Code Alpha

Aus dem noch unerforschten Inneren meines Schädels

15. Juli 2024

Donnerstag, 15.07.2004 – Unter den Rasen gespült

Filed under: Bücher,Japan,Militaria,My Life,Spiele,Sport,Uni — 42317 @ 7:00

Yamazaki gelingt heute ein wirklich interessanter Unterricht, nachdem er uns einen kurzen Aufsatz über die gängigen Sportarten in Japan vorgestellt hat. Natürlich handelt es sich dabei um Fußball, Baseball und Sumo. Und weil uns gerade Sumo interessiert, legt er uns dar, wie z.B. die Rangfolge der Kämpfer organisiert ist und was es mit Phänomenen wie fliegenden Sitzkissen auf sich hat. Wir haben gestern Abend im Gastraum bei Daijô-san am Fernseher das aktuelle Sumo-Turnier gesehen, und dabei gerade einen Kampf des hierzulande hochberühmten (mongolischen) Yokozuna Asashôryû beobachten können. „Yokozuna“ ist nicht sein Name, sondern sein Titel, und es ist der höchste in der Hierarchie. Bei der beobachteten Gelegenheit verlor Asashôryû allerdings gegen einen Kämpfer, der hierarchisch unter ihm eingeordnet ist (was ja fast alle sind, wenn er zur Spitzengruppe gehört), und bei eben dieser Gelegenheit, wenn ein Yokozuna von einem Rangniederen besiegt wird, wirft das Publikum die Sitzkissen in den Ring, um der Überraschung Ausdruck zu verleihen. Den meist lachenden Gesichtern war dabei nicht zu entnehmen, dass es sich um die japanische Form des Ausbuhens handeln könnte. Es scheint sich eher um Volksbelustigung zu handeln.

Nach dem Unterricht setze ich mich ins Center und spiele eine Runde StarCraft. Ning setzt sich daneben und sieht eine Weile zu. Dann sagt er „Komm, wie spielen eine Runde gegeneinander!“ Ich habe nichts dagegen. Dazu müssen allerdings erst die entsprechenden Netzwerkprotokolle installiert werden. Fünf Minuten später legen wir dann los und weitere 15 Minuten später wischt Ning mit mir das Schlachtfeld auf, noch bevor meine Aufbauphase so richtig beendet ist. Ich habe noch nie im Leben Finger so schnell über eine Tastatur fliegen sehen – der Kerl ist ein Profi! Er kennt die Keyboard-Befehle auswendig und muss nicht mehr auf die Tasten sehen, wenn er einen Befehl zum Bauen oder Forschen oder Angreifen geben will. Er sagt, er spiele intensiv seit etwa zwei Jahren, auch auf Online-Turnieren. Na Mahlzeit… dann weiß ich ja, mit wem ich nicht mehr in den Ring steigen muss. Ich weiß schon, warum mir rundenbasierte Spiele lieber sind… da habe ich Zeit zu überlegen und muss nicht im Blitztempo alles möglichst gleichzeitig und in der richtigen Reihenfolge machen. Das ist mir zu stressig. Ning weist mich daraufhin an, was man am günstigsten in welcher Reihenfolge unternimmt. Ich kann es nachvollziehen, aber mir ist klar, dass der erste Schritt zur wahren Meisterschaft darin besteht, die Tastaturbefehle auswendig zu lernen. Ich habe mit meiner Zeit allerdings besseres vor, und ich habe auch nichts dagegen, ein reiner Spaß-Spieler ohne Turnierambitionen zu bleiben.

Ich gehe zur Post, um ein seit einiger Zeit fälliges Päckchen abzuschicken. Auf dem Rückweg treffe ich Prof. Philips in einem ungewohnt bunten und gemusterten Hemd, das er sich schon gar nicht mehr in die Hose steckt, und ich unterhalte mich eine Weile mit ihm. Mich interessiert dieser Tage die Frage, wie es möglich war, dass eine zahlenmäßig unterlegene Truppe von arabischen Wüstenreitern die Stadt Alexandria einnehmen konnte, die von 50000 Berufssoldaten und der imperialen Flotte verteidigt wurde.
Er erzählt viel – allerdings ohne viel zu sagen oder die Frage zu beantworten – und wir machen es uns in seinem Büro gemütlich (soweit das in seinem voll gestopften Büro geht). Die Rolle der christianisierten Nubier (aus dem Gebiet des heutigen Sudan) bei der Verzögerung des arabischen Vormarsches in Nordafrika ist zwar sehr interessant (die Araber nannten sie „Die den Pfeil in die Augen schießen“), aber das ist alles sehr viel strategischer als das, was ich wissen wollte. Aber er nennt mir den Namen eines arabischen Historikers aus dem 15. Jh., der wohl etwas darüber geschrieben hat. „Ibn Khaldun“ heißt der Mann und ich habe seinen Namen noch nie gehört. Aber das ist natürlich nicht weiter verwunderlich. Abgesehen von der Tatsache, dass ich historisch nicht allwissend bin, scheint es mir, dass man in Deutschland überhaupt kaum arabische Autoren liest oder zum Studium anbietet. Dabei hatten auch die ihre guten Zeiten und haben bedeutende Werke verfasst. Ibn Khaldun z.B. wird von Kennern auch als der erste Sozialforscher bezeichnet, da er offenbar sorgfältige Studien zu diesem Thema verfasst hat. Aber wenn ich die Bücher in der Abteilung für Geschichte betrachte, dann sehe ich dort in erster Linie Europäer und Amerikaner.

Ich muss also das Büro des Professors vorerst reichlich unbefriedigt wieder verlassen, aber ich werde mich mal nach den genannten Quellen umsehen, sobald ich wieder zuhause in Deutschland bin.[1] Die Bibliothek der Universität Hirosaki ist geradezu lachhaft. Dabei dachte ich, dass bereits Trier nur eine dürftige Bibliotheksgröße aufweise.


[1] Die Biografie der byzantinischen Kaiserin Theodora, der Frau Kaiser Justinians, geschrieben von Anthony Bridge (1978), gibt darauf eine interessante Antwort: Innerreligiöser Konflikt und Verfolgung entfremdeten die christlich-monophysitischen Bewohner der östlichen und südöstlichen Provinzen von der christlich-orthodoxen Elite in Byzanz und trieben sie den muslimischen Arabern in die Hände, denen es reichlich egal war, auf welche Art und Weise die christlich gesinnten Untertanen ihren Gott anbeteten, solange sie Ihre Steuern zahlten.

3. Mai 2024

Sonntag, 02.05.2004 – SPAM

Filed under: Bücher,Japan,My Life — 42317 @ 12:58

Auch heute hat die Bibliothek geöffnet und ich nehme das Angebot natürlich wahr. Der Bericht über den 25.04. steht heute an und er wird sieben Seiten lang. Er offenbart auf wunderbarste Weise meine Interessen in einer Jahreszeit, wo andere die Schönheit blühender Kirschbäume besingen und unsagbar viele Fotos davon machen. Ich glaube, ich selbst habe vielleicht ein halbes Dutzend Bilder von Bäumen gemacht, wenn ich großzügig schätze. Kirschbäume habe ich auch zuhause, zwei davon in Steinwurfweite hinterm Haus, und die Eigenschaft der japanischen Bäume, ohne grüne Blätter zu blühen, stellt für mich keine ästhetische Glanzleistung dar. Für mich gehört Laub dazu. Es sieht einfach natürlicher (= „schöner“ für meine Begriffe) aus, auch wenn ein „Tunnel“ aus Kirschblüten im Park schon etwas Besonderes ist. Dennoch ist ein solcher Tunnel „künstlich“ – und dieser Begriff hängt sowohl mit „Kunst“ als auch widersprüchlich mit „Natur“ zusammen.

Der Bericht schreibt sich ziemlich flott und ich habe sogar noch Zeit, mich im Animetric Forum umzusehen und auch eine Blitz-Runde Combat Mission zu spielen, bevor ich mit Melanie nach Hause gehe. Allerdings sind noch ein paar Einkäufe zu machen, und ich muss das längst überfällige Bad putzen, während Melanie sich um das Essen für die nächsten beiden Tage kümmert. Kartoffelsalat sollte Zeit zum ziehen haben.

Ich besorge mir im BenyMart eine Dose SPAM. Dieser Mailaccount-Albtraum von heute ist die gepresste Dosenwurst von gestern. Ich finde allerdings noch nicht die Gelegenheit, mein SPAM zu verspeisen. Die Dose wird sich ganz hervorragend in meinem Regal machen. Wer hat schon eine SPAM Dose? Natürlich sieht sie so langweilig aus wie andere Wurstdosen auch, aber diese Wurst heißt halt SPAM.

Ich lese schließlich den Latour weiter. Habe ich bereits erwähnt, dass ich die Schreibkunst dieses Mannes bewundere? Seine Darstellung der Vorgänge und Verhältnisse auf dem Globus zwischen Kabul und Tel Aviv vermitteln den (wahrscheinlich durchaus realistischen) Eindruck, dass dauerhafter Frieden und Demokratie nur schöne Rhetorik bleiben und internationalen Wirtschaftsinteressen zum Opfer fallen werden. Das ist sehr ernüchternd, aber doch fesselnd geschildert und garniert mit seinen Erfahrungen aus dem vergangenen halben Jahrhundert, von denen er nur seine Zeit als Chefredakteur des STERN bedauert, wie man aus den Zeilen herauslesen kann. Schließlich döse ich aber immer öfter ein und gehe lieber schlafen.

28. April 2024

Mittwoch, 28.04.2004 – Nicht nur Rache ist süß…

Filed under: Bücher,Japan,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

Es regnet… ja, ja… und dann muss auch noch Mittwoch sein! Wegen der wieder geschrumpften Teilnehmerzahl (minus Misi und minus den Koreaner, der keinen Platz mehr fand) beschließt Ogasawara-sensei, den kleinen Saal weiter zu benutzen und auf den übergroßen Hörsaal zu verzichten. Mir allerdings wäre der Hörsaal heute lieber, weil Tei direkt neben mir ganz gewaltig nach seinem gut und vor allem chinesisch gewürzten Abendessen riecht. Der Geruch hängt im ganzen Raum und macht sich in meinem Magen bemerkbar. Das Fenster? Ja, das muss leider geschlossen bleiben, weil Melanie sonst friert, und erstunken ist ja angeblich noch keiner. Aber wenn ich noch ein paar Minuten länger als die Unterrichtsdauer hier hätte sitzen müssen, hätte ich mich übergeben müssen. Ich sage ja nicht, dass es fauliger Mundgeruch gewesen wäre… dieses eingelegte Gemüse schmeckt hervorragend, aber man bekommt die Rückstände nicht so schnell wieder aus dem Hals und aus diesem riecht es dann am Folgetag ganz gewaltig auf eine erdrückend exotische Art und Weise.
Mei ist heute nicht da… ich nehme an, dass sie mit FanFan zu der Teezeremonie gegangen ist.

Kondô eröffnet uns, dass er das angefangene Lehrbuch nicht weiterverwenden werde, weil es zu langweilig sei. Ich finde das Buch eigentlich gar nicht so langweilig – wenn auch nicht gerade spannend. Das, was wirklich langweilig ist, ist das Vorlesen der Texte während des Unterrichts, das meiner Meinung nach ausschließlich dem Totschlagen von Zeit mangels ausgearbeiteter Inhalte dient. Wir bekommen von ihm drei Themen zur Auswahl, über die Referate gehalten werden sollen. Straßenbau, Landwirtschaft, Finanzwesen. Ich entscheide mich für Straßenbau (Differenzen von Gesetzgebung und Praxis bezüglich der Autobahnfinanzierung, um genau zu sein) und Misi steigt mit ein. Nach der Themenvergabe lässt sich Kondô-sensei entschuldigen und sagt, dass er sich mit einigen Professoren aus Tokyo treffen wolle. Soll mir Recht sein – ich persönlich zahle ja keine Gebühren für den Unterricht.
Ich habe also Zeit, im Center meine Post zu bearbeiten und treffe Mei dort, die meine Vermutung bezüglich ihrer Abwesenheit bestätigt. Sie sagt, es sei interessant gewesen, ohne das weiter auszuführen. Ich bohre auch nicht nach, da ich persönlich der Teezeremonie überhaupt kein Interesse entgegenbringe.

Hugosson redet heute speziell über Non-Governmental Organizations (NGOs) und Non-Profit Organizations (NPOs) in Schweden – weil er sich dort am besten auskennt. Er teilt sie in Stiftungen, Kooperativen, Genossenschaften und… wie ich „Mutuals“ übersetzen soll, ist mir nicht klar. Ich kenne den Begriff nur als Adjektiv in der Bedeutung „gegenseitig“, aber als Nomen habe ich „mutual“ noch nicht gesehen.

Danach gehe ich ins Center zurück und schreibe einen Bericht, den ich mangels „Weltchronik“ Daten noch nicht versende. Währenddessen unterhalte ich mich mit Chris, dem Chilenen mit dem akzentfreien Englisch, dem ich vor einigen Tagen die Bedienung des Computers erläutert habe. Er studiert Medizin und hat sich, ohne irgendwelche Vorkenntnisse der Sprache, für das Hirosaki-Stipendium beworben, weil er von zuhause wegwollte. Er habe kein spezielles Interesse an Hirosaki oder Japan, er wollte einfach mal raus.
Misi sitzt gegenüber von dem Ägypter Baqr auf der Couch, MinJi an dem Computer direkt neben der Tür. Hastige Bewegungen dort erregen meine Aufmerksamkeit. MinJi unterhält sich anfänglich mit einer weiteren Koreanerin, die sich offenbar dafür interessiert, was da auf dem Bildschirm geschrieben steht, aber MinJi hält ihren Monitor mit beiden Händen zu, schiebt die Mitleserin immer wieder weg und kichert dabei. Verlegen? Misi hat das natürlich ebenfalls bemerkt. Ich sehe zu ihm herüber und sage: „Ich bin sicher, wenn man sie anbeißt, schmeckt sie süßlich.“ Ihr Verhalten spricht auf jeden Fall für diese metaphorische These, von der ich mich nicht distanziere, auch wenn sie nicht frei von Sexismus ist. Außerdem ist MinJi des Englischen nicht mächtig (was ich in dieser Situation nicht bedauere). Misi sieht mich an und grinst. Was sollte er auch sonst tun?
Als das Center schließt, gehe ich in die Bibliothek, die übrigen Herren folgen. Natürlich habe ich vergessen, meinen eben geschriebenen Text auch mit in die Bibliothek zu nehmen, um die fehlenden Daten für den Versand einzufügen… Aber immerhin ist der Text schon mal geschrieben.
Ich spiele einen Zug gegen Frank, der mir erste Verluste einbringt: Der OG Krämer wird auf seiner Erkundungsfahrt im Stadtgebiet von einem britischen Spähpanzer erschossen.

