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Aus dem noch unerforschten Inneren meines Schädels

30. November 2023

Sonntag, 30.11.2003 – Dinner für vier

Filed under: Japan,My Life — 42317 @ 21:40

Sonntag. Ausschlafen. Das heißt Aufstehen so etwa um 11:00. Der Blick aus dem Fenster macht mir wenig Laune. Bestes Novemberwetter. Kühl, verregnet, windig. Um 13:30 will ich Mei und ihre Mitbewohnerin BiRei beim Second Hand Laden abholen, um gemeinsam bei uns zu essen. Sie hat nach meiner Einladung noch einmal bei Melanie nachgefragt, ob das auch in Ordnung sei. Ich finde das zwar überflüssig, da ich Melanie davon in Kenntnis gesetzt habe, aber ich finde es auch interessant, dass sie vor ihrem Besuch erst die Zustimmung aller beteiligten Personen einholt. Bis dahin allerdings sollte auch die Bude auf Vordermann gebracht werden. Und damit meine Artbooks aus den Füßen sind, will ich sie schnell noch katalogisieren. Vielleicht hätte ich ein paar Takte früher aufstehen sollen. ?

Beim Durchblättern meines neuen Bestandes ist mir aufgefallen, dass ich etwas doppelt habe. Ich habe das „Tenchi Muyô! Gakken Mook Vol. 1“ noch einmal gekauft. Das wird dann wohl versteigert werden (müssen). Es hat auch nur 1000 Yen gekostet, also ist das verkraftbar. Neu habe ich also:

Newtype 100 % Collection: „Nadesico Gekinaide Zenbu“
Newtype 100 % Collection: „Tenchi Muyô! Earth Chapters“
Newtype 100 % Collection: „Tenchi Muyô! Space Chapters“
Dragon Magazine Collection: „Tenchi Muyô! Manatsu no Eve Movie Edition“
Dragon Magazine Collection: „Yoku wakaru Tenchi Muyô!“
Tenchi Muyô! Official Graphic Book“ (PC Game 1998)
Tenchi Muyô! Ryô Ôki – Complete Song Book“
Sen-nen Joô Movie Artbook“ („Königin der Tausend Jahre“)
eX-Driver Official Guide Book Vol. 1“
Gakken Mook Anime V Special: „Mamono Hunter Yôko“
Love Hina – Anihina Ver. 2“
Roman Album: „Streetfighter 2 – The magnificient World of Chun-Li“
GAINAX: „Princess Maker 1+2 Guide Book“
One Piece – Animation Logbook“

Das ist vorerst alles, was ich brauche. Bis auf zwei oder drei Titel, die ich auf nächstes Jahr verschoben habe.

Dann beschäftigt mich aber voll und ganz die Raumreinigung, und ich komme zu spät weg, erst um 13:35. Ich werde wohl eine Viertelstunde zu spät kommen.

Aber ich bin dennoch nicht ganz so spät. Denn unter dem Second Hand Laden (das nennt man hier „Recycleshop“) verstehen wir ganz unterschiedliche Dinge. Ich meinte damit den Laden in der Tomita-Straße, an dem auch „Recycleshop“ dran steht, und Mei wohnt ja um die Ecke. Sie dagegen meinte den GEO-Spieleladen an der Hauptstrasse, gegenüber der Polizeiwache an der unnötigen Fußgängerbrücke. Ich komme unvermeidlich an diesem Laden vorbei, wenn ich in die Stadt will. Und sie nennt das „Recyclingshop“, weil man dort gebrauchte Spiele kaufen und verkaufen kann. Offensichtlich habe ich Software und dergleichen in meine Definition noch nicht einfließen lassen. Aber so sei es. Und meine Verspätung macht sich noch weniger bemerkbar, weil die beiden noch gar nichts eingekauft haben. Also gehen wir in den Beny Mart, um das nachzuholen.

Dort muss ich den beiden erst einmal klar machen, dass sie kaufen können, was sie wollen, und nicht das, was mir eventuell gefallen könnte. Nur auf Fisch und scharfes Gemüse sollten wir wegen Melanie verzichten. Mei kauft eine Packung panierter Hühnerunterschenkel. Weiterhin kauft sie ein paar Süßigkeiten, darunter daumendicke Teigstangen mit Schokoüberzug, die sich kauen wie Styropor, und auch ein Paket „Pocky“. Das sind etwas kompaktere Gebäckstangen mit Schoko- und Kakaoüberzug („Mikado“ in Deutschland). Ich wende ein, dass man davon ja eh nur fett werde und dass ich Melanie eigentlich ein bisschen „entwöhnen“ möchte, aber Mei wischt diese Bedenken beiseite und sagt, heute sei das erlaubt.

Die Mitbewohnerin von Mei heißt also Lin BiRei und scheint ebenfalls ein sehr umgänglicher Mensch zu sein. Sie sagt, dass sie ebenfalls bereits seit Anfang Oktober da sei, aber ich kann mich beim besten Willen nicht erinnern, sie schon einmal gesehen zu haben… dabei neige ich nicht dazu, hübsche Gesichter zu vergessen… was soll’s, sie ist gerade im Begriff, mich zu besuchen.1 Es wird auch ein lustiger Nachmittag mit den beiden. Sie braten die Hühnerbeine an und köcheln sie dann in einer dickflüssigen Mischung aus dem Bratfett, Sojasoße, Essig und Wasser, dazu etwas Zucker. Ich sehe die Pfanne an und kann mich an nichts vergleichbares erinnern. Dazu gibt es Reis, den ich vorbereitet habe. Unglaublich, wie seltsam es den beiden erscheint, dass ich (der Mann im Haushalt) den Reis wasche. „Bei uns machen das nur Frauen!“ Sehe ich da einen Widerspruch zu der Gleichberechtigungsklausel in der Verfassung der Volksrepublik China? Aber ich nehme an, dass männliche Chinesen ebenso viele und ebenso wenige Gründe haben wie westliche Männer, solche Aufgaben nicht zu übernehmen… ob die beiden in Ohnmacht fallen, wenn ich ihnen erzähle, dass ich sogar die Toilette putze?

Mei (rosa) BiRei (grau) 2003

Leider braucht der Reis etwas länger als die Hühnerbeine, also langweile ich unseren Besuch mit den Fotos, die ich im Frühsommer 1999 in Italien gemacht habe Dabei stellt sich heraus, dass alle Europäer gleich aussehen. Aha. Und sie machen immer ein furchteinflößendes Gesicht. Soso.

Mei und BiRei probieren die Pocky und finden sie zu süß. Ach nee, wirklich? Das hätte ich ihnen auch vorher sagen können, aber auf mich hört ja keiner. Außerdem erfahre ich, dass Chinesen Angst vor Katzen haben, bzw. im Bezug auf Katzen sehr zum Aberglauben neigen. Weil auch bei ihnen die Legende existiert, dass Katzen mehrere Leben haben. Ich weiß jetzt nicht, ob dieser Aberglaube unabhängig im Westen und im Osten entstanden ist, oder ob der eine des anderen Aberglauben übernommen hat. Auf jeden Fall fürchten sich Chinesen vor den mysteriösen Katzenaugen. Sehr interessant zu erfahren. Das gibt Irenas Erzählung, dass ihre chinesische Bekannte sich einem kleinen Kätzchen nicht nähern wollte, einen deutlich größeren Rahmen. Oh ja, und auch Chinesen essen Hunde. Ich nehme zwar nicht an, dass das alle Chinesen machen (es gibt schließlich sehr viele davon), aber in bestimmten Gebieten, im Nordosten, gibt es das offenbar. Und Mei sagt, Hunde seien sehr schmackhaft.

Mei bewundert meine (deutsche) Handschrift

Der Reis wird schließlich fertig und das Essen, das die beiden gemacht haben, ist mir ein dickes Lob wert. Trotz der abenteuerlichen Mischung von Zutaten ist es umwerfend gut. Und es ist einfach nachzuvollziehen. Ich frage mich allerdings, wie man das effektiv mit Stäbchen essen soll? Ich stecke mir also das Stück als Ganzes in den Mund und ziehe den nackten Knochen nach einer knappen Minute wieder heraus. Allein das Gemüse (eine japanische Imitation von koreanischem Kimchi), das die beiden als Beilage gekauft haben, scheint nicht von überzeugender Qualität zu sein. Und wenn drei Leute das Gesicht verziehen, mache ich mir nicht weiter die Mühe, das Hasenfutter selbst zu probieren. Im Gegenzug überrasche ich unsere Gäste mit meiner Angewohnheit, das Kochwasser für den Reis zu salzen. Ich dachte bislang, das sei völlig normal. Anscheinend habe ich mich geirrt. Aber sie sagen, dass er ihnen schmecke, und sie essen ihn auch. Also mache ich mir weiter keine Gedanken über meine Angewohnheit. Dabei ist so wenig Salz an dem Reis, dass es mir selbst gar nicht auffällt. Aber vielleicht mache ich bei nächster Gelegenheit mal einen Spritzer Sojasoße und einen Schuss Sake an den Reis, um mal zu sehen, was sie davon halten.

BiRei 2003

Melanie und ich haben bereits gestern Lebensmittel eingekauft und mein Hintergedanke war etwa ein Menü mit zwei Gängen. Aber unsere beiden Chinesinnen sind keine starken Esser und am Ende ist das Fleisch zwar alle (ich habe die Hälfte davon allein gegessen), aber der halbe Reis noch da, zusätzlich der fragwürdige Salat. Uns geht auch leider die Zeit aus, weil BiRei um 16:30 bereits die nächste Verabredung hat, mit ihrer Gastfamilie. Sie verabschieden sich also um 16:00 wieder von uns.

Danach spülen wir das Geschirr weg (was die beiden Chinesinnen auch noch übernommen hätten, wenn sie Zeit gehabt hätten) und arbeiten den Wäscheberg in unserem Schrank ab. Danach lerne ich ein paar neue und auch weniger neue Kanji und sehe mir um 20:00 „Musashi“ im Fernsehen an. Langsam kann ich auch die Handlung in den historischen Kontext einordnen, denn es geht gerade um die Eroberung des Schlosses von Osaka – und das war, so weit ich mich erinnere, 1615.

Um 21:00 läuft „Ai Monogatari“, also „Die Geschichte einer Liebe“. Der Zweiteiler wurde bereits seit Wochen angekündigt und ich war nicht abgeneigt, mir das anzusehen. Grob gesagt geht es dabei um den Bruder des letzten Kaisers von China, der wohl als Offizier in der japanischen Armee diente und eine Japanerin geheiratet hat. Wegen der Beziehung dieser beiden trägt der Film seinen Titel. Die beiden heiraten also etwa 1937, dann kommt der Krieg, zwei Töchter und die Niederlage von 1945. Er will seine Familie noch schnell nach Japan schicken, aber so weit kommt es erst einmal nicht, weil der Palast in Dairen von rachedurstigen Chinesen überfallen wird und die Frauen auf abenteuerliche Weise zu Fuß fliehen, in Richtung Korea.2 Er wird in der Mandschurei zusammen mit seinem Bruder von den Russen eingesammelt und landet später in einem Umerziehungslager der neugegründeten Volksrepublik China. Seine Frau schafft es währenddessen auf abenteuerliche Art und Weise mit einer der Töchter nach Japan (wo die andere Tochter bereits bei einem früheren Besuch bei den Schwiegereltern zurückgelassen worden war). Nach fünfzehn Jahren Trennung sehen sie sich endlich wieder, unter unglücklichen Umständen – die ältere Tochter ist auf der Straße erschossen worden (die Gründe habe ich nicht verstanden) und die Ehefrau bringt die Urne der Tochter ihrem Ehemann.3

Sehr kitschig, mit mittelmäßigen Spezialeffekten. Lustig dabei ist, dass die beiden Hauptcharaktere um keinen Tag zu altern scheinen, sieht man von ein paar grauen Haaren auf seinem Kopf ab. Sie dagegen sieht nach 23 Jahren noch aus wie am Tag der Hochzeit. Nach dem Film sieht man Originalfotos der beiden bei ihrem Wiedersehen – da waren beide deutlich alte Leute!

Interessant fand ich die Darstellung der Soldaten. Zum einen gab es natürlich japanische Soldaten. Die beiden hohen Offiziere, die man sieht, sind gerissen und intrigant und benutzen den Manshû-Kaiser PuYi wie eine Marionette (ein Tribut an die Realität). Die unteren Ränge pöbeln die Zivilbevölkerung an, benehmen sich generell recht ungehobelt und „requirieren“ Nahrungsmittel von der Stadtbevölkerung. Sie verhalten sich also recht roh, aber sie fügen niemandem (sichtbaren) körperlichen Schaden zu. „Grob unfreundlich“, könnte man vielleicht sagen. Das ist meines Erachtens purer Positivismus, oder sagen wir „Geschichtsbeschönigung“, angesichts der 19 Millionen toten Chinesen des Zweiten Weltkrieges. Ich glaube, das habe ich bereits erwähnt. Immerhin: Die Japaner sind nicht die tapferen Befreier Ostasiens. Die Menschenversuche durch das Sonderbataillon 731 in der Mandschurei bleiben unerwähnt, und von Nanjing hört man nur, dass da „gekämpft“ werde. Dass dort ein mehrwöchiges Massaker an Zivilisten mit schätzungsweise knapp 300.000 Todesopfern stattgefunden hat, wird in Japan gerne unter den Tisch gekehrt (deshalb weiß es hier auch kaum jemand).

Die Darstellung der Russen dagegen… ja, die ist wesentlich deutlicher. Die bezeichnende Szene: Ein LKW mit fünf (europiden) Sowjetsoldaten fährt in ein chinesisches Dorf nahe der koreanischen Grenze. Natürlich halten sich dort gerade zufällig die Frau des Protagonisten mit ihrer kleinen Tochter und ihren Dienerinnen/Freundinnen auf. Die Russen (ich nenne sie pauschal einmal so, um die Konnotation der Bilder zu unterstreichen) steigen vom LKW, treten vor die Dörfler, die aus lauter Frauen, Kindern und einem alten Mann bestehen. Ja, was wollen die wohl? Sie verlangen die Herausgabe von fünf Frauen/Mädchen. Keiner reagiert. Daraufhin greift sich der Sprecher ein Mädchen heraus (etwa 13 Jahre alt). Der alte Mann widerspricht und wird ohne weiteren Kommentar erschossen. Daraufhin stellen sich die Dienerinnen der Ehefrau den Russen zur Verfügung, damit diese rechtschaffene Japanerin (das Gegenstück zum „guten Deutschen“) und die Kinder verschont bleiben. Sie werden in LKW geladen und wurden wohl nie wieder gesehen.

Der Zweiteiler hat eine Spielzeit von jeweils etwa zwei Stunden, zuzüglich Werbung kommen drei Stunden zusammen, also habe ich an zwei Tagen bis um Mitternacht vor dem Fernseher gesessen. Und vielleicht waren fünf Tassen Kaffee (aus Langeweile mehr oder minder) vielleicht drei Tassen zu viel – weil ich nicht schlafen kann. Ich liege drei Stunden in der Gegend rum, dann stehe ich um 03:00 auf, esse den Rest Reis, bereite neuen für das Frühstück vor und schreibe meinen Tagebucheintrag. In Deutschland ist es 19:45 am Abend, als ich beschließe, mich wieder hinzulegen. Hoffentlich wird der Montag Abend nicht zu lange, ich könnte vielleicht Schlaf nachholen müssen. Außerdem sitze ich gerade leicht bekleidet in einem ungeheizten Raum, und mir wird so langsam kalt…

1 Sie befindet sich definitiv bereits auf einigen Fotos, die ich bei den verschiedenen Kulturpartys gemacht habe.

2 Wer kann es den Chinesen verdenken? Die Japaner haben sich in der Mandschurei benommen wie die Deutschen in Polen und überließen z.B. die Stadt Harbin in einem gegenseitigen Stillhalteabkommen chinesischen und russischen Verbrechersyndikaten.

3 Laut Wikipedia (Stand 19.04.2021) wurde sie von ihrem Geliebten in einem einvernehmlichen Doppelselbstmord getötet, und das nicht „auf der Straße“, sondern am Berg Amagi auf der japanischen Halbinsel von Izu.

29. November 2023

Samstag, 29.11.2003 – Verkehrte Welt

Filed under: Japan,My Life — 42317 @ 9:46

Das Wetter am frühen Morgen ist ebenso bewölkt wie mein Kopf. Ich bin so müde, dass ich nach dem Weckerklingeln wieder wegdöse und die ersten fünf Minuten von SailorMoon verschlafe. Aber viel gibt es heute auch nicht zu verpassen. Es handelt sich um eine weitere Leerlaufepisode ohne viel echten Inhalt:

Es hat sich dank der Einflussnahme der Bösen wohl herumgesprochen, dass ein Typ im Tuxedo und mit Augenmaske herumrennt und hinter Edelsteinen her ist. Es finden sich viele Nachahmer (ich habe nicht verstanden, warum), die sich ebenfalls in einen Frack werfen und offenbar stehlen wollen. Am Ende jedenfalls gerät Usagi an einen solchen Imitator und rettet ihn vor der Polizei, indem sie sich einen Tuxedo an den Leib zaubert und die Beamten ablenkt. Sie bemerkt den Irrtum erst, als er seine Maske abnimmt. Darauf sieht er sie an und sagt langsam in einem genüsslichen (unmissverständlichen?) Ton: „Hee… Du bist doch ein Mädchen…“ und berührt ihre Haut am Handgelenk. Dabei sieht er sie an, als sei sie ein leckeres Sahneschnittchen…
Okay – sie ist ein leckeres Sahneschnittchen.
Obwohl ein solcher Gedanke schon beinahe pädophil zu nennen ist… sie ist ja erst 1988 geboren… Aber dieser Blick und der Tonfall waren einfach zu irre. ?

Danach lege ich mich noch einmal hin und schlafe bis um 11:30. Dann fahre ich in die Bibliothek und vergesse auch gleich den Film aus ihrem Fotoapparat, den abzugeben Melanie mich gebeten hat. Dafür wird sie mir sicherlich wieder den Kopf waschen. Ich bekomme es fertig, einen kurzen Bericht zu verfassen, was schon mal besser ist, als gar keiner. Der nachfolgende Bericht ist sehr lange und ich schaffe es nicht, ihn bis 16:50 fertig zu haben.

Auf dem Weg nach Hause esse ich an der Bude Bratspieße. Und ich bemerke dabei, dass ich doppelt so viel Geld zum satt werden brauche, als wenn ich Ramen esse, wohl wegen der Flüssigkeit, aus der Ramen zu einem bedeutenden Teil besteht. Bratspieße für 1100 Yen sind jedenfalls nicht wenige, bedenkt man, dass jeder davon zwischen 50 und 80 Yen gekostet hat – bis auf einen, der 110 Yen wert war (Hähnchenflügel am Spieß).

Im Fernsehen läuft am Abend eine Sendung, die sich mit Wahrnehmung beschäftigt. Der erste Beitrag zeigt einen Bericht aus einem Museum mit so genannter „Trick-Kunst“. Da hängt zum Beispiel ein Gemälde, dass auf den Beobachter einen wirklich dreidimensionalen Eindruck macht, aber völlig flach aussieht. Aber es ist nicht flach. Die Häuser auf dem Bild stehen tatsächlich physisch aus der Oberfläche heraus und man muss direkt daneben stehen, um es zu bemerken, oder man muss das Bild anfassen, wenn man davorsteht.

Ein weiterer Trick ist ein Raum, den man durch ein Loch in der Tür beobachtet. Der Fußboden zeigt ein schwarz-weißes, quadratisches Kachelmuster, an der Wand gegenüber von der Tür hängt irgendein Bild. Der Raum sieht völlig normal und symmetrisch aus. Nun betreten zwei Leute den Raum, einer stellt sich in die linke Ecke, der andere in die rechte Ecke. Die Person in der rechten Ecke sieht geradezu riesenhaft aus, die Person in der linken Ecke scheint ihm nur bis zum Brustbein zu reichen. Dabei sind die beiden in Wirklichkeit etwa gleich groß. Der „Riese“ muss aber auch den Kopf beiseite beugen, um unter der Decke Platz zu haben. Wenn die beiden nun ihre Positionen tauschen, verkehrt sich dieser Eindruck – die Person in der rechten Ecke sieht immer viel größer aus als die Person in der linken Ecke. Das Geheimnis daran ist, dass der Raum zwar symmetrisch aussieht, es aber keineswegs ist. Der Boden in der rechten Ecke ist im etwa 50 cm höher als der in der linken, damit steht der Mann rechts höher als der links und sieht dadurch größer aus. Die Illusion der Symmetrie kommt von den Kacheln, die in einem bestimmten Muster angeordnet sind, um die Schiefe der Ebene zu verbergen. Die Ebene hat hinten rechts ihren höchsten Punkt und vorne links (außerhalb des Sichtfeldes des Beobachters) ihren tiefsten Punkt.

Der nächste Bericht zeigt eine japanische Forschungsanstalt. Zwei männliche Versuchspersonen erhalten eine Art Brille, die ihnen die optischen Eindrücke ihrer Umwelt spiegelverkehrt vermittelt. Oben ist oben und unten ist unten, aber links ist rechts und umgekehrt. Diese Brille müssen sie 40 Tage lang tragen, und wenn sie sie zum Waschen oder Schlafen ausziehen müssen, sollen sie die Augen geschlossen halten, bzw. eine Schlafmaske tragen.
Es gilt herauszufinden, ob man das Links-Rechts-Gefühl des Menschen manipulieren kann. Jeden Tag werden Tests durchgeführt. Man wirft den beiden Bälle zu, die sie natürlich nicht fangen können, weil sie die Hände in die falsche Richtung ausstrecken. Sie sollen auch unter Aufsicht Fahrrad fahren, was natürlich ebenfalls misslingt. Schon der Gang zur Toilette, das Essen und das Öffnen von Türen werden so zu einem alltäglichen Wahnsinn.

Nach 40 Tagen jedoch können sie problemlos Rad fahren, Fußball spielen und sich völlig normal bewegen und koordinieren. Computertomographien zeigen, dass sich ihre Hirnaktivität voll und ganz auf die neuen Bedingungen eingestellt hat. Nach diesem Erfolg beginnt das Drama natürlich von vorn, weil sie die Brillen abnehmen und sich wieder an normale Verhältnisse gewöhnen müssen. Die Umstellung auf das normale Rechts-Links-Empfinden dauert allerdings nur wenige Tage und die beiden sind wieder „gesellschaftsfähig“.

Freitag, 28.11.2003 – In den Startlöchern

Filed under: Japan,My Life — 42317 @ 9:38

Der wolkenlose Himmel hält sich den ganzen Tag über, man kann wirklich sagen, dass heute schönes Wetter ist. Aber wie üblich habe ich wenig davon, weil ich den ganzen Tag in Gebäuden verbringe. Ab 14:20 schreiben wir die Zwischenklausur für den Japanischkurs A2. Eine der Aufgaben verstehe ich mangels Vokabular überhaupt nicht. Und auch beim Rest muss ich sagen, dass mir die Lösungen nicht einfach aus dem Ärmel rutschen. Es geht nicht so leicht von der Hand, wie es das sollte, weil ich die Dinge nicht so verinnerlicht habe, wie ich das vielleicht haben sollte – auch mangels Anwendung im täglichen Gebrauch. Das Ergebnis will ich wahrscheinlich gar nicht sehen. Außerdem schreit meine Blase gegen Ende immer mehr nach Erleichterung, also lasse ich die Aufgabe ganz sein und verschwinde zum „Händewaschen“ (jap. „o-Te-Arai = „Toilette“).

Danach fahre ich aber endlich zur Bank, um meine Miete zu zahlen. Ich komme am Sportplatz vorbei und sehe diesen in eine Baustelle verwandelt. Was machen die da bloß mit zwei Baggern und einer Planierraupe, dass man das Ende November noch in Angriff nehmen muss? Ich bemerke auch, dass verschiedene Wintervorbereitungen in vollem Gange sind. Die großen Bäume erhalten Stützpfähle, damit die Äste unter der Last des offenbar erwarteten Schnees nicht unästhetisch abbrechen, die kleinen Bäume werden wigwamförmig mit Latten umgeben, die Hecken werden geradezu in „Lattenkisten“ verpackt, und Sträucher werden zusammengebunden, um die Schäden zu minimieren.

Auf der Bank muss ich mir leider wieder helfen lassen. Ja, ich habe die richtige Taste für Miete zahlen gedrückt, aber der Automat brachte eine Fehlermeldung. Ich stehe am Automaten und hege Mordgedanken. Ich kann die Fehlermeldung nicht lesen. Die Bank selbst hat bereits geschlossen, nur noch die Automaten sind verfügbar. Neben mir wird eine Dame gerade mit ihren eigenen Überweisungen fertig und ich spreche sie an, als sie gerade gehen will. Den mir vorgetragenen Vorurteilen zu Folge, die allesamt aus Erfahrungen mit Japanern aus Tokyo resultieren, hätte sie mich ignorieren und die Bank ruhigen Schrittes einfach verlassen müssen. Aber sie kommt zurück. Was lernen wir daraus? Einmal selbst sehen ist besser als 100 Leuten zuzuhören. Als routinierte Bankautomatenkundin stellt sie sofort fest, dass ich meine Karte falsch herum in den vorgesehenen Schlitz gesteckt habe. Ah, wie schön. Der Automat sagt also nicht sofort nach dem Einstecken der Karte, dass sie nicht richtig eingegeben wurde, sondern wartet mit der Überprüfung, bis eine Funktion ausgewählt wurde. So sei es denn. Die Dame erklärt mir ruhig und geduldig die Funktion des Automaten und ich bin ihr sehr dankbar für ihre Zeit und Geduld.

Im Anschluss gehe ich in den Merchandisingladen, den Yui mir gestern beschrieben hat. Er hat eine interessante Auswahl an gebrauchten Videos, die auch zu recht günstigen Preisen zu haben sind – aber es sind eben nur VHS Videos. Ich habe meine Zweifel, ob es dafür einen Markt gibt. Ich denke also nicht weiter über die Möglichkeiten nach, die sich bei E-Bay bieten könnten, weil ich die DVD als Medium zu weit vorne sehe. DVDs gibt es hier auch, aber ob sie gebraucht oder neu sind, kann ich auf den ersten Blick nicht feststellen, und die Preise sehen für mich nach Neupreisen aus. Obwohl einige dabei sind, die ich gerne kaufen würde… da stehen vier Sammlungen Love Hina herum. Jede hat eine andere Farbe und ist nach einem anderen (weiblichen) Charakter benannt. Ich kann aber auch nicht einmal feststellen, ob es sich dabei um DVDs mit Filmmaterial oder um CDs mit Hörspielen und/oder Musik handelt. Der Preis liegt bei 7800 Yen. Die Serie hat eigentlich fünf DVDs, also frage ich mich, was das sein kann? Der Preis erscheint mir für DVDs jedenfalls zu günstig (für japanische Verhältnisse).1

Es gibt auch CDs meiner persönlichen „most wanted“ Sängerinnen Ogata und Hayashibara. Aber die Preise sind die gleichen wie im Kaufhaus. Haben CDs hier Festpreise??? In Deutschland geht man einfach in die Drogerie Müller, wenn Pro- oder Media Markt zu teuer ist, aber hier muss man offenbar darauf hoffen, gesuchte CDs in einem „Recycle“ Laden zu finden, wo man gebrauchte CDs bekommt. Oh… und es gibt hier eine SailorJupiter Figur, die mich anlacht… aber der Preis lacht mich gar nicht an… los, sieh woanders hin…

Bei der Gelegenheit entdecke ich auch passende Weihnachtsgeschenke. Aber ich habe meinen Rucksack nicht dabei. Auf die Idee, dass man grundsätzlich eine Plastiktüte bekommt, komme ich in diesem Moment nicht. Also warte ich unfreiwillig mit dem Kauf.

Wieder einmal offenbare ich meine Vorstellung von Geschenkeinkauf: Wenn ich etwas finde, wovon ich sofort überzeugt bin, dass jemand aus meinem Bekanntenkreis etwas anzufangen weiß, kaufe ich es (unter Beachtung eines gewissen Preisrahmens natürlich). Aber bei den Leuten, von denen ich das weiß, handelt es sich in erster Linie um Freunde. Bei meiner Familie sieht es da anders aus. Der einzige Wunsch, den z.B. meine Mutter einmal vor vielen, vielen Jahren geäußert hat, war ein elektrisches Fußbad, also eine kleine Plastikwanne, die Wasser erwärmt und sprudeln lässt. Aber das schicke ich ihr bestimmt nicht aus Japan. Mein Bruder wäre sicher nicht wenig begeistert, wenn ich ihm eine… ganz bestimmte, in Deutschland verbotene Uniform schicken würde, aber das kann ich mir nicht leisten. Und von meinem Vater kenne ich keine Wünsche, ja nicht einmal die Postadresse, weil er nicht im Telefonbuch zu stehen scheint, ich mein Adressnotizbuch vergessen habe und mein Bruder nur alle 100 Jahre mal seine Mailbox abruft. Zum Haareraufen ist das – ich habe die Adresse von Heckler & Koch auf meiner Daten-CD, aber nicht die Adresse von meinem eigenen Vater… die existiert nur im „Kugelschreiberformat“, einen halben Erdball weit weg. Immerhin kenne ich die Adresse meiner Mutter auswendig. Sieht man davon ab, dass ich nie sicher bin, ob sie in Nummer 72 oder 73 wohnt… ja, 73 ist die richtige Wahl.

Als ich den Laden wieder verlasse, ist es bereits dunkel und ich fahre zurück in die Bibliothek. Es gelingt mir heute, meine kleine „SailorMoon Mailingliste“ mit ein paar Details um die Realserie zu versorgen, darunter eine Seite mit Screenshots, in die Kommentare eingetragen wurden. Zumindest zum Teil lustig. Für Interessierte oder Neugierige: http://genvid.com/archives/1128031.html2

Nachdem ich um etwa 21:45 mit meiner Post fertig bin, schreibe ich noch schnell den Tag in mein Tagebuch und werde noch fertig, bevor man mich um 22:00 rausschmeißen muss…

1 An dieser Stelle muss ich bereits vorausschicken, dass eine typische japanische DVD nur zwei Episoden enthält…

2 Der Link existiert nicht mehr

27. November 2023

Donnerstag, 27.11.2003 – Des Apfels Kern

Filed under: Japan,My Life — 42317 @ 11:04

Mit Yuan ist das heute nichts geworden. Und ich habe keine Ahnung, wieso. Hat sie es vergessen? An mir kann es nicht liegen, weil ich früh genug in der Halle bin und kurz darauf auch im Center nach ihr sehe. Wie dem auch sei, es stört mein Tageskonzept so weit, dass ich nicht mehr zur Bank komme. Außerdem habe ich sowieso weniger Zeit, weil ich um 12:10 bereits wieder in den Bus steige, der mich, zusammen mit den übrigen Kursteilnehmern, zur heutigen Besichtigungstour bringen wird.

Wir sehen uns Nachbauten der alten Stadtbibliothek und des alten Lehrerhauses an. Warum die Bibliothek nachgebaut werden musste, weiß ich nicht mehr. Das Lehrerhaus dagegen ist wohl einige wenige Jahre nach der Erbauung wieder abgebrannt. Die Nachbauten sind jeweils aber auch schon über 100 Jahre alt – die Stadt Hirosaki wurde während des vergangenen Weltkrieges nicht bombardiert. Gerüchten zu Folge war dies, wie im Falle von Kyoto, den Einwänden amerikanischer Kunsthistoriker und Japanologen zu verdanken. Von Aomori dagegen war stellenweise noch nicht einmal ein Trümmerfeld übrig. Aber bei aller Liebe für die Stadt hier – Hirosaki mit Kyoto in eine Reihe zu stellen ist schon sehr gewagt, und außerdem glaube ich, dass andernorts viel mehr an historischen und kulturellen Schätzen in kleine Fetzen gesprengt und bis zur Unkenntlichkeit verbrannt wurde, als Hirosaki in den lächerlichen 300 Jahren seiner Geschichte bis 1945 jemals hätte ansammeln können.

Aber zu den besichtigten Häusern: Sie wurden, für das Wohlbefinden der aus dem Ausland „importierten“ Lehrer, in einem amerikanischem Stil gebaut, wie man ihn in „Tom Sawyer“ Filmen sehen kann. Das mag für Japaner ungeheuer exotisch sein, aber für unsereiner… hart an der Grenze zu langweilig. Chen macht ein paar Bilder davon, wie ich mit jeweils einem anderen Chinesen am Esstisch sitze und mit den Plastikimitaten Essen simuliere. In den Regalen stehen alte Lexika, und das möchte ich interessant nennen, weil es sich u.a. um Originale aus dem vorletzten Jahrhundert handelt. Man darf sie natürlich nicht anfassen. Gut für die Bücher, schlecht für mich. Allein das „Sesamstraße“ Malbuch und das „Sylvester & Tweety“ Serviertablett wirken etwas fehl am Platz.
Warum habe ich davon kein Bild gemacht????

Die Fremdenführerin des Hauses erzählt uns einige Dinge über die Geschichte des Hauses und über die Lehrer, die hier früher wohnten, mit Schwerpunkt auf den legendären John Ing und wie er den Apfel nach Hirosaki brachte. Jetzt haben wir aber am vergangenen Donnerstag von Kitagawa-sensei die neuesten Erkenntnisse über die Einführung des Apfels bereits gehört, und was wir hier hören, steht auf ihrem Lehrplan unter „Mythen, Sagen und Legenden“. Sawada-sensei fügt also ihrer Übersetzung hinzu: Lächelt und nickt einfach höflich.

Als wir das Haus verlassen, zeigt Chen uns, also SangSu und mir, ein Bild auf dem TFT-Display seiner Kamera und fragt uns, ob wir wüssten, was das sei. Ich erkenne eine rosa Fläche in einer weißen Fläche in der Mitte, letztere mit etwas rötlicher Einfärbung. Nein, wir wissen es leider nicht. Das sind Bilder von meiner letzten Operation sagt er. Der Mann ist aber kein Patient, sondern Chirurg. Oha, interessant… ob er mir davon wohl ein paar schicken könne? Ja, sobald er Gelegenheit dazu habe, könne er mir Bilder schicken. Dann bin ich mal gespannt.

Dann sehen wir die erste Kirche an, die in Hirosaki gebaut wurde, eine methodistische. Auch ein netter Holzbau à la Tom Sawyer. Der zuständige Pfarrer erzählt uns von der Geschichte der Christen in Hirosaki und in Tsugaru. Hirosaki wurde nach der Meiji-Restauration anno 1868 im späten 19. Jh. eines der christlichen Zentren in Japan. Das war natürlich nicht zuletzt dem genannten John Ing zu verdanken, der nicht nur Lehrer war, sondern auch ein methodistischer Missionar. Aber Tsugaru hat eine noch ältere „christliche“ Geschichte. Nennen wir es mal so. Während der Edo Periode (1603 – 1868) war das Christentum verboten, und es war nicht so, dass es hier oben, so weit weg von der Zentrale im heutigen Tokyo (damals Edo) viele Abweichler gegeben hätte, nein, nein. Man hat Christen hierhin, nach Tsugaru, in den damals äußersten Norden Japans, deportiert und es wurden auch nicht wenige hier hingerichtet oder sonst irgendwie vom Leben zum Tode befördert.

Die Kirche ist, wie bereits erwähnt, ebenfalls in einem Stil gebaut, den ich als „amerikanisch“ bezeichnen würde. Aber das ist natürlich nur mein persönlicher Eindruck. Es gibt, im Gegensatz zu den Kirchen, wie ich sie aus Europa kenne, keine extra Holzplanken vor den Sitzbänken, also kniet man hier auf dem Boden. Sehr auffällig ist allerdings, dass es in dieser Kirche kein Kreuz gibt – kein einziges. Ich frage den Pfarrer danach und er erklärt, dass die Erbauer der Kirche, wie auch John Ing, Methodisten gewesen seien, beeinflusst von Unitariern und Puritanern, die, wie er sagte, Kreuze, ebenso wie Statuen und ähnliches, als Symbolverehrung betrachten und daher ablehnen. Und schließlich bekommen wir auch von ihm eine Version der Legende zu hören, wie denn der Apfel nach Hirosaki gekommen sei. Ich will an dieser Stelle einmal die gängigen Hauptversionen mal zusammenfassen:

  1. Ing schenkte ein paar Äpfel, die er in Yokohama gekauft hatte, seinen Schülern und den japanischen Lehrern. Der damalige Direktor der Schule säte daraufhin die Samen seines Apfels aus und der erste Baum wuchs.
  2. Ing schenkte seinen Schülern während der Weihnachtsfeier 1875 einige Äpfel und sie waren davon so begeistert, dass sie die Samen einpflanzten. Aber die Samen sprossen nicht, also baten sie Ing, von einer Reise nach Tokyo weitere Samen mitzubringen.
  3. Ing brachte 1878 von einer Reise nach Tokyo drei Apfelsamen mit nach Hirosaki und verschenkte sie an Leute in seiner Nachbarschaft, die sie in ihre Gärten pflanzten.
  4. Ing aß seine Äpfel ganz alleine und pflanzte die Samen in den Garten des Lehrerhauses.
  5. Der Bruder des damaligen Direktors studierte Landwirtschaft in Indiana (USA) und schickte Apfelsamen nach Hirosaki, die in dem Garten der Familie eingepflanzt wurden.

Immerhin eine Version so ganz ohne Ing. Es gibt noch mehr Versionen, die sich aber nur noch in eher unbedeutenden Detailfragen unterscheiden. Fakt bleibt, dass die Meiji-Regierung die Samen verschiedener Apfelsorten kistenweise aus den USA hat kommen lassen, um die desolate Wirtschaftslage im Norden Japans durch neue Impulse aufzubessern – was letztendlich auch gelang. John Ing hat nur geringfügig mit der Verbreitung der Äpfel in Tsugaru zu tun, aber die Gleichzeitigkeit ließ die Legenden entstehen.

Nach der Rückkehr zur Universität treffe ich Yui, etwa um 14:30. Eigentlich wollte ich mit ihr die ersten vier Lektionen unseres dicken Lehrbuches durchgehen, aber… wir reden dann über alles mögliche andere, nur nicht über unterrichtsrelevante Themen. Das passiert mir in den letzten Tagen öfters. Wir besprechen aber auch, dass ich meinen Sprachstil nicht unter Kontrolle habe. Ich muss mir abgewöhnen, mit ihr und anderen Gleichgestellten auf der höflichen Ebene zu sprechen (nur, weil es mir leichter fällt) – schließlich redet man in Deutschland gleichgestellte Studenten auch nicht mit „Sie“ an, und sollte es jemand tun, wird man sich fragen, ob er noch ganz knusprig im Oberstübchen ist. Nun ja, ich will jedenfalls knusprig sein und nicht wie ein japanisches Toastbrot daherreden, ich werde mich also mehr darauf konzentrieren, mit wem ich wie rede, bis es von alleine geht.

Um kurz vor sieben bin ich wieder zuhause und freue mich auf die Serien am Donnerstag Abend. Wie schon mehrfach angedeutet, laufen Donnerstags mehrere Serien, die ich gerne ansehe, also habe ich an Donnerstagen abends für nichts anderes Zeit… ähem. Die Katalogisierung meiner neu erstandenen Artbooks muss ich daher ebenfalls verschieben.

26. November 2023

Mittwoch, 26.11.2003 – Just Communication

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 12:51

Strahlendes Wetter am Morgen, und es hält sich den ganzen Tag über.

