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Aus dem noch unerforschten Inneren meines Schädels

8. April 2024

Donnerstag, 08.04.2004 – Lesestoff

Filed under: Filme,Japan,My Life,Sport,Uni — 42317 @ 7:00

Heute findet von 09:00 bis 11:00 der Einstufungstest statt, der die teilnehmenden Studenten einer Unterrichtsstufe zuordnet. Wie bereits erwähnt, haben wir eine Menge neuer Gesichter in Hirosaki, und die sind vor allem chinesisch. Es scheinen diesmal keine Doktoren über Dreißig dabei zu sein, und Frauen um die Zwanzig sind in der Überzahl. FanFan sitzt vor mir und ist erfreulich kommunikativ. Ich nutze die Gelegenheit und mache ein Bild von ihr. Sie demonstriert mir eindrucksvoll (ungewollt) die Schwierigkeiten der chinesischen Aussprache: Ihr Familienname besteht aus einer einzigen Silbe, nämlich „Ma“ (was sich wie „Pferd“ schreibt), und es will mir nicht gelingen, dieser kleinen Silbe den richtigen Tonschwung zu verleihen. Das chinesische Tonsystem[1] verfügt über vier Arten von Tonverläufen, die bedeutungsunterscheidend sind. In ihrem Fall fällt die Tonhöhe nach dem „M“ zum „a“ hin ab, um am Ende des Lautes wieder zu steigen. Das klingt theoretisch ganz einfach, aber ein geübtes chinesisches Ohr ist nicht so leicht zufrieden zu stellen. Ich glaube, ich würde wirklich lieber Arabisch lernen.

Und dann knattern wir den Test durch, und einige „Veteranen“ bemerken, dass es der exakt gleiche Test wie beim letzten Mal vor einem halben Jahr ist. Aber was würde es mir bringen, mich an Testaufgaben zu erinnern? Am Ende würde ich in einer Lernstufe landen, die meinen Fähigkeiten nicht entspricht. Ich werde aber wohl in der gleichen Stufe landen, weil ich mich am Ende nicht sonderlich erfolgreich fühle.

Für 13:00 ist eine Informationsveranstaltung über „Leben in Hirosaki“ geplant, aber die kann ich beruhigt weglassen. Ich weiß inzwischen, wie man Müll trennt. Der nächste „offizielle“ Termin ist morgen früh um 09:00, und er beinhaltet das Ablesen der Testergebnisse und das provisorische Planen meines Stundenplans.
Ich schaue Irena dabei ein wenig über die Schulter, die sich schon jetzt um ihren Stundenplan bemüht, weil sie das Vorlesungsverzeichnis vor sich liegen hat, und ich finde Veranstaltungen, von denen ich nicht weiß, ob sie mich interessieren. „Traditionelle Sportarten Japans“? Nein danke. Man erinnere sich daran, was ich vor einiger Zeit über den in Japan tief verwurzelten Formalismus gesagt habe. Beim Kendô lernt man zuerst mal das Knien, beim Sumô das Wasser holen und Handtuchhalten. Dann gibt es „Kunstformen in Tsugaru“. Das klingt an sich interessant, aber da steht schon wieder Kôgin-Stickerei auf dem Plan, und das habe ich beim letzten Mal schon so unsäglich genossen. Musik ist nicht dabei… eine Shamisen-Vorstellung hätte mich überredet, mich einzutragen.
Ich kann auch keine Veranstaltungen finden, die von Philips oder Westerhoven angeboten werden (dessen Namen man tatsächlich mit „W“ und nicht mit „V“ schreibt – ich hatte letztlich ein Buch von ihm in der Hand). Carpenter ist auch nicht dabei… ich warte bis morgen und mache meinen Plan dann.

