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Aus dem noch unerforschten Inneren meines Schädels

3. Januar 2024

Freitag, 02.01.2004 – On the Road again

Filed under: Japan,My Life,Spiele,Sport — 42317 @ 9:15

Spätes Aufstehen verkürzt unsere möglichen Ausflugszeiten ganz erheblich. Wir wollen (sie will) einen weiteren Schrein besuchen, außerdem war im Fernsehen nach unserer Interpretation die Rede von einer Festveranstaltung im Schlosspark. Wir fahren also dorthin und durchsuchen den Park, finden aber nichts. Am Abend werden wir herausfinden, dass es sich bei der Ankündigung im Fernsehen um Werbung für eine Sendung gehandelt hat, die heute ausgestrahlt (d.h. vor wenigen Tagen aufgenommen) wurde, und nicht für eine aktuelle Veranstaltung.

Der Schrein, den wir ansteuern, ist klein, das heißt nicht nur das Gebäude an sich, sondern auch was das Gelände betrifft. Aber der Spielplatz daneben ist sehr geräumig. Melanie urteilt, dass die Mamori, die Talismane, die es hier zu kaufen gibt, sehr schön seien und lässt es sich natürlich nicht entgehen, einen davon zu kaufen. Eigentlich habe ich nicht vor, mir ein Exemplar zuzulegen, weil ich an derlei Dinge nicht glaube, aber wenn ich schon im Lande bin, kann ich ja dennoch ein wenig Geld darin investieren, um überhaupt einen solchen Talisman zu haben – Japanologie verpflichtet. Aber nicht heute.

Von dem Spielplatz aus hat man einen schönen Ausblick auf den Nordwesten der Stadt. Am Abhang des Hügels steht ein Hinweisschild, auf dem Ash Ketchum warnt, „nicht zu nah!“ an den steilen Abhang heranzutreten. Zu jeder anderen Jahreszeit (als Winter) ist es bestimmt schön hier oben, aber die blattlosen Büsche und Bäume sehen zusammen mit dem tristen Wetter wirklich traurig aus.

Wir fahren ins Ito Yôkadô, um für Ricci das von ihr gewünschte Stofftier zu kaufen. Leider ist es in der gewünschten Größe nicht mehr vorhanden, also muss ein kleineres Exemplar ausreichen. Das nächstgrößere ist ein wenig teuer. Wir fahren nach Hause. Melanie will auf dem Weg zurück noch bei Ricci anrufen, und weil das von meinem „passiven“ Telefon aus nicht geht, suchen und finden wir eine Telefonzelle, vor einem der zahlreichen kleinen Krankenhäuser der Stadt. Meine Blase drückt seit geraumer Zeit, und weil es inzwischen dringend wird, will ich die Gelegenheit nutzen, um in dem Krankenhaus eine Toilette aufzusuchen. Aber der Eingang ist verschlossen. Ich setze mich also auf mein Fahrrad, um nach Hause zu fahren, bevor ich gezwungen bin, in einem Schatten an der Hauswand zu verschwinden. Melanie hat was dagegen – ich solle auf sie warten und mich gefälligst nicht so anstellen. Da hat mein Hebel im Kopf mal wieder „klick“ gemacht und ich bin losgefahren. Und das schnell. Wie kommt sie eigentlich auf die Idee, mir zu sagen, wann ich nach Hause fahren kann und wann nicht? Ich glaub, mein Schwein pfeift! Ich bin alt genug, um das nach Dringlichkeit zu entscheiden. Das lasse ich mir doch nicht verbieten, nur, weil Melanie offenbar der Meinung ist, ich sei irgendwo an ihr festgewachsen oder umgekehrt… vor allem will ich gar nicht wissen, wie viel Strafe man hierzulande so fürs Urinieren in der Öffentlichkeit zahlt. Aber mit sinkendem Druck steigt dann aber auch meine Laune wieder und ich nehme ihr das nicht weiter übel.

Das Packpapier (um das Stofftier) des Kaufhauses werfen wir zuhause umgehend in den tiefsten Müllsack den wir haben, weil das Zeug nach angebranntem Plastik stinkt. Widerlich.

Am Abend kommt eine weitere interessante Sportsendung. Interessant deshalb, weil sie reichlich verrückt ist. Aber die Ideen gefallen mir. Da ist z.B. ein Japaner namens Noritake, offenbar ein Entertainer aus dem japanischen Privatfernsehen, und er tritt, unterstützt von einem ebenfalls japanischen Torwart, gegen Oliver Kahn im Elfmeterschießen und im „Shoot Out“ an. Im Olympiastadion in München.
Shoot Out“ bedeutet, dass man ab der 16-Meter-Linie in Richtung Tor zu dribbeln beginnt und fünf Sekunden Zeit hat, den Tormann zu umspielen und den Ball wegzutreten. Ins Tor natürlich.
Kahn gewinnt das Elfmeterschießen und Noritake das Shoot Out. Am Schluss folgt dann also noch einmal ein Elfmeterschießen, um den Sieger zu bestimmen. Kahn gewinnt, weil Noritake einen Ball an die Latte pfeffert. Kahn tat hier wohl auch sein Bestes, um seinem (japanischen) Image als beinharter „Fußballkämpfer“ gerecht zu werden. Sein Gesicht ist wie gemacht dafür, brutal auszusehen. Und offenbar erregte der Wettstreit auch in Deutschland genügend Aufmerksamkeit: Man sieht die Sportseite der BILD Zeitung, wo ein Bericht und ein großes Foto des Ereignisses dargestellt sind.

Der nächste Wettkampf ist so seltsam, dass man meinen könnte, dass nur Japaner auf eine solche Idee kommen können. Die sportliche Grundlage ist Golf. An einer vorgegebenen Linie werden nur Abschläge gemacht, während 250 Yards weiter, im Zielgebiet quasi, eine Gruppe von Baseballveteranen Aufstellung genommen hat, deren Aufgabe es nun ist, die eintreffenden Bälle zu fangen. Wer die meisten Bälle fängt, gewinnt.
Weiterhin gibt es ein Spiel gegen die Uhr. Es werden zwei Teams gebildet, zu je drei Mann; das Zeitlimit liegt bei zwei Minuten. Spieler 1 schlägt den Ball 250 Yards weit etwa dahin, wo Spieler 2 steht, und rennt los. Spieler 2 schlägt den Ball weitere 250 Yards weit zu Spieler 3, dessen Aufgabe es ist, den Ball über eine immer noch recht weite Strecke möglichst nah an das Loch heranzubringen, während Spieler 1 den Ball einlochen soll – nach einem Lauf von mehr als 500 Metern in dieser kurzen Zeit. Die Sieger erreichen das Ziel in 1:53 Minuten, während die Verlierer mehr als zwei Minuten brauchen, weil der Schlag von Spieler 2 völlig abseits gelandet war.

Donnerstag, 01.01.2004 – Affentanz?

Filed under: Japan,My Life,Spiele,Sport — 42317 @ 9:05

Das Jahr des Affen hat also heute offiziell begonnen und Melanie fühlt sich so lebendig, dass sie für heute eine Tour vorbei an mehreren Schreinen der Stadt geplant hat. Die Straßen sind frei, also kann man bedenkenlos mit den Rad fahren. Zunächst ist der Himmel allerdings bewölkt. Zehn Minuten nach Abfahrt scheint dann aber die Sonne trübe durch die Wolkendecke, nur um fünf Minuten darauf wieder zu verschwinden, um einer eiskalten Portion Schneeregen Platz zu machen. Ich freue mich tierisch über diese Entwicklung. Hoffentlich bleibt das Wetter nicht so, sonst passiert es noch, dass ich die Schreintour äußerst unangenehm in Erinnerung behalten werde.

Wir kommen an der Hauptpost vorbei, und dort offenbart sich uns ein besonderes Phänomen japanischer Dienstleistungen, und ich brauche ein paar Minuten, bis ich begriffen habe, was ich da eigentlich sehe. Da stehen zwei Herren im Dienstanzug am Straßenrand, bewaffnet mit einer großen Plastikkiste und einem noch größeren Postsack. Alle paar Sekunden hält ein Wagen, das Beifahrerfenster wird geöffnet und die Person in dem Auto übergibt ein dickes Bündel von Briefen oder Postkarten, die sofort in dem Postsack verschwinden. Dann fährt das Auto weiter, um dem nächsten Platz zu machen. Alle paar Sekunden hält ein Fahrer am Straßenrand, um Post loszuwerden.
Natürlich wird hier keine gewöhnliche Post weitergereicht. Ein „Post Drive-In“ wäre zwar ein interessantes Konzept, aber ein bisschen extravagant, denke ich. Nein, hier geht es um Grußkarten zu Neujahr. Japaner versenden unglaubliche Mengen an Neujahrsgrüßen, und ich nehme an, dass es den Rahmen der Postämter sprengen würde, wenn jeder, der Karten verschicken will, versucht, in der Nähe des Schaltergebäudes einen Parkplatz zu finden. Und wie es hier zugeht, würde es zu ernsthaften Staus im Stadtgebiet kommen, wenn jeder Absender anhalten und aussteigen müsste, um den Briefkasten aufzusuchen. Also ist diese Sammelaktion eine wirklich gute Idee. Und das Interesse ist groß. In Deutschland reicht noch nicht einmal die Weihnachtspost aus, um eine solche Dienstleistungsmaßnahme zu rechtfertigen.