Am Morgen komme ich in den Genuss, mich mit zweien der älteren Chinesen (also über 30) zu unterhalten. Generell unterhalten wir uns über Sinn und Zweck des Japanischstudiums, der sich bei mir darin erschöpft, dass ich überhaupt nicht weiß, was ich mit meinem Leben sonst anfangen sollte. Positiv ausgedrückt ist es also mein Lebensinhalt. Einer der jedenfalls beiden studiert Japanisch, weil er den Manga „Tetsuwan Atomu“ als Jugendlicher so mochte. Viel interessanter dabei war, zu erfahren, welches Bild von Japanern ihrer Meinung nach in China vorherrscht. Sie sagen, dass Japaner als ein wenig verrückt betrachtet würden, aber die Allgemeinheit sei weit davon entfernt, in ihnen den „Erbfeind“ zu sehen. Ich würde das eine positive Entwicklung nennen, angesichts der schätzungsweise 19 Millionen Chinesen, die der kontinentale Teil des Pazifischen Krieges das Leben gekostet hat… und ich halte die geschilderte Einstellung für durchweg richtig.

Vesterhoven behandelt heute Kawabata Yasunari, und der zu lesende Text ist „Kata Ude“, ins Englische übersetzt als „One Arm“. Kawabata arbeitet hier extrem mit bildhaften Stilmitteln und Handlung und Setting wirken sehr (sehr!) surreal. Ich habe keine Ahnung, was ich da eigentlich lese, und was sich der Künstler dabei möglicherweise gedacht hat – falls er gedacht hat und nicht im Morphiumrausch geschrieben hat.
Was steht da nun eigentlich?
Eine junge Frau gibt dem Mann, der sie begehrt, ihren rechten Arm, damit er ihn (an ihrer Stelle) mit nach Hause nehmen kann. Er packt den Arm (keine Prothese! Und dies ist auch kein Horrorszenario) unter seinen Mantel und geht nach Hause. Es ist sehr neblig. Er hört aus einem Radio die Durchsage, dass drei Flugzeuge wegen des starken Nebels nicht landen könnten. Ein Auto fährt an ihm vorbei, aber er nimmt das Auto nicht recht wahr, sondern nur die Fahrerin, und die Lichter des Autos, die lila schimmern und im Nebel verschwinden. Er redet mit dem Arm. Der Arm redet mit ihm. Zuhause legt er sich mit dem Arm ins Bett. Dann erliegt er der Versuchung, nimmt seinen eigenen Arm ab und befestigt den Arm der jungen Frau an seiner Schulter. Aha. Körperliche Verschmelzung, it est: es geht um Sex.
Nichts für mich. Nicht in dieser Form. Ich habe schon Probleme, Texte zu interpretieren, die in sich Sinn ergeben.

Vesterhoven macht seinen Studenten (uns) das Angebot, zu Weihnachten, genauer am 23. Dezember, zum Essen zu ihm zu kommen. Voraussetzung: Man muss helfen, den großen Tannenbaum in seinem Garten zu schmücken. Nun ja, das Herrichten eines Weihnachtsbaumes ist für mich eine rein mechanische Angelegenheit ohne tieferen Sinn, aber vor allem habe ich am 23.12. gar keine Zeit, weil ich bereits am Tag zuvor nach Tokyo fahren werde. Wir werden Ricci und Ronald besuchen, und ich werde auch Hiroyuki wieder sehen wollen. Er soll mir mal Akihabara zeigen. Und für Kati und Memel habe ich mit ein bisschen Glück vielleicht auch Zeit.

Ab 12:15 bin ich mit Yui in der Mensa, um 14:20 treffe ich Mei in der Halle. Anstatt allerdings ihre Englischlektionen zu wiederholen, reden wir knapp drei Stunden lang über alles mögliche andere. Vor allem die Darstellung meiner fernsehreifen Familienverhältnisse verwirren sie sehr, und am Ende macht sie ein Gesicht, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen. Des weiteren muss ich (zu einem anderen Thema) meine Darstellung von Ideal und Realität mehrfach erklären, bis ich verständlich gemacht habe, dass Wertunterschiede zwischen Menschen eben nicht meiner Meinung entsprechen (ich habe nur gesagt, dass Menschen mit geringerer Bildung für Menschen wie uns arbeiten werden), sondern leider eine bittere Realität sind, die ich nicht schätze.

Bevor ich nach Hause fahre, gehe ich aber ins Naisu Dô und kaufe die Artbooks, die ich mir letzten Monat bereits zurechtgelegt habe. 16200 Yen für etwa ein Dutzend Artbooks. Drei weniger dringende habe ich noch stehen lassen. Die kaufe ich dann wohl im Januar zusammen mit dem Material, das ich verkaufen will. Und wenn ich schon Geld bekommen habe, dann kann ich morgen auch gleich meine Miete zahlen, und das diesmal pünktlich…

25. November 2023

Dienstag, 25.11.2003 – Next Generation

Filed under: Japan,My Life — 42317 @ 17:24

Am späten Vormittag fahre ich in die Stadt, weil ich was einkaufen will. Ich brauche neue Socken, um genau zu sein, und nach einer Winterjacke könnte ich mich auch umsehen. Und wenn ich schon dabei bin, kann ich auch die eine oder andere CD-Abteilung in Augenschein nehmen. Für meine Tour nutze ich die Pause zwischen der ersten und der dritten Unterrichtseinheit. Und natürlich regnet es wieder – wie könnte es anders sein – aber nicht sehr stark. Ich sehe mir im Ito Yôkadô alle CDs an, die ich ungehört zu kaufen bereit bin, also den „Sakura Taisen“ Soundtrack, „Fuwari“ und „Bertemu“ von Hayashibara Megumi, „Stop and Go“ von Ogata Megumi… insgesamt 19.000 Yen (ca. 145 E)… wuah, ich glaube, mir schwinden die Sinne… dann behalte ich doch erst mal meinen Plan mit der Schuluniform im Auge und kaufe vielleicht nur den „Sakura Taisen“ OST, nächsten oder übernächsten Monat, danach alles andere Stück für Stück…

Weil mich gerade die Blase drückt, gehe ich zur Toilette. Die in diesem Stockwerk wird gerade geputzt, also gehe ich ein Stockwerk nach oben. Was ich hier finde, ist ein Washlet“ (eine Kombination aus „Waschen“ und „Toilette“ offenbar) das mehr Optionen bietet, als das Exemplar in der Uni. Das Ding hier hat einen Richtstrahl, jeweils eine Sprinkleranlage für den männlichen und den weiblichen Bedarf – und einen Fön. Den will ich doch gleich ausprobieren… hm… es dauert auf diese Art und Weise mehr als fünf Minuten, bis der Allerwerteste wieder trocken ist, und so lange will ich auch nicht auf der Toilette herumsitzen. Dann bleibe ich lieber beim Papier.

Ich fahre auch zum Bahnhof, weil es da noch weitere Läden gibt. Allerdings finde ich gerade keinen passenden Abstellplatz für mein Fahrrad, also vergesse ich das wieder. Zum Unterricht von Phillips bin ich also problemlos wieder zurück. Und seine Brille ist immer noch kaputt. Ich mag schon gar nicht mehr groß darüber nachdenken. Arm kann er nicht sein, also muss er entweder verwirrt oder von seinem derangierten Zustand reichlich unberührt sein. Ich bleibe bei letzterem.

Heute erfahre ich von ihm, dass buddhistische Priester (zumindest in Japan) oftmals verheiratet sind und dass er sich schon hin und wieder zusammen mit einem solchen einen Rausch angetrunken hat. Obwohl doch die buddhistischen Vorschriften sagen, dass berauschende Getränke verboten und dass Liebe und Ehepartner weltliche Fesseln seien, die es abzustreifen oder erst gar nicht anzulegen gelte. Sind das nicht Anzeichen von Abweichung von der Lehre, die es zu bekämpfen gilt? Die pragmatische Antwort auf meinen Einwand: Alles ist vergänglich – auch das Phänomen, das man „Buddhismus“ nennt. Wenn die Priester sich also in ihren Praktiken von der reinen Lehre entfernen, bestätigt das doch die „Goldene Wahrheit“ von der Vergänglichkeit. Aha… ich entferne mich in meinem Verständnis immer mehr von dieser Lehre. Ja, wenn denn alles vergänglich ist und sowieso den Bach runter geht – warum soll man dann brav und ordentlich sein? Warum leben Leute nach buddhistischen Regeln? Warum gehen sie nicht einfach raus in die Welt und haben Spaß?

Die Bibliothek hat heute wegen Arbeiten an den Computern die Terminals dicht gemacht. Aber es gibt Ausweichmöglichkeiten. Valérie hat Melanie einen Raum gezeigt, in dem etwa 100 Rechner stehen, mit Druckern und Scannern in jeder Reihe. Der befindet sich im Gebäude des Rechenzentrums, und man darf das Gebäude nicht mit Schuhen betreten. Am Eingang befindet sich ein Schuhregal, wo man seine eigenen Treter reinstellen und dafür ein Paar (viel zu kleine) Latschen herausnehmen kann. Ich nehme dann in der letzten Reihe Platz und sehe kurz in die Runde… aha, da vorne sehe ich jemanden, der eine Taktiksimulation spielt. Okay… schon verstanden.

Über das Wochenende hat sich einiges an kleinen Mails angesammelt, und das Beantworten braucht seine Zeit. So komme ich nur dazu, einen einzigen Bericht zu schreiben. Karl zum Beispiel hat mir eine Liste mit Bezeichnungen von technischem Gerät aus dem Universum des „Battletech“ Spiels geschickt und bittet um eine Übersetzung. Bei dieser Gelegenheit erweisen sich die auf den Rechnern vorhandenen Bilingualen Wörterbücher, Englisch-Japanisch und Japanisch-Englisch, als sehr praktisch. Leider gibt es für die japanischen Wortkombinationen, die er wissen möchte, immer wieder mehr als eine mögliche Schreibweise, das macht es nicht einfacher. Es wäre praktischer, wenn man statt einer genauen Schreibung in Kanji nur die europäische Schreibung angeben müsste und dann die verschiedenen Möglichkeiten auf einen Blick präsentiert bekommen könnte. So muss ich eine Möglichkeit nach der anderen durchgehen, und das kostet natürlich mehr Zeit, als wenn ich die Lesungen in einem Lexikon aus Papier nachschlagen würde – zumal man Kombinationen im Schreibeditor auswählen kann, die nicht im Lexikon enthalten sind (oder gar nicht existieren). Das kann doch nicht Sinn eines Computerprogramms sein!?

Am Abend kaufe ich einen neuen Sack Reis. Und beim Durchsehen des Regals frage ich mich, ob und wo man in Japan auch ausländischen Reis bekommen kann… ich hätte durchaus nichts dagegen, ein paar Kilo Basmati aus Thailand oder Indien auf Lager zu haben. Und ich nehme zwei große Packungen Sushi mit. Sie würden im Normalfall 600 Yen pro Paket kosten, aber wegen der fortgeschrittenen Stunde (etwa acht Uhr am Abend) wurden sie um 50 % reduziert. Also nehme ich zwei mit und habe somit satt zu essen für zwei Leute für ca. 4,50 E. Und nach dem Essen muss ich mir die Kanji für morgen in den Kopf hämmern, weil ich das übers Wochenende sträflich vernachlässigt habe.1

Inzwischen hat auch Melanie verstanden, dass ein Aufenthalt in Tokyo vom 23.12. bis zum 03.01. kostentechnisch eine utopische Wunschvorstellung ist. Sie reduziert die Dauer auf eine Woche, mit Rückfahrdatum 28.12.2003. Damit wäre ich früh genug wieder zurück, um Vorräte für „o-Shôgatsu“ (die ersten Tage im Januar) einzukaufen, weil dann ausnahmsweise einmal wirklich alle Läden dicht sein sollen, wie Volker berichtete – in seinem eigenen Newsletter vom 01. Januar und 02. Januar 2002, um genau zu sein. Ja, ja, die habe ich alle noch, und ich habe sie griffbereit auf meiner Festplatte hier.

1 Ausländischen Reis gibt es in Japan bestenfalls im Delikatessenladen. Japan ist durch die WTO verpflichtet, Reis einzuführen, lässt ihn aber im Lagerhaus liegen. Kommt es dann irgendwo zu einer Naturkatastrophe, wird der ausländische Reis gern verladen und an Bedürftige verschenkt, aber den eigenen Markt wollen die sich nicht stören lassen. (Von einem japanischen Dozenten, von dem noch die Rede sein wird.)

24. November 2023

Montag, 24.11.2003 – Musica

Filed under: Japan,Musik,My Life — 42317 @ 7:00

Heute bin ich endlich dazu gekommen, mir meine vor einigen Tagen, am Samstag, gekauften CDs anzuhören. Als erstes den „Cutey Honey“ Soundtrack von 1981, und damit ist es der ganz alte, der allererste Soundtrack zur Serie, und man hört die 70er Jahre deutlich aus der Musik heraus (ganz zu schweigen von den Charakterdesigns, wo die Kleidung Bände über die Entstehungszeit spricht). Ich habe zuhause bereits ein paar Versionen von dem Titellied gehört, aber die sind alle neuer. Das alte Machwerk ist also etwas gewöhnungsbedürftig für jemanden, der in erster Linie Musik aus den 80er und 90er Jahren gewohnt ist. Aber der Soundtrack ist weitgehend gut.

Danach gebe ich mir meinen neuen „Animetal Marathon V“. Von den gespielten 40 Stücken kenne ich vielleicht zehn mit Namen, und fünf habe ich schon mal im Original gehört. Aber es ist auch eine Metal-Version von „Zankoku-na Tenshi no These“ („The cruel Angel’s Thesis“ = das Titellied der Serie „Neon Genesis Evangelion“, für die, denen das mehr sagt) drauf. Es ist das letzte Lied auf der CD. Schlecht ist es nicht. Aber leider auch nicht besonders gut. Der Sänger versucht, die Ruhe in der Stimme von Takahashi Yôko (die das Original gesungen hat) zu imitieren, anstatt „alles zu geben“, wie er das normalerweise tut. Das schmälert den Genuss leider etwas. Da mag ich die Punk-Version lieber, die ich vor zwei Jahren gefunden habe, weil ihr eine starke, treibende Kraft innewohnt… weshalb die Version ja auch auf meiner CD mit den Songs gelandet ist, die man am besten laut hört.

Ich sehe mir das Begleitheft etwas genauer an. Nun ja, dass eines der Studios „Freiheit“ (ja, auf Deutsch) heißt, ist ja durchaus positiv zu nennen. Aber das Design der CD ist von einer Organisation mit der Bezeichnung „NAL@Skinheads“… und eine der Bands im Teil mit den Danksagungen heißt „AUSHVITZ“. Ach Du meine Güte… am anderen Ende der Welt ist die Konnotation dieser Begriffe wohl noch nicht so recht angekommen. Auf japanische Ohren wirkt der Klang nicht so heftig wie auf deutsche. Und ich will auch nicht unterstellen, dass das jemand so meint, wie es unsereiner im Normalfall versteht.

Und wenn ich schon über Musik nachdenke: Wollte Sebastian nicht einen „Final Fantasy“ Soundtrack geschickt haben? Ich kann mich aber beim besten Willen nicht mehr erinnern, welchen er meinte. Wahrscheinlich den neuesten – aber welcher ist das? Nummer XII? Nummer XIII? Oder mehr? Ich weiß es nicht mehr. Vielleicht hätte ich es aufschreiben sollen. Wahrscheinlich sogar.

23. November 2023

Sonntag, 23.11.2003 – Der Tag danach

Filed under: Japan,My Life — 42317 @ 10:08

Heute Mittag kommt einiges in schneller Reihenfolge. Kurz nach 12 ruft SangSu an und entschuldigt sich für sein Verhalten gestern. Er sagt, er könne sich kaum an den letzten Abend erinnern. Kopfschmerzen habe er keine, sagt er. Dann kommt er nach oben und bringt uns eine Tüte mit acht Äpfeln, als Schadensersatz. Er entschuldigt sich noch einmal. Ja, das sei schon in Ordnung. Er sei ja leicht und habe sich auch nicht übermäßig daneben verhalten. Wir verabreden uns für den Nachmittag, um unsere Fahrräder abzuholen.

20 Minuten später, als ich gerade einen Apfel in Viertel schneide, wird der Feueralarm ausgelöst. Es ist nicht das erste Mal. Beim letzten Mal habe ich den Grund nicht einmal nachvollziehen können, und der Alarm war nach nicht einmal einer Minute wieder verstummt. Aber diesmal riecht es in der Nähe der Tür nach Rauch. Ich werfe einen Blick nach draußen und sehe das Treppenhaus vernebelt. SongMin und Jû haben ihre Türen weit offen und der Rauch kommt aus SongMins Wohnung. Ich denke zuerst an den Ölofen – aber mein zweiter Gedanke beruhigt mich, weil ein Ölfeuer ganz anders riechen würde.
Sie hat Wasser gekocht und den Topf vergessen. Das Wasser ist komplett verdunstet und der Topf angebrannt. Als sie dann zum Lüften die Tür zum Flur öffnete, hat der Feuermelder dort Alarm ausgelöst – irrsinnigerweise funktioniert nämlich der Rauchmelder in ihrer Küche nicht. Und wenn ich unseren so ansehe, bin ich ganz sicher, dass der auch bereits vor langer Zeit den Geist aufgegeben hat. Wir öffnen auch das Fenster im Flur, damit der Rauchmelder endlich Ruhe gibt. Nach knapp fünf Minuten herrscht wieder gewohnte Stille. Die Feuerwehr hat von den anderen fünf Bewohnern glücklicherweise keiner gerufen…

Das Missgeschick ist ihr sehr peinlich und sie wird nicht müde, sich dafür zu entschuldigen, auch nachdem sich der Rauch verzogen hat. Jû macht sich aber einen Spaß daraus, sie damit aufzuziehen.
Los! Geh zu allen Nachbarn und entschuldige Dich! Los, vorwärts!“ sagt er und grinst breit.
Am Nachmittag kommt er noch einmal in den Flur, hält die Nase in die Luft und sagt zu SongMin: „Was riecht hier so komisch? Hat da jemand mit Feuer gespielt?“ Auf Japanisch, damit es auch ja jeder versteht. Ich schenke den Koreanern zur Entspannung der Nerven drei Stücke Traubenzucker und schlage vor, um 17:00 doch gemeinsam Ramen essen zu gehen. Zumindest hoffe ich, dass SangSu wieder in der Lage sein wird, feste Nahrung zu sich zu nehmen. Aber ich kann ihn ja gleich fragen, weil wir unsere Räder noch holen müssen.

Der Schnee hat sich nicht gehalten, Außentemperatur fünf Grad Celsius. Die Straßen sind nur noch feucht, und es scheint sogar die Sonne, also ist Rad fahren ungefährlich. SangSu kann sich in der Tat an nichts erinnern, was nach 22:30 vorgefallen ist. Aber er fühle sich gut und werde mit essen gehen. Auf dem Weg klären wir ihn über sein Sündenregister auf und er schämt sich in Grund und Boden. Ich muss Glenn bei Gelegenheit fragen, ob sie es gut verkraftet hat, von dem hoffnungslos betrunkenen SangSu mehrfach umarmt zu werden.
Als wir bei Misi eintreffen, macht er sich mit Irena, Valerie und Paola gerade auf den Weg, um ihre Wäsche im Kaikan zu waschen. Offenbar verfügen ihre Apartments nicht über eine Waschmaschine. SangSu entschuldigt sich auch bei ihnen und bestätigt aufs Neue, dass wer den Schaden hat, für den Spott nicht zu sorgen braucht.

Misis Nachbarin hat mein Fahrrad woanders hingestellt, nicht weit, aber der Sattel, bzw. dessen Schaumstofffüllung, ist mit Wasser vollgesogen und ich muss im Stehen fahren. Ist ja kein Beinbruch, aber es lehrt mich, für solche Gelegenheiten besser eine Plastiktüte dabei zu haben, um sie über den Sattel zu ziehen, falls er mal wieder im Regen landen sollte.

Eigentlich wollen wir in die Bibliothek, aber da morgen, am Montag, ebenfalls ein Feiertag ist, bleibt die Bibliothek auch heute geschlossen. Dann eben keine Post heute. Was mir mehr Sorgen macht, ist die Aussage von Alex, dass die Bibliothek über die Weihnachtsferien komplett die Türen schließe. Aber er sagt auch, dass es andere Gelegenheiten wie z.B. die öffentliche Bibliothek gebe, wo man ebenfalls einen Computer benutzen könne, wenn auch nur für 30 Minuten. Noch später erfahre ich allerdings, dass „Winter Break“ sich nicht auf die Semesterferien bezieht (das nennt Alex „Spring Break“), sondern nur auf die freie Zeit um und nach Weihnachten. Etwa drei Wochen sind da frei, wie es scheint. Ich weiß also nicht, wie sich das in der Zeit mit dem Newsletter verhalten wird. Alex nennt mir Möglichkeiten, Post zu lesen und auch zu schreiben, aber ein Newsletter ist eine längere Angelegenheit, die sich während dieser drei Wochen wahrscheinlich nur schwer realisieren lassen wird. Vielleicht fahre ich mit den Internet Cafés am besten, da kostet mich eine Stunde 100 Yen, und ich brauche etwa zwei Stunden, um einen normalen Newsletter von drei Seiten zu schreiben. Ja, was heißt da „Wie bitte!?“. Ich schaffe das zwar auch mit erheblich weniger Zeitaufwand – aber dann leidet die Qualität.

Um 1700 stehen wir bereit bei SongMin vor der Tür. Jû sei noch nicht erschienen, sagt sie – er hat verschlafen. Verschlafen? Vor lauter Glück über das wohlig warme Zimmer ist er am frühen Nachmittag über seiner Arbeit eingeschlafen und erst kurz vor fünf Uhr durch SongMin geweckt worden. Er wird noch ein paar Minuten brauchen. SangSu ist doch nicht so auf dem Damm, wie er dachte, also schläft er lieber. Soll er mal besser.
Um 17:15 ist Jû dann so weit. Wir gehen zu Fuß hin, weil SongMin das Fahrradfahren nie gelernt hat. Ihre Mutter hat es ihr verboten, weil der Straßenverkehr in Korea offenbar zu gefährlich ist. Jû sagt, dass viele Mütter das so machten.

Wir essen jeder eine Portion „Bunpuku Ramen“, das heißt eine Nudelsuppe mit Gemüse und gegrilltem Hühnerfleisch. Es ist die Spezialität unseres Stammlokals, nach der es auch benannt wurde. Als Beilage „Ebi Cream Korokke“, eine Mischung aus zerstoßenen Kartoffeln, Shrimps und Sahne mit Panade drum herum, etwa handtellergroß. Mein Handteller. Jû erzählt, dass er aus dem südlichsten Südkorea stamme, und dass er noch nie Schnee gesehen habe, bis er eingezogen worden war und ihn die Armee ihn in schneereiche Bergregionen „verschleppt“ habe. Seitdem sei er kein Freund von Schnee mehr. Die Aussage kommt mir übertrieben vor, aber es ist schon schwer genug, sich jemanden wie Jû in einem Kampfanzug vorzustellen, weil er viel zu intellektuell dafür aussieht. SongMin auf der anderen Seite stellt sich als ein wenig eitel heraus, denn immer, wenn sie weiß, dass sie fotografiert werden soll, nimmt sie ihre Brille ab. Ich lache darüber. Und finde es ganz toll, dass meine Kamera ein TFT-Display hat, so dass ich die Kamera nicht offensichtlich vor meine Augen halten muss, um eine Aufnahme zu machen. So kriege ich also Bilder von ihr, auf denen sie echt aussieht. Ihre Brille hat jedenfalls eine wirklich umwerfende Vergrößerung. Sie sagt, ohne Brille sehe sie eigentlich nur gerade gut genug, um nicht gegen Laternenpfähle zu laufen.

SongMin und Jû 2003

Auf dem Rückweg zeigen wir den beiden noch die anderen Lokale, die auf dem Weg von der Uni zu den Shimoda Heights liegen. Sie sagen, dass diese ihnen noch nicht aufgefallen seien. Ich hege Zweifel an dieser Aussage, weil niemand so blind sein kann; andererseits kann ich mir auch nicht vorstellen, warum man in dieser Situation eine Falschaussage machen sollte. Also lege ich die Sache ad Acta und schlage vor, auch mal Spieße essen zu gehen.1

Schließlich gehen wir in den Beny Mart, um Getränke zu kaufen. Dort fällt mir dann auf, dass ich meine Handschuhe im Ramenladen habe liegen lassen. Also bringe ich mein Boco (und die um 133 Yen reduzierte Packung Sushi) nach Hause und mache mich noch einmal auf den Weg, meine Handschuhe zu holen.
Sie sind scheinbar unter den Tisch gerutscht, als ich meine Jacke angezogen habe. Ich entschuldige mich für die Störung und nehme mir vor, besser auf meine Handschuhe zu achten – auch wenn sie nur 100 Yen gekostet haben.

Ab 21:00 läuft im Fernsehen die japanische Version von „Bad Boys“ mit Will Smith. Natürlich der erste Teil, wahrscheinlich als Werbung für den hier gerade im Kino anlaufenden zweiten Teil. Ich glaube, ich höre Will Smith lieber im Originalton. Das Ganze einmal auf Japanisch zu erleben, ist interessant, aber beim Thema Spielfilmsynchro müssen die Japaner noch einiges lernen… der Ton hört sich zu künstlich an, denke ich. Und die Stimmen hören sich verstellt an (um in die Rollen zu passen). Nicht gut…2

1 Einem japanischen Sprecher würde ich zutrauen, eine solche kleine Lüge vorzubringen, um mir so das angenehme Gefühl zu vermitteln, ich hätte ihm etwas interessantes Neues erzählt.

2 Japan verfügt über eine Reihe der besten Synchronsprecher weltweit, es handelt sich dort um einen Ausbildungsberuf. Die besten arbeiten allerdings im Animebereich. Gleichzeitig heißt es, dass jedes Jahr 10.000 Menschen diesen Beruf erlernen – was also machen die alle? Jedenfalls keine Filmsynchro. Meine Vermutung ist, dass durch schlechte Vertonung der Wert der Importware gegenüber den heimischen Produktionen gesenkt werden soll, auf denen ein eindeutiger Fokus liegt.

22. November 2023

Samstag, 22.11.2003 – Let it snow, let it snow, let it snow…

Filed under: Japan,Musik,My Life,Spiele — 42317 @ 10:32

Heute Morgen ist es zum Teil recht windig und einzelne Schneeflocken fallen vom Himmel. Es sind kleine Schneeflocken – aber es sind Schneeflocken. Es ist dem entsprechend kühl.

Die heutige Episode SailorMoon verläuft ohne große Überraschungen. Makoto und Rei streiten sich, Rei wird von Mitarbeitern ihres Vaters (der ein reicher, mächtiger, und vor allem obskurer Politiker ist) gewissermaßen aus dem Schrein ihres Großvaters entführt. Makoto rettet sie (die Wachen fliegen nur so in der Gegend rum) und alles ist wieder gut. Interessant fand ich die Jupiter-Attacke „Flower Hurricane“. Davon habe ich noch nie gehört… oder habe ich die vergessen? Mir deucht, da will jemand kreativ anstatt reproduktiv sein.

Reis Vater oder Großvater bekommt man nicht zu Gesicht. Von dem Schrein hat man allgemein noch so richtig nichts außer ein paar nichts sagenden Außenaufnahmen gesehen. Ich will auch betonen, dass der „Hikawa Jinja“ kein Tempel (= buddhistisch), sondern eben ein Schrein (= shintoistisch) ist. Und bislang fehlt da noch ein wichtiger Jemand: Yûichirô, der Schreindiener aus Leidenschaft. Ich würde sein Fehlen wirklich sehr bedauern. Vor dem Hintergrund der sich abzeichnenden Annäherung von Makoto und Motoki muss ich allerdings fürchten, dass hier die „Beinahe-Beziehung“ Yûichirô/Rei der Animeserie aus Gründen der „Kreativität“ durch die neue Konstellation ersetzt wird.

Abgesehen davon finde ich es ein wenig dämlich, dass die Truppe sich die meiste Zeit in einem der (Karaoke) Räume des „Crown Game Center“ trifft, anstatt im Schrein. Okay, Luna hat den Mädels auf geheimnisvolle Art und Weise Dauerkarten für kostenlosen Zutritt verschafft, aber das wirkt an den Haaren herbeigezogen, und es ist nicht das gleiche, die Stimmung ist total anders, weil der Karaoke Raum widerlich künstlich aussieht, im Gegensatz zu der gediegenen Atmosphäre eines Schreins. Aber selbst wenn die fünf Freundinnen die Raummiete im Game Center zahlen müssten, würde das wohl nicht so sehr ins Gewicht fallen, wie man meinen könnte… am Tisch sitzen ja Usagi, Ami, Rei und Makoto, und schließlich wird noch Minako dazukommen – und von den fünf genannten Personen haben zumindest vier keinerlei finanzielle Sorgen. Bis auf Usagi sind die alle „wohlhabend“ bis „reich“: Minako als gefeierter Star, Rei mit dem Vater im Hintergrund, Ami mit der Ärztin als Mutter (und dem Vater, der es sich offenbar leisten kann, lieber irgendwo in der Welt herumzureisen und Bilder zu malen, als Zeit mit seiner Tochter zu verbringen), und Makoto mit ihrer (zumindest mutmaßlichen) Waisenrente, die ihr eine geräumige Wohnung in Tokyo für sich allein erlaubt!

Venus ist noch nicht dazugekommen. Wenn sie in der kommenden Episode nicht dazustößt, steht fest, dass hier unnötig Zeit und Produktionskapital verschwendet wird – man könnte sich doch auf das Wesentliche beschränken, als ständig nur „Das Monster der Woche“ zu präsentieren. Mehr Storyentfaltung statt Leerlauf! Ich komme zu der Überzeugung, dass die derzeitige Produktion sich auf die erste Staffel beschränken wird. Natürlich mag jetzt jemand einwenden, „auf dieser und jener Seite im Internet sind die Fakten doch zu finden, warum nur vermuten?“, aber ich muss sagen, dass ich mir nicht die Mühe mache, selbst groß zu suchen. Ich weiß inzwischen, was mich interessiert. Ich weiß, dass es eine „Episode 0“ gibt (ein „Making Of“), ich kenne die Namen der Hauptdarstellerinnen auswendig, nachdem ich sie zweimal angesehen habe (wenn mir doch nur alles so gut merken könnte, wie die Namen hübscher Frauen!) und ich habe mir die Geburtsdaten der Mädels mal angesehen – die Hauptdarstellerinnen sind zwischen 1986 und 1988 geboren, also durchaus passend für diese Rollen.

Ein Blick auf meine finanzielle Entwicklung: Am Ende des Monats scheint mir exakt so viel Geld übrig zu bleiben, wie der Anteil Melanies an den Gesamtkosten wert ist – wäre ich alleine hier, hätte ich also gerade genug zum Überleben und ab und zu einen Keks als Sonderration an Sonntagen… Ich empfehle allen meinen Nachfolgern, sich eine Wohnung mit jemandem zu teilen. Wenn man das nicht will und wenn auch nicht übermäßig viel Platz braucht, sollte man keine zwei Zimmer nehmen – eine Einzimmerwohnung reicht voll und ganz aus, und spart ein paar Tausend Yen Miete. Melanie und ich verwenden unser Tatamizimmer z.B. nur als Schlafzimmer und für sonst nichts. Rein materiell betrachtet kämen wir auch mit einem einzigen Raum aus. Der einzige konkrete Vorteil des zweiten Raumes ist der zweite Schrank, der sich darin befindet. Müssten wir die Futons zusammen mit den anderen Sachen in einem einzigen Schrank unterbringen, hätten wir ein Platzproblem. Andererseits wird die eine oder andere Ecke auch noch nicht wirklich effektiv ausgenutzt, wie z.B. das kleine Schrankfach über dem Hauptschrank. Wenn man die ganzen Kartons wegwirft, könnte man da noch einiges hineintun.

Aber was hilft das Klagen (eigentlich will ich mich gar nicht beschweren!), es ist so, wie es ist. Und der wahre Vorteil eines zweiten Raumes ist die Rückzugsmöglichkeit, die er bietet. Andauernd auf Tuchfühlung zusammen zu sein, führt zwangsweise zu Spannungen, die ich zur Erhaltung meiner Beziehung eigentlich vermeiden möchte.

Übrigens muss man nicht gleich verzweifeln, nur weil man zuhause niemanden findet, mit dem man zusammenwohnen möchte oder kann, weil man vielleicht der einzige von seiner Heimatuni ist, der hierher kommt. Es gibt hier genügend Möglichkeiten. Misi hat anfangs ebenfalls nach jemandem für eine 2er-WG gesucht (aber niemanden gefunden, ähem…), aber Mei z.B. hat eine weitere Chinesin gefunden, BiRei, die bereit war, mit ihr eine Wohnung zu teilen. Und mir scheint, die kommen gut miteinander aus.

Aus Tokyo höre ich, dass es dort kaum (oder keine?) „Internationale Feste“ gebe. Wie soll ich diese Meldung interpretieren? Was soll ich denn in Tokyo, wenn die ach so guten Universitäten dort es nicht für notwendig (oder erschwinglich) betrachten, den kulturellen Austausch etwas in Gang zu bringen? Ich finde das reichlich traurig. Dann wundert mich wenig, dass sich unter den vertretenen Ethnien „geschlossene Gesellschaften“ bilden. Wohl dem, der genügend Landsleute zur Auswahl hat! Wenn man mit einzelnen Exemplaren nicht zurecht kommt, kann man sich auch an andere wenden. Wenn man dagegen einen kurzen Strohhalm gezogen hat, vielleicht der einzige aus seinem Heimatland ist oder mit seinen Landsleuten nicht zurechtkommt, dann hat man verloren. Es ist nicht jedermanns Sache, von sich aus auf fremde Leute zuzugehen, um Kontakte zu knüpfen. Und wenn das nicht gelingt oder unterlassen wird, könnte das Austauschjahr eine widerlich einsame und lange Zeit werden.

Ich bin der Meinung, dass die Universitäten den Studierenden unter die Arme greifen sollten, damit diese irgendwo sozialen Anschluss finden. Und das nicht nur bei Japanern, sondern auch untereinander. Wann erhält man schon eine Gelegenheit, sich unter einen derart internationalen Haufen zu mischen? Ich habe das Gefühl, dass die vertretenen Nationen hier interessanter (weil für mich exotischer) sind, als das, was sich z.B. in Trier tummelt (obwohl dort die gleichen vertreten sind). Aber das ist nur meine persönliche, subjektive Meinung. Vielleicht bedarf es dafür einer „anleitenden“ Institution. Und das hiesige Ryûgakusei Center erfüllt diese Aufgabe sehr vorbildlich.

Wenn man eine zurückgezogene Natur ist, die nicht von alleine Kontakte sucht (aber dennoch braucht), muss man doch in Tokyo vereinsamen – oder sehe ich das falsch? Ich persönlich komme damit zurecht, nur oberflächliche Kontakte zu haben, weil ich mich auch mit mir selbst genug beschäftigen kann – aber ich bin ja auch „Der Extreme“. Wer also mehr Wert auf soziale Kontakte legt, als auf die – wie soll ich sagen? – infrastrukturellen Vorteile der Megalopole Tokyo, der komme ruhig nach Hirosaki. Ich habe es bisher in keiner Weise bereut.1
Aber der Winter kommt ja erst noch.

Um zehn Uhr am Morgen kommt SangSu die Treppe hoch und klingelt an meiner Tür – um mir zu sagen, dass es schneit. Ich bin erst ein wenig verwirrt, weil er wegen dieses banalen Umstandes extra vorbeikommt, aber ich empfinde es als eine freundschaftliche Geste. Bei der Gelegenheit kläre ich ihn darüber auf, dass ich kein „-san“, sondern ein „-kun“ bin. Wenn ich irgendwann einmal reich und wichtig sein sollte, darf er mich gerne „Dominik-san“ nennen, aber jetzt reicht mir „Dominik-kun“.2

Wegen der Stimmen auf dem „Flur“ steckt SongMin den verschlafenen Kopf zur Tür raus und redet ein paar Sätze mit SangSu, und das mit einer „Ich bin gerade erst wach geworden“ Stimme, die so niedlich und süß ist, dass ich auf der Stelle Karies kriegen könnte. Danach verschwindet sie wieder hinter der Wohnungstür. Bevor SangSu geht, biete ich ihm an, am Abend doch mit SongMin und Jû bei mir vorbeizukommen, um vielleicht einen Schluck zu trinken und ein bisschen zu „plaudern“, wie man so schön sagt. Er will warten, bis SongMin endgültig ansprechbar ist und Jû überhaupt wach wird (der lernt immer bis drei oder vier Uhr morgens) und verspricht, die beiden zu fragen.

Drei Stunden später treffe ich ihn in der Bibliothek wieder und SangSu teilt mir mit, dass Misi für diesen Abend bereits eine Party geplant habe. Ich habe auch nichts dagegen, da hinzugehen. Bis 1700 schreibe ich drei Berichte und treffe danach Melanie, weil wir zum Ito Yôkadô fahren wollen. Dort befindet sich der Busbahnhof und wir bringen in Erfahrung, wie viel der Trip nach Tokyo mit dem Nachtbus kosten würde. 19.000 Yen wären für Hin- und Rückfahrt zu zahlen, also etwas über 140 E. Das ist nicht wenig, vor allem gerade jetzt, wo ich noch kaum Geld angespart habe. Mein Plan war, bis zum Sommer etwas Geld zurückzulegen, um dann nach Tokyo zu fahren, um auch kommerziell etwas davon zu haben. Meine Geldreserven belaufen sich auf gerade 30.000 Yen, vielleicht ein bisschen mehr, aber 35.000 sind eine großzügige Schätzung. Melanies Planung läuft ja darauf hinaus, über Weihnachten nach Tokyo zu fahren, um mit Ronald und Ricci zusammen Weihnachten verbringen zu können. Natürlich gehen unsere Meinungen da weit auseinander. Für mich ist Weihnachten kein besonderer Tag, also hätte ich nichts dagegen, die kommenden Semesterferien im Frühjahr abzuwarten, um zu fahren. Ich will meine Freunde in Tokyo ebenfalls sehen, aber ich brauche nicht Weihnachten als Anlass. Zwei Monate später ist doch auch in Ordnung, Hauptsache, ich sehe die zwei überhaupt – oder nicht? Auf jeden Fall hätte ich dann auch die notwendigen Reserven, um in Tokyo auch ein paar sehenswerte Dinge besuchen zu können, anstatt mich auf ein Minimum beschränken zu müssen. Natürlich sieht Melanie das völlig anders. Weihnachten sei nun einmal Weihnachten, das sei etwas ganz besonderes und man solle diese Tage mit besonderen Menschen verbringen. Ein Besuch im Februar zum Beispiel sei nicht das Gleiche. Aha, wie soll ich das verstehen? Sind die Freunde weniger besondere Menschen, weil zufällig gerade nicht Weihnachten ist? Ich würde mich immer freuen – aber ich muss doch auch der (finanziellen) Realität Tribut zollen. Wenn ich jetzt nach Tokyo fahre, bin ich nachher pleite, und ich muss vielleicht noch einmal hinfahren, um die Besichtigungen zu machen, die mir so vorschweben. Also doppelte Ausgaben. Das schmeckt mir nicht. Vor allem eingedenk der Tatsache, dass ich möglichst viel Geld auch zurück nach Deutschland nehmen muss, weil ich sonst kein Geld mehr haben werde, um überhaupt meinen Semesterbeitrag zahlen zu können (der zufällig ebenso hoch ist, wie der Preis einer Fahrt nach Tokyo).

