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Aus dem noch unerforschten Inneren meines Schädels

29. November 2010

Schneeflocken am Wegrand

Filed under: My Life — 42317 @ 18:56

In Trier schneit es, sogar in der Stadt selbst und natürlich vor allem auf den Höhen, auf einer deren ich ja wohne. Der Stadtverkehr läuft nicht viel anders, als sonst auch, aber sobald man Alt-Kürenz verlässt, beginnt das alljährliche Winterdrama, dass ich in diesem Jahr erstmalig automobil erleben durfte.

Dazu sei ein Artikel eingeschoben, den ich aus informativer Armut und mangels guter Ideen nicht geschrieben habe: Mein Großvater hat aus gesundheitlichen Gründen tatsächlich den Verzicht auf sein Auto erklärt und es mir zur dauerhaften Verfügung gestellt. Das Benzin zahle ich, er übernimmt weiterhin Steuern und Versicherung. Im Gegenzug fahre ich mindestens einmal im Monat die Strecke Trier-Bliesgau und zurück, um mit den Großeltern den monatlichen Einkauf zu machen. In den vergangenen beiden Monaten kam ich jeweils mit einer Tankfüllung aus, aber ich bin auch mehr als einmal im Monat gefahren. Der tatsächliche Schnitt wird sich erst nach Ablauf des zweiten Quartals realistisch einschätzen lassen – obwohl es mir ganz lieb wäre, wenn es kein weiteres Quartal in Trier gäbe.

Aber ich bin aktuell in Trier und plage mich mit der Wettersituation.
Der Rückstau des Kürenzer Bergs beginnt ganz regulär an der Abfahrt zur Wehrtechnischen Dienststelle, und bis dorthin fahren derzeit die Busse. Wer weiter oben wohnt, muss laufen, oder ein Auto haben. Die Zeit, die dafür benötigt wird, ist etwa die gleiche.
45 Minuten hat es gedauert, im Schritttempo mit Stop-and-Go und allem drum und dran, von Alt-Kürenz zur Uni hoch zu kommen, von 1720 bis 1805.

Die Fahrspur nach oben kam dabei irgendwie voran, aber die Fahrspur in die Stadt hinunter war dicht. Dort stand der Verkehr dank eines Zementfahrzeugs, das aus irgendeinem Grund nicht weiter gefahren war. Es handelte sich nicht um einen Unfall. Vielleicht war dem Fahrer die Abfahrt zu gefährlich. Und ohne staatliche Hilfe in Form unserer immer blauer werdenden Freunde und Helfer dachte natürlich kein vernünftiger Mensch daran, gerade am steilsten Stück stehen zu bleiben, damit immerhin ein paar Fahrzeuge, die sich hinter dem LKW stauten, ihre Fahrt fortsetzen konnten. Zugegeben: Ich auch nicht. Dabei wurden zwei Stopps am Anstieg notwendig, weil natürlich auch der Kreisel oben auf der Höhe zu war. Ha, Anfahren am Berg auf schneematschiger Straße, aus technischer Sicht bin ich direkt stolz auf mich.

Hinauf wurde also gekrochen, hinunter gestanden, mal abgesehen von dem Menschenfluss hauptsächlich jüngerer Erwachsener, die zu Fuß in beide Richtungen unterwegs waren und sich Mühe gaben, nicht zu fallen.
In dieser Situation war Melanie jedoch heiß entschlossen, in die originalsprachliche Vorstellung des aktuellen Potter-Films zu gehen. Ich verzichte darauf, weil ich nur die ersten drei gesehen habe und es wenig Sinn machen würde, jetzt ins Kino zu gehen. Melanie wollte sich nicht abbringen lassen, und ich kann mich schon mal darauf einstellen, mitten in der Nacht in die Stadt zu fahren, um meine Freundin abzuholen, die mangels Busse sonst nicht so schnell nach Hause kommt.

Ich will zumindest mal hoffen, dass sich die Blechlawine, die sich vor meinem Fenster erstreckt, im Laufe des Abends auflöst, immerhin hat sie in Richtung Stadt etwas an Fahrt aufgenommen, ich nehme also an, dass mittlerweile ein Weg um den Zementlaster herum gefunden wurde, und hoffe, dass die Kiste bald von der Straße verschwindet.

