tatsächlich das Zeug zum Yankee hat und spielt „Ashita no Joe“. Es handelt sich ebenfalls um einen Box-Automaten, allerdings ist das Spielprinzip hier etwas anders als im Ito Yôkadô, wo man ganz einfach nur einen Kolben so hart wie möglich schlagen muss.
Auf dem Bildschirm hier ist ebenfalls ein Kampf zu sehen. Manchmal erscheint ein waagerechter Pfeil auf dem Monitor, der bedeutet, dass man sich in diese Richtung wegducken soll. Ansonsten ist da eine Art Gerüst angebracht, und an diesem Gerüst befinden sich vier klappbare Plastikknöpfe, an jeder Seite zwei und etwa so groß wie eine Faust, und oben ist ein weiterer angebracht. Der hat grob die Form eines Kopfes. Wenn nun einer der vier Knöpfe ausfährt, muss man ihn so schnell wie möglich wieder in seine Verankerung schlagen, und wenn man auf dem Bildschirm eine entsprechende Anweisung sieht (Pfeil nach oben), muss man dem „Kopf“ einen Kinnhaken verpassen. Das Ganze muss mitunter ziemlich flott gehen. Ob die Schlagkraft von Bedeutung ist, kann ich nicht beurteilen, aber MinJi hat sichtlichen Spaß an dem Prügelspiel, das recht anstrengend zu sein scheint.
Vor allem dann, wenn man selbst niedergeschlagen wird, muss man sich ins Zeug legen, weil man dann mit den Fäusten so schnell wie möglich auf eine Schlagfläche an der unteren Kante des Gerüsts trommeln muss, damit Joe sich auf dem Bildschirm wieder aufrafft. Sie verliert den zweiten Kampf aber allen Bemühungen zum Trotz und geht vor dem Automaten theatralisch klagend in die Knie. Leider habe ich ausgerechnet davon kein Foto gemacht. Ich war beim Anschalten nicht schnell genug. Sie nennt ihr Verhalten „kowai“ („zum Fürchten“), aber jeder andere würde es wohl als „kawaii“ („niedlich“) betiteln.
Wir fahren wieder Richtung Heimat und trennen uns an der Eneos Tankstelle am Totemachi Square. Offenbar bin ich doch noch zu meinem Höhepunkt der Woche gekommen.

28. Mai 2024

Freitag, 28.05.2004 – Spuren im Schlamm

Filed under: Japan,My Life,Uncategorized,Uni — 42317 @ 7:00

Ich verbringe den Morgen mit Vokabeln und Datentransfer, die vorletzte „Airmaster“ CD kann ich fertigstellen. Auf die letzte muss ich noch warten, weil niemand die Episode Nummer 26 anbietet. Es die vorletzte Episode, und da ist für gewöhnlich am meisten los, deswegen möchte ich nur ungern darauf verzichten. Ich sollte einigen Teams eine entsprechende Mail schreiben, aber für gewöhnlich sind die allergisch gegen Bestellungen, und die höchste persönliche Meinung habe ich von Leuten, die Mails noch nicht einmal der Höflichkeit halber beantworten, nicht.

Kuramata-sensei, frisch vom Friseur gekommen, verkarrt uns zur chronologisch nächsten Sehenswürdigkeit: Eine Yayoi-Ausgrabungsstätte. Bei Yayoi handelt es sich um die Zeitperiode nach Jômon. Die Periode ist angesiedelt von 300 v. Chr. bis 300 n. Chr. und ihre herausragenden Merkmale sind organisierter Reisanbau und der Gebrauch der Töpferscheibe. Wichtig für diese Zeit war auch die Verhüttung von Eisen und Bronze.
Eigentlich gibt es nicht schrecklich viel zu sehen. Man hat etwa einen Quadratkilometer alter Reisfelder ausgegraben, während von der Siedlung nur die Bodenvertiefungen der Häuser übriggeblieben sind, und einige Gräber. Bemerkenswert ist, dass man bis zur Entdeckung dieses Ortes 1982 nicht glaubte, dass es zur Yayoi Zeit so hoch im Norden Reisanbau gegeben hat. Man ging bis zu jenem Zeitpunkt davon aus, dass das Klima für die Möglichkeiten des damaligen Ackerbaus zu kühl gewesen sei. Aber dennoch wurde hier erfolgreich Reis geerntet.Allgemein machten der Reisanbau und dessen Lagerung die Bildung größerer Siedlungen möglich, da der Reis das seit der Jômon Periode übliche Jagen und Sammeln deutlich ergänzte. Das scheint an sich sehr positiv zu sein, allerdings belegen die Funde auch die Nachteile der verbesserten Lebensbedingungen.
Wie es scheint, ging der Reisanbau (und der damit verbundene gestiegene Wohlstand) mit der Entdeckung der Metallverarbeitung eine unheilige Allianz ein, da ab nun die ersten, wenn auch kleinen, Kriege um Anbaugebiete geführt wurden. Auf dem Friedhof gibt es Skelette ohne Köpfe, mit deutlichen Gewaltspuren an der Halswirbelsäule, und woanders fand man ein Skelett, zwischen dessen recht gut erhaltenen Überresten 13 Pfeilspitzen steckten. Es muss also stellenweise heiß hergegangen sein. Reis hat offenbar nicht nur Vorteile. Die verbesserten Lebensbedingungen, der sich entwickelnde Wohlstand, förderten auch die Herausbildung einer deutlicheren hierarchischen Struktur in den Gemeinschaften, und natürlich zeigte sich auch, dass manche Anbaugebiete besser waren als andere. Und wo Menschen aufgrund welcher Umstände auch immer Macht und Gewalt über das Schicksal anderer erhalten, wollen sie diese Macht ausbauen. Da ging er hin, der himmlische Friede der Urgesellschaft.
Die Hauptattraktion der Ausgrabungen sind die Fußspuren, die sich im erhärteten Schlamm erhalten haben. Sie stammen von Menschen, die etwa 1,50 bis 1,60 m groß waren. Daneben gibt es Ausstellungen von Vasen, Arbeitsgeräten und Reiskörnern, ebenso wie Bronzeschmuck und Pfeilspitzen. Bronze wurde ausschließlich zu Schmuckzwecken verwendet, wie uns der Angestellte erzählt.
Wir verabschieden uns dann – bis zum Sonntag. Dann machen wir den nächsten Trip in dieses Dorf, wenn auch nicht wieder zu den Ausgrabungen. Wir werden uns am Sonntag im „Ta-ue“ üben – im Reis pflanzen. Ich hoffe, dass es nicht regnet, das könnte das schlammige Feld richtig unangenehm machen.

Wir kommen pünktlich zum nächsten Unterricht wieder zurück und Ogasawara-sensei hat den Plan gefasst, die Kommunikation innerhalb der Klasse zu erhöhen, indem sie jede Übung von jemand anderem „moderieren“ lässt. Ich bekomme die längste ab und muss den Inhalt erst einmal selbst verstehen, was die Sache natürlich in die Länge zieht, aber der Kommunikation sehr dienlich ist, weil ich dauernd irgendwelche Fragen an die Leute stellen muss, um zu verstehen, um was es hier eigentlich geht.
Auch Shin soll eine Übung leiten, was wegen seiner Art zu sprechen für allgemeine Erheiterung sorgt. Han bricht darüber in Tränen aus (zumindest kann ich keinen anderen kausalen Zusammenhang erkennen), und das nicht vor Lachen, das hier sieht ernst aus. „Vielleicht schämt sie sich dafür, dass alle über den armen Kerl da vorne lachen und ihm das vielleicht nicht einmal bewusst ist?“ sagt Melanie dazu. Ich will das nicht ausschließen, obwohl mir eine derart heftige Reaktion übertrieben scheint. Es lacht ja niemand laut, aber das Grinsen ist allerorts breit. Allen voran bei Hans Ehemann Jo…

27. Mai 2024

Donnerstag, 27.05.2004 – Kill Quentin!

Filed under: Filme,Japan,My Life — 42317 @ 7:00

Nachdem also wieder ein Mittwoch überstanden ist, kann die Kugel auch wieder entspannter rollen. Allerdings tut sie das auf so langweilige Art, wie das eben nur an einem Donnerstag möglich ist und mein Unwille gegenüber dem Schreiben „formvollendeter“ Aufsätze, egal in welcher Sprache, könnte kaum größer sein.

Dann wollte ich eigentlich Yui treffen, aber ich habe die Uhrzeit vergessen. Also handele ich schnell, setze mich auf mein Fahrrad und fahre nach Osten, um das Denkodô zu suchen. Ich weiß nur, dass es sich in ungefährer Umgebung des Sakurano befindet, aber nicht mehr. Ich fahre also an dem Kaufhaus vorbei, einfach die Straße weiter runter nach Osten. Und ich finde zuerst das „Power Depot“, ebenfalls ein Laden, der Elektronikzeug verkauft. Na wunderbar, dann habe ich ja den Preisvergleich gerade zur Hand. Aha, 256 MB FlashMemory USB 2.0 gibt es hier für 7990 Yen, also für ungefähr 60 E. Unverschämterweise frage ich den Angestellten, wo denn das Denkodô sei, und er erzählt es mir. An der Ampel links vom Laden rechts abbiegen und drei Ampeln weit nach Süden fahren, da könne ich links ein gelbes Gebäude sehen, und das sei das Denkodô.
Am Denkodô stelle ich mein Fahrrad lieber in den Schatten. Heute ist es nicht nur sonnig, sondern auch noch richtig warm dazu. Auf dem Sattel könnte man bestimmt ein Spiegelei braten, ohne beabsichtigte Anspielungen. Aber das Denkodô erweist sich preislich als zweite Wahl: Das gleiche Produkt kostet dort 8490 Yen und die Auswahl ist deutlich kleiner – auf Wiedersehen. Ich fahre zurück ins Power Depot und kaufe die Ware dort.
Ah, zweiteilig: Das Gehäuse ist der Stecker, der den herausnehmbaren Speicherstein mit dem Computer verbindet. Ich könnte also einen Speicherstein mit mehr Platz hineintun, ohne gleich ein komplettes Teil kaufen zu müssen – falls es in Deutschland ein vergleichbares Produkt gibt. Aber 256 MB reichen mir erst mal völlig aus. Ich denke, es wird noch zwei oder drei Jahre dauern, bis größere Dateien die Norm werden.

Ich fahre ins Center zurück und warte auf Yui. Ich installiere schon mal die Treiber auf den entsprechenden Computern und erfahre dabei die ersten Probleme. Als die Verkäuferin sagte, der Treiber sei „drin“, dachte ich, der Treiber wäre vielleicht bereits auf dem Memorystick gespeichert und mache so eine Installations-CD überflüssig, weil ich auf den ersten Blick keine habe entdecken können und deshalb nachfragte. Was sie allerdings mit „drin“ gemeint hat, war „in dem kleinen Karton“. Es handelt sich um eine kleine 8 cm CD-ROM, die ich beim Auspacken völlig übersehen habe. Und unsere Laufwerke hier stehen alle aufrecht… das heißt, ich muss den Computer kippen, damit die CD gelesen werden kann. Zu meiner übergroßen Freude nimmt einer der drei Win98 Rechner den Treiber nicht an und ein weiterer reagiert überhaupt nicht, wenn man etwas in seinen USB-Port hineinsteckt. Vermutlich völlig zerschossen, da das bis vor kurzem mit Misis Speicher noch funktioniert hat. An meinem Teil kann es nicht liegen, denn wenn ich den Stick in die anderen Computer stecke, werde ich nach den Treibern gefragt und bei diesem Müllrechner hier geschieht noch nicht einmal das. Okay, dann eben nur einer von dreien. Ich brauche einen Plan!
Der Plan: Ich tausche meinen Speicherstein temporär gegen den von Misi, um meine Daten von Rechner Zwei auf Rechner Eins zu transportieren, auf dem mein Gerät ja läuft, tausche dann wieder zurück und verschiebe weiter auf Rechner Vier, auf dem ich wegen Windows XP keinen Treiber zu installieren brauche und der den notwendigen Brenner hat. Man kann sich das Leben kaum komplizierter machen. Warum haben nicht gleich alle Rechner Brennerhardware? Hätte mir den Erwerb des Memorysticks erspart.

Yui erscheint schließlich auf der Bildfläche und wir gehen in die Halle. Da ich nur meine Beispielsätze noch einmal durchgehen will und es ja nur um zwei Lektionen geht, braucht die Sache nicht lange und wir streichen den vorsorglich ausgemachten Termin am Wochenende. Mir scheint, ich habe am Samstag eh viel vor, wie mir im Laufe des heutigen Tages langsam klar wird. Melanie hat uns für einen Fahrradtrip in den „Hirosaki Apfelpark“ eintragen lassen. Sie war irgendwie mit einem organisierenden Lehrer ins Gespräch gekommen, der meinte, dass es ja nicht angehen könne, dass wir keine japanischen Freunde hätten (kann ich mich beschweren?) und der Ausflug sei wie geschaffen, das zu ändern, weil nicht nur Ausländer, sondern auch japanische Studierende daran teilnähmen. Melanie hat weniger japanische Kontakte als ich, und das ist nicht unwesentlich dem Zustand zuzuschreiben, dass sie keinen Tutor hat. Außerdem zeigt sie in solchen Dingen noch weniger Initiative als ich, weil ich weniger Bedenken habe, auch mangelhafte Sprachkenntnisse zu verwenden.[1] Das „Learning by Doing“ liegt ihr nicht so. Also gut, dann also Apfelpark.

BiRei ist auch auf der Liste, und dass sie sich über meine Teilnahme so freut, mindert mein Gefühl, hier von Aktionismus überrumpelt worden zu sein, doch ein wenig. Außerdem habe ich ihr und MinJi ja einen Sondertermin zum Sushi-Essen versprochen, was diesen Samstag stattfinden soll. Die Leute, die letzte Woche bereits dabei waren, habe ich nicht wieder gefragt und der Rest hat wegen aller möglichen Nebenjobs keine Zeit. Bei anderen liegt es an mangelnder Kommunikation: Yukiyo und Masako schreiben mir, dass sie meine Mail zum letzten Sushi-Termin heute erst gelesen hätten – also einige Tage nach dem Termin. Wozu haben die einen Mailaccount, wenn sie ihn nicht nutzen? Ich informiere sie über den neuen Termin, aber wenn ihre Lesefrequenz so bleibt, dann ist es mindestens Montag, bis sie über den Samstag Bescheid wissen. Wir einigen uns mit MinJi, dass BiRei sie anruft, sobald wir von dem Ausflug zurück sind, weil sie nicht in den Ausflug zum Apfelpark mit eingebunden ist.
Den Rest vom Tag verbringe ich dann in der Bibliothek.

Am Abend wartet Melanie mit einem Film auf mich: „Kill Bill“. Ich wollte ihn auch schon längst mal sehen, um selbst zu erfahren, „über was alle reden“. Der Film soll ja angeblich so toll sein. Ich hatte aber auch schon gehört, dass „Otôto Sempai“ Pierre den Film in der Luft zerrissen und ihm nur wegen des angeblich genialen Schlusses noch die Note „4“ gegeben habe. Und als dann der Abspann läuft und ich aus dem Sessel aufstehe, weiß ich plötzlich, wie sich mein Freund Sebastian gefühlt hat, als er damals nach der Vorführung von „Versus“ aus seinem Sessel aufgestanden war und gesagt hatte (O-Ton):
„Also so eine Scheiße hast Du mir ja seit zehn Jahren nicht mehr gezeigt!“
„Versus“ ist, meiner Meinung nach, wenn auch nicht gerade ein Meisterwerk der Filmkunst, was ich zugebe, auf jeden Fall cool. Aber „Kill Bill“ ist so ziemlich das mieseste Filmprodukt, das ich seit langer Zeit gesehen habe. „Ninja Resurrection“ (ich rede von dem vor ein paar Wochen beschriebenen Realfilm) war so schlecht, dass man darüber lachen konnte, aber „Kill Bill“ schafft noch nicht einmal das – eine absolute Nullnummer!
Die Einbindung so genannter (im wahrsten Sinne des Wortes nur „so genannter“) Animesequenzen ist schlicht lachhaft, auch wenn diese Formulierung jetzt paradox erscheint. Wer das für Anime hält, sollte sich mal nach Alternativen umsehen. Der Stil ist sehr amerikanisch (Stil „Japanimation“, das US Imitat japanischen Stils) und die grafische Qualität ist noch oberübel dazu. Und dann diese unglaublichen Mengen an Kunstblut, die in den Kämpfen den ohnehin übertriebenen Animationssequenzen in keiner Weise nachstehen! Es sprudelt und spritzt aus allen Arterien, dass ich mir vorkomme wie in „Nightmare on Elm Street“. Diese Maßlosigkeit reißt den Film endgültig in den Abgrund. Ich glaube, Tarantino hat definitiv die falschen Anime gesehen. Ich rechne das seinem persönlichen Geschmack an.
Ah, von wegen „persönlicher Geschmack“ in Bezug auf Quentin Tarantino: Nach diesem Film habe ich den starken Verdacht, dass Tarantino Fetischist ist – mir scheint, er steht auf Füße. In „From Dusk till Dawn“ spielten Füße eine erotische Rolle, und auch hier bekommt man von der einen oder anderen Darstellerin eine entsprechende Kameraeinstellung.
Ha, und ich habe noch gar nicht das Japanisch erwähnt! An sich finde ich es löblich, wenn man sich darum bemüht, in Szenen, die in Japan spielen, die Darsteller auch Japanisch reden zu lassen, aber dieser Akzent lässt mir die Ohren bluten – und dabei bin ich noch nicht einmal Japaner. Ich glaube, die werden diese wenn auch nett gemeinten Versuche eher zum Totlachen finden.
Mit was für einer Fluggesellschaft fliegt unsere Heldin da eigentlich, in deren Maschinen man Schwerter mitnehmen darf? Und was ist an dem Schluss so toll? Das tot geglaubte Kind lebt noch, damit ist die Fortsetzung vorprogrammiert und es ist das Kind von Bill. Na toll, ich verneige mich in Ehrfurcht!
Aber ich will auch zwei positive Dinge über den Film sagen: Erstens war es eine gute Idee, nach dem Gemetzel in dem Lokal die Verwundeten im Hintergrund jammern und stöhnen zu lassen, auch nachdem der Kampf bereits vorbei war. Das trägt zum Realismus bei. Actionfilme verfahren meist noch wie die alten Kriegsfilme – da gibt’s nur Tote und ohnmächtige Verwundete. Zweitens war es schön, den alten Sonny Chiba noch mal zu sehen. Seit „Sengoku Jieitai“ sind ja bereits ein paar Jahre vergangen… der Mann hat zugenommen.


[1]   Ich habe außerdem weniger Bedenken, einfach so Leute anzusprechen, wenn ich es in einer Fremdsprache tue. Ich bin sonst nicht bekannt dafür, einfach so auf Leute zuzugehen, ohne vorher einen Schnaps zur Entspannung getrunken zu haben.

26. Mai 2024

Mittwoch, 26.05.2004 – Aus dem Leben eines Schweden

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

Der nächste lange Mittwoch steht mir ins Haus, und ich darf ihn damit beginnen, zwei Dialoge für Ogasawara-sensei, für den heutigen Unterricht, zu schreiben – weil ich diese Hausaufgabe völlig vergessen habe. Ich wehre mich gegen den Vorwurf der erfolgreichen Verdrängung – ich habe eine Schwäche für solche Schreibangelegenheiten. Wegen des Zeitmangels schaffe ich es leider nicht, der Sache den üblichen Schwung zu geben. Da jeder Teilnehmer zwei Dialoge hat schreiben müssen, lässt die Lehrerin die Notizen wandern, von einem Tisch zum anderen, und man soll markieren, welcher Text der bessere sei. Die Texte mit den meisten Markierungen werden vorgelesen – meiner ist dabei, und ich würde das ein Armutszeugnis für die Kreativität meiner Mitstudierenden hier nennen.

Kondôs Unterricht fällt aus. Ich gehe in den nächsten Supermarkt und kaufe eine Tüte Brot, die eigentlich drei Portionen Frühstück abgeben soll, aber sie verschwindet im Laufe des Nachmittags Stück für Stück in meinem Bauch. Die Flasche Yoghurt Kalpis dagegen ist tatsächlich für den Sofortverzehr gedacht. Dieses Getränk könnte ich ernsthaft vermissen. Nudelsuppe und sogar Sushi bekomme ich auch in Deutschland auf die eine oder andere Weise, aber Yoghurt Kalpis?

Ich setze mich in die Bibliothek und vertreibe mir die Zeit bis zum nächsten Unterricht mit dem Schreiben meines Kampfberichtes, aber ich vergesse die Zeit ein bisschen zu sehr und komme zehn Minuten zu spät zum Unterricht von Hugosson. Der fragt mich zuerst nach deutschen „Schuhsitten“:
„Trägt man in Deutschland im Haus Straßenschuhe?“
„Das ist von Haushalt zu Haushalt verschieden, aber es spricht an sich nichts dagegen, solange die Schuhe nicht deutlich verschmutzt oder nass sind.“
Er fragt auch die anderen Anwesenden, aber die kommen ja alle aus Asien, und Asiaten sind sich in dieser Frage einig, wie es scheint. Er erzählt, in Schweden sei es üblich, die Straßenschuhe auszuziehen und mitgebrachte, saubere Schuhe anzuziehen, während es völlig in Ordnung sei, das Haus barfuß zu betreten, auch wenn man gerade durch die Wiese oder den staubigen Garten spaziert war.

Ansonsten erzählt er, wie er anno dazumal, 1992, zum ersten Mal nach Japan gekommen war, als Kampfsportlehrer. Man stelle sich das vor: Ein Europäer, dazu noch einer aus dem friedlichen Schweden, kommt ins Land der weisen Sensei und will sich als Kampfsportlehrer betätigen, und dazu noch in einer offenbar japanischen Disziplin: „Taidô“ heißt der Sport. Ich hab noch nie davon gehört. Jedenfalls kam er auf Vermittlung des betreffenden Sportverbandes zuerst nach Tokyo, mitten im Winter, und er hatte nur Sommerklamotten dabei. Er hatte ein milderes Klima auf der geografischen Höhe des Mittelmeers erwartet.
Nachdem er dann eine Woche lang von McDonald’s gelebt hatte, weil er kein Wort Japanisch sprach, wurde er von dem Sportverband ausgerechnet nach Hirosaki weitervermittelt – in seinen Sommerklamotten. Also im überhitzten Bus mitten in die „Arktis“; eine kurze, aber heftige Erkältung war die Folge.
Er lebte dann ein Jahr lang „Homestay“ bei einem wohlhabenden Arzt (ich glaube, in Japan sind alle Ärzte wohlhabend, nicht wahr, Jin-san?), arbeitete aber nicht als Trainer, sondern als Kucheneinwickler in einer Konditorei im Norden der Stadt. Man entzog ihm ziemlich schnell die weichen Tortenstücke wieder, weil er ein wenig zu kräftig zupackte und gab ihm „härtere“ Backwaren zum Einpacken. Außerdem musste er im Spagat an dem Tisch arbeiten, weil der für Japaner gebaut war, was heißt, dass er für einen durchschnittlich großen Nordeuropäer zu klein zum davor Stehen und zu groß zum davor Sitzen oder Knien ist. 1995 kehrte er zurück, diesmal als Forschungsstudent/Doktorand, machte seinen Doktor an der Universität von Hirosaki. Er heiratete eine Japanerin und blieb im Land.
Ich habe keine Ahnung, was das mit dem Thema zu tun hat, aber ich finde es sehr unterhaltsam und es macht den Mann auch sehr sympathisch. Immerhin erwähnt er hier und da eine der Organisationen, um die es in dem Unterricht eigentlich gehen soll.

Danach verschwinde ich wieder in der Bibliothek, bis etwa 21:45. Ein großer Artikel zum Thema „D-Day“ hält mich auf. Aber es geht nicht um die Landung selbst, sondern um eine Übung an der englischen Küste:
Da sollen doch 1943 die Übungsgegner aus nicht bekanntem Grund scharfe Munition erhalten haben, wahrscheinlich ein fataler Fehler der Ausrüstungsstelle. Die Probelandung soll 750 (!) Amerikaner das Leben gekostet haben, und noch lebende Anwohner der Gegend sagen aus, sie hätten die Leichentransporte gesehen, beim Herstellen von Särgen geholfen oder beim Ausheben von Massengräbern, während andere sich ausschweigen und kein Wort über die Angelegenheit verlieren wollen, die vom Pentagon vehement abgestritten wird. Die Verluste werden offiziell einem Angriff deutscher Schnellboote auf einen Konvoi tags darauf zugeschrieben.

25. Mai 2024

Dienstag, 25.05.2004 – Grundstück in Japan gefällig?

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

Ich stehe früh auf, um noch was gearbeitet zu kriegen und gehe dann ins Center. Weitere Kanji eintragen und lernen kann ich auch dort.