Ich könnte – oder muss – meine Internetverkäufe verstärken, damit Geld in die Kasse kommt, aber die Chancen stehen nicht schlecht, dass diese jetzt geplante Reise nach Tokyo die einzige, und mangels Geld eine relativ magere bleiben wird.3

Ein Argument muss ich allerdings anerkennen: Ronalds Stipendium läuft am Ende des Wintersemesters aus, und es ist wahrscheinlich, dass er danach sofort zurück nach Deutschland fliegt. Also gäbe es keinen Zeitraum außer um Weihnachten, ihn noch einmal zu sehen, bevor ich wieder bis Oktober 2004 warten müsste… also sei es.

Man lebt nur einmal und wenn mir morgen ein Ziegelstein auf den Kopf fällt, habe ich von keinem gesparten Geld der Welt mehr etwas. Also folge ich einer feudalen „Tradition“ und mache mich bei einem „Edo sanpô“ („Gang nach Edo“ = Tokyo) arm. Schließlich bin ich der Schwarze Samurai.4

Nach der Preisinformation gehen wir ins Ito Yôkadô, weil Melanie weitere Bilder von uns machen möchte – „Purikura“, die man noch selbst an einem an der Kabine integrierten Computer bearbeiten kann, um lustige Fotos daraus zu machen.5 Wahrscheinlich habe ich darüber bereits geschrieben, also gehe ich nicht weiter auf dieses behämmerte Thema ein – Purikura sind für Kinder! Und von dieser Meinung werde ich in absehbarer Zeit nicht abweichen. Unter Teenagern erfreut sich dieses „Spiel“ jedenfalls der größten Beliebtheit, wie mir scheint.

Der Automat, den Melanie verwenden möchte, ist gerade besetzt, also setze ich mich in die CD Abteilung ab, um auch mal nach den CDs zu forschen, nach denen man mich bereits gefragt hat. Aber ich muss das anders anpacken. Ich finde auf eigene Faust nicht sonderlich viel, und ich will den Angestellten nicht nach allem auf einmal fragen… auch – oder vor allem? – um meinetwillen. Am besten schreibe ich einzelne Zettel mit den Interpreten und besorge mir etwas Vokabular, dass in einer CD Abteilung von Nutzen sein könnte. Am besten fange ich mal mit „bestellen“ an.

Ich finde auch Material, das mich selbst interessieren würde. Eine CD von Ogata Megumi… „Stop and Go“. Habe ich noch nie von gehört. So wie die CDs hier verpackt sind, muss ich annehmen, dass Deutschland den Japanern eine Serviceleistung voraus hat – offenbar kann man eine beliebige CD nicht einfach so anhören. Aber vielleicht hätte ich fragen sollen, anstatt es nur zu vermuten. Ich merke mir die CD einmal. Ah, Hayashibara Megumi findet sich auch, aber nur Singles, mit Ausnahme von „Fuwari“. Was soll ich mit Singles? Ich mache mir eine Notiz für „Fuwari“. Oha, da ist der „ANIMETAL MARATHON“… Nummer Fünf??? Dann habe ich ja einiges verpasst. Aber den nehme ich sofort mit, koste es, was es wolle. Und wenn ich schon dabei bin, nehme ich mir auch eine CD mit dem gaaanz alten „Cutey Honey“ Soundtrack mit. Dem kann ich jetzt nicht widerstehen. Oh, da steht der komplette „Sakura Taisen“ Soundtrack… teuer… aber vorgemerkt.

Dann ist der Automat endlich frei. Melanie darf die Bilder alleine bearbeiten. Mir fehlt das Verständnis dafür, was daran so toll sein soll. Mir fehlt das Interesse, also spiele ich eine Runde „Point Blank“, bzw. es ist wohl eines der Spiele aus der Reihe, und es heißt „Gun Barl“. Barl? Barrel? Japlish? Egal, die Pistole erweist sich als schlecht eingestellt und außerdem ist das Kabel zum Automaten nicht für jemanden gemacht, der größer als 170 cm ist.

Daneben steht ein Automat für ein weiteres Spiel. Und das ist seltsam. Man muss extra Spielmünzen dafür aus einem Automaten ziehen. 100 Yen geben 10 solcher Spielmünzen, „special coins“ (SC) genannt. Der Automat besteht aus einem Glaskasten und sieht ein wenig wie ein Aquarium aus. In dem Kasten bewegt sich ein Schieber vor und zurück, der bis zu einem gewissen Punkt die eingeworfenen Spielmünzen auf den Rand einer Ablage zuschiebt. Man lässt die SC über eine Schiene in den Automaten hineinrollen, und zwar hinter die bereits liegenden Münzen. Die neu eingerollte Münze kommt zum liegen und der Schieber drückt sie gegen die anderen Münzen, die ihrerseits nach vorne geschoben werden und die vordersten Münzen über den Rand hinausschieben. Sinn ist es nun, mehr Münzen aus dem Automaten herauszuholen, als man hineinwirft – wer hätte das gedacht? Machbar ist das eigentlich nur mit dem richtigen Timing. Wann man überhaupt zu spielen beginnt, heißt das. Die Münzen fallen nämlich nicht nur in den Ausgabeschacht, sondern auch in einen Jackpot. Befindet sich darin eine gewisse Menge an Münzen, wird ein sauberer Stapel mit dreißig Münzen auf die Ablage vor dem Schieber geschoben, oder aber ein wilder Haufen von vielleicht 50 Münzen auf die Ablage ausgeschüttet. Man sollte also nur dann spielen, wenn dieser Stapel, bzw. der Haufen, sich bereits sehr nahe am Rand der Ablage befindet. Das war bei mir der Fall – sonst wäre ich nicht auf die Idee gekommen, es zu versuchen. Nach dem Einsatz von fünf Münzen habe ich etwa 40 zusätzlich gewonnen, ich habe also 45 in der Hand. Ginge es hier um 10-Yen-Münzen, wäre die Sache in Ordnung und ich nach Hause gegangen, aber es sind ja Spielmünzen. Was soll ich mit dem Müll? Man kann diese Münzen nur in den Kinder-Pachinko-Automaten werfen, die ganzen anderen Spiele funktionieren alle nur mit 100-Yen-Münzen. Also bleibe ich noch eine Zeitlang und verspiele meine ganzen Münzen. Melanie findet es interessant, nachdem sie mit den Bildern fertig ist, und steuert noch einmal zehn Münzen bei, aber dabei kommt nichts Sinnvolles heraus, weil sich keine Münzenansammlung an einem kritischen Punkt befindet.

Anschließend gehen wir ins Daiei und kaufen Getränke und etwas zu Knabbern für unser Erscheinen bei Misi. Wir haben aber auch Hunger und gehen deshalb vorher noch ins Sukiya und essen eine Schüssel Gyûdon. Im Prinzip handelt es sich dabei um eine Schüssel mit Reis, der unter dünnen Fleischstreifen versteckt ist. Ich war mit Yui einmal hier, als ich meinen Futon gekauft habe.

Dort ruft mich SangSu an. Es ist 19:40, und, ja, eigentlich hätte ich mich schon vor zehn Minuten mit ihm treffen sollen, um zu Misi zu gehen. Ja, aber ich wolle erst was essen. Er könne also losfahren oder gehen. Vielleicht besser „gehen“, denn während des Nachmittags hat es zu schneien begonnen und es hat sich eine mehrere Zentimeter dicke Schneedecke gebildet. Fahrradfahren wird zu gefährlich, aber wir können unsere Fahrräder auch nicht beim Sukiya stehen lassen. Also fahren wir betont langsam und vorsichtig zu Misis Haus.

Wir treffen um 20:15 dort ein. Anwesend sind dort dann Alex (Rumänien), Mélanie (Frankreich), Ramona, Luba, Arpi (Slowakei), Paola (Chile), Irena (Slowenien), SangSu (Korea), Glenn (Philippinen), Misi (Ungarn), Melanie und ich. SangSu hat was zu trinken aus Korea mitgebracht, und auf der Flasche steht „Jinro“ und „25 %“ drauf. Es riecht nach dem Zeug, was man im Krankenhaus zum Desinfizieren verwendet, und der Geschmack überzeugt mich auch nicht davon, dass SangSu sich nicht im hiesigen Krankenhaus bedient hat. Er sagt, man trinke das am besten mit Orangensaft. Leider haben wir aber keinen. Und Jinro schmeckt pur absolut langweilig. Und davon, dass Alkohol drin ist, merke ich auch nichts, obwohl ich kein regelmäßiger Trinker bin. Alex schlägt das Produkt aus Korea – mit einem selbst gebrannten Pflaumenschnaps aus Rumänien, den er in seinem Handgepäck ins Land geschmuggelt hat. Die Hälfte vom Inhalt sei Alkohol, sagt er. Ah ja, dann lass mal probieren, schließlich ist alles besser als Jinro. Das rumänische Produkt ist glasklar und schmeckt in der Tat nach Pflaume. Man spürt, dass Alkohol darin ist, es ist ein sanftes Brennen, dass den Hals hinunter in den Magen gleitet, wo sich anschließend eine wohlige Wärme ausbreitet. Sehr angenehm zu trinken, wirklich. Dabei mag ich eigentlich gar keinen Schnaps… aber ich vertilge zwischen 50 und 100 ml davon. Zumindest behaupte ich, dass es angenehm zu trinken sei. Die Mehrzahl der übrigen Leute sagt, dass es ein scharfes Zeug sei, was Alex da produziert habe. Leider habe ich vergessen, wie das Getränk heißt… ich hätte es aufschreiben sollen, als ich den Namen noch im Ohr hatte.

Nebenbei erfahre ich, dass wir einen VIP unter uns haben. Ich hatte mir irgendeinen Scherz erlaubt, worauf Misi mich angrinst und sagt: „Sei vorsichtig, wie Du mit dem redest – der fummelt an Gehirnen rum!“

Arpi, „Mr. Minority“, ist ein Ungar mit einem slowakischen Pass, und eine Berühmtheit, die uns mit ihrer Anwesenheit ehrt. Natürlich ist er nur in Fachkreisen berühmt. Der Mann ist tatsächlich promovierter Mediziner – einer der führenden Gehirnchirurgen unserer Zeit, um genau zu sein. Er führt uns auch vor, wie gut seine Hände zittern können – wenn er sich Mühe dabei gibt. Er ist ebenfalls zur Fortbildung hier.

SangSu trinkt währenddessen, als gäbe es kein Morgen. Das heißt, er ist es, der den Großteil des Jinro und etwa die Hälfte des Pflaumenschnapses in sich hineinschüttet. Für einen schmal gebauten Koreaner reicht das aus. Er wird sehr lustig, nimmt Irena und Glen bei den Händen und beginnt ein wenig zu singen und zu schunkeln. Um etwa 22:45 muss er wohl auf die Toilette, aber er biegt falsch ab und landet an der Haustür. Misi will nicht, dass er an die Haustuer pinkelt, schon gar nicht an die Innenseite, also folgt er ihm sicherheitshalber. Knapp zehn Minuten später sind die beiden zurück. SangSu hat sich, aus welchem Grund auch immer, auf sein Fahrrad gesetzt und ist einige Meter weit gefahren, bevor er das Gleichgewicht verlor und auf den kalten Boden fiel. Er hat Abschürfungen am rechten Ellenbogen und sein linkes Hosenbein ist völlig durchnässt. Aber er spürt absolut nichts davon und trinkt in einem Zug den Rest von dem rumänischen Schnaps aus.

Um 23:35 (ich habe auf die Uhr gesehen) ist dann Schluss. Er will nach Hause. Es ist auch nichts mehr zu trinken da, also ziehen wir ihm seine Jacke an, packen ihn an den Armen und stützen ihn auf dem Weg nach Hause. Es ist also wirklich sein Vorteil, dass er mit uns im gleichen Haus wohnt. Die Fahrräder lassen wir bei Misi stehen, es hätte keinen Zweck, sie mitzunehmen. Erstens liegt Schnee und zweitens bringen wir einen sehr betrunkenen und nicht gehfähigen Koreaner ins Bett. Drei Fahrräder kann man nicht gleichzeitig befördern. Wir kommen morgen wieder und holen sie ab.

Im Endeffekt tragen wir ihn mehr, als wir ihn nur stützen. Außerdem labert er die ganze Zeit vor sich hin. Auf Japanisch. Ich hätte jetzt erwartet, dass er im Rauschzustand zu Koreanisch zurückkehren würde, aber er redet Japanisch. Wenn auch nur eine Handvoll Vokabeln. „Demo… daijôbu!“ („Aber… mir geht’s gut!“) wird uns wohl noch lange im Gedächtnis bleiben. Und er habe ein schönes Gesicht, behauptet er von sich, „Watashi wa… kirei kao!“ Dann stellt er fest, dass auch wir schöne Gesichter haben und fünf Minuten darauf ist die ganze Welt bevölkert von Menschen mit schönen Gesichtern. Eine Dame, die ihren Hund spazieren führt, weicht uns vorsichtig aus. Ich kann sie auch ein wenig verstehen. Ich entschuldige mich im Vorbeigehen schnell für die Unhöflichkeit. Ja, SangSu, das Leben ist toll. Vor allem wenn man von dem Leiden der Welt befreit ist. Betrunken sein = Nirvana? Ach nein, das Trinken berauschender Getränke ist im Buddhismus ja untersagt. An der letzten Ampel nimmt er sich das Recht, Melanie auf die Wange zu küssen. Ich nehme mir das Recht, ihm einen moderaten Schlag mit der Handfläche an den Hinterkopf zu verpassen. Er wird sich eh nicht mehr daran erinnern.

Wir kommen schließlich zuhause an und eigentlich sind wir auch ganz froh, dass sein Apartment im Erdgeschoss liegt. Mit der untrüglichen Intuition eines Betrunkenen spürt er, dass er daheim ist. Direkt vor seiner Haustür, als Melanie gerade aufsperrt, schläft er ein. Er hat seinen Schlüssel in die Jackentasche gesteckt, und wir dachten einen Moment lang, er habe ihn verloren. Aber jetzt ist er weg vom Fenster. Ich überlege, ihn einfach über die Schulter zu werfen, um ihn in seine Wohnung zu befördern, da er ja nicht viel wiegt. Nicht viel mehr als einen Zentner, würde ich schätzen. Aber wenn ich ihn auf meine Schulter lege, könnte er eventuell seinen Mageninhalt auf meinem Rücken verlieren, und das möchte ich vermeiden. Also nehme ich ihn am Gürtel und schleife ihn in seine Küche, wahrend Melanie das Bett vorbereitet. Sie lässt es sich auch nicht nehmen, peinliche Bilder von ihm zu machen, wie er da praktisch bewusstlos (aber bekleidet) am Boden liegt. Und seine Wohnung muss sie auch festhalten. Eine Junggesellenbude – um es höflich auszudrücken. Hausputz dringend erforderlich. Melanie nimmt daraufhin seine Beine und ich seine Arme, und wir hieven ihn in sein Bett. Wir ziehen ihn aus, soweit notwendig, weil er nasse Füße hat und auch nicht in einer nassen Hose schlafen sollte, und decken ihn zu. Die Zimmertür lassen wir einen Spalt offen und das Licht in der Küche an, damit er problemlos den Weg zur Toilette findet, sollte es im Laufe der Nacht notwendig werden. Hoffentlich kotzt er nicht in sein Bett…

Nachdem wir dann gegangen sind, wartet 20 Meter weiter bereits die nächste Zufallsbegegnung. Jû und SongMin stehen auf dem Gang rum, dick in Jacken eingepackt. Wir klären sie schnell darüber auf, was vorgefallen ist und bitten sie, am folgenden Morgen nach ihm da unten zu sehen. Seine Wohnungstür sei offen, der Schlüssel liege auf der Ablage neben seinem Bett. Ja das sei in Ordnung, und sie bedanken sich, dass wir ihren Landsmann nach Hause gebracht haben. Und sie vergessen auch nicht, sich für die Unannehmlichkeiten zu entschuldigen. Schon in Ordnung. Aber warum die nächtlich Versammlung in dicken Winterjacken? Sie seien von dem plötzlichen Kälteeinbruch überrascht worden und hätten noch kein Öl gekauft. SongMin habe zwar einen elektrisch heizbaren Futon, aber dennoch sei es unerträglich kalt. Man kann m.E. darüber streiten, was „unerträglich“ denn nun sei, aber ich biete den beiden an, von meinem Öl etwas zu nehmen, damit sie übers Wochenende heizen könnten. Nein, das sei schon in Ordnung. Aha, und am Montag ist Feiertag, so weit ich weiß. Es würde ein kaltes und ungemütliches Wochenende werden. Er wolle es bei der Tankstelle versuchen. Nein, muss ich einwenden, die verkaufen kein Kerosin, sondern nur Diesel, und auf den Öfen sei groß aufgedruckt, dass man eben keinen Dieseltreibstoff verwenden dürfe. Die Diskussion wogt hin und her, bis ich schließlich nicht mehr diskutieren will. Ich mache eine fordernde Geste mit der Hand und sage ihm „Tanku wo dashite!“ („Los, schieb den Tank rüber!“). „Ee, kowai!“, sagt Jû und lacht, aber dann holen die zwei endlich ihre Kerosintanks aus den Öfen. Ich gebe jedem von ihnen etwa zwei bis drei Liter Öl, das reicht für knapp eine Woche. Was ich denn nun dafür haben wolle? Nichts eigentlich – aber das ist keine akzeptierte Antwort. Also gut, sagen wir 200 Yen. Dabei dachte ich an 100 Yen pro Nase, aber jeder kommt mit zwei 100er Münzen zu mir. Auch egal jetzt. Ich bin müde und will in mein Bett und nicht um 200 Yen diskutieren. Obwohl ich mir ein bisschen schlecht dabei vorkomme, weil man für 400 Yen etwa 10 Liter Öl bekommt.

Also haben wir heute gleich alle Koreaner in unserem Haus auf einmal „gerettet“. Ich setze mich an den Schreibtisch und halte meine Eindrücke vom heutigen Tag fest, bevor ich die Hälfte wieder vergesse. Das ist jetzt wichtiger, als mein Bedürfnis nach Schlaf. Morgen ist sowieso ein freier Tag. Um 01:50 bin ich fertig damit – und ich freue mich darauf, diesen Newsletter zu schreiben. Es ist spät. Morgen kann (und sollte) ich wohl ausschlafen. Oh ja, der Montag ist ja ebenfalls frei… dann kann ich ja wirklich beruhigt unter meine Decke kriechen.

1 Osaka scheint – vertreten durch die Osaka Gakuin – eine gute Alternative zu Hirosaki zu sein. Osaka bietet nämlich „Homestay“, i.e. Wohnen in der Gastfamilie.

2 Ebenfalls eine Misskonzeption meinerseits. „-kun“ wird in der Hierarchie von oben nach unten verwendet, nicht unter Gleichgestellten; und wenn doch, dann nur in der Dritten Person.

3 Die Realität zeigte mir jedoch einen gangbaren Mittelweg und alles kam besser, als befürchtet…

4 „Schwarz“ ist ja nun mein Familienname. „Dominik“ wiederum ist Latein und bedeutet „der seinem Herrn dient“; „dienen“ auf Japanisch ist „haberu“ und es schreibt sich mit dem Schriftzeichen „Samurai“.

5 „PuriKura“ ist die japanisierte Abkürzung für „Print Club“.

21. November 2023

Freitag, 21.11.2003 – Go, Go, Kinnikuman!

Filed under: Japan,My Life,Spiele — 42317 @ 10:18

Guten Morgen Deutschland!

Heute ist der Punkt erreicht, an dem ich ein neues Notizbuch anfangen muss – mein altes, das ich aus Deutschland mitgebracht habe, ist voll. Im übrigen habe ich zwar gesagt, dass ich gerne kurze Kommentare hätte, um Zeit bei meiner Post sparen zu können – allerdings habe ich zu diesem Zeitpunkt nicht damit gerechnet, dass nur halb so viele Leute, wie gedacht, mir schreiben würden. Ich bin von einer Antwort- oder Kommentierungsrate von 20 % ausgegangen… als ob das nicht schon ein niedriger Ansatz wäre…

Ich bitte also diejenigen unter meinen Freunden und Bekannten, die noch gar nichts von sich haben hören lassen, um eine kurze Mitteilung, wie ihre Eindrücke von meinen Berichten bisher sind – zu neudeutsch: Ich bitte um Feedback.

Vielen Dank!

Masako ist mit ihren Voruntersuchungen fertig. Masako ist eine junge Studentin kurz vorm Abschluss, die uns vor etwa zwei Wochen eine Bandaufnahme mit kurzen japanischen Mitteilungen vorgespielt hat, damit wir entscheiden, welche der Vokabeln wir (die Ausländer) am besten verstehen. Wir haben damals also das, was wir heraushören konnten, auf einem Formular, das sie ausgeteilt hat, vermerkt und abgegeben, und aus diesem am besten verstandenen Vokabular hat sie eine Reihe von Katastrophenmeldungen zusammengebastelt. Sie möchte den Katastrophenschutz verbessern helfen, indem sie möglichst einfaches Vokabular an die entscheidenden Stellen weiterleitet, damit auch Ausländer die Meldungen im Radio verstehen können, was denn nun in welchem Falle zu tun sei, falls es einen Großbrand, eine Flutwelle oder ein Erdbeben (oder alles zusammen) geben sollte.
Der Schwachpunkt ihrer Untersuchung ist leider, dass ihre Studien nichts darüber aussagen, ob der Hörer die Begriffe, die er aufschreiben kann, auch wirklich versteht. Man kann ja Wörter, also Lautfolgen, die man in der Bandaufnahme gehört hat, aufschreiben, ohne zu wissen, was man schreibt. Allerdings bin ich nicht recht sicher, wie ich ihr das klarmachen könnte, also lasse ich es. Außerdem freut sie sich viel zu sehr über die rege Beteiligung und das freut wiederum mich.

Sie hat Melanie und mich für 10:00 in ihr Büro gebeten, wo wir uns eine Reihe von Durchsagen anhören und nachher aufschreiben sollen, um was es gerade eben ging. Es sind aber auch eine Reihe von „Ja oder Nein“ Fragen dabei. Das Szenario: „Heute Morgen ereignete sich ein schweres Erdbeben der Stärke 6“.
An dieser Stelle folgt eine Auswahl aus den Ja-Nein-Fragen (und meine spontanen Gedanken dazu), die ein halbwegs vernünftig denkender Zehnjähriger beantworten könnte, ohne jemals eine der Durchsagen gehört zu haben, aus denen man die Antwort heraushören soll:

Kann man beliebig telefonieren?“
(„Nun ja, wenn die Sendemasten noch stehen würden, könnte es sich lohnen, darüber nachzudenken.“)

Kann man an den Ausgabestellen beliebig viel Wasser erhalten?“
(„Klar, ich lade mir mal eben schnell 200 Liter auf die Sackkarre und lasse meinem Nachbarn den Fluss.“)

Können die Kinder zur Schule gehen?“
(„Bestimmt, wenn sie helfen, die Trümmer zu beseitigen und die Tafel an den umgestürzten Baum nageln.“)

Kann man die Straße in Nishihiro benutzen?“
(„Aber sicher!Aber umfahren Sie bitte die Schlaglöcher von drei Metern Breite und zehn Metern Tiefe oder warten sie, bis sich diese mit Automobilen und anderen Verkehrsteilnehmern gefüllt haben.“)

Ich will nicht den Eindruck erwecken, dass Masako hier schlechte Arbeit geleistet hätte. Ganz im Gegenteil, ich finde ihre Bemühungen sehr lobenswert, und in der Tat war ich wegen ihrer Vorarbeit auch in der Lage, 95 % der abgespielten Durchsagen zu verstehen, und auch wenn ich das eine oder andere Wort nicht kannte, ließ es sich oft aus dem Kontext schließen.1

Danach führt mich Yui zu einer Michinoku Bankfiliale, die sich im Stadtteil Nishihiro befindet und damit etwas näher an unserem Haus liegt als die Hauptstelle in der Stadtmitte, wo ich dann endlich meine Miete zahlen kann. Drei Wochen zu spät. Kubota-san hat mich schon mit besorgter Miene gefragt, ob denn alles in Ordnung sei und wann ich denn zahlen könne. Nein, ich habe nicht mein ganzes Geld in der Pachinko-Halle gelassen.
Ich gebe meine Zahlungsunterlagen ab und werde gebeten, doch noch ein paar Minuten zu warten, bis meine Angaben überprüft seien. Yui verabschiedet sich derweil, weil sie gleich Unterricht hat. Und kaum ist sie weg, werde ich von der Angestellten mit neuen Vokabeln „versorgt“, von denen ich so richtig gar keine verstehe. Schließlich führt mich eine Kollegin zu dem Einzahlungsautomaten im Eingangsbereich des Hauses und erklärt mir, wie man ihn bedient. Aus dem Automaten erhalte ich eine Karte mit Magnetstreifen, die mir die Eingabeschritte, wer hier was an wen zahlen möchte, erspart. Im Prinzip muss ich danach nur noch den Verwendungszweck angeben, dass ich Miete zahlen möchte, schiebe die Karte in den dafür vorgesehenen Schlitz und gebe die Summe an, die ich zu zahlen habe. Es öffnet sich ein Fach am Automaten, in den man Geldscheine einlegen kann. Der Automat zählt das Geld und gibt den Rest zurück. Sehr praktisch. Außerdem ist diese Zahlungsmethode etwa 500 Yen billiger, als wenn man am Schalter bezahlt. Aber von den Erläuterungen verstehe ich nur die Hälfte, also werde ich beim nächsten Mal wohl wieder etwas Hilfe brauchen. Das wäre dann kommende Woche, weil ich meine Miete diesmal pünktlich zahlen möchte, also vor Monatsende.

Bis zu dem folgenden Unterricht habe ich noch etwas Zeit, aber sie reicht nicht aus, um einen Bericht verfassen zu können. Der Bericht wird bis Samstag warten müssen, und ich habe auch den Rest des heutigen Tages keine Zeit mehr, etwas zu schreiben. Wir werden heute Abend Gäste im Plaza Hotel sein, wo eine weitere Internationale Party stattfinden wird. In einem größeren Rahmen als bisher, wie man mir sagte.

Kurz bevor wir nach Hause fahren, um unseren Beitrag zum Fest zu holen, beginnt es zu regnen. Erst ganz leicht, dann stärker. Es reicht auf jeden Fall aus, um meine Hose zu durchnässen. Ich sehe in den Schrank. Keine Wechselhose mehr da – zwei Jeanshosen sind in der schmutzigen Wäsche, weil Fahrradöl daran klebt und eine weitere hängt noch zum Trocknen aus. Oha, das beschränkt meine Auswahl doch sehr… ähem… die Frage lautet also: deutsches oder amerikanisches Tarnmuster? Dann lieber deutsche Punkttarnung. Oh, wie passend, dann kann ich ja auch das grüne „Hard Rock Café Budapest“ T-Shirt anziehen, das mir meine Großeltern mal geschenkt haben. Das passt farblich doch ganz hervorragend. Ganz wohl fühle ich mich dabei nicht, immerhin soll diese Veranstaltung etwas „gediegener“ sein als die zuvor. Mit allen Gastfamilien und so. Ich stecke in einer Zwickmühle – die Darstellung Deutschlands in dieser Sprachsendung stört mich, weil Deutschland über das (militante) Dritte Reich zu negativ dargestellt wird… aber ich kann auch schlecht in Unterwäsche zu dieser Veranstaltung gehen, oder in den ölverschmierten Hosen. Ich habe nur noch militärisch aussehende Hosen. Daran kann ich jetzt nichts ändern. Auf die Reaktionen bin ich gespannt.

Wir ziehen es vor, mit der großen Schüssel Nudelsalat mit dem Taxi zu fahren. Erstens ist die Schüssel nicht bequem zu tragen und zweitens wären wir durchgeregnet, wenn wir im Hotel ankommen. Die Fahrt kostet uns 1000 Yen. Der Basispreis beträgt 580 Yen, dafür kann man wohl einen Kilometer weit fahren, danach steigt der Preis je nach Entfernung in Schritten von 80 Yen. Eigentlich haben wir vom Center ein Ticket bekommen für das Taxifahren. Wir sind allerdings davon ausgegangen, dass das dazu diene, nach dem Fest die entstandenen Kosten zurück zu erhalten. Valerie klärt uns schließlich irgendwann (nachdem alles gelaufen ist) darüber auf, dass man dieses Ticket bei den Fahrern hätte abgeben müssen, um so umsonst zu fahren. Ganz toll.

Das Plaza Hotel sieht ein wenig nach gehobener Klasse aus. Die Lobby macht einen nüchternen, aber teuren Eindruck. Um fünf Uhr sollten wir erscheinen, eine Stunde vor Beginn etwa. Die eintreffenden Studenten werden in kleinen Gruppen in die Küche gebracht, wo sie ihr Essen selbst anrichten dürfen. Die Plastikbehälter werden also in eine Ecke gestellt und das Geschirr des Hotels verwendet. Währenddessen erhält man kurze Einblicke in das Küchenleben des Hotels. Wie es scheint, stellen nicht nur die Studenten etwas zu Essen zur Verfügung – das Hotel selbst sorgt für kleine japanische Gerichte wie Sushi oder Sashimi. Nachdem wir unseren Nudelsalat auf drei große Teller verteilt haben, wird er auf einen Wagen gestellt und von den Angestellten in die Halle gebracht. Danach geben wir unsere nicht benötigten Kleidungsstücke an der Rezeption ab.

Natürlich wird meine Bekleidung nicht übersehen. Vor allem die anwesenden Studierenden sind belustigt oder überrascht. Frau Jin ist mit ihrer Tochter und ihrer Schwiegermutter eingetroffen. Der Sohn ist zum Lernen zuhause geblieben und der Gatte muss noch arbeiten. Sie bezeichnet meinen Aufzug als „kakkoii“, aber heute will ich das nicht so ernst nehmen. (Für alle, denen es nicht klar ist: kakkoii heißt etwa „Eine gute Figur machen“ und bezeichnet konnotativ etwa den Umstand, dass jemand anziehend auf das andere Geschlecht wirkt.) Da sie immer noch nicht ohne Hilfsmittel gehen kann, sitzt sie in einer Ecke des Saales und lässt sich ihre Portion Essen bringen. Sie möchte auch Melanies Nudelsalat probieren, also bringe ich ihr welchen.

Oma Jin, Mutter Jin, Yûmiko, Minato, Mikami und ihre vergessene Zwillingsschwester.

Auch sonst kommen meine Hosen ganz gut an. Vor allem bei Kindern, wie mir scheint. Nachdem Yûmiko (11) die übrigen Halbwüchsigen davon überzeugt hat, dass ich nicht zum Fürchten“ sei (Kowaku nai! Kowaku nai!) sei, bin ich schnell von einem halben Dutzend davon umgeben. Die sind alle halb so groß wie ich, im Alter von etwa vier bis zwölf Jahren und – man beachte – bis auf ein Exemplar alle weiblich. Und die haben eine unglaubliche Freude daran, zu versuchen, mich alleine oder gemeinsam von der Stelle zu schieben, indem sie sich gegen meinen Oberschenkel pressen und ihre ganzen 25 kg Gewicht in die Waagschale werfen. Yûmiko schafft es natürlich ebenfalls nicht und ich sage ihr, dass das kaum ginge, weil ich 95 kg wiege – und wie viel habe sie zu bieten? Hidoi! Himitsu desu! ruft sie (Wie unhöflich! Das ist ein Geheimnis!), aber sie lacht auch weiterhin. Ich lasse ihr das Geheimnis.

Nachdem ich dann irgendwann doch einmal einen Fußbreit Boden aufgegeben habe, macht sich die Jüngste (4)2 daran, meine Hosentaschen zu durchsuchen, in denen sich mein Brillenetui befindet, meine Notizbücher, mein Reisepass mit dem Versicherungsnachweis (den ich lieber in Sicherheit bringe), meinen Geldbeutel, meine Hausschlüssel, zwei Batterien für die Kamera und ein Radiergummi. Die europäische Schrift in meinem Notizbuch scheint eine große Anziehungskraft zu besitzen, und Yûmiko ist enttäuscht, dass ich ein neues habe beginnen müssen. Sie bittet mich darum, das alte bei meinem nächsten Besuch wieder mitzubringen. Sie kann zwar kein Wort lesen (lesen schon, aber nicht verstehen), aber wenn es ihr gefällt, wie mein Schriftbild aussieht, von mir aus.

Die Vierjährige erscheint mir etwas zu neugierig von meinem Standpunkt der Erziehung aus betrachtet, auch wenn sich in meinen Hosentaschen nichts Geheimes befindet. Aber was soll ich dagegen tun? Ich kann sie ja schlecht KO schlagen… und wirklich stören tut mich meine Popularität ja nicht.
Nachdem ich meine Sachen wieder weggepackt habe, beginnt ein neues „Spaßkapitel“. Eine der Zwölfjährigen macht sich einen Spaß daraus, das Etui in meiner Seitentasche anzufassen, wenn sie an mir vorbeigeht, dann grinst sie mich an und sagt „Kinniku!“ („Muskeln!“) Nein, das sind keine Muskeln; das ist Plastik und ich verpacke meine Brille darin! Aber ich nehme die Angelegenheit ja auch nicht ernst und sie macht munter weiter, die Ausbeulung des Etuis anzufassen oder mit ihrer kleinen Faust auf meinen Oberschenkel zu schlagen. Ich amüsiere mich sehr dabei. Bis zum Ende des Tages werde ich noch zum „Kinnikuman“ befördert. Frei übersetzt also „Muskelmann“, und es handelt sich dabei in einen bekannten Anime um einen solchen. Eine Komödie. Vielleicht sollte ich mir auch „Kinnikuman“ einmal ansehen.

Aber davor stehen immer noch erst einmal die ganzen Spiele zur Unterhaltung auf dem Plan. Geplant und durchgeführt wird das Unterhaltungsprogramm vom „Hippo Family Club“, Maeda-san (das ist die Gastmutter von Melanie, falls ich es noch nicht erwähnt habe) macht die Moderatorin.

Frau Maeda, Minato, SungYi, dahinter Dave

Zuerst ein Sing- und Koordinationsspiel. Es wird eine Melodie gespielt und man formt im Takt mit den Fingern die Buchstaben „L-O-V-E“. Ich halte mich höflich zurück und mache ein paar Bilder.

Frau Maeda, Luba, Ramona, Valérie

Danach gibt es ein „Massen-Jan-Ken-Pon“. Das ist, wir erinnern uns, „Schere-Stein-Papier“, aber in einem großen Rahmen. Jeder einzelne Anwesende sucht sich einen Gegner aus, der Verlierer stellt sich hinter den Gewinner und legt die Hände auf seine oder ihre Schultern. Der Gewinner sucht sich dann den nächsten Gegner, bis am Ende nur noch eine Person übrig ist, mit einem Wurm von etwa 100 Verlierern im Schlepptau.

Melanie mit Mei im Schlepptau

Der Gewinner ist ein etwa 70 Jahre alter Herr, der dafür auch einen kleinen Preis erhält. Da mir dieses Spiel schon in der Grundschule zu kindisch war, bleibe ich (mit Marc) abseits und mache Fotos mit Melanies Kamera, damit sie auch welche hat.

ReiGen im Finale mit dem späteren Sieger, hinten rechts Misi, der aus der Menge ragt.

In das folgende Spiel werde ich mit sanftem Druck zwangsintegriert. Zuerst bilden die Austauschstudenten einen Kreis in der Mitte des Raumes, die Japaner bilden einen großen Kreis drumherum. Dann geht Maeda-san zu irgendeiner Person im inneren Kreis und fragt etwas, was ich nicht verstehe. Die Antwort ist eine Zahl und plötzlich kommt Bewegung in die Menge. Ich habe keine Zeit, zu verstehen, was hier läuft, Nan packt mich am linken Arm und zerrt mich in ihre neugebildete Gruppe, gemischt aus Studenten und Japanern. Ich habe keine Ahnung, was hier gespielt wird, im wörtlichen Sinne. Die Gruppe kniet ab und es wird die Zahl der Personen gezählt. Schließlich, nach drei Durchgängen oder so, kommt Maeda-san auch zu mir. Ich habe keinen blassen Dunst, was sie von mir will. Sie flüstert mir ins Ohr, dass ich einfach die Zahl „10“ nennen soll – und zeigt mir fünf Finger. Mein sonst geordnetes Denken löst sich auf in einem Strudel von Fragezeichen. Was denn nun? Ich sage „fünf“, dann nimmt sie immer einen Finger weg und ich zähle runter bis auf „eins“, und dann wieder hoch auf fünf. Fünf bleibt das Endergebnis meiner Verwirrung und das wilde Treiben beginnt wieder mit dem Bilden neuer Gruppen. Bevor ich weiß, was ich getan habe, werde ich bereits in den nächsten Kreis geschoben. Was wird denn nun hier gespielt?

Was das alles bedeutet, erfahre ich erst ganz am Schluss. Der Gefragte muss einfach eine Zahl sagen, und daraufhin müssen sich Gruppen mit exakt dieser Personenzahl bilden. Die Gruppen kommen zusammen, fassen sich bei den Händen, klatschen erst ein paar Takte zur Musik in die eigenen, und dann in die Hände des Nachbarn und gehen schließlich in die Hocke, wo dann gezählt wird, ob die verlangte Personenzahl vorhanden ist. Was mit denen passiert, die keine Gruppe abbekommen, weiß ich nicht. Zuletzt stellt man sich einander vor. Nette Idee, aber leider recht sinnlos, weil ich mir nach einem solch kurzen Kontakt die Namen und die dazu gehörenden Gesichter vielleicht zwei Minuten lang merken kann. Eigentlich sollte man an dieser Stelle, im letzten Kreis, auch die vorbereiteten Namenskarten verteilen (Herkunftsland und Name stehen darauf), aber auch von diesen Karten hat mir vorher keiner gesagt, was ich mit ihnen tun soll. Und da ich keine Ahnung habe, dass diese Karten für speziell dieses Spiel gedacht waren, werden sie entweder im Müll landen oder mein Andenkenregal zieren…

Und was Frau Maeda mir „vorgeführt“ hat, war die japanische Art, mittels einer Hand bis Zehn zu zählen. Japaner fangen, anders als Deutsche, mit dem kleinen Finger an zu zählen und mit dem Daumen ist die Hand dann ganz offen, man ist bei Fünf angelangt. Dann wird die Hand beginnend mit dem Daumen wieder geschlossen, aber anders als ich das interpretiert habe, heißt das nicht, dass rückwärts gezählt wird, sondern man zählt bei Sechs weiter bis rauf zur Zehn, wo die Hand dann wieder ganz geschlossen ist. Zählt man weiter als bis zehn, wird die zweite Hand dazu verwendet, die Zehnerstellen anzuzeigen. Das ist zugegebenermaßen viel praktischer als die Art des Zählens, die ich in meinem heimischen Kindergarten gelernt habe, da hat jeder Finger seine eigene Nummer und wie man höher zählen kann, wird einem nicht beigebracht. Die japanische Methode erleichtert die Aufgabe, und zwar ohne, dass man sich schriftliche Notizen machen muss.

Melanie erzählt mir nachher, dass Männer hier übervorteilt gewesen seien, weil ja nicht wenige jüngere Damen mit kurzen Röcken erschienen waren… in der im Spiel vorgesehenen Hockstellung wusste man dann angeblich oft genug nicht, wo man hinschauen sollte, um nicht „irgendwohin“ zu starren.