5. November 2010

Abrechnung

Filed under: Japan,Uni — 42317 @ 13:28

Ich bin mit dem Stil der Betreuung der Magisterarbeit, wie sie Frau Scholz darbot, sehr zufrieden gewesen. Ich bin selbst völlig ideenlos, wie man ein Thema schlüssig aufzieht und gliedert, von daher hätte ich nie eine Abschlussarbeit schreiben können, wenn sie nicht nach jedem Arbeitsschritt in eine Richtung gedeutet hätte, in die ich meine Energien lenken konnte.
So weit, so gut. Was allerdings die Durchführung einer mündlichen Magisterprüfung anbelangt, so muss ich feststellen, dass Frau Scholz mir einen kräftigen Schubs in Richtung Abgrund gegeben hat.

Ich will die Prüfung nicht schönreden. Es gab da Details, die ich hätte wissen sollen, auf die ich aber nicht kam. Eine rationale Erklärung dafür, warum ein ganzes Jahrzehnt aus der Biografie Oda Nobunagas aus meinem Kopf wie ausradiert war, habe ich nicht.
Dann gab es da Sachen, die ich hätte wissen können, die ich mir aber nicht angeeignet hatte.
Zum Beispiel die Namen der Provinzen der Kinai Region zu der Zeit. Ich habe mich nicht explizit darum bemüht, sie mir zu merken, aber warum ich nicht einfach die nannte, die ich aus meinen Texten kannte? Vermutlich, weil dort nie explizit davon die Rede war, dass die von Nobunaga eroberten Provinzen eben jenes Kinai darstellten. Lamers hat den Begriff nie geklärt, ich dachte, es handele sich lediglich um das direkte Umland von Kyoto. Ich habe „Kinai“ nie bewusst mit dem umfassenden „Zentraljapan“ in Verbindung gebracht, obwohl nichts hätte eindeutiger erscheinen können. Erneut ein Akt mangelnder Kombinationsfähigkeit meinerseits.

Dann kam folgende Frage:
„Wo wurde Nobunaga geboren?“
„In der Provinz Owari.“
„In welcher Stadt?“
„Das weiß ich nicht.“
„Na, in Nagoya!“
„In Nagoya!?!“

Darauf hätte ich eine Antwort wissen können und sollen. Aber nur dann, wenn ich mir die Fußnote auf der entsprechenden Seite im Lamers gemerkt hätte – oder irgendetwas anderes, als das, was ich tatsächlich als gelesen angegeben habe. In meiner vorrangigen Quelle, Japonius Tyrannus, einer Dissertation des Niederländers Jerome Lamers aus dem Jahr 1998, ist auf Seite 32 folgender Abschnitt zu lesen (den ich aus dem Englischen übersetze):

„Oda Nobunaga wurde vermutlich am 9. Juli 1534 auf Burg Shobata in der Provinz Owari (heute Teil von Saori-chô in der Präfektur Aichi) geboren (Tenbun 3.V28).“

Dieser Satz führt zu folgender Fußnote:

„Shobata ist der wahrscheinlichste Geburtsort Oda Nobunagas, obwohl noch zwei andere Burgen hier und da genannt werden: Nagoya, das sich 1534 noch nicht unter der Kontrolle des Oda Clans befand, und Furuwatari, das zu jenem Zeitpunkt noch nicht gebaut war. (…)“

Mein Teil der Schuld: Ich hätte diese Textstelle explizit kennen müssen, aber ich hatte sie vergessen. Shobata ist kein Ort, der mir aus meinem weiteren Studium der japanischen Geschichte bekannt wäre, von daher ist er meinem Gedächtnis wieder entschlüpft. Aber Nagoya? Nagoya ist eine der bedeutendsten Städte Japans und jedermann kann seinen Arsch darauf verwetten, dass ich Nagoya nicht vergessen hätte, wenn es als der definitive Geburtsort angegeben gewesen wäre!
Und damit fing das Drama erst an.

„Welche Taktiken hat Nobunaga verwendet?“
Mir fällt die Schlacht von Nagashino 1579 ein: „Nobunaga hat unter anderem Gräben und Palisaden verwendet.“
„Nein, denken Sie doch mal an Arkebusen.“
„Ich weiß, dass er Arkebusen massenhaft einsetzte…“
„Ja, er hat sie in Wellen eingesetzt… während die erste Reihe nachlud, feuerte die zweite und so weiter.“
Diese Detailinformation ist in keiner meiner Quellen enthalten. In KEINER.
Was eindeutig drin steht, ist, dass Nobunaga bei Nagashino einen langen Wall errichten ließ, dessen linke Grenze die Felsen eines Bergfußes war, und dessen rechte Grenze von einem Fluss gebildet wurde. Die feindliche Kavallerie war somit nutzlos und verblutete in Frontalangriffen auf die Palisaden, hinter denen mehrere Tausend Schützen die Sturmabwehr übernahmen. Meine Aussage war nicht falsch, nur nicht das, was sie hören wollte.

