Code Alpha

Aus dem noch unerforschten Inneren meines Schädels

5. März 2024

Freitag, 05.03.2004 – Slang-Studien

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

Melanie steht bereits um 07:00 auf, weil sie um 08:00 eine Verabredung mit Steffi hat, um über den halben Globus hinweg ein bisschen per Computer zu chatten. Ich bleibe liegen und stehe erst um 08:00 auf; und beginne langsam mein Tagesgeschäft.

Um kurz nach Zehn bin ich im Center, wo Melanie noch immer mit Steffi zu Gange ist. Ich will mich nicht in den Chat einmischen und verzichte auf drei Sätze Smalltalk. Ich mag weder Chat noch Smalltalk. Ich hoffe, Steffi nimmt das nicht persönlich. Ich habe meine in letzter Zeit gekauften Singles und Maxis mitgebracht und speichere die Lieder als MP3 Dateien auf der Festplatte, bevor ich diese auf eine Daten CD brenne. Irgendwann werde ich dann ein paar wenige Musik-CDs mit jeweils etwa 80 Minuten Spielzeit daraus machen. Ich finde es nämlich störend, alle paar Minuten die CD wechseln zu müssen, weil auf den CDs, die ich gekauft habe, jeweils nur zwei oder drei Songs drauf sind. Dann fasse ich die Dinger lieber zu eigenen Sammlungen zusammen.

Ich erkläre bei der Gelegenheit auch Paula, wie das funktioniert, weil sie gerade mit dem Brennen einer Audio CD Probleme zu haben scheint. Aha, ich sehe das Problem. Nein Paula, man kann keine CD von 80 Minuten Spielzeit brennen, wenn auf der Scheibe bereits 200 MB andere Daten gespeichert sind. Wie man eine Re-Write CD-ROM neu beschreibt, weiß ich allerdings nicht. Ich gebe ihr eine meiner leeren CDs für ihr Vorhaben, und sie geht im Anschluss gleich einkaufen, um meine Leihgabe zu ersetzen.

Um 14:00 kommt Yui und wir setzen uns an die ersten paar Seiten des 125 Seiten starken Glossars von Bundeswehr-Jargon, das mir als Grundlage für meine Magisterarbeit dienen soll. Die Beschreibungen der einzelnen Begriffe werden, für Soldaten so simpel wie möglich, so übersetzt, dass der japanische Applikant nur noch das entsprechende Wort im Jieitai-Jargon einzusetzen braucht. Das geht stetig, aber nicht schnell voran, und um 16:30 muss Yui weg, weil ihr Job ruft.

Am deutlichsten markiert wird dieser Zeitpunkt durch die Koreanerin MinJi, die Probleme mit dem Drucker hat und deshalb auf der Kante des Tisches kniet, über dem auf einem Regal der Drucker steht. Ich sage nur zu ihr, dass sie darauf achten soll, nicht von der Tischkante zu rutschen, als Yui eröffnet, dass sie gehen müsse. Yui geht also und ich kann zumindest versuchen, dass Problem von MinJi zu lösen. Sie will eine Internetseite ausdrucken und der Drucker gibt eine Fehlermeldung her, die keiner von uns beiden so recht verstehen kann. Der Drucker hat Papier, alle Klappen sind geschlossen und ein Papierstau liegt auch nicht vor. Da finde ich kein Problem. Den Text auf der Seite kann man nicht markieren, weder durch Einrahmen noch per Druck auf die Tasten „Ctrl+a“, Rechtsklick geht auch nicht, also kann ich den Text nicht in ein WORD Dokument verpflanzen. Tut mir leid, mein Wissen ist erschöpft. Sie dankt mir dennoch für meine Mühen. (Man hätte allerdings einen oder mehrere Screenshots der Seite machen können, um diese dann als Bild auszudrucken, aber darauf komme ich erst einige Zeit später.)

Den Rest meiner Zeit verbringe ich damit, meine „Combat Mission“ Gefechtskarte „Maulwurf“ für mein nächstes Spiel gegen Misi vorzubereiten. Sie braucht einige Verbesserungen. Aber ich will nicht im Einzelnen darauf eingehen. Ist sicher langweilig. Ich gehe um kurz nach Sechs. Ich fühle mich müde und verzichte darauf, einen Bericht zu schreiben. Außerdem wollte ich eh um 19:30 zuhause sein, um „Atashin’chi“ zu sehen.

Danach lese ich wieder in meinem Buch und gehe später mit Melanie in die Videothek, weil sie eine ausgeliehene TV-Serie zurückbringen will. Ich entdecke dabei im Regal die US Serie „Band of Brothers“, das Projekt von Tom Hanks und Steven Spielberg nach „Saving Private Ryan“. Die Filme sind im O-Ton verfügbar, also fasse ich den Plan, mir die Serie mit Misi zusammen anzusehen, weil sie so wunderbar zu Combat Mission passt.

4. März 2024

Donnerstag, 04.03.2004 – Mehr Heizung!

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

Es ist Donnerstag und es ist kalt. Immerhin kann man sich bereits am Morgen auf den Fernsehabend freuen.

Ich gehe erst ins Center, dort treffe ich (zufällig) Yui und vereinbare, mich morgen mit ihr zu treffen, wegen ein paar Übersetzungen. Ich wechsele dann ins Physikgebäude und treffe auf dem Weg dahin auch Masako wieder, die sich daran macht, ihr Büro auszuräumen. Die Ergebnisse der Abschlussarbeiten sind zwar noch nicht draußen, aber Zweifel an einem Erfolg hat sie natürlich nicht.

Physikgebäude, das heißt miese Stühle und eine auf Hochtouren laufende Lüftung, die einem ständig einen kühlen Luftzug ins Genick pustet, wenn man nicht gerade in der letzten Reihe sitzt. Also wieder eiskalte Finger und Füße (aber dem kann ich ja etwas abhelfen). Warum können die den Raum nicht einfach zwei Grad wärmer heizen? Im Winter ist der Raum hier ein echtes Erlebnis.

Ich schreibe heute 15 Einträge ins Animetric Forum und mache mich damit ganz eindeutig zum „Poster des Tages“. Leider gibt es dafür keine Geld- oder Sachpreise.

Um 18:00 gehe ich nach Hause und warte darauf, dass um 19:00 das Abendprogramm beginnt.

17. Februar 2024

Dienstag, 17.02.2004 – Ich bin enttarnt

Filed under: Japan,Manga/Anime,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

Heute Morgen also noch eine Stunde bei Yamazaki-sensei… und dieser Gedanke geht mir so langsam durch den Kopf, dass ich jede einzelne Silbe bewusst erfassen und mit Missbilligung strafen kann.

Und wieder einmal sind Melanie und ich die einzigen Anwesenden… zunächst!
Nach zehn Minuten kommt Valérie dazu. Und noch einmal 20 Minuten später trifft sogar Chin ein! Das ist der Chinese (Arzt, Mitte 30), der sich bisher um jeden einzelnen Kanji-Test herumgedrückt hat. Hui, vier Leute!
Am Schluss bekommen wir unsere Klausuren zurück und mein Pegel liegt bei 60 %. Ein Rekord in diesem Semester (in Bezug auf Japanischklausuren). Natürlich sind 60 % arm – aber wenige Minuten vor dem echten Ferienbeginn will ich darüber nicht weiter nachdenken.

Ich gehe in die Bibliothek und finde gleich drei lange Mails auf einmal vor – von Sebastian, Kai und Kati. Kati schreibt über ihre Ferien, die anderen haben wichtigere Belange. Dann muss Kati leider warten.
Ich schreibe selbst noch drei Mails und schon zeigt die Uhr nach Zwei. Ich gehe schnell ins Center und verpacke zwei Bücher, die ich per E-Bay verkauft habe und nach Deutschland schicken will. Dann kommt FanFan ins Center, sieht und begrüßt mich.

Was ich da täte, möchte sie wissen.
Ei, ich verpacke Bücher, die ich nach Deutschland schicken will.
Ob sie sie mal sehen dürfe?
Die Gedanken, die innerhalb einer halben Sekunde in meinem Kopf erwägt wurden, hier in Kürze: Wenn ich ihr verbiete, die Bücher zu sehen, ist das erstens hochgradig verdächtig und zweitens könnte sie beleidigt sein. Wenn ich ihr die Bücher zeige, werde ich ihr ebenfalls in Zukunft verdächtig sein… aber wenn ich offen bin, kann ich meinen Ruf eher wieder hinbiegen, weil sie weiß, woran sie ist.
Hm, in Ordnung… aber sie solle nicht erschrecken. Sie tut es trotzdem. Sie nimmt den ersten Band, den sie greifen kann, in die Hand, mit dem Titel „EVA Hot“ und sieht Hoshino Ruri (aus „Nadescio“) in eindeutiger Stellung. Wenige Sekunden später entschwindet sie ohne weiteren Kommentar. Ich packe also weiter ein.

Und als ob FanFan nicht gereicht hätte, kommen als nächstes BiRei und Mei mit fröhlichen Gesichtern auf mich zu. Aha, die nächsten. Das Spiel beginnt von vorn.
Was ich denn da täte, möchten sie wissen.
Ich denke erst gar nicht und drücke Mei „EVA Hot“ in die Hand.
Ein Moment Stille.
Aber immerhin laufen die beiden nicht gleich weg. Mei macht Witze über meinen Extraverdienst. Soll sie. Gefällt mir besser als Weglaufen.
Die beiden wollen kommenden Monat ins Frauenwohnheim umziehen und ich frage sie, wie es mit einer Umzugsparty wäre. Ja, BiRei zumindest hat nichts dagegen, Mei überhört die Frage und schweigt dazu. Sie blättert lieber in „EVA Hot“ mit dem Bild von Hoshino Ruri drauf. Jetzt mache ich die Witze („Was ist? Hast Du Gefallen daran gefunden?“), aber das prallt von ihr ab wie Wasser von einer gewachsten Karosserie. Ich denke an den Film „Feuerwalze“ mit Chuck Norris (Zitat):
„Was wird er schon tun? Er ist Chinese, und Chinesen lächeln…“
Mei tut genau das angesichts meiner Bemerkung.
Schließlich bringe ich die Bücher zur Post, und bis ich zuhause bin, ist es schon 14:30. Aber Melanie reagiert darauf gelassener, als ich erwartet hätte.

Unser heutiges Programm besteht aus der zweiten Hälfte der „GTO“ Serie, nur unterbrochen von einem Besuch im „Bunpuku“ Ramen-Laden. Zuletzt sehen wir uns noch eine Episode von „Chrno Crusade“ an. Ja, der Name ist richtig geschrieben. Da fehlt tatsächlich das erste „o“ in der Rômaji Schreibung. Nehmen wir also an, dass es sich um Absicht handelt. Die Serie ist auch ganz hervorragend gezeichnet, gute Arbeit, aber auf eine niedliche Variante von „Warrior Nun Areala“ (nicht totzukriegende Leser der „AnimaniA“ werden das wahrscheinlich kennen) kann ich gut verzichten. Da ist eine junge Nonne mit reichlich reizfreier Unterwäsche, die im New York des Jahres 1928 unter Dämonen aufräumt. Natürlich erfüllt sie alle Klischees, die man so braucht, um eine niedliche Heldin zu basteln. Ich nenne hier nur den klassischen Vorgang „Zu schnell zu viel essen, sich verschlucken, blau anlaufen, sich dreimal auf das Brustbein klopfen, mit Wasser nachspülen“. Ich hab das auch schon probiert (bevor ich blau angelaufen bin allerdings), aber es hat nichts gebracht, mir auf das Brustbein zu schlagen (außer dem üblichen dumpfen Trommelgeräusch). Der Brocken bewegt sich erst, wenn man ihn wegspült. Begleitet wird die Nonne von einem nicht minder niedlichen, (zum Guten übergetretenen?) dämonischen Gehilfen mit der körperlichen Erscheinung eines schätzungsweise 16-jährigen Jungen, dem die Vorgesetzten der Kampfnonne natürlich wenig Vertrauen entgegenbringen. Ich bin sicher, dass er noch eine zwiespältige Rolle spielen und am Schluss an der Vernichtung des Bösen großen Anteil haben wird. Der Inhalt offenbart sich dem Erfahrenen also eigentlich bereits nach der ersten Episode. Die restliche Handlung ist mir zu offensichtlich… mir reicht eine Episode.

Die Nonne heißt übrigens, ja, tatsächlich, „Rosette“. Natürlich ist mir bewusst, dass es sich dabei um ein architektonisches Merkmal gotischer Kirchen handelt (dieses grob runde Fenster an der Frontseite heißt im kunsthistorischen Fachjargon so) und dass ihr Name höchstwahrscheinlich deshalb ausgesucht wurde – von einem arglosen Japaner, der die populärste Bedeutung des Begriffs wahrscheinlich nicht kennt. Dennoch finde ich das Wort als Namen für eine Frau reichlich unpassend. „Uhura“ ist als Frauenname richtig harmlos dagegen.

13. Februar 2024

Freitag, 13.02.2004 – Sind wir bald fertig?