Während wir noch staunend an der Straßenecke stehen und entsprechende Fotos machen, hört auch der Schneeregen wieder auf. Das beruhigt meine Nerven doch sehr. Die Sonne setzt sich wieder durch. Wir fahren die Hauptstraße in Richtung Norden entlang, ein Stück zu weit, wie wir bald feststellen, aber das tut unserer Sache keinen Abbruch, weil auf Melanies Plan so ziemlich alle Schreine im Nordosten Hirosakis stehen, also biegen wir die nächste Straße ein und fangen beim Hachiman-Schrein an, nach dem auch gleich das Stadtviertel benannt wurde. Für hiesige (= ländliche) Verhältnisse ist am Schrein die Hölle los, wenn ich mir diesen paradoxen Vergleich erlauben darf. Hier sieht es nicht anders aus als vor dem Tempel und dem Schrein gestern Nacht. Da steht eine Schlange von mehr als 50 Metern Länge und etwas mehr als zwei Metern Breite, und alle diese Leute warten darauf, ihr erstes Gebet des neuen Jahres sprechen zu können.
Jetzt muss man natürlich nicht annehmen, dass Japaner unheimlich religiös seien. Ich wage zu behaupten, dass Religion, sei es Shintô oder Buddhismus, zwar tief in der Kultur verwurzelt ist, aber in dem Bewusstsein der Menschen nur sehr oberflächlich vorhanden ist. Ich behaupte, die sind alle eher deshalb hier, „weil man das an Neujahr halt so macht.“ Die Schlange ist, verglichen mit dem Weg, schmal genug, um bequem daran vorbeigehen zu können, wenn man, wie wir beide, einfach nur mal schauen will, was hier so abgeht.
Wie jeder andere japanische Schrein verkauft auch dieser hier eine größere Anzahl von Talismanen für verschiedene Angelegenheiten; in erster Linie, wie schon der Meji-Schrein, für Gesundheit, Liebe, Reisen und natürlich Prüfungen jeder Art. Und wo ich schon von verkaufen, bzw. Verkäuferinnen spreche: hübsche junge Damen in rotweißer Tracht! Seien es nun „echte“ Tempeldienerinnen („Miko“) oder Schülerinnen/Studentinnen, die hier nebenher jobben – ich glaube, ich komme im Sommer noch mal her. Ich kann doch nicht nach Japan kommen, ohne ein Bild von einer Miko zu machen…

Wir wollen auch noch andere Schreine abklappern, und auf dem Weg zu den Fahrrädern kaufen wir „Yaki-imo“ = geröstete Süßkartoffeln. Und solch seltsame Kartoffeln habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gegessen. Die schmecken gar nicht nach Kartoffeln, und eigentlich habe ich den Verdacht, dass man diese länglichen Kartoffeln eine Woche lang in Zuckerwasser oder Honig einlegt, bevor man sie röstet. Aber die Dinger schmecken wohl tatsächlich so… gar nicht schlecht.[1] Ansonsten gibt es auch hier glasierte Bananen; und große Fleischspieße – für 400 Yen? Ich bin doch nicht meschugge… an den Dingern ist vielleicht so viel Fleisch dran, wie an zwei „normalen“ Spießen, und zwei Spieße kosten mich an der Bratbude auf dem Nachhauseweg gerade mal 140 Yen. Nee, Ihr dürft die hier ruhig behalten.

An den anderen Schreinen ist bedeutend weniger los. Weniger Leute bedeuten niedrigere Preise. Und natürlich wird der Tag nicht jünger, die meisten Leute dürften also bereits fertig sein mit ihrem Neujahrsritual. Und man merkt, dass bald die Dunkelheit hereinbrechen wird. Ich bin auch ganz froh, irgendwann wieder zuhause zu sein. Es ist mir doch zu kühl, um stundenlang mit dem Rad in der Gegend rumzugondeln, vor allem wenn ich wegen Melanie so langsam fahren muss, dass mir davon nicht warm wird.

Wir sehen uns am Abend dann eine Art Sportsendung an. „Wer ist der stärkste Mann?“ heißt die. Eine Reihe von Freizeit- und Profisportlern – und wohl auch „Profikörperkultisten“, so möchte ich sie mal nennen – treten gegeneinander in verschiedenen Disziplinen an. Die Disziplinen sind recht ausgewogen, es geht mal um Kraft, mal Technik, Ausdauer oder Geschicklichkeit. Wie es scheint, handelt es sich bei allen Teilnehmern um bekannte Gesichter aus der japanischen Sportpresse, und zum Teil auch aus dem Werbefernsehen, wie zum Beispiel ein gewisser Kane (engl. Lesung wie „Cain“) Kosugi, der hier in der Show einen weitaus weniger sympathischen Eindruck macht als in der lustigen Currywerbung, in der er auftritt. Ansonsten sind da ein Turner, ein Rugbyspieler, zwei Footballspieler, ein Baseballspieler (alle diese Leute sind Japaner), und als besondere Gäste sind unter anderem der amerikanische Kraftsportler Bob Sapp und der japanische Yokozuna Akebono Tarô dabei, der mit seinem Bart um den Mund und dem Ring am Öhrläppchen so richtig normal aussieht. Abgesehen davon, dass er 203 cm groß ist und 200 kg wiegt. Man sieht ihm die Größe wegen seiner Breite nur nicht so an. Von Bob Sapp hatte ich in meinem ganzen Leben noch nie gehört, bevor ich nach Japan gekommen bin. Hier ist er im öffentlichen Bewusstsein allgegenwärtig, als Werbeträger auf Plakaten, im Fernsehen, in den Kaufhäusern und so weiter. Es handelt sich dabei um einen riesigen Afroamerikaner von zwei Metern Größe und 170 kg reiner Muskelmasse.

Zu den Disziplinen: Da wäre zum Beispiel eine Disziplin mit der Bezeichnung „Gallon Throw“. Wer an der Reihe ist, nimmt ein mit Haltegriffen versehenes kleines Fass von 10 kg Masse aus der Halterung und nimmt Ausgangsposition ein, mit dem Rücken zu einer aufgestellten Wand. Ziel des Spiels ist, das Fass mit beiden Händen über den Kopf hinweg über diese Wand hinter sich zu schleudern. Das Spiel beginnt bei fünf Metern und die Höhe steigert sich in jedem Durchgang um 25 cm. Der Rugbyspieler gewinnt schließlich mit einer Wurfhöhe von 5,75 Metern. Akebono nimmt ebenfalls daran teil. Bob Sapp scheint sich hier zurückzuhalten.[2]

Als kleines Intermezzo werfen auch ein paar andere Gäste. Es handelt sich bei diesen um eine Handvoll Sportler, die offenbar alle irgendwann eine Goldmedaille im Hammerwerfen gewonnen haben. Es treten an (ich habe die Namen nicht alle notiert) ein Amerikaner, ein Weißrusse, ein Slowene, ein Ungar, ein Japaner und ein Russe namens Ilya Konowarow (das zumindest entnehme ich der jap. Schreibung seines Namens auf dem Bildschirm), der aussieht wie eine „Power-Version“ von Volker Greimann – in erster Linie wegen der Frisur und der Brille, aber auch die Gesichtskonturen finde ich sehr ähnlich. Leider sehe ich mich nicht in der Lage, ein Bild aufzutreiben, das diese Aussage auch untermauern könnte. Aber gut – die Jungs hier fangen bei sechs Metern Höhe überhaupt erst an und steigern in Schritten von 50 cm.
Der Japaner gewinnt den Durchgang mit 7,50 m, aber er will den Vorjahresrekord des Amerikaners (7,75 cm) schlagen und lässt 7,80 m einstellen. Er schafft sie und steigert auf acht Meter. Auch die schafft er. Und er ist klug genug, an dieser Stelle aufzuhören.

Bob Sapp nimmt an einer Disziplin teil, die „Spin Off“ heißt. Das Spielfeld ist etwa 5 x 5 Meter groß und in zwei Dreiecke aufgeteilt, eine rote und eine blaue Hälfte. In der Mitte liegt eine Kugel von 1,50 Meter Durchmesser, aus einer Art Plastik, mit einem Gewicht von einem Zentner. Aufgabe ist nun, die Kugel aus der Spielfeldhälfte des Gegners herauszurollen, also von der Matte herunter. Das Los entscheidet, wer gegen wen antritt, und es stellt sich heraus, dass „sugoi“ („super“, „toll“) offenbar das einzige Wort ist, das der gute Bob auf Japanisch beherrscht. Er zieht die Nummer „9“ und eine Stimme hinter der Kamera sagt „kyû“, was er dann wiederholt.
Wie ich bereits sagte, ist Bob Sapp ein reiner Muskelberg von zwei Metern Höhe und einem Kampfgewicht von 170 kg. Ein ehemaliger Footballspieler, wie er angibt. Der ihm zugeteilte Gegner ist, äh, 165 cm groß und 68 kg schwer. Es ist nicht schwer zu raten, wer diesen Zweikampf gewinnt… Sapp gewinnt überdies die Disziplin als Ganzes, und nur der schmale, aber blitzschnelle Turner hätte ihn beinahe den Sieg gekostet.

Ansonsten gibt es u.a. Bockspringen, ab 150 cm bis auf drei Meter Höhe, was natürlich allein der leichte Turner schafft, während sich die Footballspieler als zu schwer erweisen, um sich in solche Höhen zu schwingen.
Das LKW-Ziehen gewinnt der Footballspieler Kawaguchi, der ein bisschen aussieht, als sei er der ältere Bruder des Autors Mishima Yukio. Der zweite Footballspieler unter den Teilnehmern, Satomi Kôhei, kommt übrigens aus dem gleichen Team wie Kawaguchi, ist aber ein oder zwei Jahre jünger. Kôhei ist also ein Kôhai. Das kann als „Japanologenwitz“ durchgehen.
Der jüngere Footballspieler ist dann derjenige, der den „Flag Catcher“ Wettbewerb gewinnt. Man legt sich flach bäuchlings auf den Boden, Blick weg vom Ziel, springt auf Signal auf, sprintet zehn Meter, stürzt sich in eine Grube voll mit Styroporflocken und „reißt“ eine der angebrachten Fahnen an sich. Es ist immer eine Flagge weniger als Sportler vorhanden sind, bis nur noch einer übrigbleibt. Wieder scheitert der Turner erst in einer Finalausscheidung.

Satomi gewinnt auch den „Gunshot Drop“. Der Bewerber rennt los, etwa zwei Meter weiter befindet sich am Rand der Sprintstrecke eine Apparatur, wo man im Vorbeirennen auf einen Schalter schlagen muss. Dieser Schalter löst einen Mechanismus an der Decke der Halle aus, der einen Ball senkrecht nach unten fallen lässt und Ziel der Sache ist es, den Ball zu berühren, bevor er auf die Matte aufschlägt. Start ist bei einer Strecke von zwölf Metern, und bei 13 m bleibt nur noch Satomi übrig – was mich ein wenig wundert, weil er ja ein recht massiger Footballspieler ist. Hier hätte ich erwartet, dass der windschnittige Turner gewinnt.

Interessant ist auch der Wettkampf, in dem zwei der Sportler, deren Gewicht möglichst übereinstimmen muss, mit einem flexiblen Seil verbunden sind und in entgegengesetzten Richtungen loslaufen, um am Ende ihrer Laufmatten den „Siegerschalter“ zu drücken. Die maximale Dehnbarkeit des Seils ist natürlich an einem Punkt erschöpft, wo man mit ausgestrecktem Arm noch etwa 50 cm bis zum Schalter hat. Man muss also schnell laufen und sich im richtigen Moment hinwerfen, um Halt auf der Matte zu erhalten, sonst wird man vom Gegner umgerissen und verliert. Landen beide gleichzeitig, kommt es darauf an, wer mehr Ausdauer dafür aufbringt, sich langsam vorwärts zu arbeiten und den entsprechenden Versuchen des Gegners entgegenzuwirken. Wenn man den Arm zu kühn ausstreckt, kann es ebenfalls sein, dass man vom Gegner umgerissen wird. Hier gewinnt Kawaguchi. Zum ersten Mal in der Geschichte dieser Sendung, wie es heißt, an der er offenbar schon mehrfach teilgenommen hat.

