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Aus dem noch unerforschten Inneren meines Schädels

25. November 2015

Die Fracht am Rhein (Teil 9)

Filed under: Arbeitswelt — 42317 @ 20:00

Wenn ich nicht bald umzöge, müssten wir uns also was anderes überlegen…
Man mag Rama für seine Rhetorik kritisieren, aber ich muss auch einwerfen, dass die beiden trotz der Probleme bei der Umsetzung ihres Vorhabens, ein dreibeiniges Dispoteam einzuführen, mein Gehalt, wie im Dezember des Vorjahres besprochen, bereits im Februar angehoben hatten, und zwar um 200 Euro auf 1450 Euro Nettogehalt. Sie hatten damit einen wichtigen Teil der Abmachung eingehalten, also verstärkte ich meine Bemühungen um einen Umzug nach Koblenz.
Wegen der Arbeitszeiten – ich verließ das Haus um Viertel nach Drei morgens und kam zwischen sechs und sieben Uhr am Abend wieder zurück – gab ich meiner Freundin ein paar Vorgaben, nach denen sie bitte nach freien Wohnungen suchen sollte.

Ich wollte nicht mehr als 600 E Warmmiete zahlen,
im Umkreis von 30 Fahrminuten um das Depot herum,
Erdgeschoß oder bestenfalls erster Stock (wegen des erforderlichen Aufwands beim Einräumen),
wegen des Hitzestaus auf keinen Fall eine Dachgeschoßwohnung,
mindestens 3ZKB,
mindestens 60 Quadratmeter.

Die Wohnung in Trier hatte 45 Quadratmeter und war in diesem Feld zumindest nicht schlecht, aber auf Grund negativer Ereignisse in meinem Privatleben musste ich meine angesammelten Besitztümer, die ich nicht kurzfristig und auch nicht für das Studium in Trier gebraucht hatte, aus meinem Elternhaus nehmen. Der Gedanke, dass die Bücher, die ich im Laufe der vergangenen 20 Jahre gesammelt hatte, im Keller modrig werden würden, verstörte mich. Eine größere Wohnung musste her.

Es fanden sich ein paar auf den ersten Blick interessante Angebote, aber die meisten schieden auf den zweiten Blick aus: Zu abgelegen, Kleinstädte im Kreis Mayen-Koblenz waren zu weit draußen. Dass ich von dort aus meinen Arbeitsplatz gut erreichen konnte, war schön und gut, aber meine Freundin würde ihren Minijob in Konz aufgeben und eine irgendwie geartete Stelle im Bereich den neuen Wohnorts finden müssen. Das erschien uns zu schwierig, denn sie hatte keinen Führerschein und auch kein eigenes Auto: Mayen ist in dieser Hinsicht “irgendwo in der Pampa”. Es musste etwas in Stadtbusentfernung zum Koblenzer Stadtzentrum sein, denn die Voraussetzung für Führerschein und Auto war zunächst einmal ein Vollzeitjob.