Filed under: Japan,Manga/Anime,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

Heute ist Freitag und wir müssen wieder früh raus, weil Ogasawara-sensei eine Nachholstunde angesetzt hat. Wir sollen die Klausuren vom Wochenanfang zurückbekommen. Und, hurra, ich komme auf 58 %. Kein Grund zum Feiern, aber immerhin ist das besser als das letzte Mal. Außerdem sind heute nur vier Leute anwesend: Die Lehrerin selbst, die Chinesin Chong, Melanie und ich. Wie es scheint, werden Sondertermine gerne von mindestens zwei Dritteln des Kurses „vergessen“. Und zur Entspannung spielen wir im Anschluss ein Spiel, für das wir per Zufall kleine Papierzettel zugewiesen bekommen, auf denen Begriffe stehen, die wir erklären sollen, während der Rest der Anwesenden raten soll, was wir da erklären. Ich erkläre „Zahnbürste“, „Zahnpasta“, „Tageszeitung“ und „Mikrowelle“.[1]

Nach dem Unterricht arbeite ich die notwendigste Post ab, bringe ein Buch zu derselben und gehe dann nach Hause. Wir sehen uns im Laufe des Tages noch mehr Episoden an, darunter weitere Teile von „Fumoffu!“. Die Rugby-Episode muss der absolute Höhepunkt sein, weil ich mir keine Steigerung mehr vorstellen kann. Ich leide Schmerzen und weine Tränen vor Lachen.

Des Weiteren sehen wir Teile von „Ayatsuri Sakon“, wo es um einen Puppenspieler und seine Marionette geht, die „zusammen“ Kriminalfälle lösen. Ob der Puppenspieler, Sakon, einfach nur eine glatt gespaltene Persönlichkeit oder ob die Puppe, Ukon, ein Eigenleben hat, ist mir nicht klar geworden.[2] Auf jeden Fall verfährt auch diese Serie nach dem Prinzip, den Zuschauer völlig im Dunkeln zu lassen, was die Aufklärung betrifft und den Protagonisten am Ende einen aufklärenden Monolog führen zu lassen, was ich persönlich bedauere. Man erhält als Zuschauer keine Gelegenheit, sich selbst fundierte Gedanken zu machen, es erleichtert lediglich die Arbeit der Drehbuchautoren (da sie am Ende behaupten können, was immer sie wollen). Aber ansonsten ist die Serie empfehlenswert, die Zeichenqualität ist hervorragend und die Stimmung ist sehr passend inszeniert, zum Teil sehr düster, um genau zu sein.
Zuletzt sehen wir ein paar Episoden der „Gravitation“ TV-Serie an. Der doch als homoerotisch zu bezeichnende Inhalt ist nicht ganz mein Ding, aber die Charaktere sind zum Teil sehr sympathisch und lustig. Ich würde damit keinen Platz in meinem kleinen Regal verschwenden wollen, aber anschauen hat sich auf jeden Fall gelohnt.


[1] Die ersten beiden Begriffe kann ich leicht umschreiben, weil ich mir Details aus dem Werbefernsehen gemerkt habe.

[2] „Ukon“ und „Sakon“ sind übrigens die Bezeichnungen der beiden Bäume, die rechts bzw. links vom Eingang des Kaiserpalastes in Kyoto stehen.

12. Februar 2024

Donnerstag, 12.02.2004 – Kauftour

Filed under: Japan,Manga/Anime,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

Die letzte Klausur des Semesters erwartet uns. Sie kommt mir besser zu bewältigen vor als die vorherige, aber… warum ist es bloß immer das letzte Drittel einer Arbeit, das meinen Karren in den Dreck schieben muss?

Danach findet heute kein Unterricht mehr statt. Aber noch ist das Semester nicht vorbei. Wir haben noch eine Stunde bei Ogasawara-sensei vor uns, morgen. Ich sehe nach meiner Post und in „mein“ Forum, aber viel steht nicht an, also bin ich zeitig wieder daheim. Entsprechend der Tatsache, dass jetzt vier Leute in unserem Apartment wohnen, muss öfters Wäsche gewaschen werden, das heißt: Heute, jetzt sofort, und morgen gleich wieder.

Am Nachmittag fahren wir mit dem üblichen Bus zum Ito Yôkadô, steigen dort in den 100-Yen-Bus um und fahren zum „Cub Center“, einem „GLOBUS“ ähnlichen Verbrauchermarkt, das sich fast genau gegenüber vom Book Off befindet. Es schneit wieder stark, und der Schnee ist nass. Die Bürgersteige neben der Hauptstraße sind nicht geräumt und wir müssen uns auf kleinen Trampelpfaden fortbewegen, die nicht nur glatt, sondern zum Teil auch noch sehr abenteuerlich mit Eistrümmern „verziert“ sind, die vom Räumdienst von der Straße entfernt wurden. Man kommt sich vor wie in den Bergen! Und das ist ausnahmsweise kein Lob an die Landschaft.

Was die anderen drei im Book Off kaufen, habe ich mir nicht gemerkt, ich jedenfalls nehme die CD „Fuwari“ von Hayashibara Megumi mit, und das für 750 Yen. Billiger werde ich sie kaum bekommen. Zwischendurch muss ich aber auch kurz in das nebenan befindliche Restaurant eilen, um eine Toilette aufzusuchen… Boco ist da fast so gut wie Pfirsich-Eistee von Solevita! Danach suche ich für Freunde nach dem Hörspiel zur Manga-Reihe „Skip Beat!“ und nach dem Album „ID“ von Aikawa Nanase. Leider sind die Titel nicht verfügbar. Es sind aber noch zwei oder drei Läden übrig, in denen ich nach gebrauchten CDs fragen kann. Wir verlassen den Laden erst bei Anbruch der Dunkelheit und kehren nach Hause zurück.

Wir fangen an, die Serien, die Ricci mitgebracht hat, anzusehen, und die erste Nummer ist „Full Metal Panic – Fumoffu!“. Ich lache mir einen Ast und bin bemüht, nicht vom Stuhl zu fallen. Hinterher tut mir der Kopf weh vor Lachen. „Full Metal Panic“ war schon eine hervorragende Serie mit Humoreinlagen, die meinen Geschmack ziemlich genau trafen, nicht zuletzt, weil ich Teile meiner Persönlichkeit in der männlichen Hauptfigur Sagara Sôsuke wiedererkenne. „Fumoffu!“ ist eine Art Zugabe. Es geht dabei nicht darum, irgendeine Handlung aus der ursprünglichen Serie weiterzuführen, oder etwa eine eigene, neue, auf die Beine zu stellen. Die paar Episoden sind locker zusammengemischt und der rote Faden fehlt ihnen. Es geht wohl nur darum, das Verhältnis von Sôsuke und Chidori weiter auszuschmücken und den übertriebenen, militärisch-rationalen Unsinn von Sôsuke noch stärker zu betonen. Man könnte die „Fumoffu!“ Episoden wahrscheinlich ganz unauffällig in die Hauptserie einfügen, ohne dass es einem Uneingeweihten auffallen würde.

Wir sehen uns dann abends „Ace o nerae“ an, was, wie ich vermutet habe, von unserem Besuch natürlich nicht mit allzu viel Ernst betrachtet wird. Das wäre auch fehl am Platze, auch wenn die Serie möglicherweise durchaus ernst gemeint ist. Aber der Schmalz darin reizt doch immer wieder zu zwanglosen Kommentaren. Von „Doll House“ können wir nur noch die letzte halbe Stunde sehen, weil sich die Sendezeit aufgrund des Fußballspiels Japan-Malaysia verschoben hat.

10. Februar 2024

Dienstag, 10.02.2004 – Die Leere

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

Heute wieder frühlingshafte Temperaturen nach der kältesten Nacht des bisherigen Winters, wie ich in einem Gesprächsfetzen auf dem Gang in der Uni mitbekomme. Ich habe mir schon so was gedacht, als ich in die Küche gekommen bin, um zum Bad zu gelangen. Frostig.

Die Klausur im Buddhismus-Seminar steht an, und auf dem Aufgabenblatt ist zu lesen:
„Erläutern Sie den Begriff der Leere im Buddhismus und beantworten Sie eine der übrigen vier Fragen.“
Na, das ist bei meinem derzeitigen Wissenstand nicht schwer. Ich nehme auch spontan die Frage nach der Entwicklung und Verbreitung des Buddhismus.[1] Von den ursprünglichen neun Teilnehmern sind noch vier übrig: Irena, Mélanie, David und meine Wenigkeit. Manche scheuten sich vor der Klausur, die sie in englischer Sprache würden schreiben müssen, und andere hatten mir unbekannte Gründe. Die beiden Japaner allerdings hätten für das Seminar sowieso keine Leistungspunkte bekommen können, also warum sollten sie sich mit einer nutzlosen Klausur belasten, wenn sie genug andere Dinge zu tun haben?
Nach der Klausur dürfen wir noch ein Bewertungsformular ausfüllen, darüber, was wir von dem Kurs gehalten haben, aufgeteilt in verschiedenartige Fragen, zu bewerten auf einer Skala von 1 bis 5. Allerdings weiß ich auch, dass alle anderen Kurse ihre Fragebogen bereits letzte oder vorletzte Woche ausgeteilt haben. Das Semesterende ist so nah, dass ich annehmen muss, dass die Fragebögen bereits jenseits der Abgabefrist sind.

Ich gehe in die Bibliothek. Und beschränke meine Computerarbeit auf 60 Minuten, weil Melanie mich gebeten hat, wegen der anstehenden Putzarbeiten frühzeitig zuhause zu sein. Ricci und Ronald werden heute Abend um 22:00 in Tokyo losrollen und morgen früh um 07:00 in Hirosaki eintreffen. Mir scheint, ich habe das etwas durcheinander gebracht. Aber es ist ja nicht das erste Mal, dass ich einen Abreisetermin mit einer Ankunftszeit verwechsele. Ich sehe also nur meine Post an und stelle außerdem mit großer Befriedigung fest, dass „Combat Mission“ auf den Rechnern der Universität Hirosaki einwandfrei läuft. In Trier funktioniert das Spiel nicht, weil die nötige 3D-Grafikkarte fehlt. Die scheint in Hirosaki gegeben zu sein.
Ei, dann kann das Blei ja fliegen! Das Center hat durchgehend geöffnet, es sollte also möglich sein, hin und wieder einen Zug zu spielen und per E-Mail weiterzuleiten. Wenn jetzt natürlich das Rechenzentrum geöffnet hätte, dann wäre das natürlich die Ideallösung. Dann kann man nämlich ein ganzes Spiel in einem Stück fertig spielen, anstatt über Tage hinweg. Das Rechenzentrum ist nämlich relativ groß und normalerweise nur schwach gefüllt, während die Bibliothek und das Center viel Publikumsverkehr haben, und ich habe, anders als bestimmte Thailänder und Chinesen, nicht den Nerv, die Rechner stundenlang für Dinge zu missbrauchen, die definitiv nicht mit dem (zugegeben idealisierten) Grundsatz von „Forschung und Lehre“ zu vereinbaren sind, während andere Leute darauf warten, ihre Post zu checken. Die Thais spielen „Ragnarök Online“, die Chinesen spielen sogar „Halflife“, „Unreal Tournament“ oder „Counterstrike“. Anders als in Center oder Bibliothek, wo ständig jemand auf einen freien Rechnerplatz wartet, ist im Rechenzentrum immer genügend Platz, so dass ich niemanden daran hindere, E-Mails zu lesen oder Arbeiten zu schreiben.

Am frühen Abend bewaffne ich mich aber vorerst mit Putzhandschuhen, Schwamm, Scheuermilch und Handtuch und putze das Bad. Das Handtuch wird gebraucht, um die Oberflächen gleich trocken zu reiben, damit nicht gleich wieder alles anschimmelt. Ein Fenster im Badezimmer hätte Vorteile. Danach gehe ich einen neuen Sack Reis kaufen, stelle ihn abrufbereit in den Schrank und setze mich vor den Fernseher. Ich will mir die aufgenommene Episode von „Doll House“ noch ansehen und „Kochira wa Hon’ikegami-sho“.


[1] Der Buddhismus hat sich, wie andere Religionen auch, in und durch Perioden politischer Instabilität verbreitet.

9. Februar 2024

Montag, 09.02.2004 – Schlafzimmereinrichtung

Filed under: Japan,My Life,Spiele,Uni — 42317 @ 7:00

Starker Schneefall am Morgen um halb Zehn. Die Aussage meines Ölverkäufers, dass der Februar der schneereichste Monat sei, scheint sich zu bestätigen. Es ist natürlich lustig, dass es genau dann anfängt zu schneien, wenn wir Besuch kriegen sollen.