Alex stellt uns frustriert ein Buch vor die Nase, das offenbar von einem Neuseeländer geschrieben worden ist. Das Buch enthält ein paar Textstellen in der Sprache der Maori und ich habe nicht verstanden, um was es genau geht. Ein sozialpolitisches Thema. Alex findet das Buch zu langweilig, um es konzentriert lesen und dann wiedergeben zu können, also sucht er im Internet nach einer guten Zusammenfassung – findet aber keine. Offenbar finden auch andere Leute das Buch langweilig. Misi ist so nett und liest ihm eine Seite vor, damit er schon mal eine weniger selbst lesen muss.

Um 13:00 treffe ich Yui, aber sie bittet mich darum, das Treffen auf 17:40 zu verschieben, weil sie noch nichts gegessen und im Anschluss Unterricht habe. Ich habe auch gleich Unterricht, bei Kondô.
Kondô-sensei hat heute einen Mann namens Ichinohe zu Gast, und so langsam frage ich mich, wie viele „-nohe“ Verbindungen es eigentlich geben kann. „Hachinohe“ ist eine Stadt an der Ostküste hier oben, „Mitsunohe“ (oder „Sannohe“?) ist eine Oberschule (auf einem Trainingsanzug gelesen) und „Ichinohe“ ist offenbar ein Familienname. Ichinohe-san redet über die Immobilienpreise in Hirosaki, die mitunter die niedrigsten im ganzen Land seien – es gibt mehr Angebot als Nachfrage –, daher mache er auch Geschäfte in Tokyo und habe seine Fühler während der vergangenen Jahren bis nach Shanghai ausgestreckt, weil der wachsende chinesische Markt einigen Gewinn verspreche. Er teilt ein Infoblatt aus, auf dem lokale Miet- und Kaufangebote aufgelistet sind und bittet darum, dass man seine kürzlich erst gestartete Internetpräsenz doch kommentieren solle. Ich beschließe, das Blatt zu behalten, weil ich Leute kenne, die eventuell eine Zeitlang in Hirosaki wohnen möchten, aber ich finde es kurze Zeit später bereits nicht mehr. Sehr nett fand ich, dass er eingangs kurz seine Familiensituation beschrieben hat (verheiratet, zwei Kinder, 9 und 12 Jahre alt), das macht die Atmosphäre meiner Meinung nach weitaus lockerer.

Heute holt sich übrigens SongMin einen (wenn auch recht sanften) Anpfiff. Kondô fragt sie, ob sie das Wort verstanden habe, das er eben verwendet hatte, und SongMin fragt zuerst SungYi, um bei der Übersetzung sicher zu gehen, worauf Kondô tadelt: „Wenn ich ihnen eine Frage stelle, dann antworten Sie bitte mir – und nicht Ihrer Nachbarin.“ Mir scheint, der Mann ist in dieser Hinsicht recht empfindlich. Aber was soll man erwarten? Ein ehemaliger Generalverwalter der Mitsubishi Bank ist es vermutlich gewohnt, dass man ihn in feinstem Japanisch anspricht und mit Respektsbezeugungen überschüttet.

Um 17:45 treffe ich dann Yui, aber in der Halle wollen wir schon bald nicht mehr bleiben, weil hier offenbar eine Art Clubtreffen stattfindet. Tische werden verrückt, die Leute reden laut, ein Kleinkind schreit. Wir weichen in die Lobby des Physikgebäudes aus, weil es da ruhiger ist, und gehen die Grammatik für den Montag durch, bis etwa 19:45 Uhr. Aus irgendeinem Grund kann ich mich erinnern, dass wir ein paar Schokokekse gegessen haben, aber ich kann mir keinen Grund denken…

24. Mai 2024

Montag, 24.05.2004 – Thai Ginseng auf LSD?

Filed under: Japan,My Life — 42317 @ 7:00

Der Tag fängt sonnig an und ein Blick auf den Iwaki sagt mir, dass der Schnee da oben bedeutend zurückgegangen ist. Wenn ich mir den Fuji-san schon nicht leisten kann, dann will ich zumindest noch einmal auf unseren Berg hier in Tsugaru rauf, allem Fluchen beim letzten Mal zum Trotz.

Yamazaki beendet heute die zweite Lektion des aktuellen Lehrbuchs und setzt die Klausur damit auf die kommende Woche fest. Danach gehe ich ins Center und arbeite weiter an meinen Fotos, nachdem ich den benötigten Rechner habe besetzen können. Ich nehme die neu dazugekommenen Leute gleich dazu, es sind ja nicht viele. Es wäre übertrieben, wegen vier Fotos ein komplett neues Poster anzufangen.

Ich versuche auch, eine MP3-Datei an Martin „U“ zu schicken, aber ich kriege die Datei nicht kleiner als 4,1 MB, und das Maximum, das GMX mir vorgibt, sind 4,0. Vielleicht irre ich mich auch, was die Zahlen betrifft, aber Fakt bleibt, dass mir der Server die Übertragung der Datei verweigert.
Danach gehe ich in die Bibliothek, frohen Mutes und gewillt, zwei Berichte zu schreiben, aber heute ist der 15. Mai fällig – der Tag des (simulierten) Erdbebens. Da gibt es einiges zu schreiben und sieben Seiten brauchen Zeit. Zum Schluss überfliege ich noch die Zeitung, und bis ich nach Hause komme, ist es nach Neun.

Ich sehe mir die aufgenommene Episode von „Mito Kômon“ an – und die fällt heute so richtig aus dem Rahmen. Normalerweise erledigt der Thai Ginseng ja korrupte und ausbeuterische Samurai, womit die Handlung irgendwo auf einem realistischen Boden bleibt. Aber heute…
Der Autor muss gerade ein wildes „Banshaku“ („Trinken am Abend“, meist mit Kollegen) hinter sich gehabt haben, als ihm diese Handlung einfiel. Da sind übersinnliche Ninja-Kräfte im Spiel, und Charaktere, wie man sie in japanischen Historienfilmen oder im Kabuki erwartet (entsprechend geschminkt, meine ich damit). Und der psychedelische Soundtrack – mit E-Gitarren! – tut ein Übriges, um den Gesamteindruck eines Rauschproduktes herzustellen.

23. Mai 2024

Sonntag, 23.05.2004 – Bilderbuchsonntag mit Kaiserwetter

Filed under: Japan,My Life — 42317 @ 7:00

Das Wetter zeigt sich heute von seiner besten Seite, und es ist warm genug, ein T-Shirt zu tragen. Vom Sonnenbaden sind wir allerdings noch ein paar wenige Wochen entfernt. Aus Deutschland dagegen ist zu hören, dass dort bereits der Sommer ausgebrochen sei. Leider hat der Sonntag außer dem schönen Wetter nichts zu bieten, über was es sich wirklich zu schreiben lohnt.

Um 17:05 fahre ich in den kleinen Park in Nakano, genieße die Ruhe des Tages und halte mich eine Stunde dort auf. Vielleicht ist eine Gruppe spielender Kinder 70 m weiter nicht gerade ein Ideal von Stille und Besinnlichkeit, und die regelmäßig vorbeikommenden Damen im Rentenalter, die sich angeregt über das Neueste vom Tage unterhalten, tun das auch nicht gerade tuschelnd. Aber es gibt der dennoch spürbaren Ruhe einen lebhaften Hintergrund, der zwar wahrnehmbar, aber angenehm weit weg ist.

Ich kaufe ein Stück Hühnerfleisch fürs Abendessen und vergreife mich im Regal. Es kostet 240 Yen statt 120 Yen für 300 Gramm. 1,80 E statt 90 Cent, ist das nicht erschütternd? Dafür ist es Schenkelfleisch statt Brust, und ich begrüße das sehr. Melanie findet das weniger berauschend – sie isst lieber trockenes Fleisch.

22. Mai 2024

Samstag, 22.05.2004 – Sushi bis der Arzt kommt

Filed under: Japan,My Life,Zeitgeschehen — 42317 @ 7:00

Ich sehe mir gleich am Morgen „SailorMoon“ an, um nicht wieder tagelang hinterherhängen zu müssen, weil ich keine Zeit dafür habe: Usagi fasst den Plan, Mamoru nach London zu folgen. Die falsche Schlange Mio (habe ich bereits erwähnt, dass sie passend zur Rolle hinterlistig und falsch aussieht?) lädt sie dazu ein, doch als Assistentin beim Fernsehen zu arbeiten und vermittelt sie an einen jungen Schauspieler. Ihre Aufgabe soll es sein, auf dessen Dackel aufzupassen und generell hinter ihm her aufzuräumen. Wenn ich das recht verstanden habe, heißt es, der Schauspieler werde demnächst nach London fliegen und sie könne als seine Assistentin mitkommen. Natürlich läuft die Assistentengeschichte darauf hinaus, dass Usagi der Dackel entwischt und sie mitten in die Live-Aufnahme hineinstürzt, um ihn wieder einzufangen. Neue Vokabel: „Live Aufnahme“ = „Nama Hôsô“.
Meiner Meinung nach wurde mit der untertreibenden Darstellung ihrer Intelligenz, ihrer Begriffsstutzigkeit, etwas übertrieben, als sie eine Weile perplex vor der Kamera herumsteht und offenbar nicht begreift, was das Fuchteln und Winken der Crew zu bedeuten hat oder wie sie das Schild mit der Aufschrift „Nama Hôsô“ interpretieren solle.
Natürlich entpuppt sich der Schauspieler als „Besessener“, mit einem Monster infiziert, das schließlich hervorkommt und Usagi angreift – was es auch schon hätte tun können, als die beiden allein zusammen in seiner Ankleide waren und sie das Pipapopipi von dem Köter vom Boden aufgewischt hat. Der Yôma staucht sie ein bisschen zusammen, aber sie wird natürlich gerettet – von Mamoru! Man sollte besser sagen „von Prinz Endymion“, der in seiner weißen Opernuniform wirklich lächerlich aussieht. Das liegt nicht zuletzt daran, dass der Darsteller nur ein halbes Hemd ist und die Polster lediglich seine Schultern verbreitern – um das Doppelte! Und seit wann trägt Endymion eigentlich Weiß? Die schwarze Rüstung aus der Animeserie sah viel martialischer (= besser) aus.
Man kann also mittlerweile davon ausgehen, dass die abschreckend aussehende Mio auf sehr direkte Art und Weise mit der im Vergleich direkt ansehnlichen Königin Beryll im Zusammenhang steht.
Zoisyte und Nephlyte haben auch inzwischen den „Club der Getreuen des Endymion“ gegründet, und es zeigt sich, dass auch Kunzyte sich sehr wohl an diese Vergangenheit erinnert, aber er nimmt seinem ehemaligen Boss übel, dass er es nicht geschafft hat, den vernichtenden Angriff der Bösen auf das Mondreich abzuwehren, und schmollt deshalb. Nur Jedyte, der die mehr oder weniger konspirative Versammlung beobachtet, hat keine Ahnung, von was die drei da reden und verpetzt Zoisyte bei der strengen Königin mit der angenehmen Stimme, worauf der arme Zoisyte natürlich sofort gezüchtigt wird. Ja, so geht’s bei denen zu…

Ich fahre in die Bibliothek. Es ist bewölkt. Aber solange es am Nachmittag, auf dem Weg zum Sushi Shôgun und wieder zurück, nicht regnet, ist mir das egal. Ich schreibe also bis um 16:20 und fahre dann zum GEO, wo Mei uns treffen wollte. Misi kommt auch mit, er verzichtet heute auf das Paragliding. Um 16:30 trifft Melanie am GEO ein und sagt, Mei sei sofort zum Sakurano gefahren, zum „Shopping“, wie sie sagte. It est: Spazierengehen im Kaufhaus, Kleider angucken und Preise schrecklich finden. Wir fahren also zu dritt los und warten vor dem Sushiladen. Bis um 17:00 kommen Wiirit und Nan, dann Mei, das Ehepaar Han und Jo, schließlich Izham (aus Malaysia, ein Moslem, der aussieht wie ein Klischee-Jesus) mit einer jungen Frau, die ebenfalls von seiner Universität kommt. Die Temperatur ist angenehm kühl, nur Mei beschwert sich, dass ihr kalt sei.
Wir gehen hinein, es ist auch schon Fünf. Kurz darauf stößt Irena zu uns, die mir angekündigt hatte, dass sie zu spät kommen werde – sie wollte auf das Paragliding nicht verzichten. Um etwa halb Sechs kommen dann die letzten: Alex, Chris, Mélanie, der Japaner, den ich auf Daves Abschiedsparty getroffen habe, und eine Japanerin mit Namen Ayako, die gerade vor wenigen Tagen erst aus Korea zurückgekommen ist. Ich habe sie noch nie zuvor gesehen, sie scheint mit Izham bekannt zu sein, und ich glaube, dass der schon eine ganze Weile in Japan ist und nicht zu denen gehört, die im letzten Oktober erst gekommen sind.
Wir bleiben eine Stunde und ich verspeise 13 Teller. Danach fühle ich mich sehr satt. Mei hat bereits nach sechs Tellern genug und meint, dass sie „zum Platzen voll“ sei – der Ausdruck scheint auch im Japanischen gängig zu sein. Alle anderen haben, +/- 1 Teller, genau so viel gegessen, wie ich prophezeit hatte. Nan allerdings… diese eher schlanke Thailänderin, die schlägt mich um drei Teller, schlürft auch noch ganz gemütlich eine Krabbensuppe dazu und spült das Ganze mit einem großen Bier runter! Aha… wie es scheint, trägt sie ihre „Heineken“ Mütze nicht umsonst. Aber wo stopft sie das ganze Zeug eigentlich hin???

Wir gehen schließlich und ich bedanke mich für das Kommen. Melanie möchte noch ins Ito Yôkadô und ich begleite sie. Dort nehme ich die Gelegenheit wahr, eine CD für eine Bekannte zu bestellen.

Zuhause sehen wir uns „Doraemon“, „Atashin’chi“ und „Shin-chan“ an, „Bôbobo“ entfällt heute leider, und zwar aus aktuellem Anlass: Premierminister Koizumi ist nach Nordkorea gereist und hat die Rückführung von Japanern ausgehandelt, die in den vergangenen 40 Jahren vom nordkoreanischen Geheimdienst entführt worden waren. Dabei handelte es sich keineswegs um Wissenschaftler oder Facharbeiter, aus denen man einen direkt greifbaren praktischen Nutzen hätte ziehen können, sondern um ganz normale „08/15 Japaner“.
Da ist zum Beispiel die Rede von einem Ehepaar, das vor über 20 Jahren „von einem Strand in Nordjapan“ entführt worden war. Die beiden waren damals Studenten und sie war schwanger. Mittlerweile haben sie zwei erwachsene Kinder, die beide an der Universität von Pyöngyang studieren und bislang keine Ahnung hatten, dass sie eigentlich Japaner sind – einem Volk zugehörig, dessen teuflische Natur und Hassenswürdigkeit man sie ihr ganzes Leben lang intensiv gelehrt hat.
Den gaaaaanzen langen Abend lang sieht man auf allen fünf hier verfügbaren Kanälen immer wieder die gleichen Bilder. Koizumi mit Kim Yong Il am Verhandlungstisch, die japanischen Opfer, wie sie ins Flugzeug einsteigen und auf der anderen Seite des Japanischen Meeres (bzw. der Koreanischen Ostsee) wieder aus dem Flugzeug aussteigen und in einen Shuttlebus gebracht werden; hin und wieder schiebt man neue Bilder irgendwelcher Pressekonferenzen ein. Möglicherweise ist das wichtig (zumindest für Japaner), aber es den ganzen Abend zu sehen ist schlicht langweilig.

Es würde mich interessieren, mit was Koizumi diese Japaner freigekauft hat. Die Nordkoreaner brauchen ja so ziemlich alles – Nahrung, Devisen, Hochtechnologie, etc., und Kim Yong Il hat nicht das Image von jemandem, der aus reiner Freundlichkeit jemanden aus dem Land lässt.[1]


[1]   Wie ich später hörte, hatte Kim das Thema der Herausgabe entführter japanischer Staatsbürger im Zuge eines Wirtschaftsgipfels überraschend selbst angesprochen. Vielleicht war er – fälschlicherweise – davon ausgegangen, dass die japanische Regierung von diesen Aktionen wusste? Die Entführten wurden übrigens als Sprachlehrer für Geheimagenten des Regimes eingesetzt.

21. Mai 2024

Freitag, 21.05.2004 – Gemurmel mit musikalischer Untermalung

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

Kuramata-sensei leitet heute den Unterricht nicht selbst, sondern überlässt ihn einem jüngeren Assistenzprofessor, der sich eingehend mit der Bedeutung des Reises für die japanische Kultur beschäftigt und fließend Englisch redet, wenn auch mit Akzent. Seinen Namen habe ich leider schon wieder vergessen. Er redet über alles Mögliche in Bezug auf Reis, also Ursprungsgebiete, Sorten, Ausbreitung und Verbreitungsrichtungen der letzten 3000 Jahre. Man geht davon aus, dass der Reis aus Südchina gekommen ist, weil es dort die größte Zahl von Sorten gebe, das heißt also, der Reis hatte dort die meiste Zeit, sich zu diversifizieren.
Er redet auch ein wenig über Verarbeitungsmethoden und führt uns dabei eine Rechnung vor, in der er darzustellen versucht, wie viele Reiskörner der durchschnittliche Japaner im Laufe einer Mahlzeit verzehrt. Er geht dabei von einem Go Reis aus, und das sind offiziell 165 Gramm (trocken). Anhand des Gewichts eines einzelnen Reiskorns kann man nun errechnen, dass ein Abendessen das Ende von ca. 448.000 Reiskörnern in einem einzelnen Magen sieht. Diese Zahl erscheint mir so unglaublich hoch, dass ich versucht bin, bei Gelegenheit mal zu zählen.[1] Im Gegensatz zu der vergangenen Stunde habe ich keine weiteren Fragen. Was das Thema „Entschlüsselung der Genstruktur des Reises“ angeht, bin ich bedient worden.
Und wir sollen einen Aufsatz über ein vergleichbares Produkt in unserer Heimat schreiben, bis in zwei Wochen. Also was wäre das? Kartoffeln sind zwar ein bedeutender Faktor deutscher Ernährung, aber sie sind viel zu „jung“, da sie erst seit ca. 300 Jahren in großem Stil bei uns angebaut werden. Dann bleibt ja nur Getreide, also Weizen oder Roggen, würde ich sagen. Eher Weizen. Melanie schustert mir auch gleich die ganze Arbeit zu – aus Kompetenzgründen, sagt sie. Erstens seien mein Englisch und meine Ausdrucksfähigkeit viel besser und zweitens käme ich ja vom Land, also sollte mir das Thema ja liegen, ich sei „prädestiniert“ für ein Agrarthema. Dabei hatte ich mit Landwirtschaft nie mehr zu tun, als zum Zeitvertreib Kornfelder mit Heuballen platt zu walzen, abgeerntete Felder anzuzünden und Traktoren zu sabotieren – was abenteuerlustige Kinder halt so alles treiben.

Ogasawara-sensei lässt uns heute das Lied „Satô Kibibatake“ („Zuckerrohrfelder“) singen, nachdem wir es in den letzten Stunden gelesen und zu verstehen versucht hatten. Allerdings würde ich den Begriff „singen“ hier lieber nicht verwenden. Ein misstönendes Etwas kommt dabei heraus. Für meine Begriffe hat das Lied eine etwas unglückliche Tonlage. Die ist höher als mein Ideal, aber wenn ich eine Oktave tiefer gehe, renke ich mir den Kehlkopf aus. Man muss es mit lauter Stimme singen, damit das was wird, und danach ist mir in dieser Situation nun wirklich nicht.

Ich gehe noch in die Bibliothek, schreibe aber wegen der Kürze der Zeit nichts mehr.


[1] Ein trockenes Reiskorn wiegt 0,02 bis 0,03 Gramm. Ein Gramm Reis sind also höchstens 50 Reiskörner, 165 Gramm Reis sind also demnach ungefähr 8250 Reiskörner. Die genannte Zahl von 448000 wären also über 54 Go Reis (mit denen man über dreißig Leute satt bekommt).

20. Mai 2024

Donnerstag, 20.05.2004 – Kamikakushi[1]

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

Ich schaue mir am Morgen eher zufällig die Nachrichten an und sehe, dass sich zwei Geiselnehmer, ein Mann und eine Frau, in einem Haus verschanzt hatten, das wohl heute Morgen von einem Polizeikommando gestürmt worden ist. Der „spannende“ Bericht ist live und geht über mehrere Minuten, aber alles, was es zu sehen gibt, sind ein Haus mit zerbrochener Fensterscheibe, die obligatorische blaue Plane, um das Sichtfeld vor der Presse zu schützen und abfahrende Krankenwagen. Noch nicht einmal einen gesprochenen Kommentar gibt es. Mich interessiert heute der Wetterbericht mehr, da wohl gerade ein Taifun nach Norden rollt. Aber er wird bestenfalls den Ostrand der Kantô-Ebene mit seinen Ausläufern streifen (= Tokyo) und hier oben bei uns im schlimmsten Fall für unspektakuläre Wolken und ein bisschen Regen sorgen, heißt es. Und der Regen fällt heute zu günstigen Zeiten, nämlich dann, wenn wir unter einem Dach sind, und wir werden beim Radfahren nicht nass.

Nach Yamazakis Unterricht betreibe ich weiter Werbung für das gemeinsame Sushi-Essen am Samstag. Unser chinesisches Ehepaar Han (sie) und Jo (er) erklärt, Interesse zu haben. Und währenddessen passiert etwas sehr Merkwürdiges. Drehen wir die Zeit für die Einleitung zwanzig Minuten zurück:
Ich finde unter meinem Tisch im Lehrsaal einen Ordner mit Unterrichtsunterlagen und Hausaufgaben, einiges davon Englisch. Kein besonders gutes Englisch, der Autor (eher „die Autorin“, der Schrift nach zu urteilen) hat Probleme mit Präpositionen. Na egal. Ich suche nach einem Namen und finde schließlich eine Arbeitserlaubnis für Ausländer, wenn ich das richtig sehe. Eine Chinesin offenbar… ha, und den Namen darauf kann ich sogar lesen: „Das fröhliche, fröhliche Pferd“ – Ma FanFan. Aha… und sie ist zwei Jahre älter, als sie mir gesagt hat… sie ist 1980 geboren, nicht 1982. Eitelkeit kennt offenbar keine Grenzen. 🙂 Das würde zum Teil erklären, warum sie mich damals so vehement gebeten hat, ihr Geburtsjahr wieder zu vergessen. Ich lache in mich hinein. Es wäre auch nicht das erste Mal, dass ein Chinese sein Geburtsjahr für sich behält, so wie Tei, der Programmierer, der mir erzählen will, dass das Jahr der Geburt in China für amtliche Vorgänge nicht von Bedeutung sei. Ich lege den Ordner schön sichtbar auf den Tisch, damit ich ihn nicht vergesse. Bei Unterrichtsende, nach den zwanzig Minuten der Einleitung, wende ich mich dann zuerst dem Ehepaar zu und rede zwei Minuten mit den beiden, zuzüglich der Zeit, die ich brauche, um das Foto zu machen, das mir noch von den beiden fehlt. Sie kriegen ein gemeinsames.

Als ich mich dann wieder zu meinem Tisch umdrehe, ist die Mappe verschwunden. Sie liegt auch nicht darunter. Ich gehe also davon aus, dass Melanie, die neben mir saß, das Ding an sich genommen hat und gehe ins Center, um sie zu fragen, aber Melanie hat den Ordner nicht angefasst. Ich gehe in den Raum 313 zurück und durchsuche ihn gründlicher. Aber ich kann so viele Würfe auf „Durchsuchen“ machen, wie ich will, das Ding ist nicht mehr da. Ich gehe wieder ins Center und frage Valérie und Eve, die in der 313 vor mir sitzen, aber die haben nicht gesehen, was daraus geworden ist. Das ist doch zum Mäusemelken! FanFan wird nicht begeistert sein, wenn ich ihr erzähle, dass ich ihre offizielle Arbeitsberechtigung gefunden habe, nur um sie zwanzig Minuten später wieder zu verlieren.

Den Rest des Tages verbringe ich in der Bibliothek und gehe mit Melanie am Abend noch mal in den LKW essen.