Fast ebenso verlief folgender Dialog:
„Wer ist Matsudaira Motoyasu?“
„Den Namen habe ich noch nie gehört. Ich weiß nur, dass Tokugawa Ieyasu früher mal Matsudaira hieß…“
„Ja, genau, Matsudaira Motoyasu ist Tokugawa Ieyasu.“
Auch das steht in keiner der Quellen, die ich für die Prüfung angegeben habe. Dass Tokugawa mal Matsudaira hieß, hatte ich nebenläufig irgendwo aufgenommen und es mir als Kuriosum gemerkt (zusammen mit der Information, dass er angeblich seinen Stammbaum fälschen ließ, um eine entfernte Verwandtschaft zur Kaiserfamilie zu konstruieren – eine Voraussetzung, um der Shôgun werden zu können und der Grund, warum sein womöglich weniger skrupellose Rivale Toyotomi Hideyoshi es nicht wurde).

Es zeigten sich noch andere Wissensdifferenzen:
Nach meinem Wissen, das ich aus dem Lamers habe, hat Oda Nobunaga die Tochter seines Rivalen Saitô Dôsan geheiratet, der ihn daraufhin bis zu seinem Tod unterstützte. Saitôs Sohn und Nachfolger wandte sich dann allerdings gegen Nobunaga. Laut Frau Scholz war aber auch Saitôs Sohn mit Nobunaga verbündet, und erst dessen Sohn habe sich dem Bündnis der Gegner Nobunagas angeschlossen.

„Nobunaga hat also den militanten Buddhismus bekämpft – wem nutzte das?“
„Letztendlich nutzte es Tokugawa Ieyasu, der als einziger Machtblock übrig blieb.“
„Nein, es nutzte den Jesuiten.“
In der Situation habe ich nicht schnell genug gedacht, um zu widersprechen. Denn nach meiner Quellenlage war diese Aussage schlicht falsch. Die Jesuiten glaubten lediglich, sie würden von der Niederlage der buddhistischen Sektierer profitieren, aber sie taten es nicht. Ihre 30 Jahre währende Bekehrungsmission auf Honshû hatte bis Anfang der 1580er Jahre eine Menge Geld gekostet, aber so gut wie nichts erreicht. Nobunaga bediente sich der Jesuiten, der exotischen Ausländer, um als Gönner aufzutreten, um seinen Ruf und seinen Ruhm zu steigern, aber er hatte kein Interesse daran, die Jesuiten irgendwelche Macht erlangen zu lassen und wusste es zu verhindern. Wegen seiner Gunst betrachteten die Jesuiten Nobunaga als „Christenfreund“, während er eigentlich bekennender Atheist war, und nur sehr oberflächliche Bindungen an die Lotussekte unterhielt. Er hatte auch gar nichts gegen Buddhisten oder andere Religionen. Er hatte nur was gegen Leute, die sich seinem Machtanspruch in den Weg stellten. Die Jesuiten waren eine Art behütetes Haustier. Profitiert haben sie von der Zerschlagung der mächtigen Sekten in keiner Weise.

Ich weiß nicht, welche Quellen Frau Scholz zur Vorbereitung meiner Prüfung verwendet hat – die auf meiner Literaturliste waren es jedenfalls nicht. Fragen zu dem zusätzlichen Aufsatz über den konstruierten Mythos der Samuraitreue bekam ich jedenfalls nicht gestellt. Am Platz von Frau Gössmann lagen alle Bücher, die ich für ihre Themen ausgeliehen hatte. Frau Scholz begnügte sich bei der Durchführung zur Inspiration für Fragen scheinbar mit dem Artikel in der englischen Ausgabe der Kôdansha Enzyklopädie, die ich nicht verwendet hatte.

Zur Verbesserung dieser Darstellung habe ich auf das Prüfungsprotokoll zurückgegriffen, das ich einsehen, aber nicht kopieren darf. Besser gesagt: Ich wollte darauf zurückgreifen. Das Protokoll ist nämlich nur eine extrem kurze Notizensammlung, deren Wert sich auf den kurzen Moment nach der Prüfung beschränkt, weil man wenige Tage später die Details, die man zur Füllung der Lücken des Protokolls benötigt, wieder vergessen hat. Das Protokoll hatte keinen informativen Wert mehr. Zuletzt war der Lamers nach meinem Abschluss über Wochen ausgeliehen, sodass ich erst vor kurzem meine Zweifel habe prüfen können. Und ich hatte Recht mit meinen Zweifeln – na besten Dank!