Nachdem Melanie in den letzten Tagen wiederholt angemerkt hat, dass meine derzeitige Art des Frühstücks – untertrieben ausgedrückt – „ungewöhnlich“ sei, esse ich meinen Reis heute wieder mit Mayonnaise und Nori. Ach ja, den Geruch (!) von warmer Mayonnaise mag sie ja auch nicht… Was ist also „meine derzeitige Art des Frühstücks“? Ich mische eine Soße an, die zu einem Drittel aus Sojasoße und zu zwei Dritteln aus Rotwein besteht (gerade so viel, dass der Boden der kleinen Pfanne bedeckt ist), rühre einen Kaffeelöffel Tonkatsu-Soße, einen Esslöffel Ketchup und Mayonnaise und eine Prise Pfeffer hinein, vielleicht noch einen Spritzer Essig, und köchele dann Rindfleischstreifen (ca. 2 mm dick) darin, bis sie gerade gar sind. Wenn man sie zu lange kocht, werden sie zu zäh, um noch den Reis damit umfassen zu können. Das schmeckt (mir) ganz hervorragend, und ein Kilo von diesem Fleisch kostet umgerechnet auch nur 5 E. Daraus mache ich fünf oder sechs Portionen.

Heute steht die Klausur für den A3-Kurs an. Wie neulich ist auch hier das letzte Drittel besonders knackig, eben wegen der Abfrage von Texten, die im Lehrbuch stehen. Aber diesmal habe ich mich immerhin soweit vorbereitet, dass ich mir die möglichen Texte mehr als nur angesehen habe. Das sollte ein paar Punkte retten. Aber wie üblich komme ich mir nach der Arbeit so blöde vor, als hätte ich nie auch nur eine Stunde Japanischunterricht genossen.

Danach verbringe ich den Tag weitgehend mit meiner Post und im Animetric Forum, bevor ich nach Hause gehe.

Ich finde Post auf dem Schuhschrank, die Melanie freundlicherweise hochgebracht hat. Es ist die „Combat Mission“ CD, die Karl vor ein paar Tagen in Deutschland weggeschickt hat. Das war schnell. Besten Dank. Mein eifriger Freund hat darüber hinaus nicht nur „Combat Mission“ auf die CD gebrannt, sondern auch noch „Panzer General“ und „Snow Craft“. Und seinen „Humor“ Ordner. Hm, vielen Dank. Misi ist immer auf der Suche nach interessanten Spielen, aber mit den Dateien im „Humor“ Ordner wird er möglicherweise wenig anfangen können, da er nur rudimentäres Deutsch spricht. Aber voreiliges Handeln ist besser als Versäumnis. (Ich wünschte, ich könnte so konsequent nach diesem Vorsatz leben, wie er mir immer von den Lippen fließt.)

Um 22:00 bin ich mit SangSu verabredet, weil ich etwas von dem Bettzeug leihen möchte, das Angela ihm überlassen hat. Ich ziehe also meine Schuhe an, als er schon an die Tür klopft. Er hat eine Decke in der Hand. Oh ja, das ist gut. Aber wir brauchen auch einen Futon. Nein, so was habe er nicht. Aber er könne uns noch eine weitere solche dicke Decke geben und ein Kopfkissen dazu. Ich gehe mit ihm hinunter und hole das Zeug.

Und wenn ich schon da bin, kann ich auch gleich mit Hilfe seines Laptops ausprobieren, ob die von Karl gebrannte CD auch den Transport überlebt hat – schließlich könnten kleine Kratzer die Lauffähigkeit verhindern. Außerdem bin ich, zugegeben, begierig, dieses Spiel der Spiele mal wieder zu sehen. Und es läuft. SangSu will sich auch gleich „Snow Craft“ kopieren. Er sagt, das kenne man auch in Korea und er habe es immer gerne gespielt. Ja, sicher, soll er. Vielleicht wird er ein weiteres Mitglied der „Combat Mission“ Spielgemeinde. Aber… wenn ich ihn so ansehe, mache ich mir da wenig Hoffnung, auch wenn er sagt, dass er das Spiel ausprobieren möchte. Ich lasse es also auf seiner Festplatte. Die CD dazu braucht man ja nicht.

6. Februar 2024

Freitag, 06.02.2004 – Zieh mit, Feuer, zieh mit mir…

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

Heute Morgen gehe ich noch einmal im Schnellverfahren Grammatik und Kanji durch, aber bei letzteren gibt es nicht mehr viel rauszuhauen, weil ich mich zu sehr auf die Grammatik gestürzt habe in den letzten Tagen. Zu allem Überdruss komme ich auch noch spät weg und schaffe es gerade noch, vor dem Unterricht da zu sein und einem dringenden Bedürfnis nachzukommen.

Zwei Drittel der Klausur sind an sich nicht schwer, aber das letzte Drittel hat es in sich. Da werden unter anderem die Dialogtexte aus dem Lehrbuch abgefragt, und ich hatte kein wie auch immer geartetes Interesse daran, diese auswendig zu lernen. Die exakten, einzusetzenden Vokabeln sind mir daher auch fast unbekannt.[1] Und natürlich ein Kanjitest. Wenn ich davon die Hälfte richtig habe, schätze ich mich bereits recht glücklich. Bei zwei Zeichen weiß ich weder Lesung noch Schreibung, aber immerhin die Bedeutung. Ich schreibe die Bedeutung in das freie Feld und hoffe, dafür vielleicht noch einen halben Punkt rausholen zu können. Wie üblich gehöre ich zu den letzten vier, die ihre Arbeit abgeben. Ich hoffe auf 60 %. Mehr als 50 % werden es wohl immerhin werden.

Ich kümmere mich dann um meine E-Mails und finde eine von meiner Mutter vor. Offenbar war mein letzter Brief an sie etwas… scharf formuliert. Ihr aktuelles Schreiben erfüllt den Zweck einer beruhigenden Geste. Ich sehe ein, dass ich meine Wortwahl wohl etwas unklug getroffen habe. Ich habe wohl irgendwann in meinem Tagebuch geschrieben, dass es kalt sei, was meine Mutter dazu veranlasst hat, mir ein „Notpaket“ zu besorgen, mit Handschuhen und anderen (von ihr nicht näher genannten) Sachen drin (die sie wegen der extremen Postgebühren aber nicht versandte). Ich schrieb zurück, dass ich schon alleine klarkäme. Natürlich bin ich dankbar, dass sie sich Sorgen macht, aber derartige Dinge treffen einen empfindlichen Punkt: Ich komme mir nicht gerne bemuttert vor. Es gibt mir das Gefühl von Abhängigkeit. Leider ist meine Abneigung gegen dieses Gefühl in meine Antwort eingeflossen. Ich muss diplomatischer sein. Und weniger emotional reagieren. Es tut mir leid.

Ich hatte in diesen Tagen auch schriftlichen Kontakt zu meinem Bruder. Ich finde es sehr beruhigend, dass ihm seine Arbeit offenbar zusagt… auch wenn er überhaupt nicht aussieht, wie man sich einen Metzger vorstellt. Ich wünsche ihm jedenfalls alles Gute für den weiteren Weg, den er gewählt hat. Auch wenn er mich für diesen Abschnitt für völlig bekloppt halten und möglicherweise der Meinung sein wird, dass ich mich zu sehr für seine Privatangelegenheiten interessiere. Aber trotz aller Meinungsverschiedenheiten: Bruder bleibt Bruder. Und ich habe mehr als 20 Jahre gebraucht, um das zu verstehen. Es ist unnötig, darüber zu witzeln, dass das daran liege, dass ich alt und weise geworden sei. Ich bin nämlich eigentlich weder das eine noch das andere. Zumindest noch nicht. Allen jungen Leuten, die sich zuhause mit ihren Geschwistern in den Haaren liegen, sei gesagt, dass man viel besser miteinander auskommen wird, wenn man sich nicht mehr jeden Tag auf der Pelle sitzt.

Da heute Freitag ist, schließt das Center bereits um 17:00, also weiche ich in die Bibliothek aus, aber dort ist das nahende Semesterende immer noch deutlich zu spüren. Die Jungs und Mädchen schreiben sich immer noch die Finger an ihren Arbeiten wund und man muss immer noch eine Zeitlang warten, bis man endlich einen Platz bekommt. Natürlich könnte ich auch in den großen CIP-Pool ausweichen, aber das Procedere stört mich da ein wenig: Straßenschuhe aus- und (für mich) viel zu kleine Latschen anziehen, Studentenausweis abgeben, sich in die Liste eintragen.[2] Zumindest ist das ab fünf Uhr nachmittags so. Ich habe aber Glück; Jû wird gerade fertig mit was auch immer er hier gemacht hat und überlässt mir seinen Platz. Er werde seinen Geburtstag leider nicht feiern, sagt er.

Karl schreibt mir, dass er meine Bestellung (ich habe ihn um eine Kopie von „Combat Mission“ gebeten, damit ich mit Misi spielen kann)[3] auf den Weg geschickt hat und dass ich ihm vier Euro Porto schulde. Ich überweise sie auf sein Konto und harre der Dinge, die da kommen.

Als ich nach Hause komme, darf ich auch gleich wieder losstiefeln, weil Melanie das Tomatenmark für die Hackfleischsoße vergessen hat. Die Soße wird auch gut, wenn auch sehr „knoblauchlastig“ und mit einem seltsamen Gewürz geschärft, das aussieht wie Chilipulver und in stärkerer Konzentration nach Pfeffer schmeckt. Was habe ich da gerade gegessen? Aber es rafft mich keine Vergiftung dahin und damit bin ich zufrieden.

Wir sehen uns die Aufnahme der aktuellen Episode von „Ace wo nerae!“ an und ich komme zu dem Schluss, dass es ein interessantes Spiel wäre, sich vor den Fernseher zu setzen und jedes Mal einen Schnaps zu trinken, wenn Hiromi „Ojôfuji…“ sagt, in diesem schmelzend zarten Ton, den sie dabei so gekonnt draufhat. Zur Erklärung: „Ojôfuji“ ist die Bezeichnung, die sie gegenüber ihrem Vorbild (?) Tatsuzaki Reika verwendet, und das bedeutet etwa „hohe Tochter“ oder „junge Dame“, soweit ich das interpretieren kann. Alternativ dazu könnte man zwei Trink-Teams bilden. Die einen trinken bei „Ojôfuji“ und die anderen heben immer dann einen, wenn Hiromi sich mit Hingabe auf dem Tennisplatz räkelt, weil sie – mal wieder – angesichts der Härte des Trainings zu Boden gesunken ist. Und jedes Mal, wenn sie auch noch den Staub vom Boden im Gesicht hängen hat, einen Doppelten. Das könnte ein lustiger Abend werden.
Die Darstellung der Beziehungen der einzelnen Charaktere zueinander erweckt den Eindruck, dass eine Beziehung zwischen Hiromi und Reika weitaus wahrscheinlicher ist, als das Zusammenkommen von Hiromi mit… diesem jungen Kerl mit der „Drei-Wetter-Taft-Frisur“… „Tôdô“ heißt der. Seinen Vornamen kann ich mir nicht merken. Jedenfalls sehe ich hier das auffälligste Yuri-Team, das mir je unter die Augen gekommen ist. Das Vokabular verstehen natürlich nur Insider, und es reicht mir auch voll und ganz aus, wenn nur die es verstehen.

Zuletzt bleibt für den Abend noch „Skyhigh 2“, was sich als lohnende Serie herausgestellt hat. Die Hauptdarstellerin (Shaku Yumiko) würde eine ganz hervorragende SailorPluto abgeben – sollte „SailorMoon“ je so weit kommen. Ich würde das begrüßen. Vermutlich habe ich das bereits erwähnt. Die Uhr zeigt nach Mitternacht. Ich bin müde und ich spüre keine Motivation mehr, mir auch noch die Aufnahme von „Doll House“ anzusehen. Das kann warten. Es handelt sich eh um eine der Serien, über die man lachen kann, weil sie eigentlich ganz furchtbar schlecht sind.


[1] Das japanische System baut stark auf das Auswendiglernen von Daten, eine solche Art von Klausur ist also nur folgerichtig.

[2] … und schlecht geheizt, möchte ich hinzufügen.

[3] Ich besitze eine lizenzierte Kopie von dem Spiel, aber das Original wollte ich mir nicht über den halben Globus hinweg schicken lassen.

5. Februar 2024

Donnerstag, 05.02.2004 – Der Anfang vom Ende

Filed under: Japan,Manga/Anime,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

Über Nacht hat es 10 cm Neuschnee gegeben und der Himmel am Morgen ist strahlend blau. Die Aussicht aus der Balkontür ist sehr schön, aber ich muss davon ausgehen, dass es knochig kalt ist. Der erste Schritt vor die Haustür bestätigt diesen Verdacht. Und natürlich ist es glatt. Also vorsichtig gehen.

Yamazaki-sensei arbeitet heute mit uns Übungsblätter durch, nachdem wir gestern mit dem Lehrbuch fertig geworden sind. Ich hätte mir gewünscht, dass er vielleicht die wichtigsten Inhalte noch einmal wiederholt, angesichts der Klausur kommende Woche. Mit Anteilen aus der ersten Semesterhälfte, aber mit Schwerpunkt auf der zweiten, sagt er. Das kann ja heiter werden.