[1] Etwa: das „Verschwinden auf Grund übernatürlicher Einflussnahme“

19. Mai 2024

Mittwoch, 19.05.2004 – Der Aussteiger

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

Zum Glück besteht der Monstermittwoch üblicherweise weitgehend aus Routine, an sich muss man nicht viel darüber schreiben. Es sei denn, Dinge wie heute nehmen ihren Lauf…

Vor einer Woche hatte ich im Unterricht von Kondô-sensei einen Vortrag über das praktizierte, aber nach Interpretation des Autors nicht ganz legale japanische Autobahnfinanzierungssystem gehalten. Über die erste Hälfte des Aufsatzes, um genau zu sein. In der zweiten Hälfte steht gar nicht mehr so viel drin. Das Interessanteste sind noch die Vorschläge, wie man die Situation nicht nur auf nationaler, sondern auch auf lokaler Ebene angehen und lösen könne. Es war nun Misis Aufgabe, eine Zusammenfassung des Inhalts der zweiten Hälfte vorzunehmen. Zehn Tage vor dem heutigen Datum hatte ich ihm den Text gegeben.
Er war mit der ihm eigenen Motivation an den Text herangegangen, was mir zwar aufgefallen war, ich aber nicht weiter erwähnenswert fand, weil Kommentare wie „Ich will diesen langweiligen Scheiß nicht machen…“ unter Studenten nicht unüblich sind, während die Arbeit aber in den meisten Fällen dann doch irgendwie gemacht wird. Zu meinem Vortrag war er nicht erschienen, aber auch dabei dachte ich mir nicht allzu viel. Er gehört nicht zu der eifrigen Sorte und man könnte meinen, er gehöre zu denen, die genau Buch über blaugemachte Tage führen, um das Maximum aus der erlaubten Anzahl von verpassten Stunden herauszuholen.

Heute kommt er zumindest zu spät. Aber was macht das schon? Kondô selbst kommt grundsätzlich fünf Minuten zu spät. Als Kondô dann aber da ist und das stumme Warten beginnt, frage ich SangSu, ob er Misi anrufen könne – nicht, dass er am Computer die Zeit vergessen hat. Kondô bespricht währenddessen mit Nim ein paar Einzelheiten ihres Vortrages nächste Woche. Misi erweist sich als erreichbar (alles andere wäre auch seltsam), und aus dem, was SangSu von sich gibt, muss ich entnehmen, dass Misi entweder nur mangelhaft oder gar nicht vorbereitet ist. Meine erste Vermutung ist natürlich, dass er sich mit irgendeiner mehr oder weniger fadenscheinigen Ausrede entschuldigen lässt – aber er kommt einen Augenblick später tatsächlich durch die Tür herein! Betrunken? Wahnsinnig? Blöde? Er sieht auch recht verunsichert aus. Würde mir an seiner Stelle ebenso gehen. Ich weiß nicht mehr, was er beim Reinkommen gesagt hat, aber er hat sich für seine Verspätung nicht entschuldigt. Nach der mangelnden Vorbereitung (Vorbereitung?) und dem verspäteten Erscheinen an sich ist das sein dritter Fehler. Erstens ist es eine Sache der Höflichkeit und zweitens war Kondô ein hohes Tier in einem japanischen Wirtschaftsunternehmen – der Mann ist es gewohnt, dass man ihn in höflichstem Japanisch anspricht und es ist schon beinahe beachtlich, dass er solche Basiskurse ausgerechnet für Ausländer veranstaltet.
Aber gut, Misi fährt fort auf seinem Weg in den Abgrund. Er legt seine Unterlagen auf einen Tisch in der zweiten Sitzreihe, nimmt einen Stuhl aus der ersten Reihe, dreht in um und setzt sich darauf. Ich gehe in diesem Moment davon aus, dass er die Situation retten will, indem er das, was er vorträgt, direkt aus dem Text abliest. Ich muss nicht extra erwähnen, wie hirnrissig ein solcher Plan meiner Meinung nach ist. Aber es erweckt auch den Eindruck, dass er zumindest etwas davon gelesen hat. Ansonsten wäre er doch nicht so dämlich, tatsächlich zu erscheinen. Oder doch?

Er sitzt also erst mal und holt Luft. Kondô-sensei fordert ihn aber auf, ans Pult zu gehen und von dort aus zu sprechen, wie man das üblicherweise macht. Eine reine Formalität, würde ich sagen, denn immerhin hat Kondô nichts dagegen, wenn man während des Vortrags sitzt, auch mir hat er das angeboten, aber ich stehe lieber. Misi hasst es generell, vor einer Gruppe zu sprechen, und das gilt auch für die Englischstunden, die er im „York Cultural Center“ gibt, oder gegeben hat. Möglicherweise hat er zu viel Lampenfieber. Ich dachte eigentlich, das lege sich, wenn man mal zwei oder drei Vorträge gehalten hat, und ich mache es inzwischen eigentlich ganz gerne. Aber er nicht. Und wohl deshalb entfleucht ihm beim Aufstehen ein artikulierter japanischer Laut, der das exakte Gegenstück zum deutschen „Ja, ja…“ ist, das man in seiner besten Ausführung aus dem ersten „Werner“ Film kennt. Vierter Fehler! Kondô findet es gar nicht komisch, mit einem solchen Kommentar bedacht zu werden und weist den Ungarn zurecht: „Was soll das heißen, ‚ja, ja’? Ich bin der jenige, der ‚ja, ja’ machen sollte!“ Das steckt Misi noch weg.
Er fängt an zu reden. Ich bin gespannt. Ungefähr fünf Sekunden lang. Dann weiß ich, was läuft: „In dem Aufsatz geht es darum, dass japanische Autobahnen sehr teuer sind. Ich habe mit einer Bekannten gesprochen und sie erzählte mir, dass eine Fahrt nach Tokyo 10.000 Yen koste, und der Weg zurück noch einmal 10.000…“ Und weiter kommt er nicht mehr.
„Das ist nicht in Ordnung!“ unterbricht ihn Kondô unwirsch.
„Was ist nicht in Ordnung?“ Dass Misi in dieser Situation überhaupt nicht weiß, wie er gerade seinen Untergang besiegelt hat, sagt alles darüber aus, dass er in seinen „Lesebemühungen“, wenn überhaupt, nicht einmal bis zu dem Teil gekommen ist, über den er eigentlich reden sollte. Vermutlich hat er völlig vergessen, dass er nur die zweite Hälfte hätte behandeln müssen.
„Darüber haben wir letzte Woche bereits gesprochen! Sie waren nicht da, also wissen Sie wahrscheinlich noch nicht einmal, was Sie zu tun haben!“ Uh, Kondô ist sauer, die Luft zum Schneiden dick, und nachdem sich die beiden dann noch dreimal gegenseitig ins Wort gefallen sind, erklärt Misi, dass er den Kurs verlassen wolle. Ist wohl besser so in dieser Situation. Ich bezweifle auch stark, dass er den Kurs am Dienstag weiter besuchen wird, der Trottel. Kondô verlangt für die volle Vergabe der Leistungspunkte nur regelmäßige Anwesenheit, einen unbedeutend kleinen Vortrag, wenigstens vorgetäuschtes Interesse und offenbar ein Mindestmaß an Höflichkeit. Keine Hausarbeit, keine Klausur. Man muss schon arg einen an der Waffel haben, um sich das entgehen zu lassen. Immerhin ermöglicht Kondô damit seinen Zuhörern, die Klausuren zweier weiterer Kurse in den Sand setzen zu können, ohne dadurch unter die Grenze von 12 Punkten (= sechs erfolgreiche Doppelstunden-Kurse) zu rutschen. Er erklärt den heutigen Unterricht mangels Inhalt für beendet, stärkt mein Ego, indem er meinen Vortrag von letzter Woche gleich zweimal lobt, und sagt, dass das Wesentliche bereits erläutert worden sei.

Ich bin arg durstig und gehe zusammen mit Mei in den „Maruesu“ Supermarkt, um mir eine Flasche Yoghurt Kalpis zu kaufen. Das Brot ist gerade um 30 % reduziert, also lasse ich mir das auch nicht entgehen. Ich gehe dann mit ihr in die Mensa, bis der nächste Unterricht beginnt. Sie haut mir den Stuhl übrigens nicht um die Ohren, als ich sie darauf anspreche, ob sie in Japan möglicherweise zugenommen habe. Nein, sie wiege genauso viel wie vorher.

Was also noch folgt, ist Hugosson, der alte Schwede (Ende Dreißig). Da ist heute ebenfalls ein Vortrag fällig, über die sozialen Sicherungssysteme unserer jeweiligen Heimatländer. Soweit Deutschland betroffen ist, kann das ziemlich kompliziert oder umfangreich werden. Ich sage ihm also zu Unterrichtsbeginn, dass ich zwei oder drei Minuten (wie verlangt) damit füllen könne, einfach nur zu sagen, dass es diese und jene staatlichen Versicherungen gebe und zu was sie im Prinzip gut seien, aber darüber hinaus wisse ich nicht, was ich weiter sagen könne, ohne in unwichtige Details zu verfallen, wie zum Beispiel die Bestimmungen über die Berechnung der Beiträge. Er lässt die Vorträge darauf ganz einfach sein und organisiert die Sache als entspannte Diskussionsrunde. Und das geht auch ganz wunderbar, da wir nur zu dritt sind. MunJu ist heute nicht da. Und – wer hätte das gedacht? – Misi ebenfalls nicht. Er fragt, wieso, und ich versuche mich in den schönsten Euphemismen, um die Situation von vor 90 Minuten zu umschreiben. Das beflügelt für gewöhnlich die Fantasie des Zuhörers mehr, als wenn man einfach sagt, wie es wirklich gelaufen ist, und gleichzeitig simuliert der Sprecher eine zurückhaltende Höflichkeit. J

Ich gehe in die Bibliothek (uswusf.) und komme gegen Acht nach Hause.

18. Mai 2024

Dienstag, 18.05.2004 – Wer Golf spielt, sollte versichert sein!

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

Im Unterricht von Kondô-sensei ist heute wieder der Filialleiter der „Tokio Marine & Fire“ Versicherung zu Gast und er beendet seinen Vortrag heute mit einer mir sehr eigentümlich erscheinenden Sache, die von unserem Dozenten auch noch mit persönlicher Erfahrung garniert wird: In Japan gibt es offenbar Versicherungen speziell für Golfspieler, und zwar nicht einfach nur solche, die Personen- und Sachschäden durch fliegende Golfbälle abdecken, oder etwa Sportverletzungen, wenn man sich einen Muskel zerrt, ein Gelenk überbelastet oder vielleicht mit dem Golfwagen einen Unfall hat. Nein, es gibt tatsächlich eine „Hole-in-One Versicherung“.
Zur Erklärung für die, die diesen englischen Begriff nicht kennen: Das bedeutet, dass man den Ball vom Abschlagpunkt aus direkt in das vorgesehene Loch befördert, mit Hilfe welcher (regelkonformen) Umstände auch immer. Ich habe keine Ahnung, wie ein solches Ereignis im Rest der Welt zelebriert wird, aber in Japan geht es da hoch her, wenn man das so nennen kann. Zu seiner Zeit als Generalverwalter der Mitsubishi Bank habe sein nächsthöherer Vorgesetzter, der Aufsichtsratsvorsitzende, eine solche Leistung vollbracht, erzählt Kondô, und damit etwa die folgenden Ereignisse ins Rollen gebracht, die in Japan jedem widerfahren, der ein Hole-in-One schafft (und dabei „erwischt“ wird):

Da wären zunächst einmal 5000 Yen (derzeit knapp 40 E) für jeden Caddy des Spielers, also für die Helfer, die die Tasche mit den Schlägern tragen und das Golfmobil steuern. Leute mit Geld haben schon mal mehr als einen bei sich. Aber dieser Betrag fällt im Geldbeutel einer solchen Person nicht weiter auf, wenn er fehlt.
Als nächstes wäre da ein Baum am Rand des Golfplatzes zu pflanzen, mit einer entsprechenden Gedenkplakette, auf der geschrieben steht, wer der Spender ist. Das kann etwa 100.000 Yen (ca. 750 E) kosten. Dann versendet man kleine Präsente an alle, mit denen man jemals Golf gespielt hat. Der Herr Vorsitzende machte das bereits seit 40 Jahren und hatte völlig den Überblick verloren, also schenkte er jedem, der im Verdacht stand, schon einmal mit ihm das Eisen geschwungen zu haben, eine 500 Yen Telefonkarte. Auch Kondô erhielt eine, ohne jemals mit dem Vorsitzenden Golf gespielt zu haben, und er lässt es sich nicht nehmen, eine spöttische Bemerkung über das Gedächtnis „des Alten“ zu machen. Es kann sich also, je nach Alter oder Spielerfahrung des „glücklichen“ Spielers, um einige Dutzend Leute handeln. Und man verschickt ja nicht einfach schmucklos eine Telefonkarte, da muss noch eine Karte dazu, und nicht unbedingt eine aus einem Zehnerpack des 100 Yen Ladens. Man könne also von knapp 1000 Yen für eine solche Postsendung rechnen, alles inklusive, also die Telefonkarte, die Grußkarte, Versandkosten.
Zuletzt lade man seine engsten Freunde, und Kondô geht von vier oder fünf Personen aus, zu einem „angemessenen“ Essen ein, „natürlich nicht irgendwo“. Pro Nase könnten da gerne 200.000 bis 300.000 Yen (1500 bis 2250 E) anfallen. Es sei also durchaus realistisch, mit einem Ausgabenvolumen von zwei Millionen Yen (15.000 E) zu rechnen – und genau gegen solche Fälle könne man sich versichern.

Kudô, der Mann von der Versicherung, führt uns noch ein Video vor, das er in den Morgennachrichten vor einigen Tagen aufgenommen hat. Es zeigt ihn (und untermalende Szenen aus dem Park von Hirosaki), wie er in einem kurzen Beitrag seine „Kirschblüten-Wetter-Versicherung“ speziell für Taxiunternehmen vorstellt. Diese können sich gegen Einkommenseinbußen versichern, die zur Zeit der Kirschblüte entstehen können, wenn die Wagenflotte an „strategischen Punkten“ der Stadt (wie z.B. Ein- und Ausgänge des Parks, Bahnhof) steht, aber wegen zu geringer Temperaturen die Blüten noch nicht aufgesprungen sind und deshalb die Kundschaft ausbleibt. Er sagt, dieses Jahr sei etwas kühl gewesen und er habe in dieser Sparte deshalb 270.000 Yen Verlust gemacht.

Ich gehe ins Center, aber da gibt es nichts „zu holen“, also wechsele ich in die Bibliothek. Ich will heute austesten, wie lange ich brauche, wenn ich nur Dinge am Computer mache, die ich mir fest auf meinen Tagesplan geschrieben habe, also Post, Newsletter, Spiel gegen Frank und Forum. Das Ergebnis sind 3,5 Stunden. Dabei schreibe ich einen Kurozamurai-Bericht, drei kurze Einträge ins Forum, spiele eine Runde gegen Frank (und verfasse den dazugehörigen Bericht) und bearbeite meine Post. 2,5 der 3,5 Stunden sind für Newsletter und Post.

Um kurz nach Acht will ich dann wieder gehen, aber wie es der Zufall will, entdecke ich JaYong (die christliche Koreanerin) an einem der Rechner. Ich frage, was sie so mache, dass man sie so lange nicht im Center gesehen habe. „Japanisch lernen“ sagt sie. „Was sonst?“, denke ich mir ergänzend dazu. Es bestehe für sie kein Bedarf, ins Center zu gehen. Und was ist mit ihrer widerspenstigen Mailadresse bei „Dreamwiz“? Das könne sie sich nicht erklären, sagt sie. Ich mache also gleich vor Ort den Versuch, ihr Dreamwiz Konto von jedem einzelnen meiner Mailaccounts anzuschreiben – aber alle Mails kommen wieder zurück, mit der Begründung, vom Zielserver zurückgewiesen worden zu sein. Mit anderen Worten: Meine Mails werden als Spam betrachtet und gelöscht, ohne dass der geplante Empfänger ein Wort mitzureden hat. Wie auch den anderen Leuten in meinem Umfeld sage ich ihr Bescheid, dass wir am Samstag Sushi essen gehen wollten und dass sie gerne mitkommen dürfe. Sie äußert sich positiv darüber, aber wie ich sie einschätze, wird sie nicht kommen. Wie ich mein Glück kenne, werde ich mit Melanie nachher eh wieder der einzige sein, der sich vor der Tür des Sushi Shôgun einfindet.

17. Mai 2024

Montag, 17.05.2004 – Ein Besatzer???

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

Yamazakis Grammatiklektionen sind heute wahre Böhmische Dörfer für mich, ich werde aus seinen Erklärungen nicht schlau. Aber da ich gleich im Anschluss Yui treffe, macht das nichts. Und Yui bringt auch gleich noch jemanden mit: Hiromi. Und schon kenne ich eine Frau mehr. Das heißt, eigentlich habe ich sie schon einmal getroffen, damals, im Oktober, als Yui vorbeikam, um mir die Waschmaschine zu erklären und Hiromi dabei im Schlepptau hatte, weil Hiromi sich gerade entschlossen hatte, Deutsch zu lernen. Mir kam ihr Gesicht auch entfernt bekannt vor, aber ich verlasse mich nicht auf meine äußerst schwachen Fähigkeiten, mir Gesichter zu merken. Unvorsichtigerweise sage ich ihr auch, dass mir ihr rundes Gesicht wegen der Form vage bekannt sei (obwohl die Aussage eigentlich übertrieben ist). Natürlich schmollt sie deshalb ein bisschen und sagt „Er erinnert sich an mich, weil ich fett bin…“ Nein, Du bist nicht fett. Du hast „Fleisch auf den Rippen“, wie man bei uns im „Gau“ sagt. Das ist was Anderes als „fett“.

Yui wird zwischendurch angerufen und geht nach draußen. Ich unterhalte mich derweil mit der verbliebenen Hiromi, die gerne in ein recht schnelles Japanisch verfällt, dass mir davon schwindelig wird. Sie finde es äußerst absonderlich, dass ein Mann in meinem Alter das aktuelle „SailorMoon“ Fernsehdrama anschaut. Natürlich ist ihr die Motivation von Männern, diese Serie zu sehen, völlig klar. Ich will das auch gar nicht abstreiten. Ich frage mich, ob sie vielleicht Skrupel hätte, eine TV-Serie anzusehen, in der fünf hübsche Jungs die Hauptrolle spielen?

Yui kommt nach ca. fünf Minuten wieder zurück, drückt mir das Telefon in die Hand und sagt „Red mit ihm.“ Moment mal – mit wem? Ich beantworte mir die Frage selbst: Es muss sich um ihren Freund handeln, also den jungen Mann, von dem ich bisher nur erfahren habe, dass er Mitglied der Militärpolizei in Misawa sei. Ich atme kurz durch, versuche mich zu konzentrieren (weil Telefonieren auf Japanisch aufgrund nicht einsetzbarer Körpersprache schwieriger ist, als ein Dialog Auge in Auge) und begrüße meinen Gesprächspartner. Yui winkt heftig mit ihrer rechten Hand, schüttelt den Kopf und ruft mir zu: „Nein, er spricht kein Japanisch!“ Was bitte? Ich starte mein System neu; eine Sekunde später bewegt sich das Rädchen im Hirn endlich und rastet mit einem leisen „klick“ ein. Jetzt wird mir der Fall sonnenklar. Yui ist mit einem Besatzungssoldaten zusammen!
Und der Mann ist tatsächlich Amerikaner, aus Florida, und er wird noch 18 Monate im Land bleiben, dann läuft sein Vertrag aus. Er sei bemüht, Japanisch zu lernen. Er macht über das Telefon einen ganz sympathischen Eindruck, und ich hege nach wenigen Sätzen bereits den Verdacht, dass dieser Typ hier viel zu nett ist für einen Job bei der Militärpolizei. „Ach, wenn irgendwo was läuft, muss man natürlich eingreifen, und es gibt leider immer wieder welche, die den schlechten Ruf der Truppe ausmachen“, sagt er dazu.
Aber Daniel, so sein Name, passt auch irgendwo in das gängige Klischee einer Armee aus Freiwilligen, von der man ja gerne sagt, sie bestehe zum Großteil aus Leuten, die wegen irgendwelcher Defizite keine Chancen auf dem freien Arbeitsmarkt hätten, aber immerhin körperlich etwas zu leisten im Stande seien. Daniel redet laaaangsaaaam, und das nicht auf die Art und Weise, wie Yui langsam redet, damit ich ihrem Redefluss folgen kann. Er spricht tatsächlich im Tonfall einer Person, deren Mühlen langsam mahlen. Er sagt, er werde Yui beim Auszug helfen, wenn sie zum Auslandsstudium nach Tennessee abreise, bei der Gelegenheit könne man ja zusammen was trinken gehen. Ja, wieso nicht.
Wie gesagt: Vielleicht nicht helle, aber sympathisch. Jetzt bin ich natürlich gespannt, ob er vom Erscheinungsbild her in das MP-Klischee passt. Was dann wohl ein Schrank von 1,90 Höhe und 120 Kilo Kampfgewicht wäre.

Yui und Hiromi gehen schließlich, weil sie Unterricht haben. Ich mache noch ein Buch versandfertig und will eigentlich in die Bibliothek verschwinden, aber Ning, der Chinese, der aus welchen Gründen auch immer Deutsch lernen möchte, plagt sich derzeit mit dem deutschen Plural (und natürlich mit den maskulinen, femininen und neutralen Artikeln der deutschen Sprache) herum, für den ich ihm nur empfehlen kann, die Geschlechtlichkeit der Nomina auswendig zu lernen, da mir nicht viele Regeln bekannt sind, an denen man sich orientieren kann. Ich helfe ihm also bei seinen Übungen, und als ich dann endlich in die Bibliothek komme, ist es zu spät, um noch mit einem Bericht anzufangen. Die Post hält mich auf.

Neben meinem Stuhl finde ich einen Ausdruck vom Rechenzentrum, darauf steht ein Name und LogIn Informationen, also Nutzerdaten für das Computernetzwerk der Universität. Sasaki Chio, soso… ich logge mich auf ihrem Nutzerkonto ein und schreibe eine Textmitteilung in ihren Hauptordner, in dem ich sie dazu auffordere, ihr Passwort zu ändern und solche Papiere nach Möglichkeit nicht zu verlieren. Danach vernichte ich den Zettel.
Oh… jetzt bleibt natürlich die Frage, ob sie sich ohne diesen Zettel überhaupt einloggen kann, um meine Nachricht zu finden!? Also gut, wenn ich noch einmal einen solchen Zettel finde, schreibe ich eine entsprechende Notiz und gebe den Zettel beim Fundbüro ab.

Um 21:00 komme ich nach Hause und sehe mir noch „Mito Kômon“, „Atashin’chi“ und „Nadia“ an, bevor ich um halb Zwölf schlafen gehe.

16. Mai 2024

Sonntag, 16.05.2004 – Auf sein Visum sollte man achten!

Filed under: Japan,My Life,Zeitgeschehen — 42317 @ 7:00

Ich sehe mir am Morgen „Zorori“ und „Pretty Cure“ an und verschwinde dann in die Bibliothek. Spannend, gelle?
Kurz vor Schluss schaffe ich es noch, mich über ein neues Mitglied im Animetric Forum zu beschweren, dass sich doch tatsächlich „Der Führer“ nennt… und es ist auch noch ein Deutscher (sofern man seinen Worten glauben kann, denn er könnte auch ein so genanntes Chamäleon sein). Hat der nicht alle Tassen im Schrank? Passenderweise besteht sein erster Eintrag aus einem dicken Lob für das Strategiespiel „Blitzkrieg“, „weil man Hitler und Stalin spielen kann“ (= Deutschland und die Sowjetunion). Mich stört die Begründung, nicht das Spiel – sonst dürfte ich nach eigenen Maßstäben Combat Mission nicht spielen.

Aber Ricci hat eine sehr interessante Mail geschrieben, für die ich ihr auch sehr dankbar bin. Wir sollen auf jeden Fall darauf achten, dass wir unsere Visumsfrist auch einhalten, wie sie auf dem Visum geschrieben steht, sagt sie, und um die Aufforderung zu unterstreichen, schickt sie uns auch einen Zeitungsartikel zum Thema (der auch später wortwörtlich in der „Japan Times“ auftauchen wird):
Zwei US-Amerikaner, beide Studenten auf dem Weg zum Doktor und seit fünf Jahren im Land, hatten wohl offenbar ihr Visum um zwei Wochen bzw. einen Tag überschritten, worauf man sie nicht etwa, wie sie es gerade tun wollten, einfach ins Flugzeug steigen und gehen ließ, nein, die beiden verschwanden für ein paar Tage in Untersuchungshaft! Das Ende vom Lied waren umgerechnet 3000 Dollar Geldstrafe und fünf Jahre Einreiseverbot. Ganz zu schweigen davon, dass sie am Flughafen wie Drogenschmuggler durchsucht und in Handschellen abgeführt worden waren. Man hatte ihnen auch nicht erlaubt, ihre Angehörigen zu verständigen oder überhaupt zu telefonieren, wie das andernorts üblich ist, wo sich die Staatsgebilde ebenfalls „demokratisch“ oder „rechtsstaatlich“ nennen. Von anderen „Visumsverbrechern“ hieß es, dass sie um eine Strafe herumgekommen seien, indem sie einen Entschuldigungsbrief geschrieben hätten… na denn. Aber es soll in Japan Stellen geben, die auf eine Erhöhung der Strafe auf 30.000 Dollar und bis zu fünf Jahren Gefängnis hinarbeiten.
Ich sollte nachfragen, zu welchem Zeitpunkt die letzte Zahlung meines Stipendiums fällig ist. Für den ersten Monat habe ich ja nichts bekommen, also nehme ich doch an, dass ich Ende September 2004 die letzte Zahlung erhalte (sofern zwölf Raten überhaupt geplant sind) – was natürlich nicht geht, wenn ich nicht mehr da bin, und immerhin reden wir hier über etwa 600 E, auf die ich unmöglich verzichten kann. Ich werde also möglicherweise noch ein Touristenvisum beantragen müssen, falls dies für einen Zahlungserhalt notwendig ist und ich nicht länger bleibe.