Aber wir hatten Glück: Eine Anzeige passte zu den von mir gesteckten Kriterien. Die Wohnung befand sich in einem Koblenzer Vorort, nur sechs Kilometer östlich vom Stadtzentrum entfernt. Ich verabredete einen Termin mit der zuständigen Dame und erhielt von Peter die Erlaubnis, nach der Tour hinzufahren.
Die Zimmeraufteilung gefiel mir sofort ebenso gut wie das historische Erbe, aber ich will nicht weiter darauf eingehen, weil man meine Adresse sonst mit zwei bis drei Mausklicks herausfinden kann. Bis in die 1980er Jahre hinein befand sich eine Kneipe darin, dann eine Filiale der Sparkasse. Das Wohnzimmer hat einen entsprechend ungewöhnlichen Grundriss, es mutet in leerem Zustand wie eine Miniturnhalle an und macht knapp die Hälfte der Wohnfläche aus. Die Küche hat eine angenehme Größe, bei der Toilette handelt es sich um einen Tiefspüler, und zwischen Wohnzimmer und Schlafzimmer befindet sich ein kleiner Zwischenraum, gerade so groß, dass es für meine Bücher und meinen Computertisch reicht. Die Wände im Wohnzimmer sind ocker-orange gestrichen, im Schlafzimmer rot, und meine Nase an der Strukturtapete einer Wand sagt eindeutig: Nichtraucherhaushalt. Auch wichtig: Die Rollos sorgen bei Bedarf selbst am Tag für eine angenehme Dunkelheit.
Ein paar ästhetische Punkte blieben zwar erst einmal, zum Beispiel waren Ausbesserungen an der Ostwand des Schlafzimmers durchgeführt, aber nur mit Rigips abgedeckt worden. Da musste noch Tapete ran.
Der Rollo in der Küche war äußerst stümperhaft angebracht worden: Beim Bohren der Löcher war der “Handwerker” auf den Hohlraum des ehemaligen Rollladenkastens gestoßen und hatte es dabei bewenden lassen, in Folge hing die Befestigung rechts de facto an einer einzigen Schraube. Wenn man nicht mit bewusster Vorsicht die Jalousie herunterließ, kam einem die ganze Rolle entgegen.
Außerdem sah man noch Reste einer, sagen wir: “eigenwilligen” LAN-Verkabelung der Vormieter, die über der Bodenleiste an die Wand getackert worden war. Über die Qualität der Internetverbindung konnte die Vermieterin keine Aussage machen, das wisse sie nicht. Das konnte ich zwar nicht recht glauben, aber so nahe an der Stadt hoffte ich einfach das Beste.
Ich besprach mich im Anschluss kurz mit meiner Freundin und sagte wenige Tage später zu. Der Vertrag kam zu Stande, nachdem ein Interessent, der sich früher als ich auf die Anzeige gemeldet hatte, abgesprungen war. Die Vermieterin zeigte sich bass erstaunt, dass meine Freundin die Wohnung angenommen hatte, ohne sie je gesehen zu haben.

Arbeitstechnisch nahmen derweit ungute Dinge ihren Anfang. Peter regte sich eines Morgens über Stranski auf, der sei ein Lügner und er wolle ihn entlassen. Was war geschehen? Stranski hatte sich (vorgestern) krank gemeldet. Er habe sich beim eiligen Aussteigen den Fuß zwischen Bordstein und Fahrzeug verklemmt, sei gestürzt und habe einen Teilbruch am Fußgelenk erlitten – just in der Woche, für die sein Urlaubsantrag wegen einer Überschneidung mit einem Kollegen abgelehnt worden war. Peter glaubte nicht an einen Zufall (wie das allen Unternehmern in womöglich nicht nur dieser Branche eigen ist), und weiter angefeuert wurde sein Ärger, als er (gestern) unangemeldet bei Stranski vor der Haustür erschienen war, um den Krankenschein persönlich abzuholen. Er erzählte, Stranski sei selbst und ohne ersichtliche Probleme zur Tür gekommen und habe auch keine Gehhilfe verwendet, und habe ausgesagt, der Fuß sei bis dato nur geschient und werde morgen vergipst.
Ich sprach mich dafür aus, Stranski eine Chance zu geben, denn schließlich seien wir medizinische Laien und könnten die Situation nicht beurteilen, und die Überschneidung mit seinem Wunschurlaub könnte in der Tat Zufall sein. Peter hielt sich zurück und Stranski war einige Tage später wieder da.

Die nächste Krise ließ aber nicht lange auf sich warten. Peter sagte, dass er nach einer Überprüfung der Tankrechnungen zu dem Ergebnis gekommen sei, dass Stranskis Bus signifikant mehr Sprit verbrauche als üblich und in Stranskis Facebook-Einträgen Hinweise darauf sehe, dass Stranski “schwarz” Diesel verkaufe. In Unkenntnis der genauen Zahlen und ohne Wissen um den Wortlaut der Facebook-Einträge wies ich darauf hin, dass der Sprinter – immerhin ein ganz neuer – ein technisches Problem haben könnte, das sei nicht auszuschließen. Ich gab auch zu bedenken, dass Stranski unser bester Fahrer war. Ich hatte dabei das “Three-Strike” System im Hinterkopf, nach dem jeder auch eine zweite Chance verdiente, aber ich drückte mich anders aus, ich weiß nur nicht mehr, was genau ich sagte. Peter jedenfalls ließ sich auch dieses Mal überzeugen und Stranski blieb im Dienst.