Ich gehe nach Hause und genieße den Abend, indem ich in meinem Latour lese. Was steht da geschrieben? Der Mann war bereits in Vietnam Kriegsberichterstatter und hat sogar den Schlamm des erst viel später berühmt gewordenen „Hamburger Hill“ live erlebt. Und 1951 war er in Indochina und hat die Fremdenlegion begleitet. Gar nicht schlecht. Ich habe das Gefühl, dass er deshalb spürbar auf die Generation von Wehrdienstverweigerern herabblickt, die derzeit das Sagen hat: George Bush, der (als Nationalgardist) „Texas gegen den Vietcong verteidigte“, ist damit ebenso gemeint wie die rot-grüne Riege Deutschlands, die sich vor gar nicht allzu langer Zeit noch mit dem Motto „Frieden schaffen ohne Waffen“ schmückte. Ich kann es mir heute erlauben, bis in die Nacht zu lesen, da morgen ja „Midori no Hi“ ist, „Grüner Tag“, und ich interpretiere: „Umwelttag“. Es findet kein Unterricht statt. Dennoch hoffe ich, dass die Bibliothek geöffnet hat, weil ich keinen gegenlautenden Anschlag an der Tür gesehen habe.

11. April 2024

Sonntag, 11.04.2004 – Brisantes Material

Filed under: Bücher,Filme,Japan,My Life,Sport — 42317 @ 7:00

Heute ist der letzte Tag vor Beginn des Unterrichts und ich nehme für Volker die „Go“ Sendung auf. Das heißt, Melanie drückt gerade auf den Knopf, als ich aus der Dusche komme. Leider zwei Minuten zu spät. Ich hoffe, Volker kann das entbehren. Aber ansehen will ich mir die Sendung nicht. Ich spiele gerne Go, auch wenn ich ein miserabler (weil planloser) Spieler bin, aber anderen beim Spielen zuzusehen, finde ich schlicht zum Gähnen.

Ich beginne mit dem Buch „Herrscher im Reich der aufgehenden Sonne“ von Peggy und Sterling Seagrave und merke bald, dass ich nicht lange daran haben werde. Es liest sich sehr schnell. Eigentlich dachte ich, dass es sich dabei um eine Biografie ausschließlich des Shôwa Kaisers handele, aber es geht um das japanische Kaiserhaus seit Beginn der Meiji-Ära anno 1868 im Allgemeinen. Ich fühle mich nicht in der Lage, die wissenschaftliche Genauigkeit und die Grundlagen dieses Buches zu beurteilen, deswegen möchte ich wegen der Brisanz des Inhaltes auf einen Kommentar lieber noch verzichten. Einige Grundlagen des Geschichtsunterrichts in Bezug auf Japan werden darin mehr oder weniger über den Haufen geworfen und auf neue Beine gestellt, und ich will erst ein paar Fachleute befragen, um zu ermitteln, was ich davon zu halten habe.[1]

Zwischendurch wasche ich drei Maschinen Wäsche, was die Sammelkörbe entleert. Allerdings ist das Wäschewaschen heute nicht so ganz einfach. Ich habe mir während der Sporteinlage am Freitag die Sehnen am Ellenbogen wohl gewaltig verbogen. Die Muskeln, die daran hängen, sind stark verkrampft und ich kann die Unterarme kaum bewegen. Ich laufe rum wie C3PO. Man sollte eben trotz Aufwärmens keine 20 kg schweren Hanteln aus gestreckter Armposition heben. Zumindest nicht sechzig Mal in Folge…

Wir sehen uns abends „Tomb Raider 2“ an. Melanie hatte diese Eingebung. Netter Film, das Englisch von Till Schweiger ist zum Schreien deutsch. Aber weitere Tinte dafür aufzuwenden, wäre Verschwendung.


[1] Ich habe dazu mehrere Spezialisten für japanische Geschichte per E-Mail befragt und nur eine Antwort von einer deutschen Professorin erhalten. Diese erklärte mir lapidar, dass Mr. Seagrave ja „nur TIME LIFE Journalist“ sei, dessen Schrifttum man als Wissenschaftler nicht ernst nehmen könne – als ob die Heiligen Hallen der Wissenschaft die Quelle aller Wahrheit wären!

24. März 2024

Mittwoch, 24.03.2004 – Zeugnistag

Filed under: Bücher,Japan,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

Ich gehe mal wieder an mein Postfach im Sekretariat meiner Fakultät und finde mein Zeugnis vor. Aha… die Sprachkurse habe ich bestanden (ich muss annehmen, dass mich meine Mitarbeit im Unterricht über die 60 % Marke gerettet hat), für die Seminare „Kulturgeschichte von Tsugaru“ und „Einführung in das Studium des Buddhismus“ habe ich sogar eine A-Note bekommen. Für das Literaturseminar habe ich natürlich keine Note bekommen, weil ich die Hausarbeit nicht geschrieben habe. Dennoch habe ich die 14 Leistungspunkte, die ich brauche, erreicht, und ich weiß, dass ich bei der nächsten Gelegenheit gegen eine Hausarbeit und für eine Endklausur stimmen werde.

Ich packe das Zeugnis ein und gehe ins Center. „Gunslinger Girl“ ist komplett verfügbar. Dann brauche ich ja nur noch den Memorystick, um das Material verschieben zu können. Aha… und MinJi ist aus dem Heimaturlaub zurück. Ich frage sie, ob ich ein Foto für mein „Poster Projekt“ machen dürfe, aber sie sagt, dass sie heute nicht gut aussehe und es gerne verschieben wolle. MinJi… nicht gut… aussehen? Ich habe hier noch keinen Tag erlebt, an dem sie nicht gut ausgesehen hätte… dann warte ich noch eine Weile. Ich will mich dann aber auch nicht mehr lange aufhalten und gehe in den Computerraum. Ich bearbeite zuerst meine Post (inklusive dessen, was von gestern noch übrig ist), dann schreibe ich drei Berichte und versende das Material über den Zeitraum vom 10. bis zum 16. Februar.

Ich kann auch endlich das Spiel mit Frank in Bewegung setzen und schicke ihm die erste Textdatei. Ich hatte noch keine Zeit, den Auftakt meines Berichtes, über meine Aufstellung usw., zu schreiben. Aber da ich den Verteidiger spiele und die gegnerische Truppenzusammensetzung bis ins kleinste Detail kenne (weil ich die Karte ja selbst gebastelt habe), inklusive des Zeitpunkts, zu dem die Verstärkung eintrifft, muss ich darüber schon mal nicht allzu viel schreiben. Ich weiß, was mich erwartet und es wird nicht einfach. Auf jeden Fall habe ich beschlossen, den Bericht halb-prosaisch zu schreiben… wohl aus der Sicht des Kommandeurs, ohne Dialoge. Vielleicht kann ich auch den einen oder anderen Abschnitt für mein Rollenspiel „Code Alpha“ brauchen oder zumindest irgendwie verwursten.

Ich schaue bei Animetric vorbei und finde ein paar interessante Neuigkeiten. Der Anime „Ah! Megami-sama!“ soll offenbar eine Art Fortsetzung erfahren, und die japanische Vertriebsfirma Toei wird die Lizenz der Animeserie „SailorMoon“ in Nordamerika nicht verlängern – sie läuft am 01.04. aus und keiner weiß, warum. Toei wird die Entscheidung getroffen haben, die sie für das Unternehmen als die beste betrachten, aber die Verkäufe der Serie in den USA scheinen nicht so gering gewesen sein, dass es sich nicht gelohnt hätte. Wenn die Lagerbestände weg sind, gibt’s nichts mehr.

Um 17:00 erscheint ein Textfeld auf dem Bildschirm, das mich an die Schlusszeiten erinnert. Ich gehe ins Center und hole Melanie ab. Wir wollen mal wieder eine Schüssel Ramen essen. Wir gehen aus alter Gewohnheit ins „Bunpuku“, und dort weht wirklich ein neuer Wind. Die ältliche Dame ist durch eine jüngere (um die 40) ersetzt worden, die sich in diesem Metier nicht ganz so wohl zu fühlen scheint, wie ich das von ihrer Vorgängerin zumindest dachte. Die Speisekarten sind komplett neu, um 50 % des alten Angebotes gekürzt und um zwei oder drei neue Angebote bereichert. Na gut, ich probiere Chashû- und Melanie nimmt Yakiniku-Ramen.
Und so lange habe ich noch nie auf mein Essen warten müssen. Ich habe die Zeit nicht gestoppt, aber eine halbe Stunde war es auf jeden Fall. In Ordnung, der Laden ist voll, und wir mussten vorerst an der Theke Platz nehmen, bis ein Tisch frei wurde, aber dennoch finde ich, dass man so lange auch nicht warten müssen sollte. Schließlich reden wir hier über Nudelsuppe und nicht über Ente à l’Orange.

Wir gehen danach noch einkaufen und dann nach Hause. Ich lese Robotergeschichten von Asimov und bewundere die Zukunftsgläubigkeit der Menschen in den fünfziger Jahren. Asimov ging damals davon aus, dass bereits 1998 (die Zahl wird genannt) Roboter für den Hausgebrauch verfügbar seien. Interessant dabei ist, dass das Modell von Roboter, das er beschreibt, auf zwei Beinen gehen (und rennen!) kann und aufgrund technischer Einschränkungen zwar keine Sprachausgabe hat, aber über eine derart komplexe künstliche Intelligenz verfügt, dass der Roboter gesprochene Kommandos versteht und sogar als Spielkamerad für Kinder geeignet ist.
Betrachtet man nun heute, im Jahre 2004, den ASIMO von Honda… der kann auf zwei Beinen gehen, ist aber noch weit davon entfernt, rennen zu können (man geht derzeit davon aus, dass das noch knapp 20 Jahre dauern könnte), er kann Fragen beantworten, verfügt aber nicht über eine echte Sprachsynthese, und davon, dass Roboter auf eigene Initiative hin handeln und komplexe inhaltliche Zusammenhänge von gesprochener Sprache erkennen und verarbeiten können, sind wir wohl noch weit entfernt. Ich habe ja vor einigen Wochen erwähnt, dass die Robotik davon ausgeht, dass Fußballspiele, Menschen gegen Roboter, etwa um 2050 möglich sein sollten.

Melanie sieht sich weiterhin irgendwelche TV-Serien aus der Videothek an, während ich lese. Um 22:00 beschließe ich, Schluss zu machen – aber wie ich mich kenne, bedeutet das bestenfalls, dass ich noch vor Mitternacht unter meiner Bettdecke sein könnte.

23. März 2024

Dienstag, 23.03.2004 – Postansturm

Filed under: Bücher,Japan,My Life — 42317 @ 7:00

Ich stehe um Neun auf und freue mich über das strahlende Wetter, aber der Fahrtwind ist noch recht kühl. Ich gehe zuerst ins Center und prüfe, ob die Internetverbindung steht. Sie tut es, und ich nehme auch gleich ein paar Dinge in Angriff und ziehe mir von den gestern gekauften CDs die Titel, die ich für mich gebrauchen kann.
Der Innenteil einer der Kuraki Mai CDs zeigt die Sängerin in England (London?), was ich den Straßenschildern entnehmen zu können glaube, aber es könnte natürlich auch Australien sein. Auf jeden Fall sieht man Straßen mit Backsteinhäusern, die ich mit England in Verbindung bringe, und parkenden Autos, und die drei Autos, die man am deutlichsten sieht, sind ein Mercedes, ein Audi und ein BMW. Auf einem anderen Bild sieht man einen weiteren vorbeifahrenden Mercedes.

Ich schaffe es dann endlich, den „Crayon Shin-chan“ Film in vier Teile aufzuspalten und mit Misis Hilfe auf einen Rechner mit Brenner zu transferieren. Aber die Dateien lassen sich nicht wieder zusammenfügen! Warum? Weil XP Rechner nicht über eine (benötigte) DOS Plattform verfügen! Ich entschließe mich also dazu, die Einzelteile zu brennen. Ich kann sie ja bei Gelegenheit sonst wo zusammenfügen. Und dieser Computer ist so elend langsam, dass alles scheinbar ewig dauert. Um 15:00 bin ich immer noch nicht fertig. Ich glaube, mit dem Schreiben wird das heute nichts mehr.

Mit ihren Anteil daran haben auch die drei Dutzend Mails, die sich heute in meinem Posteingang befinden, und immerhin kann ich drei Viertel davon beantworten, bevor der Tag vorüber ist. Wenn’s kommt, dann gleich dicke, oder was? Ich bekomme zum Beispiel Post von einem gewissen Andreas Biermann; ich habe seine Internetseite (über eine Fernmeldeeinheit der Wehrmacht) vor etwa zwei Monaten einmal kommentiert und dabei eher zufällig erwähnt, dass ich derzeit in Japan sei. Und jetzt stellt sich heraus, dass er selbst bis vor sechs Jahren über einen nicht näher genannten Zeitraum in Kanazawa gewohnt habe. Ist die Welt doch so klein? Ich erinnere mich auch noch lebhaft an Volkers Aussage, man müsse sich in Tokyo nur an einen öffentlichen Platz stellen und ein wenig warten – über kurz oder lang käme bestimmt jemand vorbei, den man kenne und nicht hier vermutet hätte.
Armin Otto schreibt, dass er in Kürze sein Studium abgeschlossen haben werde und noch immer eine Stelle als EDV… Diplom… was weiß ich… suche. Heute werde ich wirklich mit allem versorgt.