Und was steht da noch in dem Bericht? Der Gouverneur von Tokyo, offenbar ein bekannter Vertreter der „Rechts-Außen“ Linie, habe geäußert, dass man ein Auge auf Ausländer haben müsse, weil diese im Falle von Erdbeben die Gelegenheit nutzen könnten, Unruhen hervorzurufen! Da geht mir doch der Hut hoch! Man kommt sich ja vor wie im September 1923 – ob man beim nächsten großen Beben in Tokyo ebenfalls wieder Tausende von Koreanern und Chinesen (und Leute, die keinen Tokyo Dialekt sprechen) lynchen wird, weil sie angeblich geplündert und Brunnen vergiftet haben? Ich nehme viel eher an, dass sich damals wohl ein paar Leute eine Darminfektion geholt haben, weil sie das Brunnenwasser ungekocht getrunken haben…
Ja, vor einiger Zeit haben ein paar Chinesen eine vierköpfige Familie in Fukuoka getötet, und Marc erzählt mir, dass es ein vergleichbares Verbrechen auch einmal bei Hirosaki gegeben habe; außerdem seien ungern gesehene Schwarzarbeiter aus den ärmeren ostasiatischen Staaten ein Phänomen, das die Bevölkerung verunsichere.

Eigentlich wollte ich noch ins Denkodô fahren, aber der Nieselregen hindert mich daran… ich weiß ja nicht, ob das Wetter beim Wasser nicht noch einen Gang zulegt. Ich verzichte also lieber… außerdem muss ich noch eine Lektion Kanji vorbereiten.

15. Mai 2024

Samstag, 15.05.2004 – Erdbebenalarm! (Annahme Üb)

Filed under: Japan,Manga/Anime,My Life,Spiele,Uni — 42317 @ 7:00

Ich stehe um 07:15 auf, weil ich vermeiden möchte, wieder bis zum kommenden Freitagabend warten zu müssen, um die „SailorMoon“ Episode vom Samstag sehen zu können. Es kommt jeden Abend was anderes, und weil ich inzwischen früher schlafen gehe, habe ich nicht mehr so viel Zeit, das TV-Programm zu verfolgen. „Ogami“ läuft derzeit fünfmal die Woche… mittags wird die Episode aufgezeichnet und abends angesehen… das ist zu viel. Die Serie ist cool, aber sie kostet so zuviel Zeit. Wird gestrichen. Und ich will „SailorMoon“ in Zukunft aus Zeitgründen wieder „live“ sehen.

Sieht aus, aus würde sich die Episode heute in erster Linie mit Makoto/Jupiter beschäftigen. Makoto erklärt sich bereit, für den am Arm verletzten Motoki zu kochen und landet mit ihm im Kino. Nachdem es ihm in der vergangenen Episode nicht gelungen ist, sie in „Finding Kame“ („Findet die Schildkröte!“, um dem deutschen Titel der Anspielung nahe zu kommen) zu schleppen, schafft er es diesmal, sie zu „Kame Fighter“ zu überreden (meiner Meinung nach eine Anspielung auf „Street Fighter“ oder vielleicht „Kamen Rider“, eine der unzähligen schlechten, aber auch erfolgreichsten und langlebigsten japanischen Superheldenserien). Und dann erklärt sie dem todunglücklichen Motoki, dass aus ihnen nichts werden könne. Die Gründe haben sich seit der Zeit der Animeserie offenbar nicht geändert, kurz: Sie ist ein Tomboy (sie findet sich ganz und gar nicht weiblich) und hat Komplexe deswegen. Motoki zieht ab („So gründlich hat mir noch niemand eine Abfuhr erteilt.“), worauf Makoto von einer Handvoll Yôma angegriffen wird. Es entspinnt sich die übliche Vorführung in Gelenkbeweglichkeit und sie muss auch was einstecken. Aber der Ausgang bleibt natürlich wenig spannend. Und nachdem der Feind (mit Unterstützung der übrigen Senshi) dann in die ewigen Jagdgründe eingegangen ist, sieht sie passend zur heutigen Gelegenheit auch ein, dass man alleine ja doch nur mehr Probleme hat, klarzukommen (und zeigt dabei mit dem metaphorischen Ellenbogen auf die eher zufällig anwesende SailorVenus, um den unfeinen Zeigefinger zu vermeiden). Mittlerweile hilft Zoisyte dem Gedächtnis von Nephlyte auf die Sprünge, indem er Mamoru gleich vor Ort erscheinen lässt – und wenige Augenblicke später nennt auch Nephlyte ihn „Master Endymion“.

„SailorMoon“ Merchandising wird übrigens immer toller! Es gibt inzwischen nicht nur die Klamotten zu kaufen (für Vierjährige), sondern auch noch die Haartracht – und die sieht aus wie der Skalp eines gelben Langohrdackels, falls es einen solchen gibt.

Ich bekomme zufällig auch wieder eine „Pokemon“ Werbung zu Gesicht, und die macht mir das folgende lebhaft deutlich: „Pokemon“ lebt! Und es erfreut sich offenbar immer noch ungebrochener Beliebtheit, während „Digimon“ so unsichtbar ist, als habe es nie existiert. Kaum Merchandising, keine Werbung, nichts. Mir scheint, dass die Serie in den USA und in Deutschland viel erfolgreicher ist, als in ihrem Ursprungsland. Offenbar haben die japanischen Animefans „Digimon“ hier nicht nur als Plagiat erkannt, sondern auch gleich als solches von der Programmliste gebürstet.

Pokemon Landkarte 2004

Überdies ist zu hören, dass Deutschland hier inzwischen als „Zweites Animeparadies“ bekannt geworden ist. Das deutsche Fernsehprogramm scheint einen Ruf bis nach Japan zu genießen, und die deutsche Fangemeinde ruft ständig nach mehr. Natürlich kommen Lobeshymnen dieser speziellen Art auf das deutsche Vaterland nur von eingefleischten (japanischen) Fans der animierten Filmkunst; die ganze übrige (japanische) Bevölkerung ist bass erstaunt, wenn man ihnen erzählt, dass man „SailorMoon“ und „DragonBall“ in Deutschland kenne, und diese Serien sogar übersetzt worden seien.

Ich fahre in die Stadt, um mich nach einem Memorystick umzusehen und darf vor dem Kaufhaus eine halbe Stunde warten, weil der Laden erst gegen zehn Uhr aufmacht. Und dafür werde ich auch noch herb enttäuscht. Das Daiei hat überhaupt keine Elektronikabteilung mehr, seit der Pächter „Laox“ zu Gunsten des 100 Yen Shops „Daisô“ zugemacht hat, und im Ito Yôkadô gibt es kein Computerzubehör. Dass es noch das „Denkodô“ gibt, das auf solche Dinge spezialisiert ist, habe ich in dem entscheidenden Moment natürlich völlig vergessen und Melanie erinnert mich daran, als ich wieder zuhause bin. Stattdessen fahre ich erst einmal ziellos durch die Innenstadt, in der Hoffnung, vielleicht einen kleinen Computerladen zu finden, wie sie in Deutschland relativ häufig sind, aber auch da ist nichts zu finden. Reine Zeitverschwendung, weiter zu suchen. Ich gehe also ins „Game and Game“ in der Nähe vom Bahnhof. Ich wollte schon seit letztem Herbst wissen, was man da drinnen so alles spielen kann.

Da wäre zunächst der übliche Taikô-Automat. Vor dem Automaten sind zwei japanische Trommeln angebracht (in japanerfreundlicher Höhe, d.h. ein bisschen niedrig für meinen Geschmack), die man mit den vorhandenen Holzklöppeln bearbeiten muss. Auf dem Bildschirm liest man ab, in welchem Takt man auf die Trommeln zu schlagen hat (indem man für jeden Schlag eine optische Aufforderung erhält). Das Angebot an Melodievorgaben ist großzügig.

Taikô

Weiter hinten befindet sich ein „Time Crisis 3“ Automat, der hier nur 100 Yen pro Spiel kostet, und nicht 200, wie im Ito Yôkadô. Wahrscheinlich ist er deshalb dort so schnell wieder verschwunden. Und hier hat man zwei Monitore, was bedeutet, dass der Handlungsablauf anders ist – die beiden Spieler trennen sich auch schon mal und nehmen den Gegner in die Zange. Weiter links befindet sich auch ein Shooter zur Serie „Lupin III.“, mit einer Walther P38 (was sonst?) Spielpistole aus Plastik.

Timw Crisis 3 Co-op

Daneben wiederum stehen zwei Boxautomaten, deren Schlagflächen schon ziemlich mitgenommen aussehen. Ui, die Dinger sind von 1994 und zeigen irgendein Superhelden-Setting, anders als im Ito Yôkadô, wo das Setting der Anime „Ashita no Joe“ ist. Und da oben ist eine Kamera angebracht… wofür? Das kann man bald auf dem Bildschirm sehen: Es erscheint eine grobe Kopfform auf dem Bildschirm und da soll man seinen Schädel ranhalten, bis die beiden Objekte deckungsgleich sind. Dann macht die Kamera ein Bild, verzerrt und verfärbt das Gesicht und setzt es auf die Hälse der Gegner! Wenn man also jemanden nicht ausstehen kann, bringt man ein entsprechend großes Foto mit, hält es vor die Kamera und drischt dann lustig drauf los.

Den Rest der Geräte im unteren Stockwerk kenne ich bereits – bis auf den „legendären“ Angel-Automaten von SEGA, den ich bisher nur aus einschlägigen Zeitschriften kannte, in denen Leute über Japan-Erlebnisse schreiben. Es gibt ihn also immer noch… und man angelt damit auch tatsächlich. Dort, was sonstwo der Joystick, bzw. das Joypad, angebracht ist, befindet sich hier der Griff einer Angel, und man sollte sich vorher die Erklärungen auf dem Bildschirm ansehen, um zu verstehen, wie Hochseeangeln à la SEGA überhaupt funktioniert. Aus dem Griffstück ragt eine Spule heraus und der dazu gehörende Faden verschwindet in einer Öffnung unterhalb des Monitors. Man muss allerdings nicht warten, bis nach drei Stunden endlich mal ein Fisch angebissen hat, der Fisch kommt sofort. Das Spiel besteht aus der richtigen Handhabung der Angelegenheit. Am unteren Bildschirmrand befindet sich ein Balken, der länger und rot, bzw. kürzer und blau wird, und stellt die Kraft dar, die gerade auf der Leine lastet – und die Leine zieht tatsächlich recht kräftig, man langweilt sich also nicht. Wenn die Leiste rot wird, muss man Schnur geben, sonst reißt die (virtuelle)Leine, wenn die Leiste blau wird, muss man anziehen, sonst verliert der Fisch den Haken.

unscharfer Angelsimulator

Im Obergeschoss findet man weitere Automaten. Da sind natürlich die obligatorischen Kampfspiele, die meisten davon 2D, aber mit sehr guter grafischer Qualität. Auch zwei Pferderennen sind vorhanden, aber diese hier ohne die Modellrennbahn; man verfolgt das Rennen nur auf großen Bildschirmen.

Virtuelle Rennbahn

Es gibt Einarmige Banditen und natürlich auch Pachinko, dazu die üblichen Münzspiele, wo man Münzen vor einen Schieber wirft und hofft, dass mehr herausgeschoben werden, als man hineinwirft. Aber hier befinden sich vor allem interessante Fahrsimulatoren. Der Anime „Initial D“ hat natürlich einen Simulator hervorgebracht… in der Ecke steht ein „F-Zero“ (Super NES) Nachfolger, der allerdings so weit vom Original entfernt ist, dass mich das Spiel mehr an „WipeOut“ erinnert. Aber die Maschine ist cool, mit dem schaukelndem Cockpit, den Pedalen und der futuristischen Lenkvorrichtung.
Daneben aber steht das, was mich am meisten interessiert. Das Spiel heißt „Tokyo Wars“ und bietet die Möglichkeit, mit vier Leuten gleichzeitig unterwegs zu sein – in modernen Kampfpanzern, in den Straßen von Tokyo. Grüne Panzer gegen weiße Panzer. Sieht interessant aus… vielleicht sollte ich mir mal zwei oder drei Leute suchen, um eine Runde zu fahren. Allerdings kann ich auch nicht erkennen, ob man nur miteinander oder auch gegeneinander spielen kann. Nur miteinander wäre ja schlicht langweilig und kaum mehr als eine Versuchsfahrt wert.

Tokyo Wars, 6 Jahre vor World of Tanks

Ich kehre zur Universität zurück, es ist inzwischen elf Uhr. Ich schreibe zwei Berichte und gehe dann um kurz vor Zwei zu dem verabredeten Treffpunkt der Teilnehmer des Erdbebenexperiments, für das Alex in den letzten Tagen kräftig die Werbetrommel gerührt hat. Und damit fängt der eigentliche Tagesbericht erst an!

Man hat einen speziellen LKW kommen lassen, in dem man, jeweils in Paaren, ein Gefühl für Erdbeben bis Stärke 7 bekommen soll. Der Zufall hat mir die Chinesin ReiGen als „Partnerin“ zugeteilt. Sie sieht meines Erachtens unglaublich gut aus, aber allein deshalb ein Bild von ihr zu machen und es in das Poster einzubinden, wäre falsch. Wenn ich mehr kommunikativen Kontakt mit ihr bekomme, werde ich sie auch in meine Porträtsammlung aufnehmen, alles andere wäre sexistisch. Aber zurück zu unserem Simulator: Der Boden der Ladefläche kann mittels einer Hydraulik ganz heftig bewegt werden. Allerdings soll man während der Vorführung auf dem Boden sitzen, was dem Ganzen ja wieder einen Teil des Reizes nimmt – schließlich sitze ich die meiste Zeit auf einem Stuhl. Interessant ist das Gerüttel schon, aber eigentlich ist das Ding hier nur ein Spielzeug. Es ist zu klein für effektive Übungen und taugt vielleicht als Attraktion für ahnungslose Ausländer und Grundschüler. Man hat es also für die Ausländer hergefahren, und das kostet die Fakultät auch umgerechnet 1200 E. An dem Experiment nehmen nur Ausländer teil, also Nicht-Japaner, weil es bei dem Gesamtexperiment darum geht, wie verständlich die japanischen Radiodurchsagen für Ausländer sind. Da fängt der Unsinn auch schon an: Man will ein leicht verständliches Japanisch finden, anstatt für Ausländer ganz einfach Durchsagen auf Englisch zu machen.

Nach der „Erdbebenerfahrung“ wird je eine Sechsergruppe in einen Warteraum geführt. Als ich den Simulator verlasse, will mir einer der Betreuer meinen Rucksack reichen, hebt sich daran aber fast einen Bruch. Ich hebe ihn lieber selbst auf und bedanke mich für seine Mühen. Im Warteraum bekommt man ein Getränk und Kekse und sieht eine kurze Vorführung mit Bildern aus Kobe. Danach wird man einzeln zum Experiment geführt, in einen präparierten Raum also, ich bin der vorletzte in meiner Gruppe. Ich erhalte eine „Begleiterin“, die mir einen Schrittzahlmesser an den Gürtel hängt. Man soll erst den Radiodurchsagen zuhören und tun, was man vom Sprecher gesagt bekommt. Im Raum befinden sich der Versuchsleiter und eine Protokollantin, die natürlich  eigentlich gar nicht da sind (Annahme Üb halt).

Die Situation (laut Faltblatt, das man vorher bekommt): Morgens um 07:00, gerade aufgestanden, wird man von einem Erdbeben überrascht. Gegenüber von dem Tisch, an dem ich stehe, fällt effektvoll und dramatisch ein Regal aus Pappe um und die leeren Dosen scheppern auf den Boden. Ich bin zuerst gar nicht in der Lage, das mit dem Experiment in Verbindung zu bringen, weil natürlich nichts wackelt und auch keiner ruft: „ERDBEBEN! JETZT!“. Stattdessen ertönt eine ruhige Stimme aus dem Radio, die mich auffordert, mich unter den Tisch zu legen, um mich vor Trümmern von der Zimmerdecke zu schützen. Ich wackele selbst ein bisschen herum wie bei einem Erdbeben und fühle mich augenblicklich wie auf einem alten „Star Trek“ Filmset. Dann soll ich Haus- oder Straßenschuhe anziehen. Und dann heißt es, das Erdbeben sei vorbei und ich solle unter dem Tisch hervorkommen.
Was ist das für eine Reihenfolge? Ich glaube, ich ziehe lieber dann meine Schuhe an, wenn das Erdbeben vorbei ist, und nicht, wenn alles noch wackelt, bzw. greife die Schuhe auf dem Weg zum Tisch. Dann soll ich meinen Helm anziehen und nachsehen, ob das Gas abgeschaltet ist. Aha… an der Garderobe hängt ein Helm… so ein Zufall! In meinem Apartment habe ich keinen Helm. Wer hat überhaupt einen Helm zuhause? (Ha! Ich habe einen zuhause – in Gersheim, auf dem Regal im Keller!) Und ich soll sehen, ob das Gas ausgeschaltet ist? Kein Problem, ich kümmere mich darum, muss mich aber fragen, ob bei einem echten Erdbeben nicht sowieso gleich das ganze Gestänge aus der Wand raus bricht und das Gas im Raum verteilt.

„Überprüfen Sie, ob die Fenster offen sind!“ fordert mich das Radio auf. Exakt so formuliert – auf Japanisch natürlich. Ich denke: „Was heißt das jetzt?“ Was hat man mir in der Grundschule beigebracht? Bei Erdbeben kommt es oft zu Bränden. Was tut man da? Möglichst keine Fenster und Türen aufmachen, damit das Feuer keine Luft erhält. Ich interpretiere die Aufforderung also falsch und vergewissere mich, dass die Fenster geschlossen sind, indem ich theatralisch dranklopfe. Später erzählt man mir dann, dass die Fenster geöffnet werden sollen, damit die Feuerwehr schnell Löschwasser reinspritzen kann. So einen Unsinn habe ich ja lange nicht gehört! Wenn’s in dem betreffenden Raum brennt, platzen die Scheiben mit hoher Wahrscheinlichkeit (ganz zu schweigen von den Auswirkungen der Erschütterungen selbst), und im Zweifelsfall wird die Feuerwehr die Fenster selbst zerstören können, und sei es mit Trümmern, von denen es dann bestimmt genug gibt.

Dann soll man den Rucksack (ein bereitgestellter, ebenfalls an der Garderobe gelagert, nicht mein eigener) und das kleine Radio (liegt auf dem Tisch) nehmen und sich gemäß (nie zuvor gesehenem) Fluchtplan zum Rettungsplatz begeben. Der Rucksack ist mir zu klein, also schnalle ich ihn nicht auf den Rücken, sondern behalte ihn in der Hand (ist natürlich ein Fehler, weil man über Trümmer stürzen könnte) und stopfe das Radio hinein. Klarer Gedanke: Zuerst mal aus dem Gebäude flüchten, bevor es über mir zusammenstürzt, und dann höre ich mir im (kleinen) Radio an, was ich beachten muss – wo gibt es Kleidung, Nahrung und Notunterkunft, oder vielleicht auch einen Arzt? Dazu heißt es später, dass man bereits auf dem Weg nach draußen das Radio angeschaltet haben sollte. Der Mann im (großen) Radio sagt „Stellen Sie die Apfelwelle ein!“ Das ist ein lokaler Regionalsender, der offenbar eine Immunität gegen Erdbebenschäden besitzt, weil man hier ganz natürlich davon ausgeht, dass er nicht ausgefallen ist. Aber auf welcher Frequenz? Das wird entweder nicht gesagt oder ich habe es beim Wandern durch den Raum nicht mitbekommen. Ich nehme mal letzteres an, denn so katastrophal kann der Katastrophenschutz hier dann doch nicht sein.

Der Fluchtplan besteht erst mal aus fünf oder sechs Zeilen japanischen Textes. Ja, bin ich denn blöd? Ich will schnell aus dem Haus raus, und nicht erst die Höhen und Tiefen japanischer Schriftzeichen und Grammatik analysieren! Ich versuche, das Wichtigste zu erfassen. Da ist ein Bild… aha, das ist schon mal gut. Es stellt ein Viereck dar, unten ist eine bunte Fläche, da steht „Sie sind hier!“ Oben rechts befindet sich ein weiteres Feld, da steht „Fluchtpunkt“ und darüber steht geschrieben, halb im Text versteckt, aber dennoch groß, „3. Stock“. Am linken Rand des Vierecks ist dann noch ein weiteres Feld, daran steht „Fahrstuhl“. Ich nehme also an, dass das Viereck das Gebäude ist. Aber… von meiner Position aus betrachtet, ist der Fahrstuhl rechts den Gang runter und nicht links. Ist das ein Test, in dem man sich die Karte verkehrt herum vorstellen muss? Oder hat irgendein Idiot den Plan falsch gezeichnet? Ich stehe dreißig Sekunden lang wie der Ochse am Berg in der Gegend rum und versuche, aus dem Plan schlau zu werden. Ein paar Pfeile auf dem Papier, um den Weg zu markieren, wären sehr hilfreich gewesen!

Ich entscheide mich dann dafür, den Plan als falschrum zu betrachten, gehe aus der Tür und wende mich nach links. Eine Studentin (die tatsächlich meinen eigenen Rucksack mit dem schweren Zeug drin geschultert hat) folgt mir, um meinen Fluchtweg mit einer Kamera festzuhalten. Ich folge also 30 m weit dem Gang nach links und komme ins Treppenhaus. Ich überlege nur eine halbe Sekunde. Ich erinnere mich daran, dass auf dem Plan die Rede vom dritten Stock war… aber das kann gar nicht sein! Welcher Trottel flieht bei Erdbeben oder Feuer denn die Treppe hoch? Ich folge dem natürlichsten Gedanken und gehe die Treppe runter. Ich passiere dabei einen Stuhl mit (japanischer) Aufschrift, beachte ihn aber nicht weiter – im Notfall würde ich es auch nicht tun, ich will schließlich raus hier. Ich folge im Sturmschritt den „Notausgang“ Schildern, wie man das halt so macht; die Assistentin (vielleicht 1,50 m) keucht hinterher – aber die Notausgänge sind alle zu. Die sind an Wochenenden grundsätzlich abgeschlossen. Was ist denn das für ein Blödsinn? Ich mache also ein Fenster auf und mache Anstalten, hinauszuklettern, aber dann verkündet die Kamerafrau „Übung Ende“. Und führt mich tatsächlich in den dritten Stock! Im dritten Stock liegt tatsächlich der designierte Fluchtpunkt! Haben die von Psychologie denn gar keine Ahnung? Haben die von überhaupt irgendwas Ahnung?
Auf dem genannten Stuhl steht übrigens geschrieben, dass der Keller nicht zum zur Verfügung stehenden Gelände gehört – aber ich kann, in Eile, keinen japanischen Text so schnell lesen, wie ich gehe!

Zur Ermittlung der zurückgelegten Entfernung soll ich zehn Schritte weit gehen. Ich frage extra nach: „Soll ich so gehen wie eben?“ „Aber natürlich!“ Also stürme ich los und komme etwa neun Meter weit, was deutlich weiter ist, als mit der Bodenmarkierung vorgesehen. Der Mann mit der Messlatte staunt. Er fragt meine Begleiterin, ob das so stimme. Sie nickt. Dann soll ich einen Fragebogen ausfüllen, in dem ich meine Beweggründe für dieses oder jenes Verhalten darlegen soll – kundenfreundlich in englischer Sprache. Ich äußere mich (für japanische Begriffe) recht ungehalten über die unsinnige Karte, was den Zeichner (ein Doktorand aus Indien) zu einem „Aha!“ Erlebnis führt, weswegen er sich mit der flachen Hand an die Stirn fasst. Das Viereck auf dem Plan ist nicht etwa das Gebäude – es ist ein Innenhof! Der Gang im Gebäude stellt die Außenseite des imaginären Wohnblocks dar, und man verlässt den „Sie sind hier!“ Punkt nicht aus dem Viereck heraus, sondern in das Viereck hinein! Darauf muss man erst mal kommen! Ich glaube, die Jungs werden die Karte in Zukunft anders machen.