Zuletzt spielen wir ein Spiel, das für mich untrennbar mit gelangweilten, aber kontaktfreudigen amerikanischen Rentnern verbunden ist: BINGO. Da vorne steht also ein adrett gekleideter Herr, der sich von einer jungen Dame (im Kimono) kleine Bälle mit Buchstaben und Zahlen reichen lässt, die sie aus einer Lostrommel zieht. Dafür haben wir zu Anfang also diese seltsamen Lochkarten erhalten. Wenn eine Zahl genannt wird, die sich auf der Pappkarte befindet, drückt man das Kästchen durch, und wenn man eine Fünferreihe voll hat, hebt man den Arm, das Spiel wird kurz unterbrochen, man geht nach vorn und erhält einen Preis. Ich fühle mich reichlich dämlich dabei, im Alter von 26 Jahren BINGO zu spielen – aber ich gewinne was: Zwei Pakete sind noch da. Ich nehme das schwerere. Ui, ein Topf. Und nicht irgendein Topf, sondern eine Kasserolle, also ein Glas-Keramik-Topf, der speziell für Backofengerichte gedacht ist, wie z.B. Gemüseaufläufe oder ähnliches. Leider habe ich gar keinen Backofen, und außerdem benötigen wir keine Töpfe mehr, weil Melanie das alles bereits letzten Monat gekauft hat…

Ramona gewinnt eine Trainingsjacke mit „WONDA“ Aufdruck (ein Kaffeehersteller), die ihr eigentlich viel zu groß ist und die mir viel besser gefällt, als mein langweiliger und unbrauchbarer Pott. Sie möchte meinen Topf prinzipiell auch gerne haben, aber sie hat ebenfalls keinen Ofen in Japan, und für die Postgebühren in die Heimat würde sie wohl einen neuen bekommen – abgesehen von der Gefahr, dass das Teil während des Transports kaputtgehen könnte. Ich glaube, ich nutze den nächsten Besuch, um Frau Jin damit zu beschenken – die kann mehr damit anfangen, als ich.

Bis zum Ende will aber der Berg an Essen noch vertilgt werden und ich tue mein Bestes, dabei zu helfen. Das japanische Essen, das das Hotel bereitgestellt hat, ist von hervorragender Qualität. Die besten Sushi, die ich seit langem gegessen habe. Ansonsten hat jede hier vertretene Nation etwas beigesteuert (und ich habe bestimmt die Hälfte davon vergessen):
Gulaschsuppe aus Ungarn (und diese Version aus Debrcen ist gar nicht scharf)
Scharfe Gemüsesuppe und Kräuterbrot aus Thailand (und die Suppe war richtig scharf!)
Minestrone aus Italien (die von Ramona stammt, die eine halbe Italienerin ist)
Kartoffel-Gemüse-Hühnereintopf in Kokos-Soße aus Neukaledonien
Omelett mit Tomate, Chili und Kräutern aus China
Sandwiches und Weißbrot mit Ei-Mayonnaise-Füllung aus Frankreich
Kartoffelsalat mit Fleisch aus Russland
„Strutlj“ aus Slowenien (ich muss Irena noch mal fragen, was da drin ist, weil ich nichts mehr bekommen habe)
Spaghetti mit Muscheln (unbekannter Hersteller)
Kaiserschmarrn aus Deutschland (der ist von Marc) und
Nudelsalat aus Deutschland.
Von letzterem hat Melanie eine Portion für zehn Mann gemacht, mindestens, obwohl nur für fünf verlangt war. Offenbar ließen sich die Mengen auf zehn leichter umrechnen als auf fünf? Dem entsprechend ist auch viel übrig geblieben. Aber das macht nichts, weil am Ende Plastikbehälter ausgeteilt werden, in denen man sich mitnehmen kann, was man haben und an sich reißen kann.

Um 2000 ist die Feierlichkeit dann beendet und jeder Teilnehmer erhält zum Abschied eine Tüte mit Äpfeln. Unter den Äpfeln ist außerdem eine kleine Keramikschüssel versteckt. Zusammen mit meinem dämlichen Topf ist das alles etwas unhandlich. Wir fahren mit dem Taxi nach Hause. Es regnet zu sehr, um zu Fuß zu gehen, und sogar ich muss einsehen, dass das unvernünftig wäre. Die große Plastikschüssel, in der der Nudelsalat ursprünglich hergebracht worden ist, überlassen wir Irena, die sich der Schüssel freundlich annimmt. Wir haben sie in der Küche der Einfachheit halber in ihre Plastiktüte gepackt, weil wir eine solche vergessen haben.

Wir sagen dem Taxifahrer, dass wir nach „Nakano 5 Chomei“ wollen und er fährt los. Vielleicht hätten wir „10 no 27“ noch dazu sagen sollen… weil er an unserer Strasse vorbeifahrt. Ich mache ihn vorsichtig darauf aufmerksam und er entschuldigt sich, fährt zurück und erlässt uns den Fahrpreis über 1000 Yen, immerhin 220 Yen.

Zuhause angekommen, räumen wir noch ein bisschen auf und ich beginne, den Tag schriftlich festzuhalten, damit mir diese Flut von Eindrücken nicht verlorengeht. Und wie ich den Tag so Revue passieren lasse, fällt mir auf, dass ich ein Detail vergessen habe. Springen wir also auf etwa 1550 zurück, als der Unterricht gerade beendet war.

Ich kam mit einem der Chinesen ins Gespräch und fragte ihn nach Beschäftigung und Alter der übrigen Chinesen in unserem Japanischkurs, weil die Herren alle schon recht alt aussehen, im Vergleich zu den sonstigen Studenten. Er sagt, dass die (männlichen) Chinesen hier im Kurs allesamt 29 bis 38 Jahre alt seien. Er selbst sei davon der Jüngste und hauptberuflich Programmierer (irgendeine Art von EDV-Spezialist). Die anderen drei studierten Medizin, sagt er. Alles Doktoren, zur Weiterbildung in Hirosaki. Die Uniklinik hier genieße einen guten Ruf. Natürlich gebe es noch bessere Universitäten, aber Hirosaki sei nun einmal „zufällig“ die Partneruniversität ihrer Heimatuni.
Ich warf einen verstohlenen Blick zu Shin hinüber. Der ist also über 30 Jahre alt und Arzt, aha. Ich hätte Skrupel, mich ihm anzuvertrauen… nicht, weil er unsympathisch wäre, aber er redet seltsam… und das nicht nur auf Japanisch. Man versteht kaum, was er sagt, weil er recht leise redet und weil er sich anhört, als würde beim Sprechen zu viel Luft durch seinen Kehlkopf rutschen, weil die Stimmlippen nicht richtig schließen. Möglicherweise hat er einen Kehlkopfdefekt.

Aber das sollte dann alles vom Tage gewesen sein. Es war ja genug… außerdem ist es jetzt 23:40 und ich will nur noch schlafen.

1 Marc schob später die Frage ein, ob es nicht einfacher wäre, für Ausländer eine weitere Ansage auf Englisch zu machen.

2 Ihr Name ist Minato.

20. November 2023

Donnerstag, 20.11.2003 – Deutsche Subordinationswollust

Filed under: Japan,My Life — 42317 @ 9:45

Anmerkung:

An dieser Überschrift, geprägt von dem Kabarettisten Henning Venske (*1939), haben einige nicht-deutsche Leser bestimmt etwas „zu knabbern“, wenn ich es so ausdrücken darf…

Aber zum heutigen Text:
Am Morgen komme ich in den Genuss, der bereits erwähnten Yuan Jing Dong bei ihren Bemühungen um die deutsche Sprache zu helfen. Sie studiert Musik, mit dem Ziel, Musiklehrerin zu werden, und sie liebt alte deutsche Lieder – „alt“ nicht im Sinne von „NDW“ (für Leute in meinem Alter ist das „alt“), sondern im Sinne von „zu Händels Zeiten“. Um eben ihre Singleistung zu steigern, möchte sie, dass ich ihre Aussprache verbessern helfe. Auch ihr Lehrer ist Japaner. Das Wort „leider“ möchte ich aus Gründen der Höflichkeit unter den Tisch fallen lassen. Jedenfalls ist das Resultat ihres Deutschunterrichts, dass Konsonanten wie „B“, C“, „D“, „G“, etc. zu „Bä“, „Cä“, „Dä“ und „Gä“ werden, das „e“ darin tendiert gewaltig in Richtung „ä“. Der Unterschied zwischen kurzem „e“ (wie in „Pech“) und langem „e“ (wie in „Schwefel“) ist dem Mann vielleicht nicht klar geworden? Wie dem auch sei, das muss ich abstellen. Wir üben also Kardinalvokale.

Danach stehen alveolares „R“ (bayerisch hinter den Vorderzähnen artikuliert) und uvulares „R“ (hochdeutsch hinten im Rachen artikuliert) im Speziellen, sowie die Unterscheidung von „R“ und „L“ im Allgemeinen auf dem Plan. Auch wenn der Begriff „Ypsilon“ nicht so recht über ihre Lippen rutschen will, was auch nicht so sehr wichtig ist, ist sie mit Motivation bei der Sache.

Am meisten Probleme machen „ö“ und „ü“. Die „deutsche“ Version dieser Laute ist für Chinesen offenbar beinahe unmöglich. Aber – und da zeigen sich die Vorteile des Wissens um die angewandte Phonetik – „e“ und „i“ kann sie aussprechen. Der Sprachwissenschaftler weiß, dass „ö“ nichts weiter ist, als ein „e“ mit Lippenrundung. Gleiches gilt für „ü“. Man sagt „i“, rundet die Lippen, ohne die Zungenstellung zu verändern, und erhält ein „ü“. Der Artikulationsort, also die Zungenstellung im Mund, ist die gleiche, nur die Lippen werden gerundet und so entsteht der Umlaut. Diese Methode fruchtet auch bei ihr, wenn auch langsam.

In der letzten Viertelstunde gehen wir das „Ave Maria“ durch. Wie es aussieht, ist das ihr derzeitig wichtigstes Ziel. Ich werde also in Zukunft, sofern Interesse besteht, meine Bemühungen auf dieses Lied konzentrieren. Den semantischen Inhalt des Stücks versteht sie mangels Vokabelkenntnis nicht, aber schließlich gibt es auch genügend deutsche Animefans, die ganze Titellieder auswendig können, ohne zu wissen, was sie da eigentlich singen. Also werde ich zusehen, dass sie das Lied hinbekommt.

Yuan erzählt mir, dass sie zuhause in einer Zeitung gelesen habe, dass 90 % der deutschen Studenten ein Instrument spielen würden oder könnten. Ich kratze mich am Hinterkopf und kann diese Theorie nicht bestätigen. Wenn ich schätzen dürfte, würde ich der deutschen Studentenschaft vielleicht 50 % zutrauen. Aber ich habe zu dem Thema auch noch keine repräsentativen Umfragen durchgeführt. Yuan war es übrigens, die von Deutschland als dem Land der „Kultur und Musik“ so angetan war. Soll sie ruhig. Ich finde Deutschland kulturell nicht so besonders aus anderen Staaten Europas herausragend, aber von außen betrachtet mag ihre Ansicht stimmen. „Dichter und Denker“, oder eben „Richter und Henker“, sind oft vertretene Ansichten über Deutsche, je nachdem, wo der Betrachter herkommt und wann oder ob sein Land zuletzt mit Deutschland einen Krieg ausgetragen hat… es verschiebt sich mal in die eine oder die andere Richtung.
Nach dieser Stunde mutiere ich wieder zum Schüler und lasse mich von Yui in und über Japanisch belehren.

Heute ist auch der Tag, an dem wir eine weitere Sendung über deutsche Sprache aufgenommen haben. Melanie ging davon aus, dass es sich um eine andere, als die letzte handeln müsse, aber… es ist die gleiche. Also wird anscheinend nur mit Hilfe von Schund gelehrt, was Deutsch betrifft. Die Amerikaner können das doch auch – warum nicht also auch Deutsche? Die Amerikaner zeigen in ihren Shows zum Beispiel simple Singspiele („The mouse went up the clock, hickory dickedee dock…“), um japanischen Kindern die Laute des Englischen näher zu bringen. Und was zeigen die deutschen Deppen? Antikriegsdemos in Berlin, ein paar Bilder vom Krieg im Irak, kritische Kommentare zur Rolle der Medien in der Propaganda und anschließend Aufnahmen von der Olympiade 1936 in Berlin!! O-Ton: „Adolf Hitler scheute weder Kosten noch Mühen, um die Olympischen Spiele 1936 zur Verherrlichung des Körperkultes des Nationalsozialismus auszunutzen.“ Und da ist er schon, unser wohl bekanntester Österreichimport, der Gefreite und Führer in Großaufname. Was sind denn das für Themen in einer Kindersendung??? Welch wichtige Vokabeln die da präsentieren! „Verherrlichung“, „Körperkult“ und „Nationalsozialismus“ sind keine Vokabeln, die ein sieben Jahre alter Japaner unbedingt wissen muss. Wenn er mal doppelt so alt ist, kann man darüber reden, ja… aber das sind dann immer noch keine Vokabeln, aus denen man auf einer internationalen Party eine lockere Konversation entfalten kann!

Die bringen nur negative Themen, sieht man von Fußball („Stadion, Team, Sitzplatz, Bundesliga“) und dem Beitrag über das Wäschereimuseum zum Beispiel ab. Wenn ich mein kleines Kind vor den Fernseher setze, damit es sich ein bisschen Sprachbildung nebenher beschafft, dann will ich bestimmt nicht, dass es in einer solchen Sendung einen Abrams Kampfpanzer im Einsatz zu sehen bekommt!!! Fehlt nur noch, dass irgendwann Bilder aus den Konzentrationslagern über den Bildschirm flimmern…
Mich wundert immer weniger, dass die halbe Welt glaubt, jeder Deutsche habe in seinem Wohnzimmer ein Bild von Hitler hängen, oder zumindest eine Büste von demselben auf dem Kaminsims… Ich will nicht mehr! Von so viel Bockmist vergeht einem der Appetit! Ich will mir das Deutsch-sein nicht vermiesen lassen – vielleicht bin ich nicht stolz darauf, Deutscher zu sein, aber ich bin zumindest sehr froh, Deutscher zu sein. Es gibt auch unangenehmere Orte, an denen man geboren sein kann, denke ich. Ich frage mich ernsthaft, ob die Linkspropaganda, die der rotgrüne Siegfried da betreibt, nicht gegen meine Menschenwürde und die aller übrigen Deutschen verstößt…

19. November 2023

Mittwoch, 19.11.2003 – Wir haben Hunger, Hunger, Hunger…

Filed under: Japan,My Life — 42317 @ 10:50

Der strahlende Sonnenschein am Morgen rettet sich durch den ganzen Tag, wenn auch am Nachmittag hin und wieder von einzelnen Wolken unterbrochen. Es ist warm, möchte man sagen. Vielleicht nicht warm genug für ein T-Shirt, aber die Winterjacke ist heute zu viel des Guten.

Ich stoße auf einem der Rechner im Center mehr oder minder zufällig auf Bilder vom vergangenen Jahr. Unter anderem ist auch ein Bild vom 10.11.2002 zu finden, das Stefan und JP (und andere) mit einem Schneemann zeigt. Zumindest glaube ich, dass die undeutliche Gestalt links hinter dem Schneemann JP ist. Muss also schon Winter gewesen sein, letztes Jahr um diese Zeit. Wie lange wird es noch dauern? Auf den hohen Hügeln in der Umgebung hier liegt in diesen Tagen am Morgen Schnee, der aber im Laufe des Tages wegschmilzt. Nur der Schnee auf dem deutlich höheren Iwaki-san hält sich bereits. In Hokkaidô zumindest soll der Winter bereits eingezogen sein, das heißt, es kann hier nur eine Frage von Tagen oder wenigen Wochen sein.

Vorne rechts Stefan, hinten rechts vielleicht Hans, hinten links vielleicht JP.

Außerdem finde ich auch ein Bild, das den „legendären“ Hans Erdmann zeigt. Ja, ja, nicht nur Stefan und JP haben sich hier einen Namen gemacht. Man kennt jeden dieser drei hier gut, jeden auf seine Art und Weise…

Hinten rechts JP, hinten links Hans.

Immerhin weiß ich jetzt, wie der Erdmann von vorne aussieht. Ich erinnere mich, dass während einem der Feste der Japanologie in Trier (ich glaube, es war Tanabata im Juli 2002) mich jemand am Ärmel zupfte und sagte: „Da ist Erdmännchen!“ und zeigte Richtung Bühne. Ich sah nach vorn und sah jemanden gerade auf die Bühne einbiegen und sich was zu essen nehmen. Seitdem weiß ich, wie Hans Erdmann von hinten aussieht, aber sein Gesicht kannte ich nicht, bis ich die Fotos gesehen hatte. Und Hans wird hier wohl „Sexual Hansment“, bzw. „Sekuhannes“ genannt (abgeleitet von engl. „Sexual Harassment“ = „Sexuelle Belästigung“), weil er recht lockere Umgangsformen mit den weiblichen Studenten pflegte. Nein, bitte nicht zu viel interpretieren. Sagen wir: Er verwendete freundschaftlich-herzlichen Körperkontakt, wie man in Deutschland wohl nicht sonderlich ernst nehmen würde. Yui und Mio erzählen mir, dass er Hüften anfasste, als sei dies die normalste Angelegenheit der Welt. Ich habe bei der Schilderung nicht wenig gelacht.1

Um 1420 treffe ich Mei, weil ich ihr helfen soll, ihr Englisch zu verbessern. Man versteht sie wunderbar, aber sie möchte flüssig sprechen können. Ich bin von meinen Kompetenzen nicht ganz überzeugt, weil ich selbst einen unkontrollierten Mix aus britischem und amerikanischem Englisch spreche, der sich je nach Laune mal in die eine oder die andere Richtung verschiebt, ohne, dass mir das irgendwie bewusst wäre. Aber die Sache scheint ihr Spaß zu machen. Überhaupt scheinen Chinesinnen immer viel zu lachen, wenn sie sich mit mir unterhalten. Ich muss ja wirklich ein lustiger Mensch sein.

Und Lautschrift erleichtert die Sache ungeheuerlich… ihr Englischlehrer ist Japaner, und der Herr hat so seine Sprachdefekte, wie es scheint, da Mei mir versichert, die Aussprache so wiederzugeben, wie sie sie von ihm gehört habe. Wir gehen die Lektionen für Standardkommunikation durch (Frage-Antwort Übungen), und ich tue mein bestes, damit sie einen Sprachfluss entwickelt, anstatt zwischen den Worten eine kurze Pause zu machen, und gleichzeitig muss ich dafür sorgen, dass sie nach Begriffen, die auf einen Konsonanten enden, nicht noch – wie soll ich das nennen? – einen „angehauchten Vokal“ anhängt. „Rough“ (grob: [raf]) zum Beispiel wird bei ihr zu [rafu]. Es mangelt mir leider an Möglichkeiten, das (für Nicht-Phonetiker) besser darzustellen, aber dennoch hoffe ich, das Problem verständlich machen zu können. Zumindest denen, die ein wenig über die Materie wissen.

Auf diese Art und Weise erhalte auch selbst etwas Übung im Basisbereich der Phonetik. Nur bestimmte Vokabeln muss ich noch suchen, um die Aussprache von Sprachlernern wie Mei zu verbessern. Immerhin kenne ich inzwischen „ha“ („Zahn“, „Zähne“), „kuchibiru“ („Lippen“), „shita“ („Zunge“), „kôkôgai“ („harter Gaumen“, „Palatum“) und „nankôgai“ („weicher Gaumen“, „Velum“). Die japanische Vokabel für „Rachen“ habe ich leider wieder vergessen. Aber was ich habe, ist schon mal ein guter Ansatz.

Leider mache ich an diesem Nachmittag einen Organisationsfehler. Ich habe gleichzeitig einen Termin mit Yui ausgemacht, den aber nicht aufgeschrieben habe und den heutigen habe ich mit einem alten Termin verwechselt. Verwirrend, ja, und unangenehm dazu. Aber Yui hat genug andere Dinge zu tun, um den Zwischenfall zu sehr zu bedauern. Wir machen einen neuen Termin morgen um 1500 aus.

Um 1700 gehe ich mit Melanie zu einem Tabehôdai – auf Neudeutsch heißt das: All you can eat. Man geht da also für einen Festpreis hin, isst so viel, wie in den Magen reinpasst und hofft nachher, weniger bezahlt zu haben, als das verspeiste Essen wert war. Zumindest ist dies die von mir interpretierte „Deutsche Herangehensweise“. Das Tabehôdai-Lokal befindet sich im Obergeschoss des „Maruesu“ Supermarktes und kostet pro Person 1500 Yen (ca. 11 bis 12 E). Es handelt sich um ein „Yakiniku Tabehôdai“, das ist „Grillfleisch“, wie ich bereits früher einmal erwähnt habe. An der Theke im Eingangsbereich befinden sich Zapfhähne für Getränke verschiedener Art, daneben eine Preisangabe. Also muss man die Getränke extra bezahlen. Aber es gibt auch kaltes Wasser umsonst. Das tut es doch, mir reicht das voll und ganz.

Wenn man nach der Theke geradeaus vorbeigeht, gelangt man zu den Sitzplätzen, falls man links abbiegt, kommt man an einem Kühlregal vorbei, in dem alle möglichen Arten von Fleisch, Gemüse, Pilzen, Meeresfrüchten und all so was aufgebaut sind. Normalerweise nimmt man sich also einen Teller, packt ihn mit Sachen voll, die man essen möchte und setzt sich an seinen Tisch. Hat man alles verspeist, geht man wieder zum Regal und füllt seinen Teller weiter auf. Aber das ist doch umständlich – es gibt auch große Tabletts, die für die Nachspeisen gedacht sind, aber Fleisch liegt da ebenfalls bequem drauf, außerdem muss man nicht so oft aufstehen.

Vor dem Kühlregal steht ein Tisch, auf dem die Nachspeisen stehen. Es gibt Yoghurts und Fruchtsalate auf der linken Hälfte des Tisches, die rechte Hälfte ist für Salate anderer Art reserviert, unter anderem Nudel-, Eier- und Kartoffelsalate. Hm, vielleicht sind das keine Nachspeisen… egal, ich esse eh alles durcheinander. Neben diesem Tisch und dem Regal befindet sich ein weiterer Tisch, auf dem große Reiskocher und Wassererhitzer stehen. Es gibt kleine Wasserkocher, falls man heißen Tee trinken möchte, und es gibt große Wasserkocher mit Brühe darin, falls man sich eine Nudelsuppe machen möchte. Aber ich habe nicht vor, heute den wertvollen Platz in meinem Magen mit heißem Wasser zu füllen, Nudelsuppe hin oder her!

Ich belade mich also im Laufe des Aufenthaltes mit Rind- und Schweinefleisch, Rinderzunge, Pilzen, zwei Makrelen, ein paar Tintenfischstücken, vier Garnelen, paniertem Hühnerfleisch, Omelett, Kartoffel-, Eier- und Nudelsalat, dazu noch etwas Erdbeeryoghurt, buntem Tofu und ebenso bunten Mochibällchen (Mochi ist gestampfter Reis, in Teigform), gesüßte Birnenhälften und Obstsalat. Insgesamt etwa drei Teller Material. Melanie nimmt noch eine Schale Reis und etwas Misosuppe.

In dem Laden gibt es Tische sowohl westlicher als auch japanischer Art, wobei letztere den größten Teil ausmachen. Die westlichen Tische sind entsprechend hoch und man sitzt auf Stühlen. Die japanischen Tische sind etwa halb so hoch und man sitzt auf Kissen. Mir würde wahrscheinlich nach dreißig Minuten vor lauter Rückenschmerzen der Appetit vergehen. Die Tische haben alle in der Mitte eine Auslassung, eine runde Vertiefung von etwa 40 cm Durchmesser und etwa 10 bis 15 cm Tiefe, in der sich ein Gasbrenner und darüber eine Art Grillrost befindet. Der Grillrost ist in seiner Mitte eine geschlossene Platte, damit kein Fett auf den Brenner tropft. Die äußere Hälfte seines Durchmessers ist mit Rillen durchsetzt, durch die das ausgebratene Fett in einen Auffangbehälter unter dem Gasbrenner fließen kann. Ein Ventilationssystem sorgt dafür, dass der Rauch abgesaugt wird und nicht in den Gastraum gelangen kann. Ich bin beeindruckt.

Nach einer gewissen Zeit ist der Rost natürlich voll mit angebrannten Rückständen, also drückt man auf einen Knopf am Esstisch. Kurz darauf erscheint einer der Angestellten und wechselt den Grillrost aus. Bei der Gelegenheit lerne ich auch gleich, was „Austausch“ heißt: „kôkan“. Und der Grill heißt wohl „teppan“, wenn ich mich recht erinnere, das besteht aus „tetsu“ („Eisen“) plus „ban“ („Platte“).

Das Fleisch schmeckt insgesamt ganz hervorragend, ebenso muss ich die Salate und insbesondere den Obstsalat loben. Der Fisch ist ebenfalls nicht übel (wenn man denn Fisch mag), nur die Garnelen waren etwas gewöhnungsbedürftig, weil ich vergessen habe, den Panzer zu entfernen… Der Tintenfisch ist jedenfalls sehr gut. Nur der Reis, den Melanie genommen hat, ist seltsam. Man möchte annehmen, er schmeckt nach Uncle Ben’s Tütenreis, oder die haben das Wasser in dem Topf schon länger nicht ausgetauscht. Auf jeden Fall schmeckt er nicht so, wie ich das von Reis in Japan gewohnt bin. Der Erdbeeryoghurt wiederum hat einen guten Geschmack, er ist nicht zu süß geworden. Die Tofustücke schmecken so, wie erwartet – nach eigentlich gar nichts. Die bunten Mochibällchen schmecken mir aber gar nicht. Sie schmecken – wie soll ich sagen? – „offensiv nach gar nichts“. Oder irgendwie nach Plastik oder so. Ich tauche sie in den Erdbeeryoghurt, um den Geschmack erträglich zu machen. Eine Stunde später bin ich so satt, dass ich mich übergeben müsste, wenn ich noch etwas dazustopfen würde.1500 Yen entspricht dem Dreifachen dessen, was ich normalerweise im Schnitt für ein Essen zu zahlen pflege, aber ich habe auch gegessen für drei (oder vier) Personen, also geht das in Ordnung. Das einzige, was ich ein wenig vermisst habe, sind Soßen zum Fleisch, wie man sie von allen möglichen namhaften Herstellern in Deutschland kennt. Oder habe ich die Soßen vielleicht übersehen? Japan ist natürlich kein „Soßenland“ – weil man Soßengerichte nicht so gut mit Stäbchen essen kann, hat sich das nicht so sehr eingebürgert – aber zum Fleisch wäre das doch ganz passend, denke ich.

Ich werfe hin und wieder einen Blick auf die Tische der japanischen Gäste, aber das, was die essen, kommt in 100 Jahren nicht an das heran, was sie bezahlen. Die sollten lieber kein Tabehôdai machen, sondern sich ein „normales“ Menü irgendwo anders besorgen. Wenn ich die Menge einmal schätzen dürfte, die ich bei denen so gesehen habe, würde ich von einem Betrag von vielleicht 800 Yen ausgehen, den sie in einem Lokal zahlen müssten, wo man einzelne Portionen bestellen kann. Aber vielleicht sehe ich zu sehr die materielle Komponente, denn das Ganze ist eine lustige Angelegenheit mit Freunden – ein soziales Event, könnte man sagen. Ich fasse also ins Auge, auch die anderen „üblichen Verdächtigen“ auf das Lokal aufmerksam zu machen, damit wir einmal in einer größeren Gruppe hingehen können.

Trotz meines vollgestopften Bauches gehe ich nach dem Essen in die Bibliothek, um Post zu schreiben, es ist jetzt halb sieben am Abend. In der Bibliothek bleibe ich dann bis um halb zehn. Danach dauert der Tag aber wirklich nicht mehr lange…

1 Unser gemeinsamer Kommilitone Stefan schrieb mir kurz nach dieser Veröffentlichung eine entrüstete Mail, wie ich nur solche, ich sage mal „despektierliche“ Details über Hans schreiben könne. Als ich eine Weile später direkten Kontakt zu Hans bekam, erhielt ich allerdings dessen Zustimmung.

18. November 2023

Dienstag, 18.11.2003 – Die unendliche Geschichte

Filed under: Japan,Manga/Anime,My Life,Uncategorized — 42317 @ 11:33

Um 0700 sehe ich aus dem Fenster und werde von der Sonne angelacht. Das ist gut so. Der Gewohnheit folgend müsste das Wetter aber ab 0900 schlechter werden, mit Bewölkung und Regen ab 1200…

Melanie hat für mich eine Episode Pokemon aufgezeichnet und ich sehe sie mir beim Frühstück an. Die derzeit laufende Staffel heißt Advanced Generation, und seit der ersten Staffel hat sich am Konzept nichts geändert. Gut, die Zusammensetzung der Reisegruppe von Protagonisten ist anders. Als ich die Show zuletzt in Deutschland angesehen habe, und das schon eher zufällig, war Takeshi („Rocko“) nicht mehr dabei und durch irgendeinen Trottel ersetzt. In der Advanced Staffel ist Takeshi wieder dabei, dafür fehlt Kasumi („Misty“), die nun ihrerseits durch einen mir neuen weiblichen Charakter ersetzt wurde. Oh ja, und Satoshi („Ash“) hat offenbar nach 600 Episoden endlich mal das Hemd gewechselt. Natürlich rennt er immer noch mit seinem Pikachu (Stufe 1294 mindestens) rum. Wie immer erscheint dann Team Rocket, also Musashi und Kôjirô („Jesse“ und „James“), die werden von den Helden in Richtung Mond geschossen und die Reise geht weiter.

Dabei hatte ich in der Mitte der ersten Staffel noch das hoffnungsvolle Gefühl, dass sich eine Art Story entwickeln würde, die dann notwendigerweise auch einmal ein Ende haben müsste… aber da wurde man ja bitter enttäuscht. Mir gefallen die japanischen Stimmen, vor allem Hayashibara Megumi (als Musashi) läuft mir immer wieder schön in den Gehörgang hinein, und auch Matsumoto Rika hört man aus Satoshi immer wieder raus, wenn man „Yûgen Kaisha“ („Phantom Quest Corp.“) mal auf Japanisch gesehen hat. Aber genug davon. Ich langweile mich mit Pokemon ja schon selbst.

Die Brille von Philips ist immer noch kaputt. Nichtsdestotrotz trägt er sie. Brillen müssen in Japan ja ungeheuer teuer sein, dass ein Professor sich nicht innerhalb von zwei Wochen eine neue besorgen kann. Und die Hierarchie des buddhistischen Universums ist mir immer noch nicht klar. Wenn man sich gut benimmt, wird man möglicherweise über kurz oder lang als Gott in einer Art Himmel wiedergeboren. Natürlich ist man auch als Gott sterblich, da laut der Lehre alles vergänglich ist. Aber nach meiner Interpretation des Buddhismus ist das Dasein als Gott auch eine Strafe – die Götter können nämlich nicht zur Erleuchtung gelangen (und darum geht es schließlich im Endeffekt) – und sie leben schrecklich lange. Dementsprechend lange zögert sich ihre Wiedergeburt als Mensch hinaus, und nur als Mensch kann man das Nirvana erreichen. Daher beneiden die Götter die Menschen ja. Und umbringen darf man sich laut „Regelwerk“ auch nicht. Und die Zeit in diesen Himmeln läuft anders. Es gibt die Geschichte von zwei Göttern, die aus dem Himmel heraus die Menschen betrachteten, sich zu weit vorlehnten und von ihrer Wolke fielen. Sie landeten in einer Gebärmutter und wurden als Menschen geboren. Sie lebten dieses Leben, wurden alt und verstarben. Danach kehrten sie in den Himmel zurück und andere Götter fragten sie bei ihrer Ankunft, wo sie denn den halben Nachmittag gewesen seien…
Man muss als Gott also nicht erst der allgemeinen Endlichkeit anheim fallen, man kann auch unter anderen Umständen als nirvanafähiger Mensch geboren werden.

Bevor ich am Nachmittag anfange, meine Post zu schreiben, nehme ich ein Blatt Papier und schreibe Familie Jin einen kurzen Brief, in dem ich ihnen mitteile, dass ich inzwischen per Telefon erreichbar sei. Aber kaum dass ich eine Zeile geschrieben habe, erhalte ich meine erste Chance (seit ich in Hirosaki bin!), mit männlichen Studenten zu reden. Mehr als zwei Sätze am Stück, sollte ich einschränken.
Es sind zwei Studenten, die offenbar als Tutoren arbeiten (= Austauschstudenten betreuen) und deshalb im Center sind. Damit sind es auch die ersten männlichen Tutoren, die ich live zu Gesicht bekomme. Die beiden sind ein ungleiches Gespann. Der rechts neben mir trägt eine Brille und eine weiße Winterjacke und macht einen akademischen Eindruck, er redet auch sehr deutlich, aber nicht so, dass man sich als Japanischlerner gleich übertrieben vorsichtig behandelt vorkommt. Der andere, gegenüber von mir, hat braungefärbte Haare, trägt braune Cordhosen und einen rot-braun gemusterten Strickpullover und redet völlig normal – das heißt: für mein Können eine kleine Spur zu schnell. Ich muss öfters nachfragen. Vor allem spricht er auf eine Art und Weise (und ich mache das am Tonfall fest), die mir den Eindruck vermittelt, dass er vor Langeweile gleich vom Stuhl fällt, sich aber Mühe geben muss, das zu verbergen. Ich finde das nicht berauschend, aber ich will ihm keine böse Absicht unterstellen.

Ob ich schon japanische Freunde („tomodachi“) gefunden habe, wollen sie wissen. Nein, sage ich, weil ich „Freunde“ als Leute definiere, die ich bereits einige Jahre kenne und mit denen ich trotzdem noch gut auskomme. Ich würde es also vorziehen, von „Bekannten“ („shiriai“) zu sprechen. Davon hätte ich bereits neun oder zehn. Und das seien alles Frauen. (Ein neidisches Raunen geht durch den Saal…)
Sie sagen mir, dass Deutschland in Japan vor allem wegen der hervorragenden Sozialleistungen einen guten Ruf habe, aber ich muss dabei doch auf die Einschnitte der vergangenen und der kommenden Jahre aufmerksam machen. Das sei in Japan nicht anders, sagen sie. Die beiden bereiten sich derzeit auch auf ihr Auslandsstudium vor; der Akademiker wird im kommenden Jahr nach Korea gehen, der Gelangweilte geht nach China.

Letzterer muss schließlich zur Arbeit und die Sitzgruppe löst sich auf, ich bleibe mit meinem Postvorhaben zurück. Aber viel ist es ja nicht und ich fahre im Anschluss gleich selbst vorbei, um meinen Brief in den Postkasten zu werfen. Falls ich den finde, ich kann mich nicht an einen solchen erinnern – aber wer sieht sich schon genauer die Haustüren von Leuten an, die man besucht? Bevor ich Gelegenheit habe, mir darüber weiter Gedanken zu machen, als ich auf die Haustür zugehe, öffnet die Großmutter die Tür. Dann kann ich mir auch gleich vorstellen und ihr das Papier persönlich in die Hand drücken. Sie ruft ihre Schwiegertochter die Treppe herunter, weil sie mit mir ja eigentlich nichts anfangen kann, und das bedauere ich sofort: Frau Jin hat sich offenbar vor wenigen Tagen bei einem Unfall den Fuß gebrochen und bewegt sich daher recht umständlich durch das Haus.1 In diesem Monat wird es daher kein Treffen geben (was ich sehr bedauere), aber sie ist fest entschlossen, am Freitag ins Plaza Hotel zu kommen, um die „International Party“ zu besuchen, trotz Krücken, weil alle Studenten etwas zu essen mitbringen, was zu ihrem Land passt. Ich teile ihr mit, dass Melanie einen Nudelsalat machen will, und sie freut sich sehr darauf, ihn zu probieren. Man könnte das schon beinahe als Leistungsdruck bezeichnen…

Am Abend präsentiert Melanie mir die Gasrechnung, die sie im Briefkasten vorgefunden hat: 9000 Yen. Kommt etwa auf 65 bis 70 E raus. Röchel…
Dann hilft nur noch, die Duschzeit von zwanzig auf zehn bis fünfzehn Minuten pro Person und Tag zu verkürzen. Ich bin nicht bereit, diese Kosten hinzunehmen. Das Duschen muss die Hauptquelle dieser Kosten sein, denn so schrecklich viel Gas verbrauchen wir über den Ofen beim Kochen ja wohl nicht…

1 Ich frage mich bis zum heutigen Tag, ob das Schrottauto an der Uni vom 14.11. 2003 nicht vielleicht auf ihr Konto geht?

17. November 2023

Montag, 17.11.2003 – Denk ich an Deutschland in der Nacht…

Filed under: Japan,My Life — 42317 @ 9:07

Wieder strahlender Sonnenschein am Morgen. Melanie zeichnet Sprachsendungen auf; sie will eine kleine Sammlung von Aufnahmen haben, die zeigen, wie die verschiedenen Nationen den japanischen Kindern ihr Land, ihre Sprache und ihre Kultur näherbringen wollen. Um sich das besser vorstellen zu können, sage ich folgendes dazu: Die Teams in diesen Sendungen bestehen in der Regel aus zwei Muttersprachlern, einem älteren Japaner, der die Fremdsprache wohl studiert hat, und einer jungen Japanerin, deren Aufgabe es ist, bestimmte Sätze, die man ihr vorgibt, zu wiederholen, bzw. die Fragen zu stellen. Die Shows laufen ab in der jeweiligen Sprache, um die es geht, mit japanischen Untertiteln. Sendungen über englische Sprache haben wohl den prozentual höchsten Anteil, und einige davon sind gar nicht schlecht. Es wird in der Regel mit echten Darstellern gearbeitet, die kleinen Beiträge sind zum Teil recht lustig.

Beispiel: Eine amerikanische Austauschstudentin lernt Shamisen (grob: dreisaitige japanische Gitarre) zu spielen und bringt ihrer Lehrerin ein „Bananenbrot“ mit – eine Art Rührkuchen mit Bananenaroma, wie es aussieht.
Der Sohn der Lehrerin (Shin) ist im gleichen Alter wie die Studentin und sie gefällt ihm offenbar. Er kommt nach Hause, ist hungrig, sieht den Kuchen und stopft sich sofort ein Stück in den Mund. Er verzieht das Gesicht und sagt (auf Japanisch) „Was ist denn das für ein… ???“, wobei er den Begriff „bozo-bozo“ verwendet. Aus dem Kontext ist zu schließen, dass das kein gutes Urteil ist. Die Mutter ist „beunruhigt“ und weist den Sohn auf die Studentin hin, die er noch nicht bemerkt hat, worauf der Sohn verlegen lächelt und sagt „Oh… I just said that this is very good!“ und die Mutter möchte die Angelegenheit damit vergessen wissen. Dann kommt aber noch ein Amerikaner dazu, der offenbar mehr Japanisch beherrscht als seine Landsfrau. Sie sagt ihm, dass Shin das Bananenbrot als „bozo-bozo“ bezeichnet habe, wobei man Shin die Tür hinauskriechen sieht. Und dabei zieht er seine Mutter auf dem Boden hinter sich her, weil sie sich an seinem Rucksack festhält, um ihn am Weglaufen zu hindern…

Und es gibt auch eine deutsche Sendung. Oha, das muss ich sehen.
Das Team nennt sich „WG Kunterbunt“… was bitte? Oh mein Gott… ich ahne Böses…
Man bemerkt sofort den deutschen Planer hinter dem Machwerk – der ganze deutsche Weltschmerz wird in diese Sendung gepresst. Das Team besteht, wie erwartet, aus einem Japaner um die 40, einer Japanerin um die 25, einer Frau, die ich ethnisch nicht zuordnen kann (ca. 35 Jahre alt) und ein… einem Ding. Das Ding ist männlich, um die 40, mit deutlichem Bauchansatz, blond, lockige Haare bis etwa zum Hals, der Hals wird geschützt von Muttis selbstgestricktem Schal und der Bauch verbirgt sich hinter Muttis Strickpullover, oberhalb der Cordhosen. So stelle ich mir den links-grün-alternativen Waldorfpädagogen vor (ich habe aber noch keinen bewusst gesehen). Sieht man davon ab, dass der Mann hier ein Gesicht hat wie ein Metzgergeselle. Natürlich will ich hier keine Metzger diffamieren (mein eigener Bruder ist schließlich einer), aber der Kerl sieht aus, als hätte er zuhause die Reitpeitsche an der Wand hängen und den Rest von dem Spielzeug im Schrank versteckt. So zumindest mein erster Eindruck.