Ich gehe wieder in den Computerraum und plane meinen Spielzug gegen Frank, der heute endlich die entsprechende Datei geschickt hat. Dann schreibe ich zwei Berichte und finde eine Mitteilung von Prof. Fuhrt vor, in der er mich wissen lässt, dass die beiden Bücher, die ich bestellt hatte, angekommen seien. Ich könne sie heute abholen, wenn ich wolle, oder nächste Woche in die Sprechstunde kommen. Ich antworte, dass ich versuchen werde, am Nachmittag in seinem Büro vorbeizukommen. Ich verfasse noch ein paar Einträge für das Animetric Forum und gehe um kurz nach Vier zu meinem Betreuer. Er drückt mir die Bücher in die Hand und meint, die 2000 Yen, die ich eigentlich noch zu zahlen hätte, habe er aus dem Resthaushalt (gültig bis 31.03.) abgezweigt. Wow, vielen Dank. Ich brauche jeden Yen.
Ich lasse mich noch über die aktuelle Lage der Universität aufklären, seit sie ja am 01.04. zu einer „Anstalt des öffentlichen Rechts“ teilprivatisiert worden war. Wie erwartet, sei das Budget gekürzt worden und die Adleraugen des Bildungsministeriums lägen paradoxerweise sogar noch schärfer auf der Lehranstalt als vorher, sagt er. Er erzählt weiterhin, dass bis vor wenigen Jahren jeder Professor (unabhängig von seiner Forschung oder Lehre) ein jährliches Budget von 550.000 Yen für Bücher und 90.000 Yen für Forschungsreisen gehabt habe (ca. 4100, bzw. ca. 670 E), und dass dieses System nun geändert worden sei. Jetzt habe jeder ein Budget von insgesamt 430.000 Yen insgesamt (ca. 3200 E), aber man könne über die Verteilung von Literaturanschaffungs- und Reisekosten selbst entscheiden, was ein Lichtblick sei, weil man mit einer Reisekasse von nur 670 E im Jahr nicht weit komme.

Ich bedanke mich für das Gespräch und gehe in die Bibliothek, weil ich ein paar Zeilen über meine vorgenommene Befehlsphase im Spiel gegen Frank zu schreiben will, aber ich kann mich an Details schon nicht mehr erinnern. Ich verlege also wieder in den Computerraum, werfe das Spiel an und sehe mir den Zug noch einmal an. Ich will zum Beispiel die Namen der Truppen nicht umsonst umgeändert haben – bekannte Namen machen die Handlung plastischer, und deswegen nenne ich sie auch in meinem After Action Report. Ich verwende für meine Truppen normalerweise die Namen meiner Bundeswehrbekanntschaften, allerdings sprengt dieses Spiel den bisherigen Rahmen und ich muss auf „noch ältere“ Kontakte zurückgreifen. Karl und Mihel haben in meiner (deutschen) Aufstellung ja schon länger den Job als Panzerfahrer sicher, aber Ronald hätte es sich wohl nicht träumen lassen, dass er mal als OG Saladin in einem Halbkettenfahrzeug landen würde, und Sebb würde sich in einem Kübelwagen wohl ziemlich verloren vorkommen. Irgendwie ist es auch interessant, dass Frank einen deutschen Leutnant treffen wird, der nach ihm benannt ist… der auch noch einen höchst brisanten Job hat.

Ich schreibe danach einen weiteren Newsletter, sammele weitere Abschnitte des „Alpha Reports“ und gehe um 18:50 in den Fitnessraum. Ich habe sogar Wechselkleidung mitgebracht. Aber entgegen meiner Hoffnung kann man die Duschen der Turnhalle nicht benutzen. Das Material ist angerostet und der Boiler außer Funktion. Wasser läuft zwar, aber kalt duschen mochte ich noch nie.
Ich gehe alle Geräte zweimal durch, mit jeweils drei lockeren Wiederholungen, die wegen ihrer Anzahl anstrengend sein sollen, und nicht wegen dem Gewicht am anderen Ende des Zugseils. Immer die Hälfte des Machbaren. Ich teile den Raum mit zwei Japanern, die das wiederholen, was ich beim letzten Mal bereits beobachten konnte: Sie nehmen sich Gewichte vor, die sie gerade so und nur unter großen Mühen höchstens fünfmal stemmen können und fühlen sich danach wie die Könige. Ui, und einer zieht sogar sein Hemd aus. Ich lächle unauffällig in mich hinein. Seine Arme mögen (für einen Japaner) überdurchschnittlich sein, aber das, was dazwischenliegt, möchte ich mal als „Hühnerbrust“ bezeichnen. Unn die mache so gudd, die zwei! Ich muss mich arg konzentrieren, um angesichts ihrer Geräuschkulisse nicht in lautes Lachen auszubrechen. Wie Herkules mit Verstopfung auf dem Donnerbalken.

Um Acht verlasse ich die Halle wieder und fahre nach Hause. Melanie hat „Freddy Vs. Jason“ ausgeliehen und ich bin überrascht, dass mir der Film gefällt. Sehr klassische Horrorelemente, der Kampf der beiden Bösewichte ist interessant – und den Soundtrack will ich auch haben.


[1] Mandarin, um genau zu sein. Kantonesisch z.B. hat sechs Töne.