Um 17:00 macht das Center dicht und ich fahre mit Misi zum Book Off. Er möchte den „DragonBall“ Manga günstig kaufen, und ich nutze die Gelegenheit, das „Adam“ Artbook noch zu kaufen. Natürlich finde ich nicht nur das… da ich die Kanji, warum auch immer, noch lesen kann, finde ich ein „Yami no Matsue“ Artbook… nun ja, „eine Art“ Artbook, den Inhalt muss ich erst noch erfassen… und eines von „Gundam Wing“ nehme ich auch mit. Das wird sich wohl irgendwie verkaufen lassen. Alles zusammen hat gerade mal 700 Yen gekostet.

Wieder zuhause, lese ich die „Erdsee“ Tetralogie zu Ende und stelle im Anhang des Sammelbandes fest, dass es noch ein fünftes Buch gibt. Gewundert hätte mich das auch nicht, der Schluss der vierten Geschichte ist so unbefriedigend, dass noch etwas folgen muss. Zuerst zieht sich die Handlung (Handlung?) wie Kaugummi und dann kommt der Schluss so richtig hoppla-hopp, wenn ich das so sagen darf und lässt dabei noch viel Spielraum für eine Fortsetzung (die vermutlich auch geplant war). Aber egal… morgen werde ich mit den Robotergeschichten („I, Robot“) von Isaac Asimov anfangen, dann kann Frau Le Guin von mir aus im Regal verstauben. „Ein Epos vom Weltrang eines Herrn der Ringe“… dass ich nicht lache! Die Geschichte ist gut und ich bedauere das Lesen nicht, aber ich fühle keinerlei Motivation, sie innerhalb der nächsten paar Jahre noch einmal zu lesen. Ich würde lieber zum vierten Mal den „Herrn der Ringe“ lesen.

22. März 2024

Montag, 22.03.2004 – Wie learnt’s ma a richtig’s Action English?

Filed under: Bücher,Japan,Manga/Anime,My Life,Spiele — 42317 @ 7:00

Um kurz nach Eins bin ich im Rechenzentrum, aber ich stelle schnell fest, dass nichts geht. Die Verbindung zum Internet ist nicht existent. Das heißt, nach drei Minuten ist die GMX Startseite zwar aufgebaut, aber nach fünf weiteren Minuten mache ich das Explorerfenster zu, weil ich nicht ewig warten will, bis mein Login bestätigt ist. Ich beschäftige mich also offline mit dem Schreiben meiner Berichte. Versenden kann ich sie auch später noch. Ich schreibe über den Zeitraum vom 10. bis zum 14.02., aber mit dem letzten Werk werde ich nicht mehr fertig, weil das Gebäude ab heute (bis zum 05. April) bereits ab 17:00 schließt. Der Wachmann macht mich darauf aufmerksam. Ich habe den Aushang zwar gelesen und verstanden, aber wieder vergessen. Das ist ja ganz toll. Mir gehen also pro Tag drei bis vier Stunden Zeit zum Schreiben verloren. Die könnte ich mit Lesen füllen – mir scheint, ich werde noch mehr Bücher kaufen müssen, sollte mein derzeitiger Stapel nicht reichen.

Aber der Tag ist noch jung. Ich fahre ins Book Off, um die bestellten CDs von Kuraki Mai zu kaufen. Für mich selbst finde ich zumindest nichts von dem, was ich suche. Dafür finde ich andere Sachen. Da wäre zum Beispiel eine Lösungshilfe für „Diablo“ von 1997. Kostenpunkt: 105 Yen = 80 Cent. Ich blättere das Heft schnell durch und finde genügend Informationen, die zumindest nicht uninteressant sind. Da sind Tabellen mit den Werten der Gegner, Waffen, Tränke und Zauber, Charakterbeschreibungen, und alle Dialog- und Buchtexte aus dem Spiel, in Englisch und Japanisch. Das ist für mich das Beste daran, weil ich schon vor langer Zeit geplant hatte, diese (englischen) Sprachsequenzen mal auf Band aufzunehmen, weil es sich ganz einfach cool anhört. Ich bin aber leider nie dazu gekommen… und leider habe ich auch nur eine Playstation Version… von der PC Version kann man bestimmt die einzelnen Dateien auf eine CD brennen. Ich warte ab. Interessant in dem Heft ist auch ein Kapitel mit „Dialoganweisungen“ für japanische Spieler, die online mit anderen Spielern in aller Welt kommunizieren wollen oder müssen. Beim Durchblättern fällt mir zum Beispiel ein kurzes Verzeichnis der gängigen Abkürzungen für Chat-Kommunikation auf.

Des Weiteren kaufe ich das „Eve“ Artbook von „Shin Seiki Evangelion“ für 315 Yen, zum Verkauf. Ich habe bereits eine eigene Ausgabe. Warum ich das „Adam“ Artbook dann nicht auch gleich gekauft habe, ist mir im Nachhinein nicht klar.
Ich finde auch zwei Spielhilfen für „Bust a Groove“, aber ich finde keinen Sinn darin, mir eine Hilfe für ein Spiel zu kaufen, das ich mit links durchspiele und dessen versteckte Charaktere mit gänzlich bekannt sind.

Nach Anbruch der Dunkelheit mache ich mich auf den Heimweg und gehe in den Beny Mart, weil ich was zu trinken brauche. Aber Boco ist ausverkauft. Oder aus dem Angebot gestrichen worden – an der üblichen Stelle befindet sich ein Getränk (ebenfalls von Coca Cola Japan) mit dem Namen „Tadas“, das zwar die gleiche, trüb-weiße Farbe aufweist, aber nach Apfel schmeckt, und das nicht besonders gut. Wenn es kein Boco mehr gibt, dann steige ich kurzerhand auf Aquarius um, weil es mir ebenfalls schmeckt, aber nur genauso viel kostet wie Boco. Wenn ich bedenke… in Deutschland würde ich niemals nie auf die Idee kommen, Aquarius zu trinken – das ist viel zu teuer! Vor allem, weil ich mehr als zwei Liter am Tag brauche. Und wenn ich schon mal hier bin… ich brauche eine neue Packung Fleischstreifen für mein Frühstück, und Ketchup (als Gewürz) für die dazugehörige Soße.

Wieder zuhause, sehe ich „Mujin Wakusei Survive!“ und bewundere die Idee der Drehbuchschreiber, auf einer offensichtlich tropischen Insel Winter mit Schnee einkehren zu lassen. Offenbar herrschen auf anderen Planeten zwangsläufig ganz andere Gesetze der Botanik. Aber auch die Zoologie folgt dort ihren eigenen Bahnen… da existiert auch ein riesiges, elefantenähnliches Vieh, das beim Spazieren durch den Urwald grundsätzlich eine Schneise von umgeknickten Bäumen hinterlässt – warum stehen da überhaupt noch intakte Bäume? Außerdem gibt es davon bislang nur ein Exemplar – es gibt bestimmt ein tolles Fremdwort für „selbstbefruchtend“, aber das fällt mir nicht ein. Man setze ein Fragezeichen dahinter.[1]

Später läuft eine Englisch-Lernsendung mit Shaku Yumiko (die Hauptdarstellerin aus „Sky High“), und allein deshalb sind wir auf die Idee gekommen, die Show anzusehen. Heute werden Leute gefragt, wie man am effektivsten Englisch lernen könne. Man beachte die Auswahl:
Arnold Schwarzenegger empfiehlt, viel zu lesen und viele Filme in englischer Sprache anzusehen. Regelmäßiges Nachschlagen von Vokabeln erweitere zwangsläufig den Wortschatz.
Sylvester Stallone sagt, man solle am besten mit Singen beginnen. Keine Popsongs, sondern Kinderreime, die exakt diesen Zweck erfüllen: Der Sprechapparat gewöhnt sich so, aufbauend auf einer sehr einfachen Basis, an die Sprachlaute und man trainiert auf diese Art und Weise die Artikulation.
Jackie Chan sagt, man solle viel reden, also mit Leuten kommunizieren, so könne man sich stückweise verbessern, weil auch jemand da sei, der korrigierend eingreifen könne. Er sagt weiterhin, dass er in seinen Filmen zwar versuche, betont deutlich zu sprechen, dass er aber sonst am Set einfach „Jackie-Chan-Englisch“ rede – womit die Chinatown-Variante wohl einen Namen bekommen hätte.
Ich verstehe, dass man Arnold und Jackie (als Ausländer) gefragt hat – aber Stallone? Dann doch eher Prochnow. Aber immerhin kann man gut fahren, indem man die vorgestellten Methoden kombiniert.
Und weil es mir noch nicht spät genug ist, beginne ich mit dem vierten (und letzten verfügbaren) „Erdsee“ Roman.


[1] Wie man später herausfinden kann, handelt es sich bei dem Kälteeinbruch um eine Fehlfunktion der Terraformungsanlage, und es gibt auch noch eine kleine Herde dieser „Elefanten“. Das Einzeltier hatte sich nur verlaufen und den Rückweg nicht mehr gefunden.

13. März 2024

Samstag, 13.03.2004 – GTD?

Filed under: Arbeitswelt,Bücher,Japan,My Life,Spiele — 42317 @ 7:00

Ich stehe um 08:00 auf, um Vokabeln für den heute geplanten Unterricht durchzugehen und zu übersetzen, damit ich die Beispielsätze auch erklären kann. Ich höre auch die Lehrkassette an. Ich finde kein großes Problem dabei und mache mich um 12:00 auf den Weg, um viel Zeit für Eventualitäten zu haben.

Um 12:30 bin ich im Ito Yôkadô. Ich habe noch dreißig Minuten Zeit und die verbringe ich in der CD Abteilung. Wenn ich schon mal da bin, kaufe ich die „Ace wo nerae!“ Single und den „Doraemon“ Soundtrack „Yumebiyori“ von Shimatani Hitomi. Ich finde auch zwei CDs, die mich interessieren könnten, und frage, ob man sie zur Probe anhören könne. Daraufhin fummelt der Angestellte an dem Computer an der Kasse herum und eröffnet mir knapp eine Minute später, dass von diesen Künstlern keine Samples gespeichert seien. Ich bin jetzt nicht ganz sicher, was für Rückschlüsse das auf das hier verwendete System zulässt, aber unpraktisch ist es auf jeden Fall. In Tokyo stand ein Terminal herum, in dem man aus Hunderten von CDs wählen konnte. Aber… wir sind hier ja auf dem Land. Vielleicht bringe ich das nächste Mal den Diskman mit und frage, ob es auf diese Weise möglich wäre, CDs zu hören, bevor man sich blind zum Kauf entschließt. Die Soundtracks bekannter Anime kann ich per E-Bay losschlagen, aber wenn es sich um Musik außerhalb des Mainstreams handelt, kann ich das vergessen.

Ich gehe um 12:55 zum Unterricht. Meine Teilnehmer sind zwei Damen Mitte 40 (Namuri und Sasaki) und zwei Herren. Yamagata ist etwa dreißig und Ozaki um die sechzig – und nicht arm, wie man aus dem Anzug schließen könnte. Es stellt sich außerdem heraus, dass Yamagata nicht auf der Anwesenheitsliste steht, weil er zum ersten Mal hier ist und dass Namuri ausgebildete Englischlehrerin ist. Aha… ich kehre meine Frage unter den Tisch, bleibe stumm und demonstriere angenehme Überraschung.
Und es läuft auch alles ganz wunderbar. Natürlich sind auch diese Japaner wenig einfallsreich, was ihre Beispielsätze betrifft (sie lesen ab, was im Buch steht und tauschen ein oder zwei Worte aus), und Rückfragen werden auch nicht gestellt, obwohl ich spüre, dass es notwendig wäre. Ich versuche also, eventuellen Fragen durch Anmerkungen im Vorfeld bereits zu begegnen. Yamagata-san fragt immerhin, warum ich zwei Uhren trage. Des Weiteren waren meine Bemühungen umsonst, mir die Erklärungen der grammatikalischen Umstände der indirekten Rede auf Japanisch zurecht zu legen. Man bittet mich kurzerhand, ausschließlich Englisch zu reden. Nun gut, das ist eigentlich auch am sinnvollsten.

Um 14:20 ist der Unterricht vorbei und ich hoffe, dem Thema auch gerecht geworden zu sein. Natürlich hat es wenig Sinn, die Kursteilnehmer nach ihrer Meinung zu fragen… die würden darin aufgehen, meinen Unterricht und mein Japanisch zu loben, selbst wenn ihnen etwas missfallen hätte. Japan ist halt Japan.
Yamagata-san fährt mit mir im Aufzug nach unten und wir unterhalten uns kurz über die Notwendigkeit von Englischkursen und ich komme nicht umhin, anzumerken, dass mir das weitgehend auf Auswendiglernen von Grammatik beruhende japanische Lehrsystem nicht gefalle, weil es den Schülern jeden Spaß an einer Fremdsprache nimmt. Er bedankt sich zuletzt für den Unterricht und meint, dass er weiterhin kommen werde.