Und er legt auch gleich los: Heute stehen „ernste Themen“ an, sagt er. Dann läuft der Lehrfilmbeitrag. „Die Abenteuer von Prinz Pipo“. Ach Du meine Güte… hat der Autor zu viel von Prinzessin Popo geträumt?
Der Beitrag ist… ein Stop-Motion-Trickfilm, mit… mit Muttis handgestrickten Stoffpuppen. Prinz Pipo ist eine… eine Robbe? Zumindest sieht das Etwas so aus, sieht man von den Antennen am Kopf ab. Die übrigen Figuren sind offenbar Menschen. Die Synchronsprecher geben sich alle Mühe, langsam und deutlich zu sprechen – und vernichten dabei den letzten Rest von natürlicher Sprechartikulation. Die Dialoge klingen dadurch noch viel gestelzter, als sie das sowieso schon sind. Melanie hat die Dialoge extra in ihrem Tagebuch vermerkt. Ich will mich daran eigentlich nicht erinnern, sonst bekomme ich Darmkrämpfe. Aber ich will nicht so sein. Beispiele gefällig?

Pipo ist also unterwegs mit einer Mutter und ihrer Tochter, und sie wollen den Ehemann/Vater besuchen, der verborgen im Wald in einer Hütte lebt.
Mutter: „Er lebt hier allein im Wald (…) Manchmal frage ich mich, ob er mich überhaupt noch liebt…“
Tochter: „Ach Mutti…“
(Ja! Deutsches Mitleidsdrama in pädagogisch geplanten Märchen! Das wollen Kinder bestimmt sehen!)
Klopf-klopf. Der Vater öffnet die Tür.
Pipo: „Ich bin Prinz Pipo und…“
Vater: „Hach, ja, Ihr seid Prinz Pipo. Ich weiß schon alles über Sie.“
(Sagte der da gerade „Hach“??? Zack! Ohrfeige! Werft diesen Purschen zu Poden! Das sagt doch keiner! Und in Deutschland ist es also üblich, dem anderen einfach so das Wort abzuschneiden! Pöse Teutsche!)
Vater: „Wusstet Ihr eigentlich, dass in den vergangenen 50 Jahren die Hälfte des vorhandenen Regenwaldes abgeholzt wurde?“
(Ojeojeoje! Gaaaaanz grün, liebe Freunde. Also quasi „Super Green“.)
Wenn danach noch die Information gekommen wäre, bis wann denn alles verschwunden sein werde, dann wäre das ja nur halb so schlimm, aber nein: Schnitt! Hier ist der Beitrag zu Ende. Mitten in der beginnenden Konversation. Welcher Trottel… nein, ich glaube, ich weiß es schon.

Und es wird noch besser. Ja, das geht – Deutsche dieser Art haben schnell noch eine Steigerung zur Hand – deutsche Landeskunde! Die junge Japanerin sitzt also auf der Couch der simulierten WG und hat einen Bildband in der Hand. Der rotgrüne Siegfried kommt so daherspaziert, sieht das Buch und fragt: „Was hast Du denn da? Ah, ein Bildband über Berlin.“ Und der folgende Satz ließ mir die Kinnlade auf den Schreibtisch fallen (ich hätte jedenfalls meine Reisschüssel beinahe fallen lassen):
Wusstest Du eigentlich, dass viele Gebäude in Berlin eine militaristische Vergangenheit haben?“
AAAAARRRGH!! Was sind da für Idioten am Werk? Es folgt ein Beitrag („Berliner Facetten“) über verschiedene Denkmäler Berlins, wie das Brandenburger Tor oder die Siegessäule und was der Anlass für den Bau jeweils war. Die Siegessäule zum Beispiel wurde gebaut zur Erinnerung an den Sieg über Dänemark anno 1864.
Die Geschichte Berlins war bis 1945 eine Geschichte des Krieges.“ (Böse, böse!)

Die nächste Szene wechselt in ein (oder das?) Berliner Antikriegsmuseum: „Nicht nur normale Bürger gehen in das Museum, sondern ab und zu kommt auch mal ein Berufssoldat vorbei.“ (Pfui, ein potentieller Abnormer!)
Abgesehen davon, dass diese Vokabeln fragwürdig sind, finde ich das ungeheuerlich, was ich da sehe und höre. Ich bin der letzte, der eine Beschönigung der deutschen Geschichte befürworten würde – aber diese Sendung ist doch für Kinder! Was für ein Bild von Deutschland – meiner Heimat! – wird denn hier vermittelt?
Natürlich gilt: Nichts darf vergessen werden. Aber sollten Kinder, die so klein sind, dass sie noch an „Prinz Pipo“ Gefallen finden (könnten), gleich mit einem solchen Image (und den komplexen historischen Fakten dahinter) versorgt werden? Wenn ich mich mit Leuten, vor allem aus Asien, unterhalte, dann ist Deutschland ein Land der Kultur, der Musik und ein erstrebenswerter Sozialstaat. Das entspricht zwar nicht so hundertprozentig der Wahrheit, aber muss man denn so einseitig die Schattenseiten zu zeigen versuchen?

Als „Ausgleich“ gibt es einen Beitrag über ein Wäschereimuseum, ebenfalls in Berlin. Man sieht alte Bügeleisen, Mangeln, Waschbretter, die ersten „Waschmaschinen“ (die man mit der Hand drehen musste) und dergleichen mehr. Das finde ich zwar auch nicht spannend, aber es ist nach der antifaschistischen Keule eben vor allem entspannend. Ein wenig „praktischer“ (weil realitätsverbunden) ist der „Sportbeitrag“. Einer der Moderatoren in Deutschland klärt die japanischen Zuschauer über Fußballvokabeln auf. Nur eine Handvoll davon. Aber immerhin etwas. Auch wenn Fußball nicht auf meiner „Most Wanted“ Liste steht, finde ich diesen (kurzen) Beitrag noch am besten. Obwohl er das Klischee unterstützt, dass alle Deutschen Fußball spielen oder mögen. Hey, wie wäre ein Beitrag über deutsche Bierbrauereien, wenn wir schon dabei sind?
Das Programmheft hat noch eine weitere Deutschsendung auf Lager. Hoffentlich ist das was anderes. Melanie vermerkt die Zeit und wird die Sendung aufnehmen. Vielleicht rettet ja noch jemand Deutschlands Ehre.

Am Nachmittag nach meinem Unterricht kommt Kazu ins Center. Weil sie mich da hat sitzen sehen. Ein bisschen Konversation also. Ich habe schon wieder völlig vergessen, wie ich sie eigentlich kennen gelernt habe… wenn ich es nicht in meinem Tagebuch steht, werde ich mich nie erinnern, es sei denn, ich frage sie…

Danach schreibe ich meine Post, heute über den 11.11.2003. Dabei kommt die Post an Natsumi wieder zurück. Ah ja, eine Hotmail-Adresse. Es gibt nur mit Hotmail-Adressen solche Probleme. Auch andere Leute waren zwischendurch nicht erreichbar und von hotmail.com kam dann die Nachricht, dass der Empfänger unbekannt sei. Und am Tag darauf war wieder alles in Ordnung… manchmal dauert es aber auch länger. Das ist vor allem dann nervtötend, wenn ich Bilder versende, weil die immer erst einzeln hochgeladen werden müssen. Wird ein Empfänger nicht erreicht, muss ich für diesen die gesamte Prozedur wiederholen. Das ist natürlich nicht ultimativ anstrengend oder kraftraubend, aber es geht mir auf den Wecker. Es kann also zwei oder drei Newsletter Empfänger geben, die nicht von jedem Tag eine Mitteilung haben – wer also einen oder mehrere Tage vermisst und den Bericht noch haben will, soll sich bitte melden.

16. November 2023

Sonntag, 16.11.2003 – Schlammspringer

Filed under: Japan,My Life,Sport — 42317 @ 10:08

Ein ruhiger Sonntag mit einem blendend schönen und sonnigen Morgen. Leider geht das Wetter bis zum Nachmittag langsam, aber (für heute) endgültig in Bewölkung und Regen über. Und entsprechend kühl wird es auch. Ich fahre zur Uni, um Post zu schreiben, bleibe aber am Sportplatz hängen, weil das Football Team der Uni gerade trainiert. Die Farben der Trikots kann man kaum noch erkennen, alle sind schmutzig braun wegen des Schlamms, der sich aufgrund des einsetzenden Regens und der Nässe der letzten Tage gebildet hat. Es ist recht kühl, ohne Jacke möchte ich nicht in der Gegend rumstehen. Aber die Jungs hier sind beschäftigt, denen dürfte nicht kalt sein. Und es juckt mich in den Fingern, weil ich das auch mal machen will, was die da treiben. Aber ich bin inzwischen zu sehr zum Weichei geworden, als dass ich mich im Winter im Schlamm suhlen wollte. Ich warte bis zum Sommersemester und frage dann vielleicht nach Aufnahme in den Club.

Keiner der Spielzüge dauert mehr als vielleicht sieben Sekunden, weil der Ballträger sofort zu Fall gebracht wird. Mir scheint, denen fehlt jemand, der das Ei nach vorne bringt – es sei denn, es handelte sich hier um Abwehrspezialisten. Der breite, größere Kerl, den ich beim Armdrücken gesehen habe, ist auch da, aber der steht nur am Rand herum. Die Mädchen, die zum Club gehören, sind ebenfalls mit Eifer bei der Sache, wenn auch nicht als Spieler. Jedes Mal, wenn ein Spielzug zu Ende ist, sammeln sie den Ball auf, bringen einen neuen und machen den anderen sauber für den nächsten Spielzug. Ich bin sicher, dass sie nachher auch das Waschen der Anzüge übernehmen. Aber die Trainer, die sich am wenigsten bewegen, sind die härtesten Leute am Platz: Die Spieler tragen die Sportschuhe mit den Spikes, die Mädchen tragen Gummistiefel, aber die beiden Trainer haben ihre Trainingshosen bis zum Knie hochgekrempelt und tragen Badelatschen an den nackten Füßen – mitten im typischsten Novemberwetter. Hat denen noch niemand erzählt, dass unterkühlte Gelenke anfällig für Rheuma sind? Hart im Nehmen scheinen sie auf jeden Fall zu sein. Ich mache ein Foto von der Gesamtszenerie und versuche mich auch an Bildern aus geringerer Entfernung, aber die werden alle unscharf, wegen der vielen Bewegung. Also bleibt nur das „Panoramabild“.

Digital Camera

Danach gehe ich in die Bibliothek, weil das Spiel irgendwann nichts Neues mehr bietet und ich ja noch ein paar Berichte schreiben will. Ich komme allerdings nur dazu, eine einzige Mail zu schreiben. Nebenbei stelle ich mein Artbook bei E-Bay ein und hoffe, dass ich zumindest 10 E dafür kriege, damit ich ein paar Kröten Gewinn mache.

Am Abend stelle ich fest, dass unser Reissack sich bedenklich schnell geleert hat. Der erste (ebenfalls 10 kg) hat knapp einen Monat gehalten. Dieser hier zeigt bereits nach etwa zwei Wochen an, dass wir uns seelisch und moralisch darauf vorbereiten können, den nächsten kaufen zu müssen. Ich muss annehmen, dass das daran liegt, dass wir in diesem Monat weniger Ramen und öfters zuhause gegessen haben – die Nudelsuppe macht wegen der Flüssigkeit darin eher satt als ein Reis-Fleischgericht. Wenn wir Yakiniku gegessen haben, habe ich nachher immer noch Reis gekocht, um satt zu werden. Nach einer Portion Ramen war das nicht notwendig. Das macht sich dann schon bemerkbar.

15. November 2023

Samstag, 15.11.2003 – The ultimate Challenge

Filed under: Japan,My Life — 42317 @ 7:00

07:30 am Samstag, das heißt: SailorMoon Fan vor der Mattscheibe.

Zuerst beobachtet Usagi Motoki, wie der die Jacke des Fracks von Tuxedo Kamen in die Tüte einer Schneiderei stopft. Ihre Schlussfolgerung: Motoki ist Tuxedo Kamen! Der Fan vor der Mattscheibe weiß natürlich, dass Motoki nicht Tuxedo Kamen ist, in den sich Usagi/SailorMoon unsterblich und über jede Wiedergeburt hinaus verliebt hat. Aber dem Fan ist nicht klar, wie viel Motoki darüber weiß, dass sein Freund Mamoru Tuxedo Kamen ist – und Mamoru ist der Kerl, den Usagi momentan so richtig gar nicht leiden mag. Außer der Jacke hat Motoki noch Freikarten für einen Freizeitpark – und er schenkt Usagi drei davon.

Usagi nimmt Rei und Makoto mit, Ami hat keine Zeit oder keine Gelegenheit. Motoki im Gegenzug bringt Mamoru und einem Kerl namens Takai (der einen äußerst unmännlichen Rucksack in Form einer Stoffschildkröte auf dem Rücken trägt) mit zum Park. Drei Jungs und drei Mädchen losen daraufhin aus, wer mit wem „zusammenkommt“, da die Attraktionen ja oft genug Zweisitzer sind. Man braucht nicht viel Vorstellungskraft, um darauf zu kommen, dass Usagi natürlich mit dem (derzeit) ungeliebten Mamoru in einem Team landet. Aber sie tauscht mit Makoto, die Motoki bekommen hat.

Lustig ist die Szene, wo Usagi mit Motoki im Boot sitzt und ihm lauter Anspielungen auf „Tuxedo“ und „Kamen“ (= „Maske“) an den Kopf wirft (z.B. Tuxedo… Kame?, wobei „Kame“ = „Schildkröte“), womit er natürlich gar nichts anfangen kann. Und dann kommt Makoto, mit Mamoru im Boot, vorbeigerudert (Bugwelle!!!).

Takai bekommt heftigen Schluckauf (offenbar macht ihn das Zusammensein mit jungen Frauen zu nervös), was Rei von allen Aktivitäten ausschließt. Er sitzt so in der Gegend rum und ein Yôma fährt in ihn. Daraufhin zapft Takai allen möglichen Leuten Energie ab (auch Rei muss dran glauben) und speichert diese in seinem tollen Rucksack. Usagi ist währenddessen mit Motoki im Spiegelhaus. Natürlich ein verwirrendes Labyrinth. Sie wollen sich nicht verlieren, und damit er nicht ihre Hand anfassen muss (er will ihr ja nicht zu nahe treten), nimmt er ein Taschentuch und jeder der beiden fasst ein Ende an, so führen sie sich gegenseitig. Aber sie werden dennoch getrennt, und Motoki wird in dem Spiegelkabinett schlecht, er geht nach draußen. Mamoru geht daraufhin in das Spiegelhaus, weil Usagi ja auch nicht alleine bleiben soll.

Mamoru findet Usagi und will sie auch rausführen; und natürlich verwendet er kein Taschentuch, um sie zu führen, sondern er nimmt Körperkontakt mit ihr auf, indem er ihre Hand nimmt – zum Dahinschmelzen, nicht wahr? Das ist der Zeitpunkt, wo Rei anruft und sagt, dass es Arbeit gibt. Usagi löst sich also wieder von Mamoru und geht ein paar Ecken weiter. Als sie sich dann verwandelt, kann Mamoru sie über die Spiegel beobachten und weiß so schließlich von ihrem Geheimnis.

Der Yôma wird besiegt (unglaublich, aber wahr). Lustig auch hier die Nahkampfszene – die Mädchen erweisen sich als ziemlich beweglich und turnerisch begabt. Und viel Bein zeigen sie dabei auch noch. Jedyte schaltet sich persönlich ein und verletzt Tuxedo Kamen (= der verwandelte Mamoru) an der Hand. Mamoru erhält von SailorMoon ein Taschentuch als (reichlich nutzlos aussehenden, weil sehr locker sitzenden) Verband.

Danach gehe ich in die Bibliothek (diesmal rechtzeitig um 10:00 und nicht wieder eine Stunde zu früh) und schreibe drei Mails am Stück, über den 07., 08., und den 09.11. Außerdem stelle ich fest, dass man das Evangelion Artbook, das ich loswerden will, bei E-Bay für 20 E losbekommen kann, obwohl der Neupreis doch bei gerade mal 20 bis 25 E liegt. Aber das kann mir natürlich nur Recht sein. Ich nehme mir also für morgen vor, das Buch zum Verkauf anzubieten.

Am Abend dann gehe ich mit Melanie auf die angekündigte „International Party“. Dort finden sich neben einer Handvoll „Westler“ (nicht „Wrestler“ – das erwähnte ich bereits) und mindestens einer Chinesin (Mei) etwa 50 bis 70 Japaner im Alter von 0,75 bis 70 Jahren ein. Aber die genannten Westler habe ich noch nie gesehen, und die haben auch mit der Uni nichts zu tun, oder nur wenig, weil sie als Englischlehrer arbeiten oder ein Praktikum absolvieren oder etwas ähnliches dieser Art. Von den Austauschstudenten befinden sich hier nur Mei, David, Melanie und ich. Das war dann auch schon alles. Ja, wo sind denn Tanja und Mareike? Ei, ei, ei… wollten die nicht Kontakte mit Japanern abseits des „Studentenverkehrs“ knüpfen? Gelächter! Die sitzen wahrscheinlich zuhause, sehen fern und sind froh, dass sie sich mit ihrem schlechten Japanisch nicht blamieren, das wesentlich besser werden würde, wenn sie mal aktiv mit Leuten reden würden. Ich vermeide an dieser Stelle einfach mal Begriffe unhöflicher Natur, die mir hierbei ganz spontan einfallen.

Das Programm der Party folgt einem streng organisierten Plan, wie immer. Zuerst wird gemeinsam gesungen, unter Anleitung. Eine ältere Dame am Klavier gibt eine Melodie vor und ein Herr um die Dreißig singt den Text, der auch auf einer großen Tafel geschrieben steht. Wenn ich das richtig interpretiere, schließt das Lied Gebärdensprache mit ein. Die Gestikulation von dem Mann sieht für mich als Laien zumindest danach aus, und dazu wird das Lied gesungen, aber ich kann mich auch irren und die Gebärden sind reine ABM. Das Lied wird dreimal (!!! – ?!?) von den Anwesenden gesungen. Es sieht lustig aus, aber mir ist das ein wenig zu affig. Also nein, aus solchen Spielen halte ich mich raus. Es wird mir wohl niemand nachsagen können, dass ich Probleme mit öffentlichem Auftreten hätte, aber ich mag solche Spiele nicht.

Singen und Gestikulieren

Dann wird erklärt, wie man Soba-Nudeln macht. Dazu ist ein Profi eingeladen worden, der seinen Reis damit verdient, dass er Sobanudeln zu Udon verarbeitet.

Vormachen

Und das scheint gar nicht schwer zu sein. 450 g Sobamehl und etwa 0,2 Liter Salzwasser (er verwendet eine kleine Tasse) in eine Schüssel geben und durchkneten. Ei braucht man keines, offenbar hat dieses Mehl Eigenschaften, die Ei überflüssig machen. Wenn man den Teig geknetet hat, packt man ihn in eine Plastiktüte (!), legt die Tüte auf den Boden und stampft den Teig mit den Füßen weiter (ohne Schuhe), etwa 10 oder 15 Minuten lang.

Stampfen

Dann wird der Teig ausgerollt, bis er ganz dünn ist, mit Mehl bestreut und ohne Druck zu einer langen Zigarre zusammengerollt, und in dieser Form wird er dann in etwa 5 mm breite Streifen geschnitten. Die Streifen werden im Anschluss gekocht und mit Pilzen, Fleisch und Gemüsebeilage als Nudelsuppe serviert. Aha? „Soba + Pilze + Gemüse-/Fleischsuppe = Udon“?1 Es schmeckt hervorragend.

Nachmachen

Während all dieser Vorgänge wechsele ich ein paar Worte mit einer Familie, deren Namen alle mit „Yû“ anfangen. Yû, der Vater, Yûko, die Mutter, Yûtarô, der Sohn (3) und Yûmi, die Tochter (0,75). So ein Zufall – in meiner Gastfamilie heißt der Vater Yûta, der Sohn ebenfalls Yûtarô und die Tochter Yûmiko. Entweder ein echter Zufall oder aber diese Namen, bzw. die Silben sind sehr beliebt. Während ich mit dem jungen Vater rede, der scheinbar sehr glücklich ist, dass er mit uns Englisch reden kann, sieht mich sein Söhnchen an, als käme ich vom Mars. Wir kneten schließlich den Teig zusammen.

Viel interessanter (und das nicht nur von einem männlichen Standpunkt aus betrachtet) sind die beiden Oberschülerinnen Saika (16) und Chitose (17). Von ihnen erfahre ich zum Beispiel, dass einer der Kämpfer beim diesjährigen Kyûshû Sumô Basho ein Absolvent ihrer Schule sei, und sie sind mächtig stolz darauf. Ihre Schule liegt vielleicht 100 Meter von meiner Wohnung entfernt, ich fahre jeden Morgen daran vorbei. Dann erzählen sie munter ca. zehn Minuten lang etwas über den Begriff „pichi-pichi“ und Haut, was ich erst nicht so recht verstehe. Erst gegen Schluss wird mir langsam klar, dass sie mir zu erklären versuchen, dass „pichi-pichi“ etwa „wie ein Pfirsich“ (von engl. „peach“) bedeutet und dass es in Japan wohl ein Sprichwort gibt, das da sagt eine Haut wie ein Schulmädchen haben. Aha. Und aber oh ja! Die Haut, die da vor mir steht, würde jeden Mann interessieren, sofern er nicht scheintot, homosexuell oder sonst irgendwie gebunden ist. Die zwei sehen gut aus (meiner bescheidenen Meinung nach). Zur Erinnerung mache ich ein Foto von den beiden. Ohne „V“-Geste, die allen Ostasiaten zu eigen zu sein scheint. Das Bild sieht zwar ein wenig verrückt aus (vor allem Chitose), aber es gefällt mir. Wahrscheinlich gerade deshalb.

Saika, Chitose 2003

Aber sie sind eigentlich hergekommen, weil sie ihr Englisch verbessern wollen. Und damit scheint es ihnen recht ernst zu sein. Ihr Englisch ist schlecht, in Bezug auf Vokabular und Aussprache. Die Grammatik ist in Ordnung. Wir führen das gemeinsam auf die einseitig auf grammatische Strukturen ausgelegte Lehrmethode an den Schulen zurück, wo man kaum Kommunikationsschulung erhält. Sie sind sehr begierig, Phrasen zu lernen, vor allem in Bezug auf Begrüßungen (also förmliche, ritualisierte Angelegenheiten). Und sie werden nicht müde, Englisch zu sprechen (so weit sie das können) und es berichtigen zu lassen. Ich bin beeindruckt. Vor allem, weil eben nicht jeder seine Fehler gerne zur Schau stellt, um sich auch noch belehren zu lassen.

Ich empfehle den beiden, mit dem Ryûgakusei Center der Universität in Verbindung zu setzen, da es da ja eine Menge Leute gibt (eben Austauschstudenten), die Englisch sprechen. Um einfach nur Kommunikation zu üben wird es schon ausreichen. Ich gebe den beiden die Namen von Sawada-sensei und Kuramata-sensei, damit sie sich erst mit denen in Verbindung setzen können. Ich möchte nicht, dass die Verantwortlichen des Centers eines Tages davon überrascht werden, dass (minderjährige) Oberschülerinnen auftauchen und die Studenten ansprechen – nicht, dass der Eindruck entsteht, dass hier unsaubere Geschäfte getätigt werden. Ich muss sobald wie möglich mit Sawada-sensei darüber sprechen, damit sie nicht von „außen“ erfahren muss, dass ich das Center als „Sprachschule“ weiterempfohlen habe. Saika und Chitose jedenfalls versprechen, meinem Rat zu folgen. Ich bin gespannt, was daraus wird – oder wie lange es dauert, bis sie sich trauen.2

Auf jeden Fall habe ich den Eindruck, dass japanische Mädchen weitaus weniger Scheu haben, auch schlechte Sprachkenntnisse anzuwenden, als Jungs. Und sie haben mehr Mut, wildfremde Leute um Berichtigung zu bitten. Die Jungs halten m.E. lieber die Klappe, als sich mit Fehlern zu blamieren und nachher als „uncool“ zu gelten. Meine Achtung vor den Mädchen ist heute erheblich gestiegen (was natürlich nicht heißt, dass ich sie vorher geringgeschätzt hätte).

Melanie unterhält sich währenddessen mit zwei anderen einheimischen Frauen und erzählt ihnen, dass sie mit ihrem Freund zusammenlebe. Die beiden Damen (ca. 30 Jahre alt) reagieren ungläubig: „Was bitte? Wirklich?“ Da bei mir gerade eine Gesprächspause eingetreten ist, gehe ich zu Melanie hinüber, um zu sehen, wie sie zurecht kommt. Ich nähere mich ihr von hinten und streiche ihr durch die Haare, was die beiden Damen begreifen lässt, dass diese Person Melanies Freund ist. Sie wollen aus dem Staunen nicht mehr herauskommen, als sie sehen, wie der Freund von Melanie aussieht. Sie machen bei meinem Anblick einen Laut, als hätte Melanie gerade den Beweis geführt, dass man aus angeschimmeltem Reisstroh Gold machen kann. Vielleicht tut es Melanie mal ganz gut, wegen etwas beneidet zu werden.

Auch diese Party dauert zwei Stunden. Das scheint hier so Brauch zu sein. Melanie und ich fahren nach Hause, und das gerade rechtzeitig, bevor es in stärkerem Maße zu regnen beginnt. Heute war ein Tag, einer der wenigen Tage eigentlich, von dem ich auf keinen Fall sagen würde, dass er verschwendete Zeit war. Eigentlich möchte ich jeden bedauern, der nicht auf dieser kleinen Feier war. Trotz der beknackten Gesangs- und Gymnastikeinlage.

1 „Udon“ ist die Bezeichnung für dicke, helle Nudeln aus herkömmlichem Weizenmehl, „Soba“ sind dünne, dunkle Nudeln aus Buchweizenmehl. Zum damaligen Zeitpunkt lag ein grundlegendes Missverständnis meinerseits vor.

2 Da wurde natürlich nie was draus. Es handelte sich um einen Erkenntnisschritt für mich, und am Ende des Weges, im Laufe des kommenden Jahres, hatte ich gelernt, dass Japaner einem alles mögliche erzählen, wenn sie der Meinung sind, dass es dem Gegenüber ein gutes Gefühl gibt. Als Ausländer außerhalb des Gefüges gegenseitiger Beziehungen zu stehen, fördert dies zusätzlich. Diese kleinen Lügen sind japanische Konvention und niemand denkt etwas Böses dabei.

14. November 2023

Freitag, 14.11.2003 – 2Fast, 2Furious?

Filed under: Japan,My Life — 42317 @ 9:06

Heute ist Freitag und da steht um 14:20 Japanisch auf dem Plan. Wie üblich nicht sonderlich spannend. Gleich danach gehe ich mit Yui zur Post, um meine Stromrechnung zu zahlen, die, äh, eigentlich spätestens gestern fällig war. Aber ich habe das zu sehr vor mir hergeschoben. Außerdem hätte ich Yuis Zeit nicht verschwenden müssen, weil ich den Zettel einfach nur abgeben muss und die Damen am Schalter machen den Rest alleine. Ohne dass auch nur mehr als drei Worte gesagt werden müssen. Tut mir leid, Yui, aber man weiß das nachher immer besser und vorher weiß man nichts genaues eben nicht.

Vor der Südeinfahrt der Uni hat sich am Vormittag ein Kleinwagen um einen Laternenmast gewickelt. Ganz so schlimm, wie es sich anhört, ist es nicht. Aber der Wagen ist von der Straße abgekommen, über den Bürgersteig gerutscht und in der Hecke am Laternenpfahl gelandet, als hätte ihn jemand dort unglücklich hingeparkt. Kein Mensch steht da rum und abgesperrt ist auch nichts, also lasse ich es mir nicht nehmen, drei Fotos von dem Auto zu machen, schräg hinten, schräg vorne und ein Blick in den Fahrerraum.1

Unfall 01
Unfall 02
Unfall 03

Die Zeit zwischen 1550 und 1700 verbringe ich im Center und unterhalte mich ein wenig mit Dave, der mir erklärt, dass er wisse, dass das Deutsch, das er von Luba lernt, zwar unhöflich ist, aber es helfe ihm beim Erkennen und Einprägen grammatikalischer Strukturen. Na gut, immerhin etwas. Und Kudô-san zeigt mir schließlich auf der Stadtkarte den Weg ins Hirosaki Kulturzentrum, wo morgen eine weitere Internationale Party stattfinden wird.

Let’s sing together! Let’s challenge making Japanese Noodles and eat them! Let’s throw a ball at a target for a huge Oni!“ steht da auf der Einladung. Wie üblich ein seltsames Englisch. Das mit dem „zusammen singen“ ist ja in Ordnung. Aber wie ist das mit den Nudeln? Teilen wir uns in Teams und wettstreiten, wer die besten Nudeln hinbekommt? Und was ist mit dem riesigen Oni (eine Art Dämon)? Ich werfe einen Ball nach einem Ziel und bekomme einen Oni dafür, so wie es hier steht. Vielleicht ist „Oni“ in diesem Fall eine Abkürzung für „Onigiri“? Das wäre dann ein „riesiges Reisbällchen“? Das würde mehr Sinn geben – was sollte ich mit einem Dämon, oder vielleicht einer Puppe eines solchen…

1 Beachtlich dabei ist, dass der Zündschlüssel noch steckt, das Radio aber scheinbar entfernt wurde.

13. November 2023

Donnerstag, 13.11.2003 – Tuning Apples

Filed under: Japan,My Life — 42317 @ 7:00

Heute steht der Besuch im Apfelforschungszentrum in Kuroishi an, die Abfahrt ist wie üblich um 12:10. Der Kleinbus, mit dem wir fahren wollen, stellt sich als zu klein heraus. Einer passt nicht mehr hinein, und das ist Kashima-sensei. Er folgt uns daher mit dem eigenen Wagen.

Auf dem Weg heraus aus der Stadt heraus halte ich die Augen wieder nach Autohäusern auf, halte Ausschau nach Nissan und Mazda. Aber ich finde „nur“ Mitsubishi, Subaru, Daihatsu, Volkswagen, Toyota, Honda, Suzuki und sogar Harley Davidson. Also ist quasi alles vertreten, nur nicht das, was zu suchen ich beauftragt wurde. Das ist etwas seltsam, könnte man meinen, vor allem im Hinblick darauf, dass Mazda die meistverkauften Importwagen Deutschlands sind (oder waren). Aber Mazda ist in Japan relativ selten, stelle ich fest. Der Löwenanteil entfällt auf Toyota (mit etwa 50 % Marktanteil – die könnten Daimler-Chrysler kaufen, wenn sie das wollten) und Mitsubishi. Aber ich habe bisher mehr VWs als Mazdas gesehen. Ich glaube, zwei Mazda-Modelle sind bisher an mir vorbeigefahren. Obwohl Mazda im Werbefernsehen vertreten ist (mit dem Modell Avensis, was wohl ein sportlich aufgemachter Familienwagen ist).

Über die Autos ist generell etwas zu sagen. Es gibt im Großen und Ganzen zwei Typen auf den Straßen – gedrosselte und nicht gedrosselte Fahrzeuge. Ich habe bereits geschrieben, dass die Geschwindigkeitslimits hart sind und dass es sich eigentlich nicht lohnt, PS-starke Autos zu fahren. Die meisten Fahrzeuge sind halt gedrosselt, und ich nehme an, dass man damit nicht weit über 100 km/h hinauskommt. Diese Fahrzeuge haben einen spürbar geringeren Steuersatz als die ungedrosselten Fahrzeuge. Man kann sie an den Nummernschildern auseinanderhalten – es gibt gelbe und weiße (und grüne, die ich aber bisher nur bei Taxen und LKWs gesehen habe).

Das Apfelmuseum

Bis zum Forschungszentrum sind es nur ca. 20 Minuten Fahrt. Und es bleibt festzustellen, dass es sehr klein ist. Es besteht aus einem Hauptgebäude und einem Museum, drumherum Apfelfelder. Aus irgendeinem Grund bekommen wir nur das Museum zu sehen. Dabei hätte ich gerne live gesehen, wie man Äpfel erforscht. Aber eigentlich wird in dem Museum alles erklärt, Geschichte, Methoden und Produkte. Das Forschungszentrum wurde 1932 gegründet, aber das kommerzielle Anpflanzen von Äpfeln begann wohl schon etwa 30 Jahre früher. Und es dauerte eine ganze Weile, bis man heraus hatte, wie man die Bäume und Früchte effektiv vor Schädlingen schützen kann. Die ersten fünf Jahre sollen recht hart gewesen sein, eine Ernte nach der anderen wurde von Insekten gefressen oder von Pilzbefall vernichtet.

Das älteste Exemplar von Apfelbaum ist 103 Jahre alt. Und trägt noch immer Früchte, und zwar gute. Ja, natürlich ist nur der Stamm so alt, weil die Äste immer wieder nach Bedarf weggeschnitten werden. Die Apfelpflege ist immens. Ich bin öfters in Südtirol gewesen, einer Region, die ebenfalls eine hohe Produktion von Äpfeln aufweist, aber etwas solches wie hier habe ich auch dort nicht gesehen. Die Äpfel hier werden während ihres Wachstums jeden Tag ein paar Zentimeter gedreht, damit alle Seiten gleichmäßig Sonne erhalten. Alle Äpfel werden von Hand gedreht. Ja, ganz richtig. Früher wurden die Blüten auch von Hand bestäubt – jede einzelne – aber heute geht man da bequemer vor. Heute lässt man diese Arbeit von Bienen machen. Ja, das klingt völlig normal, ich weiß, aber diese Bienen hier sind was besonderes.

Die Bienen hier wurden mit Hilfe moderner Biotechnologie „hergestellt“. Allerdings mittels Kreuzungsverfahren, wie man uns versichert, nicht mit Hilfe von Genmanipulation. In dem Fall würde ich die Arbeit als beeindruckend erfolgreich bezeichnen. Diese Bienen hier haben zum einen nämlich keinen Stachel, das heißt, sie werden Bauern und Anwohnern nicht gefährlich.
Ja, aber wie verteidigen sie sich dann gegen Raubinsekten?
Gar nicht.
Wie bitte? Und wie verhindert man die Ausrottung von ganzen Völkern durch Wespenkommandos?
Einfach: Durch gesteigerte Geburtenrate.
Wie geht das?
Indem man die Königin aus der Hierarchie subtrahiert und die Hierarchie somit abschafft.
Aber wer legt dann die Eier?
Alle Bienen legen Eier.
Was soll das heißen: „alle“?
Ja, eben „alle“. Auch die Männer legen Eier. Aber eigentlich sind es keine richtigen Männer.
Was soll denn das nun wieder heißen?
Normalerweise haben irdische weibliche Lebewesen zwei X-Chromosomen, männliche haben ein fehlerhaftes Chromosom, das man Y-Chromosom nennt. Den männlichen Bienen dieser Art „fehlt“ das fehlerhafte Y-Chromosom. Sie haben nur ein X-Chromosom. Bei Paarungen können also nur X-Chromosomen zusammenkommen und alle Nachkommen sind deshalb in der Lage, Eier zu legen. Die weiblichen Bienen sind außerdem in der Lage, die männliche Samenflüssigkeit zu speichern. Wenn sie den Samen mehrerer Männchen speichern, werden aus den Eiern Weibchen schlüpfen, legen sie die Eier sofort nach der Paarung, werden männliche Bienen schlüpfen. Ihr Instinkt sagt ihnen jeweils, was vorteilhafter ist. Auf diese Art und Weise ist ständig genügend Nachwuchs vorhanden und ein Ausfall der Königin kann nicht das Volk gefährden, wie das sonst üblich ist. Ich werde eine Weile brauchen, bis ich das halbwegs verdaut habe.

Die Äpfel werden sechsmal im Jahr gespritzt. Jeweils eine andere chemische Keule gegen verschiedene Krankheiten und Schädlinge. Die kleineren Exemplare schneidet man bereits im Frühstadium ab, damit der Baum sich auf die größeren konzentrieren kann, die dadurch noch größer werden. Und jeden Tag wird hier daran gearbeitet, den Apfel zu kreieren. Natürlich nicht „einfach so“ mit Hilfe der Gentechnik, sondern mit Hilfe von Auswahl und Kreuzungsverfahren, wie man mir ausdrücklich versichert. Es gibt knapp zwei Dutzend Sorten, von denen die Hälfte noch angepflanzt werden, die anderen sind „Auslaufmodelle“. Alle aktuellen Sorten werden gleichmäßig angepflanzt und sind darauf ausgelegt, zu verschiedenen Zeiten im Jahr vom Frühsommer bis in den November geerntet werden zu können. Es hängen sogar jetzt noch Äpfel an manchen Bäumen, und jetzt ist Mitte November. So verhindert man, dass eine Naturkatastrophe wie z.B. ein starker Taifun oder übermäßiger Regen mit einem Schlag die komplette Jahresernte vernichtet.

Was ich auch nicht wusste, ist, dass ein und die selbe Apfelsorte gelb oder rot werden kann. Wünscht man, dass der Apfel rot wird, muss man ihn mit Papier einwickeln, so lange er noch am Baum hängt. Soll er gelb werden, lässt man ihn der Sonne ausgesetzt.

Aus den Äpfeln wird alles Mögliche hergestellt, nur auf Apfelmus scheint niemand gekommen zu sein. Sawada-sensei sagt, dass man Äpfel mancherorts mit Hilfe einer Reibe zerkleinere und anschließend so verzehre – aber das ist ja nicht das gleiche. Apfelmus wird aus gekochten und zerstoßenen Äpfeln hergestellt und mit einer Portion Zucker ohne weitere Zutaten verzehrt. Ich jedenfalls brauche keine Kartoffelpfannkuchen unter meinem Apfelmus. Dabei mögen doch vor allem Japanerinnen süße Nebengerichte. Vielleicht stelle ich einfach mal ein Glas Apfelmus her und schicke es dem Präfekten oder dem Kulturbeauftragten… Apfelmus ist eine viel zu simple Angelegenheit, um es sich entgehen zu lassen.

Ansonsten hat man die Wahl zwischen mehreren Sorten Apfelsaft und alkoholischen Getränken, es gibt Kekse (welche mit Apfelgeschmack und auch welche aus Äpfeln), Tee aus Apfelblüten, Curry-Soße mit Apfelbeimischungen, Eiscreme mit Apfelgeschmack, Marmelade, Kompott und Gelee, es gibt Stoffe, die mit natürlicher Apfelfarbe gefärbt werden, und es gibt sogar Produkte wie Handtaschen, die mit geflochtenen Fasern aus dem Holz des Baumes verziert werden. Natürlich gibt es noch mehr, aber ich fühlte mich leider nicht dazu bewegt, den ganzen Krempel auf dem Tisch schriftlich festzuhalten. Aber Mus gibt es keines. Und auffälligerweise steht hier auch kein Plastikmodell eines Apfelkuchens – das ist ebenfalls überaus verdächtig.