Die Endphase des Semesters beginnt dann heute mit der ersten Abschlussarbeit, der Kultur-Klausur. Ich empfinde sie als nicht wirklich schwer, aber Essay-Aufgaben waren noch nie mein Ding, weil ich nie sicher bin, ob ich den Punkt auch treffe. Hinzu kommt, dass ich eigentlich zu gut gelaunt bin. Das ist mir verdächtig, weil ich mir den Zustand nicht erklären kann. Vielleicht ein Ausdruck von Nervosität. Einige meiner Formulierungen lassen sogar ein gewisses Maß an Ironie erkennen. Aber schließlich geht es unter anderem um die Verbreitung des Christentums in Japan – wie könnte ich da ernst bleiben? Ich schreibe abschließend einen Vermerk darunter, in dem ich Sawada-sensei bitte, doch auch meinen Stil zu kommentieren. Es sind noch zwei Minuten bis zum Schlussgong. Ich nutze damit die Zeit und den Raum (eine Doppelstunde und zwei Seiten Papier im Format A3) optimal aus, ohne Eile, aber auch ohne zu wissen, ob das nun gut oder schlecht war.

Nach der Arbeit mache ich einen elektronischen Abstecher ins Forum von Animetric.com. Bis heute habe ich 16 Episoden der irren Serie „Oruchûban Ebichû“ gesammelt, und hier finde ich den Hinweis, dass es insgesamt 27 davon gibt. Oder „geben soll“. Na hurra. Ich habe keine Idee, wo ich den Rest auch noch herbekommen könnte. Elf der Episoden sind also offenbar nie von den FanSub Teams bearbeitet worden… eigentlich schade. Immerhin handele es sich dabei, so ist da zu lesen, um eine Reihe von einzelnen Episoden, die untereinander nur einen lockeren Zusammenhang haben und nicht wirklich auf eine Art Ende hinzuarbeiten scheinen. Also werde ich vorerst damit leben können.

Ich verständige mich anschließend schriftlich mit Ricci, um ihr, wie auch Melanie, mitzuteilen, was sie alles für die Dauer ihres Besuchs bitte mitbringen soll. In erster Linie geht es dabei um TV-Serien, aber ich möchte auch Zugriff auf die Unzahl ihrer Musiktitel (4000?) erhalten, die sich auf ihrer Festplatte befinden.

Am späten Nachmittag sehe ich eher zufällig meine verehrte Tutorin wieder, die sich dafür entschuldigt, den letzten Termin vergessen zu haben. Aber so ernst nehme ich diesen Zwischenfall nun wirklich nicht, da ich inzwischen alleine ausgetüftelt habe, wie das mit dem Bankautomaten funktioniert. Ich hoffe nur, mir das alles bis zum nächsten Mal merken zu können.

Die morgige Klausur verhindert leider, dass ich den TV-Abend voll nutzen kann. Bis auf „Mujin Wakusei Survive!“ („Überleben auf einem unbewohnten Planeten!“) muss alles aufgenommen werden. Und ich finde es übertrieben, die Serie so zu nennen, weil sich die Handlung lediglich auf einer kleiner Insel abspielt, die offenbar mitten in einem riesigen Ozean liegt. Und die Insel ist so klein, dass die gestrandeten Kinder sie zu Fuß binnen eines Tages von Süden nach Norden durchqueren können, inklusive Klettertour.

4. Februar 2024

Mittwoch, 04.02.2004 – Datensammlung

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

Heute findet Unterricht wie an Dienstagen statt. Das heißt Yamazaki-sensei „versüßt“ uns die ersten beiden Stunden, danach habe ich etwas Pause und dann findet das Seminar über Buddhismus statt.
Philips ist heute ebenso wenig informativ wie gestern, weil er das Buch noch immer nicht gefunden hat. Er redet also über verschiedene andere Dinge, die mehr oder weniger mit Buddhismus zusammenhängen. Aus- und Abschweifen ist eine seiner besonderen Fähigkeiten. Aber da ich das von meinem Vater her schon kenne (dessen Gespräche dieser Art ich eigentlich immer genossen habe), stört mich das nur aus rein akademischer Sicht (und ich betrachte mich nicht als akademisch begabt), ansonsten höre ich mir gerne an, was er zu erzählen hat.

Auch diesmal bleibe ich der einzige, der Fragen stellt. Zum Beispiel möchte ich, im Hinblick auf die kommende Klausur, wissen, wo denn nun der Unterschied zwischen Mahayana und Teravada, den beiden Hauptströmungen des Buddhismus, eigentlich liege. Die erschöpfende Antwort: Mahayana beruht auf Glauben und Teravada auf Praxis. Im Klartext heißt das, dass Mahayana Anhänger zu den Boddhisatvas (den zur Erleuchtung gelangten „Normalsterblichen“) beten und hoffen, dadurch in der Lebenszeit des nächsten Buddha geboren zu werden, um von diesem zur Erleuchtung geleitet zu werden, denn nur der Buddha und seine direkten Schüler sind zu dieser Anleitung fähig (nach Ansicht des Mahayana). Die Anhänger des Teravada dagegen glauben, dass man durch geistige Übungen – wie Meditation – das Ziel, selbst ein Boddhisatva zu werden, ohne Anleitung eines Buddha oder eines Arhat (Buddha-Schülers) erreichen kann.
Man kann sich ja aussuchen, was einfacher erscheint. Und dafür haben die Oberdruiden vor 1200 Jahren ein (inoffizielles) Schisma geschaffen. Inoffiziell deshalb, weil die dogmatische Spaltung der reinen Lehre eine Todsünde darstellt, für die man unweigerlich sofort und für alle Zeiten in die nächste Hölle verbannt wird. Das ist an sich alles. Allerdings mögen den Buddhisten die Gründe für die Spaltung der christlichen Kirche ebenso unbedeutend vorkommen. Philips jedenfalls grinst mich an und meint: „Haben Sie vielen Dank, dass Sie so viele Fragen stellen. Sie haben mir eben ein paar gute Ideen für Klausurfragen gegeben. Ich hoffe, ihre Mitstudierenden sind nicht nachtragend.“

Nach dem Unterricht stelle ich im Center ein paar Dinge über den Datentransfer von einem Rechner zum anderen fest. Es gibt in der Tat ein Netzwerk (innerhalb des Centers) und somit einige Rechner, auf deren Laufwerke man von den anderen Rechnern im Raum zugreifen kann. Theoretisch. Es funktioniert nämlich in den seltensten Fällen, und das häufigste Erlebnis bei dem Versuch, einen Rechner im Netzwerk anzusteuern, ist ein Systemabsturz nach dem anderen. Und ausgerechnet der Rechner, auf dem ich die meisten Daten gelagert habe, ist überhaupt nicht per Intranet zu erreichen. Ich habe mich extra vergewissert, dass das Laufwerk, von dem ich Daten abrufen will, auch anwählbar und zugriffsbereit ist, aber ich kann den Rechner mit seinem Laufwerk von einem anderen Rechner aus im Netzwerk dennoch nicht finden.

Ich kann aber endlich auf Misis Angebot zurückkommen, seinen Memorystick zu verwenden. Ich hinterlege seine Daten in einem entsprechenden Ordner, lösche dann die Speichereinheit und transferiere langsam und allmählich meine Daten auf einen Computer, der auch einen Brenner besitzt. Der Datentransfer dauert eine Weile, also suche ich ein wenig auf den Festplatten herum, ob da nicht etwas Interessantes für mich zu finden sein könnte. Ich finde eine Handvoll MP3 Musikdateien, aber auch eine Tonaufnahme von einer 50-minütigen Vorlesung über die Relativitätstheorie, vorgetragen von einem Professor Feynman in amerikanischem Englisch. Ich habe den Namen noch nie gehört, aber für Eingeweihte ist er eine wahre Koryphäe, der in einer Reihe neben Einstein steht. Ich kopiere diese Datei, man weiß ja nie, ob man sie nicht vielleicht mal brauchen kann. Und sei es zur Erweiterung des Allgemeinwissens, das mir weit mehr bedeutet als alles Fachwissen.

Ich werde nebenbei auf eine Seite aufmerksam gemacht, von der man Musik anhören und auch runterladen kann – aber nur, wenn man eingetragener Nutzer und darüber hinaus auch noch koreanischer Staatsbürger ist. Ich finde die Idee zur Eindämmung wilder Downloads gar nicht so dumm. Aber ich kenne ja Koreaner. Vielleicht findet sich was auf der Seite… aber ich weiß derzeit nur von zwei oder drei Liedern, die mich interessieren, und vielleicht erübrigt sich das auch, nachdem Riccis Festplatte bei uns aufgeschlagen ist, höhöhö.

Der Tag zieht sich hin und ich „genieße“ das Wetter.
Es schneit.
Es ist bitterkalt.
Unter dem frischen Schnee lauert immer noch der spiegelglatte Eispanzer auf unachtsame Fußgänger.

Am Abend ist wieder Lernen angesagt, in erster Linie für das Kulturseminar, aber auch die Grammatik will behandelt sein. Das dauert lange, aber mittwochs macht das nicht viel aus, weil eh nichts im Fernsehen läuft, was sich anzusehen lohnt. Wir probieren auch an meinem Wordtank herum und Melanie findet heraus, wie man englische Begriffe und japanische Komposita markieren kann, um diese erklären oder übersetzen zu lassen. Das ist vor allem praktisch für die Teile des Lexikons, die rein japanisch gehalten sind. Es ist ja schon wirklich toll genug, dass ich Erklärungen übersetzen muss, um zur Übersetzung zu gelangen.

Übrigens hat Jû heute Geburtstag, womit er exakt fünf Monate und zehn Tage älter ist als ich. Was mich daran erinnert, dass ich noch ein paar weitere solcher Daten sammeln wollte, um meine Geburtstagsliste zu erweitern. Ich glaube, ich habe eigentlich schon zu lange gewartet. Ein bedeutender Teil meiner neuen Bekannten dürfte bereits Geburtstag gehabt haben.

3. Februar 2024

Dienstag, 03.02.2004 – Lernbestrebungen

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

Heute ist „Setsubun“, der „Tag vor Frühlingsanfang“. Und gerade heute merkt man davon überhaupt nichts. Das, was gestern Abend von Himmel geregnet ist, ist über Nacht gefroren. Was gestern Abend noch aufgeweichter Schnee war, ist heute Morgen ein dicker Eispanzer auf dem Bürgersteig; aber auch der Wasserfilm auf der Strasse ist vereist. Wenn der Bus, neben dem ich herlaufe, auf der Straße bremst, rutscht er erst einmal einen Meter weit – bei Schrittgeschwindigkeit. Vor allem der Parkplatz der Universität ist schwer vereist. Er sieht mehr wie ein zugefrorener See aus.

Yamazakis Unterricht kann ich heute nur schwer folgen, denn a) Ich habe zu wenig geschlafen, und b) der Mann ist heute tödlich langweilig. Natürlich könnte dieser Eindruck auch von meiner Müdigkeit herrühren. ich komme aber durch, ohne vom Stuhl zu fallen.

Danach will auch der Unterricht über Buddhismus nicht so recht in die Gänge kommen. Philips hat ein Buch nicht gefunden, das er eigentlich schon seit zwei Wochen besprechen will und hat deshalb ein Notprogramm zusammengebastelt. Darüber hinaus wirkt er müde, um nicht zu sagen völlig kraftlos. Auffällig ist immerhin, dass seine Brille inzwischen repariert oder ersetzt worden ist. Es hängt also wieder auf jedem Ohr ein Bügel.

Im Anschluss sehe ich noch ein paar Sachen durch und begeistere SangSu für „Bôbobo“. Das heißt, in erster Linie begeistert ihn Animesuki.com und er möchte wissen, wie das funktioniert. Ich erkläre es ihm, aber ich bin nicht ganz sicher, ob er meine Ausführungen zum Thema „Installation des Bittorrent Client“ verstanden hat. Na, er wird schon durchsteigen. Doof ist er ja nicht.

Dann sehe ich mir meine Grammatik an. So lange, bis Marc vorbeikommt und mich eine Stunde lang in ein Gespräch verwickelt, heißt das. Als ich dann wieder mein Buch in der Hand habe, kommt Misi und will wissen, was mein Kanjitank so alles kann. Ich komme also erst zuhause dazu, effektiv was zu lernen. Das englischsprachige Lehrbuch mit seinen Erläuterungen und Beispielsätzen ist dabei eine echte Hilfe, vor allem, wenn es um die Erfassung kleiner Nuancen geht.

2. Februar 2024

Montag, 02.02.2004 – Die Februar-Prognose

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

Hirosaki-Wetter at its best! Das Wetter macht, was es am besten kann: Regen. Den ganzen Tag.

Etwa genauso trüb wie das Wetter sind meine Gedanken, wenn ich an die kommenden Klausuren denke. Und mitten in der Klausurenwoche, am 10. Februar, kommen Ricci und Ronald aus Tokyo zu uns. Ich halte das nicht für das beste Timing, aber es scheint nicht anders zu gehen. Und sie bleiben dann für zwei Wochen. Ich frage mich: Was machen wir zwei Wochen lang? Wir können doch nicht zwei Wochen lang fernsehen!? Gut, ich kann das. Aber nur wenige andere können das. Ob der prophezeite Schnee noch kommt, bleibt abzuwarten. Wahrscheinlich mache ich mir (ausnahmsweise?) zu viele Gedanken. Lassen wir es einfach auf uns zu rollen.