Sehr interessant eigentlich. Es würde mir durchaus Spaß machen, die eine oder andere Disziplin selbst einmal auszuprobieren.


[1] Kartoffeln („Solanum tuberosum“) und so genannte Süßkartoffeln („Ipomoea batatas“) sind auch nur entfernt verwandte Gewächse, aus der Ordnung der Nachtschattenartigen.

[2]   In einer kurzen Einblendung zu Beginn einer Werbepause sieht man Bob Sapp das Fass werfen: Es fliegt auf auf und davon, weit über das Gestell hinaus. Vielleicht hat man Bob nicht teilnehmen lassen, um für mehr Spannung zu sorgen.

13. Dezember 2023

Samstag, 13.12.2003 – Der begehrteste Mann im Kindergarten

Filed under: Japan,My Life,Spiele,Sport — 42317 @ 7:00

Auf dem Weg in die Bibliothek pumpe ich endlich mal wieder etwas Luft in die Reifen meines Fahrrades. Danach werden Mails geschrieben, ohne, dass etwas Dramatisches dabei vor sich geht. Um 16:00 brechen Melanie und ich auf, um der Einladung des „Hippo Family Clubs“ zu folgen, den ich für gewöhnlich „Happy Hippo Club“ nenne, weil es leichter von der Zunge geht. Verdammtes Werbefernsehen!

Wir fahren auf der Straße Richtung Daiei, kommen an die Eneos Tankstelle, und gegenüber wartet auch schon ein bekanntes Gesicht. Es ist der Mann, der mich darauf aufmerksam gemacht hat, dass Vogelweide wahrscheinlich nicht im 1200. Jahrhundert geboren worden ist. Er ist erkältet, wie mir scheint. Sushanan und Yong treffen zur gleichen Zeit ein.

Wie ich mir bereits dachte, handelt es sich auch hierbei um eine durchorganisierte Party mit festem Zeitplan. Ab 16:30 beginnt die „Endphase“ des Aufbaus. Ein hellblauer Teppich und drei Tatamimatten wurden bereits auf dem Boden platziert, damit die Füße nicht zu kalt werden. Es kommen mehr und mehr Leute und schließlich trifft auch die Stereoanlage ein. Maeda-san nutzt sie, um ihre Stimme mit dem angeschlossenen Mikrofon verstärken zu können, obwohl der Raum bestenfalls 35 qm groß ist. Aber wir brauchen die Anlage natürlich noch für was anderes…

Letztendlich anwesend sind die Gastfamilien und die ihnen zugeteilten Studenten, niemand sonst. Eine überschaubare Gruppe. Um 17:00 habe ich bereits die ersten Abenteuer hinter mir, nachdem die (vornehmlich weiblichen) Kinder mich wiedererkannt haben und mit dem „Kinnikuman“ spielen wollen. Weil ich nicht auf dem Boden Platz nehmen will, so lange es sich vermeiden lässt, und auch nicht stehen will, setze ich mich auf die Fensterbank. Neben mir ein halbes Dutzend Mädchen – wie bereits früher erwähnt – im Alter von vier bis elf Jahren. Sie verstecken sich (uns), indem sie die Jalousie des Fensters herunterlassen, und ich werde unfreiwillig Teil dieses Spiels, das ihnen auch nach mehreren Minuten und mehrmaligem Hochziehen und Herunterlassen der Jalousie nicht langweilig werden will.
Dann zieht mich eine davon an der linken Wange, wie das Melanie normalerweise zu tun pflegt, und ruft:
Der hat ja Barthaare im Gesicht!“ und findet das ungeheuer lustig.
Natürlich, das ist männlich!“ („Mochiron, otokorashii da zo!“) sage ich dazu, und alle lachen sich halbtot – weshalb auch immer. Ich wollte natürlich einen Scherz machen, aber dass er eine solche Wirkung haben würde, habe ich nicht erwartet. Und es wird noch toller. Minato, die Kleinste aus der Gruppe kommt im Anschluss noch öfter zu mir und bittet mich, „otokorashii“ zu sagen (und nichts weiteres). Ich tue es ein paar Male und jedes Mal kugelt sie sich auf dem Boden und quietscht vergnügt. Ich wusste nicht, dass das Wort so lustig ist. Auch wenn man es mit verschiedenen Betonungen sagt… aber vielleicht sehe ich das zu rational. Ihr zur Freude mache ich den Spaß eine Weile mit, aber irgendwann wird es mir doch eine Spur zu kindisch, und ich bitte sie freundlich, damit aufzuhören. Sie tut es, ohne sich zu beschweren, aber…

Wir haben ja alle Namensschilder bekommen, selbstklebende Papierstreifen, die wir selbst beschriften. Und als nächstes malen die Mädchen gleich zwei Schilder, auf denen „otokorashii“ zu lesen ist und kleben sie mir auf die Brust. Sie bekommen später einen Platz im „Manuskript“ meines Tagebuchs. Dann gehen sie dazu über, meine Arme und Beine zu befühlen, weil sie die Muskeln so toll finden. Ich finde das ein bisschen peinlich, aber ich will auch kein Spaßverderber sein. Als seltene Attraktion kommt auch einer der Jungs zu mir, etwa sieben Jahre alt, greift nach meinem Oberarm und meint „Das ist doch bestimmt nur Fett!“ Leider muss ich ihn in diesem Punkt enttäuschen, nachdem er sich empirisch überzeugt hat. Er läuft rot an und verschwindet wieder zu seinen Freunden, die an einer Tafel in der Ecke Baseball-Spielzüge durchgehen oder „Vier gewinnt“ spielen. Die Mädchen gehen derweil dazu über, mich mit einer Tür zu verwechseln und klopfen auf meinem Oberkörper herum. „Katai!“ („Hart!“) sagen sie. Hoffentlich wechsele ich nicht ebenfalls zu auffällig die Gesichtsfarbe. Ich habe wie üblich keine Ahnung, wie ich mit diesem ungebremsten Sturm der Begeisterung umgehen soll. Also „Helm auf und Glück ab!“, wie ein Freund letztlich sagte.

Das allein waren die „Abenteuer“ bis um fünf Uhr. Dann beginnt der offizielle Teil. Ich muss endgültig auf den Boden umziehen, das Mikrofon wandert reihum und jeder stellt sich kurz vor, beginnend bei SangSu. Das Procedere „Ich bin… und ich komme aus…“ wird spätestens beim vierten Mal langweilig.
Ich nehme das Mikrofon. „Ja, wer bin ich eigentlich?“ frage ich.
Leises Lachen im „Zuschauerraum“.
Der männliche Dominik!“ („Otokorashii Dominiku!“) rufen die Mädchen, als hätte ich sie dazu aufgefordert.
Amüsiertes Lachen unter den Erwachsenen.
Sehr gut! Gibt es jemanden, der mich noch nicht kennt? Nein? Wie es scheint, bin ich berühmt…
Ich spüre deutlich die pfeilspitzen Blicke von Melanie. Ich gebe das Mikrofon also lieber weiter.

Auch Familie Jin ist mittlerweile eingetroffen und hat sich in meine Nähe gesetzt. Mutter Eiko stellt sich vor. Uh, Keigo = feinstes Japanisch. Vater Yûtaka macht das ganze weniger förmlich. „Oosu!“ ruft er zur Einleitung. Eine Art Schlachtruf von Sportmannschaften. Wieder habe ich das Gefühl, in der irrsten Familie von dem ganzen Haufen gelandet zu sein… ohne das jetzt irgendwie negativ zu meinen.
Das Ehepaar Jin trägt T-Shirts mit aufgedruckten Familienfotos. Sie trägt eines, das sie zusammen mit ihrer Tochter zeigt. Offenbar recht aktuell. Sein T-Shirt zeigt ein Foto, das 1950 aufgenommen wurde. Er sagt, eigentlich habe er das Hemd seiner Mutter geschenkt, aber sie wolle es aus Gründen des Aberglaubens oder der Pietät, je nachdem, wie man es betrachtet, nicht tragen. Er hält die rechte Seite des Fotos zu. „Die sind bereits alle gestorben“, sagt er. Die Mutter wolle die Geister der Toten nicht beleidigen. Da er selbst nicht an solche Geister glaube, habe er kein Problem damit, das T-Shirt zu tragen. Ich frage ihn, wo man solche T-Shirts machen lassen könne. Er habe es in Tokyo gekauft, sagt er. In Hirosaki gebe es einen solchen Laden wahrscheinlich nicht. Ist eigentlich auch egal. Derzeit habe ich kein Motiv, das ich unbedingt auf einem T-Shirt sehen wollte.

Dann stellen sich die Studenten in einer Reihe auf, mit Ausnahme von Melanie, die ja „nur“ ein Gast ist, ohne Gastfamilie. Wir erhalten Geschenke – die Kinder der jeweiligen Familie haben je ein Porträt von uns gemalt, auf ein Blatt Papier, A4 Format, auf Pappe aufgeklebt, mit einem Band zum Umhängen. Yûmiko hat mich gemalt. Idealisiert, ohne Brille und etwas zu blond, aber es ist das schönste Bild von allen. Aller Subjektivität zum Trotz. Yûtarô hängt mir meines um, Yûmiko gibt Sushanan ihres. Yûtarô legt mir gegenüber immer noch eine gewisse Unsicherheit an den Tag. Also muss ich ihn noch ein bisschen auftauen. Sobald ich herausgefunden habe, wie ich es anpacken kann. Natürlich werden Fotos gemacht, wir mit unseren Porträts.

Dann beginnen die obligatorischen Spiele. Zum Aufwärmen der „L-O-V-E“ Song. Ich kriege die Fingerbewegungen nicht koordiniert. Auch das Spiel, wo jemand eine Zahl sagt und sich dann entsprechend große Gruppen bilden müssen, wird noch einmal durchexerziert. Aber diesmal bin ich darauf gefasst und kann unverkrampfter an die Sache herangehen. Danach stellen sich zehn Freiwillige in die Mitte des Raumes, die übrigen bilden einen Kreis um sie herum. Dann wird eine Musik gespielt, der äußere Kreis bewegt sich im Takt der Musik auf die Mitte zu und jeder tritt irgendjemandem (sanft) ans Bein. Ich sehe davon ab, jemanden zu treten. Ich habe keine Ahnung, was das hier bedeutet, aber die Gesetzmäßigkeiten erschließen sich schnell. Der Tritt ans Bein ist gewissermaßen eine Herausforderung zum Jan-Ken-Pon. Okay, alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei. Die Melodie hört auf zu spielen und die Getretenen gehen zum jeweiligen Herausforderer und spielen mit ihm/ihr Jan-Ken-Pon. Wer verliert, muss in die Mitte, bzw. in der Mitte bleiben. Man hat zehn Sekunden Zeit, mit Leuten Jan-Ken-Pon zu spielen, um aus dem Kreis herauszukommen, bevor die Musik wieder zu spielen und der Tanz von vorne beginnt. Da die Vierjährige offenbar einen Narren an mir gefressen hat, sehe ich mich die ganze Zeit über ihren „Attacken“ ausgesetzt, und sie hat ein diebisches Vergnügen daran, mich so kräftig zu treten, wie sie nur kann – aber da sie bestenfalls 20 Kilo wiegt, ist das nicht viel. Jin Eiko bedient die Stereoanlage, da sie mit ihrem gerade wieder halbwegs brauchbaren und noch immer bandagierten Fuß nicht mitspielen kann. Ich hoffe, sie langweilt sich nicht allzu sehr.