Ich bleibe aber noch ein wenig im Kaufhaus und komme über kurz oder lang auch wieder an dem „Ashita no Joe“ Boxautomaten vorbei, den ich vor einiger Zeit einmal beschrieben habe. Im Moment steht ein Japaner davor, noch ein Stück davon entfernt, Zwanzig zu sein, knapp 170 cm groß, mit recht normalem Körperbau – also eher mager. Er wirft 100 Yen in den Automaten und landet seinen ersten Schlag – 170 kg. Ja, das kann ich auch, aber entgegen seinem Äußeren scheint er recht kräftig zu sein. Der zweite Schlag: 180 kg. Was denn? Er steigert sich um 10 kg und schlägt meinen eigenen Rekord um drei Kilogramm? Dass man sich beim zweiten Schlag steigert, ist allerdings nichts Ungewöhnliches. Dennoch bin ich geplättet. Der dritte Schlag: 205 kg. Der packt beim dritten Schlag noch mal einen halben Zentner drauf? Schafft dreißig Kilo mehr als ich? Wie geht denn das? Zum Glück hat er nicht gesehen, wie mir die Kinnlade auf den Boden gefallen ist. Ich glaube immer noch nicht so ganz, was ich da gesehen habe, als ich das Kaufhaus wieder verlasse.

Am Abend beginne ich, die „Erdsee“ Quatrologie von Ursula Le Guin zu lesen. Die Werbung verspricht „ein Epos vom Weltrang eines Herrn der Ringe“, deshalb habe ich zu lesen begonnen. Nicht, weil ich geneigt wäre, dieser Aussage Glauben zu schenken, eher aus gegenteiligen Gründen. Ich merke schon bald, dass „Erdsee“ in diese Liga so schnell nicht aufsteigen wird – dafür fehlt eine gehörige Portion Handlung und auch „die große Aufgabe“, wie ich es mal nennen will. „Erdsee“ schildert das Leben des Magiers Ged, wie er vom magisch begabten, halbwüchsigen Ziegenhüter zum Erzmagier wird. In dieser Welt gibt es zwar Drachen, ansonsten aber nur zwei Sorten von Menschen: Schwarze und Weiße. Die Schwarzen sind Gelehrte, Kaufleute und allgemein potentielle Magier, die Weißen sind tendenziell ein Kriegervolk, in dem Lesen und Schreiben als Schwarze Kunst betrachtet wird und das in hübscher Regelmäßigkeit fremde Küsten auf der Suche nach Schätzen und Sklaven heimsucht.
Das heißt allerdings nicht, dass es unter den Schwarzen nur fromme Lämmer gäbe, auch unter denen gibt es Piraten, und auch unter den Weißen gibt es magisch begabte Personen. Eine Gut-Böse Polarisation hätte ich nicht gutheißen können. Die beiden Rassen teilen sich zwar in mehrere kleine Völker untereinander auf, aber im Großen und Ganzen gibt es eben nur zwei Machtblöcke. Wenn man sich erst einmal an den etwas antiquierten Schreibstil gewöhnt hat, ist die Geschichte gar nicht uninteressant zu lesen. Nicht der ultimative Bringer, aber auch nicht schlecht.

1. März 2024

Montag, 01.03.2004 – Code Alpha lebt

Filed under: Bücher,Dawning Universe,Japan,My Life — 42317 @ 7:00

Ich stehe um acht auf, weil ich frühzeitig an den Rechnern im Center sein will. Und als ich dann schließlich davor sitze, habe ich völlig vergessen, was ich so dringendes machen wollte. Ich finde keine Datenpakete, die zu brennen wären. Also schreibe ich kleinere Einträge und versuche mich zu erinnern, aber es gelingt mir nicht. Ich gehe zuerst in die Bibliothek. Kurz nachdem ich sitze und mit meinen Berichten begonnen habe, setzt sich einer neben mich, dem man nicht nur das stark koreanisch gewürzte Mittagessen, sondern auch die morgendliche Sportübung anmerkt. Ich bin einiges gewohnt, aber in dieser Wolke kann ich nicht lange bleiben.

Um 11:30 verlege ich daher in das Physikgebäude und arbeite mit den besseren Rechnern. Dafür sind die Stühle dort das letzte, weil man die Rückenlehne nicht einrasten kann. Wenn ich dort fertig bin und vom Stuhl aufstehe, habe ich Rückenschmerzen. Außerdem wären mir Stühle mit Stoffbezug wie in der Bibliothek lieber. Auf diesem Plastikleder schwitzt einem der Hintern, während die Füße eiskalt werden. Und das liegt daran, dass der Raum nicht auf eine auch nur halbwegs angenehme Temperatur geheizt wird. Und nach zwei Stunden werden auch die Finger steif. Ich räume also meinen Rucksack aus und stelle die Füße hinein. Ja, das ist schon besser. Außerdem ziehe ich Handschuhe an. Nach etwa dreißig Minuten habe ich mich daran gewöhnt und schaffe das Tippen in üblicher Geschwindigkeit.

Ich schreibe Misi an und frage, wie es mit der Weiterführung unserer Schlacht um Gersheim stünde, aber er schreibt mir nur eine Antwort, die eigentlich keine ist. Ich bitte um genauere Angaben und sage, dass ich im Physikgebäude warte, aber er erscheint heute nicht.

Dann nutze ich die Zeit, um ein wenig an meiner „Code Alpha“ Geschichte zu arbeiten, was ich seit 1997 nicht mehr ernsthaft getan habe. Es wird also Zeit. Ich überarbeite die Dialoge komplett, von vorne bis hinten, um ihnen diesen schwülstig-feierlichen Ernst zu nehmen, der mir im Alter von 20 Jahren für eine ernsthafte Geschichte anscheinend angebracht erschienen war. Wenn ich das heute wieder lese, dreht sich mir der Magen um und es verlangt mich nach einer Auflockerung der Atmosphäre. Natürlich schaffe ich das nicht an einem Tag, bzw. in wenigen Stunden. Ich werde noch ein paar Sitzungen dazu brauchen. Und wenn das geschafft ist, kann ich mich um das kümmern, was sich um die Dialoge herum befindet, also Beschreibungen von Orten, Personen und Handlungen. Und wenn das schließlich geschafft ist, kann ich mal darüber nachdenken, weiter in Richtung Ende der Geschichte zu arbeiten. Es kann sich nur noch um Jahrzehnte handeln.

Um 20:00 gehe ich nach Hause. Im Laufe des Tages hat sich eine neue Schneedecke gebildet, nachdem vor zwei Tagen erst die Straßen wieder getrocknet waren.

Melanie hat alles Notwendige aufgenommen, damit ich nichts verpasse. Und nachdem ich gesehen habe, was ich sehen wollte, lese ich weiter in „The Dogs of War“. So weit, wie ich bisher gekommen bin, gefällt mir das Buch schon deutlich besser als „The ODESSA File“. Das könnte nicht zuletzt daran liegen, dass ich Söldnergeschichten mag, und in dieser Hinsicht trifft Forsyth ganz meinen Geschmack. Wer meine Shadowrun Abenteuer kennt, wird wahrscheinlich verstehen, warum. Man muss sich nur eine Portion mehr Hirn hinter diesen Abenteuern vorstellen.

28. Februar 2024

Samstag, 28.02.2004 – Lesestunde

Filed under: Bücher,Japan,My Life — 42317 @ 7:00

Heute sind keine Computer verfügbar, also schlafe ich aus, bleibe ich zuhause und lese „The ODESSA File“.
Bis zum Abend habe ich das Buch hinter mich gebracht. Forsyth, der von der Werbung als Autor mit herausragender Recherche gepriesen wird, erweist sich genau in diesem Punkt, so weit es dieses Buch betrifft, leider als ein wenig schwach. Das Buch behandelt, wie der Titel sagt, „ODESSA“, aber gemeint ist keine Stadt, sondern die „Organisation Der Ehemaligen SSAngehörigen“. Auf die Handlung will ich nicht weiter eingehen. Ich gestehe ihm zu, dass er wohl gründlich an der Erforschung dieser obskuren Organisation gearbeitet hat, aber es hakt an Details, die Deutschland allgemein betreffen. Wie viele Nichtdeutsche hat er Probleme mit den Umlauten. So schreibt er „Munster“ (statt Münster) – aber: „Schützstaffel“. Aber das sind ja nur orthografische Schwierigkeiten. Geradezu vernichtend fand ich allerdings seine Unkenntnis der Nachkriegsgeschichte. Die Handlung erstreckt sich über den Zeitraum von 1963 bis 1964 und er sagt über den Protagonisten, dass dieser seinen Wehrdienst vor zehn Jahren geleistet habe. Ich muss keine Sekunde darüber nachdenken, um zu wissen, dass das Unsinn ist. Die Bundeswehr wurde erst per Gesetz 1955 gegründet und erst 1956 rückten die ersten freiwilligen Aufbaukommandos ein. Bis die ersten echten Wehrpflichtigen einrückten, verging noch einmal etwas Zeit.

Melanie bastelt den ganzen Tag über kleine Hemden aus Papier. Sie sollen am Ende als Verzierung für ein Türschild dienen, das sie Ricci schenken will.

Nachdem ich mit dem Buch fertig bin, muss ich meine Tagebucheinträge der letzten Tage nachholen und rekonstruiere sie anhand von Notizen. Ins Bett komme ich dadurch erst um 04:30. Dürfte ein kurzer Sonntag werden.

3. Dezember 2023

Mittwoch, 03.12.2003 – Ein Mensch lernt wenig von seinem Siege, aber viel von seiner Niederlage

Filed under: Bücher,Japan,My Life,Uni — 42317 @ 14:33

Ein sonniger Morgen, laut Wetterbericht sieben Grad Celsius. Zum Frühstück vertilgen wir den Reis, den Melanie gestern leider umsonst gekocht hat (sie hat die Einladung zum Essen bei den Nachbarn zwanzig Minuten zu spät erhalten). Um den Reis warm essen zu können, brate ich ihn an, mit etwas Öl, und das Ergebnis ist, dass mir den ganzen Tag über mehr oder weniger schlecht ist. Das Essen liegt mir wie ein Stein im Magen, und um 1700 habe ich immer noch keinen Hunger. Dabei habe ich doch noch eine Menge Sushi im Kühlschrank…

Aber alles der Reihe nach. Die Tatsache, dass wir am Morgen unsere Zwischenklausur des A2-Kurses zurückbekommen, trägt wohl auch nicht unwesentlich zu meinem Befinden während des restlichen Tages bei. 47 % sind keine Heldentat. Ich würde das „klar durchgefallen“ nennen. Urrghs… warum dieses Ergebnis? So schlecht war ich ja noch nie, so weit es Japanisch betrifft. Es ist natürlich nicht ganz einfach, als Betroffener objektiv darzustellen, wo genau der Wurm drin war, also stelle ich Melanies Interpretation an den Anfang: „Mangel an Vorbereitung!

Ich will den Vorwurf nicht als völlig unbegründet von der Hand weisen. Ich hätte wohl wirklich mehr dafür tun können – aber wegen des Schwierigkeitsgrades sah ich mich zu besonderen Anstrengungen nicht veranlasst. Das, was hier behandelt wurde, habe ich alles schon einmal gemacht und (damals) mit einem guten Ergebnis hinter mich gebracht, also ist es nicht so, dass ich die Materie überhaupt nicht beherrschen würde. Ich sehe mein Problem darin, wie die Aufgaben gestaltet sind. In Trier bestehen Klausuren aus einer Übersetzungsübung, die den Prüfling dazu veranlasst, die gelernte Grammatik anzuwenden. In Hirosaki bestehen die Aufgaben aus Lückentexten, über denen viel sagend geschrieben steht: „Setzen Sie die richtige Form ein!

Wenn ich diese Aufgabe nun im Buch sehe, dann ist mir ja wegen des aufgeschlagenen Kapitels voll und ganz klar, auf welche Satzstrukturen die Angelegenheit hinausläuft. Hier ist das nicht der Fall. Ich muss den japanischen Text lesen, trotz der Lücken verstehen, um was es geht, und daraus schließen, was ich in die Lücken schreiben muss – und das alles ohne Wörterbuch (das in Trier bei Übersetzungen aus dem Japanischen ins Deutsche erlaubt ist). Die Mehrheit der Fehler ist wohl dadurch entstanden, dass ich Übersetzungsschwierigkeiten bei den Kanji hatte (= mangelnde Vorbereitung meinerseits) und den Kontext nicht richtig auf den Lehrplan habe umdeuten können (= konzeptionelle Mängel des Lehrmaterials). Die Kanji, die wir für die drei Tests jede Woche lernen müssen, stehen nämlich in keinem direkten Zusammenhang zu den zu behandelnden Lektionen – das ist ein ganz anderes Buch. Die Aufgaben der Klausur stammten jedoch alle aus dem Lehrbuch – was für mich bedeutet, dass ich nicht nur die grammatikalischen Formen können muss (mit dem, was ich an Strukturen vorbereitet hatte, wäre ich bequem auf 80 % gekommen), sondern ich muss auch die Aufgabenstellungen im Buch mehr oder weniger auswendig können, damit ich bei Verständnisschwierigkeiten dennoch weiß, welcher Grammatikteil da gerade abgefragt wird.

Das alles trägt weder zu meiner körperlichen und geistigen Gesundheit noch zu meiner Laune bei. Die Übersetzungsaufgaben von Katsuki-sensei schmecken mir viel besser – schließlich wird man bei der Konversation in der Mensa nicht plötzlich mit Lückentexten konfrontiert… Dass die Klausurtexte Kommunikationsbeispiele waren, macht die Sache nicht besser. Andererseits sitzen in Form der ca. 15 Teilnehmer mindestens fünf Nationen im Raum (Deutschland, Frankreich, Thailand, China und Peru), was eine Übersetzungsübung ziemlich kompliziert für die Lehrerin machen würde. Also muss ich Lernaufwand in die Lehrbuchtexte investieren – was früher völlig überflüssig war. Man könnte aber ruhig ein Kanjilexikon zulassen, um so Vokabelfragen klären zu können und eine vollständige Konzentration auf die Grammatik zu ermöglichen, um die ja eigentlich geht.