Der “Third Strike” kam im Herbst – ich greife hier vor, um die Geschichte zusammenhängend zu Ende bringen zu können. Ich hebe an dieser Stelle hervor, dass ich die folgenden Vor- und Zusammenhänge nur von der Anklägerseite kenne, da Stranski wegen ebenjener Geschehnisse von einem Tag auf den anderen nicht mehr kam. Magnus hat ihn eine Weile später zufällig in Landscheid getroffen, wo er neuerdings wohne und nur erzählt, dass Stranski eine ganz eigene Version der Geschichte hatte, allerdings ohne auf Details einzugehen.
Stranski war also, laut Arbeitgeberauskunft, nachmittags wegen einer Routineangelegenheit (vielleicht Ölwechsel) mit seinem Fahrzeug in der Werkstatt gewesen und der Mechaniker Yuri bemerkte zum Feierabend, dass sein Werkzeugkasten fehlte. Auf Stranskis Facebookseite erschien kurz danach ein Eintrag, in dem er ein Foto seiner zur Werkstatt umfunktionierten Garage zeigte, mit dem Hinweis, dass “sein Reich” nun “endlich komplett” sei. Yuri glaubte seinen Werkzeugkasten als Detail im Hintergrund erkennen zu können und Rama fuhr zu Stranski, um ihn zu bitten, ihm, in Anspielung auf den Kommentar, sein Reich doch mal zu zeigen. Stranski tat dies bereitwillig, Rama besah sich den Werkzeugkasten und fand darin, so seine Aussage mir gegenüber, Yuris Namen, den dieser zur Kenntnisnahme seines Privateigentums (zur Abgrenzung zum Firmeneigentum) darin hinterlassen hatte. Diesmal fand ich keine Argumente, weil ich davon ausgehen musste, dass Rama und Yuri sich diese Geschichte nicht aus der Nase zogen, und die Theorie, dass man sich verschworen habe, um Stranski was anzulasten, um ihn fristlos rausschmeißen zu können, wollte nicht in mein Vorstellungsvermögen passen.

Die Firmenleitung sah Stranski also des Diebstahls überführt und schickte ihm die sofortige Kündigung. Sein Wegfall brach meiner Arbeitsmoral quasi das Genick, die unter den unbarmherzigen Arbeitszeiten schon sehr gelitten hatte. Denn zum einen war sein Nachfolger weder in der Lage noch willens, die gleiche Arbeitslast zu stemmen, was mir mehr als eine zusätzliche Stunde Arbeit am Tag in Bitburger Dörfern bescherte, aber, und das war ja herausragend, vor allem hatte sich meine Hoffnung auf Mitwirkung in einem Dispoteam völlig zerschlagen. Ohne Hoffnung auf Besserung arbeitet es sich nur halb so gut. Spätestens ab diesem Zeitpunkt verschwand meine Freude am Fahren und ich stand in der Tat morgens auf mit dem einzigen Wunsch, der Tag möge ohne bedeutende Hindernisse schnell vorbeigehen.
Das ist eigentlich der Zeitpunkt, zu dem ich jedem empfehle, sich einen anderen Job zu suchen.