„Warum sind Sie in den Keller gelaufen, wenn doch auf dem Plan steht, dass Sie in den dritten Stock laufen sollen?“ fragt mich einer der Übungsleiter.
„Weil man Gebäude verlässt, indem man die Treppe hinunter-, und nicht hinaufsteigt!“
„Ich verstehe…“ Der andere Deutsche habe genau das gleiche gesagt, erzählt er. „Der andere Deutsche“ kann nur Marc sein, und der hat die japanische Beschriftung des Plans garantiert besser verstanden als ich. Außerdem ist auch der Chinese (also ein geborener Kanjispezialist), der vor mir dran war, die Treppe runter gelaufen. Das sollte dem Team zu denken geben und die Fluchtpunkte in Zukunft realistischer anlegen.
Schließlich muss ich noch einen kurzen Sprachtest machen, der meiner Mittelstufe entspricht. Oder „entsprechen soll“. Da werden Ausdrucksformen und Begriffe abgefragt, die ich noch nie gehört habe (und auch da sagt mir Marc später das Gleiche, was mich doch beruhigt). Als Geschenk erhält jeder ein Taschenradio, sogar mit Digitalanzeige, Uhr und Wecker und einem speziellen Aufdruck, der den Namen des Experiments wiedergibt.
Ich werde von einem Helfer aus dem Gebäude geführt, auf einem Umweg, damit ich nicht mit anderen Probanten zusammenpralle. BiRei gehört ebenfalls zu den freiwilligen Helfern, und weil sie so verloren vor dem Gebäude herumsteht, bleibe ich noch eine Weile und leiste ihr Gesellschaft.

Es scheint, dass zeitgleich eine Veranstaltung für Studenten im letzten Studienjahr stattgefunden hat. Um etwa 17:30 ergießt sich eine Masse von mindestens 100 jungen Männern und Frauen im Geschäftsanzug (!) aus der Mensa und defiliert an uns vorbei. BiRei macht sich über die Jungs lustig.
„Da, schau Dir an, wie klein die alle sind! Die sind kaum größer als ich. Und wie die rumlaufen! Die sehen doch total weibisch aus mit ihren Umhängetaschen am Arm!“ Ich grinse still vor mich hin. Immerhin können die Jungs für ihre Größe nichts. Aber BiReis Idealbild von einem Mann ist nicht schwer zu erraten. Solche, wie die da, gebe es auch in China, sagt sie. Ich glaube, „männliche“ Männer sind in Japan (prozentual) ebenso häufig wie in China, klammert man aus, dass in China zehnmal mehr Menschen (und damit „männliche“ Männer) leben.

Es erscheinen auch immer wieder Mitglieder des Forschungsteams, die meine Darbietung sehr amüsant fanden. Auch die Protokollantin, offenbar Kettenraucherin, kommt zu uns nach draußen, nachdem das Experiment für heute beendet ist. Ich frage sie, warum man neben den Informationsblättern für Mülltrennung nicht auch welche mit Informationen zum Verhalten bei Erdbeben im Rathaus oder (als Student) an der Universität erhalte. Ein A5-Blatt könne wohl nicht so teuer sein? Und dann legt sie los mit einer fünfminütigen Erklärung, von der ich nicht genug verstehe, um auch nur ansatzweise zu wissen, was sie da gerade gesagt hat. Sie redet eine Spur zu schnell für meine Ohren, und nach dieser Informationsflut pocht mir der Schädel.
MinJi kommt vorbei, sie trägt eine große Tüte mit Essen. Sie gehört ebenfalls zu den Helfern und bringt einen Teil des Essens für die „Afterparty“, das gesellige Beisammensein nach der Arbeit, das um 18:30 beginnen soll. Ich könne auch daran teilnehmen, es sei genug für alle da, sagt die Protokollantin, die übrigens 21 Jahre alt ist und wie Anfang Dreißig aussieht. Ich lehne das Angebot dankend ab, Melanie wartet zuhause. MinJi schließt sich der Einladung an. Sie zupft mich am Ärmel, sieht mich an und sagt: „Komm, wir essen zusammen, wir essen zusammen!“ Da bricht mir doch der Schweiß aus! Mal unter Männern gesagt: Wenn MinJi Dich mit ihren hübschen Äuglein auffordernd anschaut und Dich mit der ihr eigenen Art um etwas bittet, dann sagst Du nicht einfach so Nein.
Ich tue es aber trotzdem und sehe zu, dass ich wegkomme, bevor ich umkippe. Ich flüchte sogar zuerst in die falsche Richtung, obwohl mein Fahrrad unter der Treppe der Bibliothek steht. Natürlich bereue ich das (ein ganz kleines bisschen), aber ich glaube, es war richtig so. Ich war ja schon überrascht (ist das das richtige Wort?) genug, als sie eingangs sagte, sie wolle meine Augen anfassen, weil ihr die Farbe so gut gefalle. Da kam ich mir schon vor wie im Schnellkochtopf.
Ich fahre also nach Hause und gehe mit Melanie zum Essen. SangSu hört uns beim Hinausgehen auf dem Gang reden und zeigt uns stolz die Sommerklamotten, die er sich heute gekauft hat. Sehen gut aus. Ich glaube, ich will auch so ein Hemd. Aber ich habe Hunger (und damit noch weniger Sinn für Ästhetik als sonst) und wir radeln los. Ich bestelle mir gebratene Leberstücke mit Sojasprossen und Reis, dazu Misosuppe. Ich wusste nicht, dass man Leber so gut machen kann… zuhause kann ich Leber essen, auch mit Genuss, aber danach braucht es erst mal eine Zeitlang keine mehr zu geben. Das hier scheint mir beinahe was Anderes zu sein. Die Leber kaut sich sehr angenehm und schmeckt dezenter nach Leber, als ich das gewohnt bin.
Wir beenden den Tag später mit den Anime, die wir in den letzten Tagen aufgenommen haben.

14. Mai 2024

Freitag, 14.05.2004 – Wenn mir schon was einfällt…

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

Mit Hilfe der morgendlichen Vorbereitungszeit ist der Kanjitest ein wahrer Spaziergang. Der Test wird heute auf die Rückseite des alten Tests geschrieben, weil Ogasawara-sensei vergessen hat, den neuen zu kopieren.

Dann fährt Kuramata-sensei mit seinem Seminar über Reis fort. Er geht zuerst noch kurz auf Sannai Maruyama ein und geht dann zu der Genetik der Reispflanze über. Eigentlich müsste man sagen, dass er über Genetik im Allgemeinen redet, was es damit auf sich hat und wer sich in dem Fach besonders hervorgetan hat. Nach sechzig Minuten ist er damit fertig, aber er will uns eine halbe Stunde vor Ende der Stunde noch nicht gehen lassen, also regt er uns zu Fragen an. Mir fällt sogar ausnahmsweise was dazu ein.

„Wenn die Jômon Leute keinen Reis kultiviert haben, warum beschäftigt sich das Seminar damit?“
Kuramata lacht darüber (hätte ich in dieser Situation auch gemacht) und sagt, dass das Seminar doch eine tolle Gelegenheit sei, uns völlig umsonst die Ruinen in Aomori zu zeigen. Sehr gute Antwort. Direkt, ohne Umschweife und ehrlich. Da stimme ich ihm natürlich zu. Außerdem, fährt er fort, sei erwiesen, dass die Menschen dort Nussbäume gepflanzt hätten, um sich auf diese Art und Weise Nahrungsquellen zu erschließen. Nun seien (japanische) Forscher natürlich Feuer und Flamme, den Beweis zu finden, dass man vor 7000 Jahren vielleicht bereits wilden Reis angepflanzt hat. Reisanbau wird (offiziell) seit der Yayoi-Periode betrieben, und die begann 300 vor Christus. Dann ist natürlich anzunehmen, dass Reisanbau – in Ansätzen – bereits in der Jômon-Zeit betrieben worden sein muss, aber meiner Meinung nach wohl erst in der Spätzeit, je nachdem, wie lange man gebraucht hat, um herauszufinden, dass Reis besser gedeiht, wenn er in einem Feld wächst, das unter Wasser steht. Aber zu hoffen, dass Reis schon 5000 Jahre früher so weit in den Norden verbreitet worden war, halte ich für etwas enthusiastisch. Es ist was ganz anderes, Nüsse von einem Baum zu pflücken, als die Früchte einer Grasart als essbar zu erkennen, wenn man diese vorher zubereiten muss. Aber gut… auch diese Nüsse mussten erst einmal eine Zeitlang in Wasser eingelegt werden, um den bitteren Eigengeschmack zu mildern. Darauf muss man auch erst mal kommen.

„Warum kann man eigentlich nicht ganz regulär Reis aus ganz Japan in den Supermärkten kaufen?“
Aber schon als ich die Frage ausgesprochen habe, ist mir der Fall selbst klar, obwohl Kuramata nur sagt, es sei zu teuer, und er nennt dabei den hohen Arbeitskräfteeinsatz. Trotz der Hochtechnologie, für die dieses Land bekannt ist, wird Reis immer noch weitgehend mit relativ primitiven Methoden angebaut und geerntet: Mit bloßen Händen und barfuß im Reisfeld. Dabei gibt es Maschinen dafür (von der Firma „Kubota“, wie ich jeden Samstagmorgen in der Werbung erfahre), und wenn es keine gäbe, könnte man locker welche bauen. Statt die Modernisierung der Reiswirtschaft voranzutreiben (und damit nicht wenige Bauern, auf die sich die Regierungspartei LDP stützt, in den Ruin zu treiben oder auf andere Produkte umsteigen zu lassen) wird die Landwirtschaft mit Milliardenbeträgen subventioniert und ist in keinem Fall konkurrenzfähig, soweit es das asiatische Ausland betrifft. Bevor ich nach Japan kam, dachte ich, Reis müsse in ostasiatischen Staaten allgemein sehr billig sein, weil er ja massenweise vor Ort angebaut wird. Aber nichts war’s damit. 10 kg japanischer Reis, aus der Gegend, in der ich ihn auch kaufe, kostet mich umgerechnet etwa 30 Euro. Wenn ich mich mit thailändischem Bruchreis begnüge, der den halben Globus entfernt angebaut wird, kosten mich 22,5 kg in Deutschland sogar gerade einmal knapp 20 E.[1]

Aber zurück zu dem hiesigen Reisverteilungsproblem: Ich erinnere mich an den Unterricht bei Kondô, kombiniere ein paar Informationen und erkenne, was hier gespielt wird. Die landesweite Verteilung der Ernte ist wegen der hohen Autobahngebühren unerschwinglich, und würde man diese Aufgabe mit Hilfe der Küstenschifffahrt zu bewältigen versuchen, wären es die von der Schiffergewerkschaft erstrittenen, hohen Personalkosten der Seeleute, die den Preis pro Sack in die Höhe trieben. Kurzum, man könnte sich in Kyûshû den Reis aus Aomori gar nicht leisten! Also lässt man es gleich sein, propagiert den Reis vom Feld 500 m weiter als das Nonplusultra, und beschränkt sich im Binnenhandel auf bestimmte Feinschmeckersorten (wer auch immer diese zu solchen erklärt), die dann natürlich auch einen Feinschmeckerpreis haben. Oder vielleicht ist auch jemand auf die Idee gekommen, „exotischen“ Reis zu verkaufen, und behauptet, der Reis sei teuer, weil er besonders gut sei – die Leute glauben ja viel. Kaviar schmeckt wahrscheinlich ebenfalls nur deshalb so umwerfend, weil er teuer ist. Man kommt sich ja vor wie in feudalen Zeiten! Die innerjapanischen Zölle sind zwar abgeschafft, aber deren Platz wurde von den Autobahngebühren eingenommen.

„Wie groß ist das Interesse der Konsumenten eigentlich an genetisch bearbeitetem Reis, den die Forscher dieser Tage ja bis auf das letzte Chromosomenpaar analysieren wollen? Wozu ist die Arbeit eigentlich gut?“
Oh, die Japaner seien strikt gegen genmanipuliertes Material. Vor allem die Bemühungen der USA, ihre „Designersojabohnen“ nach Japan zu exportieren, machten Schlagzeilen. Auf vielen Nattô-Packungen wird extra darauf hingewiesen, dass es sich um einwandfreie japanische Bohnen ohne Eingriffe technischer Art handele. Ich interpretiere also, dass genmanipulierter Reis nicht sehr freundlich angenommen würde und die ganze Genforschung auf diesem Gebiet nur dazu dient, wissenschaftliche Bücher zu füllen… und wenn man auf den Sack nicht draufschreibt, dass an dem Reis herumgeschraubt wurde, merkt es auch keiner. Oder aber man definiert „genetisch manipuliert“ entsprechend so, dass das Verfahren nicht in die Definition fällt. Sehr japanisch und einfach wäre auch ein Gesetz, nach dem nur Importwaren als „genmanipuliert“ gekennzeichnet werden müssen, und das somit die innerjapanische Angabepflicht unter den Teppich kehrt.

Damit habe ich die Restzeit auf zehn Minuten reduziert und wir können gehen. Ich schlage noch eine Stunde im Center mit Postschreiben tot, in der Hoffnung, dass der richtige Rechner mal wieder frei wird. Aber natürlich wird man dabei für gewöhnlich herb enttäuscht. Dafür findet heute wohl ein Treffen von Gastfamilien mit einigen der neuen Studenten statt. Im Hintergrund läuft Klaviergeklimper klassischer Art.

Um 16:45 fahre ich mit Melanie zum Sushi Shôgun und genehmige mir das Sushi, das mir am Mittwoch verwehrt geblieben ist. Markant: „Kaiten Sushi“! Das bedeutet, das verfügbare Angebot rollt auf einem Fließband vorbei und man nimmt sich, was man haben möchte. Wenn man etwas auf dem Fließband vermisst, kann man es bestellen, das ändert an dem Preis von 100 Yen pro Teller nichts, auf dem, je nach Materialwert, ein oder zwei Röllchen zu finden sind. Es rollt aber auch Fruchtsaft, Obst und Pudding vorbei. Es könnte etwas kühler serviert werden, aber das eine oder andere Stück ist geschmacklich wirklich eine Sensation, für die es zu morden lohnt. Übrigens ist das der Laden, vor dem wir mit Ricci und Ronald damals gestanden haben, nachdem wir aus dem Kino gekommen waren.[2]

Melanie fährt nach dem Essen nach Hause und ich in die Bibliothek. Leider habe ich mein Tagebuch zuhause vergessen, kann also nichts schreiben. Ich beschäftige mich anderweitig bis halb Neun, und gehe dann erst heim, um mir endlich die „SailorMoon“ Episode von letzter Woche anzusehen, bevor morgen wieder die nächste kommt.

Die hinterhältige Sängerin Mio setzt ihr niederträchtiges Werk fort und streut das Gerücht, Minako werde ein Live-Konzert geben. Usagi hilft bei den Aufbauarbeiten und schließlich erscheinen ein paar Dutzend Oberschüler, die lautstark nach Minako verlangen. Übrigens straft diese (quantitativ) äußerst lächerliche Fantruppe, die da vor der Bühne steht, das Aufhebens Lügen, das um Minako in dieser Serie als „Star“ gemacht wird – oder aber die Mund-zu-Mund-Propaganda ihrer Gegnerin war reichlich ineffektiv. Natürlich zielt diese Aktion darauf ab, Usagi (und Minako) den Unmut der Fans zuzuschustern, denn es war ja nie geplant, dass Minako erscheinen solle. Und Mio kann sich bei der treu-doofen Usagi darauf verlassen, dass sie, aus welchem fadenscheinigen Grund auch immer, den nicht einmal ein Japaner nachvollziehen könnte, die Verantwortung für den Fehlschlag auf sich nimmt. Während Usagi also bereits zur Entschuldigungsrede ansetzt, dass Minako wohl nicht kommen werde (und eigentlich nur noch die faulen Tomaten fehlen), geht das Licht aus und Minako erscheint tatsächlich – wenn auch auf ihrer eigenen Bühne (umgebauter LKW) ein paar Schritte weiter. Uh, ein neues Lied! Dann bleiben wir diesmal also von „C’est la vie!“ verschont. Aber was heißt „verschont“? Das Lied ist ja nicht schlecht, aber es immer wieder zu hören, ist ein bisschen viel.
Der Plan der Rivalin ist also vereitelt, die hier in einem äußerst sinnvollen Monolog hinter der Bühne offenbart, wie sehr sie die beiden hasst, und alle, die zu ihnen gehören.
Während des Konzerts erscheint allerdings, wie sollte es anders sein, der starke Yôma wieder, mit dem die Senshi in der vergangenen Episode nicht fertig geworden sind. SailorMoon macht das ganz locker und pustet das Monster mit ihrer neuen „Herzschmerzraketenwerfer“ Attacke („Moon Twilight Flash!“), für die mir auf die Schnelle keine bessere Bezeichnung einfällt, einfach so im Alleingang weg. Und die Widersacherin scheint nicht einfach nur boshaft zu sein – sie kann „was“: Naru hält auch weiterhin zu Usagi und stellt Mio zur Rede, da das Gerücht aufgetaucht ist, ihre Verletzung an der Hand (aus der vergangenen
Episode) habe sie Usagi verdanken. Mio stützt das Gerücht, indem sie geschickt (?) das exakte Gegenteil behauptet und die Angelegenheit so aussehen lässt, als beuge sie die Wahrheit, um Schaden von Usagi abzuwenden. Naru fängt sich also einen bösen Blick ein und geht mit starken Kopfschmerzen in die Knie. Aha, also dunkle Kräfte am Werk! Andererseits kann ich ihre Reaktion gut verstehen, weil sich meine Sehnerven auch ständig verkrampfen, wenn ich dieses spitznasige Schrapnell auf dem Bildschirm sehen muss.[3] Sie heißt übrigens mit vollem Namen „Kuroki Mio“, und wenn ich Kuraki Mai wäre, würde ich den Sender deswegen verklagen. 🙂


[1] Nachtrag 2010: Mittlerweile sind die Reissäcke auf 20 kg geschrumpft und die Preise auf 27 E gestiegen.

[2] Bei dem Namen „Sushi Shôgun“ handelt es sich übrigens um ein Wortspiel. Den Koch eines Sushiladens, also den Hauptverantwortlichen für das Herstellen des Essens, nennt man traditionell „Taishô“, und das bedeutet „General“. Der „Shôgun“ dagegen ist der „Generalissimus“, der „militärische Oberbefehlshaber“, und somit über dem Taishô angesiedelt, womit wohl eine Aussage über die angebotene Qualität des Lokals gemacht oder suggeriert werden soll.

[3] Die Schauspielerin wirkt natürlich sehr nett, den Interviews nach zu urteilen.

13. Mai 2024

Donnerstag, 13.05.2004 – In Kürze

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

Nach Yamazakis Unterricht schreibe ich den Bericht zum 01. Mai fertig – endlich! Und den 02. und 03. Mai gleich dazu, da war nicht sonderlich viel los. Um 17:00 bin ich soweit mit allem fertig, dass ich eigentlich gehen könnte, aber ich finde natürlich noch die eine oder andere Beschäftigung (wie zum Beispiel Textkorrekturen), die mich dann doch bis 20:00 auf meinem Stuhl festhalten.

Zuhause gehe ich auch bald schlafen… für morgen sind nur 20 Kanji zu lernen, die ich im Großen und Ganzen bereits beherrsche. Ich fange dann morgen früh um 06:00 an, damit habe ich dann zwei Stunden Zeit, um das Häufchen zu wiederholen.

12. Mai 2024

Mittwoch, 12.05.2004 – Gebackene Teigfladen

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 22:19

Ich stehe um 05:30 auf und mache mich an die Arbeit. Und die geht auch gleich viel leichter von der Hand, wenn man ausgeschlafen ist! Dennoch hindert mich dieser Umstand nicht daran, während Yamazakis Unterricht vor Langeweile beinahe vom Stuhl zu fallen. Das spannendste Ereignis war noch, dass in diesem Saal der Kassettenrekorder fehlt und Yamazaki sich selbst einen organisieren musste. Und er bringt ihn, den Regeln entsprechend, auch wieder zurück, was ihrerseits Ogasawara-sensei dazu zwingt, selbst irgendwo einen herzubekommen, da wir uns heute ein Lied über Zuckerrohrfelder in Okinawa anhören sollen.
Dabei fällt mir die Ausrüstung dieser Universität wieder deutlich ins Auge. In jedem der Säle befinden sich ein großer Fernseher, dazu ein Videogerät für Kassetten und DVDs, und daneben noch ein Kassettenrekorder für MCs, CDs und MDs. Das will ich mal in Deutschland an einer staatlichen Uni sehen! Yamazaki-sensei bedient das Gerät neuerdings sogar mit einer Art Taschen-PC (?), indem er die Tondaten auf der MD mit einer Wellenlänge von 76,6 MHz auf die Antenne des Radios überträgt. Warum er die MD nicht einfach direkt in die Stereoanlage schiebt, ist mir schleierhaft.

In der Mittagspause verpacke ich zwei verkaufte Artbooks und rede ein bisschen mit BiRei, die heute den Wunsch äußert, auch mal was von Deutschland zu sehen.

Danach tritt Kondô-sensei in Aktion. Oder eigentlich trete ich in Aktion, weil ich ja einen Vortrag über das japanische Autobahnsystem halte, im Hinblick auf dessen Finanzierung. Das dauert auch gleich 70 Minuten, weil für Mei alles noch ins Japanische, bzw. Koreanische übersetzt werden muss, je nachdem, ob Kondô selbst meine Aussage zusammenfasst oder ob er SangSu „an die Front schickt“. Misi ist nicht erschienen, obwohl das eigentlich ganz ratsam wäre, da er nächste Woche über die zweite Hälfte des Aufsatzes reden soll.
MunJu fragt mich nach dem Unterricht nach dem deutschen Universitätssystem, nach Studiendauer, nach Finanzierung des Studiums und der Universitäten. Sie macht sich Notizen? Hat sie was Offizielles damit vor? Ich kann allerdings gerade nicht die Motivation aufbringen, danach zu fragen.

Dann ist Hugosson an der Reihe und erzählt uns was über NPOs in Japan, von denen es mittlerweile 16000 gebe, Tendenz steigend. Der Anfang sei das Erdbeben in Kobe gewesen, wo aus dem ganzen Land auf individuelle Initiative hin eine Flut von 1,5 Millionen freiwilligen Helfern eingetroffen war, die sich wegen des eklatanten Kompetenzmangels der staatlichen Hilfsorganisationen in kürzester Zeit selbst organisierten.
Es gibt natürlich schon seit langer Zeit Nachbarschaftsorganisationen, die ebenfalls in die Definition der NPOs fallen. In feudalen Zeiten und bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges handelte es sich dabei um eine Kontrollmöglichkeit der Regierung, um ein Auge auf die Leute werfen zu können. Auch die modernen Nachbarschaftsorganisationen lassen neu hinzugezogenen Anwohnern nicht wirklich eine Wahl, ob sie beitreten wollen oder nicht. Natürlich wird man heutzutage nicht mehr gekreuzigt – man wird ausgegrenzt. Und wer will das schon? Dafür werden Feste organisiert, wie zum Beispiel die „Undôkai“ – „Sportfeste“ – genannten Saufgelage, die ihren Namen nur deshalb tragen, weil die Kinder „organisiert spielen gehen“, während die Erwachsenen ihren asiatischen Enzymdefekt, Alkohol im Blut weniger gut als Europäer abbauen zu können, mit Nichtbeachtung strafen. Oder aber, was doch ganz nützlich ist, man zieht sich Gummistiefel an und sammelt den Müll aus einem „Fluss“, also diesen hässlich kanalisierten Gewässern – und dann geht man was trinken!
Für die kommende Stunde erhalten wir eine Hausaufgabe, wir bekommen Internetlinks mit Informationsquellen und sollen kurze Vorträge über die sozialen Sicherungssysteme unserer Heimatländer halten. Hurra, Deutschland!

Dann ist der Unterricht endlich gelaufen; ich treffe Melanie und fahre mit ihr ins „BariBari“, um Okonomiyaki zu essen. Nach einem unnötigen Umweg zum „Sushi Shôgun“ am Kaufhaus Sakurano heißt das, wo wir feststellten, dass der Laden mittwochs zu hat! Also dann halt gebackene Teigfladen zum Selbstanrühren. Da wollten wir eh schon länger mal hin.
Wir kriegen auch gleich ein Tabehôdai aufs Auge gedrückt, weil uns ein paar Details nicht bekannt sind. Man kann die Gerichte ja schließlich auch einzeln bestellen, aber auf den Gedanken komme ich gerade gar nicht, weil ich solchen Hunger habe. Genau genommen handelt es sich um ein Tabe-nomi-hôdai für 2000 Yen pro Nase, was zwar heißt, dass man essen und trinken kann, so viel man will, aber ich bin hier um zu essen – und da nehme ich für gewöhnlich nicht mehr als einen halben Liter Wasser zu mir. Man könne kein Tabehôdai ohne gleichzeitiges Nomihôdai machen, heißt es, aber umgekehrt ginge das schon. Wäre ich zum Trinken hier, und das Nomihôdai kostet nur um die 1000 Yen, würde sich das wirklich lohnen, denn die Getränkekarte ist recht großzügig: Die enthält sogar „echte“ alkoholische Getränke. Im „SkattLand“ gibt es ja nur „Sour“ und Softdrinks für diesen Preis. Die Dauer ist begrenzt auf 90 Minuten… mal sehen, was in der Zeit alles reinpasst. Ich will von den 2000 Yen auch möglichst viel haben.
Es gibt hier nur Knietische… autsch! Es ist nichts los, also suche ich mir einen Platz in der Ecke des Raums, damit ich die Wand im Rücken habe, und – römische Dekadenz hin oder her – meine Beine längs des Tisches ausstrecken kann. Unter den Tisch passen sie nicht, weil sich dort die Heizvorrichtung für die Backfläche befindet.