Vesterhoven bespricht heute Mishima Yukio und gibt uns „Yûkoku“ („Patriotismus“) zum Lesen mit. Ich bin gespannt. Die „Geständnisse einer Maske“ haben mir sehr gut gefallen, und „Yûkoku“ ist das wahrscheinlich bekannteste Werk Mishimas – nicht zuletzt wegen der Darstellung eines rituellen Selbstmordes… aber das ist bislang alles, was ich darüber weiß, weil ich es noch nicht gelesen habe. Ich bin gespannt…

… und die Kinnlade fiel mir auf den Schreibtisch. Und ich kann nicht sagen, dass dieser metaphorische Vorgang positive Ursachen hätte. Ich habe nicht gedacht, dass Mishima solch einen Mist schreiben kann. Seine Fans mögen mir das bitte verzeihen, aber ich finde „Yûkoku“ in keiner Weise berauschend. Das einzige, was dieser Text wirklich gut vermittelt, ist der Schmerz eines Mannes, der sich mit einem Katana den Bauch aufschlitzt – und zwar ohne jemanden, der ihm den Kopf abschlägt, wenn es zu viel wird. Ansonsten ist der Text eine Mischung aus chauvinistischen Phrasen, Körperkult und Sex. Nennen wir die Dinge doch beim Namen. Die Handlung findet statt vor dem Hintergrund der Geschehnisse ab dem 26. Februar 1936. In Tokyo rebellierten rund 1400 Soldaten der kaiserlichen Armee (geführt von idealistischen Offizieren der unteren und mittleren Dienstgrade) gegen die Regierung. Ihre Motivation war die Absetzung der Herrschaft von „Parteien, korrupten alten Männern und Bürokraten“, um den Tenno persönlich die direkte Herrschaft zu ermöglichen. Sie hofften, auf diese Art und Weise u.a. die ärmlichen Verhältnisse der Landbevölkerung mildern zu können (die dazu führten, dass eine Menge Töchter in die Prostitution verkauft wurden) – und nicht wenige Offiziere kamen vom Land zur Armee, weil sie dort eine gesicherte Existenz sahen. Der Shôwa Tenno (Hirohito) ordnete am 29.02. jedoch an, die Rebellion niederzuschlagen, worauf die meisten Aufständischen freiwillig die Waffen niederlegten.

Leutnant Takeyama ist die männliche Hauptperson der Kurzgeschichte. Er steht nicht auf der Seite der Aufständischen, aber er weiß, dass man ihm befehlen wird, gegen die Meuterer vorzugehen, unter denen sich seine besten Freunde befinden. Der Leutnant ist verheiratet, und die Darstellung dieser Ehe ist von einem derart archaischen Ideal geprägt, dass einem davon schlecht werden könnte. Seine Frau ist seine absolute Untergebene. Er macht ihr klar, dass es zum Leben eines Offiziers der kaiserlichen Armee gehört, jederzeit sein Leben für Kaiser und Vaterland zu geben und sie macht deutlich, dass sie ihm freiwillig in den Tod folgen werde, sollte dieser Fall eintreten. Es folgen Darstellungen, wie leidenschaftlich (und ausdauernd) das Sexualleben der beiden verläuft (vor allem, wenn er von Übungen wieder zurückkommt), was für einen göttlichen Körperbau die beiden haben (jeweils das extreme Idealbild eines männlichen und eines weiblichen Körpers, man denke dabei an die Vorstellungen der Nazis) und wie hingebungsvoll der Leutnant seinem Kaiser dient. Und als dann klar wird, dass er am folgenden Tag auf seine Freunde und Landsleute würde schießen müssen, nimmt er sein Schwert und verteilt eindrucksvoll seine Darmwindungen auf dem Tatamiboden im gemeinsamen Schlafzimmer (es ist nicht schwer zu raten, was die zwei vorher einige Stunden lang gemacht haben), gefolgt von seiner Frau, die sich mit einem großen Messer den Hals aufschlitzt.
Das möchte ich nicht noch einmal lesen, wenn es sich vermeiden lässt. Aber die Darstellungen der Schmerzen sind so richtig „echt Mishima“. Sehr lebhaft geschildert und gut durchdacht. Immerhin.

Um 1200 gedachte ich eigentlich Yui in der Halle zu treffen, aber sie ist nicht da. Sie ruft auch nicht an. Daraus muss ich eigentlich schlussfolgern, dass unsere Treffen nicht als so regelmäßig ausgemacht worden sind, wie ich mir das gedacht habe. Ein bisschen Kontinuität würde ich doch begrüßen. Ach, was soll’s, ich hab auch schon solche Fehler gemacht. Dafür treffe ich Mei und BiRei, die hier ihr Mittagessen verzehren wollen. Dann unterhalte ich mich eben mit denen ein bisschen, so lange sie essen.

Um 1420 sehe ich Mei dann wieder zum Englischlernen. Derzeit ein überraschend konstanter Faktor in meiner wöchentlichen Freizeitplanung. Mei hat ihr Textbuch vergessen, also nehmen wir das Grammatikbuch als Grundlage. Verbformen. Das ermüdet die junge Dame wesentlich schneller als einfache Kommunikation. Aber die Zeit vergeht dennoch recht schnell und sie hat um 1600 eine Verabredung mit ihrem Tutor. Dann komme ich vielleicht ja doch noch bis 1900 nach Hause, und kann vorher noch Post schreiben.

Aber so weit sollte es nicht kommen. Weit gefehlt! Ich schreibe also den bisherigen Tag in mein Tagebuch und um 1615 kommt BiRei mit XiangHua in die Halle – auf der Suche nach Mei. Sie sei bei einem Treffen mit ihrem Tutor, sage ich, worauf die beiden beschließen, mit mir vorlieb zu nehmen. Wir sitzen also da und unterhalten uns. Währenddessen schreibt BiRei Vokabeln auf, die ich nicht kenne (oder nicht sofort verstanden habe), drückt mir den Zettel in die Hand, sieht mich streng an und sagt: „Lern das und vergiss es nicht!“ Ah… wie Sie wünschen. War von ihr natürlich nicht so ernst gemeint, wie sie es in Szene gesetzt hat. Im Gegenzug möchte sie, dass ich ihr ebenfalls etwas Englisch beibringe. Aber nicht zusammen mit Mei, da sie Mei nicht stören möchte. Dann könnte sie sie doch zumindest fragen, ob das in Ordnung sei? Nein, sie wolle Mei nicht damit belästigen. Und ich solle Mei gegenüber das Thema auch nicht anschneiden. Ich will das jetzt nicht verstehen müssen. In einem klassischen Fernsehdrama würde dieses Verhalten darauf schließen lassen, dass Mei romantische Gefühle für mich hegt und BiRei das weiß, und deshalb die Zweisamkeit nicht stören möchte. 🙂
Aber gut… hier und da ein wenig englische Konversation, wenn wir uns begegnen. Ich solle dann auch von Fall zu Fall unbekannte Vokabeln aufschreiben und an sie weitergeben. Hm… sie hat nach ihrem Schulabschluss erst angefangen, verstärkt Englisch zu lernen, auf der Schule hat sie in erster Linie Japanisch gelernt (acht Jahre), und nur ein bisschen Englisch nebenher gemacht. Eigentlich sollte ich ihr gleich ein Wörterbuch schenken. Mehr als „Basiskommunikation“ ist bei ihr noch nicht zu machen, was bedeutet, dass ich zuerst Vokabeln und dann Strukturen aufbauen muss… das könnte ja in Arbeit ausarten…
Als wir uns dann wieder verabschieden, ist es 1840. Mit „1900 zuhause“ wird das nichts mehr, und ich habe heute noch nicht einmal einen Computer gesehen. Ich werde meine Post abrufen und beantworten, aber einen Bericht schreibe ich heute nicht mehr. Mehrstündige Konversation auf Japanisch kostet mich noch viel zu viel Konzentration und Energie.

Und als ob der Tag nicht schon Kraft raubend genug gewesen wäre, läuft am Abend auch wieder die „WG Kunterbunt“. Heute ausnahmsweise nicht mit Bildern aus den dreißiger Jahren. Es geht ein wenig weihnachtlich zu, und ich denke noch so bei mir: „Hey, dann könnte die Sendung heute ja mal erträglich sein“, aber dann kommt bereits der Dämpfer: „Ernst, wie wir nun mal sind…“ oh nein, oh nein, was kommt jetzt?
Ernst, wie wir nun mal sind, berichten wir heute über allein erziehende Mütter und Väter in der Weihnachtszeit.
Okay, ich gebe zu, das ist besser als „Weihnachten unterm Hakenkreuz“, aber immer noch viel zu deprimierend für eine Kindersendung! Ich sagte ja bereits, dass die Themen, die ja nicht unwichtig sind, inhaltlich eher was für Jugendliche wären – hätte die Sendung nicht allgemein eine so kindgerechte Aufmachung. Warum zeigen die keine Weihnachtsmärkte? Von mir aus auch mit alternativem Holzspielzeug „made in Germany“. Oder verschneite Bäume, spielende Kinder mit Schlitten und dergleichen mehr? Nein, wir zeigen lieber die Kehrseiten der Medaille und lassen die Japaner denken, dass Deutsche sich nur über schwermütige Themen Gedanken machen. In Deutschland ist Weihnachten also nicht das Fest der Freude, sondern das Fest, wo man an weniger gut situierte Menschen denkt und Trübsal bläst. Etwas mehr Ausgewogenheit wäre hier angebracht – und unter „Ausgewogenheit“ verstehe ich etwas anderes als die Laberbacke Sascha mit seinen Fußballbegriffen… wenn Deutsche sich von ihrer Trübsal mal lösen wollen, spielen sie also Fußball oder sehen sich Spiele an. Wie könnte es auch anders sein?

Prinz Pipo“ gibt am Ende der Sendung jeweils den Satz des Tages vor. Vielleicht habe ich das bereits erwähnt – es handelt sich dabei um den Kernsatz des vorgeführten Puppentheaterstücks, und dieser Satz wird mehrfach erwähnt, damit ihn sich auch jeder merkt. Und der lautet heute:
Eigentlich dachte ich, dass die Natur auf der Erde intakt ist.
Muss man Germanist sein, um diesen Satz als „auffällig“ zu betrachten? Ich bin keiner, und ich behaupte dennoch, dass der Satz nicht ganz richtig ist (ich will nicht direkt „falsch“ sagen). Müsste das hier nicht heißen:
Eigentlich dachte ich, dass die Natur auf der Erde intakt sei.???
Vielleicht gibt es Konnotationsunterschiede, die mir unbekannt sind? Annahmen werden wie indirekte Rede doch im Irrealis ausgedrückt, oder? Für mich ist meine Version jedenfalls richtiger. Übel Freunde, ganz schlecht.

Und dann fängt es an zu schneien.

5. Februar 2012

Gelesen: Der Graf von Monte Christo

Filed under: Bücher,Manga/Anime — 42317 @ 17:45

Die Notizen sammeln sich… schneller, als ich ausformulieren kann (davon, dass ich bei jeder sich prinzipiell bietenden Gelegenheit nicht auch die notwendige Motivation dazu aufbringe, ganz zu schweigen). Ich muss ja zugeben, dass gewisse Möglichkeiten der Kurzweil mich manchmal eine ganze Weile aufhalten… Civilization zum Beispiel, nach dem Kauf eines neuen Flachbildschirms wieder verstärkt CounterStrike, oder in letzter Zeit auch Railroad Tycoon. Abgesehen davon habe ich mir die Zeit genommen, “Der Graf von Monte Christo” von Dumas zu lesen. Nachdem ich vor ein paar wenigen Jahren die SciFi-Animeversion gesehen hatte, dachte ich mir, ich könnte die Vorlage mal lesen, und in Abwesenheit ausreichender Französischkenntnisse musste das halt die deutsche Ausgabe sein. An dieser Stelle also ausnahmsweise kein “Roadmovie”, sondern ein bisschen Literaturrezension.

Vor dem Hintergrund der politischen Verhältnisse im Frankreich des Jahres 1814 wird ein junger Mann mit dem Namen Edmont Dantes am Vorabend seiner Hochzeit als Folge von Neid, Missgunst und Egoismus auf einer Gefängnisinsel unweit von Marseille eingekerkert, ohne zu verstehen, was man ihm vorwirft und ohne je einen Richter gesehen zu haben.
Er verbringt 14 Jahre in Einzelhaft, gelangt aber durch heimliche Kommunikation mit einem Mitgefangenen an das Wissen über das riesige Vermögen einer mittlerweile ausgestorbenen Familie, das ein Opfer Cesare Borgias in Vorahnung seines baldigen Todes auf der italienischen Insel Montecristo versteckt hatte.
Nach dem Tod des Zellennachbarn gelingt ihm die Flucht, er eignet sich den Reichtum an und verbringt neun Jahre mit der Vorbereitung seiner Rache an den Leuten, die ihn ins Gefängnis gebracht haben, indem er alle auffindbaren Informationen über soziale Netzwerke, Geschäftsbeziehungen und auch alte Sünden, die sprichwörtlichen Leichen im Keller, einzieht, er lernt mehrere Sprachen bis zur Vollendung und baut selbst ein Netzwerk aus Geschäftspartnern, Freunden und Helfershelfern auf, das den gesamten Mittelmeerraum zu umspannen scheint. Er kommt als Graf von Monte Christo zurück (legt sich aber noch andere Tarnidentitäten zu) und vernichtet seine Widersacher, die mittlerweile zu Macht und Wohlstand gelangt sind.

Wenn man sich einmal an den antiquierten Sprachstil gewöhnt hat, liest sich die Geschichte sehr gut und auch schnell, obwohl ich sagen muss, dass die verwendeten Bauelemente manchmal ein bisschen simpel gehalten scheinen.