Ein nerviges Hindernis stellte der Verlust eines Teils meines völlig verrosteten Endrohrs während der Zustellung in Trier dar. Ja, man hatte mich bedarfsgemäß mal wieder woandershin geschickt. Wie dem auch sei: An einem stark verregneten 20. Juni, es goss wie aus Kübeln, fiel mir in der Zurmaiener Straße plötzlich ein verdächtiges und schleifendes Geräusch vom Unterboden her auf. Ich hielt sofort an, etwa auf Höhe der Jugendherberge, und guckte unters Auto. Klarer Fall, das Endrohr war direkt hinter dem Turbo durchgerostet, worauf es sich mangels Spannung aus den Gummihalterungen gelöst hatte und mit dem hinteren Stück auf die Straße gefallen war. Eine Art Metallgewebe an der Bruchstelle verhinderte, dass das Teil komplett abfiel. Was tun? Ich telefonierte mit Peter, der mir riet, die nächste Werkstatt aufzusuchen, um das Rohr vollständig zu lösen, damit ich es nicht weiter hinter mir her schleifte. Wegen der räumlichen Nähe wählte ich ATU im Wasserweg. Dann telefonierte ich mit der Werkstatt, von wo aus sich jemand mit einem Ersatzfahrzeug auf den Weg machen würde.
Der ATU-Mechaniker traute seinen Augen nicht recht, mit was ich da herumfuhr und durchtrennte das Stahlgewebe mit einer Drahtschere, wobei mir auffiel, dass ich das hinterste Teil des Endrohrs, das Teil hinter dem Schalldämpfer, auf dem Weg hierher irgendwo auf der Straße verloren haben musste, dort hatte der Rost sich der Vibrationen nicht mehr erwehren können. Diese Dienstleistung wurde mir nicht in Rechnung gestellt, was ich schon mal nett fand.

Nach knapp zwei Stunden, die ich dösend auf dem Parkplatz des Firmengeländes verbrachte, tauchte mein bestellter Mechaniker auf (ich habe ihn zu Beginn der Beschreibungen meiner Fahrertätigkeit einfach als “Mechaniker 2” bezeichnet und dies nie durch einen Decknamen ersetzt), um das Ersatzfahrzeug zu übergeben, und das hieß, dass wir die Autos quasi Hintern an Hintern parkten, um beim Umräumen der verbliebenen Pakete so wenige Wasserschäden wie möglich zu verursachen, was natürlich weitere Zeit in Anspruch nahm. Es würde mal wieder ein langer Tag werden. Seine Theorie widersprach der meinen und erschien mir als Laien völlig abstrus: Das Endrohr habe sich aus seinen Verankerungen gelöst, worauf die Vibration das Ablösen des Endrohrs hinter dem Turbo verursacht habe. Das machte nach meinem Ermessen keinen Sinn, aber er gehörte zu den Leuten, die ihre einmal gewonnenen Überzeugungen nur sehr schwer wieder aufgaben.

An dieser Stelle weist mich meine Zettelnotiz auf meine Begegnung mit dem Präsidenten der Fachhochschule Trier hin, das heißt, das war wohl auch im Juni 2013. Ich war aus den üblichen Gründen – maßlose zeitliche Überlastung – sehr spät dran und kam wegen konkreter Expresstermine und eindeutigen Warenannahmezeiten (Real z.B. macht gnadenlos um 13 Uhr dicht) erst am späteren Nachmittag zur FH. Die Temperaturen waren angenehm, aber der Himmel war grau bewölkt. Wenn ich mich recht erinnere, hatte ich etwa ein Dutzend Pakete, darunter Ware von Elektronikversendern. Die Poststelle war bereits verwaist, das Kellerfenster mit der Warenrutsche fest verschlossen. Um die Ware irgendwie loswerden zu können, ging ich vom Keller die Treppe wieder hoch in den Verwaltungstrakt, fand aber auch dort nur leere Büros vor – bis auf das letzte. Nur der Chef persönlich war noch da. Mein Hierarchiebewusstsein sagte mir, dass das heute nichts mehr werden würde, aber auf meine Anfrage hin erklärte sich der Präsident bereit, eine Unterschrift zu leisten und half auch noch höchstpersönlich beim Abladen. Da war ich doch erstaunt und vermerkte auf meinem Notizzettel den Begriff “FH-Präsi” (nur leider ohne Datum).

Zu meinem “Ausflug” mit Magnus in die Röntgen- und Strahlentherapieabteilungen komme ich beim nächsten Mal. Hoffentlich bald.