Um 16:00 findet eine Nachholstunde bei Ogasawara-sensei statt. Bis dahin versuche ich, notwendige Vokabeln und Formen zu lernen, aber meine Konzentration ist heute nicht die beste und die Lernplätze in der Bibliothek finde ich unbequem. Ogasawara-sensei gibt uns die Hausaufgaben zurück, die wir für gestern hatten machen sollen. Ein Arztgespräch sollte es sein – aber das ist mir doch viel zu langweilig! Ein Dialog nach Art von „Was fehlt Ihnen?“, „Machen sie mal den Mund auf, bitte.“ oder „Beachten Sie bitte dieses und jenes: …“ war noch nie mein Ding. Ich habe einen kurzen Einakter geschrieben. Die Lehrerin bemängelt ein paar Ausdrucksfehler und Vokabeln, schreibt aber „Bene!“ darunter. Italienisch? Gut, ich weiß ja, warum sie sich in diesem Fall dieser Sprache bedient. Ich bewahre den Zettel auf und werde ihn mit nach Trier nehmen. Shinnenkai oder Tanabata werden Verwendung dafür finden.

Nach dem Unterricht gehe ich wegen meiner Post in die Bibliothek zurück, aber ich finde erst um 19:00 einen freien Rechnerplatz. Man spürt, dass die ganze Universität an irgendwelchen Hausarbeiten schreibt.

Dem entsprechend spät komme ich nach Hause, nass geregnet. Melanie hat „Montana“ und „Kochira wa Hon’ikegami-sho“[1] aufgezeichnet, also verpasse ich nichts.


[1] Es handelt sich dabei um eine neue der vielen komödischen Polizeiserien um die Abenteuer einer Revierbelegschaft.

28. Januar 2024

Mittwoch, 28.01.2004 – Frau Bärenfeld

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

Es schneit wieder. Nicht in rauen Mengen wie gestern, aber auffällig.

Im Unterricht von Ogasawara-sensei behandeln wir zum wiederholten Male Vokabular, wie man es beim Arzt brauchen kann. Die anwesenden Chinesen begründen die „ruppige“ Art und Weise chinesischer Ärzte und Schwestern übrigens mit den niedrigen Gehältern, die man diesen Leuten in China zahle. Natürlich drücke das aufs Gemüt der betreffenden Personen.

Danach folgt die wohl letzte Stunde zum Thema „Moderne japanische Novellen in englischer Übersetzung“. Thema ist Murakami Haruki, „The Second Bakery Attack“. Ich kenne den deutschen Titel nicht, aber die Geschichte soll sich in der Sammlung „Der Elefant verschwindet“ befinden. Wenn man sich leichte literarische Kost zu Gemüt führen möchte (bei Murakami eher ungewöhnlich), dann, glaube ich, ist das hier genau richtig.

Bis 14:20 habe ich dann noch etwas Zeit, aber ich folge einer Laune und gehe bereits in der Mittagspause in die Halle, um zu sehen, ob Mei, BiRei oder XiangHua vielleicht dort anzutreffen sind. Ich gehe ausnahmsweise eine andere Route dorthin, durch den zweiten Stock, anstatt durch den ersten. Ich komme an einem Hörsaal vorbei, aus dem ich eine mir bekannte „TV-Stimme“ hören kann. Deutsche Sprache, bekannter Stil… ich muss nicht viel vom Inhalt hören, um nach fünf Sekunden zu wissen, dass hier das „Fest der Völker“ von Leni Riefenstahl gezeigt wird. Ich bin neugierig und stehle mich in den Saal. Deutsche Originalfassung mit japanischen Untertiteln. Hier sitzen ein halbes Dutzend japanischer Studenten und eine Dozentin mit Namen Kumano. Es handelt sich um einen Kurs der Medienwissenschaft, sagt sie. Sie erlaubt mir zu bleiben und ich nehme Platz. Noch zwanzig Minuten sind übrig. Ich hatte schon ganz vergessen, wie militant die Sprache dieses Films ist! Der Reporter redet hier nicht von „Sportlern“ oder „Teams“, sondern oft genug von „Streitkräften“.

Leider gibt es keine Abschlussdiskussion, wie ich es mir erhofft hatte. Der Unterricht ist wegen des Umfangs des Films bereits um 20 Minuten überzogen worden. Dabei hätte mich die Meinung der Zuschauer wirklich interessiert. Das sei aber kein Problem, sagt Kumano-sensei. Ich solle mich per E-Mail melden, und früher oder später werde der Kurs sich zu einem abschließenden Umtrunk treffen (als ob es die normalste Sache der Welt wäre, dass man am Ende des Semesters zusammen einen heben geht – ach, ich bin ja in Japan…). Da könne man das nachholen, sagt sie. Aber so groß ist mein Interesse dann auch nicht, dass ich den Kurs ausgerechnet bei der Abschlussfeier stören möchte.

Wir gehen noch in ihr Büro und unterhalten uns ein bisschen über verschiedene Dinge. Sie hat eigentlich frz. Literatur studiert, und man sieht das auch an der Ausstattung ihres Büros. Viele frz. Bücher stehen in den Regalen rum. Sie sei dann über Literaturverfilmungen und Kino zur Medienwissenschaft gekommen.

Ihr wichtigster Punkt im Laufe des knapp einstündigen Gesprächs ist allerdings das Nachlassen der allgemeinen Höflichkeit in Japan. Oha! Ich sperre die Ohren auf. Nach ihrer Meinung greift der Egoismus immer mehr um sich und färbt auf die Umgangsformen ab. Mehr und mehr (jungen) Leuten ginge die Fähigkeit, die Bedürfnisse und Meinungen anderer in das eigene Denken mit einzubeziehen, verloren. Ich wage schließlich den Vergleich mit Deutschland – der durchschnittliche Deutsche ist international nicht für seine höflichen Umgangsformen und bedachten Ausdrucksweisen bekannt.

Ich interpretiere, dass Japan eine sehr hohe Stufe an (zur Schau getragener) Höflichkeit besitzt, was sich vor allem in der Sprache niederschlägt, dass sich hinter dieser Fassade jedoch ein relativ hohler Körper befindet. In Deutschland dagegen scheint mir eine allgemein zwar niedrige, aber dafür stabile Höflichkeit vorzuherrschen. Deutsche Umgangsformen scheinen rau und abweisend zu sein, aber bis zum Kern der Person ist es, anders als in Japan, nicht weit und man findet sehr herzliche Menschen vor. Man kann in Japan schnell oberflächliche Bekanntschaften schließen, aber die Distanziertheit der Japaner ist größer als die von Deutschen. Man muss recht weit gehen, um hinter die Fassade blicken zu können. Deutsche haben kaum Fassade. Sie reden frei heraus und treten dabei schon mal jemandem auf die Füße. Aber ich bin kein Sozialwissenschaftler und habe nichts zu dem Thema gelesen, also kann ich nur von meiner persönlichen Wahrnehmung sprechen.

Schließlich ist es an der Zeit, in die Halle zu gehen, um Mei zu treffen, und auch Kumano-sensei möchte was essen. Ich verabschiede mich also. Ich bin ein paar Minuten zu früh in der Halle, also mache ich ein paar Hausaufgaben. Um 14:30 bin ich bereits ziemlich sicher, dass sie nicht mehr auftauchen wird, aber ich mache mit den Hausaufgaben weiter und verlasse die Halle erst um 15:30 wieder. Ich habe das Gefühl, dass meine Keigo Klausur (über japanische Höflichkeitssprache) voll in die Hosen gehen wird.

Ich gehe Richtung Bibliothek und nehme dabei bewusst den Umweg durch ein paar Lehrsäle. Und der Expedition ist Erfolg beschieden: Pünktlich zum Versiegen meines alten finde ich einen neuen Kugelschreiber, mit 75 % Füllung in der Mine. Und nicht nur das. Das Radiergummi kann ich auch brauchen, nachdem mein altes verschwunden ist, das Mathe- und das Biologiebuch lege ich auf das Pult, damit man sie sofort findet, das private Notizbuch und die Handschuhe nehme ich mit, um sie im Fundbüro abzugeben. Aber mein Gedächtnis ist kurz und ich habe den Krempel immer noch in meinem Rucksack, als ich schließlich nach Hause gehe…

In der Bibliothek schreibe ich dann noch ein Stück Text zum 31.Dezember und verfasse außerdem sechs Seiten meiner Hausarbeit. Das ist bereits doppelt so viel wie maximal verlangt, aber leider bin ich mit meinen Darlegungen noch nicht ganz fertig. Vor allem fehlt der Schluss ja noch.

Hausaufgaben und Tagebuch halten mich bis 01:00 wach. Und in fünf Stunden und dreißig Minuten darf ich schon wieder aufstehen. Ich glaube, Tagebücher sind nur für Workaholics. Und eigentlich bin ich gar keiner.

27. Januar 2024

Dienstag, 27.01.2004 – Arbeitsentlastung

Filed under: Japan,Manga/Anime,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

Wegen der Schneemassen, die heute Morgen vom Himmel fallen, wird der Gang zur Uni wieder zur Rutschpartie, aber im Gegensatz zu Melanie schaffe ich es, ohne Bodenkontakt anzukommen.

Der Unterricht läuft wie immer vor sich hin und in unserem Buddhismus-Seminar erfahren wir, dass es eine Abschlussklausur und eine Hausarbeit geben wird. Aber Prof. Philips sagt, dass ihm zwei bis drei gründlich durchdachte Seiten völlig genügen würden. Das ist doch was… denn wenn ich meine Kommentare zusammenfasse, die ich in den letzten Wochen über das Thema niedergeschrieben habe, kann ich damit schon ein kleines Buch füllen, und den Rest kann ich dann noch mit der Beschreibung der grundlegenden Begriffe auffüllen. Ich glaube, ich lasse die Lebensdaten von Siddharta Gautama und meine Kommentare zu seinem Leben einfach weg, dann passt das schon. Meine einzige Sorge ist wieder der Schluss der Arbeit. Ich muss ja zu einer Art Schlussfolgerung kommen, oder überhaupt eine Art Schlusskommentar verfassen. Aber da fällt mir wohl schon noch was ein.

Wegen technischer Grundsatzfragen besuche ich Philips nach dem Unterricht in seinem Büro und schaffe es tatsächlich, zwei Stunden zu bleiben. Allerdings muss ich zugeben, dass ich das „Betriebsverhältnis“ etwas geölt habe. Philips redet gerne über Afrika, er kommt eher früher als später auf dieses Thema und ich muss nur eine oder zwei Fragen stellen, um Geschichten aus Nigeria zu hören und seine Homepage vorgeführt zu bekommen, auf der man unter anderem eine Bildergalerie vorfindet. Auf diesen Bildern sieht man einen wesentlich jüngeren Prof. Philips, mit Farbe im Haar und ohne Bürobauch, auf seiner Expedition in Westafrika. Ich muss allerdings kein Interesse an der Geschichte und den Kulturen Afrikas heucheln, falls das jemand meint. Ich interessiere mich tatsächlich, wenn auch relativ oberflächlich, für diese Dinge.

Außerdem war er in der Lage, mir ein afrikanisches Restaurant zu empfehlen, für das ich noch nicht einmal nach Tokyo fahren muss. Das Restaurant befindet sich in Akita, und man serviert dort – ich höre die Witze bis nach Japan – äthiopische Küche. Jetzt kann ich äthiopische Küche natürlich überhaupt nicht von nigerianischer unterscheiden (von der ich nur weiß, dass sie sehr fleischhaltig sein soll, wie mein nigerianischer Bekannter Bede sagt), aber ich möchte es mir nicht entgehen lassen, afrikanisch zu essen. Mal sehen, wann ich nach Akita komme.

Danach gehe ich in die Bibliothek, sehe nach meiner Post und schreibe an meiner Hausarbeit. Das Animetric Forum versorge ich mit einer Sammlung von japanischen Zähleinheitsbegriffen, und bei E-Bay werden zwei weitere Artikel eingestellt.

Ich komme relativ spät nach Hause und natürlich habe ich beim Einkaufen wieder die Mandarinen vergessen. Trotz des daher „akuten Vitaminmangels“ genieße ich das Essen, das Melanie gekocht hat. Fleischröllchen mit… Füllung. Fast eine Art Roulade. Leider erweisen sich die Pilze in der Füllung als ein wenig zäh… man kann sie natürlich essen, allerdings ich glaube nicht, dass es geplant ist, dass man die Dinger beim ersten Bissen komplett mit rauszieht. Aber der Gesamtgeschmack ist sehr gut. Das möchte ich noch einmal essen. Ich habe allerdings keine Ahnung, was man mit diesen Pilzen machen muss, damit man sie auf Anhieb abbeißen kann.

Wir können uns endlich… nein: Ich kann mir endlich die Bôbobo Episode von der letzten Woche ansehen (Melanie bekommt davon eher innere Blutungen), und die Serie erweist sich weiterhin als unterhaltsamer Nonsens – schon beinahe Nihilismus. In der Serie wird dauernd gekämpft (nach einem Muster, wie man es in DragonBall schon gesehen haben mag: der Held zieht von einem Gegner zum nächsten), aber die Figuren machen so viel Unsinn nebenher, dass überhaupt keine Spannung darüber aufkommt, wie denn der Kampf ausgehen könnte. Man vergisst ihn beinahe vollkommen. Aber Bôbobo hat für mich andere Qualitäten, es ist gerade das Chaos in der Handlung (Handlung?), das den Reiz für mich ausmacht.
Hey, und morgen erscheint der offizielle Soundtrack! Das heißt, das Titel- und das Endlied, natürlich auf getrennten Singles für jeweils 1000 Yen. Dann muss ich ja bei nächster Gelegenheit gleich mal einkaufen gehen.