Ich trinke dann auch tatsächlich nur ein großes Glas Wasser – esse dafür aber drei Okonomiyaki. Mehr geht auch nicht in 90 Minuten… man muss die Dinger ja mit den Zutaten selbst machen. Man bezahlt hier, wie in wohl so ziemlich jedem Okonomiyaki-Restaurant, nicht die Arbeit eines Kochs, man bekommt die Zutaten auf den Tisch und macht sich das Essen selbst. Von daher sind die Preise meines Erachtens etwas stark.
Man bekommt also die Schüssel mit etwas Teig, Ei, Kraut und verschiedenen Zutaten, wie z.B. Ingwer (zum Glück war nicht viel dran – ich hasse eingelegten Ingwer), Käse, Krabben, Tintenfischstücke oder verschiedene Fleischsorten, je nach Angebot. Das Ganze wird verrührt und dann auf die geölte Bratplatte verteilt, mit einem Durchmesser von vielleicht 15 cm, 4 cm hoch, und gleichmäßig angebraten. Man sollte noch Soße und Mayonnaise darauf verteilen, des Weiteren auch Fischflocken und Aonori (Blaualgen) Puder. Man sollte es gegessen haben, wenn man schon nach Japan kommt. Ist wirklich gut. Nur das Selbermachen nervt.

Melanie isst nur einen solchen Fladen und wendet sich dann einer Reihe von Vorspeisen wie frittiertem Huhn, Kartoffeln und „Omuraisu Cheese“ zu. Bei „Omuraisu“ handelt es sich eigentlich um Reis in einem Omelett, daher der Name, aber in dieser Käsevariante ist überhaupt kein Reis drin – es handelt sich eigentlich nur um ein zugeklapptes Omelett mit Käsefüllung. Diese Sondergerichte allerdings treiben den Preis pro Person um 300 Yen in die Höhe – wer lesen kann, ist klar im Vorteil! An der Wand hängt ein Plakat, auf dem genau das geschrieben steht, aber da wir, anders als Einheimische, informative Inhalte nicht auf einen Blick erkennen können, sondern die Schriftzeichen analysieren müssen, bemerken wir das erst, als es ans Bezahlen geht.
Stelle fest: Tabehôdai lohnt sich hier nicht. Dann lieber drei Okonomiyaki ohne Zeitdruck essen (ich esse eh ziemlich schnell) und 500 Yen weniger dafür ausgeben.

Während des Essens kommt auch eine „Kernfamilie“ in das Lokal, also Eltern mit einem Kind. Und was für eine Familie! Er sieht aus, als hätte er den örtlichen HipHop-Laden ausgeraubt und sie scheint mir dem Ganguro-Milieu nahe zu stehen (Ganguro sind die Mädchen, die sich die Gesichter braun färben und Klamotten tragen, deren Extravaganz eigentlich nur von Cosplayern übertroffen wird). Ich schätze die beiden auf Mitte bis Ende Zwanzig, ihre Tochter auf etwa fünf Jahre. Und die Kleine ist… recht lebhaft, um es so zu nennen. So patscht sie unserer Kellnerin auf den Allerwertesten (die muss sich ja hinknien, um die Zutaten zu servieren) und ruft „Daikô!“. Jetzt habe ich natürlich so einen Verdacht und suche die sino-japanische Lesung des Kanjis für „Shiri“ in meinem elektronischen Wörterbuch… ja, sie lautet „kô“. Das kleine Balg hat eben lautstark die Größe des Hinterns der Kellnerin mokiert. Die lacht verlegen und ich möchte wetten, dass sie gerade hofft, dass die beiden Ausländer da in der Ecke keine Ahnung haben, was für ein Begriff da gerade eben in den Raum gestellt wurde. Die Eltern stören sich daran nicht besonders. Ich dachte, Entschuldigungen für alles, was auch nur entfernt unangenehm sein könnte, seien eine japanische Eigenart? Nicht bei den dreien hier. Nun gut, die Kellnerin (vielleicht 20 Jahre alt) ist zu meinem Wohlgefallen wirklich nicht dürr in der Hose (ohne „dick“ zu sein allerdings, sie liegt nahe an der „Goldenen Mitte“). Aber dennoch…
Wollte ich die Eltern nach ihrem Aussehen beurteilen (was man natürlich unterlassen sollte), dann würde ich annehmen, dass der Nachwuchs nicht das Ergebnis vorheriger Planung war, sondern eher eine Art Unfall.

Auf dem Rückweg zahle ich meine Miete am Bankautomaten, und mache noch einen „Umweg“ in die entgegengesetzte Richtung, zur Bibliothek, aber viel gearbeitet kriege ich heute natürlich nicht mehr.

Dienstag, 11.05.2004 – Das Dunkle Geheimnis[1]

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 22:06

Ich gehe früh, mit Melanie zusammen, zur Universität, damit ich noch vor Beginn des Unterrichts damit beginnen kann, meine Post zu bearbeiten. Ich sitze also bis 14:10 in der Bibliothek.

Kondô-sensei hat heute einen Herrn Kôdô zu Gast, der, wie auch sein Vorgänger vergangene Woche, über geschäftliche Dinge redet. Allerdings macht Kôdô-san das ganz anders als Tsushima-san, und er ist auch nicht selbständig, sondern der Chef der hiesigen Filiale der Versicherung „Tokio Marine & Fire“. Dabei handelt es sich um eine finanziell bedeutende Versicherung in Japan.
Er lässt Einzelheiten seines Werdegangs weg und redet ausschließlich über die Begleiterscheinungen eines Versicherungsunternehmens und wo japanische Besonderheiten liegen. Zum Beispiel schreibt sich der Name seiner Versicherung tatsächlich in westlicher Umschrift, und zwar auf die deutsche Art und Weise „Tokio“ mit „i“ (anstatt wie im Englischen: „Tokyo“), wie zur Meiji-Zeit (1868-1912). Es handele sich um die gewissermaßen graphemische Darstellung der langen Geschichte und der hohen Erfahrung des Hauses.
Des Weiteren gebe es sowohl „Fire & Marine“ als auch „Marine & Fire“ Versicherungen, und die Reihenfolge der Begriffe zeige, ob die Gesellschaft bei ihrer Gründung mit Brand- oder Seefahrtspolicen begonnen habe. Weiterhin neigten „Feuer“ Versicherungen dazu, eher Privatleute, Individuen und ihre Familienhaushalte, zu versichern, während „Marine“ Versicherungen sich mehr an Geschäftskunden, also ganze Unternehmen, wendeten. Tokio Marine & Fire ist also eine solche und Kôdô-san erzählt, dass man hierbei viel höhere Prämien erhalte. Ganz klar, es geht ja auch um wesentlich wertvollere Policen. In diesem Zusammenhang sei es besonders günstig, Mitglied der Handelskammer zu sein, weil man gerade dort viele potentielle Kunden treffe.
Dann geht er auf finanzielle Dinge und Ersatzansprüche ein und kommt schließlich auf Erdbeben zu sprechen. Natürlich könne man sich gegen solche Fälle versichern, wegen der relativen Häufigkeit von Erdbeben in Japan aber nur bis zu einer bestimmten Summe, umgerechnet 400.000 E. Bei einem einzelnen Autounfall können, je nach Situation, schon einmal eine Million (Euro) herausspringen, aber bei Naturkatastrophen sei das wegen des großräumigen Schadensausmaßes und des damit verbundenen Liquiditätsproblems nicht zu machen. Gewissermaßen als Anekdote fügt er hinzu, dass das World Trade Center in New York in erster Linie von einem japanischen Unternehmen versichert worden sei. Diese Firma habe zwar ein paar Stücke vom Kuchen an Subunternehmer weiterverkauft, sei aber in Folge der Anschläge vom 11. September völlig ruiniert gewesen.
Wir werden auch diesmal gebeten, eine kurze Beurteilung des Vortrags zu verfassen.

Dann gehe ich ins Center. Nim hat mir am Morgen zwei kleine Schokoriegel geschenkt und einen davon gebe ich Melanie. Jû bemerkt das, rückt zu mir herüber und fragt in einem schelmischen Tonfall: „Oh, Du hast was zu verschenken?“ Ich gebe ihm den zweiten Riegel, weil ich eigentlich wenig Interesse daran habe. Das wiederum wird von MinJi bemerkt, und sie sieht mich sehr bittend an. Ich spüre schon wieder diese aufkeimende Hitze in meinem Kopf, aber ich habe keinen Schokoriegel mehr. Jû gibt ihr daraufhin die Hälfte von seinem.

Am frühen Abend fahre ich mit meiner Datenübertragung fort, aber ich komme wegen Zeitmangels nicht besonders weit. Immerhin habe ich jetzt meine Fotos wieder auf dem richtigen Rechner liegen. Ich würde den Memorystick also noch eine Weile brauchen und Misi überlässt ihn mir.
Ich fahre nach Hause. Als ich ankomme, stelle ich fest, dass ich Misis Memorystick während der Fahrt verloren haben muss! Grande Catastrophe. Aber ich erinnere mich an einen sanften Schlag an meiner Hose auf den letzten 75 m vor der Ampel am „King Kong“. Eigentlich dachte ich, es sei ein kleiner Stein gewesen, der durch das Vorderrad weggeschleudert worden war. Möglicherweise und hoffentlich muss ich diese „Hypothese“ überarbeiten – und neu prüfen, und das sofort. Ich ziehe meine Schuhe wieder an und verfluche die schwache Straßenbeleuchtung. Und meine eigene Fahrlässigkeit. „Tu’s in Deinen Geldbeutel!“ hatte er gesagt. „Ich hab noch nie was einfach so aus meiner Hosentasche verloren“, sagte ich dazu.
Ich untersuche minutiös Bürgersteig und Fahrbahnrand ab der Ampel, am Ministop vorbei nach Norden. Die Beleuchtung ist wirklich mies, aber die vorbeifahrenden Wagen sorgen für „Gefechtsfeldbeleuchtung“. Fünfzig Meter hinter dem Ministop finde ich den gesuchten Gegenstand in der (trockenen) Regenrinne wieder, zumindest äußerlich unbeschadet. So weit habe ich also Glück, und durch den kleinen umhüllenden Lederbeutel hat die Plastikoberfläche nicht einmal einen Kratzer, und es scheint auch kein Wagen drübergerollt zu sein. Ob das Stück allerdings tatsächlich noch funktioniert, werde ich erst morgen erfahren. Diesen Vorgang sollte ich Misi besser verschweigen, sonst leiht er mir den Speicherstein nie wieder.

Ich gehe nach Hause und früh schlafen; ich muss auch früh wieder aufstehen, um die Vokabeln zu wiederholen, mit denen ich heute Morgen begonnen habe.


[1] Dieser Eintrag ging durch einen Fehler beim Speichern der Datei verloren und wurde anhand des Manuskripts am 23. Januar 2006 rekonstruiert.

Montag, 10.05.2004 – „… und der müde Reisende, der wo ich bin, will eine Tüte voll Schlaf nehmen“

Filed under: Filme,Japan,My Life — 42317 @ 21:58

Nach etwa fünf Stunden Schlaf stehe ich um 06:00 wieder auf und wiederhole ein paar Vokabeln. Natürlich sind fünf Stunden für mich zu wenig und dem entsprechend tief steht mein heutiges Barometer. Aber es ist generell etwas nicht in Ordnung. Mein Magen teilt mir mit, dass er entweder Ruhe bekommt oder ich die Konsequenzen tragen muss. Nachdem ich den Unterricht von Yamazaki-sensei also überstanden habe, fahre ich nach Hause und lege mich schlafen – bis etwa halb Fünf. Ich fühle mich um Längen besser als vorher.

Zwischendurch hat es kräftig geregnet und die Bücher, die Melanie leider zur falschen Zeit vom Book Off nach Hause transportiert hat, haben den Weg nicht unbeschadet überstanden. Zum Verschenken sehen die Bücher jetzt eigentlich viel zu traurig aus… denn auch wenn sie trocken sind, bleiben diese typischen Wellen am Rand ja erhalten. Der Regen hat mittlerweile aufgehört und ich entschließe mich dazu, noch in die Bibliothek zu fahren, um zumindest noch meine Post bearbeiten zu können.

Neben meiner Post beschäftigt mich das laufende (oder eher „sich anbahnende“) Gefecht gegen Frank, und eine Episode von „Area 88“ sehe ich mir auch noch an, nachdem die Tätigkeit im Online-Forum meinen Zeitplan deutlich unterschritten hat.

Als ich mit Melanie im Kino war, habe ich in der gedruckten Filmwerbung gelesen, dass demnächst ein „Cutey Honey“ Realfilm erscheinen werde und ich habe herumgefragt, ob denn jemand was darüber wisse – ich bin nicht der Typ, der selbst sucht, wenn es nicht notwendig ist. Ich frage lieber andere. Es heißt, der Film sei unter der Regiearbeit von Hideaki Anno („Evangelion“) entstanden. Das klingt an sich nicht schlecht, aber dennoch müsste ich mich in dem Fall fragen, was das für das Verhältnis von Honey zu ihrem Vater bedeutet… die Väter in den Filmen von Hideaki Anno fallen meist nicht in die Kategorie der „netten Onkel von nebenan“. Wie dem auch sei – man hat mir auch einen Link geschickt, wo man sich den Trailer ansehen kann. Und ich habe ihn angesehen. Es handelt sich bei dem Film um eine Koproduktion mit den Warner Bros. Studios. Das scheint zwar vielversprechend zu sein, aber ich persönlich finde den Trailer eher abschreckend. Die Handlung ist natürlich in der heutigen Zeit angesetzt, aber Bekleidung und Accessoires der Charaktere sind definitiv der Zeit entnommen, in der „Cutey Honey“ ihren Ursprung hat – den Siebzigern. Außerdem überzeugen mich die Spezialeffekte nicht sonderlich. Natürlich soll man an solchen Äußerlichkeiten keinen Film bewerten… aber wir reden hier über „Cutey Honey“… Ich glaube, ich werde dafür kein Geld ausgeben, das über eine Videoleihgebühr hinausgeht.

Sonntag, 09.05.2004 – Selbstzensur?

Filed under: Japan,Manga/Anime,My Life,Spiele — 42317 @ 21:53

Ich gehe zuerst in der Bibliothek meinem üblichen Tun nach, abgesehen davon, dass ich mir für Combat Mission ein virtuelles Testgelände anlege, das helfen soll, Material- oder Taktikfragen zu beantworten.
Um 17:00 fahre ich mit Melanie ins Naisu Dô und sehe mir erstmals das obere Stockwerk mit den Spielen und Konsolen an, weil man mich letztens gebeten hat, mich nach einem SEGA Saturn umzusehen. Ich finde auch ein gebrauchtes Stück für 5000 Yen und schreibe es für die Rückfrage in mein Notizbuch.

Um etwa halb Sieben fahre ich dann wieder nach Hause und lese den Pokemon Manga weiter. Dort vollzieht sich beim Wechsel vom siebten zum achten Kapitel ein krasser Stilwandel: Kasumi/Misty wechselt ihre Haarfarbe von schwarz auf orange/rot (wie man es aus der TV-Serie kennt), und weil niemand eine Bemerkung dazu macht, muss ich annehmen, dass dies den Normalzustand darstellen soll, als wäre es nie anders gewesen. Des Weiteren bedecken ihre Hosen neuerdings (zumindest teilweise) ihre Oberschenkel (und werden damit ihrer Bezeichnung endlich gerecht) und ihre bislang großzügig angelegte Weiblichkeit in Form einer etwas übertriebenen Oberweite wurde auf ein vernünftiges Maß reduziert. Auch ansonsten wurden die Reize der weiblichen Charaktere zurückgenommen, sieht man von Musashi/Jesse ab, die immer noch sehr *ähem* aussieht. Aber die ist ja auch ein „böses Mädchen“, und die dürfen offenbar nach „Verderbtheit“ aussehen.
Inwiefern die Sprache entschärft wurde, kann ich noch nicht sagen.

Ich habe den starken Verdacht, dass der Kurswechsel möglicherweise auf Protest von Müttern zurückzuführen ist, die sich irgendwann – zu Recht! – gefragt haben, was ihre Kinder da zu lesen und vor allem zu sehen bekommen.[1] Im sechsten und siebten Kapitel (das obligatorische Onsen[2]-Kapitel) befinden sich ein paar Darstellungen, die dem Fass durchaus den Boden ausgeschlagen haben könnten.


[1] „Dengeki Pikachu“ ist ein Dôjinshi, der mit der offiziellen Produktreihe nichts zu tun hat, die hier aufgeführten Gedanken sind also hinfällig.

[2] Heiße Badequelle

Samstag, 08.05.2004 – Kasukabe Boys

Filed under: Filme,Japan,Manga/Anime,My Life — 42317 @ 21:48

Melanie hat sich gestern Abend, mit technischer Unterstützung unseres ungarischen Bekannten, ein neues Fahrrad besorgt und wir entschließen uns dazu, heute ins Kino zu gehen, um den „Shin-chan“ Film „Kasukabe Boys“ anzusehen. Am Sonntag, morgen, läuft die letzte Vorstellung.
Es handelt sich dabei, grob gesagt, um eine Western-Parodie, in der Klaus Kinski und (ein recht junger) John Wayne (als die Bösen) ebenso auftreten, wie auch Yul Brunner und der Rest der Glorreichen Sieben.
Shinnosuke landet mit seinen Freunden beim Spielen in einem alten Kino, in dem zwar niemand anwesend ist, wo aber trotzdem, reichlich unscharf, eine Szene aus einer typischen Western-Wüste auf dem Bildschirm gezeigt wird. Er geht zwischendurch auf die Toilette und als er zurückkommt, sind die anderen vier verschwunden. Er geht nach Hause, aber es stellt sich bald heraus, dass seine Freunde nicht nach Hause gegangen sind. Die komplette Familie macht sich also auf den Weg, das alte Kino zu besuchen – was natürlich dazu führt, dass sie in dem (namenlosen) Film landen…

Wüste. Eine Bahnlinie. Eine klassische Westernstadt. John Wayne und seine Gehilfen lassen die Dorfbewohner für sich arbeiten. Shinnosukes Freund Kazama hat sich der Gang auch inzwischen angeschlossen (er ist der Sheriff geworden) und gibt vor, sich nicht mehr an Shinnosuke zu erinnern. Masao (in der Rolle des unterdrückten Mexikaners) erzählt dasselbe. Nene lebt mit Masao zusammen und Bô ist der einsame Indianer, der in seinem Tipi am Rand eines Canyons wohnt. Es scheint, dass die Stadt voller Leute ist, die hier eigentlich nicht hingehören und wieder aus dem Film raus müssen – aber je mehr Zeit man in „Justice City“ (so der Name der Stadt) verbringt, desto mehr vergisst man von seinem alten Leben.
Des Weiteren steht in dieser Welt die Zeit still. Das heißt, hier ist immer „High Noon“, 12 Uhr mittags. Shinnosuke geht dazu über, den Zeitverlauf daran zu messen, wie häufig der örtliche Erfinder und Bastler (sicherlich auch eine Parodiegestalt, die ich aber nicht erkenne, möglicherweise Steve McQueen) als Strafe für sein freidenkerisches Tun hinter einem Pferd durch die Straßen geschleift wird. Die Bösen haben natürlich ein Interesse daran, dass die Zeit stehen bleibt, denn ein Film, in dem jemand ungerechterweise uneingeschränkte Macht ausübt, kann nur ein „Happy End“ haben – was sich natürlich zu ihren Ungunsten auswirken würde. Als die Leute sich dann zusammentun, um gegen ihr Joch zu protestieren, vergeht endlich etwas Zeit und die Sonne neigt sich ein Stück gegen den Horizont.
Zum Schluss gibt es dann wieder eine Verfolgungsjagd, diesmal Pferd, bzw. Ford, gegen Eisenbahn, und schließlich Eisenbahn gegen „MechaWayne“ (ein großer Roboter), der von John persönlich gesteuert wird und von den zu Superhelden mutierten Kindern zu Fall gebracht werden muss. Natürlich kommt, was kommen muss, nämlich das Happy End, und alle landen wieder in dem kleinen Kinosaal, wo alles angefangen hat.

Ich finde es sehr bedauerlich, dass in diesem Film „echte“ Gewalt zum Einsatz kommt. In „Das Imperium der Erwachsenen schlägt zurück“ waren die Bösen mit Spielzeugwaffen ausgerüstet und niemand wurde verletzt. In „Yakiniku Lord“ (oder „- Road“) gab es zwar einen Kampf am Ende, aber dabei handelte es sich um ein sehr lustig choreographiertes Handgemenge, dessen Schwerpunkt eindeutig auf Humor lag. Aber in „Kasukabe Boys“ schießen die Bösen mit Revolvern, es gibt Verletzte unter den Bewohnern, und Shin-chan und seine Mutter werden von John Wayne mit einer Peitsche bewusstlos geschlagen – ich glaub’, ich spinne! Von allem, was ich von Shin-chan bisher gesehen habe, ist das hier am wenigsten für das nicht erwachsene Publikum geeignet, das hier im Kinosaal so vier bis sieben Jahre alt sein dürfte. Bedauerlich ist eigentlich auch, dass die Kinder die Anspielungen auf klassische Western überhaupt nicht verstehen können. Wer von denen kennt denn Klaus Kinski? Oder gar Yul Brunner? Letzterer ist schon seit 1985 tot. Da war so mancher Elternteil erst so alt wie die anwesenden Kinder heute!
Und dann: Welch Aufhebens wurde in der TV-Werbung für diesen Film um die Präsenz der japanischen Gruppe „No Plan“ gemacht! Dabei waren die Jungs nur in einer einzigen Szene zu sehen, einer sagte einen Satz und damit war der Fall gegessen. Sie haben dann das Schlusslied gesungen, das „Yume Biyori“ von Shimatani Hitomi (einem Doraemon Schlusslied) irgendwie nicht ganz unähnlich ist.

Dann trennen sich unsere Wege – Melanie fährt ins Book Off und ich in die Bibliothek. Ich mache allerdings noch einen Zwischenstopp in der Mazdavertretung und frage dort nach einer Fernbedienung für ein Pioneer Radio, die man am Lenkrad befestigen kann. Ich weiß nicht, wozu das gut ist, aber Kai will so was haben. Hätte ich dabei „Gran Tourismo“ besser im Hinterkopf gehabt, hätte ich zwei Gesprächszeilen bei dem Dialog mit dem Angestellten vermeiden können.
„Für welches Auto?“ fragt der. Ich bin verwirrt.
„Ist das wichtig? Für den Mazda MX5.“
„MX5? Ah so, Roadster. Für welche Radiomarke?“
„Es handelt sich um Pioneer.“
Ich bin mir nicht zu 100 % sicher, ob das noch stimmt, aber ich glaube, Kai kommt gar nichts anderes ins Haus (so lange er es sich Bohse noch nicht leisten kann…). Aber einen bestimmten Typ kann ich leider nicht nennen, weil ich keine Ahnung von Autoradios habe. Der Angestellte wirft einen Blick in den Katalog und meint dann: „Für Stereoradios werden keine Fernbedienungen geliefert.“ Ich weiß, dass Kai bereits eine Fernbedienung hat, also muss ich dann daraus schlussfolgern, dass es sich bei seinem Modell um kein Stereo-Radio handelt? Kai war mit Informationen leider nicht sehr großzügig, entgegen seinem sonst üblichen Perfektionismus in solchen Dingen. Ich sage dem Angestellten also, dass ich nachfragen werde und verabschiede mich bis zum nächsten Mal.
In der Bibliothek gehe ich meinen üblichen Tätigkeiten nach, aber mein Newsletter wird bis 17:00 nicht fertig.