Schön ist zum Beispiel, wie aus dem Gefangenen Edmont der Graf wird:
Er wird eingekerkert und wird von einem nicht unfreundlichen Wärter bewacht, der ihn mit Namen anspricht. Nach einer Weile wechselt der Gouverneur der Insel und der Wärter geht mit. Der nachfolgende Wärter macht sich nicht die Mühe, sich die Namen der Gefangenen zu merken und ruft sie nach ihrer Zellennummer. Dantes, nun “Nummer 34”, verliert also seine Identität, was man ja scheinbar braucht, um sich eine neue anzueignen.
Durch seinen Zellennachbarn gelangt Nummer 34 also im Laufe der Jahre zu einer höheren Bildung, die es ihm später ermöglicht, sich realistisch als Aristokrat oder zumindest als Mitglied der gehobenen gesellschaftlichen Schicht auszugeben, denn Kleider machen zwar Leute, aber wenn einer, der sich “Graf” nennt, weiterhin den Sprachstil eines Marseiller Seemanns verwendet, dann fällt das auf. Nun ja, zumindest realistisch betrachtet, denn es fällt in dieser Geschichte nicht wirklich auf, weil die einfachen Leute, die den jungen Seemann Dantes umgeben, nicht anders reden als die Aristokraten, die zu Wort kommen. So gern Dumas historische Figuren in seine Geschichten einband, so wenig wollte er sich wohl gleichzeitig mit dem Studium realistischer Soziolekte belasten. Das kann man ihm nicht nachtragen, denn er wollte ja wohl unterhalten und keinen Beitrag zur linguistischen Forschung seiner Zeit leisten.
Angesichts seines nahenden Todes weiht ihn der Mitgefangene schließlich in das Geheimnis des Schatzes ein, von dessen Existenz er überzeugt ist, was ihm jedoch niemand glaubt. Das Geldversteck befindet sich auf der Insel Montecristo und so fällt die Wahl des identitätslosen Gefangenen für seine neue Identität auf diese Bezeichnung.

Auffällig ist ebenfalls, wie das Vorleben der zu bestrafenden Personen die sie treffende Strafe beeinflusst: Hat sich die Person des Todes eines Menschen schuldig gemacht, so muss er oder sie sterben. Diejenigen, die sich nur moralischer oder nicht-tödlicher Verbrechen schuldig gemacht haben, dürfen leben. Leider schien es Dumas zum Ende seiner Erzählung hin eilig gehabt zu haben, weil das endgültige Schicksal zweier Charaktere, Benedetto, der jemanden getötet hat, und Danglars, der sich nur bereichert hat, unausgesprochen bleibt, wobei ersterer sich in seiner letzten Szene im Gerichtssaal befindet, wo er den Mord (oder einen davon) zugibt, und letzterer befindet sich in der Hand italienischer Banditen. Das Ende läuft irgendwie zackzackzack und lässt meines Erachtens die Ausarbeitung vermissen.
Übrigens verhindert nur die Rückbesinnung auf Edmont Dantes, dass der Graf selbst jemanden tötet, womit er ja selbst in das hier präsentierte Muster der Wechselwirkung von Verbrechen und Strafe gefallen wäre. Zwar tötet auch ein anderer, positiver Charakter eine Person, dies aber in einem fairen Duell frei von niederen Beweggründen, und Rache, der Antrieb des Grafen, ist ein niederer Beweggrund, der somit sein Ableben im Augenblick des Triumphs aus literarischer Sicht hätte notwendig machen können. (Der Duellist findet sich aber anderweitig vom Schicksal gestraft.)

Die Japaner haben sich in ihrem Anime übrigens in keiner Weise für diese Wechselwirkung interessiert: Da kommt es zu einem (oder dem) Duell und einer muss dran glauben – womit ein bedeutendes Standbein der in der Romanvorlage dargelegten Moralvorstellung von Verbrechen und Strafe missachtet wurde. Entweder sie haben es nicht erkannt oder sich gedacht, scheiß drauf, wenn einer stirbt, fesselt das den Zuschauer mehr, als wenn es knapp verhindert wird. Sie begründen die allgemeine Handlungsweise des Grafen aber auch anders, weil er im Anime nicht einfach nur sprichwörtlich von Rachsucht, sondern de facto von einer Art Dämon besessen ist. Diese Einflussnahme durch eine dritte Entität entschuldigt dann scheinbar die Abweichung.

Ganz lupenrein bleibt der Graf aber dennoch nicht, es gibt zwei Punkte, von denen ich annehme, dass der Autor sich nichts dabei gedacht hat.
Zum einen gibt es einen Stelle, an der Albert von seiner Mutter gewarnt wird, sich vor dem Grafen in Acht zu nehmen, aber er, der vom Grafen kurz zuvor aus den Händen italienischer Banditen gerettet wurde, antwortet nur, dass der Graf weder spiele noch Alkohol trinke, wo solle also die Gefahr sein? Nun ja, abgesehen von literarischen Erwägungen wird von dem Grafen eindeutig gesagt, dass er Haschisch in Geleeform zu sich nimmt, und dass er sich aus kantonesischem Opium und irakischem Haschisch Pillen fertigt, mit deren Hilfe er eine Wirkung erzielt, für die man heutzutage wohl RedBull verwendet. Dieser Drogenkonsum wird in keiner Weise negativ dargestellt. Interessant dabei ist, dass ebenfalls an mehreren Stellen ausgesagt wird, dass der Graf kaum Nahrung zu sich nehme; er lädt zu opulenten Mählern ein, rührt aber selbst kaum etwas an – dabei dachte ich, dass der Wirkstoff im Haschisch den Appetit anrege? Vielleicht ist diese Erkenntnis jünger als das Buch und Dumas hat es nicht gewusst.

Aber wie dem auch sei, der zweite Punkt, der mir bei den vernachlässigten und ungesühnten Machenschaften Monte Christos auffällt, ist die Art und Weise, wie er den Bankier Danglars angreift: Der Graf manipuliert die Börse und die Unternehmen, von denen Danglars abhängg ist; an mehreren Stellen findet sich die Aussage, dass es in dem Umfeld zu Bankrotten gekommen sei, in deren Verlauf Danglars Millionen an Investitionen verliert. Sollte da nicht jedem auffallen und aufgefallen sein, dass hierbei Unschuldige, billigend in Kauf genommen, ins zumindest wirtschaftliche Unglück gestürzt werden, um jemand ganz anderen zu treffen? Dantes’ Gönner Morrel stand kurz davor, sich angesichts seiner Zahlungsunfähigkeit eine Kugel durch den Kopf zu schieben, man müsste wohl davon ausgehen, dass es in den vom Grafen ruinierten Unternehmen zu solchen Fällen gekommen ist – Familienschicksale also, deren Verlauf selbst als Vorlage für Rachegeschichten dienen könnte. Stattdessen bieten diese Ereignisse nur den Hintergrund, anhand dessen sich der unkritische Leser schadenfreudig am Niedergang des habgierigen Danglars erfreut.

Was mich wohl am meisten stört, ist die unangefochtene Über- und Allmacht des Grafen. Sein Reichtum gibt ihm Möglichkeiten der Einflussnahme, wie man sie in Computerspielen nur im Cheatmodus erreicht, seine Pläne sind perfekt, das eine Ereignis, das er weder vorhergesehen noch gewollt hat, hat keinerlei Auswirkungen auf den Gesamtverlauf und bleibt in der Kategorie “Kollateralschaden”, und an keiner Stelle ist der von ihm erdachte Ablauf der Ereignisse in irgendeiner Weise von einem Scheitern bedroht. In dieser Hinsicht fehlt dem Ganzen ein bisschen die Spannung, ob unser Held es nun schaffen wird oder nicht (obwohl jeder, der sich nur ein bisschen mit dem Geschichtenerzählen auskennt, weiß, dass der Held es immer schafft und sich nur die Frage des konkreten “Wie” stellt), aber ich wage zu behaupten, dass jede Geschichte durch einen handlungsfähigen Gegenspieler an Reiz gewinnt. Im Buch von Dumas sind alle handelnden Personen nur passive Figuren auf dem Schachbrett des Grafen von Monte Christo.

22. Oktober 2011

Noch mehr geklaut!

Filed under: Bücher,Filme — 42317 @ 15:24

Der Artikel “Alles gelaut. ALLES.” hat ein Update erhalten.

12. Juni 2010

Alles geklaut. ALLES.

Filed under: Bücher,Filme — 42317 @ 20:52

Erinnert sich noch jemand an “AVATAR”? Diesen bombastischen Effektestreifen, der mit 3D protzte, den niemand so wirklich brauchte, und der wegen seiner Ähnlichkeit mit einem ebenfalls nicht unbekannten älteren Film ein bisschen belächelt wurde?

Natürlich erinnert sich da jeder dran, daran, dass der Film in die Geschichtsbücher einging als größter Kassenschlager aller bisheriger Zeiten, an die Parallelen zu realen kriegerischen Verwicklungen der USA, und an die auffälligen Gemeinsamkeiten mit “Dances with Wolves”.
Zur Erinnerung: Da kommt ein Soldat im Rahmen seines Auftrags in Kontakt mit Ureinwohnern, lernt deren Lebensweise schätzen, wird durch persönlichen Einsatz Teil ihrer Gemeinschaft, und erkennt die Fehlerhaftigkeit seiner eigenen Kultur: Er wechselt die Seiten und kämpft für seine neuen Seelenverwandten. Vergessen wir für einen Augenblick, was de facto aus den Ureinwohnern Nordamerikas wurde, und verdrängen wir ebenso, dass die SciFi Nachkommen der Yankee Kavallerie Pandora aus dem Orbit heraus sterilisieren könnten – der halbe Film war eine Science Fiction Version des Klassikers von 1990 mit Kevin Costner in der Hauptrolle, und fast jeder hat das auch sofort gemerkt.

Da ich gern Science Fiction Kurzgeschichten lese, habe ich letztlich die zweite Hälfte gefunden: Die Geschichte heißt “Call me Joe” und wurde 1957 von Poul Anderson geschrieben.

Es geht um ein Besiedlungsprojekt auf dem Jupiter, ein Langzeitunternehmen, das darauf abzielt, durch die hohen Druckverhältnisse des Gasriesen neue naturwissenschaftliche Erkenntnisse zu erlangen. Da Menschen auch unter besten technischen Bedingungen nicht auf der Jupiteroberfläche existieren können, erzeugt man künstlich ein Lebewesen, dass dies kann, ein Organismus, der den Umweltbedingungen angepasst ist, unter denen Wasser metallische Eigenschaften besitzt und flüssiges Methan als Durstlöscher fungiert. Von den höllischen Stürmen auf der Oberfläche ganz zu schweigen. Das erste dieser Wesen, er wird Joe genannt, soll als Versuchsobjekt dienen und andere sollen folgen, falls dem Versuch Erfolg beschert ist.

So, nun haben wir auf einem der Jupitermonde eine Kontrollstation, von der aus die Sache gesteuert wird, und dort finden wir einen Mann, sein Name ist Ed, der bei einem Unfall ganz schrecklich lädiert wurde: Unterhalb seines Brustkorbs besteht er nur aus Maschinenteilen, die ihm das Weiterleben und die Fortbewegung ermöglichen. Man könnte auch einfacher sagen: Der Mann sitzt im Rollstuhl. Und was tut der Mann im Rollstuhl? Nun, zu gegebenen Zeiten setzt er sich einen mit Sensoren verbundenen Helm auf den Kopf und steuert Joe mit Hilfe eines Psistrahls, also per Gedankenkontrolle. Joe kann zwar ohne diese Steuerung existieren, hat dann aber keinen Zugriff auf das technische Wissen des Puppenspielers, und das wird gebraucht, um den Prozess der natürlichen Auswahl zu beeinflussen. Joe baut sich eine Unterkunft, bastelt erste Werkzeuge und legt Vorräte an.

Das vordergründige Problem im Rahmen der Handlung besteht darin, dass zur Verstärkung des Psistrahls Apparaturen benötigt werden, und deren Sicherungen brennen andauernd durch. Die für das Projekt verantwortliche Organisation schickt also jemanden, der sich die Sache ansehen soll, weil diese Dinger nicht billig sind.
Der Techniker findet keinen Defekt und vermutet ein Problem mit dem Bediener: Er stellt die These auf, dass Ed, der allgemein als grantig und zynisch wahrgenommen wird, sich in Wahrheit vor Joe und seiner Welt fürchtet. Joe ist schließlich wahrhaftig ein wildes Wesen, das noch wilder sein muss, als seine Umwelt, um zu überleben. Ed könnte also von der fremden Welt überwältigt sein und darum fürchten, dass bald nicht der verkrüppelte Ed den wilden Joe, sondern der wilde Joe den verkrüppelten Ed steuert, indem er dessen Bewusstsein verdrängt.

Ist natürlich alles Kabbes. Denn es ist ganz klar so, dass Ed nichts geiler findet, als einen gesunden, starken Körper zu steuern, der den Gefahren seiner Umwelt mehr als gewachsen ist, und letztendlich hat Joe allein, von Natur aus, weil er quasi als Erwachsener direkt aus dem Ei kam, eine eher unterentwickelte Willenskraft, die Ed niemals verdrängen könnte. Das Durchbrennen der Sicherungen ist wohl auf den unerwartet hohen Grad an Synchronisierung zwischen Puppenspieler und Avatar zurückzuführen.

Und als dann endlich Kapseln mit weiteren “Jupiteranern” abgeworfen werden, die von Joe ausgebildet werden sollen, geht Ed aufs Ganze: Er verdrängt Joes Geist völlig, geht ganz in ihm auf, und lässt seinen mangelhaften menschlichen Körper einfach sterben. Ja ja, so läuft das da.

Halten wir fest: An “AVATAR” ist rein gar nichts originell. Was dem Film zur Ehre bleibt, sind die technischen Effekte, die er zu bieten hat. Dreidimensionalität ist schon irre, die Animationen sind klasse. Aber mehr als zuvor beschleicht mich ein Gefühl mangelnder Befriedigung, wenn ich so über die Inhalte nachdenke, und die sollten, zumindest meiner Meinung nach, immer wichtiger sein als Spezialeffekte.
Und wie nennt man Filme, die außer Spezialeffekten nichts zu bieten haben?
Ich glaube, man nennt sie “B-Movies”.