Die Apfelprodukte

Wir erhalten den Auftrag, das Museum nach Informationen zu durchforsten und jede der Gruppen erhält ein Themengebiet. Unsere Gruppe, mit Irena, Yon, Mathieu und meiner Wenigkeit, bekommt die „Apfelprodukte der Region“ zugewiesen – was machen wohl die anderen??? Am folgenden Donnerstag soll dann jeden Gruppe einen fünf Minuten langen Vortrag über das Thema halten. Das sollte nicht weiter kompliziert werden, nachdem Irena die Aufgabe übernommen hat, die Produktpalette abzuschreiben. Ich hätte mich gerne ebenfalls darauf vorbereitet, aber ihre Liste ist Englisch, Slowenisch und Japanisch gemixt, und zumindest Slowenisch kann ich ohne ihre Hilfe nicht entziffern. Sie will mir eine englische Version zukommen lassen.

Auf der Rückfahrt landet Sang Su auf dem Sitz neben mir und es entfaltet sich ein übliches „Veteranengespräch“, da wir ja beide „alte Funker“ sind. Ich glaube, bereits erwähnt zu haben, dass er die zwei Jahre und zwei Monate seines Wehrdienstes in einem Bunker auf einer Luftwaffenbasis verbracht hat. Von ihm erfahre ich ein paar allgemeine Dinge über die Organisation der südkoreanischen Armee. So zum Beispiel steht unterhalb der Divison gleich das Regiment als nächste Verwaltungseinheit. Brigaden gibt es dort nicht. Dafür haben die Divisionen in Südkorea nur eine Stärke von 3000 Mann, übergeordnete Verbände wie Korps und Armee sind entsprechend kleiner als bei uns. Ich muss ihn bei Gelegenheit daran erinnern, sich von seiner Mutter seine Uniform schicken zu lassen, die er als Reservist noch im Schrank liegen hat. Das gemeinsame Foto wird bestimmt erstklassig.

Nach der Ankunft an der Uni gehe ich sofort in die Bibliothek, um meine Post zu schreiben.

Am Abend essen wir zuhause, weil Melanie „lauter Sonderangebote“ gekauft hat. Natürlich ist das nichts, was ich bedauern müsste, sieht man von der Mühe der Herstellung und dem Geschirrspülen ab.
TRICK“ und „Manhattan Love Story“ runden diesen Tag noch so richtig ab.
Jetzt kann ich ruhig schlafen.

12. November 2023

Mittwoch, 12.11.2003 – Judgement Day

Filed under: Japan,My Life — 42317 @ 11:19

Heute morgen haben wir eine Stunde zu lange geschlafen und sind erst um 0750 wach geworden.

Die Frage: Duschen oder Essen? Hm… da der Reis schon fertig ist… dann lieber essen.

Die übrigen Anwesenden überleben meinen Körpergeruch mit knapper Not, und überhaupt sind wir viel zu sehr abgelenkt. Der Unterricht behandelt noch immer höfliche Anfragen mit einer kräftigen Portion Keigo. Tolle Zungenbrecher sind das zum Teil. Da reicht die Form „-te kudasai nicht mehr, da muss schon was vom Kaliber „-te itadakenai deshô ka oder „-suru dake ii no desu her. Man will ja niemandem auf die Füße treten, wenn man schon über diese Satzform stolpert. Wir sollen die Beispiele im Buch zweimal üben und sie dann auswendig aufsagen… anstatt uns eigene auszudenken. Das hätte der Memorisierung sicher gut getan. Ich nutze die Gelegenheit, um etwas Humor in die Angelegenheit zu bringen. Über das Stadium, mich sinnlos aufzuregen, bin ich hinaus, denke ich. Bringt mir eh nichts. Wenn man nicht siegen kann, soll man nicht kämpfen.

Nach dem Unterricht fahre ich nach Hause und hole die Dusche nach, bevor ich zur Seiai-Oberschule fahre, die mich eingeladen hat, die Teilnehmer des Rezitationswettbewerbs (mit-) zu bewerten.

Außer mir gibt es noch drei Juroren:

Annie Apple-Mathews, eine ältere Dame aus Kalifornien, die vor 26 Jahren nach Japan kam, um Forschungen über Textilien anzustellen, dann aber den Mann fürs Leben fand und gleich geblieben ist; sie arbeitet jetzt als Übersetzerin. Ihr Vater hieß übrigens noch „Appelbaum“, weil ihre Großeltern aus Deutschland stammen. Sie passt also so richtig gut nach Hirosaki.

Dann wäre da noch Mathew Bosch, der auf Grund einer Bemerkung meinerseits voller Erstaunen feststellen muss, dass sein Name ein deutscher ist. Man habe die Deutschen vor knapp 100 Jahren mal „Les Boches“ genannt, informiere ich ihn. Das hat doch hoffentlich keine abwertende Bedeutung? fragt er, aber ich kann ihn beruhigen, dass die Bezeichnung lediglich auf die Häufigkeit der Ersatzteile der deutschen Fahrzeuge im Ersten Weltkrieg zurückzuführen sei, die von der Firma BOSCH hergestellt worden waren. Ich halte mich zurück, ihn auch noch darauf hinzuweisen, dass so ziemlich jeder Rufname, den man pauschal einem ganzen Volk gibt, abwertend gemeint ist. Dieser Herr Bosch jedenfalls führt seinen Stammbaum auf die Niederlande zurück. Er ist der einzige unter den Juroren, der „zum Inventar“ gehört. Er ist Lehrer an dieser Schule.

Der letzte im Bunde heißt Stefan Desliu und ist Rumäne. Er arbeitet ebenfalls als Englischlehrer, wenn auch an einer anderen Schule. Eigentlich ist er ausgebildeter Programmierer, mit Brief und Siegel. Und er möchte natürlich in diesem Fach arbeiten, aber der Arbeitsmarkt hält nichts für ihn bereit. Also ist er im Lehramt kleben geblieben.

Was denn seine Qualifikation dafür sei, frage ich ihn. Er habe zehn Jahre lang Englisch auf der Schule gelernt, sagt er. Auch auf der Universität? Nein, da habe er lediglich englische EDV-Literatur gelesen. Ja, was für Qualifikationen braucht man denn, um in Japan Englischlehrer werden zu können? Man muss fließend Englisch sprechen können, und das wird anhand eines Einstellungsgespräches festgestellt. Pädagogische Fähigkeiten? Lehramtspraktikum? Nein, das sei nicht notwendig. Nicht einmal für Leute, deren Muttersprache nicht Englisch sei.

Wenn Muttersprachler einfach so in Japan Englischlehrer werden könnten, würde ich dafür noch ein Mindestmaß an Verständnis aufbringen, aber das dürfen auch Leute machen, die nie gehobenen Unterricht in Literatur oder Landeskunde (Kulturstudien) hatten. Das ist doch lächerlich. Andererseits eröffnet mir das völlig neue Perspektiven… ich hätte nichts dagegen, in Japan als Lehrer zu leben, wenn sich was besseres nicht findet, jetzt mal unabhängig davon, ob in Deutschland oder sonst wo auf der Welt. Allerdings entscheide ich das, wenn ich weiß, wie es mit meinem Studium weiterläuft… hoffentlich bis zum regulären Ende. Außerdem kann ich nicht, dieser Laune folgend, einfach hier bleiben und Melanie nach Hause schicken.

Im Kreis der Preisrichter stelle ich fest, dass ich der einzige bin, der das noch nie gemacht hat. Bei Bosch ist der Fall klar, aber auch die anderen beiden sind bekannte Gesichter an dieser Schule. Stefan hat an der Bewertung zumindest letztes Jahr bereits teilgenommen, und Mrs. Apple hat das schon gemacht, als diese Schule noch eine reine Mädchenschule war. Das sei schon ein paar Jahre her, wenn auch noch nicht lange. Ich gehe von einem Zeitraum unter zehn Jahren aus, aber ich frage nicht weiter nach.

Ich höre mir von den anderen an, welche Dinge ich hier beachten muss. Zum Beispiel erhält die erste Vortragende generell 70 Punkte (von 100) auf ihre Rezitation, quasi als Messlatte für die anderen, die nach ihr sprechen. Des weiteren gibt es zwar einen Schlüssel für das Punktesystem (maximal 25 Punkte für Erinnerungsleistung, 20 für Redefluss, 20 für Intonation, 25 für Aussprache, und so weiter), aber wir haben nur wenig Zeit, also schreibt man gewöhnlich „aus dem Bauch heraus“ eine angemessene Zahl auf das Punkteblatt der jeweiligen Schülerin.

Es ist übrigens durchaus angebracht, wenn auch nicht ganz richtig, von „Schülerinnen“ zu sprechen, weil von den 16 Teilnehmern gerade einmal zwei männlichen Geschlechts sind.

Die Wettkämpferinnen und ihre Quotenjungs

Die Seiai ist übrigens eine christliche Oberschule. Das heißt nicht, dass da nur Christen hingehen (einige Leute erinnern sich vielleicht an Hino Rei, die, als Miko eines Shinto-Schreins, ebenfalls auf eine katholische Mädchenschule ging), aber die Schule wird wohl entsprechende „Sponsoren“ haben. Der Eingang zu der Aula wird auch verziert von einem Bild, dass den gütigen Jesus zeigt. Genauer habe ich es nicht betrachtet.

Umehara-sensei, der für die Betreuung der Juroren verantwortlich ist, öffnet die Flügeltüren zur Aula, und in diesem Moment komme ich mir ein bisschen vor wie beim Einmarsch der Gladiatoren, abgesehen davon, dass ich hier nicht um mein Leben kämpfen muss. Aber die Stimmung, die mir entgegen wallt…

Moment, von vorn erzählen!

Da sitzen um die 250 SchülerInnen (mit dem Rücken zum Eingang) und das Ambiente der Aula kommt mir gleich komisch vor. Es ist keine dieser nüchternen Hallen, die ich aus Deutschland kenne – hier handelt es sich um die Kapelle/Kirche der Schule. Ich würde sagen, dieser Bau ist etwa 100 Jahre alt, mit dunklem Holz und hoher Decke, das… Rednerpult zeigt ein großes Christenkreuz.

Zweckentfremdung des heiligen Altars!

Wir kommen herein und man klatscht. Oh, danke sehr, danke. Der Zufall will, dass ich an der Spitze gehe, aber weil ich keine Ahnung habe, wo ich überhaupt hingehen muss, nutze ich die erste Kurve, um die anderen drei vorzulassen. Wir bekommen einen Platz in der ersten Reihe und werden der Reihe nach vorgestellt, also Name und Tätigkeit. Applaus, Applaus. Danke, danke. Eine höfliche Verbeugung in Richtung Zuschauerraum.

Die 14 Mädchen und zwei Jungs der zweiten Klasse dieser Oberschule (ca. 17 Jahre alt) haben also einen Text auswendig gelernt. Es handelt sich um 95 Worte über die Eröffnung eines Friedensdenkmals auf Okinawa im Jahre 1995. Eigentlich hatte ich gehofft, dass die Schüler individuell (in einem gewissen Rahmen natürlich), nach eigenem Ermessen, einen kurzen Text hätten aussuchen können. 100 Worte Hemingway hier, 100 Worte Shakespeare da, vielleicht noch ein bisschen Joyce… na ja, wir wollen mal nicht übertreiben. Es wäre bunter geworden, aber ich gebe zu, dass die Bewertung sich viel einfacher gestaltet, wenn alle den gleichen Text vortragen. Bequem, aber eigentlich bedauerlich.

Unsere vier Einzelwertungen werden von der Leitung addiert und uns das Ergebnis vorgelegt. Wir vergleichen dann Teilnehmer, die gleiche Punktzahlen haben (oder nah beieinander liegen) und entscheiden anhand unserer Notizen, wer die besten fünf sind und ob wir vielleicht Sonderpreise geben. In diesem speziellen Fall gibt es zwei fünfte Preise, weil die beiden Mädchen nur 2 Punkte Differenz aufweisen, und beide immer noch über der „magischen“ Marke von 75 % liegen.

Nach unserer Besprechung (im Gästeraum) kehren wir in die Kapelle zurück und nehmen unsere Plätze ein. In der Zwischenzeit hat das Schulorchester aufgebaut. Man spielt uns drei Stücke vor. Etwas klassisches am Klavier, das ich zwar kenne, aber dessen Titel ich nicht weiß; das ganze Orchester (15 bis 20 Personen) spielt dann „A whole new World“ (ein Soundtrack aus dem „Aladdin“ von Disney, wie man mir sagte) und eine Interpretation eines Stückes von Hisaishi Jô (Hauskomponist von Studio Ghibli), dessen Titel ich ebenfalls nicht kenne, das ich aber schon einmal gehört habe.

Was die junge Dirigentin da tut, weiß ich allerdings nicht. Sie bewegt ihre Arme rhythmisch und gibt offenbar den Takt vor. Aber von „Direktion“ oder „Leitung“ des Orchesters kann keine Rede sein. Sie bewegt die Arme zweimal nach oben (in einer Art von Geste, als würde sie die Höhe eines Gegenstandes anzeigen), einmal über Kreuz und dann öffnet sie sie, und fängt dann wieder von vorne an. Aber was soll’s. Die Musik ist eine nette Einlage und sie sieht niedlich aus, wie sie da die Arme schwenkt – wenngleich ich den Vorgang auch nur von hinten betrachten kann, sie steht knapp einen Meter halb-rechts vor mir (auf der „Zwei-Uhr-Position“).

Die Takthalterin

Danach folgt eine „Modellansprache“. Es soll also vorgeführt werden, wie man die Textvorlage im Optimalfall liest. Und das mache ich. Wie, ich!?! „Ja, machen Sie nur.“ Natürlich muss ich ablesen. Ich kann den Text schließlich nicht in derartig kurzer Zeit auswendig lernen. Ich betone das am Mikrofon noch einmal und entschuldige mich für Fehler, die ich wegen der kurzen Vorbereitungszeit machen könnte. Aber zuerst einmal mache ich ein Foto von meinen Zuschauern. Dafür ernte ich Lachen und eine Menge gute Laune. Meine Gestikulation und Mimik tun das übrige. Da wird man mich also so schnell nicht vergessen.

Erste Reihe: Bosch, Desliu, Apple

Annie liest daraufhin unsere Gesamteindrücke vor. Das heißt, sie spricht die SchülerInnen auf Japanisch an und weist auf auffällige Fehlerquellen hin. Problembegriffe in diesem Text waren u.a. worked (daraus wurde oft walked), civilisation (das wurde zu Shivilisation, weil es die Silbe si, wie man sie auch im Deutschen kennt, im Japanischen nicht gibt) oder peace (und nicht, ähem, piss, weil viele die Längung des Vokals verpassten).

Stefan übergibt daraufhin die Preise. Und er tut das nach Art eines Ringansagers bei hoch dotierten Boxkämpfen. Die Namen betont er übermäßig amerikanisch. Das klingt grausig, die Aufgerufenen zeigen eine Mischung aus Amüsement und Lampenfieber, und es ist ja nur zum Spaß. Sein Japanisch ist nämlich wirklich hervorragend, wie ich einigen Gesprächsfetzen entnehmen kann.

Aaand the Winner is…

Die „Top 5“ besteht nur aus Mädchen. Die Jungs waren kein Vergleich, viel zu schlecht. Der beste kam in der Gesamtwertung auf etwa 60 %. Und die Mädchen haben offenbar eigene Fanclubs. Wenn ein Name genannt wird, kreischt es jeweils woanders im Saal. Es ist wirklich lustig.

Zuletzt kehren wir wieder in den Gästeraum zurück und erhalten unsere Gratifikationen – jeweils 5000 Yen.

Bevor ich gehe, unterhalte ich mich mit Umehara-sensei und einer Lehrerin über das deutsche Image der japanischen Schulen und bekunde mein Interesse, mir den Betrieb an einer Schule ansehen zu wollen. Ja, das sei kein Problem. Ich solle mich einfach an Umehara-sensei wenden, seine Karte habe ich erhalten. Ich bitte mir die Zeit nach den Winterferien aus, das heißt, wenn die Schulferien vorüber sind, aber die Semesterferien der Universität noch nicht vorbei sind. Ja, das sei in Ordnung, einfach eine Mail schreiben. Na denn. Dann kann ich Marc bei der Gelegenheit gleich mitbringen, da Unterrichtsmethoden im Fremdsprachenunterricht in Japan ja sein Forschungsthema sind.1

Um 1530 verlasse ich die Schule wieder und mache mich auf den Weg in die Uni, weil ich mich um 1600 mit einer Chinesin namens Yuan treffen will. Sie interessiert sich für „deutsche Lieder“ (und ich glaube ihrem Redefluss entnehmen zu können, dass sie „alte“ Lieder, also keine NDW, meint) und möchte, dass ich ihr in punkto Aussprache ein paar Dinge beibringe. Aber… entweder habe ich mich beim Treffpunkt zu unklar ausgedrückt (ich schlug erst GakuseiHall vor, und dann „Center“, als sie ersteres nicht zu kennen schien), oder sie hat es vergessen, jedenfalls taucht sie nicht auf. Aber ich treffe Yui und zwei ihrer Freundinnen im Center (die beide Mio heißen) und gehe mit denen in die Mensa. Die beiden Mios finden Italienisch interessant, wegen „O sole mio“ und „Amore mio“, also wegen des italienischen Pronomens „mio“ („mein/e“). Wir unterhalten uns eine Stunde lang, in denen ich zu vermitteln versuche, dass es mir nicht sehr leicht fällt, „deutsches Essen“ zu definieren, weil die deutsche Küche zu viele Anleihen aus dem Ausland hat, um klar sagen zu können „das ist deutsch und jenes nicht“.

Anschließend fahre ich in den Supermarkt, um Getränke und Nori zu kaufen. Danach wollte ich eigentlich essen gehen, aber Melanie ist nicht zuhause. Sie wird wahrscheinlich wieder an einer Hello Kitty Auslage hängen geblieben sein. Also fahre ich zurück zur Uni, um meine Post zu schreiben.

Auf dem Weg dorthin werde ich beinahe angefahren. Ich bin ohne Licht unterwegs und der Fahrer des Wagens hatte es beim Abbiegen etwas zu eilig. Ich kann ausweichen, aber mein rechtes Pedal reißt ein Stück von der Plastikverkleidung der Stoßstange vorne ab.2 Ich sammle die Stücke auf und drücke sie dem Fahrer in die Hand, gleichzeitig entschuldige ich mich für das Missgeschick. Der Mann (um die 50 Jahre) nimmt das alles mit Fassung. Offenbar muss man nur eine Plastikniete ersetzen. Er will das Ganze auf sich beruhen lassen. Aber seine Frau fährt mich ziemlich ungehalten an. Ja, ohne Licht zu fahren ist unvernünftig, ich gebe es zu. Aber sie wird nicht müde, mich aufgeregt anzusprechen, und ich verstehe kein Wort, weil sie viel zu schnell redet. Ich kann nur vermuten, dass sie nicht allzu viele freundliche Dinge sagt. Währenddessen fummelt ihr Mann an der Plastikverkleidung rum. Und sie schimpft weiter. Das reicht mir dann doch irgendwann. Ich beschließe, sie mit japanischen Waffen zu schlagen: Ich lächele sie freundlich, aber verständnislos an, nicke zustimmend, und teile ihr mit, dass ich leider nicht genug verstehe, um ihr folgen zu können. Das hat gesessen. Sie redet noch lauter und noch schneller. Offenbar mögen Japaner ihre eigenen Angewohnheiten nicht.

Ihr Mann hat dann auch inzwischen eingesehen, dass er nicht die Möglichkeit hat, die Verkleidung seiner Stoßstange hier in Ordnung zu bringen. Er setzt seine Gattin in den Wagen und sagt, dass es in Ordnung sei. Ich bedanke mich für seine Kulanz. Dann fährt er davon.

An Wochentagen ist die Bibliothek bis 2200 geöffnet. Da ist also Zeit. Aber so lange brauche ich nicht.

Ich treffe noch Misi, der mir mitteilt, dass er Kill Bill gesehen habe. Zu einem Eintrittspreis von 1000 Yen. Na, das geht doch. Ich hatte mit dem doppelten gerechnet. Dann kann ich dem Yûbiwa Monogatari3 getrost entgegenblicken. Mein Dank an meinen Freund Hiroyuki, der mir dieses Wort beigebracht hat.

1 Aus dem Vorhaben ist nie etwas geworden, aus Gründen, an die ich mich nicht erinnern kann. Es ist nicht unmöglich, dass ich das schlicht vergessen habe.

2 Es handelte sich um ein Stück Verkleidung an einer Stelle, wo man einen Nebelscheinwerfer hätte einbauen lassen können, wie eine Blende, die man herausnehmen und wieder einsetzen kann.

3 Dies ist der japanische Titel der Bücher, die man hier als „Der Herr der Ringe“ von J.R.R. Tolkien kennt. Ich erinnere daran, dass die Filmreihe damals brandneu im Kino lief.

11. November 2023

Dienstag, 11.11.2003 – Veteran’s Day vs. Kölsche Jecken

Filed under: Japan,My Life — 42317 @ 12:01

… aber das soll nur das Datum unterstreichen. Hat nichts mit dem Inhalt dieses Kapitels zu tun.
Wir schreiben also das Jahr 85 nach der ersten deutschen Niederlage gegen eine Weltkoalition.

Es ist heute ebenso kalt wie gestern Abend, und ich bin für meine Jacke dankbar. Allerdings hat sie alte Flecken, weil Schmutz im Regenwasser sie verfärbt hat, und am rechten Ärmel fehlt der Knopf, sodass der Ärmel immer offen bleibt. Eigentlich sehe ich damit aus, als hätte ich die Jacke in der Altkleidersammlung gefunden. Ich muss bald eine neue kaufen. Auch habe ich noch keine Handschuhe, das heißt, meine Hände werden während des Radfahrens völlig gefühllos. Das kann ich direkt nach dem Unterricht abstellen. Handschuhe gibt es auch im 100-Yen-Laden.

Die Klassenräume sind im Gegenzug dermaßen geheizt, als sei dies eine Sauna und keine Universität. Dieser krasse Temperaturwechsel muss zu Erkältungen führen. Tanja dreht die Heizung runter, ich mache das Fenster auf. Die meisten Leute in meiner Umgebung husten, schniefen, und niesen bereits.

Und das Wetter wird immer besser: Nach dem Unterricht ist es immer noch kalt, aber jetzt regnet es auch noch eiskalten Regen! Das untergräbt meinen Plan, sofort nach dem Unterricht Kerosin zu kaufen, ganz gewaltig. Vielleicht stellt sich an dieser Stelle jemand die Frage, warum man in Japan mit Flugbenzin und nicht mit Heizöl heizt? Die Frage löst sich ganz pragmatisch: Weil Heizöl Steuern kostet und Kerosin nicht. Deshalb kostet ein Liter Diesel um die 80, Kerosin aber nur 37 Yen. Und die Öfen sind schon auf Kerosin ausgelegt – da hat nicht erst eine Mehrheit der Benutzer durch die „falsche“ Befüllung der Öfen entschieden, auf die günstigere Alternative umzusteigen…

Also einkaufen gehen will ich vorerst nicht. Aber ich treffe auch Kasai Kazu, die vorhat, im kommenden Oktober nach Trier zu gehen. Ich habe sie bereits während einer Unterredung mit Prof. Fuhrt getroffen. Sie hadert derzeit noch sehr mit der deutschen Grammatik und macht sich noch mehr Sorgen darüber, wie sie mit 600 E im Monat überleben soll. Ich sage ihr, dass das in Deutschland wegen der niedrigeren Verbraucherpreise durchaus möglich ist, aber ich glaube auch, dass das Leben für Frauen aus verschiedenen Gründen teurer ist. Das Gespräch kostet mich den größten Teil meiner Konzentration für den Tag. Ich fühle mich wie ausgenommener Fisch, der zum Trocknen aufgehängt wird.

Philips sieht etwa so aus, wie es in meinem Kopf gerade zugeht, nämlich etwas derangiert. Der rechte Bügel seiner Brille ist abgebrochen. Ich habe mich die ganze Zeit bereits gefragt, warum sein Gesicht so schief aussieht. Das liegt daran, dass seine Brille irgendwie quer über sein Gesicht hängt…

Am Nachmittag regnet es nicht mehr, ich kann also Öl kaufen. Ich gehe in einen Laden, wo es vornehmlich Salz und Öl zu kaufen gibt, und der nur zwei Minuten von meiner Haustür weg liegt, direkt gegenüber vom Sunday Home Center. Ich kann diesen Laden wärmstens empfehlen. Sollten im Verlauf des Verkaufsgespräches Vokabelprobleme auftreten, muss man nicht weiter frieren. Der Besitzer, schätzungsweise 60 Jahre alt, spricht genügend Englisch – zumindest genug, um Öl verkaufen zu können.

Ein leerer 20-Liter-Kanister Öl kostet 650 Yen, die Füllung dafür kostet 900 Yen. Was kostet Heizöl in Deutschland gleich? Ich glaube, 4000 Liter kosten etwa 1900 E – hier kosten mich 4000 Liter umgerechnet etwa 1350 E. Aber zurück zu meinem Verkäufer. Er fragt mich, ob ich nicht lieber einen kleineren Kanister haben möchte, wegen des Gewichtes. Ah so, ja, wie viel kleiner ist der kleinere Kanister (Tank) denn? Der kleine Kanister fasse 18 Liter, sagt er. Ich runzele die Stirn. Das ist ja nun nicht der ultimative Unterschied. Wie viel wiegen den 20 Liter Kerosin (Tôyû)? Er nimmt einen Taschenrechner zur Hand und berechnet ein Gewicht von 14,4 kg. Das ist alles? Und darüber soll ich mir Sorgen machen?

Ich sage ihm, das sei schon in Ordnung, ich hätte es ja nicht weit. Also gut, er füllt den Kanister draußen auf und trägt ihn dann mit beiden Händen in den Laden, von der Last gebeugt. Ich nehme den Kanister auf und hebe ihn am gestreckten Arm hoch. Ach, das ist wirklich nicht so schwer. Er sieht mich etwas fassungslos an, freut sich aber offenbar über die Showeinlage. Wo ich denn herkäme. Ja, aus Deutschland. Oh, ah, wirklich? Vielen Dank kann er sagen. Ich beglückwünsche ihn.

Zuhause stelle ich fest, dass ich noch eine Art Pumpe brauche, um das Öl aus dem Kanister in den Tank des Ofens zu bringen. Ich gehe in den 100-Yen-Laden und frage nach so was. Die sind leider gerade ausverkauft. Aber ich bekomme solche Pumpen doch sicher auch bei Sunday? Ja, natürlich… aber da kosten die bestimmt 200 Yen! Ein Unterschied von umgerechnet 75 Cent… ich setze mich also auf mein Fahrrad und fahre die 100 Meter bis zum Sunday. Die Pumpen hängen gleich am Eingang. 98 Yen: Traue niemals einem 100-Yen-Laden! Dort wird generell einiges verkauft, was man sonst wo für weniger Geld kaufen kann. Zum Beispiel gibt es in dem Laden 300 Gramm Salz für 100 Yen. Im BenyMart gibt es ein Kilo Meersalz für 85 Yen. Das ist doch sehr deutlich, denke ich. Aber der Vorteil des 100-Yen-Ladens ist, dass man die günstigsten Waren nicht erst im Gesamtangebot suchen muss, weil alles das gleiche Geld kostet.

Die Pumpe besteht aus einem knapp faustgroßen flexiblen Plastikkopf, aus dem zwei etwa 50 cm lange Röhren herausragen und verwendet ein simples Klappensystem. Man drückt das Kopfstück zusammen, die Luft entweicht durch die Auslassröhre. Wenn man den Kopf wieder loslässt, zieht er durch seine Rückstellbewegung durch das Ansaugrohr das Öl aus dem Kanister, sammelt es in seinem Inneren und befördert es in den Öltank des Ofens, wenn man ihn weiter zusammenpresst. Klappen in den Röhren verhindern jeweils, dass der Materialtransport in die falsche Richtung läuft. Den vollen Tank fasst man dann an seinem Henkel und versenkt ihn in der dafür vorgesehenen Einraste im Ofen selbst. Das Heizsystem nimmt sich dann, was es braucht. Den Kanister lasse ich wegen der Geruchsbelästigung vor der Tür stehen, und die kleine Pumpe gleich dazu. Pak und Jû werden wohl kaum mein Öl klauen und die Pumpe hat nicht die Welt gekostet. Ich überlege auch, den Kanister auf den Balkon zu stellen, aber ich befürchte, dass der Kanister (aus Plastik) durch die Witterung vielleicht Schaden nimmt.

Bevor es dunkel wird, schwinge ich mich noch einmal auf mein Fahrrad und fahre zur Seiai-Oberschule, um mir ein Bild davon zu machen, wo sie überhaupt liegt. Kudô-san hat mir zur Orientierung eine Karte gegeben und ich finde die Schule sehr schnell. Die Angabe „10-15 Minuten mit dem Fahrrad” war allerdings ein wenig übervorsichtig. Wenn ich gemütlich fahre, brauche ich etwas mehr als fünf Minuten, vielleicht sieben. Jetzt ist mir auch klar, wo dieser Strom von Schülern hinführt, der täglich an meiner Straße vorbeirauscht. Allerdings habe ich über meinen kleinen Ausflug vergessen, was zu trinken zu kaufen. Bis ich was kaufen kann, dauert es bis morgen Mittag. Aber was soll’s. Es gibt ja noch Wasser.

Der Test des Ofens läuft ganz hervorragend. Erst einmal verbrennt der ganze Staub, der sich auf den jetzt heißen Flächen abgesetzt hatte. Dieser Geruch ist nicht ganz so toll, aber es geht vorbei. Aber vor allem riecht der Ofen nicht nach Öl, wie ich befürchtet habe, und das ist schon einmal ganz hervorragend.

Die Heizung bietet ein paar bequeme Optionen: Der Ofen brennt nicht einfach vor sich hin, wie Ölöfen in Deutschland den Eindruck machen (oder machten). Ich erinnere mich auch mit wenig Freude an die Ölöfen in meiner Vergangenheit, wo in jedem Zimmer ein an den Haupttank angeschlossener Ofen stand, in dem einfach eine nicht weiter abgeschirmte, stinkende Öllache brannte.

Unser Modell hier in Japan hat z.B. ein Thermometer, das die Lufttemperatur misst und man kann einstellen, bei wie viel Grad Celsius man die Wohnung haben möchte. Ich stelle 20 Grad ein. Der Ofen heizt daraufhin auf 22 Grad und schaltet dann ab. Sinkt die Temperatur auf unter 19 Grad, schaltet er sich wieder ein und verteilt die erhitzte Luft mit Hilfe eines eingebauten Ventilators im Raum. Man kann einen O-yasumi-Timer einstellen, der den Ofen nach einer bestimmten Zeit abschaltet, wenn man ins Bett geht, man kann hier wählen zwischen 30, 60 und 90 Minuten nach Aktivierung. Es handelt sich also um das gleiche Prinzip wie die SleepTimer Funktion eines modernen Fernsehgerätes.

Zuletzt gibt es den Ohayô Timer. Man gibt die Zeit ein, zu der man am Morgen den Raum betreten wird und der Ofen beginnt 10 Minuten zuvor mit dem Heizen. Und das ist morgens sehr, sehr entspannend, wenn man halbnackt aus der warmen Decke hervorkommt und man sich nicht bereits auf dem Weg zur Dusche wertvolle Körperteile abzufrieren droht. Aber vor allem ist es besser für meine Gelenke. Wenn sie zu kalt sind, schmerzen meine Ellbogengelenke, und das möchte ich vermeiden. Und Melanie friert sowieso den ganzen Tag, unabhängig von der Raumtemperatur… Ich stelle den Guten Morgen Timer also auf 0655, damit um es Sieben warm ist.

Ich freue mich sehr darauf, morgen zur Seiai zu fahren. Ich weiß nicht genau warum, aber ich bin sicher, dass es Spaß machen wird.

10. November 2023

Montag, 10.10.2003 – Call me, call me…

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

Die Wahlen sind entschieden – und wie erwartet ausgegangen. Die regierende Jimintô ist mit einer stabilen Mehrheit als Sieger daraus hervorgegangen. Und das von ihr selbst vor 50 Jahren vorteilhaft entworfene Wahlsystem sorgt dafür, dass sie bei einem Stimmanteil von 44 % einen Anteil von 56 % an den Parlamentssitzen erhält.

Vor dem ersten Unterricht schreibe ich noch in aller Eile eine Zusammenfassung meiner bisherigen Eindrücke für die Einführungsveranstaltung der Japanologie der Universität Trier, damit Frau Prof. Gössmann ein paar Zeilen hat, die sie dem Nachwuchs vorlesen kann. Auch Melanie und Marc tun das, mit jeweils anderen Schwerpunkten, damit nicht dreimal dasselbe vorgelesen wird. Ich gehe davon aus, dass auch Berichte aus Tokyo fällig sind, die mich natürlich ebenfalls interessieren würden.

Dann beschäftigen wir uns wieder mit Textstrukturen. Wir suchen die Leitsätze eines Abschnittes heraus und teilen dann die nachfolgenden Sätze verschiedenen Kriterien zu: Ob es sich dabei um ein erläuterndes Beispiel handelt, oder ob der Leitsatz vertieft, bzw. weiterhin erklärt wird.

Nach dem Unterricht verfasse ich die Heimatpost vom 01.11., und nachdem ich mich von meinem Stuhl erhoben habe, gibt Alex mir das versprochene Telefon. Es ist ein relativ altes Modell (zwei Jahre alt), das man nicht zusammenklappen kann, es hat auch kein integriertes Kanjilexikon. Aber es hat ein unnötiges Farbdisplay und ein ebenso unnötiges Hamsterspiel… und man kann mich anrufen, unter der Nummer 090-7522-5780.

Jetzt frage mich aber bitte niemand nach der Vorwahl von Japan. Es handelt sich um ein Prepaid-Telefon mit leerer Karte, das heißt, ich kann damit aktiv gar nichts machen. Ich kann niemanden anrufen und niemandem eine C-Mail schreiben. Und das ist mir vollkommen gleich. Denn man kann mich anrufen und mir mitteilen, ob was Wichtiges anliegt. Ich plane nicht, irgendwelches Geld in ein Telefon zu investieren. Dafür sind die bis jetzt schon geplanten Ausgaben einfach zu hoch.

Ich treffe Marc und er legt mir dar, was für ein tolles Buch Kashima-sensei in seinem Unterricht behandelt. Generell muss jeder alles lesen, aber einige Seiten davon auch vorbereiten und nachher ein kurzes Referat halten. Das an sich ist aber nicht das Problem. Das Buch ist von einem japanischen Mathematik-Professor geschrieben, der darin den Niedergang der Lernfähigkeit bzw. der akademischen Fähigkeiten (Gakuryoku) der Japaner beklagt. Seine Forschungen erstrecken sich dabei über den Zeitraum von 1997 bis 2000. Er vergleicht japanische Studenten mit Austauschstudenten mit Hilfe von mathematischen Aufgaben (Leistungskursniveau), ohne in einer Silbe darauf einzugehen, woher diese ausländischen Studenten jeweils kommen und was sie und ihre japanischen Kommilitonen eigentlich studieren. Die einzigen angegebenen Kriterien sind japanische Studenten und Austauschstudenten. Und die Japaner schneiden dabei sehr schlecht ab. Dabei könnte es sich hier um den Versuch handeln, Äpfel mit Birnen zu vergleichen, wie man so schön sagt. Denn wenn er sich eine beliebige Anzahl Japaner genommen hat, die allesamt Literatur studieren und auf der anderen Seite eine Reihe von Mathedoktoranten aus aller Herren Länder aufmarschieren ließ, wäre das Ergebnis kein Wunder.

Laut der berüchtigten PISA-Studie haben die japanischen Schüler im internationalen Vergleich doch gar nicht so schlecht abgeschnitten, als dass sie in ihrer nachfolgenden Studentenzeit bereits alles wieder vergessen haben könnten. Und das gerade in mathematischen und naturwissenschaftlichen Fächern. Ich wage einmal, das darauf zurückzuführen, dass das Auswendiglernen von Fakten in diesen Fachbereichen mehr Sinn macht, als in den sprachlichen Zweigen, wo man nicht auswendig lernen, sondern immer wieder anwenden muss, um das Können zu steigern. Mir drängt sich das Gefühl auf, dass hier der Versuch gemacht wurde, den Zustand der japanischen Bildung schlechter aussehen zu lassen, als er tatsächlich ist, um einen „korrigierenden Einfluss“ ausüben zu können. Unter den immer wachsamen Kräften, die um die Zukunft des Vaterlandes besorgt sind, gibt es bestimmt einige Personen, die sich dazu verleiten lassen, diesem ohne Zweifel übertriebenen Szenario Glauben zu schenken. Das Buch des Professors erschien im Jahre 2000, als im Bildungsministerium bereits die Pläne existierten, das Bildungswesen gründlich zu reformieren, also den Unterricht stellenweise um ein Drittel zu kürzen, um den Schülern mehr Zeit für sich zu verschaffen und damit den Stresslevel zu vermindern, und einige andere interessante Ansätze. Aber auf diese Punkte will ich hier nicht weiter eingehen.

Ich sehe mich im Internet nach dem Newtype 100%Neon Genesis Evangelion Artbook um, um festzustellen, in welcher Preisklasse ein neues Exemplar in Deutschland zu haben ist. Aha, der momentane Neupreis in Deutschland liegt zwischen 20 und 25 E. Für mein gebrauchtes Exemplar habe ich etwa 7 E bezahlt. Ich muss also davon ausgehen, dass mit einem Gewinn von mehr als 5 E nicht zu rechnen ist.

Die Dunkelheit nach Sonnenuntergang bringt eine weitere Verminderung der schon tagsüber kühlen Lufttemperatur mit sich. Es ist kalt, möchte ich sagen. Wir essen heute wieder im Kleintransporter, und die fette Ramensuppe scheint mir bei dem Wetter genau das Richtige zu sein. Bei allem Diätbestreben sollte man bei kalter Witterung im Winter doch hin und wieder etwas Fettes essen, um den „inneren Ofen“ am Brennen zu halten. Und ich rede von echtem Fett, nicht von Zeug, das nur fett macht. Das Stück Fleisch in meiner Suppe hat einen Durchmesser wie ein Stück Rollbraten und ist etwa so dick wie mein kleiner Finger, auch die Brühe hat Fettaugen. Ich glaube, ich hätte auch ohne Jacke den Rückweg antreten können, ohne die Kälte zu spüren…

9. November 2023

Sonntag, 09.11.2003 – Apfelland Story

Filed under: Japan,Manga/Anime,My Life — 42317 @ 10:28

Ein ruhiger, kühler Sonntag. Am Morgen stehe ich früh auf und sehe mir um 0830 den Anime Ashita no Naaja (gemeint ist „Nadja“) an. Es gibt unglaublich viel Merchandise dafür, daher interessiert mich schon, um was es sich dabei handelt. Unter anderem gibt es eine kleine, auf alt getrimmte Nähmaschine für Kinder; und der Anime soll mir auch verraten, warum das so ist.