Danach gehe ich mit Melanie essen, und zwar – endlich – in das Lokal des Shamisen-Meisters Daijô Kazuo. Eine sehr gemütliche Atmosphäre herrscht dort, und vor allem erweist sich die Dame des Hauses als sehr gesprächig, und sie lacht gerne. Sie ist sehr erheiternd auf ihre Weise. Ich frage sie, was denn die Spezialität des Hauses sei. „Eigentlich haben wir keine Spezialität“, sagt sie, empfiehlt aber „Tonkatsu Ramen“. Na, dann immer her damit. „Wir hatten schon früher einen Deutschen zu Gast“, erzählt sie, „das war Professor Höffgen. Er hat jeden Tag hier gegessen – bis er 1985 geheiratet hat. Ab dann ist er leider nicht mehr regelmäßig gekommen.“ Seit 1980 habe der Professor hier zu Mittag gespeist, erzählt sie weiter. Und sie erzählt offenbar gerne, interessanterweise ohne etwas zu erwischen, was mich langweilen würde. Sie vergisst darüber sogar, unsere Bestellungen zu bearbeiten, bis sie sich schließlich, nach etwa zehn kommunikativen Minuten, über sich selbst ein wenig erschreckt, besinnt und meint: „Oh, Ihr seid sicher hungrig – ich sollte mich endlich um Euer Essen kümmern.“ Aber es ist mir nicht wirklich aufgefallen, „dass da was fehlt“. Auf so sympathische Art und Weise ist mein Essen noch nie herausgezögert worden. Aber wir werden durch den Geschmack großzügig entschädigt – ich will hier auf jeden Fall noch einmal essen.
Auch Daijô-san ist da und ich frage ihn, wo oder wie man den Soundtrack zu „Nitabô“ kaufen könne. Er ist sich nicht sicher und fragt seinen Sohn. „Es gibt keinen zu kaufen“, sagt der.
AAAAAAAAAAAAAAAAAAARGH!
Wieder ein Traum meines Daseins dahin!

Wir fahren schließlich nach Hause. Melanie überfährt eine rote Ampel, weil die Straße frei ist und sie nicht warten will. Ich halte an und reagiere mit einer resignierenden Geste. Eine Großmutter am Straßenrand lacht vergnügt darüber.

Zuhause sehen wir uns „Kozure Ogami“ an und ich lese weiter in meinem „Pokemon“ Manga, dessen unterschwellige (sagte ich eben unterschwellige???) Sexualisierung mir hier und da die Sprache verschlägt – wie prüde erscheint mir da der Anime! Ich hege den Verdacht, das Ono Toshihiro einen Teil der existierenden Hentai Dôjinshi selbst unter einem Pseudonym zeichnet… seine Freude am Zeichnen üppiger weiblicher Formen ist unübersehbar.[1] Natürlich ist diese Vermutung an den Haaren herbeigezogen, aber ganz unwahrscheinlich ist es auch nicht – immerhin sind die (metaphorischen!) Haare vorhanden. Da befindet sich zum Beispiel auf dem Innenumschlag ein reichlich unbekleideter Shigeru/Gary. Der ist ein männlicher Charakter, ja, aber seine Körpermitte wird nur von einer vor ihm stehenden Figur verhüllt und ein Pfeil, der auf die private Gegend deutet, ist mit dem Kommentar versehen: „Er trägt eine Unterhose!“ Soll heißen: „Nein, er ist nicht nackt!“, aber der Eindruck wird erweckt. Weiterhin befindet sich auf Seite 9 des zweiten Bandes eine Stadtstraßenszene, gesehen aus der Vogelflugperspektive, und in einem der Fenster ist „Spielzeug“ zu sehen, dass definitiv nicht für Kinder ist. Auf Seite 47 im selben Band ist Kasumi/Misty dargestellt, und ihre Kleidung zeigt mehr, als sie verbirgt.
Die Amerikaner haben die Zensur zwar auf die Spitze getrieben, aber ich komme zu dem Schluss, dass der Manga in seiner Originalversion nicht für Kinder geeignet ist. Wenn ich einen guten Tag habe, würde ich sagen „Geeignet für Leser ab 13 Jahren“, aber nicht weniger.
Ich bin natürlich nicht so scheinheilig, zu behaupten, dass mich persönlich das sehr stören würde, aber ich bin auch alt genug und dieser Manga verfehlt eindeutig das offizielle Zielpublikum.


[1] „Dengeki Pikachu“ IST ein Dôjinshi und dessen Schöpfer Ono hat zur offiziellen Produktreihe keine lizenzrechtliche Beziehung.

Freitag, 07.05.2004 – Auf altem Boden

Filed under: Japan,Manga/Anime,My Life,Uni — 42317 @ 11:46

Wir haben uns einen guten Tag ausgesucht, um die Ruinen von Sannai Maruyama in Aomori zu sehen. Die Sonne scheint vom blauen Himmel, wenn auch der kräftige Wind ein wenig kühl ist. Und beinahe hätte ich den Abfahrtstermin verpasst, weil ich in mein Schrifttum so versunken war. Melanie holt mich im 12:31 aus der Bibliothek und ich mache mich im Dauerlauf auf den Weg zum Bus.
Die Fahrt dauert eine Stunde bei einer Entfernung von ca. 50 km. Ich nutze die Zeit, um das Handout von Hugosson zum Thema NGOs, NPOs usw. zu lesen. Es handelt sich um einen Auszug aus seiner Doktorarbeit und die Angelegenheit liest sich dem entsprechend „spannend“. Die Angelegenheit ist sogar doppelt langweilig, weil mich eingehendere Wirtschaftsstudien nicht die Bohne interessieren. Das letzte Drittel braucht genauso viel Zeit wie die vorangegangenen Abschnitte zusammen, weil ich mich kaum noch konzentrieren kann und die Erläuterungen dreimal lesen muss, um sie zu verstehen. Ich gleite oft genug nur noch mit den Augen über die Zeilen, sehe die Wörter, erfasse aber den Sinngehalt nicht mehr.

Wir kommen dann endlich an und man weist uns einen älteren Herrn als Führer zu. Es handelt sich um einen freiwilligen Helfer, direkt passend zu meinem Text eben, der über ein überraschend gutes Englisch verfügt.
Man kann schnell erkennen, dass die Reste des Stadions, das hier errichtet werden sollte, zum Fund der Siedlung geführt hat und auf den Luftaufnahmen noch zu sehen war, längst entfernt worden sind. Und das, was man hier von der 7000 Jahre alten Anlage besichtigen kann, ist eigentlich nur ein geringer Teil dessen, was tatsächlich vorhanden ist. Man hat vor ein paar Jahren alles ausgegraben, analysiert und erfasst und anschließend wieder eingegraben, um das Material vor dem Einfluss von Wind und Wetter zu schützen. In Europa hätte man wohl alles offen gelassen und die Anlage überdacht.

Die Größe der Siedlung ist dabei der Umstand, der es notwendig machte, die Geschichtsbücher umzuschreiben. So war man bisher davon ausgegangen, dass die Dörfer der damaligen Jäger- und Sammlerkultur nicht mehr als einige Dutzend Menschen beherbergt haben dürften, weil es noch nicht möglich war, Nahrungsmittel effektiv zu lagern oder überhaupt anzubauen. Damals gab es noch keinen Reisanbau – womit der Besuch dieses Freilichtmuseums streng genommen das Thema des Seminars verfehlt. Die Ausgrabungen haben aber aufgezeigt, dass hier etwa 500 Menschen zur gleichen Zeit gelebt haben. Die Müllhalden der damaligen Bewohner legen Zeugnis darüber ab, dass die Gewässer fischreich genug waren, um eine solche Anzahl von Menschen zu ernähren und auch noch weitgehend auf das Jagen verzichten zu lassen. Man findet kaum Überreste von Landtieren in den Abfallhaufen, und das, obwohl die Siedlung etwa 1400 Jahre lang bestanden haben dürfte, bis ein globaler Klimaumschwung zu einer Abkühlung führte, die die Winter strenger machte und die Küste nach und nach auf ihren jetzigen Stand einige Kilometer weiter nördlich verlagerte. Der Meeresspiegel sank um fünf Meter, und 80 % dessen, was heute die Stadt Aomori ist, wurde damals vom Wasser erst freigegeben.
Trotz der an sich großzügigen Natur war die Kindersterblichkeit hoch, die Angaben schwanken zwischen 60 und 80 %. Kinder bis zu drei Jahren wurden übrigens in speziellen Tongefäßen beerdigt. Nach zwei Jahren grub man sie wieder aus, säuberte die Gebeine und beerdigte sie aufs neue, während Erwachsene in Erdkuhlen gelegt wurden und ein paar Beigaben erhielten, dann aber nicht mehr „bearbeitet“ wurden.

Interessant ist auch der etwa 20 m hohe Turm. Er besteht aus zwei „Stockwerken“ (ohne Leiter oder ähnliches allerdings) an vier dicken Baumstämmen. Es handelt sich natürlich um eine Rekonstruktion; der eigentliche Fundplatz befindet sich einige Meter weiter in einem der kleinen Gebäude, die die wichtigsten Stücke oder Fundstellen vor Umwelteinflüssen schützen. Das Original, bzw. die Vorstellung davon, sorgt bei Archäologen gewissermaßen für schlaflose Nächte, weil erstens Baumstämme dieser Größe in Japan sehr selten waren und  sind (das Rohmaterial für die Replik stammt aus Sibirien), weil zweitens das damalige Werkzeug kaum zugelassen haben dürfte, solche Stämme zu bearbeiten, und weil drittens niemand eine Vorstellung davon hat, wie die Stämme aufgerichtet worden sein könnten. Schließlich handelt es sich um mehrere Tonnen Holz. Eines dagegen ist sicher: Es handelte sich nicht um einen Wachturm im kriegerischen Sinne. Es scheint sehr friedlich zugegangen zu sein in dieser Gegend. Keiner der Knochenfunde weist Spuren von Waffengewalt auf. Man geht davon aus, dass es sich um eine weit sichtbare, künstliche Landmarke gehandelt hat. Das senkrechte Aufrichten von kleineren Konstrukten jedoch scheint bereits kein Problem gewesen zu sein: In dem kleinen Museumsgebäude entdecke ich ein einfaches, aber nichtsdestotrotz effektives Senkblei – ein Stein von ca. 500 g an einer Schnur aus Flechten. Zum Schluss werden noch ein paar Gruppenfotos gemacht und ich sehe mir vor der Rückfahrt noch einen kurzen Werbefilm über die Anlage an.

Man hat von dem Gelände übrigens einen sehr schönen Ausblick auf den Berg Hakkôda („Acht-Affen-Feld“). Unser Führer erzählt uns auch eine interessante Geschichte dazu, von der Kashima-sensei sagt, sie sei in Japan sehr bekannt. Im Winter des Jahres 1903 (er sagte eigentlich „zwei Jahre vor dem Krieg mit Russland“, aber ich will von meinen Lesern nicht zu viel verlangen) hatte das örtliche Regiment auf dem Berg den Winterkampf geübt und dabei 100 Mann durch Wettereinflüsse verloren.

Zurück in Hirosaki will Melanie eigentlich mit mir ins Kino, um „Crayon Shin-chan: Kasukabe Boys“ anzusehen, aber leider hat ausgerechnet heute jemand ihr Fahrrad geklaut – das Rad, das sie sich für 5000 Yen gekauft hat, anstatt sich eines aus den Haufen alter Räder zu nehmen, wie ich ihr geraten habe. Absperren stellt halt eine Unbequemlichkeit dar und kostet Zeit. Und Bequemlichkeit kostet Fahrräder. Wenn jemand mein Fahrrad klaut, bin ich zwar nicht begeistert, aber mir geht dadurch finanziell nichts verloren. Während sie sich dann (zusammen mit Misi, der scheinbar immer das passende Werkzeug dabei hat) auf die Suche nach Ersatz macht, besuche ich Yukiyo an ihrem Arbeitsplatz – im Schnapsladen – gegenüber vom Maruesu Supermarkt. Ich bin ja bereits seit längerer Zeit auf der Suche nach einem trüb-weißen Sake, dessen Existenz bisher von allen verneint worden war, die ich gefragt hatte, auch von Leuten mit Japan-Erfahrung und auch Japanern. Aber Yukiyo hat ihn für mich gefunden. Das Zeug heißt „Nigori Sake“ (= „trüber Sake“, einfacher geht’s nicht) und ist bestimmt nicht jedermanns Ding. Man muss das Getränk schütteln, um die staubartigen Bestandteile aufzuwirbeln. Man spürt die Schwebeteilchen auch deutlich auf der Zunge beim Trinken. Schmeckt stärker als gewöhnlicher Sake (bei gleichem Alkoholgehalt), und der Geschmack ist meiner Meinung nach auch gar nicht schlecht – nur der Geruch ist unhaltbar. Ich bleibe lieber bei Standard-Sake. Ich nehme an, dass diese Art von Sake nicht vollständig vergoren oder gesiebt wurde.

Ich besorge mir im Maruesu eine Kundenkarte, weil es dort öfter preisreduziertes Brot gibt, als das im Beny Mart der Fall ist, und weil ich sie endlich entdecke, kaufe ich auch eine Dose „Fire – Gold Rush“ (das ist Dosenkaffee). Dann gehe ich in die Bibliothek und schreibe meine Post. Als ich fertig bin, um kurz vor Acht, fahre ich noch ins Naisu Dô und kaufe ein „Tenchi Muyô“ Artbook mit Produktionsskizzen drin. Ich setze die Fahrt fort und gehe ins Ito Yôkadô. Dort kaufe ich ein weiteres Artbook – mein erstes neues – das aus Teilen von „Dai Undôkai“, „El Hazard“, „Pretty Sammy“ und „Tenchi Muyô“ zusammengesetzt ist. Darunter befindet sich auch ein Crossover Manga „Dai Undoukai Vs. Pretty Sammy“. Ich stelle später beim Lesen (ja: Lesen!) fest, dass es sich hierbei weniger um ein Artbook als eher um eine Sammlung kurzer Mangastrips handelt. Mir scheint, dass es sich bei den kurzen, farbigen Szenen um Beigaben der Laserdisks handelt, aber es sind auch viele wohl „unabhängige“ in Schwarzweiß dabei. Und eine kleine CD-ROM ist auch drin. Aber da ist wohl nur das gleiche drauf, was schon im Buch drin ist. Ich sollte mir das bei Gelegenheit ansehen. Wenn ich mal Zeit habe… hahaha, Zeit! „Spässle g’macht, Witzle g’risse“, wie mein badensischer Kamerad Jordan immer zu sagen pflegte.
Die Tenchi Manga scheinen übrigens so schlecht gar nicht zu sein – man muss sie nur lesen können, weil viel von dem dargestellten Humor auf Sprache und nicht auf Bildern beruht. Und ich finde eine Übersetzung, die den Humor auch ohne Kenntnisse der japanischen Sprache rüberbringt, stellenweise unmachbar. Beispiel?

Aeka (außerirdischer Herkunft) fragt: „Was ist Hanabi?“ (Hanabi = Feuerwerk)
Ryôko (auch nicht „von hier“) scheuert ihr eine und Aeka sieht Sterne.
Tenchi: „Nein, Ryôko, das ist Hibana, nicht Hanabi!“ (Hibana = Funken)

Der Witz, der aus der simplen Verdrehung der beiden Kanji „Hi“ („Feuer“) und „Hana“ („Blume“) herrührt, kann nicht 1:1 übersetzt werden, die japanischen Begriffe müssen drin bleiben – sonst müsste der Text radikal verändert werden. Übrigens ist dieser Witz, im Rahmen der Geschichte um Tenchi, eigentlich nicht zulässig, weil man auf der Heimatwelt von Aeka erstens ebenfalls Japanisch redet und zweitens auch Feuerwerke kennt. In dem Tenchi Film „Manatsu no Eve“ wird ein solches gezeigt.
Das Lesen der Manga dauert länger als bei „Pokemon“ oder „Bôbobo“, weil hier nämlich keine Hilfszeichen gegeben sind, die mir die Lesung verraten und ein schnelles Nachschlagen möglich machen würden. Zum Glück sind die Namen der Personen derart kompliziert geschrieben, dass man sie schnell lesen lernt – sie schreiben zu lernen, würde allerdings eine ziemliche Mühe bedeuten.

6. Mai 2024

Donnerstag, 06.05.2004 – Schöner Tag, kurzer Tag

Filed under: Japan,My Life,Spiele,Uni — 42317 @ 7:00

Yamazaki behandelt das Beschreiben von Bildern unter der Prämisse, Fakten von Vermutungen strikt zu trennen. Wir sollen einen Aufsatz von 180 bis 220 Zeichen über ein Bild schreiben, auf dem ein kleines Mädchen zu sehen ist, das im Beisein zweier Erwachsener (m/w) irgendwelche Tauben vor einem Tempel füttert. Natürlich fordert das Bild kulturell bedingte Interpretationen heraus, die sich in den bislang mündlichen Beschreibungen niederschlagen. Fast alle Kursteilnehmer haben die Erwachsenen als „Eltern“ bezeichnet. Aber für diese Aussage gibt es keinerlei rationalen Beweis, also sollen wir uns schriftlich auf klar nachweisbare Fakten beschränken.

Ich gehe nach dem Unterricht meine Fotoliste durch. Ich brauche noch je ein Bild von Alex, Alexej, Yannick und Oyuna. Ich sollte das Poster endlich fertig stellen, damit ich die „Sommersemester-Version“ in Angriff nehmen kann. Ich drücke mich dazu eine Stunde lang im Center rum und stelle dabei auch fest, dass die Serie „Avenger“ inzwischen angekommen ist – hoffentlich ist sie den Aufwand und das Material wert.

Ich gehe aber bald in die Bibliothek zurück, um auf meine Daten zurückgreifen zu können, und außerdem steht ein Zug gegen Frank an. Er bestätigt mir in seiner Mail, dass mein Scharfschütze Zick wohl einen britischen Zugführer erschossen und damit bei dessen Gruppe arge Panik ausgelöst hat. Danach schreibe ich noch zwei Berichte, im Beisein von Mei, die auf dem Stuhl neben mir landet. Es ist vielleicht nur so ein Gefühl, aber… sollte ich sie mal fragen, ob sie zugenommen hat, seit sie in Japan ist? Sie kommt mir nicht mehr so mager vor wie noch zu Beginn des Winters. Aber wahrscheinlich haut sie mir den Stuhl um die Ohren, wenn ich das wage.

Kazu kommt auch noch dazu und mosert, dass ihr Aufsatz für Phillips einfach nicht fertig werden will. Sie hat momentan auch eine Reihe von ärztlichen Untersuchungen laufen, die feststellen sollen, ob ihr empfindlicher Magen den Auslandsaufenthalt in Trier auch wirklich mitmacht.

Ich sehe mir eine Episode von „Area 88“ an, dann kommt Jû vorbei. Er habe während der freien Tage nur auf der faulen Haut gelegen, sagt er. Ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass er das kann und gebe zurück, ich hätte auch nur gelesen und eine Handvoll Vokabeln gelernt. Was für eine Art Arbeit er später machen wolle, frage ich ihn, und er weiß es genauso wenig wie ich, mit dem Unterschied, dass ich eine vage Vorstellung von Staatsdienst und er von Privatwirtschaft hat. Der klammheimlich abgereiste David Teixera, der will Journalist werden, am liebsten in London, wie er sagte – der Mann hat einen Plan, was ich irgendwo beneidenswert finde.

Ich habe wahrscheinlich noch nicht erwähnt, woran man Japaner von Chinesen und Koreanern in der Bibliothek todsicher unterscheiden kann, ohne dass sie den Mund aufmachen müssen. Das geht so: Wenn ein Koreaner oder Chinese den Computer anschaltet, dann wartet er, bis der Auswahlbildschirm erscheint, auf dem man zwischen Linux und Windows wählen kann. Windows ist automatisch eingestellt, und man hat zehn Sekunden Zeit, auf Linux umzuschalten, wenn man das wünscht. Er drückt also nach einer knappen Sekunde einfach „Boot“ (in diesem Kontext: „Laden“) und kommt so zu seinem Windows Nutzerprofil.
„Der Japaner“ dagegen sitzt vor dem Monitor, hat keinen Dunst, was „Boot“ bedeutet und wartet, bis die Warteleiste voll ist und der Computer von alleine hochfährt. Und den Umgang mit den Windows Programmen hat denen auch keiner gezeigt. Da sitzt hier neben mir tatsächlich einer vor Excel, dem Tabellenprogramm, gibt seine Zahlen ein und packt dann den Taschenrechner aus, um die Ergebnisse auszurechnen, weil er überhaupt keine Ahnung davon hat, wie man das Programm dazu bringt, die entsprechenden Felder vom Computer ausrechnen zu lassen. Glaubt der, dass die Segnungen von Excel daraus bestehen, dass man ein wunderschönes Gittermuster als Vorlage erhält?

Nachdem Jû gegangen ist, nehme ich mir die Zeit und spiele eine Runde Combat Mission, dann gehe ich wieder ins Center, weil ich Fotos von der Jieitai-Vorführung verschicken will. Aber das Internetprogramm des erforderlichen Rechners (alle drei vorhandenen Programme, um genau zu sein) streikt und die Angelegenheit hat sich erledigt. Die Daten müssen auf einen besseren Rechner – ein eigener Memorystick, das wäre mal was! Aber man muss die Zähne zusammenbeißen, wenn man einen Anzug für ca. 375 E haben will. Ich bleibe bis Acht im Center und schreibe noch was ins Forum, bevor ich nach Hause gehe. Hm… mir scheint, ich verliere so langsam das Interesse an der Sporthalle. Vielleicht sollte ich auch einfach meine Zeit besser planen? Aber darin war ich noch nie gut.

Zuhause sehen wir uns die erste Episode der zweiten Staffel von „Kozure Ogami“ an und eine Episode der dritten „TRICK“ Staffel. Es handelt sich wohl jeweils um die Wiederholung vom letzten Winter, auf einem weniger lukrativen Sendeplatz am frühen Nachmittag, der mit weniger Werbung auskommt.

5. Mai 2024

Mittwoch, 05.05.2004 – SPAM in die Pfanne

Filed under: Filme,Japan,My Life — 42317 @ 7:00

Am „Kodomo no Hi“ scheint endlich mal die Sonne. Allerdings ist das Lotterleben heute vorbei, weil ich noch Vokabeln lernen und Texte lesen muss. Ich werde vor Abend wohl kaum aus dem Haus kommen. Und um das vorweg zu nehmen: Letztendlich komme ich gar nicht weg. Die Arbeiten halten mich lange genug auf, und Melanie geht für zwei Stunden in den Park – um Bäume zu fotografieren. Ich mache zwischendurch kurz Pause und verspeise mein SPAM. Und SPAM ist ganz hundsgewöhnliche Dosenwurst. Und keine besonders gute noch dazu. Ich kann andere Wurstkonserven, wie man sie im heimischen GLOBUS kaufen kann, weit mehr empfehlen, und sogar die Dosenwurst der Bundeswehr war um Längen besser.

Melanie bringt von ihrem Trip auch gleich wieder zwei Filme mit: „Session 9“ und „Predator 2“.
Bei „Session 9“ handelt es sich nicht um den neunten Teil einer Filmserie, nein, es ist ein Einzelstück, ein US Streifen, in dem jemand Tonaufnahmen von Sitzungen (= „Sessions“) einer Psychotherapie anhört, eine nach der anderen, und die neunte Aufnahme, daher der Name, bildet halt die Untermalung für den Höhepunkt.
Es geht in dem Film um eine Gruppe Facharbeiter, die Asbest aus einer vor Jahren geschlossenen Anstalt für psychisch Kranke entfernen sollen. Die Firma braucht den Job, also verspricht der Chef dem Verwalter der leer stehenden Anlage, die Arbeit in einer Woche beendet zu haben, von der andere sagen, dass man dafür drei Wochen benötige. Allein durch das räumliche Setting hat der Film also bereits eine schön-schaurige Grundstimmung. Natürlich entpuppt sich am Ende einer der Männer als mordendes Stressopfer und alle kommen zu Tode. Guter Film, würde ich sagen, solide Qualität. Ich würde ihn vielleicht nicht kaufen, aber ansehen lohnt sich in jedem Fall.

Über „Predator 2“ muss ich nicht viel Worte machen. Weniger kultig als der erste Teil, aber immer noch einer der besseren Actionfilme. Und damit ist der Tag auch schon quasi gelaufen. Ich wiederhole noch einmal die Vokabeln und beende meine Hausaufgaben, bevor ich schlafen gehe. Mein Magen rumort dazu lustig im Takt und ich behaupte, dass es am SPAM liegt. Diese widerliche Wurst kommt auf die Ausschlussliste.

4. Mai 2024

Dienstag, 04.05.2004 – Regnen statt feiern

Filed under: Filme,Japan,My Life — 42317 @ 7:00

Was sind denn das hier für Feiertage? Es regnet ja die ganze Zeit! Davon habe ich doch nichts. Ich bin ungeheuer froh, dass ich (noch) genug zu lesen habe, sonst würde ich am Ende noch unbegrenzt dem weitgehend hirnlosen TV-Programm anheim fallen.

Mein letzter (japanischer) Kugelschreiber hat gestern den Geist aufgegeben und ich war bisher nicht in der Lage, mir einen neuen zu finden. Ich werde einen neuen kaufen müssen – ein unerhörter Vorgang! Im 100 Yen Shop gibt es Fünferpacks zu kaufen, so weit ich weiß, also warum nicht? 100 Yen sind nicht viel. Damit warte ich aber noch, bis mich dann ein paar vergessene Dinge in den Supermarkt zwingen. Ich komme also unweigerlich am 100 Yen Shop vorbei.
Ich entscheide mich aber schließlich gegen den Fünferpack, weil da auch rote Schreiber drin sind, und die brauche ich nicht. Ich nehme stattdessen einen einzelnen Schreiber, weil er eine ziemlich große Mine hat, der sollte dann ja wohl eine Zeitlang reichen. Zuhause stellt er sich dann als Flop heraus – er funktioniert, aber es handelt sich um einen so genannten „Gelschreiber“. Die schreiben deutlich, aber auch ziemlich feucht und die Schrift wird schnell verschmiert. Melanie gefallen diese Dinger und ich tausche ihn gegen einen Kugelschreiber, den sie von der Universität hat.