Nachdem ich dann alle Spiele ohne bleibende Schäden überstanden habe, gibt es was zu Essen. Und davon nicht zu wenig. Die Familien haben es zubereitet. Da steht eine Art Rahmkuchen, der eher wie ein großes Omelett aussieht, Obstsalat, Onigiri (Reisbällchen) verschiedener Art, gekochte Hühner(-unter-)schenkel, Spaghetti mit mehreren Sorten Soße, darunter Hackfleischsoße, eine scharfe Tomatensoße und sogar Pesto, eine Art Kuchen, dessen einzelne Stücke man andernorts als „Brownies“ bezeichnen würde, kleine Cupcakes, Reis mit Gemüse, Nudeln mit Fleisch und Soße, frittiertes Schweinefleisch, frittierte Teigstückchen, frittierter Teig mit Fleischstückchen, natürlich Sushi, und etwas, das man in Deutschland als „Schweinebraten mit dunkler Soße“ bezeichnen würde. Fast das gleiche wie zuhause, nur der Daikon-Rettich und das Gemüse in der Soße wirken daran japanisch. Und das Fleisch wurde bereits mundgerecht geschnitten, damit man es ohne Messer und Gabel mit Stäbchen essen kann. Nachdem ich von allem eine Portion gegessen habe, bin ich natürlich satt, aber ich nehme noch ein paar Happen von den Sachen, die besonders gut waren. Jetzt bin ich kurz vor „überfressen“.

Übrigens ist auch die Chinesin, die so schön getanzt hat, hier. Mit der offenen Frisur habe ich sie nicht sofort erkannt. Erst das Bild, das man ihr geschenkt hat, brachte mich in die richtige Richtung, weil sie darauf in dem entsprechenden Kostüm dargestellt ist. In japanischer Transkription heißt sie „FanFan“. Die chinesische Originallesung kann ich nicht aussprechen; sie überträgt sich u.a. etwa als „KanKan“ ins Japanische, aber das klingt ja furchtbar…. Das Original jedenfalls kann ich mir nicht merken und… na ja, dann lieber „FanFan“. Meine Bitte, sie möge doch bei anderer Gelegenheit noch einmal tanzen, weist sie höflich und lächelnd zurück.

Nach dem Essen führen die Kinder ein kleines Stück auf, das offenbar aus Russland stammt – und es scheint die russische Version von der „Rübe“ zu sein. „Die Rübe“ ist ein Gedicht oder ein Lied, das sich in einem meiner Lesebücher der Grundschule befand, dritte Klasse, glaube ich, und es geht darum, dass einer aufs Feld geht und eine riesige Rübe vorfindet, die er allein nicht aus der Erde ziehen kann; also ruft er Verstärkung, und einer nach dem anderen kommt, um beim Herausziehen der Rübe zu helfen, bis schließlich alle gemeinsam anpacken und die Aufgabe bewältigen.
Die gezeigte russische Version handelt von einem Bauern, der seine Frau, seine Kinder und seine Eltern zu Hilfe ruft, und schließlich ziehen alle Bewohner des Hofes gemeinsam an der Rübe, vom Bauern bis zum Hofhund, der Katze und der Maus. Die Kinder haben hierzu entsprechende, wenn auch einfache Kostüme gebastelt. Sehr niedlich. Jin Eiko hält während der Vorführung Pappschilder in die Luft, auf denen die Szenen noch einmal in Bilderform aufgemalt sind und liest von der Rückseite den Erzähltext ab. Die Rübe, um die es letztendlich geht, ist ein Zusammenschnitt aus einem großen roten Kopfkissen und grünen Stoffstücken in Blattform.

Dann ist das Programm zu Ende und das Einpacken und Verteilen des restlichen Essens beginnt. Die Tische werden gesäubert und zusammen mit den Stühlen wieder in die jeweilige Ausgangsposition geschoben. Nach und nach verlassen die Leute das Gebäude und ich passe noch einen der Erwachsenen ab, der ein olivgrünes Hemd trägt, das vor einigen Jahren noch Eigentum der deutschen Bundesluftwaffe gewesen war, noch mit Adler an der Schulter und mit Bundesflagge Schwarz/Rot/Gold. Ich frage ihn, wo er das gekauft habe und ob man dort auch japanisches Material kaufen könne. Er habe es in Hirosaki gekauft, sagt er, aber der Laden habe inzwischen geschlossen. Und es gebe nur Material aus dem Ausland, hauptsächlich aus den USA und aus Deutschland. Japanische Uniformen habe er keine gesehen. Das finde ich zwar nicht sehr hoffnungsspendend, aber wenn es noch mehr ausländisches Material gibt, kann ich in Japan vielleicht einen russischen Tarnanzug kaufen, ohne dafür gleich nach Polen oder weiter fahren zu müssen… von Trier aus fährt ja ein Bus direkt nach Minsk. Ich werde auf jeden Fall weiter versuchen, einen Tarnanzug der Jieitai, der japanischen Selbstverteidigungsstreitkräfte, zu ergattern.

Um 19:30 sind wir wieder zuhause und sehen uns „30 Menschen, 31 Beine“ an. Dreißig Grundschüler bilden eine Reihe, ein Bein jeweils an das des Nachbarn gebunden. Sie laufen nacheinander eine Strecke von 50 Metern gegen die Zeit und natürlich gegen Teams aus anderen Gegenden Japans; insgesamt ein Dutzend Mannschaften, die die Vorausscheidungen gewonnen haben, um hier bei den japanischen Meisterschaften antreten zu können. Als Gast ist eine Mannschaft aus Kuba dabei. Die Kubaner scheitern im Halbfinale. Was reden die eigentlich für eine Sprache? Natürlich eine Art Spanisch, aber nach Spanisch hört sich das für mich nicht mehr an. Die ganze Angelegenheit ist sehr emotional. Bei den Verliererteams bricht sich die Anspannung in Form von Tränen feuchte Bahnen. Die begleitenden Lehrer gleich mit. Man hat den Eindruck, die Jungs und Mädchen seien der Meinung, man würde ihre Eltern auf Nimmerwiedersehen nach Sibirien deportieren, sollten sie nicht gewinnen. Aber man sagt mir auch nach, ich sei emotional halbtot. Ich sehe mir die Sendung nicht ganz bis zum Ende an. Nach dem Ausscheiden der Kubaner gehe ich schlafen. Und während ich schlafe… aber das erzählt mir Melanie erst später.

16. November 2023

Sonntag, 16.11.2003 – Schlammspringer

Filed under: Japan,My Life,Sport — 42317 @ 10:08

Ein ruhiger Sonntag mit einem blendend schönen und sonnigen Morgen. Leider geht das Wetter bis zum Nachmittag langsam, aber (für heute) endgültig in Bewölkung und Regen über. Und entsprechend kühl wird es auch. Ich fahre zur Uni, um Post zu schreiben, bleibe aber am Sportplatz hängen, weil das Football Team der Uni gerade trainiert. Die Farben der Trikots kann man kaum noch erkennen, alle sind schmutzig braun wegen des Schlamms, der sich aufgrund des einsetzenden Regens und der Nässe der letzten Tage gebildet hat. Es ist recht kühl, ohne Jacke möchte ich nicht in der Gegend rumstehen. Aber die Jungs hier sind beschäftigt, denen dürfte nicht kalt sein. Und es juckt mich in den Fingern, weil ich das auch mal machen will, was die da treiben. Aber ich bin inzwischen zu sehr zum Weichei geworden, als dass ich mich im Winter im Schlamm suhlen wollte. Ich warte bis zum Sommersemester und frage dann vielleicht nach Aufnahme in den Club.

Keiner der Spielzüge dauert mehr als vielleicht sieben Sekunden, weil der Ballträger sofort zu Fall gebracht wird. Mir scheint, denen fehlt jemand, der das Ei nach vorne bringt – es sei denn, es handelte sich hier um Abwehrspezialisten. Der breite, größere Kerl, den ich beim Armdrücken gesehen habe, ist auch da, aber der steht nur am Rand herum. Die Mädchen, die zum Club gehören, sind ebenfalls mit Eifer bei der Sache, wenn auch nicht als Spieler. Jedes Mal, wenn ein Spielzug zu Ende ist, sammeln sie den Ball auf, bringen einen neuen und machen den anderen sauber für den nächsten Spielzug. Ich bin sicher, dass sie nachher auch das Waschen der Anzüge übernehmen. Aber die Trainer, die sich am wenigsten bewegen, sind die härtesten Leute am Platz: Die Spieler tragen die Sportschuhe mit den Spikes, die Mädchen tragen Gummistiefel, aber die beiden Trainer haben ihre Trainingshosen bis zum Knie hochgekrempelt und tragen Badelatschen an den nackten Füßen – mitten im typischsten Novemberwetter. Hat denen noch niemand erzählt, dass unterkühlte Gelenke anfällig für Rheuma sind? Hart im Nehmen scheinen sie auf jeden Fall zu sein. Ich mache ein Foto von der Gesamtszenerie und versuche mich auch an Bildern aus geringerer Entfernung, aber die werden alle unscharf, wegen der vielen Bewegung. Also bleibt nur das „Panoramabild“.

Digital Camera

Danach gehe ich in die Bibliothek, weil das Spiel irgendwann nichts Neues mehr bietet und ich ja noch ein paar Berichte schreiben will. Ich komme allerdings nur dazu, eine einzige Mail zu schreiben. Nebenbei stelle ich mein Artbook bei E-Bay ein und hoffe, dass ich zumindest 10 E dafür kriege, damit ich ein paar Kröten Gewinn mache.

Am Abend stelle ich fest, dass unser Reissack sich bedenklich schnell geleert hat. Der erste (ebenfalls 10 kg) hat knapp einen Monat gehalten. Dieser hier zeigt bereits nach etwa zwei Wochen an, dass wir uns seelisch und moralisch darauf vorbereiten können, den nächsten kaufen zu müssen. Ich muss annehmen, dass das daran liegt, dass wir in diesem Monat weniger Ramen und öfters zuhause gegessen haben – die Nudelsuppe macht wegen der Flüssigkeit darin eher satt als ein Reis-Fleischgericht. Wenn wir Yakiniku gegessen haben, habe ich nachher immer noch Reis gekocht, um satt zu werden. Nach einer Portion Ramen war das nicht notwendig. Das macht sich dann schon bemerkbar.