26. Januar 2024

Montag, 26.01.2004 – Eine Unachtsamkeit

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

Der heutige Tag bringt uns eine Ladung Schnee ins Haus. Nach Hirosaki, heißt das, also nicht wörtlich nehmen bitte. Binnen kurzer Zeit fallen dreißig Zentimeter Neuschnee, bevor eine Pause eintritt. Trotzdem fahren auch weiterhin einige Irre mit dem Rad in der Gegend herum, darunter Misi und SangSu. Ich frage mich, was Misi beim Radfahren so treibt, er sieht bei seiner Ankunft im Center immer aus, als sei er 10 km gerannt, und nicht nur knappe zwei Kilometer mit dem Rad gefahren. SangSu sieht auch nie so mitgenommen aus.

Yamazaki-sensei kündigt an, die A3-Klausur über alles schreiben zu lassen, was bisher behandelt wurde. Alle Vokabeln, alle Satzstrukturen, alle Kanji. Das kann ja heiter werden. Ich hätte lieber zwei kurze Arbeiten geschrieben, statt einer großen. Dann habe ich ja noch ein paar Tage Zeit, das alles zu wiederholen.

Ich gehe in die Bibliothek, wo mir Kazu über den Weg läuft. Sie bittet mich, ihr bei kleineren grammatikalischen Problemen zu helfen, die sie mit dem Deutschunterricht hat. Natürlich machen ihr die Artikel zu schaffen. Wer ist auch auf die glorreiche Idee gekommen, im Deutschen männliche, weibliche und neutrale Artikel einzuführen?

Ich gehe im Anschluss zur Post, um ein paar verkaufte Bücher zu verschicken und überprüfe meinen Kontostand bei der hiesigen Postbank. Der Betrag für das Gas ist wie gewünscht abgebucht worden, und der Strom wird noch dazu kommen. Ich sollte also jeden Monat etwa 12000 Yen einzahlen, um meine laufenden Kosten bestreiten zu können. 8000 Yen davon entfallen auf das Gas. Das scheint viel zu sein, aber wir „arbeiten“ auch zu zweit daran, während die Studentin, die vorher in unserem Apartment gewohnt hat, alleine eine Rechnung von 7000 pro Monat auf die Beine gestellt hat – möglicherweise hatte sie den Boiler immer auf „Standby“, also die kleine Flamme immer an. Also will ich mich nicht beschweren. Außer über den Umstand, dass es vermutlich billiger wäre, das Wasser mit Strom zu heizen, anstatt mit Gas.

Zurück in der Bibliothek beginne ich, Quellen für meine Hausarbeit zu sammeln und frage mich, wie ich 15 Seiten voll bekommen soll. Oh, natürlich mag Frau Prof. Gössmann da einwenden, dass ich damit wohl kein Problem haben dürfte, aber für die Hausarbeit über Ôe Kenzaburô hatte ich ein mehr oder minder konkretes Konzept im Hinterkopf. Das Konzept fehlt mir für die Arbeit, die Vesterhoven haben möchte, derzeit völlig. Ich beschließe, erst einmal die Arbeit zu erledigen, die schnell von der Hand geht – die Hausarbeit über Buddhismus für Prof. Phillips. Ich habe mir so viele Gedanken über das seltsame Zeug gemacht, dass man daraus doch bestimmt eine Hausarbeit basteln kann, vor allem, weil diese Hausarbeit auch nicht schrecklich lang sein muss. Aber wie üblich bin ich nicht davon überzeugt, dass mein Schreibstil mir sehr viele Freunde auf der akademischen Schiene machen wird, zumal ich hier ein Essay nach angloamerikanischem Muster schreiben muss. Ich hatte für formalisiertes Schreiben noch nie viel übrig.

Am Abend hat Melanie eine Überraschung parat, die niemandem in der gleichen Situation sonderlich schmecken würde. Sie vermeidet den Kontakt mit ihrem Mentor gerne, weil sie gezwungen ist, mit diesem über kompliziertere Angelegenheiten als den täglichen Speiseplan oder Grammatik auf Japanisch zu sprechen. Einen deutsch sprechenden Mentor zu haben (wie ich), macht das Leben leichter. Melanie hat es gegen meinen Rat, sich frühzeitig um Informationen über die Zuschussgelder zu bemühen, unterlassen, sich deswegen mit „ihrem“ Professor zusammenzusetzen. Ich habe am Morgen bereits die Mitteilung über das Auslaufen der Meldefrist in meinem Postfach im Sekretariat gefunden, nachdem ich einige Zeit, eigentlich seit dem 22.12., nicht mehr hineingesehen hatte. Die Meldefrist ist am 21.01. ausgelaufen. In meinem Fall ging es bei dem Zuschuss um knapp 5000 Yen, aber Melanie hat ein höherwertiges Stipendium. Ihre Versäumnis könnte sie 13000 Yen kosten – etwa 85 E, wenn der Professor nicht ein paar Augen zudrückt. Weitere Kommentare sind überflüssig. Aber ich habe ja selbst erst im letzten Moment die Kurve gekriegt, worüber mich also aufregen?

21. Januar 2024

Mittwoch, 21.01.2004 – Bücher vom Sponsor

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

Heute ist Mittwoch, da ist unser Literaturseminar bei Vesterhoven angesagt, aber ich habe „Aghwee the Sky Monster“ von Ôe Kenzaburô noch nicht zu Ende gelesen. Ich hole die letzten drei Seiten am Morgen nach. Melanie geht bereits um 08:10 aus dem Haus, ich folge 15 Minuten später – wegen des Lesens. Aber das war zu knapp. In einer Viertelstunde zur Uni schaffe ich bei normalen Straßenbedingungen, aber derzeit ist der Bürgersteig mit Schnee und Eis bedeckt, und ich komme zwei Minuten zu spät.

In unserem heutigen Japanischkurs unterhalten wir uns über unsere Eindrücke von Ärzten, Krankenhäusern und dem ganzen Drumherum. Chen, der am wenigsten verpeilte Doktor, meint, er sei nach seiner Ankunft in Japan ganz überrascht davon gewesen, wie freundlich die japanischen Ärzte mit ihren Patienten umgingen. In China sei das ganz anders und die Ärzte und Krankenschwestern gingen mit den Patienten recht „streng“ um. „Wie können Sie es wagen, krank zu werden und damit der volkseigenen Volkswirtschaft zu schaden!“ war mein stiller Gedanke. Tei, der Programmierer, lacht laut und sagt „Chen muss es wissen – er ist selber ein chinesischer Arzt!“ Chen wedelt darauf abwehrend mit den Händen und meint „Nein, nein! Ich bin ein freundlicher Arzt!
Es wurde herzlich gelacht an diesem Morgen.

Eine Mail von Prof. Fuhrt macht mir in der Pause zwischen dem Sprachkurs und dem Literaturseminar kurz und bündig klar, dass ich bis morgen Mittag 12 Uhr Zeit hätte, meine Wunschliste an Material bei ihm abzugeben, die ich mir im Wert von knapp 5000 Yen zusammenstellen konnte. Natürlich habe ich die Ankündigung bereits vor Wochen erhalten, aber ich habe zwischenzeitlich nicht mehr daran gedacht. Ich marschiere umgehend ins Daiei und finde schnell, was ich suche: Den SHARP PW 9100. Es handelt sich dabei um eines jener elektronischen Kanjilexika, von denen jeder, der Japanologie studiert, eines haben sollte. Es passt in jede Jackentasche und ist definitiv leichter als der Hadamitzky oder der Nelson, die doch ein paar Kilo auf die Wage bringen.

Nachdem ich die Ankündigung damals erhalten hatte, hatte ich auf der Homepage von SHARP nachgesehen, was diese Dinger eigentlich kosten und fand dort Preise von mehr als 40.000 Yen vor. Das liegt völlig jenseits meiner „taktischen“ Möglichkeiten und ist deutlich mehr, als die 15.000 bis 20.000 Yen, die mir Ricci in Aussicht gestellt hatte. Jetzt stehe ich im Daiei und finde wieder einmal bestätigt, dass einmal selbst sehen besser ist, als auf 100 Leute zu hören. Die Seite von SHARP ist längst nicht mehr aktuell, und ich muss annehmen, dass die Werbeseiten für die einzelnen Geräte kurz nach der Veröffentlichung bereits nicht mehr aktualisiert werden, so dass überall nur der Preis steht, den das Lexikon bei seiner Erstveröffentlichung gekostet hat. Hier im Kaufhaus finde ich Preise bis 20.000 Yen. Und das ist bereits das Nachfolgemodell PW 9800. Da stecken mehr Wörterbücher drin als in dem älteren Modell. Es handelt sich allerdings um einen Angebotspreis. Ich beschließe, lieber noch einmal Rücksprache zu halten, weil 20.000 Yen ja die maximale Förderung von 5000 Yen überschreiten und wie das zu handhaben sei.

Prof. Fuhrt erklärt mir daraufhin, wie die Sache in der Praxis läuft: Man schreibt nicht etwa eine Liste, erhält Geld, kauft die Artikel auf der Wunschliste und legt dann die Quittungen vor. Nein, nein, man schreibt seine Wunschliste, reicht sie ein und das „Seikyo“ (das ist der in die Uni integrierte Laden für Studentenbedarf neben der Mensa) besorgt dann das Material zu dem günstigsten Preis, für den die Vertragspartner dieses Geschäftes es anbieten, wenn überhaupt. Zuzüglich der Gewinnspanne, die für das Unternehmen abfallen sollte. Den Angebotspreis kann ich also vergessen. Der PW 9100 kostet im Angebot derzeit 15.000 Yen, nach Ablauf der Angebotsfrist wieder 22.000. Das heißt, der Zuschuss von 5000 Yen würde nicht einmal den Mehrpreis ausgleichen. Prof. Fuhrt empfiehlt mir, dann lieber bei dem Angebot im Daiei zuzugreifen (und den Kanjitank ganz aus eigener Tasche zu zahlen) und für die 5000 Yen lieber ein paar Bücher besorgen zu lassen, die ich vielleicht schon eine Zeit lang im Auge habe. Ich denke auch darüber nach, einen Memorystick, den es im Seikyo zu kaufen gibt, auf die Liste zu schreiben, aber das Ding hat bei einem Preis von 4500 Yen nur eine Kapazität von 64 MB, und das ist mir zu wenig. Ich möchte schon 256 MB haben, aber die kosten in diesem Laden auch so um die 9000 Yen und mehr. Dann also Bücher. Ich habe eine laaaange Liste von Büchern, die mich interessieren, aber die meisten haben nichts mit meinem Studium zu tun. Ich gehe die Liste durch und entscheide mich für zwei Bücher. Zum einen „Krieg dem Terror – Krieg dem Islam?“ von Peter Scholl-Latour, ein dickes Buch mit Hardcover, das mir bisher ein wenig zu teuer war, und, um meinem Studienfach gerecht zu werden, eine Art Biografie (?) mit dem Titel „Herrscher im Reich der Aufgehenden Sonne“ von P. & S. Seagrave. Damit überschreite ich die 5000 Yen zwar ein wenig, aber das sollte verkraftbar sein. Ich bin auch gespannt, wie gut das laufen wird, wenn die Typen vom Seikyo mir diese Bücher in deutscher Sprache besorgen sollen.

Statt in die Bibliothek gehe ich dann ins Center, und wie es der Zufall will, sitzt Misi gerade am richtigen Rechner. Ich zeige ihm das Demo von „Combat Mission Afrika Korps“ und es gefällt ihm. Ich komme deshalb auf die Idee, mir von Karl eine Kopie des Spiels schicken zu lassen, um die „Gemeinde“ zu vergrößern. Ich würde damit die CM Gemeinde nach Ungarn ausweiten, nachdem bisher nur Karl, Mihel und meine Wenigkeit zu den mehr oder minder aktiven Spielern gehören. Andreas will ich mal ausklammern. J

Um 14:20 wollte ich eigentlich Yui treffen, wegen meiner Bankgeschäfte. Aber sie hat es offenbar vergessen. Und das wird auf theatralische Art und Weise deutlich. Um 14:18 stehe ich am Fenster zum Hauptplatz und sehe Yui mit (Kobayashi) Mio aus der Mensa kommen. Aha, dann wird sie ja gleich antanzen. Ja, von wegen, die beiden biegen vor der Tür nach links ab und verlassen die Bühne ruhigen Schrittes, ohne das Gebäude, in dem ich mich befinde, zu betreten. „Theatralisch“ ist das deshalb, weil ich mir vorkomme wie in einer Slapstick-Komödie.