Wir schauen uns den Film „Changing Lanes“ an. Schlecht ist er nicht, dieser Streifen mit Ben Afflek und Samuel Jackson, aber er ist auch recht simpel gehalten: Eine Absage an Lug und Trug der Großfinanz und der Anwälte, die dafür bezahlt werden, dass die Reichen noch reicher werden, anstatt für Recht und Gerechtigkeit einzutreten. Es wird auch sehr schön vorgeführt, dass man per Computer einen Menschen quasi seiner Existenz berauben kann, indem man seine Kreditkarte und sein Konto sperrt und gegenüber seinen Versicherungen seine Zahlungsunfähigkeit erklärt. Aber der Film bedarf keiner weiteren Beschreibung.

Danach sehen wir uns auch noch „Matrix Revolutions“ an, und darüber gibt es inhaltlich sogar noch weniger zu sagen, nicht zuletzt wegen der internationalen Bekanntheit des Films. Ich möchte also auf den Inhalt nicht weiter eingehen, sondern gehe gleich zu meinem persönlichen Kommentar über: Ich empfand den Film als überflüssiges Nachfolgeprodukt des Kultfilms „Matrix“, noch unnötiger als der zweite Teil, der ein Sequel ja leider notwendig gemacht hat. Wir sehen hier eine Ausreizung des Themas in Form von hochtechnischen und astreinen Spezialeffekten ohne großen Inhalt, in der die im ersten Teil noch revolutionär und innovativ erscheinenden Kameratechniken, nicht zuletzt, weil sie in den vergangenen Jahren durch so ziemlich jeden Kakao gezogen worden sind, zur ungewollten Lachnummer verkommen. Der Film kommt mir stellenweise wie eine Parodie seiner selbst vor. Er reiht sich ein in die „Hall of Fame der Produktionen, die man besser sein gelassen hätte“.

Ich wende mich dann wieder dem Lesen zu und beende den Latour bis um 23:50. Ich glaube, ich sollte mir „See no Evil“ von Robert Bear zulegen. Und das noch vor „Clash of Civilizations“.

3. Mai 2024

Montag, 03.05.2004 – Golden Week

Filed under: Filme,Japan,My Life — 42317 @ 13:01

Die „Goldene Woche“ ist über uns hereingebrochen, eine Aneinanderreihung von Feiertagen: „Genpô Kinenbi“ (was sich für mich wie „Zahltag“ anhört), „Kokumin no Kyûbi“ („Volksfeiertag“) und schließlich „Kodomo no Hi“ („Kindertag“). Trotz des Feiertages fahre ich zur Uni – versuchen kann man es ja mal. Aber die Bibliothek ist geschlossen. Ohne anzuhalten fahre ich dann zurück nach Hause und vertiefe mich wieder in meinen Latour. Wir essen dann am späten Nachmittag den gestern bereits erwähnten Kartoffelsalat und beginnen mit dem TV-Programm.

Als erstes haben wir hier „Memento“. Es geht dabei um einen Mann, der nur noch über ein Kurzzeitgedächtnis verfügt, seit er (und seine Frau) scheinbar Opfer eines Überfalls geworden waren, bei dem er offenbar eine Gehirnverletzung davongetragen hat. Alles, was sich bis zu diesem Zeitpunkt abgespielt hat, weiß er noch, aber danach hat sein Gedächtnis nur eine Spanne von jeweils wenigen Minuten. Seine Frau ist offenbar tot und er bastelt sich anhand von Notizen den Weg zum Täter. Er hat eine Aktenmappe voll Material und außerdem Tätowierungen am ganzen Körper, die die wichtigsten Fakten darlegen. Da der Weg zum Täter in die Vergangenheit führt, läuft auch der Film gewissermaßen rückwärts. Er besteht aus einer Reihe von Erinnerungssequenzen, die in umgekehrter Reihenfolge abgespielt werden. Und um die Sache so richtig verwirrend zu machen, laufen andere Szenen des Films in der „richtigen“ Reihenfolge ab. Man bemerkt irgendwann, dass die beiden Zeitlinien aufeinander zu laufen und sich an einer bestimmten Stelle, natürlich für den Klimax, vereinigen. Damit man aber nicht völlig verrückt dabei wird, laufen die „Rückwarts-Sequenzen“ in Farbe und die „Vorwärts-Sequenzen“ in Schwarzweiß ab. Guter Film. Lohnt sich zu kaufen.

Dann sehen wir uns die Aufnahmen vom Wochenende an. „Zorori“, „Pretty Cure“, „Shin-chan“, „Bôbobo“ und natürlich „SailorMoon“. Und da kommt sie, die Konkurrenz für Minako! Eine hinterlistige und falsche Schlange, die darauf bedacht ist, Usagi in Misskredit zu bringen, weil diese ihr nicht wie die anderen Schüler der Klasse zu Füßen liegt (meint man jedenfalls). Es wäre auch das erste Mal, dass Usagi sich von Äußerlichkeiten dazu verleiten ließe, bestimmte Menschen anders zu behandeln als alle anderen. Und die Kontrahentin sieht auch so richtig passend für diese Rolle aus! Ich muss meinen Blick vom Bildschirm abwenden, so entsetzlich sieht diese Person aus. Haha, Scherz am Rande. „LSD nach eigenem Ermessen“ sagten wir bei der Bundeswehr damals. Obwohl das eigentlich nicht stimmt… der Charakter macht einen hinterhältigen und verschlagenen Eindruck, weniger wie „auf Droge“. Gutes Mienenspiel, würde ich sagen. Das einzig bedeutende Element am Rest der Episode ist das „Monster der Woche“. Das Ding ließ sich auch durch die geballte Macht der Sammelattacke der Senshi (mit Ausnahme der eigenbrötlerischen Minako/SailorVenus, die mal wieder nicht erschienen ist) nicht vernichten und konnte sich ins Negaversum zurückziehen.
Es wurde auch nicht preisgegeben, was Nephlyte in seinem neuen Dasein als Renegat so treibt. Aber Zoisyte hat ja offenbar keine gesellschaftlichen Probleme deshalb, von daher sollte man sich um den Rotschopf keine Gedanken machen.

Uh, es gibt doch noch ein Highlight in der Episode! Szenenwechsel nach London – Mamoru erhebt sich aus den Federn und präsentiert seinen nackten Oberkörper, während er mit Hilfe des Spiegels mit Zoisyte redet. Meine Güte, ein Spargeltarzan! Wenn ich kräftig huste, bricht es ihm vermutlich ein paar Rippen. Zoisyte nennt ihn weiterhin „Master“ und belegt ihn dabei mit einem derart leidenschaftlichen Blick, dass alle Flamencotänzer neidisch werden und man meinen könnte, er wolle ihn im nächsten Moment anfallen. Wir haben dabei nicht wenig gelacht.

Schließlich lese ich noch bis 01:00. Ich sagte ja, dass der Inhalt des Buches mich fesselt. Aber mein Tagebucheintrag muss noch sein – Schluss ist dann um 01:40.

Sonntag, 02.05.2004 – SPAM

Filed under: Bücher,Japan,My Life — 42317 @ 12:58

Auch heute hat die Bibliothek geöffnet und ich nehme das Angebot natürlich wahr. Der Bericht über den 25.04. steht heute an und er wird sieben Seiten lang. Er offenbart auf wunderbarste Weise meine Interessen in einer Jahreszeit, wo andere die Schönheit blühender Kirschbäume besingen und unsagbar viele Fotos davon machen. Ich glaube, ich selbst habe vielleicht ein halbes Dutzend Bilder von Bäumen gemacht, wenn ich großzügig schätze. Kirschbäume habe ich auch zuhause, zwei davon in Steinwurfweite hinterm Haus, und die Eigenschaft der japanischen Bäume, ohne grüne Blätter zu blühen, stellt für mich keine ästhetische Glanzleistung dar. Für mich gehört Laub dazu. Es sieht einfach natürlicher (= „schöner“ für meine Begriffe) aus, auch wenn ein „Tunnel“ aus Kirschblüten im Park schon etwas Besonderes ist. Dennoch ist ein solcher Tunnel „künstlich“ – und dieser Begriff hängt sowohl mit „Kunst“ als auch widersprüchlich mit „Natur“ zusammen.

Der Bericht schreibt sich ziemlich flott und ich habe sogar noch Zeit, mich im Animetric Forum umzusehen und auch eine Blitz-Runde Combat Mission zu spielen, bevor ich mit Melanie nach Hause gehe. Allerdings sind noch ein paar Einkäufe zu machen, und ich muss das längst überfällige Bad putzen, während Melanie sich um das Essen für die nächsten beiden Tage kümmert. Kartoffelsalat sollte Zeit zum ziehen haben.

Ich besorge mir im BenyMart eine Dose SPAM. Dieser Mailaccount-Albtraum von heute ist die gepresste Dosenwurst von gestern. Ich finde allerdings noch nicht die Gelegenheit, mein SPAM zu verspeisen. Die Dose wird sich ganz hervorragend in meinem Regal machen. Wer hat schon eine SPAM Dose? Natürlich sieht sie so langweilig aus wie andere Wurstdosen auch, aber diese Wurst heißt halt SPAM.

Ich lese schließlich den Latour weiter. Habe ich bereits erwähnt, dass ich die Schreibkunst dieses Mannes bewundere? Seine Darstellung der Vorgänge und Verhältnisse auf dem Globus zwischen Kabul und Tel Aviv vermitteln den (wahrscheinlich durchaus realistischen) Eindruck, dass dauerhafter Frieden und Demokratie nur schöne Rhetorik bleiben und internationalen Wirtschaftsinteressen zum Opfer fallen werden. Das ist sehr ernüchternd, aber doch fesselnd geschildert und garniert mit seinen Erfahrungen aus dem vergangenen halben Jahrhundert, von denen er nur seine Zeit als Chefredakteur des STERN bedauert, wie man aus den Zeilen herauslesen kann. Schließlich döse ich aber immer öfter ein und gehe lieber schlafen.

1. Mai 2024

Samstag, 01.05.2004 – Bye-bye, Dave

Filed under: Japan,My Life — 42317 @ 7:00

Zu meiner großen Überraschung finde ich die Bibliothek heute offen vor. Natürlich habe ich nicht damit gerechnet, ausgerechnet in Japan einen „Tag der Arbeit“ vorzufinden, aber ich dachte, dass man so kurz vor den Feiertagen das ganze Wochenende „blaumachen“ würde. Ich kann also drei, wenn auch kurze, Berichte schreiben und spiele einen Zug Combat Mission gegen Frank. Nachdem der Fahrer Krämer bereits sein Leben lassen musste, hat es heute auch den Späher/Scharfschützen Lieblang erwischt.

Um 17:00 macht die Bibliothek dann wieder zu und ich fahre ins Ito Yôkadô, hauptsächlich, um Zeit totzuschlagen. Ich ergänze meine laufende CD-Bestellung um die „Area 88“ Single, die interessanterweise bereits ab dem 08. Mai lieferbar ist. Hier ist keine Rede von Verzögerungen wegen der „Golden Week“. Ich gebe jedoch an, meine beiden Bestellungen zum gleichen Zeitpunkt, am 15. Mai, abholen zu wollen, und gehe dann in den Buchbereich. Eine Bekannte hat mich ja gebeten, mich nach einem bestimmten Artbook von Tanemura Arina umzusehen, aber es ist nicht vorrätig. Stattdessen entdecke ich ein weiteres Artbook, das eine Art Crossover verschiedener Anime von Pioneer zu beinhalten scheint, „Dai Undôkai“, „El Hazard“, „Pretty Sammy“ und „Tenchi Muyô“. Ich bin versucht, es zu kaufen, aber ich lasse es vorerst. Das will ich erst noch überdenken.

Stattdessen fahre ich ins Naisu Dô – von dem ist demnächst übrigens nur noch die Hauptstelle übrig. An dem kleinen Laden unweit meiner Wohnung hängt ein Hinweisschild, dass man ab dem 05. Mai schließe. Obwohl das Ding im Dezember erst renoviert worden ist? Die Profite waren wohl nicht so das Wahre, fernab der Innenstadt. Natürlich gibt es deshalb Preisnachlässe und so weiter, aber wenn ich erst gar nicht hingehe, komme ich wohl am billigsten weg. Und was ich brauche, liegt eh hier in der Hauptstelle. Ich habe mir vor langer Zeit zwei Artbooks zurückgelegt, „Mamono Hunter Yôko Final“ und „Shin Tenchi Muyô“. Yôko ist noch da, aber Tenchi hat mir jemand vor der Nase weggekauft – kuyashii! Sehr schade, aber ich habe mir ja auch ewig Zeit gelassen. Viel Wahl hatte ich ja nicht. Das erste Quartal war finanziell ziemlich eng. Ich kaufe also, was noch da ist, und dann sagt die Uhr auch schon „Aufbruch!“. Um 18:40 soll ich ja Melanie und Alex vorm Haupttor treffen.

Als ich um 18:41 ankomme, stelle ich überrascht fest, dass die komplette Mannschaft da angetreten ist, die von Dave zu seiner Abschiedsfeier eingeladen worden, bzw. dieser Einladung gefolgt ist, und Dave ist auch da. Von denen, die kommen wollten, ist nur ausgerechnet Alex nicht da. Wir fahren also um 18:45 ohne ihn los, aber eine Minute später holt er zu uns auf. Er ist vom Park die Strecke hierher gefahren, um mich und Melanie zu dem betreffenden Restaurant (in dem Dave offenbar mal gearbeitet hat) zu bringen. Der Umweg war leider völlig umsonst, weil keiner von uns dreien wusste, dass das Haupttor der allgemeine Treffpunkt sein würde, und Dave kennt den Weg natürlich ebenfalls. Auf dem Weg schafft es die Spitze der Kolonne (man bemerke: Dave und Alex) allerdings doch tatsächlich, sich zu verfahren. Nur hundert Meter weit eine falsche Abbiegung hinein – aber bei der Ortskenntnis, die die beiden haben, ist das beachtlich und schon fast lächerlich. Ich glaube, es ist unmöglich, sich in Hirosaki zu verfahren, wenn man länger als zwei Monate da ist. Mann nimmt den Berg Iwaki als Orientierungspunkt und kommt zwangsläufig nach nicht allzu langer Zeit irgendwo vorbei, wo man sich wieder auskennt. Ich glaube, sogar Trier ist komplizierter.

Das Restaurant „Al Porto“ befindet sich im hintersten Winkel der Einkaufspassage „Renaissance Center“. Wenn man nicht weiß, dass es da ist, kommt man niemals auf die Idee, da hinten noch ein Restaurant zu vermuten. Das Ambiente ist italienisch und das Menü festgeschrieben. Aha. Professor Carpenter, Davids Mentor in Japan, ist ebenfalls eingeladen und bereits anwesend, und er übernimmt das Einsammeln des Kostenbeitrags: 2000 Yen pro Nase. Das ist nicht wenig, bedenkt man, dass ich mich im Yakiniku MooMoo für bereits 1500 Yen um den Verstand fressen kann. Ich hoffe mal, dass ich für mein Geld auch was geboten bekomme.
Zuerst einmal wird Bier auf den Tisch gestellt. Nicht, dass ich welches mögen würde (und es gibt wenig später auch Rotwein), aber die Servierweise mutet mir arg seltsam an. Das Bier wird in offenen Literkrügen auf den Tisch gestellt, und jeder kann sich nehmen, was er braucht. Dann sollte man sich aber auch beeilen, weil Bier doch in kürzester Zeit absteht. Die nicht-deutschen Gäste scheint das wenig zu stören, und es scheint, dass sich die Krüge auch schnell genug leeren. Mir steht trotzdem der Mund offen. Der Rotwein ist ein „Monte Pulciano“ von 2001, und der ist bei weitem nicht so sauer, wie ich das von trockenem italienischem Landwein gewohnt bin. Trinkt sich wirklich angenehm.

Dann kommen Servierplatten mit Keksen auf den Tisch. Auf den einen liegt ein Stückchen Rindfleisch, mit ein paar Streuseln Oregano und einem wenig feierlich anmutenden Klecks… Tomatenketchup garniert. Aber auf der anderen Hälfte des Keksangebots liegt jeweils ein Stück Weichkäse, dessen aromareiche Rinde mir das Wasser in den Mund treibt. Und der Käse hält, was sein Geruch verspricht. Ich hätte mir am liebsten gleich die ganze Platte zu Gemüte geführt, aber Melanie spart bei solchen Gelegenheiten nie mit strafenden Blicken. J
Anschließend gibt es dünnen, gebackenen Ciabatta Teig mit Oliven, geraspelten Chilis und feinem Knoblauch, sowie die allseits bekannten Weißbrotscheiben mit geschmolzener Knoblauchbutter. Die Ciabatta Zubereitung ist einigen bereits zu scharf. Alex gibt seiner Überraschung Ausdruck und sagt, es sei das schärfste, was er seit längerer Zeit gegessen habe. „Du Memme!“, lache ich ihn aus. Alex versteht Spaß.
Vor dem Hauptgericht gibt es noch eine Portion Hasenfutter. Ein besserer Ausdruck ist natürlich „Gemüseplatte“. Es handelt sich dabei um Rohkost in Form von Karotten, Rettich und Salatgurken, in fingerlange Streifen geschnitten, die man dann in die ebenfalls vorhandenen milden Dip-Soßen tunken soll. Ich esse einen Streifen Karotte und einen Streifen Gurke, probiere den Rettich (schmeckt furchtbar) und belasse es dabei. Gemüse ist gut für Hasen, Hasen sind gut für mich. Alex bemerkt an dieser Stelle allerdings, dass es in Japan zwar Hasen gebe, dass diese aber nicht gegessen würden. Einen Grund kann er mir nicht nennen, offenbar ist einfach noch keiner auf die Idee gekommen, einen Hasen zu servieren. Ich nehme nicht an, dass die Gründe schwerwiegend sind, denn schließlich wurden in Notzeiten auch Katzen und Hunde gegessen, und Hungerzeiten waren in Japan nicht selten.
Das Hauptgericht besteht – wer hätte das gedacht – aus Spaghetti, aber davon gibt es immerhin zwei Sorten. Einmal mit einer Schinken-Sahnesoße (die vielleicht etwas flüssig geraten ist, aber ganz hervorragend schmeckt) und dann mit einer ebenso guten, wenn nicht besseren, Muschelsoße.
Zum Schluss gibt es dann wieder Kekse und Käse, diesmal aber getrennt, und das Interesse am Käse ist in meiner Hälfte vom Tisch so gering, dass eine Extraportion für mich übrig bleibt. Den Edelschimmel hat sich ein mutiger Japaner genommen, und den kann er von mir aus haben. Edelschimmel ist auch erst interessant, wenn er schon zwei Wochen im Schrank liegt.

Die vorgesehene Menge „Monte Pulciano“ ist irgendwann alle, und stattdessen kommt ein kalifornischer Rotwein auf den Tisch, dessen Name ungenannt bleibt. Vielleicht ist das auch besser so, denn das Zeug würde in Deutschland wohl noch als „Pennerglück“ durchgehen. Den Kalifornier hier würde ich nicht einmal zum Kochen verwenden.
„Wenn Du vorher genug getrunken hättest, wäre es Dir egal, wie der Wein schmeckt“, sagt Alex, und ich bekomme eine Idee davon, was anno dazumal auf der biblischen Hochzeit gelaufen sein muss, auf der Jesus angeblich Wasser in Wein verwandelt hat: Die waren wahrscheinlich alle so sternhagelvoll, dass sie den Unterschied nicht mehr bemerkt haben.[1]

Mit der Qualität des gebotenen Menüs bin ich, abgesehen von dem Ausrutscher beim Wein, vollauf zufrieden, aber die Quantität lässt zu wünschen übrig. Ich befinde mich in einem Zustand am Rande von „satt“, aber ich hätte meinen Anteil ganz bequem noch einmal essen können. Alex sagt auch, dass es beim letzten Mal, im vergangenen Jahr, noch mehr gegeben habe. Stelle fest: 2000 Yen sind ein recht gewagter Preis. 1500 wären in Ordnung gewesen, aber die 2000 akzeptiere ich in erster Linie noch wegen der Zugabe von Getränken.
Wegen des Preises ist auch ein gehöriger Teil der in Hirosaki vertretenen Gruppe nicht erschienen. Misi, Irena, Glenn, Valerie, und Marc sind nicht da, ebenso keiner der mir bekannten Chinesen und Koreaner, mit Ausnahme von SangSu, der gelobt, heute nur mäßig zu trinken, weil der Weg zu weit sei, ihn nach Hause zu tragen. Seine Logik erreicht heute unerreichbare Höhen.

Alex ist mit seiner Freundin erschienen, mit der er seit über zwei Jahren zusammen ist und von deren Existenz ich bisher nichts wusste. Sie hat im März ihren Abschluss gemacht und ist in den Großraum Tokyo umgezogen, wo sie als Kindergärtnerin arbeitet. Sie erzählt, dass sie nicht religiös sei, aber sie bekennt sich zu buddhistischen und shintoistischen Ritualen, also zum Beispiel Schreinbesuche an Neujahr, Schelle rasseln, Hände klatschen, Stoßgebet. Shinto sei eigentlich gar keine Religion, sagt sie, sondern nur eine Naturphilosophie. Alex ergänzt, dass sie bald zum orthodoxen Christentum konvertiere, damit er sie heiraten könne. Das verwirrt mich ein wenig, da ich nicht annehme, dass das eine Grundvoraussetzung ist. Ich nehme viel eher an, dass auch in Rumänien Ehen vom Staat und nicht mehr von der Kirche geschlossen werden. Der gemeinsame Gang zur Kirche ist doch nur sentimentale Schau, der mit Religion herzlich wenig zu tun hat. Aber vielleicht legt er Wert auf die Show?

Ansonsten sind da noch drei Japaner in unserem Alter, die ich nicht kenne, und einen davon bekehre ich – man verzeihe mir die Anmaßung – zum Essen der Spaghetti auf „zivilisierte“ Art und Weise: Mit Gabel und Löffel. Er stellt auch sofort überrascht fest, dass das so viel einfacher geht, weil man keinen langen „Spaghettischwanz“ mehr in den Mund hineinziehen muss und so auch keine Soße in der Gegend verteilt. Mit einem anderen führe ich das übliche Smalltalk-Gespräch über unser Woher und was wir so machen, etc.
Die beiden Neuseeländerinnen essen die Spaghetti mit Stäbchen. Eve teilt ein paar Kurse mit mir, die andere ist Lehrerin in Sapporo. Die redet mit einem sehr britischen Akzent. Das habe sie ihrer Mutter zu verdanken, sagt sie. Außerdem habe sie Politik studiert, „political history“, um genau zu sein, wie sie weiter erklärt. Es ist ganz angenehm, sich mit ihr zu unterhalten, auch wenn sie schnell redet, und auch ziemlich viel. Eine lebhafte Natur, habe ich den Eindruck.
Dann wäre da noch ein Koreaner, dessen Japanisch so überzeugend ist, dass die anwesenden Japaner mit offenen Mündern da sitzen, als er schließlich seine Nationalität „bekennt“.
Am Ende des Tisches sitzen dann Professor Carpenter und eine japanische Dame um die 50, von der ich allerdings nicht herausfinde, wie sie in diesen Kreis passt. Carpenter, so erfahre ich allerdings, ist der Vorgänger von Sawada-sensei als Beauftragter für die Betreuung von Auslandsstudenten.
Mélanie ist auch gekommen. Sie ist dauerhaft mit der Japanerin beschäftigt oder mit Professor Carpenter. Es ergibt sich aber auch nicht der Bedarf, mich eingehender mit ihr zu befassen, da ich am heutigen Abend genug anderweitige Unterhaltungsmöglichkeiten habe.

Ich mache ein Foto von Dave und Oyuna. Aber ich glaube, der Blitz wird es viel zu hell machen. Von Oyuna und Alex brauche ich auch noch Porträtfotos, aber die verschiebe ich, wegen der Lichtverhältnisse, auf später, auf jeden Fall sollte es Tag sein.

Wir brechen schließlich auf und es zeichnet sich ab, dass noch ein weiteres Lokal besucht werden soll. Dafür fühle ich mich aber eine Spur zu müde. Ganz im Gegensatz zu Melanie. Sie möchte die feierfreudige Truppe auch weiterhin begleiten. Ich drücke Dave die Hand, bedanke mich für die Einladung und wünsche alles Gute, bevor ich verschwinde. Melanie wird erst am Morgen um zwei heimkommen, nach einem Besuch im SkattLand.


[1]   Die fortschreitende Verdünnung der schrumpfenden Weinreserve mit Wasser fällt dann nicht mehr auf.