Ich bin natürlich nicht der erste, dem das auffällt – laut englischer Wikipedia zum Thema “Call me Joe” hat bereits im Oktober 2009 jemand was dazu veröffentlicht.

UPDATE

Um nicht als Depp dazustehen, der in seiner leidenschaftlichen Kritik dann doch etwas wichtiges vergessen hat, muss ich einen weiteren Punkt, auf den sich die Welt von Camerons AVATAR stützt, noch hinzufügen.
Vor wenigen Tagen lauschte ich der Aufnahme einer literaturwissenschaftlichen Vorlesung zum Thema Science Fiction Literatur, in der auch ein Buch genannt wurde, das den Titel trägt: “The Word for World is Forest” (“Das Wort für Welt ist Wald”), von Ursula K. Le Guin. Le Guin ist wohl am ehesten bekannt für ihre Erdsee-Serie (eine Tatsache, die ich auch nach Lektüre des Werks nicht recht verstehe), aber ich wusste bislang nicht, dass sie auch SciFi geschrieben hat – und damit so bekannt geworden ist, dass der Soldat “Joker” in Full Metal Jacket eine Kopie des Waldbuchs neben seinem Feldbett liegen hat (obwohl die Filmhandlung im Jahre 1968 angesiedelt ist und das Buch erst 1979 veröffentlicht wurde).

In “The Word for World is Forest” geht es um ein menschliches Kolonisationsprojekt auf einem Waldplaneten. In alter Wildwestmanier bauen sie Forts, beuten Rohstoffe aus und versklaven die Ureinwohner, zierliche kleine Wesen mit großen Augen und grünem Fell. Die Brutalität einzelner Menschen in verantwortlichen Positionen führt schließlich zu einem Aufstand der Unterdrückten, die bislang keine gewaltsamen Konflikte kannten, das haben sie erst von den Menschen gelernt.

Aber gut, Geschichten vom Aufstand Unterdrückter gibt es eine Menge und auf dieser Schiene lässt sich kein Zusammenhang mit AVATAR herstellen. Was der Wikipedia Artikel zum Buch allerdings verschweigt, ist die Tatsache, dass der Wald auf dem Planeten Athshe/New Tahiti ein kollektiver Organismus ist, d.h. jeder Baum, jeder Strauch, jeder Grashalm ist wie eine Zelle eines größeren Gebildes, und dieser Aspekt wird in Camerons Film als herausragendes Naturwunder von Pandora genannt.
Und wenn Jake Sully Ed ist, dann ist Grace Augustine Raj Lyubov, denn beide Personen sind Humanisten aus dem akademischen Feld und sie teilen sich das gleiche Schicksal. So ein Zufall aber auch.

9. Januar 2009

Der letzte Befehl (Bd. 11)

Filed under: Bücher,Japan,Manga/Anime — 42317 @ 19:41

Man hat mir den aktuellen Band von “Battle Angel Alita (eigentlich Gunmu) – Last Order” von Kishiro Yukito ausgeliehen – dem zu folgen ich wegen der Zeitspanne zwischen den Veröffentlichungen kaum noch in der Lage bin – und ich fand zwei lustige Sachen darin.

In Bezug auf die teuflischsten militärisch nutzbaren Substanzen wird unter anderem auch “Trioxin 245” genannt, mit dem Hinweis: “Ein Gas, das aus Leichen Zombies macht, wurde 1969 von der US Armee eingesetzt. (c) Dan o’Bannon” (Kishiro Y., Last Order Bd. 11, S. 158).
Schöne Anspielung auf klassische Zombiefilme. Da ich aber kein Spezialist bin, kann ich die Frage nicht beantworten, ob der Film, den Dan o’Bannon 1985 gedreht hat, “Return of the Living Dead”, auch im Jahre 1969 spielt, oder ob in dem Romero Klassiker von 1968, “Night of the Living Dead”, auch tatsächlich die Rede von Trioxin ist – denn soweit ich weiß, ging es bei Romero um einen abgestürzten Satelliten, der irgendwas “zombifizierendes” mitgebracht hatte.

Zuletzt ist aber die angefügte Beschreibung eines Infanteriegewehrs sehr amüsant. Das Modell heißt “ZANBER KZ90”, wobei “Zanber” der auf dem Mars ansässige Hersteller ist.

Ich zitiere ein paar Ausschnitte der Beschreibung (auf den Seiten 196 und 197):

Sicherheitsgriff
“Sicherheit wird garantiert durch doppelte Benutzererkennung, zum einen durch den Check des Benutzer-ID-Chips, zum anderen durch einen Netzhautscan, der durch die Zieloptik durchgeführt wird. Sollte ein anderer als der Besitzer den Abzug betätigen, wird ihm durch eine eingebaute Daumenguilloutine der Daumen abgetrennt.”

Sicherheitskolben (das heißt eigentlich nicht Kolben, sondern Schulterstütze, Anm. d. A.)
“Ist mit dem Benutzererkennungssystem gekoppelt. Wenn die Sicherheitskammer mit einer Gewehrpatrone geladen ist, wird dem Dieb dieser Waffe die Schulter durchschossen, sobald er den Abzug betätigt. Alternativ kann er auch todsicher in die Luft gejagt werden, wenn man die Kammer stattdessen mit elektrisch zündbarem Sprengstoff lädt.
Sofortbesteller erhalten eine Gewehrpatrone gratis!

Das heißt, wenn ich so ein Ding klaue und auch benutze, dann wird mir nicht nur der Daumen abgeschnitten und meine Schulter durchschossen, sondern ich werde u.U. sogar in die Luft gesprengt! Humor durch Übertreibung – es hätte sicherlich gereicht, den Abzugsmechanismus zu blockieren, um ein unbefugtes Abfeuern zu verhindern, aber das wäre ja nicht grotesk lustig.

Laufkühlsystem
“Mit einer Kombination aus Abwärmerohr und Seebeck-Generator wird die Hitze des Laufs effizient in Strom umgewandelt, mit dem der Akku geladen wird.”

Dazu muss man wissen, dass “Seebeck” der Name des Übersetzers ist.

Variable Tarnlackierung
“Muster und Farbe des Anstrichs verändern sich je nach Wetter, Umgebung oder ihrer Stimmung vielfältig.”

Moodrings mit Knalleffekt für Söldner?

Ein Teufel von einem Feldwebel auf dem Submonitor (entspricht wahrscheinlich dem kurzen jap. Begriff “Onigunsô”, Anm. d. A.)
“In den Submonitor, der alle möglichen Daten anzeigt, lässt sich die virtuelle Figur des Teufels von einem Feldwebel einblenden. Er gibt nicht nur strategische Tipps, sondern beschimpft den Feind auch an Ihrer Stelle (“Leck mich an Arsch!”), falls Ihnen die rhetorischen Mittel dazu fehlen. Außerdem tritt Ihnen dieser zuverlässige harte Kerl ebenso in den Hintern, wie er sie anfeuert. Die Figur kann individuell angepasst werden.”

Wo hat Seebeck wohl diesen Begriff her? Ein “Teufel von einem Feldwebel”?
Das passendste Wort, das mir dazu einfällt, ist “Schleifer”… zur Betonung hätte man ihn auch einen “fluchenden”, oder “gnadenlosen Schleifer” nennen können. Ich sehe keinen Grund, sich bei existenter Idiomatik so eng an den Originalwortlaut (Oni = Teufel, Dämon/Gunsô = Feldwebel) zu halten. Ein “Teufel von einem Feldwebel” halte ich nicht für einen lebendigen Ausdruck, sowas sagt doch keiner (mehr). Sogar der verwandte “Teufelskerl” wird alt, das Wort stirbt aus und wird bestenfalls in der Schriftsprache weiterleben.

In den Sonderoptionen für Mitglieder (des Sturmgewehr-Fanclubs?) befinden sich unter anderem
Lebende Zielscheiben
“Gefüllt mit Eingeweiden vermitteln diese Zielscheiben nicht nur ein realistisches Treffergefühl, sondern sind auch noch umweltverträglich, weil sie zu 100 % aus biologisch abbaubarem Material gefertigt sind.”

Ganz richtig erkannt hat der Autor außerdem die Möglichkeit eines Mehrfachmikrofonsystems, das es ermöglicht, durch Peilung des Fluggeräuschs eines Projektils die Richtung zu bestimmen, aus der ein Schuss abgefeuert wurde. Ein solches System gibt es bereits heute, nur ist mir über seine Verbreitung in den Streitkräften nichts bekannt.

Leider sehe ich bei dieser zweiten Gunmu-Serie einen argen Hang zur Verzettelung. Der Leser wird von einem Turnier zum nächsten geschickt, während deren die Handlung nicht wirklich fortschreitet. Stattdessen werden mehr oder minder interessante Arien auf verschiedene Pro- und Antagonisten gesungen, und man verliert nicht zuletzt wegen der niedrigen Veröffentlichungsfrequenz das Hauptanliegen, die Haupthandlung völlig aus den Augen. Ich zum Beispiel kann mich nicht erinnern, um was es hier bei Last Order eigentlich geht.

Normalerweise ist das eine Eigenart von Endlosserien im Shônen Bereich, wo ein paar Auftaktkapitel und grob unterscheidbare Charaktere entworfen werden, und wenn die Plotideen ausgehen, dann fahren wir halt ein Turnier auf, protzen mit den irrsten Kampftechniken, und ziehen die Sache in die Länge, bis uns wieder eine Story für “normale” Kapitel einfällt (also solche, in denen es nicht ausschließlich ums Kämpfen geht).
In der ursprünglichen Serie gab es ebenfalls Turnierkämpfe und “Sportereignisse” wie “Motorball” (?), aber das waren kurze und spannende Episoden, deren Highlights ein paar Seiten füllten – nicht aber eine komplette Ausgabe für ein oder bestenfalls zwei Duelle.

Aber Last Order begeht nicht nur die “Turniersünde”, wie ich es mal nennen will. Kishiro hatte, zumindest über eine Handvoll Bände hinweg, die Marotte, seine Fans dazu aufzufordern, eigene Ideen für Charaktere und Designs einzusenden, von denen er sich welche aussuchte und tatsächlich übernahm. Aber dabei geht es mitnichten nur um Gastauftritte, sondern auch um wichtige Gegenspieler – ein klares Zeichen für die Konzeptlosigkeit des Werks.

Persönlich abgestoßen fühlte ich mich im vorliegenden Band von einem monströsen Gegner mit der Bezeichnung “Anomalie” (“die Libido-Bestie”), dessen Kampfmittel ein nicht minder monströser Penis ist. Das war mir dann doch eine Spur zu vulgär.

Zu guter Letzt muss ich auch festhalten, dass mir das Cover, dass die Heldin Gally (im Westen “Alita” genannt) zeigt, eine Spur zu lasziv für meinen Geschmack ist:

Abgesehen davon, dass ich ihre “neuen” Lippen noch nie mochte – warum muss das so sexy sein? Gally war immer ein starker Charakter, ein Cyborg mit einem menschlichen Herzen (im positiven Sinne natürlich), und eigentlich auch ein ziemlich cooles Mädchen – warum muss man sie durch solche Darstellungen auf die sexuelle Ebene schieben? Läuft der Verkauf vielleicht nicht so gut, wie erhofft? Das könnte ich bei dem schleppenden Handlungsfortgang jedenfalls gut verstehen.

31. März 2008

Schritt für Schritt kommt man ans Ziel

Filed under: Bücher,Japan,Militaria — 42317 @ 21:36

Das Bezirksgericht von Osaka hat in einer Klage eines japanischen Kriegsveteranen gegen den Literaturnobelpreisträger Ôe Kenzaburô entschieden, dass die Kaiserliche Armee für die Massenselbstmorde von Zivilisten auf Okinawa während der US Invasion verantwortlich ist. Auch das Anliegen, die weitere Verbreitung von Ôes diesbezüglichen “Okinawa Notes” zu verhindern, wurde zurückgewiesen. Das Gericht verwies dabei auf Daten, die belegen, dass es nur in solchen Dörfern zu Massenselbstmorden gekommen war, in denen japanisches Militär stationiert war.

Die Klage war 2005 zustande gekommen und im April 2006 hatte das japanische Bildungsministerium angekündigt, die Hinweise auf militärische Verantwortlichkeiten aus den Schulbüchern zu entfernen. Nach Protesten im vergangenen September und nach dem Rücktritt des Nationalisten Abe vom Amt des Premierministers wurden die entsprechenden Textstellen im Dezember wieder aufgenommen.

(Der Artikel stammt von der International Herald Tribune, über military.com.)

Die japanische Regierung muss damit einen Gesichtsverlust hinnehmen, nachdem man gegenüber Korea und China immer wieder betont hatte, dass die Lehrbücher japanischer Schulen frei von politischer Vorteilsnahme seien – was hiermit offiziell und für alle sichtbar widerlegt ist.

Man könnte beinahe auf die Idee kommen, dass der Schulbuchstreit das Äquivalent zum japanischen Autobahnbau ist, in dem Sinne, dass man der Schulbuchindustrie durch ständige Neudrucke von Lehrmaterial Gewinne zuschustert.

13. März 2008

Gelesen: Die Päpstin

Filed under: Bücher — 42317 @ 23:36

Das Buch lag auf dem Wohnzimmertisch. Einsam und verstoßen sah es aus, meine Freundin hatte beschlossen, zur Erhöhung unseres Etats einige ihrer Drucksachen zu verkaufen, und “Die Päpstin” von Donna Woolfolk Cross war dabei. Das wollte ich eigentlich schon immer mal lesen, also eignete ich es mir klammheimlich an, stellte meinen bereits ansatzweise behandelten Kafka wieder nach hinten, und verstaute das Werk in meinem Rucksack, von wo ich es immer auf dem Weg zur Arbeit und zurück und auch sonst auf Reisen in öffentlichen Verkehrmitteln, hervorholte.