Um unser Bratöl zu entsorgen, besorge ich alte Zeitungen aus einem Altpapierstapel. Sie sollen das Öl aufsaugen und anschließend im Brennbaren Müll landen. Ich nehme also einen Stapel Zeitungen mit – und vergesse ihn im Center, als ich um 17:30 in die Bibliothek wechsele. Ich verspüre wenig Motivation, jetzt noch mit einem Bericht anzufangen, also überprüfe ich nur noch mein Konto bei E-Bay, um zu sehen, was meine Verkäufe so machen, dann mein Bankkonto, um zu sehen, ob inzwischen noch mal jemand seine Ware bezahlt hat und letztendlich auch die beiden Foren, in denen ich neuerdings Mitglied bin: Animetric und Battlefront.com.

Ich merke allerdings, dass ich zu dem Combat Mission Forum auf Battlefront.com nicht viel beisteuern werde. Der größte Teil der Gespräche dort interessiert mich nicht genug, um auch was dazu beitragen zu wollen. Außerdem suche ich in erster Linie Leute, die gute After Action Reports schreiben, und ganz besonders lieb wäre es mir, wenn ich jemanden finden könnte, der einen Bericht über meine Karte „Gersheim“ schreiben könnte. Ich stelle eine entsprechende Anfrage ins das Forum und warte ab, was daraus wird.[1]
Animetric dagegen bietet mir als allgemeines Anime Forum mehr Interessenfelder und ich glaube, dass ich dort Stammgast bleiben werde.

Mir stürzt hier gerade zum ersten Mal ein „Windows 2000“ Rechner ab. Ich wundere mich. Das habe ich noch nicht erlebt. Ich wechsele vorsichtshalber den Rechner.

Auf dem Weg nach Hause „ergötze“ ich mich am Wetter. Es taut nicht einfach nur – nein, es regnet. Nicht stark, aber spürbar. Ganz toll ist das.


[1]   Rien.

17. Januar 2024

Samstag, 17.01.2004 – Spaziergang

Filed under: Japan,Musik,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

Strahlend blauer Himmel und frühlingshafte Temperaturen – was bedeutet das? Ich erlebe gerade die siebte Schneeschmelze seit Dezember letzten Jahres. Das Tropfwasser von den Dächern kann man schon in Litern pro Minute messen, der Schnee auf dem Bürgersteig ist so aufgeweicht, dass man nur noch an schattigen Stellen in Gefahr läuft, auszurutschen, und auf der Fahrbahn ist bestenfalls noch Schneematsch zu finden. Winter in Hirosaki kommt mir vor wie mancher April in Deutschland. Aber darüber habe ich mich ja bereits ausgelassen. Und mein Ölhändler hat mir bereits mitgeteilt, dass der schneereichste Monat immer noch der Februar sei. Danach gehe es beständig bergauf. Im Februar, soso… also genau dann, wenn Ricci und Ronald hier antanzen wollen. Ich glaube, aus Melanies „Kultour-Planungen“ wird nicht viel, wenn das eintritt, was man mir erzählt. Andererseits ist von all dem anderen Zeug, das man mir erzählt hat, auch nicht viel eingetreten.

Ich würde liebend gerne etwas brauchbares über die heutige SailorMoon Episode sagen, aber leider gibt es nicht viel darüber zu sagen. Es handelt sich um eine Leerlaufepisode ohne viel Handlung, und die bedeutendste Handlung dürfte sein, dass Minako bis auf weiteres die Stadt verlässt und meint: „Die schaffen das schon“. Wirklich, da war nicht mehr, was ich für erwähnenswert halten würde. Auf Genvid.com kann man Zusammenfassungen in englischer Sprache lesen, wenn man das möchte.

In der Bibliothek werden heute die Computer gewartet und sind dem Publikumsverkehr nicht zugänglich, also keine Berichte heute. Stattdessen immer noch „Oberschülerausstellung“ in der Mensa. Die Kôkôsei bevölkern noch immer zu Hunderten den Campus, die Mensa wurde mit einem „Welcome“ Schild verziert. Ich mache zwei Fotos von der Masse. Und eigentlich könnte ich bei der Gelegenheit auch was essen. Angeblich sind die Ramen hier nicht schlecht. Und wo ich schon mal da bin, könnte ich auch mal damit anfangen, die Vokabeln für die Abschlussklausur zu lernen.
Der Organisationsgrad in der Mensa ist mal wieder ein klassischer Fall japanischer Ordnung. Auf den Tischen stehen Pappschilder mit den Namen der Schulen. Als ob es zu Schlägereien kommen würde, wenn Leute von verschiedenen Schulen am selben Tisch sitzen. Dabei setzen sich Leute, die sich kennen, ganz automatisch zusammen, auch ohne Hinweisschild, und eine Masse von identischen Uniformen wirkt doch geradezu magnetisch auf andere, die die gleiche tragen. Zumindest denke ich das.
Ich esse meine (recht gute) Nudelsuppe und überprüfe Einträge in meinem Notizbuch auf ihre Aktualität. Und zuletzt bediene ich mich noch großzügig aus einer Obstkiste, die offenbar zur freien Verfügung auf einem der Tische rumsteht.

Ich bewege mich wieder in Richtung Heimat, aber am „Circle K“ fasse ich den Plan, in Richtung Westen weiterzugehen (also „nach links abzubiegen“), um den nächsten Daily Yamazaki Konbini aufzusuchen. Das Wetter ist gut und ich bin in Laune für einen Spaziergang. In Tokyo gab es im Daily Yamazaki kleine Modelle von deutschen Panzern aus dem Zweiten Weltkrieg zu kaufen, also warum nicht auch hier?

Der gesuchte 24h-Markt liegt dann aber doch weiter weg, als ich dachte, und das gesuchte Spielzeug finde ich auch nicht. Na hurra. Jetzt kann ich auch noch die letzten 500 m bis zum Book Off gehen. Dort kaufe ich dann zwei weitere Storyboard Bücher von „Shin Seiki Evangelion“, Band 4 und 5, die jeweils einige Episoden aus der TV Serie abdecken. Band 5 beinhaltet die letzten vier oder fünf Episoden. Die Bücher kosten jeweils etwa 7,50 E. Das erste davon, mit Bleistiftskizzen der Filme, habe ich für 40 E verkauft. Warum sollte ich also die hier nicht für 20 E oder mehr loswerden? Außerdem lachen mich ein paar CDs an. Ich kaufe „Punch the Monkey“, eine Sammlung von Remixes des „Lupin III.“ Soundtracks[1], den Utena OST „Virtual Star Hasseigaku“ („Hasseigaku“ bedeutet „Embryologie“ und ich habe keine Ahnung, was ich aus dem Titel machen soll), die Alben „Irâvatî“ und „Enfleurage“ von Hayashibara Megumi, und Beethovens Achte – dirigiert von Karajan, gespielt von den Berliner Philharmonikern, aufgenommen in Deutschland, und der Japanexport aus der „Berliner Grammophon“ Reihe „Karajan Gold“. Billiger als für 7 E kriege ich die in diesem Zustand auch in Deutschland nicht.

In diesem Zusammenhang fällt mir eine weitere Klassiksammlung auf: Bachs gesammelte Werke, Teil 1 bis 6. Es handelt sich dabei um sechs Kartons jeweils von der Größe eines großen Wörterbuchs, u.a. deutsch beschriftet (wie könnte es anders sein), um die Namen der einzelnen Stücke anzugeben. Jedes Paket kostet 3000 Yen, also etwa 22 E, und von der Größe ausgehend, nehme ich an, dass da mehr drin ist, als einfach nur eine CD mit einem Booklet mit Erläuterungen. Ich interessiere mich allerdings zu wenig für Bach, um sechsmal 22 E dafür zahlen zu wollen. Mit Beethoven oder Wagner wäre das was anderes, aber auch der Blick in meinen Geldbeutel sagt mir, dass ab sofort bis zur nächsten Geldvergabe am 23. Januar Ausgabesperre zu herrschen hat. Der Ausflug nach Tokyo hat das existierende Polster völlig aufgezehrt.

Es stellt sich dann auch heraus, dass auch diese CDs keine Fehlkäufe waren. Vor allem der Utena Soundtrack ist, dank der Stimme von Kamiya Maki, der Überflieger der letzten Wochen. Die Lieder können Dauerschleife laufen und dabei austesten, was die teuren Panasonic Akkus so herhalten: Man kann damit sechs Stunden Musik abspielen, bevor ihnen der Saft ausgeht. Das finde ich sehr positiv.


[1] Der Autor des „Lupin“ Manga nennt sich „Monkey Punch“.

16. Januar 2024

Freitag, 16.01.2004 – Prüfungstag

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

Heute finden an der Universität breitangelegte Prüfungen statt, mit denen ich aber nicht viel zu tun habe. Es handelt sich um die Eingangsprüfungen der Hirosaki Daigaku. Das bedeutet, dass Hunderte von Oberschülern herkommen, um sich auf ihre „HiroDai Eignung“ prüfen zu lassen, und die Prüfungen dauern ein paar Tage, wie mir scheint. Das ganze Wochenende? Ich gehe also nur zur Universität, um meine Berichte zu schreiben. Immerhin erreiche ich heute die Marke vom 23.12., das Gros des Besuchs in Tokyo steht noch bevor.

Um 17:20 sehe ich BiRei an einem der Arbeitsplätze ohne Computer und schaue mal vorbei. Sie liest einen vom Umschlag her sehr schmalzig anmutenden Liebesroman. Meine Güte, warum liest sie das? Weil ihr schmalzige Liebesgeschichten gefallen, sagt sie. Na denn.

Um 17:40 wollte ich eigentlich nach Hause gehen, aber wie so oft stolpere ich kurz davor im Internet über diverse Artikel, deren Auffinden ich, äh, gewissermaßen provoziert habe. Es handelt sich um Abhandlungen über Taktiken für das Spiel „Combat Mission“. Die müssen also erst einmal gespeichert werden. Und weil ich in der „Gegend“ bin, erzählt mir die Hauptseite von Battlefront.com gleich auch das allerbeste vom Tage: Von „Combat Mission“ gibt es inzwischen einen dritten Teil, „Combat Mission Afrika Corps“ (kurz CMAK).
Der erste Teil („Beyond Overlord“) deckte die Kampagnen im Westen vom Tag der Landung in der Normandie im Juni 1944 bis zu Kapitulation im Mai 1945 ab, der zweite Teil („From Barbarossa to Berlin“) behandelte die Ostfront im Zeitraum vom Einmarsch in die Sowjetunion bis ebenfalls zum Zusammenbruch im Mai 1945, während der dritte Teil sowohl die Kämpfe in Nordafrika von Tripolis bis nach El Alamein und zurück nach Tunis, als auch die gewagte und blutige deutsche Landung auf Kreta und die Schlachten nach der alliierten Invasion Italiens bis zur „Gotenlinie“ zum Thema hat.
Uh ja, das muss ich haben. Aber der Preis liegt derzeit bei 35 Dollar, und bei E-Bay wird das Spiel für 25 E und mehr gehandelt. Nee, nee. Ich habe Zeit. Bis ich in der Lage bin, mir das Spiel kaufen zu können, wird der Preis wohl deutlich unter 20 E gefallen sein. „Beyond Overlord“ wird inzwischen auch schon für 5 E gehandelt, etwa zwei oder drei Jahre nach seinem Erscheinen.

Jedenfalls halte ich mich mit derlei Dingen bis 19:00 auf. Melanie nimmt mir „Doraemon auf, für Atashi’n’chi bin ich früh genug zuhause. Entgegen unserem eigentlichen Plan sehen wir uns um acht Uhr nicht Oku-sama wa Mahôjin an. Es handelt sich dabei um die japanische Version von „Bewitched in New York, wo sich ein Geschäftsmann plötzlich mit einer sympathischen Hexe als Ehefrau und einer widerspenstigen Schwiegermutter aus demselben Metier gesegnet sieht. Der Untertitel lautet auch schon Bewitched in Tokyo. Also, das Konzept ist seit Bezaubernde Jeannie ja schon nicht mehr originell, spätestens. Wir entscheiden uns für Kaze no Tani no Nausicaä. Es sollte schwer sein, diese Wahl zu bereuen, da Studio Ghibli immer ein Garant für gehaltvolle Unterhaltung ist. Wir verpassen dann eben die ersten 20 min von „Skyhigh 2.

Wir haben für Skyhigh bereits vor Wochen Werbung gesehen, und wir gingen damals davon aus, dass es sich um einen Film handele. Aber wir haben nach der Werbung nie wieder was davon gehört, und auch eine gründliche Untersuchung der TV-Zeitschrift lieferte keine Beweise, dass er jemals ausgestrahlt worden war. Die Werbung zeigte ein dunkles Steintor in einer finsteren Umgebung, Schwertkämpfe und versprach Spannung. Aber die Sendung blieb unauffindbar. Jetzt haben wir ab heute also Skyhigh 2. Es handelt sich hierbei um eine Serie. Trotz einiger Verständnisschwierigkeiten ist es relativ einfach, der Handlung zu folgen. Man bemerkt die Manga-Grundlage. Zunächst einmal ist da Izuko. Sie ist die Wächterin des Tores zwischen der Welt der Lebenden und der Welt der Toten. Und wie es scheint, geht es um Seelen, die entweder noch was zu tun haben, oder aus einem anderen Grund hier vor dem Tor eine Entscheidung treffen müssen. (Die Seite Jdorama.com wird mir später verraten, dass es sich um das Tor des Hasses handelt, wo alle Leute Zwischenstation machen, die auf nicht natürliche Art und Weise umgekommen sind und nun Gelegenheit erhalten, es dem Schuldigen heimzuzahlen.)