Es geht um das hochwohlgeborene Mädchen Nadja (nicht „Nadia“), die wohl kurz nach ihrer Geburt von der Mutter getrennt wurde, aber sie nun wiedergefunden hat. Das heißt, sie hat herausgefunden, welche Adresse diese Dame hat, nachdem sie die letzten Jahre mit einer Art Zirkus durch die Gegend gezogen ist. Doch natürlich hat sie auch eine Rivalin, wie das bei weiblichen Heldinnen so üblich ist, die ihr auch noch zum Verwechseln ähnlich sieht. Diese Rivalin heißt Rosemarie (!) und ist ein reiches, verzogenes Gör, die sich das Erbe von Nadja unter den Nagel reißen will, unter Führung ihres ebenso bösen Onkels Hermann.

Und welches der Mädchen kommt wohl zuerst bei der verlassenen Mutter an, hm? Rosemarie natürlich. (Seit wann laufen solche Geschichten auf die einfache Tour ab?) Und die Mutter schenkt Rosemarie für jeden ihrer bisherigen Geburtstage (ich glaube, es sind 10) erst einmal je einen Diamanten von etwa einem Zentimeter Durchmesser. Die echte Nadja kommt also zu spät und wird am Tor barsch abgewiesen, trotz ihres doch auffälligen Aussehens, und obwohl sie eine Brosche trägt, die ihre Herkunft beweist (die sie aber sinnigerweise nicht einsetzt) – der Sinn dieser Aktion erklärt sich mir nicht so recht von alleine. Rosemarie hat Order gegeben, dass sofort die Polizei zu verständigen sei, sobald eine „falsche“ Nadja auftaucht. Darauf kommt der unhöfliche Wachmann aber erst, nachdem ihn der Kollege daran erinnert hat. Genug Zeit für Nadja also, sich nach einer anderen Möglichkeit umzusehen, in das Anwesen zu gelangen.

Sie steht also am Zaun und will hinüberklettern, als sie Rosemarie mit ihrer Mutter etwa fünfzig Meter weiter durch den Park des Anwesens (ja, in dieser Familie rollt der Rubel!) spazieren gehen sieht. Sie ist einige Sekunden fassungslos, holt dann aber Luft und – wer hat nicht damit gerechnet? – just in dem Moment, als sie durch lautes Rufen auf sich aufmerksam machen will, läuten natürlich die Glocken, die es da offenbar in einem Turm des Hauses gibt und übertönen ihre Stimme – und aufgeschreckte Tauben untermalen die Dramatik dieser Szene noch zusätzlich.

Oh Gottvater! Warum hast Du diesen Autor verlassen? Dann taucht natürlich die Polizei auf und Nadja muss Fersengeld geben. Unterstützt von ihren Zirkusfreunden, die sie in ihrem Dampffahrzeug auflesen. Das Setting ist überhaupt sehr „romantisch“. Zunächst einmal befinden wir uns in einer Art Europa. Die Architektur der Häuser hält sich in einem Stil, von dem Japaner offenbar glauben (sollen), dass Mitteleuropa so aussehe. In dem Zirkuswagen hängt ein Blatt Papier, auf dem etwas auf Englisch geschrieben steht, Weekly Schedule glaube ich. Und Nadja geht im Intro an einem Gebäude vorbei, auf dem Uhrenmuseum zu lesen ist.

Die ganze dargestellte Technik und Kleidung erinnert an die Wende zum 20. Jahrhundert. Und auch eben diese Nähmaschine in ihrem Raum. Würde mich nicht wundern, wenn da irgendwo „Singer“ draufstehen würde. Sie verwendet diese Maschine, um Kleider herzustellen, mit denen sie sich zu passenden Gelegenheiten verkleidet, um nicht erkannt zu werden, wenn ich das richtig interpretiere.

Ich gebe ja zu, dass die Charakterdesigns und das ganze Drumherum sehr hübsch entworfen und gezeichnet sind, aber mir ist die Serie eine Spur zu melodramatisch. Dies ist eine dieser Serien, in denen Zeit geschunden wird, indem die entsprechenden Leute immer zur falschen Zeit am falschen Ort sind und dort Dinge sehen oder hören, die nicht so sind, wie sie scheinen, und weil man zu wenig miteinander redet und deshalb falsche Schlüsse gezogen werden, etc. Kurz: Eine Reihe von seltsamen Zufällen und eine Portion Dummheit der handelnden Personen wird dafür sorgen, dass die Serie nicht innerhalb von drei Episoden vorbei ist, was sie durchaus sein könnte, wenn der Autor Sinn für Realismus hätte. Natürlich liest sich das verwirrend – und genau deshalb ist das nichts, was ich sehen muss.

Danach verbringe ich den Tag weitgehend in der Bibliothek. Ich komme aber nur dazu, einen einzigen Bericht zu schreiben, weil heute eine Menge kleiner Mails in den Briefkasten geflattert sind, die beantwortet werden sollten.

Am Abend esse ich noch einmal Yakiniku. Auf dem Papier handelt es sich um ein anderes Gericht, als das, das ich vor einigen Tagen gegessen habe. Auf dem Teller sieht es jedoch exakt gleich aus. Gebratenes, fettes Fleisch in dünnen Scheiben, dazu Kraut, Reis und Miso-Suppe. Es schmeckt auch verdächtig gleich. Habe ich was Falsches bekommen? Egal, es schmeckt und ich habe Hunger. Und man schenkt uns auch noch eine Tüte mit Äpfeln. Äpfel scheinen uns nicht ausgehen zu wollen. Wann immer die Schale leerer wird, bekommen wir unerwartet neue. Aber mich soll das nicht stören.

Im Fernsehen sehe ich noch eine Auswahl von Kämpfen aus dem gerade laufenden „Kyûshû Basho“, dem aktuellen Sumô-Turnier. Musashimaru wie immer mit gelangweiltem Pokergesicht… alleine durch die Art, wie er das Salz in den Ring wirft, verhöhnt er den Gegner schon. Aber der Gegner wiegt auch bestimmt knapp zwei Zentner weniger als Musashimaru. Der Kampf verläuft auch in etwa so, wie sein Gesicht – ohne Überraschungen.

Ich finde es eigentlich bedauerlich, dass ich nur eine Zusammenfassung zu sehen bekomme. Ich würde gerne mehr davon sehen.

Ab acht Uhr am Abend bringen alle uns verfügbaren Sender die Auswertung der Parlamentswahlen. Das dauert bis Mitternacht, und ich fühle mich nicht genötigt, mir das anzusehen. Nach etwa zwanzig Minuten der ersten Prognosen ist der Sieg der Regierungspartei bereits absehbar. Es würde auch an ein Wunder grenzen, wenn die Jimintô eine solche Wahl verlieren würde. Ich bin sicher, dass sie auch diesmal eine Mehrheit im Parlament und das Premierministeramt davontragen wird.

8. November 2023

Samstag, 08.11.2003 – BOBOBÔBO BÔBOBO!!!

Filed under: Japan,Manga/Anime,My Life — 42317 @ 10:12

Heute hat mein Großvater Geburtstag – und ich habe nicht rechtzeitig ans Schreiben gedacht. Dann wird die Karte am Montag wohl mit der Expresspost rausgehen. Die Postkarte kostet dann 330 Yen und erreicht ihr Ziel im Normalfall nach fünf Tagen. Ich mache auch den Versuch, zuhause anzurufen, muss aber feststellen, dass das von Münztelefonen aus offenbar nicht funktioniert. Ich bedauere jetzt sehr, dass ich nicht schon längst die Liste mit den Geburtstagen ausgedruckt habe.

Am Morgen beschäftigt mich allerdings etwas anderes, wie ich zugeben muss. Es ist Samstag: SailorMoon.

Kino Makoto ist heute dazugekommen. Sie lebt tatsächlich alleine. In einem geräumigen Apartment. In Tokyo. Ihre Waisenrente muss ja gigantisch sein. Aber auch das Zimmer von Ami scheint so groß wie meine gesamte Wohnung in Hirosaki. Dafür sieht es aber auch übertrieben klinisch aus. Noch wurde auch nicht explizit auf Makotos Kochkünste eingegangen – ein Umstand, der dem Fan doch sehr verdächtig vorkommt. Aber es ist ja noch Zeit. Aber auch hier rettet sie Usagi vor drei übermäßig coolen Oberschülern, auch wenn diese weit weniger massiv daher kommen als die Exemplare in der Anime-serie, wo die Jungs eher wie Yakuza-Schläger aussahen. Die hier spielen ganz cool Basketball und tragen natürlich entsprechend coole Klamotten, und sie reden den entsprechenden, coolen Slang der Jugendlichen.

Makotos (ebenso cooler) Oberschüler, dem sie hinterher schmachtet, ist natürlich ebenfalls in der Episode vertreten, und zwar als Opfer von Jedyte. Es gibt eine ganz tolle Szene, wo sie auf ihn warten muss, weil er von einem Yôma „aufgehalten“ wird. Die Yôma (das sind die Monster, die für die Oberbösen die Drecksarbeit machen) bemächtigen sich offenbar auch menschlicher Körper, um an Energie zu kommen. Warum sie das so machen, ist mir nicht klar. Makotos Oberschüler jedenfalls ist ein solches Opfer und befördert (unfreiwillig) ein Dutzend weiblicher Basketball-Fans (alle unter 20) ins Negaversum (das ist der Ort, wo im SailorMoon-Anime die Bösen wohnen). Makoto steht also den ganzen Tag an diesem Brunnen rum, und – wie könnte es anders sein – wird natürlich bis auf die Knochen nassgeregnet. Makoto im Regen – offenbar eine Konstante in Raum und Zeit.

Als sie nach Hause geht, trifft sie auf ihren Oberschüler und der Yôma greift sie an. Mit Schlangententakeln. Stylish. Der Oberschüler fällt zu Boden, als der Yôma sich wieder aus ihm löst, und anstatt ihr zu helfen, rennt er panisch davon. Makotos Gedanken schweifen ab zu all den Leuten, die sie bisher verlassen haben – aber SailorMoon hält zu ihr! Welche Freude! Die Zuschauer toben und fangen an, ekstatisch die Stühle zu zertrümmern!

Makoto wird also zu SailorJupiter und – Supreme Thunder! – macht den Yôma alleine fertig. Die anderen Senshi kommen gar nicht zum Zug und auch Tuxedo Kamen hat keinen Auftritt. Für die kommende Episode wird Zoisyte angekündigt, wenn ich dieses Outfit richtig interpretiere, das mir da so feierlich entgegenweht. 🙂

Danach will ich in die Bibliothek, muss aber feststellen, dass die am Wochenende erst um 1000 aufmacht. Das wäre dann in einer Stunde. Aber ich habe Glück. Irena steht vor dem Eingang und wartet auf ihre Gastfamilie, mit der sie den Bauernhof der Landwirtschaftlichen Fakultät besuchen will. Das heißt, ihr wurde gesagt, am Sonntag, dem 08.11., um 0900 sei der Ausflug. Nun ist der 08. aber leider ein Samstag. Und 0900 ist bereits vorbei. Sie sagt, sie wolle noch ein paar Minuten warten und dann wieder nach Hause gehen. Sie hat Glück, dass ich ihr ein Ohr kaue, denn um 0920 erscheint ihre Gastmutter, die schon seit zwanzig Minuten im Wagen vor dem Haupttor gewartet hat. Irena kommt also noch zu ihrem Vergnügen. Im Nachhinein muss ich mich allerdings fragen, warum sie vor der Bibliothek gewartet hat… ich kann mir nicht vorstellen, dass das der Treffpunkt gewesen sein soll, wo sich die Straße vor der Einfahrt 70 m weiter doch viel mehr anbietet.

In der Zwischenzeit ist auch Valerie dazugekommen, die ebenso wenig wie ich wusste, wann an Wochenenden die Tore der Bücherei geöffnet werden. Nachdem Irena dann weg ist, gehe ich mit Valerie in die Mensa, weil sie nicht in der Kälte (bestenfalls „Kühle“, sage ich) herumstehen will. Dort ist zwar kein Betrieb, aber die Tür ist offen. Ich unterhalte mich bis 1000 mit Valerie, und ich bin der Meinung, dass sie ein netter Mensch ist. Sie macht auf den ersten Blick einen reservierten Eindruck, der auf manche Menschen arrogant wirken könnte. Aber derlei Dinge finde ich bei ihr nicht. Sie ist auch keine Französin im eigentlichen Sinne, wie ich feststelle. Sie kommt auch nicht aus der Schweiz. Valerie stammt aus Neukaledonien. Eine ehemalige frz. Kolonie, daher die Sprache. Ei, wo ist denn das? Das liegt mitten im wärmsten Südpazifik, wo immer die Sonne scheint und „Winter“ ein Fremdwort aus Märchen und Sagen ist. Da wächst zwar nicht das Bier in den Palmen und die Leute müssen arbeiten, aber es ist ein Leben, das sich deutlich von dem in Mitteleuropa und Nordjapan unterscheidet, vor allem im Hinblick auf die Temperatur. Sonne, Strand und Palmen. Heizung? Was ist das?

Valérie 2003

Valerie studiert in Bordeaux, weil es an der Universität ihrer Heimat keine Japanologie gibt. Um sich das Studium in Frankreich leisten zu können, hat sie nach der Schule einige Jahre gearbeitet. Ich wäre rein optisch nie auf den Gedanken gekommen, dass Valerie bereits 28 Jahre alt ist. Sie ermutigt mich, meine Pläne für ein Auslandstudium in England nicht aufzugeben – ich könnte es später bereuen, diese Chance, die sich mir durch den PAD (Pädagogischer Austauschdienst) bietet, nicht genutzt zu haben. Ich bin ihr dankbar, dass sie mir in dieser Angelegenheit wieder zu mehr Mut verholfen hat. Ich schätze, es macht keinen großen Unterschied, ob ich die Universität mit 29 oder mit 30 Jahren verlasse…1

Ich bleibe dann bis um 1700 in der Bibliothek, abgesehen von einem kurzen Ausflug ins Naisu Dô, weil meine Freundin Natsumi, die eigentlich Marion heißt, mich gebeten hat, nach Artbooks von Card Captor Sakura und Shôjo Kakumei Utena Ausschau zu halten. Ich kaufe vier Sakura Artbooks – was den kompletten Bestand des Ladens darstellt. Utena ist nicht mehr auf Lager, seit ich das letzte Exemplar für meine eigene Sammlung gekauft habe. Und wenn ich schon mal da bin, kann ich gleich meinen eigenen weiteren Bedarf feststellen. Ich stelle eine Reihe von Büchern in „meine“ Ecke, damit ich, wie bereits erwähnt, nur ins Regal zu greifen brauche, wenn ich mit neuem Geld wiederkomme, in etwa zwei Wochen.

Was ich allerdings sofort mitnehme, ist eine Ausgabe der Voice Gallery von 1995. Diese Zeitschrift beschäftigt sich nur mit Synchronsprechern, aber weniger mit Interviews und ähnlichem, sondern fast ausschließlich mit Fotografien, denen ein wenig Text zur Seite gestellt wurde. In dieser Ausgabe finden sich Bilder von Hayashibara Megumi (Ranma-chan), Inoue Kikuko (Belldandy), Amano Yuri (Elise und Naria in Escaflowne), Hidaka Noriko (Akane in Ranma), Shiratori Yuri (Mokona in Rayearth), Matsumoto Rica (Satoshi/Ash in Pokemon), Mitsuishi Kotono (Usagi/SailorMoon), Orikasa Ai (Ryoko in Tenchi Muyô), Mizutani Yuko (Sora in Digimon), Hisakawa Aya (Ami/SailorMerkur)… und einigen unwichtigen, weil überwiegend männlichen Sprechern. 😉 Danach kehre ich in die Bibliothek zurück, um Natsumi mitzuteilen, was ich für sie habe.

Am Abend sehe ich mir Crayon Shin-chan an, diesmal die Serie. Und sie gefällt mir. Nicht mehr ganz die erste Staffel, wie mir scheint. Melanie mutmaßt, dass es an unserem mangelnden Textverständnis liegen könnte, dass wir die Serie auf Japanisch besser finden, als auf Deutsch. Ich will diese Möglichkeit nicht ausschließen, werde mir aber noch mehr davon ansehen.

Danach läuft eine brandneue Anime-Serie mit dem Titel BOBOBÔBO BÔBOBO!. Die erste Episode. Und… es geht um… Haare?? Der Held ist ein klassischer Muskelmann mit einer Figur wie ein Nothammer im Bus, mit einem blonden… Afro-Schnitt. Und er bekämpft Gegner… mit seinen Nasenhaaren!?! Er kann sie auf einige Meter Länge ausfahren und voll kontrollieren. Dabei parodiert er u.a. SailorMoon (indem er auf dieselbe Art und Weise mit den Armen fuchtelt, wenn er dem Gegner gegenübersteht), DragonBall (die Bösen sehen mit ihren Glatzen fast alle aus wie Tenshin Han) und sehr viel Hokuto no Ken (Fist of the North Star). Das postapokalyptische Setting der Serie sieht so richtig danach aus, mit den Trümmern und den Motorradgangs, die Leute belästigen. Das Mädchen mit den rosa Haaren tut durch ihr Aussehen das ihrige, um mich an Fist of the North Star zu erinnern (ihr Name ist Beauty).

Die Bösen hassen offenbar Haare und reißen sie den Leuten aus. Sie nennen sich Ke-kari-tai (etwa Haarjägertruppe), daher ist der Held, dessen Name BoBobôbo Bôbobo ist, ihr erklärter Feind. Dieser Anime ist zum totlachen. Die Serie wird gesponsert von Konami und Hudson, dem entsprechend gibt es bereits zum Start drei Spiele zu der Serie, unter anderem für Playstation 2. (Hudson zeichnet sich verantwortlich für mehrere Kampfspiele, darunter Bloody Roar, und Konami muss ich nicht extra vorstellen, denke ich.)2

Zuletzt läuft am Abend noch Ashita Tenki ni naare. Angeblich ein rotes Tuch für konservative Japaner. Eine freiwillig (!) alleinerziehende Mutter, und dazu mit braungefärbten Haaren, die bei einem Fernsehsender in Tokyo als Wetteransagerin arbeitet!? Die Produktion wurde für die Darstellung eines „Familienfragments“ kritisiert, wie man mir sagte. Eine Mutter mit Tochter ohne Ehemann ist für manche Leute offenbar ein Bruch der guten Sitten.

Mich berührt das herzlich wenig. Die Serie ist auch nicht lustig im eigentlichen Sinne, aber interessant anzusehen.

Wenn ich mich so ansehe, stelle ich übrigens fest, dass meine Beine sich verformen. Eine Folge des Radfahrens, nehme ich an, weil sich die entsprechenden Muskeln ausbilden.

1 Am Ende habe ich die Universität wegen Prüfungsangst und Stressdepression erst mit 34 abgeschlossen und bin aus Zeit- und Geldgründen nicht nochmal ins Ausland gegangen.

2 In der Japan Times fand sich der Kommentar, dass Bobobo sicher nicht so schnell im US-Fernsehen laufen werde, das Konzept sei viel zu japanisch-animistisch und aus kulturellen Gründen kaum vermittelbar. Ein halbes Jahr später war es dennoch dort lizenziert. Als ob sich irgendjemand vorm Fernseher für hochtrabende kulturelle Unterschiede interessieren würde, aa gibt es Action und abgefahrenen Humor, und das verkauft sich.

7. November 2023

Freitag, 07.11.2003 – Ethik

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 8:43

Heute Morgen um 10:00 findet eine Sondervorlesung über „Ethik und Universität“ statt. Sawada-sensei hat uns mehrfach darauf hingewiesen, dass wir nicht bereuen würden, die zwei Stunden zu investieren. Ich bin also mal hingegangen, und außer mir finden sich in dem kleinen Saal zwei oder drei japanische Studenten, und drei weitere Leute, die ich aus dem Ryûgakusei Center kenne: Misi, Luba und Irena. Ansonsten: Lehrpersonal der Universität verschiedenen Alters. Die Vorlesung (oder eher: der Vortrag) wird gehalten von Professor Hinchcliff von der Universität Auckland, Neuseeland. Leider verspätet er sich etwas. Um die Zeit zu überbrücken, stellt sich Kuramata-sensei, der Leiter des Centers, nach vorne und redet die Zeit tot. Etwa fünf Minuten lang, mit den Unterbrechungen knapp zehn Minuten, bis der eigentliche Sprecher eintrifft. Professor Hinchcliff wirkt etwas gebrechlich. Er ist recht groß, steht leicht nach vorne gebeugt und die Hand, in der das Mikrofon hält, zittert ein wenig. Aber seine Stimme ist kräftig. Sawada-sensei übersetzt den Vortag ins Japanische.

Im Prinzip redet er darüber, dass Menschen in Führungspositionen eine besondere Verantwortung haben, weil sie Entscheidungen treffen, die mitunter das Leben anderer Menschen beeinflussen. Er wendet sich direkt an die anwesenden Studenten, als er darauf hinweist, dass man einen festen, aber flexiblen Satz von Werten braucht, wenn man das Miteinander harmonisch gestalten möchte, wenn wichtige Entscheidungen getroffen werden müssen. Wenn die Wertvorstellungen verschiedener Leute kollidieren, muss man Schwerpunkte setzen und einen Kompromiss finden. Dazu ist es notwendig, Werte frei diskutieren zu können, anstatt sich hinter denselben zu verbarrikadieren und unumstößlich auf den eigenen Werten zu beharren, ohne die des Gegenübers auch nur in Betracht zu ziehen.

Im Prinzip hat er mir nichts erzählt, was mir nicht bereits vorher bewusst gewesen wäre, nur dass ich dieses Bewusstsein nicht ausformuliert habe. Nebenbei erwähnt er, dass das MIT (Massachusetts Institute of Technology) alle Vorlesungen frei erhältlich im Internet veröffentliche. Dadurch wird das Finden von Informationen natürlich unglaublich leicht, und das ist für Studenten nicht unerheblich. Andererseits lässt sich Plagiarismus, Ideenklau, auch schneller feststellen.

Nach Ende des Vortrags werden noch ein paar Fragen gestellt, von denen eine besonders heraussticht. Ein japanischer Herr zwei Reihen hinter mir fragt: „Verzeihen Sie bitte, dass meine Frage eigentlich nichts mit Moral und Ethik zu tun hat – aber ist es wahr, dass in Neuseeland mehr Schafe als Menschen leben?“ Hinchcliff gibt sich amüsiert. „Ja“, sagt er, „es gibt etwa zehnmal so viele Schafe wie Menschen in Neuseeland.“

Den Tag über passiert nichts aufregendes, und am Abend bin ich nur noch in die Bibliothek gegangen, um meine Post zu schreiben. Ich probiere bei der Gelegenheit den Drucker der Bibliothek aus. Man kann dort problemlos drucken, sogar in Farbe und in guter Qualität (wenn auch nicht in der Qualität des Laserdruckers in Trier), aber es gibt einen Zähler, und wenn ich den richtig interpretiere, kann man pro Semester (nur?) 100 Seiten umsonst drucken. Dann nehme ich meine Dokumente lieber mit ins Center, drucke dort so viel ich will und hebe mir den Bib-Drucker für Bilder auf… sollte ich auf verlockende Motive treffen.

6. November 2023

Donnerstag, 06.11.2003 – Die Straße gehört mir (?)

Filed under: Japan,Manga/Anime,My Life,Uni — 42317 @ 11:12

Das Ryûgakusei Center ist heute… aus irgendeinem Grund geschlossen. Also muss ich für das Schreiben meiner Post auf die Bibliothek ausweichen. Die Rechner dort sind mir auch viel sympathischer. Windows 2000 Professional ist mir von der Uni Trier vertraut, die Maschinen haben mehr als ein Gigahertz Frequenzleistung, sie fahren schnell hoch, haben keine unnötigen Sachen wie die ganzen Downloadprogramme und Chat-Anwendungen drauf, wie man sie im Center findet, sie laufen stabil. Der Nachteil gegenüber Trier wiederum ist, dass man den Desktop nicht individuell gestalten kann, die Einstellungen werden immer wieder gelöscht. Und in der Programmleiste verbleiben die Shortcuts ebenfalls nicht. Aber damit kann ich leben.

Interessanterweise kann man das Musikprogramm WinAmp installieren. Ich entdecke zwar Windows Media Player, Quicktime und Real Player vorinstalliert, aber ich finde das Internet-Radio-Angebot dieser Programme entweder etwas mager oder unverständlich, das heißt, ich komme mit der Einrichtung nicht klar. Also lieber WinAmp, damit kenne ich mich aus. Ich habe mal einen Kanal für Klassische Musik, einen für 80er Popmusik, einen für Trance, einen für Rock und zwei für Heavy Metal in die Playlist getan. Das deckt meinen ersten Bedarf ab. Alles Weitere kann ich später noch finden.

Aber meine Kamera ist immer noch voll. Ich hatte noch keine Gelegenheit, die Bilder zu übertragen. Entweder war die eine Maschine, die ich benutzen muss, belegt, oder aber das Center war geschlossen. Hoffentlich läuft mir bis dahin nichts vor die Linse, was ich vermissen würde, wenn ich es nicht fotografieren kann.1

Der Unterricht zum Thema Kulturgeschichte von Tsugaru fällt ebenfalls aus, also habe ich viel Zeit. Am heutigen Tag schreibe ich drei Berichte auf einmal. Leider dauert das ein paar Minuten länger als geschätzt. Um 15:10 bin ich fertig, jetzt hat die Michinoku Bank geschlossen, und ich habe meine Miete nicht wie geplant einzahlen können. Aber – keine Panik! – die Miete ist auch erst am Ende des Monats fällig. Ich möchte mich nur darum bemühen, das Geld so schnell wie möglich loszuwerden…

Nachdem ich auch mit meiner Post fertig bin, fahre ich in Richtung Stadtmitte, zum Naisu Dô. Dort kaufe ich endlich das Artbook der Anime-Serie Cutey Honey, das ich bereits vor einigen Tagen ins Auge gefasst hatte. Es ist relativ dünn, kostet aber 2000 Yen. Aber ein Original aus dem Jahr 1981 ist mir das wert. Auch wenn der Preis damals gerade mal 580 Yen war. 23 Jahre sind doch nicht schlecht für ein solches Buch.

Ich finde bei der Gelegenheit auch noch verschiedene andere Dinge, die mich interessieren, darunter auch Artbooks der Serien Galaxy Express, Queen Millenia (Königin der Tausend Jahre) und Queen Emeraldas. Und die haben zum Teil auch bereits ein gesegnetes Alter. Für ebenfalls 2000 Yen pro Stück. Damit will ich aber warten, bis das nächste Geld bei mir ankommt. Ich habe eine „eigene Ecke“ im Regal2 eingerichtet… ich muss also in zwei, drei Wochen nur noch in den Laden gehen und ins Regal greifen, um alles in der Hand zu haben, was ich brauche. Dreimal zwanzig Minuten lang suchen ist mir lieber als einmal eine Stunde lang das Regal zu durchsuchen. Hinterher tun mir immer Knie und Rücken weh, weil ich ja von der Höhe des Fußbodens aus bis auf über zwei Meter Höhe meine „Fühler“ ausstrecken muss.

Auf dem Weg nach Hause, es ist immer noch hell, fahre ich beinahe in eines dieser Familien-Großraumautos hinein. Der Streckenabschnitt ist leicht abschüssig, und 30 km/h bin ich bestimmt gefahren, als vor mir dieser Wagen auf einen Parkplatz einbiegt. Der Fahrer hat meine Geschwindigkeit wohl etwas unterschätzt oder sich erst gar nicht darum bemüht, einen Blick in meine Richtung zu werfen.

Die Bremsen beweisen, dass sie gut sind. Zehn Zentimeter vor der Beifahrertür kommt das Vorderrad zum stehen. Der Wagen fährt weiter auf den Parkplatz, mein Hinterrad hebt sich in die Höhe, und weil ich nicht auf der Straße einen Salto schlagen will, springe ich einen halben Meter nach vorne, also dahin, wo vor einer halben Sekunde noch das Auto im Weg war. Der Fahrer kümmert sich in keiner Weise um den Beinahe-Vorfall. Ich hole einmal tief Luft, um den kurzen Schrecken loszuwerden und fahre weiter. Ich sehe mich nicht genötigt, mit einem japanischen Autofahrer zu diskutieren. Dafür fehlen mir das Vokabular und die Nerven.

Zuhause stelle ich fest, dass Melanie nicht da ist. Eigentlich wollte sie doch Hausaufgaben machen? Dafür sieht der Schreibtisch aus wie die Miniausgabe des Schlachtfelds von Sewastopol – voll mit Krempel, den man zum Verpacken von niedlich aussehenden Paketen (Melanie-Stil) offenbar so braucht. Und das, was auf dem Schreibtisch keinen Platz mehr findet, liegt auf dem Boden. Aha. Aber wozu aufregen? Ich mache eine Flasche Boco auf und sehe mir Hamtarô an. Auf Japanisch kommt das gleich viel besser. Ist allerdings immer noch zu kindisch. Und (Aber?) dieses Titellied ist ein extremer Ohrwurm. Man bekommt die Melodie nicht mehr aus dem Kopf, tagelang übrigens. Bereits zuhause hatte ich mir das Lied aus dem Internet besorgt, aber bei dem, was jetzt läuft, handelt es sich um eine Art Remix. Das alte Titellied wurde mit ein paar Dancefloor-Rhythmen aufgepeppt und landet noch viel besser in der „Zwischenablage“ hinter dem Trommelfell. Ich glaube, sogar das Schlusslied von Atashinchi steht dahinter zurück.

Unser erster, in Japan gekaufter Sack Reis geht heute zu Ende. In einem Monat braucht man pro Person also etwa fünf Kilo. Natürlich würde der Reis länger halten, wenn wir morgens nichts davon essen würden, aber man gewöhnt sich schnell daran, am Morgen etwas Warmes zu essen. Vor allem, wenn es Reis ist. Wenn ich zuhause in Deutschland morgens etwas gegessen habe, war mir nachher erst einmal schlecht. Nicht so richtig speiübel, aber mir war nicht gut, bis etwa zur Mittagszeit. Reis dagegen ist sehr bekömmlich, stelle ich fest, und leicht verdaulich. Ich habe bereits erwähnt, dass man zwei Stunden, nachdem man sich damit vollgegessen hat, schon nicht mehr viel davon spürt.

Die Reispreise hier im Beny-Mart beginnen bei 2800 Yen (ca. 21 E). Der teuerste Sack, den ich bisher gesehen habe, kostet 5300 Yen (ca. 40 E). Ich erinnere daran, dass hier von 10-Kilo-Säcken die Rede ist, nicht von den günstigen 22,5-Kilo-Säcken für 17 E, mit denen ich bisher „gearbeitet“ habe, dank der freundlichen Unterstützung der Familie Hary und ihrem Asia Laden in Saarbrücken. Und der billige Reis, den ich in Deutschland bekommen habe, war „nur“ Bruchreis. Der Bruchreis ist zwar gut, hält aber keinem Vergleich mit dem japanischen Produkt stand. Trotzdem möchte ich hinzufügen, auch wenn ich mich wiederhole, dass Basmati der bisher beste Reis war, den ich gegessen habe. Japanischer Reis kommt nur auf Rang Zwei.

In der Heimat werde ich mir einen Reiskocher zulegen. Der Reis wird einfach um Klassen besser in einem Suihanki (Reiskocher). Es werden in Deutschland auch Varianten verkauft, wo man den Reis auf der Herdplatte in einem normalen Topf „ankocht“ und dann den Topf in ein wärmeisoliertes Styroporgefäß stellt, wo dann der Rest des Wassers den Reis so schonend garen soll. Meine Großmutter hat eine solche Vorrichtung (leider) gekauft. Vergesst diesen Schrott, kauft Euch einen echten Reiskocher. Ich werde es auch tun.

Und weil Reis sich so gut verdaut, könnte ich den ganzen Tag Reis essen, von früh bis spät. Ein Pott leer – den nächsten gleich aufgesetzt. Und man braucht nichts groß dazu, ich esse den Reis einfach mit Sojasoße, mit Furikake (getrockneter Geschmack aus der Tüte zum Überstreuen) und/oder mit Nori-Blättern, nach denen ich mich dieser Tage verzehre… im wahrsten Sinne des Wortes. Beinahe jedenfalls.

Heute ist Donnerstag, da läuft „TRICK“ im Fernsehen. Ich genieße die Serie jedes Mal aufs Neue.

Was TRICK auf jeden Fall hat, ist das „Scooby-Doo-Kernelement“, das da besagt, dass hinter allen mysteriösen Geschehnissen immer ein logisch erklärbarer Trick steckt. Kurz gesagt, ging es diesmal um eine Dame um die 40, die ein Museum um eine alte Statue erleichtern will. Sie verschwindet, indem sie mit ihrem Fächer einen „Schlitz“ („Suritto“ = engl. „Slit“) in die Luft malt und hineinsteigt. Sie sagt, auf diese Art und Weise blitzschnell an anderen Orten wieder erscheinen zu können, indem sie sich dieser „Warp-Möglichkeit“ bedient. Es kommt dann heraus, dass sie Spiegelfolie aufhängt und dahinter ein Drehrad mit irren Farben aufstellt, damit der Schlitz auch magisch aussieht. Sie war vor 20 Jahren eine bekannte Sprinterin gewesen und nutzt den Überraschungseffekt (ihres Verschwindens) aus, um zu dem Ort zu rennen, an dem sie „erscheinen“ möchte, möglichst mit Zeugen. Der von ihr verwendete Begriff „Schlitz“ ist übrigens auch eine Anspielung auf ihr Kleid, das ebenfalls einen solchen hat. Sie nutzt jede Gelegenheit, um so ihr Bein zu zeigen, sehr zur Freude der männlichen Charaktere, die so gebannt sind, dass sie alles andere vergessen… außerdem lacht sie auf eine Art und Weise, wie man es aus verschiedenen Anime kennt. Nicht ganz Naga, aber immerhin. (Insidergespräche, ich weiß…) Natürlich ist das alles etwas irrsinnig. Es kann ja nicht sein, dass sie nicht damit gerechnet hat, dass einer der Zeugen zum Ort ihres „Verschwindens“ laufen könnte, um nachzusehen. Die Stellwände für die Spiegelfolie und das neonfarbene Rad dahinter wären jedem Trottel sofort aufgefallen.

Interessant ist übrigens auch, dass die Serie sich ein wenig über Absolventen der Tôdai (der Tokyo Universität) lustig macht. Ueda und Yamada sehen sich immer wieder verfolgt von einem Inspektor der Polizei. Dessen Assistent ist ein solcher Tôdai-Absolvent. Das erwähnt er auch bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit (vor allem, wenn er sich jemandem vorstellt) und macht sich dementsprechend „beliebt“. Er wirkt eigentlich wie ein Clown. Der funny Sidekick. Das deckt sich ein wenig mit einer Aussage von Professor Vesterhoven, der irgendwann in den vergangenen drei Wochen am Rande einmal erwähnt hat, dass Absolventen der Tôdai nicht mehr so beliebt bei Arbeitgebern seien wie früher. Das hinge nicht damit zusammen, dass Japans elitärste Universität an Qualität verloren habe, sondern damit, dass sich ihre Absolventen für die besten und schönsten und klügsten Söhne und Töchter der Sonne auf dem Erdball hielten.

Und natürlich sollte man im Anschluss nicht Manhattan Love Story verpassen… 🙂

1 Es handelte sich um eine „billige“ Kamera für 160 Euro, die schon nach damaligen Verhältnissen sehr durchschnittlich war. Der interne Speicher umfasste ganze 16 MB, das reichte für 24 Bilder im Format 1024 x 768. Der Vorteil gegenüber einer analogen Kamera war, dass man Bilder löschen und noch einmal aufnehmen konnte.

2 Im Regal des Ladens, muss ich betonen, auf einer Höhe oberhalb des Blickfelds.

5. November 2023

Mittwoch, 05.11.2003 – Interview mit einer Mittelschulklasse

Filed under: Japan,My Life — 42317 @ 10:09

Der Japanischunterricht behandelt auch weiterhin Anfragen am Telefon, mit Hilfe von Rollenspielen. Das heißt, dass Keigo (ultra-höfliches Japanisch) dabei eine wichtige Rolle spielt – und das ist mir etwas fremd. Oder umständlich.

Vesterhoven behandelt in seiner Literaturklasse einleitend Tanizaki und empfiehlt uns wiederholt die Geschichte um „die Schwestern Makioka“. Aber er schließt es nicht in den offiziellen Stundenplan ein, da es sich um ein 600 Seiten starkes Buch handelt. Valérie beschließt aber, es zu lesen und ihre Seminararbeit darüber zu schreiben.

Um 13:30 beginnt ein weiterer Spaß. Eine Klasse des ersten Jahrgangs einer Mittelschule (das heißt, das Alter liegt bei 12 bis 13 Jahren) besucht uns und wir beantworten ihre Fragen. „Wir“ sind ca. 15 Freiwillige aus dem Kreis der Austauschstudenten. Und ich sah keinen Grund, mir das entgehen zu lassen. Die Klassensprecherin begrüßt uns. Sie ist wohl zwischen 1,60 und 1,70 Meter groß. Nicht schlecht für das Alter, und vor allem für eine Japanerin. Und ich würde gerne erfahren, wie sie in zehn Jahren aussieht.

Die Mädchen sind mit mehr Interesse, oder „Lebhaftigkeit“, dabei als die Jungs. Ich habe immer wieder das Gefühl, dass die Jungs ihre Unsicherheit hinter einer übersteigerten Coolness verbergen wollen. Was sollten sie auch tun? Sie sind mit Leuten konfrontiert, die die Fragen beim ersten Mal oft nicht verstehen. Wenn mir das passiert, werde ich auch ein bisschen nervös, weil ich mich ja verständlich machen will. Glücklicherweise habe ich eine Chinesin in der Gruppe, die ganz hervorragend Japanisch spricht und kann sie nach einer Erklärung der Frage des jeweiligen Schülers fragen. Die Schüler fragen uns eigentlich ganz banale Dinge:

Was gefällt Euch in Japan besonders?“ – „Das Essen natürlich.“

Was gefällt Euch nicht?“ – „Der Unterrichtsstil.“

Was habt Ihr bisher in Japan besonders studiert?“ – „Die Speisekarte des Ramen-Lokals.“

Warum studiert Ihr Japanisch?“ – „Weil Chinesisch zu schwer und Russisch unnötig ist.“

(Alexej, der aus der Gegend am Baikalsee stammt, nimmt diese Antwort mit Humor.)

Warum studiert Ihr Japanisch ausgerechnet in Hirosaki?“ – „Weil es in Tokyo zu laut ist.“

Wo seht Ihr Unterschiede zwischen unserer Heimat und Japan?“ –

Japaner sind höflich, aber zurückhaltend; Deutsche sind ungehobelt, aber herzlich.“

Es sind jeweils sechs Schüler, die zehn Minuten Zeit haben, einer Gruppe von vier Studenten Fragen zu stellen. Die Schüler wechseln von einer Gruppe zur nächsten, wir bleiben sitzen und empfangen die nächsten. Die Größenunterschiede der Schüler sind wirklich immens. Die Klassensprecherin ist wirklich groß, während zwei oder drei der Jungs bestenfalls 1,30 „groß“ sind, und das ist eine großzügige Schätzung. Und einer der beiden würde einen Kieferorthopäden reich machen. „Der wird beim Küssen Probleme bekommen“, sagt Melanie. Die Obstkiste, auf die er sich dabei stellen muss, denke ich mir.

Eine der Schülerinnen hat eine Dauerwelle („Paama“ von engl. „perm“). Ich spreche sie darauf an: „Das ist doch eine Dauerwelle – ist das an japanischen Schulen nicht verboten?“ Aber statt einer Antwort bekomme ich nur ein schüchternes Kichern. Soll ich sie jetzt für niedlich oder für plemplem halten?

Nach einer Stunde sind wir durch, und ich habe nicht das Gefühl, meine Zeit verschwendet zu haben.