2. November 2023

Sonntag, 02.11.2003 – … Ist das Krüge-leeren auf dem Campus nicht eigentlich verboten?

Filed under: Japan,My Life,Sport — 42317 @ 12:18

Das Kulturfest ist heute so richtig uninteressant. Es ist natürlich schön, dass die Sonne scheint und angenehme Temperaturen herrschen, aber das Angebot an Aktivitäten finde ich nicht sehr aufregend. Noch immer macht Nahrung den größten Teil des Angebots aus, aber ich bin nicht hungrig. Es kommt mir selbst seltsam vor. Ich gehe ein wenig durch die Gänge und treffe Nan und… ah, seinen Namen habe ich schon wieder vergessen. Jedenfalls einen weiteren der Thailänder treffe ich mit ihr zusammen an.1 Wir gehen durch zwei Stockwerke und hören uns einen kleinen Vortrag von Medizinstudenten an. Ich glaube, es geht um falsche Diätvorstellungen, die durch die Werbung vermittelt werden. Aber das war auch schon alles, was ich aus dem Gesagten herausinterpretieren kann. Verstanden habe ich so richtig gar nichts. Akustisch ging es ja gerade so, weil ich einen halben Meter neben der jungen Frau stand, die den Laptop bediente und die Grafiken koordinierte. Bei ihrer Lautstärke dürfte aber bereits jemand, der nur einen Meter weiter als ich entfernt saß, bereits nichts mehr gehört haben. Und das auch erst, nachdem ich sie aufgefordert hatte, lauter zu sprechen.

Ein paar Schritte weiter bieten die Mediziner alle möglichen Getränke an, in einem abgedunkelten Raum, der einen gemütlichen Eindruck macht. Es gebe auch Sake, sagt mir die Studentin am Eingang. Sie trägt, wie übrigens alle Medizinstudenten in diesen Tagen, einen weißen Labor-Kittel mit blutroten Flecken. Leider ist mein Fotoapparat voll. Ich komme ja nicht an den Rechner ran, in dem ich meine Bilder ablege, weil das Center zu ist.

Es gibt hier also Sake. Aha. Ist das auf dem Campus nicht eigentlich verboten? Sie antwortet mit einem undefinierbaren, aber viel sagenden Kichern. Soso. Ich bin nicht abgeneigt, aber um 14:00 am frühen Nachmittag möchte ich noch keinen Alkohol trinken. Wie lange denn geöffnet sei? Bis um 17:00, sagt sie. Natürlich, dann ist ja Schluss mit Fest für heute. Dann also nicht.

Im dritten Stock befindet sich ein Raum, in dem Brettspiele gespielt werden, und der Anteil an deutschen Spielen ist auffällig, denn eigentlich ist mir der Raum nur deshalb aufgefallen, weil an der Tafel neben all den Kana- und Kanjikombinationen auch etwas steht, was ich ohne nachzudenken lesen kann: „6 nimmt“.

Dabei handelt es sich um ein Kartenspiel. Ich habe aber nie davon gehört. Ich gehe hinein und lese die Anschrift an der Tafel. Hier gibt es „Die Siedler von Catan“, „Bohnanza“, „Scotland Yard“, und andere mehr. Aber dass das Spiele sind, die aus Deutschland stammen, weiß hier keiner. Hier ist nichts, was mich aufhält.

Ich sattle mein Rad und fahre wieder nach Hause. Aber da will ich auch nicht lange bleiben, weil das Wetter so gut ist. Ich nehme meinen Lesestoff (zum Thema „Buddhismus“) mit und fahre einfach mal irgendwohin. Einfach einer Straße nach (grob nach Westen), die ich nicht kenne. Nach ein paar Kilometern finde ich einen Golfplatz. Na ja, eigentlich ist es kein Golfplatz, sondern einer dieser hoch eingezäunten Abschlagplätze. Und kaum habe ich ihn gesehen, verklemmt sich meine vordere Gangschaltung, und ich kann nur noch die untersten sieben Gänge verwenden. Ich fummele ein bisschen daran herum, finde aber das Problem nicht. Wenn ich schon mal da bin, kann ich den Leuten auch mal beim Abschlagen zusehen. Die Kunden stehen in einzelnen Kabinen, zwei übereinander, sieben nebeneinander, und schlagen einen Ball nach dem anderen einfach weg. Der Ball wird dann ca. 100 Meter weiter, da wo ich stehe, von den ca. 30 Meter hohen Netzen aufgefangen und bleibt am Rand liegen, um irgendwann eingesammelt zu werden. Allerdings hat das Netz auch kleine Löcher und Lücken, durch die Golfbälle beim herunterrollen hindurchschlüpfen können. Ich sammele ein paar davon auf. Es liegt auch etwas Metallschrott in der Gegend rum und ich suche mir eine kleine Metallstange, die ich an den Rahmen klemme und meinen Draht der Gangschaltung auf diese Art und Weise so spanne, dass sie immerhin auf das mittlere Zahnrad fixiert bleibt.

Mit dem Textlesen komme ich an dem Golfplatz auch nicht weit. Kaum sitze ich ein paar Minuten, wird mein Sichtfeld nebelig. Aber da kommt kein gewöhnlicher Nebel auf mich zu. Irgendwo verbrennt wohl ein Bauer sein Reisstroh. Die Sichtweite sinkt unter 100 Meter und es stinkt furchtbar. Ich fahre wieder davon. Allerdings bin ich auf dem Hinweg einen steilen Berg heruntergekommen, den ich nicht hochfahren oder –laufen will. Ich entscheide mich, den Hügel in nördlicher Richtung zu umgehen. Allerdings muss ich doch zwischendurch anhalten und fragen, wo ich eigentlich bin und wie ich nach Nakano komme. Bis ich dann die nächste Sitzgelegenheit gefunden habe, ist es schon beinahe dunkel, aber es ist ein Spielplatz mit Laterne. Leider paart sich die Dunkelheit schnell mit einer unangenehmen Kühle. Unangenehm vor allem deshalb, weil ich gewöhnlich schnell fahre und mein Rücken unter dem Rucksack deshalb schweißfeucht ist. Aber ein paar Seiten gehen noch und ich erhalte meine ersten Einsichten in die Lehre des Buddhismus.

Und solch seltsame Dinge habe ich schon lange nicht mehr gelesen. Dass es keine Seele gebe, kann ich akzeptieren. Aber was wird wiedergeboren? Das Karma. Aha. Das wird von einem Leben ins nächste weitergereicht. Das Karma ist wie ein Sparbuch für gute und böse Taten.

Und es mangelt allen Dingen an Ego… an „Substanz“. Aber wenn es mir an Ego mangelt und ich keine Seele habe, was landet dann im Idealfall irgendwann im Nirvana? Was habe ich davon, wenn mein tolles Karma im Paradies ist, ich aber nichts davon mitbekomme? Das kommt mir vor, als hätte ich zum Zeitpunkt meines Todes eine Unmenge Geld auf meinem Konto und das Sparbuch landet, in Gold eingerahmt, in einem bedeutenden Museum. Ich interpretiere, dass das Nirvana ein Ort sein müsste, an dem man in Form eines gefühlsbefähigten Wesens geboren wird (damit man die Wonnen auch erkennen und auskosten kann), und auch wieder sterben kann, um woanders geboren zu werden, falls man sich im Nirvana daneben benommen hat??? Das muss ich noch hinterfragen.2

Heute läuft, wie seit mindestens zwei Wochen angekündigt, der Film „Gladiator“ (ja, mit Russel Crowe) im japanischen Fernsehen, in japanischer Sprache. Ich will über die Qualität der Synchro (die Vertonung der Stimmen) auch gar nichts sagen, sondern nur den interessantesten Punkt nennen:

Ganz zu Beginn, wenn der Tribun Maximus durch die Reihen seiner Männer schreitet, stehen sie auf und rufen tatsächlich, wie von mir zuvor eigentlich nur scherzhaft vermutet, ehrfürchtig: „Shôgun!“ Man hat also seine Funktion übersetzt, anstatt das Fremdwort („Toribuun“) zu übernehmen. Und dann wird Maximus die ganze Zeit über „Shôgun“ genannt. Und wegen der riesigen kulturellen Spalte zwischen Römern und Japanern wirkt es wirklich lustig. Man denkt ja eher an einen besonders feierlich herausgeputzten Samurai in alter japanischer Rüstung, wenn man „Shôgun“ hört, nicht wahr?3

1 Sein Name ist Wiirit.

2 „Das Nirvana“ ist kein Ort, wie „der Himmel“, sondern der Zustand der völligen Auflösung. Nirvana ist Abwesenheit von Leid durch Nichtexistenz. Für Menschen, die mit jüdisch-christlichen Jenseitsvorstellungen aufgewachsen sind, mag das schwer nachzuvollziehen sein.

3 Shôgun bedeutet aber ganz generell „Oberbefehlshaber“.

19. September 2010

Trier spielt ohne Sandsäcke

Filed under: Arbeitswelt,Spiele,Sport — 42317 @ 0:01

Am 11. September diesen Jahres war ich Helfer beim diesjährigen „Trier spielt“ Event, wieder am Viehmarkt, und es waren einige Dinge anders.

Als erstes kam ich eine Viertelstunde zu spät. Natürlich hatte ich den Samstagsfahrplan der Trierer Busse wieder einmal erfolgreich verdrängt, sodass ich den Bus um Viertel vor Acht verpasste. Pünktlich um Viertel nach Acht kam der nächste Bus, aber in geistiger Umnachtung stieg ich den falschen, der in die entgegengesetzte Richtung fährt. Die Haltestelle Uni Süd kann da tückisch sein, wenn man nicht aufpasst, weil dort wegen des Wendepunkts Busse für beide Richtungen verkehren, anstatt auf leicht auszumachenden verschiedenen Straßenseiten.

Den Fehler bemerkte ich schnell, als der Bus geradeaus über die Kreuzung fuhr, und nicht rechts nach Olewig abbog. Ich stieg an der nächsten Haltestelle aus, überquerte die Straße und wollte an der Haltestelle gegenüber auf den richtigen Bus warten, der allerdings schon ein paar Minuten Verspätung aufwies. Und nach zehn Minuten immer noch nicht in Sicht war. War es möglich, dass der Bus, den ich nehmen wollte, in exakt dem Moment vorbeigefahren war, als ich im falschen Fahrzeug gerade von der Sitzplatzsuche abgelenkt war?