Was muss ich von einem Buch halten, das mir im Titel bereits verrät, wie es ausgeht?
Bei genauerem Überlegen sagt mir der Titel nicht, wie das Buch ausgeht, sondern nur, welches Schicksal die Geschichte für die Protagonistin bereithält.

Die Protagonistin, mit dem Namen Johanna, wird also an einem schaurig kalten und stürmischen Wintertag zu Beginn des 9. Jh. n. Chr. geboren, und im Großen und Ganzen wired in der Geschichte keine Gelegenheit ausgelassen, den verbreiteten Aberglauben der Menschen zu jener Zeit darzustellen:

Die Hebamme will Kräuter gegen die Geburtsschmerzen einsetzen, der Vater, seines Zeichens der Dorfpriester, wirft die sie mit Hinweis auf die Bibel (“Unter Schmerzen sollst Du gebären Deine Kinder!”) ins Feuer.
Als sie Jahre danach durch Gicht erwerbsunfähig wird und der Gemeinschaft zur Last fällt, wird sie der Hexerei beschuldigt und der Wasserprüfung unterzogen, wobei sie ertrinkt.
Die staatliche Rechtsprechung baut auf Gottesurteile, als gäbe es nichts verlässlicheres.
Die Pest ist natürlich eine Strafe Gottes.
Männer haben immer Recht, und Gelehrsamkeit von Frauen ist ein Anzeichen für Teufelswerk.

Nein, auf den Inhalt will ich im Detail gar nicht weiter eingehen.
Es sei so viel gesagt, dass die Heldin durch schicksalhafte Ereignisse in einer Männerrolle landet, und mit viel Herz und Verstand schließlich Mitte der 850er zum Papst gewählt wird. Das war damals scheinbar viel einfacher als heute. Damals wählte offenbar das Volk von Rom, und keine Versammlung von Kardinälen.

In der Mitte des Romans war ich drauf und dran, das Buch einfach zur Seite zu legen und es zu vergessen, weil mich die Achterbahnfahrt der Gefühle so abgestoßen hat. Johanna wird von ihrem sozialen Umfeld entweder geliebt oder gehasst. Dazwischen gibt es nichts. Und in diesem emotionalen Spannungsfeld steckt viel Potential für Drama. Wenn die Heldin etwas erreicht hat, zum Beispiel das Lesen oder die griechische Sprache gelernt oder eine Liebe gefunden, dann weiß man sofort, dass direkt nach der Darstellung des kleinen Höhepunkts der jähe Absturz in die nächste Katastrophe kommen wird.
Sie lernt lesen – der Vater schlägt sie halb tot.
Sie lernt Griechisch mit einem Buch – der Vater hält es für Hexensprüche. Und schlägt sie halb tot.
Sie darf auf eine Schule gehen – die Jungen und ihr Lehrer behandeln sie wie eine Aussätzige.
Sie küsst ihren Liebsten – ein neidischer Beobachter verrät es seiner ungeliebten Frau.

Auf Dauer etwas anstrengend. Aber nachdem ich die Hälfte schon gelesen hatte, wollte ich auch wissen, wie sich das Ende gestaltet.

Drei Päpste treten auf: Gregor IV. (aber nur kurz), Sergius II. und Leo IV. Unabhängig von ihrer jeweiligen persönlichen Charakterisierung werden die Päpste dargestellt als Gefangene ihres eigenen Systems. Sie sind umgeben von Vertretern und Handlangern zerstrittener Parteien und sind ständigen Intrigen (und Mordgefahr) ausgesetzt. Man könnte anhand der Handlung auch auf die Idee kommen, der größte Feind des Papstes sei die römische Ärzteschaft gewesen, in deren Fürsorge er sich befand. Wenn die Ärzte nichts besseres zu bieten haben, als ständigen Aderlass und Gebete am Bett des Kranken (dem man so den notwendigen Schlaf raubt), dann kann ich das auch gut verstehen.

Wenn man eine Portion Schmalz in Geschichten mag und einen Löffel voll Melodramatik als Nachschlag verträgt, und sich für kreative Ausschmückung historischer Begebenheiten erwärmen kann, dann kann man das Buch ganz bedenkenlos lesen, es wird keine Zeitverschwendung sein. Wenn man gegen Schmalz und Schmierendrama ein bisschen allergisch ist, wie ich (wenn schon Schmalz, dann bitte ich wenigstens um hübsche Garnierung), dann könnte es ein Fehler sein, das Werk in die Hand zu nehmen.

Letztendlich fand ich es nicht schlecht wegen der historischen Atmosphäre, die einem entgegen strömt. Da bekommt man richtig finsteres, dreckiges Mittelalter zu sehen, ohne die für solche Geschichten geradezu archetypische (spanische) Inquisition – die es im 9. Jh. noch nicht gab. Aber es war interessant, sehr lebhaft dargestellt zum Teil.

Lustig fand ich die Erwähnung von Gabeln als Essbesteck im Kloster zu Fulda, denn Gabeln haben sich in Europa erst nach der Renaissance durchgesetzt. Zu Zeiten vergehender fränkischer Reichsherrlichkeit schlürfte man Suppe aus der Schüssel, bestenfalls mit einem Holzlöffel, und Nahrungbrocken wurden mit Messern aufgespießt, zerteilt und dann mit den Händen gegessen.
Ich kann natürlich nicht sicher sein, dass besagte Stelle vielleicht nicht einfach ein Übersetzungsfehler ist – man bedenke die Dehnbarkeit des Begriffs “cutlery” und das Gehalt des durchschnittlichen Übersetzers. 🙂
Unbedacht fand ich auch die Stelle, wo Dörfler nach der Verbrennung einer angeblichen Hexe rufen; dabei sind Verbrennungen von Hexen erst viel später eingeführt worden und waren – als heidnischer germanischer Brauch – in der dargestellten Zeit sogar verboten, per Dekret Karls des Großen.

14. Januar 2008

Die Stixi-Achse

Filed under: Bücher,Japan,Militaria — 42317 @ 15:13

“Deutschland und Japan im Zweiten Weltkrieg” lautet der Titel eines Buches, das man mir zu Weihnachten geschenkt hat, und angesichts der Vertiefung meines Kenntnisstandes zum Thema “Dreierpakt”, bzw. “Achse Berlin-Rom-Tokio”, fühle ich mich extrem dankbar dafür.

Seit Weihnachten habe ich das Buch stückweise während meiner Zug- und Busfahrten gelesen und verwunderliche Dinge entdeckt.

Dass die Achsenmächte keine gemeinsame Kriegsführung hatten, wie das bei den Alliierten der Fall war, war mir ja bekannt, dass die militarische Zusammenarbeit minimal war, wusste ich ebenfalls, oder ich glaubte es zu wissen, denn dass eine militärische Zusammenarbeit überhaupt nicht gegeben war, das wusste ich nicht.

Die politischen Ziele Deutschlands und Japans waren von vorneherein viel zu verschieden, als dass ein Vertrag wie der so genannte “Dreimächtepakt” das Papier wert gewesen wäre, auf dem er gedruckt war. Die Deutschen wollten Lebensraum im Osten, das heißt Kolonialisierung durch Vernichtung der slawischen Bevölkerung, während die Japaner, brutal wie sie dabei waren, ihre “Großoastasiatische Wohlstandssphäre” errichten wollten. Ein kaum weniger rassistisches Konzept, mit dem man Asien von den Weißen befreien wollte. Die betroffenen Völker würden dann zwar asiatische statt europäische Herren haben, aber immerhin war keine ethnische Gruppe per se zur Vernichtung vorgesehen.

In Deutschland regierte Hitler alleine und für den war von Anfang an klar, dass der Hauptfeind die Sowjetunion war. In Japan herrschte eine autoritäre Oligarchie, das heißt, es waren mehrere Meinungen zur Diskussion vertreten, wenn man diese auch auf die Rivalität von Heer und Marine polarisieren kann. Das Kaiserreich war wohl der Antikomintern beigetreten, aber nach zwei relativ kleinen Gefechten mit der Roten Armee, bei denen das japanische Heer etwa eine Division einbüßte, setzte sich die Marine mit ihrem Plan von der Südexpansion durch, obwohl im Fernen Osten anno 1941 ein Truppenverhältnis gegeben war, das es den Japanern erlaubt hätte, die Sowjets einfach von der Landkarte zu fegen.

Das japanische Heer war bis 1943 immer noch daran interessiert, den sowjetischen Fernen Osten anzugreifen, aber nicht nur die eigene Marine verhinderte solche Pläne, sondern auch der alleinige Entscheidungsträger strategischer Fragen bei den Deutschen: Hitler war ausgesprochen gegen ein japanisches Eingreifen gegen die UdSSR. Die Wehrmacht werde das alleine schaffen, davon war nicht nur Hitler, sondern auch der Wehrmachtsführungsstab überzeugt.

Die deutsche Seekriegsleitung auf der anderen Seite befürwortete ein gemeinsam koordiniertes Vorgehen auf den Weltmeeren, aber da hatten die japanischen Admirale was dagegen. Die Kombinierte Flotte würde das alleine schaffen. Sie wurden erst nach der Midway-Schlacht vom Juni 1942 und dem Totalverlust von vier Flugzeugträgern kleinlauter – aber nicht kooperationsbereiter. Entgegen dem Anliegen der deutschen Marine zeigte man in Tokio kein Interesse an einem Tonnagekrieg, sondern zog es weiter vor, U-Boote ausschließlich gegen Kampfschiffe einzusetzen, anstatt gegen Versorgungs- und Transportschiffe. Dass die stärkste Trägerflotte machtlos ist, wenn man ihre Tankschiffe versenkt, ist der Admiralität offenbar nie in den Sinn gekommen.
Warum? Auch diese Frage bleibt bislang unbeantwortet. Ich persönlich glaube nicht, dass es mit dem Bushidô, der Kriegerehre, zusammenhing, dafür habe ich Japaner als zu pragmatisch kennen gelernt.

Gleichzeitig versuchten die Japaner immer wieder, im Krieg zwischen dem Dritten Reich und der Sowjetunion zu vermitteln, was der Deutsche natürlich aus ideologischen Gründen ablehnte. Erst, als der Hammer längst gefallen war, 1944, ging man ernsthafter an ein gemeinsames Wirken heran. Aber zu diesem Zeitpunkt allerdings waren die bislang strittigen Punkte zwischen Stalin, Roosevelt und Churchill beigelegt, und Stalin hatte sich nicht nur der Forderung nach bedingungsloser Kapitulation angeschlossen, sondern sich auch bereit erklärt, drei Monate nach Ende der Kampfhandlungen in Europa gegen Japan in der Mandschurei loszuschlagen. Dabei gibt es Anzeichen, dass bei entsprechendem deutschen Willen noch 1943 ein Sonderfrieden mit den Sowjets realisierbar gewesen wäre.

Alle beteiligten Seiten sahen im Dreimächtepakt nur ein propagandistisches Mittel. Vielleicht haben sich die Italiener mehr davon erhofft, aber deren politischer Einfluss war zusammen mit ihrem militärischen in Afrika dahingeschmolzen. Die Hauptverbündeten, will man sie überhaupt so nennen, hatten jedoch viel zu verschiedene Ziele vor Augen, als dass eine Zusammenarbeit fruchtbar hätte sein können. Im Extremfall, wenn die politischen Manöver der Deutschen einerseits und der Japaner andererseits aufgegangen wären, hätte sich eine Konstellation gebildet, in der Deutschland zusammen mit Briten und Amerikanern gegen Sowjets und Japaner gekämpft hätten.

Dieses interessante Szenario hat sogar einen realen Aufhänger. Und dieser Aufhänger ist das, was ich in dem Buch vermisse. Denn wie kann man die Entwicklungen der Beziehungen Japans und Deutschlands im Zweiten Weltkrieg aufzeigen, ohne im Einleitungskapitel darauf hinzuweisen, dass es eine offizielle Militärmission des Dritten Reiches gab, die sich zur Beratung und Ausbildung der Truppen Chiang Kai-sheks in China aufhielt? Dazu noch zeitweise unter Führung des ehemaligen Chefs der Heeresleitung Hans von Seeckt, also niemand unwichtigem eigentlich. Erst 1938 wurde das Unternehmen eingestellt. Man wandte sich den Japanern zu, ließ die Chinesen fallen und schnitt sich damit von einer bedeutenden Rohstoffquelle ab.
Irgendwo wird in einem Nebensatz erwähnt, dass der deutsche Generalstab traditionell gute Beziehungen nach China gehabt habe, aber das war’s dann auch. Dieses Thema wird generell unter den Teppich gekehrt oder ignoriert, es gibt nur wenige Publikationen dazu.

Der Artikel bei Feldgrau stützt sich auf ein halbes Dutzend, von daher stammt mein Wissenstand, nachdem ich in den TIME LIFE Videos “Das Jahrhundert der Kriege” ganz baff Chinesen unter dem Kommando Chiang Kai-sheks in Wehrmachtsgrau sehen konnte, ohne dass der Kommentator darauf irgendwie einging. Und dann dauerte es bis Winter 2003, bis ich zufällig über die oben genannte Webseite “Feldgrau” stolperte, denn trotz meiner mehr oder minder regelmäßigen Begutachtung entsprechender Literatur in den Auslagen von Buchläden habe ich nie etwas darüber in gedruckter Form gesehen.

Ein interessantes Szenario für Alternativhistoriker?

Japan mit der UdSSR gegen die USA und Großbritannien.
Die USA in Asien mit Deutschland gegen Japan.
Deutschland hält Westeuropa gegen die Briten und bindet die Sowjets auf der Linie Murmansk-Sewastopol.

Hm… “Axis & Allies” braucht ganz dringend einen flexiblen Editor für geostrategische Szenarien. 🙂