Melanie, die in einer anderen Gruppe untergebracht ist, sagt mir nachher, dass die drei Koreanerinnen, mit denen sie gesprochen hat, ebenfalls alle der Meinung seien, ich sei „kakkoii“. Hoffentlich steigt mir das nicht zu sehr zu Kopf. Oder ihr. 🙂

Danach will ich eigentlich Post schreiben, aber ich treffe Mei im Center und rede mich mit ihr fest. Mei ist eine der vier Chinesinnen, die auf der Festa so zaghaft ihr Lied gesungen haben.1 Sie will Englisch lernen oder das, was sie bereits beherrscht, verbessern und bittet mich, ihr dabei zu helfen. Vor allem, so weit es die Aussprache betrifft. Ja, sicher, kein Problem. Wir gehen ein paar Sachen durch und es ist unserer Angelegenheit sehr nützlich, dass sie das Internationale Phonetische Alphabet beherrscht. Nach etwa 15 Minuten habe ich es geschafft, ihr die Koartikulationseffekte der englischen Sprache etwas näher zu bringen und ihr auch noch zu erklären, was das eigentlich ist. Und die Grundlagen des Vokaltrapezes. Auf Japanisch ist das eine ganz gute Leistung, würde ich sagen, so ganz ohne Wörterbuch, nur mit Händen und Füßen und Ersatzvokabular für die Erklärung von Begriffen. Danach kann ich zumindest eine der Mails schreiben, mit denen ich so sehr hinterher hänge.

Eine kleine Überraschung hat der Abend aber noch parat. Eine der vielen Oberschulen der Stadt veranstaltet vom 11.11. bis zum 13.11. einen „Recitation Contest“. Und am 12.11. gehe ich da als Juror, als Punktrichter, hin! Versüßt wird die Angelegenheit durch die Auszahlung von 5000 Yen als Aufwandsentschädigung. Erstens also Geld (womit ich locker die Nebenkosten eines ganzen Monats bestreiten kann) und zweitens wird das bestimmt auch eine lustige Sache. Wenn ich schon mal hier bin, will ich mich auch sehen lassen. Wo ich doch so kakkoii bin… Ich finde es natürlich seltsam, als Deutscher gebeten zu werden, die Aussprache der Bewerber in einem englischen Vortragswettbewerb zu bewerten. Ich bin kein Muttersprachler, so gut ich auch sein mag. Ich muss noch ein bisschen mehr über den Wettbewerb erfahren, damit ich eine Art Bewertungsgrundlage habe. Aber mit solchen Dingen habe ich ja Erfahrung – dank des „Duplangschen Systems“, z.B. in den Oral Production Kursen der Universität Trier.2

1 Streng genommen ist sie zwar chinesische Staatsbürgerin, aber ethnische Koreanerin.

2 Ich habe allerdings mittlerweile vergessen, um was es sich dabei handelte.

4. November 2023

Dienstag, 04.11.2003 – Die Schlacht am warmen Büffet

Filed under: Japan,My Life — 42317 @ 7:00

Auch heute ist kein Betrieb an der Universität, weil heute die Überreste des Festes der letzten Tage beseitigt werden. Ich nutze den Tag für weiteres Lesen und begleite Melanie zur Bank, zur Post und ins Kaufhaus, weil sie mir einen weiteren 100-Yen-Laden zeigen möchte.

Am späten Nachmittag kommen wir wieder zurück und gehen in den BenyMart, um Getränke zu kaufen. Dort befindet sich heute ein Tisch, auf dem große Teller mit frittiertem Fleisch und Fisch stehen. Man findet Hühnerfleisch mit Nori-Umwicklung (Algen), Fischfilets, auch Kartoffelstücke sind dabei, und Dinge, die man anderswo sehr teuer unter der Bezeichnung „Chicken Wings“ und „Chicken McNuggets“ kaufen kann. Daneben steht ein Schild, das aussagt, dass es sich um ein Sonderangebot handele und dass man eine Plastikbox von ca. 25×25 cm für 500 Yen nach Belieben füllen könne. Aber wir sehen erst einmal den japanischen Kunden zu, um festzustellen, ob es so etwas wie eine „Etikette“ hier gibt, über das „Was“ und das „Wie viel“.

Die scheint es nicht zu geben. Die japanischen Damen langen hemmungslos zu und füllen ihre Boxen so hoch, dass zwischen Deckel und Box ein zwei Finger breiter Spalt klafft. Also warum sollte ich mich zurückhalten? Meine bisherige Zurückhaltung hat mich bereits die gegrillten Hühnerflügel gekostet, die sind nämlich alle, als ich endlich eine Gabel in die Finger bekomme.

Wir gehen beide mit jeweils einem Paket nach Hause, für jeweils 500 Yen. Wir essen ohne Reisbeilage und werden hautsatt. Und von den Resten könnte man immer noch einen Menschen von meiner Statur satt bekommen. Kein schlechtes Preisleistungsverhältnis.

Beim Reinigen der Golfbälle eröffnet sich mir eine praktische Anwendung derselben. Sie passen haargenau auf (nicht „in“) unser Abflussrohr, also auf eine Art und Weise, die es erlaubt, sie auch wieder bequem herauszubekommen. Da passt kaum ein Tropfen Wasser vorbei. Zumindest hält das Spülbecken das Wasser nun länger, als ich es benötige. Ich bin nicht ganz sicher, was ich noch damit machen könnte. Vielleicht verschicke ich welche als „Spaß am Rande“. Wer hat schon einen Golfball „Made in Japan“ außerhalb dieser Insel?

3. November 2023

Montag, 03.10.2003 – Das Geheimnis der japanischen Kraft

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 12:24

Heute ist ein lang erwarteter Tag. Strahlendes Wetter herrscht nicht gerade, aber es gibt mehr Sonne als Wolken. Ich gehe mit Melanie zur Uni, um dem Wettbewerb im Armdrücken zuzusehen. Und eigentlich nicht nur, um zuzusehen. Zuerst findet ja der Kampf der Clubs statt, und acht Clubs haben je drei Streiter an den Start geschickt. Darunter die Clubs für Aikidô, Kendô, Tennis, ein Club, dessen Bezeichnung ich nicht lesen kann, eine Gruppe namens „Free Wave“ und der „American Football Club“.

Einer von „Free Wave“ trägt ein Affenkostüm und scheint so besoffen, dass man ihn die Treppe zur Bühne hoch tragen muss. Der Kendô Club, in entsprechenden Trachten, wird dennoch von Free Wave weggefegt. Der Affe scheint mir nicht betrunken, wenn er am Pult steht. Er überrumpelt seinen Gegner innerhalb von nicht einmal zwei Sekunden, wankt dann aber wieder in den Hintergrund.

Weiterhin ist auffällig, dass einer der Clubs mit einem weiblichen Teilnehmer auftritt. Ich will nicht sexistisch sein, aber diese Entscheidung war nicht klug. Nicht bei dieser Konkurrenz. Sie geraten an den unleserlichen Club und verschwinden von der Bühne.1 Die Footballspieler machen im Halbfinale „Free Wave“ nieder und treffen im Finale auf den Club mit dem unleserlichen Namen. Zu meiner Überraschung verliert der Football Club. Die beiden besten Mannschaften erhalten Einkaufsgutscheine und eine kleine Urkunde.

Warum die Jungs vom Football Club verloren haben, ist mir optisch nicht ganz klar. Einer davon ist so groß wie ich, aber schmaler. Er sieht eigentlich normal aus. Die anderen beiden sind kleiner als ich. Der Typ mit dem Irokesenschnitt ist vielleicht 160 cm hoch, aber sehr stämmig. Und weil er aussagekräftig die Ärmel hochkrempelt, glaube ich, dass er nicht zu unterschätzen ist. Der dritte von denen ist vielleicht etwas mehr als 170 cm groß, aber bestimmt 30 kg schwerer als ich. Seine Unterarme allein sind beachtlich. Von dem unlesbaren Club ist nur einer auffällig, und das auch erst, wenn man zweimal hinsieht. Er trägt einen Pullover, aber man kann ahnen, dass einiges daruntersteckt.

Dann beginnt das Drücken der Freiwilligen. Um einen ersten Gegner zu haben, bleibt der Kapitän der Siegermannschaft auf der Bühne. Und wird vom erstbesten, der sich meldet, besiegt. Ohne große Probleme, und ohne, dass der Freiwillige sonderlich stark aussehen würde. Der Sieger bleibt jeweils auf dem Podest, der Besiegte darf ihm noch einmal die Hand schütteln und darf dann gehen.

Der 120-Kilo-Mann der Footballmannschaft wittert seine Chance, meldet sich noch einmal und macht den ersten Freiwilligen, quasi den Sieger über seinen eigenen Bezwinger, nieder. Es findet sich tatsächlich jemand, der gegen den Fleischberg antreten will, aber auch der wird besiegt. Die Organisatoren danken dem schweren Mann und schicken ihn von der Bühne. Mehr als zweimal hintereinander geht offenbar nicht.

Danach drücken noch verschiedene Leute, darunter auch zwei Westler (nicht „Wrestler“), die jedoch auch beide verlieren. Einem davon sieht man den Freeclimber an, aber dennoch findet er einen, der stärker ist als er. Außerdem will ich eigentlich gegen einen Japaner antreten. Schließlich findet sich einer und ich melde mich als Gegner. Mein Güte, was macht der ein Gesicht, als er mich die kleine Treppe hochkommen sieht!

Ausgangsstellung. Und losdrücken. Mir ist sofort klar, dass mit dem Mann hier fertig zu werden ist. Er ist kräftig, aber nicht stark. Allerdings weiß er das auch, und er hat was, das mir fehlt: eine Technik. Er dreht mein Handgelenk ein wenig im Uhrzeigersinn und zieht es zu sich hin, während mein Ellenbogengelenk auf dem gleichen Punkt fixiert bleibt. Dadurch wird mein Winkel an der Armbeuge größer und seiner kleiner. Bevor ich wirklich verstehe, wie hier gespielt wird, bin ich knapp 10 Sekunden später geschlagen – technischer KO. Ich habe keine große Anstrengung verspürt, aber mit ausgestrecktem Unterarm war da nicht viel zu machen. Das kratzt natürlich am Stolz. Aber man gewinnt nicht jeden Tag. Die erteilte Lehre in Sachen Technik merke ich mir für das nächste Mal, sollte es eines geben. Das „muss“ ich auch Alex erklären, der wissen wollte, wie es kommen konnte, dass er gerade wegen mir zwei Flaschen Bier bei einer Wette verloren hat.

Wir sehen noch eine Weile zu, gehen dann aber nach Hause, weil sich die Texte ja nicht von alleine lesen. Und diese theoretischen Texte über den Buddhismus sind stellenweise dermaßen langweilig, dass sich die Bibel wie ein Actiondrama liest.

Bevor ich einschlafe, bringe ich den Kreislauf in Wallung, indem ich noch einmal zum Golfplatz fahre und andere Bälle einsammle. Am Abend habe ich eine Tüte mit 49 Bällen im Schrank stehen… bloß… was mache ich jetzt damit?2

1 Aus gesammelter Erfahrung heraus muss ich allerdings hinzufügen, dass Japaner auch vieles deshalb tun, um „dabei zu sein“.

2 Der Großteil der Golfbälle verblieb letztlich in Japan. Die drei schönsten nahm ich mit, von denen ich wiederum einen vor einigen Jahren an eine Gruppe Kinder verschenkte.

2. November 2023

Sonntag, 02.11.2003 – … Ist das Krüge-leeren auf dem Campus nicht eigentlich verboten?

Filed under: Japan,My Life,Sport — 42317 @ 12:18

Das Kulturfest ist heute so richtig uninteressant. Es ist natürlich schön, dass die Sonne scheint und angenehme Temperaturen herrschen, aber das Angebot an Aktivitäten finde ich nicht sehr aufregend. Noch immer macht Nahrung den größten Teil des Angebots aus, aber ich bin nicht hungrig. Es kommt mir selbst seltsam vor. Ich gehe ein wenig durch die Gänge und treffe Nan und… ah, seinen Namen habe ich schon wieder vergessen. Jedenfalls einen weiteren der Thailänder treffe ich mit ihr zusammen an.1 Wir gehen durch zwei Stockwerke und hören uns einen kleinen Vortrag von Medizinstudenten an. Ich glaube, es geht um falsche Diätvorstellungen, die durch die Werbung vermittelt werden. Aber das war auch schon alles, was ich aus dem Gesagten herausinterpretieren kann. Verstanden habe ich so richtig gar nichts. Akustisch ging es ja gerade so, weil ich einen halben Meter neben der jungen Frau stand, die den Laptop bediente und die Grafiken koordinierte. Bei ihrer Lautstärke dürfte aber bereits jemand, der nur einen Meter weiter als ich entfernt saß, bereits nichts mehr gehört haben. Und das auch erst, nachdem ich sie aufgefordert hatte, lauter zu sprechen.

Ein paar Schritte weiter bieten die Mediziner alle möglichen Getränke an, in einem abgedunkelten Raum, der einen gemütlichen Eindruck macht. Es gebe auch Sake, sagt mir die Studentin am Eingang. Sie trägt, wie übrigens alle Medizinstudenten in diesen Tagen, einen weißen Labor-Kittel mit blutroten Flecken. Leider ist mein Fotoapparat voll. Ich komme ja nicht an den Rechner ran, in dem ich meine Bilder ablege, weil das Center zu ist.

Es gibt hier also Sake. Aha. Ist das auf dem Campus nicht eigentlich verboten? Sie antwortet mit einem undefinierbaren, aber viel sagenden Kichern. Soso. Ich bin nicht abgeneigt, aber um 14:00 am frühen Nachmittag möchte ich noch keinen Alkohol trinken. Wie lange denn geöffnet sei? Bis um 17:00, sagt sie. Natürlich, dann ist ja Schluss mit Fest für heute. Dann also nicht.

Im dritten Stock befindet sich ein Raum, in dem Brettspiele gespielt werden, und der Anteil an deutschen Spielen ist auffällig, denn eigentlich ist mir der Raum nur deshalb aufgefallen, weil an der Tafel neben all den Kana- und Kanjikombinationen auch etwas steht, was ich ohne nachzudenken lesen kann: „6 nimmt“.

Dabei handelt es sich um ein Kartenspiel. Ich habe aber nie davon gehört. Ich gehe hinein und lese die Anschrift an der Tafel. Hier gibt es „Die Siedler von Catan“, „Bohnanza“, „Scotland Yard“, und andere mehr. Aber dass das Spiele sind, die aus Deutschland stammen, weiß hier keiner. Hier ist nichts, was mich aufhält.

Ich sattle mein Rad und fahre wieder nach Hause. Aber da will ich auch nicht lange bleiben, weil das Wetter so gut ist. Ich nehme meinen Lesestoff (zum Thema „Buddhismus“) mit und fahre einfach mal irgendwohin. Einfach einer Straße nach (grob nach Westen), die ich nicht kenne. Nach ein paar Kilometern finde ich einen Golfplatz. Na ja, eigentlich ist es kein Golfplatz, sondern einer dieser hoch eingezäunten Abschlagplätze. Und kaum habe ich ihn gesehen, verklemmt sich meine vordere Gangschaltung, und ich kann nur noch die untersten sieben Gänge verwenden. Ich fummele ein bisschen daran herum, finde aber das Problem nicht. Wenn ich schon mal da bin, kann ich den Leuten auch mal beim Abschlagen zusehen. Die Kunden stehen in einzelnen Kabinen, zwei übereinander, sieben nebeneinander, und schlagen einen Ball nach dem anderen einfach weg. Der Ball wird dann ca. 100 Meter weiter, da wo ich stehe, von den ca. 30 Meter hohen Netzen aufgefangen und bleibt am Rand liegen, um irgendwann eingesammelt zu werden. Allerdings hat das Netz auch kleine Löcher und Lücken, durch die Golfbälle beim herunterrollen hindurchschlüpfen können. Ich sammele ein paar davon auf. Es liegt auch etwas Metallschrott in der Gegend rum und ich suche mir eine kleine Metallstange, die ich an den Rahmen klemme und meinen Draht der Gangschaltung auf diese Art und Weise so spanne, dass sie immerhin auf das mittlere Zahnrad fixiert bleibt.

Mit dem Textlesen komme ich an dem Golfplatz auch nicht weit. Kaum sitze ich ein paar Minuten, wird mein Sichtfeld nebelig. Aber da kommt kein gewöhnlicher Nebel auf mich zu. Irgendwo verbrennt wohl ein Bauer sein Reisstroh. Die Sichtweite sinkt unter 100 Meter und es stinkt furchtbar. Ich fahre wieder davon. Allerdings bin ich auf dem Hinweg einen steilen Berg heruntergekommen, den ich nicht hochfahren oder –laufen will. Ich entscheide mich, den Hügel in nördlicher Richtung zu umgehen. Allerdings muss ich doch zwischendurch anhalten und fragen, wo ich eigentlich bin und wie ich nach Nakano komme. Bis ich dann die nächste Sitzgelegenheit gefunden habe, ist es schon beinahe dunkel, aber es ist ein Spielplatz mit Laterne. Leider paart sich die Dunkelheit schnell mit einer unangenehmen Kühle. Unangenehm vor allem deshalb, weil ich gewöhnlich schnell fahre und mein Rücken unter dem Rucksack deshalb schweißfeucht ist. Aber ein paar Seiten gehen noch und ich erhalte meine ersten Einsichten in die Lehre des Buddhismus.

Und solch seltsame Dinge habe ich schon lange nicht mehr gelesen. Dass es keine Seele gebe, kann ich akzeptieren. Aber was wird wiedergeboren? Das Karma. Aha. Das wird von einem Leben ins nächste weitergereicht. Das Karma ist wie ein Sparbuch für gute und böse Taten.

Und es mangelt allen Dingen an Ego… an „Substanz“. Aber wenn es mir an Ego mangelt und ich keine Seele habe, was landet dann im Idealfall irgendwann im Nirvana? Was habe ich davon, wenn mein tolles Karma im Paradies ist, ich aber nichts davon mitbekomme? Das kommt mir vor, als hätte ich zum Zeitpunkt meines Todes eine Unmenge Geld auf meinem Konto und das Sparbuch landet, in Gold eingerahmt, in einem bedeutenden Museum. Ich interpretiere, dass das Nirvana ein Ort sein müsste, an dem man in Form eines gefühlsbefähigten Wesens geboren wird (damit man die Wonnen auch erkennen und auskosten kann), und auch wieder sterben kann, um woanders geboren zu werden, falls man sich im Nirvana daneben benommen hat??? Das muss ich noch hinterfragen.2

Heute läuft, wie seit mindestens zwei Wochen angekündigt, der Film „Gladiator“ (ja, mit Russel Crowe) im japanischen Fernsehen, in japanischer Sprache. Ich will über die Qualität der Synchro (die Vertonung der Stimmen) auch gar nichts sagen, sondern nur den interessantesten Punkt nennen:

Ganz zu Beginn, wenn der Tribun Maximus durch die Reihen seiner Männer schreitet, stehen sie auf und rufen tatsächlich, wie von mir zuvor eigentlich nur scherzhaft vermutet, ehrfürchtig: „Shôgun!“ Man hat also seine Funktion übersetzt, anstatt das Fremdwort („Toribuun“) zu übernehmen. Und dann wird Maximus die ganze Zeit über „Shôgun“ genannt. Und wegen der riesigen kulturellen Spalte zwischen Römern und Japanern wirkt es wirklich lustig. Man denkt ja eher an einen besonders feierlich herausgeputzten Samurai in alter japanischer Rüstung, wenn man „Shôgun“ hört, nicht wahr?3

1 Sein Name ist Wiirit.

2 „Das Nirvana“ ist kein Ort, wie „der Himmel“, sondern der Zustand der völligen Auflösung. Nirvana ist Abwesenheit von Leid durch Nichtexistenz. Für Menschen, die mit jüdisch-christlichen Jenseitsvorstellungen aufgewachsen sind, mag das schwer nachzuvollziehen sein.

3 Shôgun bedeutet aber ganz generell „Oberbefehlshaber“.

1. November 2023

Samstag, 01.11.2003 – Ein Feeest, wo man Krüge leert…

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 9:50

Samstag – SailorMoon-Tag! Heute hat die liebe Ami Probleme, weil sie das Prinzip der Freundschaft noch nicht so recht verstanden hat. Daher kauft sie ein Buch mit dem Titel „Wie man wirklich Freunde gewinnt“, in dem zu lesen ist, dass man sich in punkto Interessen und Aktivitäten an seine Freunde anpassen soll (zumindest habe ich das so verstanden). In Folge dessen beteiligt sie sich an der Pyjama-Party bei Usagi, singt Karaoke und schminkt sich das Gesicht so zu, dass man die Haut nicht mehr sehen kann. (Machen Mädchen in dem Alter, um die 15, so was wirklich?) Das alles nimmt sie sehr mit, sie wird krank und deswegen von einem Yôma in arge Bedrängnis gebracht. Nephlyte hat sich als Opfer irgendeine Frau ausgesucht, weil diese einen ganz tollen Edelstein um den Hals trägt. Der Ort des Geschehens ist ein Museum, bei dem man am Eingang ein Namensschild erhält. Ob das einen tieferen Sinn hat, als gleich darauf für einen Gag zu sorgen, weiß ich nicht. Ich habe jedenfalls noch nie in einem Museum ein Namensschild bekommen.

Wie es der „Zufall“ will, hält auch Mamoru sich in dem Gebäude auf, und, wie sollte es anders sein, Usagi findet sein Namensschild auf dem Fußboden. Offenbar hat er es verloren. Sie liest den Namen, der draufsteht halblaut vor, interpretiert aber die Kanji falsch. Ich habe leider nicht mehr im Kopf, was sie gesagt hat. Natürlich taucht er in diesem Moment auf, nimmt ihr das Schild aus der Hand und sagt: „Das heißt Chiba Mamoru!“ Er nimmt ihr Schild, auf dem ihr Name, „Tsukino Usagi“, geschrieben steht („Usagi“ = „Hase“), und liest vor „Tsukino Ko-Buta“ („Ko-Buta“ = „Schweinchen“). Ich fand das lustig.

Und Für die nächste Episode wird Kino Makoto aka SailorJupiter angekündigt. Wai!

Die Charaktergestaltung von Aino Minako interessiert mich ebenfalls langsam immer mehr. Usagi, Rei und Ami singen ihr Lied „C’est la Vie“, an der Wand von Usagis Zimmer hängt ein Poster von Minako. Wie wollen die es jemals fertig bringen, diese Figur hinter Usagi zu stellen, ohne gewaltige Einschnitte an den Charaktereigenschaften vorzunehmen? Minako müsste sich sehr „blond“ benehmen (man verzeihe mir den Ausdruck), damit das klappt. Der Unterschied zwischen ihrem Bühnenimage, ihrem Alter Ego SailorVenus und der „eigentlichen“ Minako müsste dazu gar gewaltig ausfallen. Aber was soll das Mutmaßen? In wenigen Wochen weiß ich es ja doch.

Im Anschluss individualisiere ich mein neues, gebrauchtes Fahrrad. Zu diesem Zweck hat Melanie Klebeband im 100-Yen-Laden gekauft. Ähem… leider gab es diese Klebebänder nur als Dreierpack in den alten deutschen Reichsfarben Schwarz, Weiß, Rot. Mein Fahrrad sieht für den mitteleuropäischen Beobachter also reichlich nationalistisch aus. In Deutschland könnte ich mich damit nicht auf die Straße wagen, ohne in Gefahr zu laufen, von Antifa-Sympathisanten gesteinigt zu werden.

Im Fernsehen läuft eine Kochsendung, die ebenfalls etwas aus dem Rahmen fällt: Es kochen vier Personen: Drei junge Models („Apron Girls“ = „Schürzenmädchen“) und ein Profikoch. Die Jury besteht aus dem Moderator und der Komoderatorin, einem VIP und einem älteren Herrn, offenbar ebenfalls ein professioneller Koch. Ich habe schnell das Gefühl, dass hier gezielt Damen eingeladen werden, die überhaupt nicht kochen können.1

Die heutige Aufgabe: „Richten Sie innerhalb von dreißig Minuten ein Tanmen-Ramen an!“

Und am Ende erhält jeder der Juroren eine Schüssel Nudelsuppe. Und die Kommentare sind brutal. Und man stelle sich das Ganze noch mit ausführlicherer Wortwahl und entsprechender Mimik vor, wenn man ein schlechtes Essen serviert bekommt.
Bewertung Bewerberin 1:

Das ist kein Tanmen!“ (klingt wie „Das ist kein Jim Beam!“ auf Japanisch.)

Dieses Essen hat keine Schärfe, keinen Geschmack, kein gar nichts. Nicht gut.“

Bewertung Bewerberin 2:

Das ist Tanmen. Aber viel zu scharf! Nicht gut.“

Bewertung Bewerberin 3:

Es sieht lecker aus, aber… das ist auch kein Tanmen!“

(hustet, fasst sich an den Hals) „Meine Güte, ist das scharf! Das tut ja im Hals weh!“

Bewertung des Kochs:

Das ist Tanmen!“ Es folgt eine Reihe von Belobigungen.

Der Gaststar darf anschließend Bilder der Köchinnen auf eine Tafel kleben, um zu bewerten, wie hoch er ihre Kochkunst einschätzt. Das Bild der letzten Bewerberin trägt er nach draußen und legt es auf das Geländer der Treppe an der Laderampe… unterhalb der anderen beiden war kein Platz mehr, und weit weg von der Skala.

Am Mittag beginnt, lange erwartet, endlich das Kulturfest der Uni und um 14:00 die „International Festa“ des Ryûgakusei Centers. Zuvor, um 1300, treffen alle anderen Austauschstudenten ihre Gastfamilien, um sich ihnen vorzustellen. Ich habe das ja bereits hinter mir, also habe ich eine Stunde Zeit, mich umzusehen. Irgendwo höre ich eine mittelmäßig gut singende Metallica Coverband. Aber spielen tun sie wie in der guten, alten „Ride the Lightning“ Zeit. Auf dem Hauptplatz spielt schon wieder eine Punkband. Vielleicht ist es auch die gleiche wie beim letzten Mal. Zumindest spielen sie eine Art Punkrock, der nicht ganz so „punkig“ klingt wie das gestern.

Man findet vor allem viele Stände, wo man alles mögliche zu essen kaufen kann. Ich will jetzt im Einzelnen nicht darauf eingehen, und außerdem habe ich keinen Hunger. Ich gehe ins Mensagebäude, aber nicht zum essen. Dort ist eine der „Attraktionen“ aufgebaut – eine Art Gesundheitsprüfung. Die Studenten, die dafür verantwortlich sind, versorgen ihr Forschungsprojekt auf diese äußerst günstige Weise mit Testpersonen. Eigentlich interessiert mich nur der Apparat, mit dem man die Kraft der Unterarme messen kann. „51 kg Druck“ quetschen meine Hände also zusammen. Im Anschluss werden noch verschiedene andere Dinge getestet, z.B. die Reaktionszeit. Man muss eine Messlatte fangen und dann wird abgelesen, wie viele Zentimeter man verpasst hat. Dann soll ich mit geschlossenen Augen so lange wie möglich auf einem Bein stehen. Dann auf den Stuhl klettern und mit gestreckten Knien meine Fingerspitzen so weit wie möglich unter die Sitzfläche drücken.

Ich bekomme auch ein Pflaster auf den Arm gedrückt, das den Alkoholgehalt meiner Ausdünstungen messen soll, es stellt also fest, wie alkoholgewohnt ich bin. Natürlich gleich Null, weil ich in den vergangenen Wochen kaum Alkohol getrunken habe. Der nächste Test beinhaltet einen Stoffstreifen, auf den man beißen soll. Anhand der Verfärbung kann man eine Aussage über den allgemeinen Zustand der Zahnpflege machen. Auch im positiven Bereich. Den letzten Teststreifen soll man zwischen Zunge und Gaumen festklemmen, im Anschluss sagt die Verfärbung etwas aus über den Tabakkonsum der Testperson aus.

Sie rauchen durchschnittlich viel“, sagt der japanische Student.

Ich habe in meinem ganzen Leben noch nicht geraucht“, sage ich.

A… Are!?!“ („W… Wie!?!“). Er versteht sein Testverfahren und die Welt nicht mehr.2

Als letztes wird der Körperfettgehalt gemessen. Ich liege bei 22,5 %. „Sie haben… ein bisschen zu viel Fett“, sagt er diplomatisch. Ja, das weiß ich auch so. Anschließend überlasse ich meine Daten seiner Statistik. Eigentlich habe ich jetzt Anspruch auf ein Udon (Suppe mit dicken Nudeln) für 100 Yen, aber ich bin immer noch nicht hungrig und will auch vor meinem Auftritt nichts mehr essen. Ich verschiebe das Essen.

Die Zeit ist perfekt gelaufen. Ich brauche nur die Treppe hoch zu gehen, und bin in dem Saal, wo die Vorführungen stattfinden sollen. Eine Menge Leute sind bereits anwesend, über 100 Personen werden es wohl sein. Gleich zu Beginn ein altes Spiel: Die anwesenden Einheimischen erhalten Zettel und sollen sich auf Austauschstudenten stürzen, um deren E-Mail-Adressen und Namen zu erfahren. Die Schlange um mich herum ist lang. Ein Pullover von Heckler & Koch mag noch dezent sein (es weiß auch in Deutschland kaum jemand was mit den beiden roten Buchstaben anzufangen), aber meine kriegerisch gesprenkelten Hosen fallen offenbar sehr auf. Ich gebe meine Daten an Personen im Alter von 8 bis 80 Jahren weiter, aber mir ist sonnenklar, dass es an ein Wunder grenzen dürfte, wenn mir auch nur einer davon schreibt. Die Achtjährige salutiert. Ich bitte sie, das bitte nicht zu machen – diese Zeiten seien vorbei.

Die Koreaner beginnen die Show. SangSu drückt mir seine Kamera in die Hand und bittet mich, Fotos zu machen. Er fällt auch selbst wieder am meisten auf – durch mangelnde Koordination mit dem Rest der Gruppe. Er kommt immer wieder mal aus dem Takt. Er scheint in dieser Hinsicht unverbesserlich, man muss ihn einfach mögen.

Die Koreaner stellen kurz ihr Land vor, ihre Flagge, SungYi trägt ein traditionelles Kostüm, führt eine förmliche Begrüßung und Verabschiedung und die förmliche Sitzweise vor. Alle gemeinsam erklären dann kurz, wie die koreanische Schrift aussieht und wie diese aufgebaut ist.

Danach ist Slowenien dran, vertreten durch Irena. Sie ist so aufgeregt, dass sie die Hälfte von dem Text vergisst, den sie eigentlich sagen wollte, erfahre ich nachher von ihr. Dabei macht sie eigentlich einen sicheren Eindruck und ihr Japanisch ist gut. Aber dadurch wird der Vortrag auch wesentlich kürzer als bei den Proben.

Irena

Dann kommt Marc an die Reihe, in seinem Yukata (eine Art „Kimono Light“) und den viel zu kleinen Sandalen. Er redet kurz über deutsches Essen. Auch er verwendet dazu eine Powerpoint-Präsentation, die mit einem Beamer auf eine Leinwand projiziert wird. Er zeigt Gerichte aus einem deutschen Kochbuch, die ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen habe. Auch ihm merkt man die Aufregung an. Er redet ein wenig schnell, und die Fragen, die er dem Publikum eigentlich stellen will, hören sich eher an, als ob er sie einfach in den Raum stellt, weil er niemanden direkt anspricht. Hm… ich hätte keine Probleme damit gehabt, mir den erstbesten Japaner aus der ersten Reihe auf die Bühne zu holen. Die Frage, warum es in Hirosaki kein Apfelmus gibt, ist nämlich gar nicht uninteressant, denke ich, betrachtet man die großen Apfelplantagen.

Aber dann bin ich endlich dran. Meine Knie jedenfalls fühlen sich wie Apfelmus an. Ich stelle mich vor und meine mit Blick auf meine Hosen und meine Stiefel, dass das doch sicherlich ein wenig zum Fürchten wirke. Murmeln im Zuschauerraum. Aber dem könne man ja abhelfen. Ich drehe mich um und ziehe meinen Pullover aus – „Ore wa Otoko da wa…“ steht auf meinem Rücken. Es wird gelacht. Ich drehe mich wieder zu den Zuschauern hin. „Otokorashii…“ steht auf der Vorderseite, mit Herzchen verziert. Das rosa Hemd mit dem seltsamen Aufdruck verfehlt seine Wirkung nie.

Dann endlich sage ich, was ich eigentlich zu tun gedenke, nämlich das „Palästinalied“ von Walther von der Vogelweide zu singen. Leider mache ich dabei den Fehler, dass Vogelweide offenbar im 12. Deka-Millenium (im 1200. Jahrhundert) gelebt hat, anstatt im 12. Jahrhundert. Peinlich. Aber das passiert, wenn man schneller reden muss, als man denken kann. Ich rede noch ein bisschen mehr, aber ich kann mich nicht erinnern was, bis Sawada-sensei mir zuruft, ich solle (grob übersetzt) „mal in die Gänge kommen“, wie man bei der Bundeswehr so schön sagt. Natürlich hat sie sich höflicher ausgedrückt. Ich schalte das Mikrofon aus und drücke es ihr in die Hand. „Das brauche ich nicht.“ Sie schaut mich sehr ungläubig an. „Doch, wirklich“, bekräftige ich meine Absicht. Also gut, ich trällere los. Mit lauter Stimme. Ohne Fehler in Text und Ton. Auf Althochdeutsch.3 Ich verschwinde in einem Paralleluniversum ohne Bezug zu dem Ort, an dem mein Körper gerade steht. Am Ende danke ich für das Zuhören und gehe ab. Nachdem ich aus der Parallelwelt wieder zurückgekehrt bin, sagt Melanie, dass ich einen ganz tollen Applaus bekommen hätte. Ich kann mich nur nicht selbst daran erinnern…

Meine Stimme wird von verschiedenen anderen Leuten gelobt, und einige junge Damen attestieren mir anschließend, dass ich „kakkoii“ sei. Ich mache also eine coole Figur – ist das nicht toll?

Dann stellt Misi Ungarn vor und singt ebenfalls ein Lied, über den „ungarischen Way of Life“, wie er sagt. Mein Gott, das klingt so melancholisch, dass man die Ungarn eigentlich bedauern müsste. Es klingt irgendwie traurig, aber es hört sich gut an. Und ich hätte auch nicht gedacht, dass Ungarisch eine Sprache ist, die sich mehr nach den rauen kasachischen Steppen (wo die Ungarn offenbar in grauer Vorzeit herkamen) als nach dem gemütlichen Balaton (Plattensee) anhört.

Misi mit Unterstützung

Danach wiederholen die Neuseeländer ihr Maori-Spiel. Es läuft eine Musik, die jeden durchschnittlich gebildeten Menschen eher an Hawaii denken lässt, und die Teilnehmer (in Zweiergruppen auf dem Boden sitzend) werfen sich im Takt gegenseitig Holzstäbe zu, die so groß sind, wie etwa ein menschlicher Unterarm. Jeder hat zwei solche Stöcke in der Hand, schlägt sie mit dem oberen Ende zweimal links neben sich auf den Boden, zweimal rechts neben sich, wirft sie in die Luft, dass sie sich einmal überschlagen, dann schlägt man auf jeder Körperseite einen der Stäbe mit dem unteren Ende auf die Erde und dann wirft man sie dem Gegenüber zu. Das alles ebenfalls im Takt der Musik. Für mich eine Hochleistung an Koordination, denn die Stöcke dürfen nicht auf den Boden fallen.

Digital Camera

Heute tanzt auch FanFan wieder. Nicht mehr ganz so perfekt wie beim letzten Mal, aber dennoch schön anzusehen. Danach noch einmal vier Chinesinnen, die einen chinesischen Popsong singen. Wenn sie kein Mikrofon benutzt hätten, hätte man sie wahrscheinlich nicht gehört. Sie singen ein wenig unsicher, daher leise und anfällig für Tonfehler. Das Lampenfieber nimmt sie zu sehr in Anspruch. Sing like you mean it!

Die Krönung bilden die Thailänder. Die Damen haben in der Tat interessante Namen. Nim, Nan, Nun, Yong, Ii. Das sind natürlich Kürzel. Thailändische Namen in voller Länge tendieren dazu, wahre Monster zu sein, glaube ich. Auch sie stellen kurz ihr Land vor. Nun hat sich in ein traditionelles Kostüm geworfen und führt einen Tanz vor, mit jeweils einer Kerze (Teelicht) in jeder Hand. Sieht sehr ästhetisch aus.

Digital Camera

Melanie lässt von mir im Anschluss ein Bild machen, dass sie zusammen mit Nun zeigt (Nun und Nuhn auf einem Bild also), weil das Kostüm so schön aussieht. Zum Schluss tanzen dann alle Thais in der Gruppe, aber sie gehen runter ins Publikum und fordern Zuschauer dazu auf, mitzumachen. Ein wirklich interessanter Anblick. Ein kleiner Tanzkreis vor der Bühne und ein größerer in der Mitte des Raumes. Leider kann man ohne diesen Kontext auf meinem eigenen Foto nicht gut erkennen, was da gerade gemacht wird und warum ich es fotografiere…

Digital Camera

Ich unterhalte mich während der Zeit mit drei Oberschülerinnen, die aus reiner Neugier hergekommen sind und auch bereit waren, den Eintrittspreis von 500 Yen (also doch keine 1000) zu zahlen. Sie bleiben die ganze Zeit treu bei mir, während ich den Tisch vor mir von dem darauf aufgestellten Essen „säubere“. Eine Kiste Windbeutel habe ich bei der Gelegenheit wohl alleine gegessen, bis auf einen, der in der Handtasche einer Oberschülerin verschwindet.

Natürlich will ich ihre Meinung zum japanischen Schulwesen hören und erläutere die gängige Meinung in Deutschland. Sie könnten diese Meinung nicht teilen, sagen alle drei und finden eher lustig, was ich ihnen über die Meinung der Deutschen erzähle. Die Schule sei natürlich anspruchsvoll, aber auch „tanoshii“ (also zumindest „unterhaltsam“, bis hin zu „lustig“). Ihnen scheint die Sache Spaß zu machen. Wer nicht gerade auf eine Eliteuniversität wolle, habe bei weitem nicht so viel Stress, dass man sich deswegen gleich umbringen müsse.

Nach der Festa sehe ich mich noch ein wenig um, entdecke aber nichts spannendes mehr. Die Festa ist um 16:00 beendet – und der Rest vom Fest um 17:00. Dem entsprechend leer waren auch die Stände, wo es vor kurzem noch was zu essen gab. Ich hätte doch gerne mal das Takoyaki (gebratener Oktopus in Teigmantel) probiert. Obwohl ich eigentlich schon wieder gar keinen Hunger mehr habe.

1 Sie erhalten auch kein Rezept; es geht ausschließlich um Unterhaltung durch die Darstellung (realer) Unfähigkeit. Die jungen Damen wissen natürlich, was sie erwartet, was das Publikum von ihnen erwartet, und dass ihr Konzern von ihnen erwartet, den eigenen Verkaufswert zu steigern. Wegen dieses Prinzips werden in Japan auch grundsätzlich nur Stars und Sternchen in Fernsehsendungen eingeladen und nicht etwa Jens Jedermann oder Erika Mustermann, wie das u.a. in Deutschland üblich ist.

2 Wegen meines empfindlichen Magens habe ich ständig Belag auf der Zunge, der sich nicht wegbürsten lässt; das mag die Ursache der Verwirrung gewesen sein.

3 Grundlage für mein Stück war übrigens die Version von In Extremo.