Ich ging schnell zurück nach Hause, setzte mich um 0835 auf mein Fahrrad und fuhr in die Stadt. Um etwa 0845 war ich da und meldete mich bei der Chefin der City-Initiative.

Keine Panik, sagte die, wir sind ja auch grade erst hergekommen. Die Kollegen packten in dem Moment das Zeltgestänge aus. Ich brachte mein Fahrrad in die Tiefgarage und versteckte es hinter einem Lüftungsschacht, ging nach draußen, und half, das Zelt aufzubauen.

Eingangs hatte ich meine gesammelten Erfahrungen dafür genutzt, ein paar Verbesserungen vorzuschlagen, zum Beispiel, uns für die Verteilung des Spielsands Schaufeln anstatt nur die üblichen Besen zur Verfügung zu stellen, den Stand wegen des Windkanals woanders hinzustellen, die Gasflaschen vom Lieferanten (Westfalengas) am durch den versiegelten Verschluss versteckten Ventil markieren zu lassen, damit die Öffnung nicht von unserem Infostand weg zeigt, und die Stadtreinigung zu bitten, auch am Nachmittag vorbeizuschauen, um den einzigen Mülleimer vor Ort zu leeren, damit sich in dessen direkter Umgebung nicht wieder Getränkeflaschen, Windeln, und aller möglicher anderer Müll ansammeln.

Wir bekamen, wie üblich, nur zwei Besen anstatt der gewünschten Schaufeln, aber das Problem wurde auf andere Art ideal gelöst: Die Baustofffirma erklärte sich bereit, den Sand nicht einfach abzukippen, sondern ihn gleich bei Lieferung mit dem Radlader zu verteilen, wodurch statt der üblichen drei Haufen, die nach und nach vor allem durch die Kinder abgetragen wurden, ein gleichmäßiges Sandbett von ca. vier Metern Breite, zehn oder zwölf Metern Länge, und einer Tiefe von vielleicht vierzig Zentimetern geschaffen wurde.

Den Stand versetzen wollte die Organisation allerdings nicht. Man könnte das Zelt zwar ebenso woanders festmachen, aber an der Ecke vom Bürohaus Lehr kann man es leichter ausmachen, wenn man zwischen Innenstadt und Viehmarkt unterwegs ist, muss man dran vorbei. Ökonomische Erwägungen.

Das mit der Markierung der Gasflaschen hatte auch nicht so recht geklappt, aber wir hatten das Glück, dass der Gashahn in eine akzeptable Richtung zeigte, sodass das Aufblasen der Ballons keine Probleme machte.

Immerhin, man hatte es geschafft, die Stadtreinigung in die Pflicht zu nehmen. Die kamen sogar zweimal am Nachmittag und entleerten den Mülleimer. Wir haben nicht einmal zu Müllsammeln raus gemusst, und ich habe nur ein paar wenige Papierstücke aufgesammelt, die mir auffielen. Die Besucher entsorgten ihren Abfall geradezu vorbildlich.

Das Zelt baute sich ebenso umständlich auf, wie immer. Das heißt, das Gestänge tat seinen Dienst, aber der Überzug war doch schon sehr mitgenommen. Der war ein Stückchen zu klein und hatte bereits Risse an den Kanten, wo er eng an den Stangen ansaß, zum Teil mit so genanntem Panzertape geflickt. Und das Ding wollte nicht ganz drauf – letztendlich war die Plane oben irgendwie festgeklemmt, ließ sich aber nicht so weit herunter ziehen, als dass wir die Haken am unteren Ende der Fußstange hätten befestigen können. Das Gezerre sorgte für einen weiteren Riss in dem Plastikgewebe. Aber immerhin stand das Ding dann. Nun zur Standsicherung… wo sind die Sandsäcke?

Es gab dieses Jahr keine Sandsäcke. Nicht etwa aus Kostengründen, nein, so weit ist die City-Initiative dann doch noch nicht, es hieß, der Sand sei irgendwie verunreinigt und als gesundheitsgefährdend eingestuft worden, und neue Sandsäcke seien der Feuerwehr noch nicht zur Verfügung gestellt worden. Aber wie dem auch sei, keine Sandsäcke zu haben, bedeutet, dass sogar die leichteste Brise den Infostand verschieben kann. In unserer Ausrüstungskiste fand sich ein rot-weißes Baustellenband, und wir benutzten das, um das Zelt an vorhandene Pfosten zu binden. Sah ein bisschen affig aus, nach Baustelle halt, aber was besseres gab’s nicht.

Ein Blick in die Ausrüstung offenbarte auch unsere Hauptsponsoren: Cinemaxx und Europapark. Die Kinokette hatte drei Kinogutscheine für Kinder zur Verfügung gestellt, die wir nach Gutdünken verteilen konnten, also an solche Kinder, die nicht älter als 11 Jahre waren und uns positiv auffielen. Warum drei? Warum nicht vier? Mit drei Boxen ist es ja unmöglich, ein Geschlechtergleichgewicht bei den Beschenkten einzuhalten… aber ob das jemanden interessiert?

Der Europapark beglückte uns jedenfalls nicht nur mit einem kleinen Pappaufsteller seines Maskottchens, sondern auch mit zehn mal vier Freikarten für den Park. Im Gegenzug verteilten wir Werbebroschüren des Parks zusammen mit unseren Programmfaltblättern, was ich gern übernehme, weil mir dann das Zuknoten der Luftballons erspart bleibt. Interessant fand ich die Anweisung, die Faltblätter bis 13 Uhr unter die Leute zu bringen und die übrigen danach mit der Zusatzgabe eines kleinen Tütchens Gummibärchen schmackhafter zu machen.

Also, die Veranstaltung sollte bis 18 Uhr laufen; die Erfahrung sagt mir, dass um 13 Uhr der Hauptbetrieb überhaupt erst losgeht, und dass die Leute auch um 17 Uhr immer noch Programmhinweise annehmen – obwohl es wenig Sinn macht, weil einige Veranstalter dann bereits einpacken.

Um zehn Uhr stand alles bereit und sie Sache konnte losgehen. Die Wolkendecke riss kurz danach auf und bescherte uns den schönsten Sonnenschein, bestes Veranstaltungswetter, und damit auch recht viele Besucher, obwohl ich mich an hektischere Zeiten erinnern kann. Für mich bedeutete das aber auch, dass ich die kommenden Stunden in der prallen Sonne stand. Meine Mütze hatte ich vergessen, und ich wurde nur geschützt durch das Extra an Haarwuchs, der mich derzeit dank mangelnder Gelder für einen neuen Haarschneider ziert. Bringt natürlich wegen meiner Geheimratsecken rein gar nichts, und am Nachmittag hatte ich einen Sonnenbrand im Gesicht und an den Armen.

In Sichtweite unseres Stands befand sich die Jugendorganisation des Deutschen Alpenvereins, Kieser Training, das Spaßbad Cascade aus Bitburg, Greenpeace, und die Junge Union.

Der Alpenverein hatte ein paar tragfähige Bänder in 50 cm Höhe gespannt und bot Balancetraining an. Die Verantwortliche erzählte mir, dass viele Kletterer das als eine Art Ausgleich betrieben, und abgesehen davon handele es sich um eine gute Übung für Gleichgewichtssinn und Muskeln, die man auch in der eigenen Wohnung machen kann, sofern man entsprechende Halterungen besitzt. Ich lehnte das Angebot eines Testlaufs dankend ab, ich habe zuwenig Vertrauen in meine Geschicklichkeit. Als sie mir dann grinsend anbot, sie könne auch “Handchen halten”, hat sie natürlich genau das falsche gesagt, um mich davon zu überzeugen, es zu versuchen, aber ich nehme das mit Humor.

Die beiden Damen vom Kieser Training boten Kraftaufbauspiele für Kinder an, weil es heute scheinbar verbreitet ist, dass man selbst in der Grundschule nicht mehr fangen spielt, und Kräftemessen, wie wir das in der achten Klasse machten (ich erinnere mich gut an die Szene, wie ich den Klassenraum durchquerte, während fünf andere Jungs an Beinen, Armen, und Hüfte versuchten, mich daran zu hindern), sei oftmals als Keimzelle von Gewalt oder als Ursache von Verletzungen verpönt.

Sechs Dinge hatten die beiden zu bieten: Vier gute und zwei schlechte.

Schlecht 1: Luftballon aufpusten, zuknoten, und dann zertreten. Der Schnellere gewinnt. Geschicklichkeit und Lungenkraft werden gefordert, aber meines Erachtens stört man Besucher erstens mit dem Geknalle, und zweitens erhöht sich dadurch das Müllvolumen.

Schlecht 2: „Messe Deine Kraft!“ Die Kinder sollten dazu einmal mit der linken und einmal mit der rechten Hand auf eine mechanische Waage drücken und die Zahlen auf einen Zettel eintragen. Der Zettel fungierte dann als Los für ein kleines Gewinnspiel. Ich sprach die beiden darauf an, dass man damit doch bestenfalls den Einsatz der Körpermasse messen könne.
„Das ist natürlich richtig, aber das wissen doch die Kinder nicht.“
„Es wäre wohl besser, die Waage dafür an die Wand zu hängen?“
„Ich glaube nicht, dass die Sparkasse Trier von der Idee begeistert wäre.“

Gut 1: Gutes altes Sackhüpfen. Bis zu einer auffälligen rosa Kreidelinie. Was einige Kinder nicht daran hinderte, im Eifer des Gefechts die Linie zu übersehen und den Weg bis zum nächsten Hindernis fortzusetzen.

Gut 2: Gutes altes Tauziehen. Leider zogen nie mehr als zwei Leute gleichzeitig an einer Seite, denn Tauziehen macht erst ab einen halben Dutzend Leute pro Team Spaß.

Gut 3: Man denke sich ein Quadrat auf dem Boden und in dem Quadrat ein Seil mit vier Enden, für jede Seite eins. Es sollen vier Leute gleichzeitig ziehen und wer das Quadrat als erster betritt, hat verloren.

Gut 4: Man denke sich ein weiteres Quadrat auf dem Boden, in dem sich ein kreisförmiges Seil befindet. In dieser Variante befinden sich die vier Spieler innerhalb des Seils, und gewonnen hat der, der als erster mit beiden Füßen das Quadrat verlassen hat.

Ein bisschen unglücklich gewählt war der Aufsteller ihres Stands, der als Blickfang fungieren sollte. Das Verhältnis von horizontaler Stehfläche, Masse, und vertikaler Plakatfläche war schlicht ungünstig für den Außeneinsatz. Der Wind blies das Ding mehrfach um, obwohl er nie wirklich auffallend stark war, und nachdem wir Getränke- und Apfelkisten zum beschweren auf die Füße gestellt hatten, brachen die Füße bei der nächsten Brise schlicht ab. Das 600 Euro teure Plakat mit Aufsteller hing dann halt irgendwie an der Mauer der Sparkasse rum.

Dankenswerterweise verschenkte der Stand von Kieser Äpfel. Zusammen mit dem selbst mitgebrachten Wasser macht einer davon mein Mittagessen aus, denn Versorgung für die Mitarbeiter gibt es hier schon lang nicht mehr. Es gab mal Fastfood Gutscheine oder direkte Materialspenden in Form von Saftpaketen und Joghurtbechern. Ich erfuhr heute, dass letztes Jahr sogar die Erlaubnis ausgegeben worden war, aus der Kasse des Infostands etwas zu nehmen, um Getränke oder eine Kleinigkeit zu essen zu besorgen. Ich hatte davon nichts gehört, und man hatte es auch wieder ersatzlos gestrichen, nachdem wohl der eine oder andere ungebührlich viel Geld für die Eigenversorgung entnommen hatte. Mit Quittung und allem drum und dran, keine Heimlichtuerei oder so, aber mehr, als die City-Initiative stillschweigend vorausgesetzt hatte. Anstatt also ein Limit anzugeben, bzw. ein Budget einzurichten, oder anderweitig eine Lösung zu finden, wurde die ganze Sache verworfen. Sehr bedauerlich.

Die Cascade aus Bitburg veranstaltete so was wie Eierlaufen. Früher, als ich ein Kind war, da bekam man einen Esslöffel mit einem Ei, den man in einer Hand hielt und halten musste, während man einen Hindernisparcours lief. Nur gab es hier keine Löffel und keine Eier, sondern eine Art Tablett und darauf ein 0,5 l Becher Wasser. Die Aufgabe war, über eine Kiste, um eine längs auf dem Boden liegende Stange, und um einen Klotz herum zu balancieren und den hindernisfreien Rückweg so schnell wie möglich zu absolvieren. Hier wurden Zeiten und Wassermengen festgehalten, um Freikarten für das Schwimmbad zu verlosen. Wieder einmal verstanden einige Kinder die Anweisungen nicht vollständig und bewältigten die Hindernisse auch auf dem Rückweg, oder zogen sich geknickt zurück, wenn sie nach drei Schritten ihr Wasser verschüttet hatten, obwohl das keine Rolle spielte.
Ich frage mich allerdings, woher die das viele Wasser hatten, denn einen Tank oder einen Hydrantenanschluss habe ich nirgendwo gesehen.

Die Junge Union bot Torwandschießen an, und die fünf Jungs und Mädels des konservativen Nachwuchses, die da saßen, machten einen denkbar unmotivierten Eindruck. Was die da machten, hätte auch einer allein bewältigen können.

Was soll man über Greenpeace sagen? Die informierten über die Gefahren der Atomkraft und warben für alternative Energiequellen. Sie verschenkten aber auch kleine Sticker, die einige junge Besucher an Kleidung und Gesicht anbrachten, wodurch Greenpeace auch einen überflüssigen Beitrag zur Abfallentstehung leistete.

Irgendwann erschienen drei junge Leute einer scheinbar alternativen Medienanstalt. Sie führten ein langes Videointerview mit dem noch jüngeren Greenpeacevertreter und ein kurzes mit der Teamleiterin unseres Infostands, wobei sie scheinbar mehr über alternative, und vor allem vegetarische, Ernährungsweisen sprachen, als sie sich tatsächlich dafür interessierten, was wir eigentlich machten.

Ich muss anmerken, dass wir von Westfalengas scheinbar beschissen wurden. Wir hatten eine Gasflasche für den Viehmarkt, und die reicht erfahrungsgemäß für etwa 600 Ballons, anders ausgedrückt: bis etwa 15 Uhr. Stattdessen ging uns nach nicht einmal 200 Ballons das Helium aus, das heißt um etwa 13 Uhr, als die meisten Besucher überhaupt erst ankamen. Ein totaler Witz. Die übrigen Stände berichteten ähnliches, allein der Stand in der Simeonstraße, am anderen Ende der Innenstadt, hatte zwei Flaschen, die bis in den späten Nachmittag reichten. Ich fand auch das Papiersiegel an der Drehkappe zerrissen vor. Der Stöpsel am Ventil selbst, den man wie den Verschluss einer Getränkedose abziehen muss, war allerdings intakt.

Für das kommende Jahr, das ich hoffentlich nicht mehr in Trier erleben muss, sollte ich anregen, Luftpumpen zur Verfügung zu stellen, gern Fahrradluftpumpen, aber idealerweise elektrisch, oder eben Gasflaschen mit Pressluft, damit die Infostände wenigstens normale Luftballons verteilen können. Wir haben da so manches lange Gesicht an dem Nachmittag gesehen.

Was wir interessanterweise gar nicht gesehen haben, sind die halbstarken Kinder und Jugendlichen „mit Migrationshintergrund“ der Anfangsjahre, die am liebsten tütenweise Luftballons abgreifen oder einfach nur provozieren wollen. Richtig entspannend.

Um 1530 ging ich zur Pause. Ausnahmsweise nicht in die Stadt, um mir anzusehen, was es sonst noch gibt und wie üblich nach dem Befinden der anderen Infostände zu fragen, sondern in den Grünstreifen der Südallee. Ob es am Wetter lag oder an der relativ kurzen Nacht kann ich nicht sagen, ich fühlte mich jedenfalls müde und döste auf einer Parkbank sitzend eine Stunde vor mich hin.

Zwischen 1630 und 1700 verteilte ich noch ein paar Programmhefte, die Broschüren vom Europapark waren tatsächlich alle, obwohl ich nicht ein einziges Gummibärchen in der Hand gehabt hatte. Aber viel ging in der halben Stunde nicht mehr weg und dann stellten wir die Verteilung ein. Zwischen fünf und sechs flaute der Betrieb spürbar ab, um Viertel vor Schluss haben wir noch ein T-Shirt verkauft. Über ein Dutzend sind wir wohl insgesamt losgeworden.
Einzig der Wind frischte am späten Nachmittag noch etwas auf und wir mussten das Zelt ab und zu festhalten, damit es nicht abhob. Das Herumfliegen von Faltblättern und T-Shirts ließ sich leider nicht immer vermeiden, aber es hätte schlimmer sein können.

Wir hatten dieses Jahr auch den ersten Fall einer Reklamation – an einem neu gekauften T-Shirt hatte sich die Naht gelöst. Nichts großes, fünf Zentimeter nur, mit mittelmäßigen Nähkenntnissen war das wieder in Ordnung zu bringen, aber die Kundin war halt etwas enttäuscht. Da half es ihr natürlich nicht, dass ich versichern konnte, dass mein T-Shirt seit fünf Jahren keinerlei Schäden durch Tragen und Waschen erlitten hatte. Sie war aber in der Tat die einzige bekannte Ausnahme.

Immerhin hatte ich die besondere Ehre, dass mich die Trierer Weinkönigin persönlich am Infostand besuchte. Natürlich nicht in ihrer Funktion als Weinkönigin, und eigentlich wollte sie zum Stand der Jungen Union, aber um fünf Uhr Nachmittags war von denen nichts mehr zu sehen. Blieb mir also die Gelegenheit, ihr zum 25. Geburtstag zu gratulieren und ihr alles Gute für die anstehenden Klausuren zu wünschen.

Dann abbauen und verpacken ab 18 Uhr – und das obligatorische Sandkehren.
Einer der Kollegen vom Stand hat sich für sieben Uhr verabredet, und warum? Weil er noch nie am Viehmarkt eingesetzt war und keine Ahnung hatte, dass zwar um sechs offiziell Feierabend ist, dass uns das Verladen des Spielsands aber oft genug bis um sieben aufhält, und genau so kams. Das heißt, ich hörte etwa zehn Minuten früher auf als er, weil der Kiefernholzstiel des Besens meinen persönlichen Reinigungsstil nicht mitmachte. Stattdessen hatte ich einen Besen für Siebenjährige einerseits und einen leichten und gut in der Hand liegenden Schlagstock andererseits. Mir reichten aber die beiden Blasen am Daumenansatz, die ich mir bei Sandkehren geholt hatte aus, also fühlte ich mich beim Zusehen nicht allzu schlecht. Der Kollege kehrte ja auch nicht allein, da waren noch vier Leute von der Baustofffirma mit Besen, Schippe, und Radlader.

Wir verabschiedeten uns letztendlich und ich barg mein Fahrrad aus der Tiefgarage. Ich widerstand dann auch gleich der Versuchung, mich einfach mit dem Fahrrad in den Bus zu stellen und nach Hause zu fahren. Ich verspüre eine Abneigung gegen Leute, die sich mit einem voll funktionsfähigen Fahrrad in den Bus stellen, weil sie die Steigung zur Uni hoch scheuen. Wer hart zu anderen ist, muss auch hart zu sich selbst sein, ich kann mich ja schlecht von meinen eigenen Prinzipien ausnehmen, weil es mir gerade in den Kram passt. Stattdessen bin ich also über Kürenz selbst zum Weidengraben hoch geradelt, aber Spaß gemacht hat das nach dem Tag keinen mehr.

19. August 2010

Das Spiel hat nur 90 Minuten

Filed under: My Life,Sport — 42317 @ 12:29

Eigentlich wollte ich noch was über Fußball schreiben, also über den Rest der Fußballweltmeisterschaft nach dem Ende der Vorrunde, aber das kann ich so langsam vergessen. Genau eben deshalb, weil ich die ganze Sache allmählich vergesse. Den größten Teil der Spiele habe ich mir angesehen und ich hatte auch ein paar ganz gute Gedanken dazu, denke ich, aber zwischen dem FIFA Endspiel und meinem Uni-Endspiel liegt ein ganzer Monat, der meine Gedanken doch in ganz andere Bahnen gelenkt hat, und mittlerweile ist das meiste verloren gegangen. Es lohnt sich nicht so wirklich, für die verbliebenen Fragmente einen Artikel ins Auge zu fassen. Schade eigentlich, ich hätte Notizen machen sollen.

15. August 2010

Das Jahrzehnt ist zu Ende

Filed under: Sport,Uni — 42317 @ 0:37

Dieser Song kam mir heute spontan in den Sinn, und ich glaube, er trifft meine momentane Stimmung recht gut:

Alles gelaufen, alles vorbei, ich brauch nur noch mein Zeugnis und dann ist Ende mit Uni. Freitag nach der Prüfung hab ich den ganzen Tag nur StarCraft gespielt. Ein ganz neues Gefühl, ohne schlechtes Gewissen Zeit verplempern zu können.

Mein Schulkamerad 001 hat mir zwar empfohlen, nach der Prüfung was zu machen, an das ich mich mein Leben lang erinnern würde… aber das Wegbrechen des Prüfungsdrucks machte mir da einen Strich durch die Rechnung. Ich wollte nur meine Ruhe haben. Das unvergessliche Erlebnis am letzten Prüfungstag stellte sich zum Abend ein: Der Türmechanismus ging kaputt. Die Klinke griff den Riegel nicht mehr. Ich versuchte, die Tür auszuhebeln, aber das ging leider nicht. Ich versuchte, den Riegel mit einem Schraubenzieher zu erreichen, aber auch das schlug fehl. Die Tür öffnet nach innen, in dem Fall zu mir, also konnte ich sie nicht eintreten. In der Situation griff ich zum Werkzeugkasten, nahm den Hammer raus und schlug das Schloss aus der Tür – Pappmachée mit Laminatüberzug. Ich hoffe mal, dass das nicht allzu viel kostet, aber Geldspenden nehme ich gern entgegen. 🙂

Samstag bin ich sechs Stunden durch die Gegend geradelt. Über Gusterath nach Riveris und von Waldrach zurück nach Kürenz. Ausschlafen wollte ich eigentlich. Stattdessen war ich um sechs bereits hellwach und bin um sieben aufgestanden. In den letzten Jahren habe ich mich nach dem Aufwachen grundsätzlich wie durchgekaut und ausgespuckt gefühlt. Scheinbar hat der Schlaf jetzt als Realitätsflucht ausgedient. Ich fänd’s jedenfalls toll, wenn ich öfters so früh aufwachen und vor Energie schier platzen könnte.

Das Aufladen der Batterien meiner Kamera habe ich jedenfalls vergessen, und deshalb gibt’s von der Tour leider keine Bilder. Dabei habe ich ausgerechnet bei Bonerath etwas gesehen, was mir noch nie zuvor untergekommen ist: Ein Wegkreuz zur Erinnerung an den Krieg von 1870-71. Aber ganz allgemein ist die Gegend da schön. Und die Leute scheinen mir wesentlich freundlicher als in der Stadt.

Ganz in der Nähe von Bonerath liegt die Riveris Talsperre, und da wollte ich als Zwischenziel hin. Nun gibt es in Bonerath zwar die Bushaltestelle, die viel sagend “Talsperrenblick” heißt, aber von dem See ist von dort rein gar nichts zu sehen.

Und als ich da unentschlossen in der Gegend rumstand, ob ich links oder rechts fahren sollte, kam ein älterer Anwohner auf mich zu und fragte mich ganz unvermittelt, wo ich denn hinwolle und ob er mir weiterhelfen könne.

Letztendlich bin ich dann links runter gefahren, über einen reichlich holprigen Wanderweg, bis nach Waldrach immer bergab. Und dort stand ich wieder vor der Wahl “links oder rechts”. Nach rechts ging’s nach Ruwer, nach links zur Anhöhe oberhalb von Tarforst. Der Weg nach Ruwer war mit sechs Kilometern angegeben, und es würden wohl nochmal so viele Kilometer bis nach Hause sein. Der linke Weg war kürzer, dafür aber mit einer kilometerlangen Bergstrecke gesegnet.

Wie es meine Art ist, wählte ich den Weg des Schmerzes. Manchmal muss man mit sich kämpfen und auch mal ans Limit gehen. Was ich auch haargenau schaffte. Als ich in Korlingen ankam, war mir kotzübel. Über den letzten Bergkilometer musste ich an jedem Straßenpfosten kurz verschnaufen, weil ich kaum noch einen Schritt machen konnte, der mich nicht viel Überwindung kostete. An Fahren war nicht zu denken. Dafür reichte der Saft nicht aus. Muskelschmerzen hatte ich keine, nur die Energie ging zur Neige. Das mit dem klar Sehen wollte auch nicht mehr so klappen. Mein Sehfeld verdunkelte sich immer wieder etwas, und mein Kopf fühlte sich so dröge an, dass ich mich des Bedürfnisses erwehren musste, mich einfach so in die Wiese fallen zu lassen.

Zuhause zuerst das Fahrrad wankend in den Keller gestellt. So hinüber habe ich mich auch lange nicht mehr gefühlt. Aber es war ein körperliches “Hinüber”, und das ist viel besser als das seelisch-moralisch-psychische Hinüber der letzten Jahre. Ich bin ausnahmsweise mit dem Lift nach oben gefahren, danach eine Birne essen, Brot schmieren, ein Nickerchen, einkaufen, Grillen. Es war die beste Birne, die ich seit langem gekostet habe.

Montag ist Arbeitsamt angesagt. Die werden mir wohl mal meine Krankenkassenbeiträge abnehmen und zumindest einen Teil meiner Miete zahlen. Ich kann, bis ich eine Anstellung finde, mit Hartz-IV nur besser dran sein, als es in den vergangenen Jahren der Fall war, wo ich im Monat ein “freies Geld” von ein paar Dutzend Euro hatte, die von Nebenkosten- und Versicherungsrechnungen aufgefressen wurden. Mein gesamtes Barvermögen beträgt derzeit nicht einmal 700 Euro. Aber ich fühle mich ungleich freier jetzt.

16. Juni 2010

Die ersten Spiele sind gelaufen!

Filed under: Japan,Spiele,Sport — 42317 @ 18:59

Die FIFA Fussballweltmeisterschaft (so die offizielle Schreibweise) geht natürlich auch an mir nicht spurlos vorüber. Als Japanologe sieht man sich auch die Spiele der japanischen Mannschaft an, sofern man Zeit dazu hat, und ich bin so frei, dies zu tun.
Da spielte Japan also vor wenigen Tagen gegen Kamerun, und ich kann nicht anders, als meine Eindrücke in die Worte eines 20 Jahre alten Computerspiels zu kleiden:

Müdes Ballgeschiebe in Bloemfontain

Das langweilige Spiel Japan gegen Kamerun endete 1:0. Das Spiel fand mit Japan einen glücklichen Sieger. Einige Spieler schienen nicht mit der rechten Einstellung auf dem Platz gewesen zu sein. Angesichts der schwachen Leistungen beider Mannschaften ist das Ergebnis für den Sieger als eher schmeichelhaft zu bezeichnen.

Ich habe den Schlagzeilen- und Kommentargenerator von “Bundesliga Manager Professional” immer geliebt. 🙂 Aber ich habe in der Tat noch nie ein so schlechtes Spiel gesehen.

Ich sehe gewisse Unterschiede in der öffentlichen Wahrnehmung der jeweiligen Nationalmannschaft in Japan bzw. in Deutschland. Die deutsche Mannschaft wird im eigenen Land, scheint mir, im Voraus gern unterschätzt. Das Management der DFB Auswahl ist daran nicht unerheblich beteiligt, aber es ist ja auch nur gerecht, dass man auf die Qualität des nächsten Gegners hinweist – wenn’s nichts wird kann man sagen “Ich hab doch gesagt, dass Ihr den Sekt besser erst mal im Supermarkt lasst!” Der gern motzende und meckernde und viel zu oft miesepetrige Volksmund mischt rege mit und blökt, spätestens im Achtelfinale sei es eh aus, also was solle der Hype. Ja, und dann landen wir am Ende doch auf dem Treppchen für die ersten drei.

Ganz anders in Japan. Da wird das Image der Mannschaft von den Mainstreammedien gebügelt und gepflegt und in alle Himmel gelobt. “Wir kommen ins Halbfinale!” wird der japanische Nationaltrainer, Okada Takeshi, zitiert.
Wie kommt er denn darauf? Japan spielte in der Qualifikation gegen Qatar im ersten Spiel 1:1 und im zweiten Spiel 1:0, dabei ist Qatar nicht unbedingt eine sportliche Landmarke. Abgesehen davon spielte man gegen Australien, verlor erst 2:1 und gewann dann 0:1. Das würde ich mal “sich gerade so in die Endrunde gemogelt” nennen. Aber Australien, ja, Australien!, hieß es, sei ja auch ein starker Gegner, da könne man mit dem Ergebnis zufrieden sein. Jenes Australien, das erst auf Einflussnahme eines wohlhabenden Bürgers (fußballtechnisch) dem Kontinent Asien zugeschlagen worden war, um gegen Mannschaften spielen zu können, die die Mannschaft mehr fordern, als vielleicht, na ja, Amerikanisch-Samoa? Wie wir wissen, wurde das laut japanischer Presse so starke Australien vor ebenfalls nicht allzu langer Zeit wie im Training vorgeführt und 4:0 versenkt.

Die Aussage, bis ins Halbfinale zu kommen, kann man nach dem vergangenen Spiel nur als lächerlich bezeichnen. Klar, Japan war auch schon Asienmeister, aber was da gegen Kamerun gezeigt wurde, war besseres Bolzplatzniveau. Passgenauigkeit und Spielaufbau tendierten gegen Null. Der japanische Torwart nicht weniger springfreudig als alle anderen, aber völlig ziel- und sinnlos. Das Tor kam aus einer eher zufällig entstandenen Situation, sofern ich mir die Einschätzung anhand meines Eindrucks des generellen Spielflusses erlauben darf. Was sagt uns das über das Niveau des asiatischen Fußballs?

Auf die Japaner jedenfalls warten noch Niederländer und Dänen, das heißt leichter wird der Weg zu dem gesteckten Ziel nicht. Wenn da keine Steigerung mehr kommt, scheidet Japan in der Vorrunde aus. Man könnte sich ja mal von einem Ausländer mit Ahnung trainieren lassen. So wie Ottmar Hitzfeld – der eben dem spanischen Europameister gezeigt hat, wie der schweizer Hase läuft.

Damit haben alle Favoriten einmal gespielt. Und bisher haben nur Deutsche und Brasilianer eine gute Figur gemacht. Die Argentinier haben zwar ohne Gegentor gewonnen, aber auch nur 1:0 gegen, ui, Nigeria. Alle anderen haben unentschieden gespielt und mussten darum kämpfen, dass es nicht schlimmer kommt. Der Weltmeister kam gegen Paraguay nach einem 0:1 Rückstand gerade noch auf ein Remis. Der Europameister geht gegen die Schweiz baden. Die Franzosen spielen ein klägliches 0:0 gegen Uruguay und wollen sich damit herausreden, dass sie zu früher Stunde von Vuvuzela-Lärm geweckt worden seien. Ja ja, hab ich mir gedacht, Ausreden sind wie Arschlöcher, jeder hat eins und alle stinken. Und die Engländer… ach, was rede ich überhaupt von den Engländern? Man kann ja durchaus England-Fan sein, aber die englische Mannschaft für einen Titelanwärter zu halten, ist völlig übertrieben.
Ich bin jedenfalls sehr gespannt auf weitere Tendenzen in der Vorrunde. Wenn die alle so weiter spielen, läuft es wieder auf ein Endspiel Deutschland – Brasilien hinaus. Aber: Man soll die Italiener nie abschreiben. 🙂