Heute stehen vier Personen vor dem Tor. Ein alter Mann, eine Art Gangster, und zwei kleine Mädchen im Vorschulalter. Alle haben gemeinsam, dass sie bei einem Busunglück ums Leben gekommen sind. Natürlich wissen die Leute erst einmal nicht, dass sie tot sind. Daraufhin legt ihnen Izuko die Umstände ihres Todes dar und warum sie hier sind. Es stellt sich heraus, dass der Busfahrer alkoholisiert war und wegen dieser Sache auch nicht viel Reue zeigt. Der alte Mann ist bereits Witwer, der Gangster lässt auch niemanden zurück, an dem ihm viel liegt, aber die Eltern der beiden Mädchen sind – gelinde gesagt – entsetzt und befinden sich in einem entsprechend verzweifelten Zustand. Der Vater versucht sogar, den Busfahrer zu töten, schafft es aber nicht.

Während die beiden Mädchen vor dem Tor mit Wachsstiften munter vor sich hin malen, stellt Izuko die beiden Männer vor die Auswahlmöglichkeiten, die sich ihnen bieten:
Erstens können sie einfach beschließen, die Sache auf sich beruhen zu lassen und in den Himmel gehen. Das bedeutet in dem hier gegebenen Kontext, dass sie sich auf die Wiedergeburt vorbereiten können.
Zweitens können sie als Geister bis in alle Ewigkeit auf der Erde wandeln.
Drittens können sie sich für „Noroi Korosu“ entscheiden. „Noroi“ ist ein Wort, dass man in der Horrorabteilung von Videotheken hier häufig findet. Es heißt wohl „verflucht“. „Korosu“ heißt „töten“. Im Klartext bedeutet es, dass die Geister der Toten die Möglichkeit bekommen, die Person zu töten, die für ihren Tod verantwortlich ist – das wäre im heutigen Fall der Busfahrer. Diese Option führt allerdings unweigerlich in die Hölle. Deswegen „noroi“.
Jetzt mag man darüber streiten, warum der Lebenswandel offenbar unwesentlich für Himmel oder Hölle ist – der Gangster war bestimmt kein „ehrbarer Bürger“ im Sinne einer vertretbaren Ethik und Moral. Es kommt anscheinend nur darauf an, wie man sich hier vor dem Tor entscheidet. Ob dann alle, die auf natürliche Art und Weise sterben, unweigerlich in den Himmel kommen, wird nicht gesagt, oder zumindest hätte ich es nicht verstanden.

Der Gangster entscheidet sich dazu, in einem wenig überzeugenden Weihnachtsmannkostüm während einer Art Vorführung in dem Kindergarten der beiden Mädchen zu erscheinen und den Eltern und Kindern die Bilder zu bringen, die die beiden Mädchen vor dem Tor gemalt haben. Es scheint übrigens so, dass dieser Kindergarten eine Art Schnittstelle ist. Jeder, der von dem Tor kommt, um die Umstände nach seinem Ableben zu untersuchen, taucht, unsichtbar, in diesem Kindergarten auf. Nur einer der Jungen dort kann die Personen sehen (der junge Schauspieler ist derjenige, der zuletzt Daigorô, den Sohn des Ronin Ogami gespielt hat), und ich frage mich, wie lange es noch dauert, bis man ihn in eine Klapsmühle einliefert, weil er dauernd Leute sieht, die offenbar nicht da sind.

Der alte Mann währenddessen erscheint in der Zelle, wo der Busfahrer seine Untersuchungshaft verbringt, und verteilt ihn an der Wand. Der Gangster steigt mit den beiden Mädchen an der Hand die Treppe zum Himmel hoch. Der alte Mann erscheint nicht mehr, man kann also nur stark vermuten, dass er die Treppe in die andere Richtung nehmen muss. Was umso trauriger ist, weil er sich, wie ich später lese, eigentlich auf ein Wiedersehen mit seiner Frau gefreut hat, die im Himmel auf ihn wartet.

Das ist auch etwas, was ich mir weiter ansehen werde. Die Geschichten sind interessant und spannend, und außerdem sieht Shaku Yumiko (Izuko) gut aus, ihre Ausstrahlung allgemein scheint mir wie gemacht für diese Rolle. Ich würde sie sofort für die Rolle der SailorPluto vorschlagen. Die melancholische Aura kann sie gut rüberbringen.

13. Januar 2024

Dienstag, 13.01.2004 – Rien ne va plus?

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

Für heute ist Regen gemeldet, mit einer Wahrscheinlichkeit von 60 %. Stattdessen scheint am Morgen die Sonne. Wir gehen zum Unterricht. Aber der Gong verhallt scheinbar ungehört. Außer Melanie und mir befinden sich im Raum nur drei Chinesen, das sind der Programmierer und zwei der drei verwirrten Doktoren. Na gut, Chen, der dritte Doktor, ist weniger verwirrt. Aber abwesend. Das heißt, dass etwa zehn Leute fehlen. Zu allem Überfluss fehlt uns aber auch der Lehrer. Ich gehe ins Center und frage Kubota-sensei. Er sagt, er habe Yamazaki-sensei heute morgen schon beim Kopieren gesehen. Wir warten noch bis um 09:00, die Chinesen sind bereits vor zehn Minuten gegangen. Ich gehe noch einmal ins Center und frage, wo Yamazaki-sensei sein Büro habe. Der habe keines, heißt es. Außerdem sei heute Unterricht wie an Montagen angesetzt. Aha. Das hätte er mir ruhig schon vor 15 Minuten sagen können… ist mir völlig entfallen.

Dann habe ich also erst um 1240 Unterricht und noch Zeit für dies und das. Unter anderem kann ich meine Post vom letzten Wochenende bearbeiten. Meinen Plan, meine Fotos vom Dezember an Karl zu mailen, gebe ich mangels Motivation angesichts der Bilderzahl auf. Ich muss wegen der Begrenzung der Mailgröße jedes Bild einzeln verschicken, und das ist mir einfach zu zeitraubend. Ich werde mich in dieser Hinsicht einfach auf die CD verlassen, die ich selbst hier bereits gebrannt habe. Ich schreibe Karl eine entsprechende Nachricht und will erst wieder Bilder schicken, die im Januar gemacht wurden. Falls es davon überhaupt welche geben wird – Ronald hat mir mein Kabel noch nicht geschickt. Die Plastikschüssel, die ich ebenfalls habe liegen lassen, hat eh nur 100 Yen gekostet, die kann er ruhig behalten, aber ich brauche mein Kabel, sonst kann ich keine Fotos machen. Ich musste schon hinnehmen, dass ich keine Fotos von dem Neujahrsessen bei Familie Jin machen konnte… wer weiß, was ich sonst noch verpasse.

Ich gehe zum Unterricht. Und da sitzen Melanie, Sushanan, Yong, eine Koreanerin, deren Namen ich mir noch nicht gemerkt habe, und meine Wenigkeit. Da fehlen immer noch einige Leute. Und vor allem: Wo sind die Chinesen abgeblieben? Wir warten. Nicht auf die Chinesen, sondern auf den Lehrer. Der erscheint nämlich ebenfalls nicht. Nach zehn Minuten gehe ich wieder einmal ins Center, um zu fragen, was denn heute hier eigentlich laufe. Saitô-san ist da. Ich versuche ihr klar zu machen, was ich will. Und ich bin noch nicht fertig mit meinem unstrukturierten Redefluss, als Yong mich von der Tür her ruft. Ist Yamazaki-sensei aufgetaucht? Ich lasse Saitô-san stehen, die mich jetzt wahrscheinlich für endgültig bekloppt hält, bei dem seltsamen Zeug, das ich da von mir gegeben habe. Ich bedanke mich für ihre Zeit und gehe nach draußen zu Yong. Sie zeigt mir einen Anschlag am Schwarzen Brett, in DIN A3 Format, auf dem groß zu lesen ist, dass der A3 Unterricht heute komplett ausfalle. Die Hauptinformation ist sogar mit einem Filzstift markiert worden. Peinlich, peinlich. Wer lesen kann, ist klar im Vorteil.

Dann habe ich ja heute richtig viel Zeit. Ich gehe in die Bibliothek, schreibe drei Berichte und starte meine beiden japanischen Mailadressen, „otokorashii42317“ bei Yahoo und „kurosamurai“ bei Hotmail. Letztere Adresse wurde mir freundlicherweise von Hiroyuki eingerichtet, der hier eine angenehme Eigeninitiative an den Tag legte, obwohl sie nicht notwendig gewesen wäre. Ich habe in einem meiner letzten Berichte erwähnt, dass ich eine japanische Adresse brauchte und er hat auf diese Art und Weise reagiert. Leider ein paar Stunden zu spät, da ich bis dahin bereits die Yahoo Adresse gestartet hatte. Aber was soll’s… dann hat er seine höchstpersönliche Kontaktadresse zu mir. Nebenbei schaffe ich es auch, alle Mails zu schreiben, in denen ich irgendwelche Fragen beantwortet haben wollte, die mir in den letzten Wochen so eingefallen sind. Bis jetzt musste ich das immer wieder verschieben.

Um etwa 19:30 gehe ich nach Hause. Nieselregen. Und der geht nach 20 Minuten in Schnee über. Immerhin war dann die Wettervorhersage nicht falsch – es hat bestimmt 30 Minuten lang geregnet heute, bevor es zu schneien begonnen hat.

Eigentlich wollte ich unseren Kerosinvorrat wieder auffüllen, aber es scheint, dass der Laden um 19:00 zu macht, also bin ich zu spät dran und muss es morgen wieder versuchen. Ich kaufe daher nur einen neuen Sack Reis und ansonsten Getränke und Nori im BenyMart. Ich will nicht viel essen heute Abend, also mache ich nur ein Go Reis für mich alleine, Melanie hält sich an die Instant Ramen. Um 22:00 beschließe ich, dass ich allmählich ins Bett gehen könnte, aber vorerst hindern mich daran das Geschirr und dieser Eintrag. Im Normalfall dauern diese Tätigkeiten am Ende des Tages etwa eine Stunde, aber ich will auch den Brief noch lesen, den meine Mutter mir geschrieben hat. Beantworten kann ich ihn ja später.

11. Januar 2024

Sonntag, 11.01.2004 – SMAPurai

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

Wegen der in den letzten beiden Tagen rapide gesunkenen Temperaturen (nachts, heißt das) säuft unser Ofen mehr Öl als gewöhnlich. Die Tagestemperaturen sind in Ordnung, aber nachts kühlt es sehr ab und der Ofen braucht eine Zeitlang, bis er das Zimmer auf Temperatur gebracht hat. Er läuft zwei Stunden lang in Dauerschleife. Sobald er sich bei 24 Grad wieder ausschaltet, sinkt die Temperatur, und der Ventilator, der die warme Luft aus dem Ofen pustet, ist noch nicht ausgelaufen, bis die Temperatur wieder auf die untere Grenze von 21 Grad gesunken ist, und die Flamme wird aufs Neue entzündet. Ich lasse also in den kommenden Tagen den Ofen nachts auf 12 Grad heizen, um dem Auskühlungseffekt entgegenzuarbeiten. Vielleicht spare ich dadurch Material.[1] Aber auch sonst ist heute ein echter Wintertag. Kräftiger Wind mit teils sehr starken Böen treibt den Schnee übers Land, und davon nicht zu wenig. Es schneit den ganzen Tag, bis etwa um 22:00, dann erst ist wieder Ruhe. Aber bis dahin liegen schon 40 cm Neuschnee auf unserem Balkon.

Ich muss mich heute um einige Lesearbeit kümmern, die ich vernachlässigt habe. Schrecklich viel ist es nicht. Was mich viel mehr wurmt, ist der Arbeitsauftrag, einen wissenschaftlich vertretbaren Text jeweils über Uhren und über Universitäten zu schreiben, jeweils etwa eine Seite lang. Das Ganze muss natürlich in japanischem Essaystil verfasst werden, und die Japaner (vertreten durch Yamazaki-sensei) sind da sehr penibel. Ich muss quasi für jede zweite Zeile ins Lehrbuch schauen, ob ich mich auch an die vorgeschriebene Reihenfolge von Argumentation und Untermauerung gehalten habe… ich könnte diesen ganzen formalistischen Krempel auf den Mond schießen! Der Leseteil meiner Arbeit besteht u.a. aus der „Diamantenen Sutra“, natürlich buddhistischer Natur. In den Pausen lese ich Teile eines „Combat Mission“ After Action Reports, also die schriftliche Darlegung eines Schlachtverlaufs, gespielt mit dem Strategiespiel „Combat Mission“. Die ersten Kapitel sind jeweils die Aufstellungsphasen der Spieler, welche Truppen sie warum wohin gestellt haben, und es ist lustig zu lesen, wie sich die beiden Gegner gegenseitig abwägen und zum Teil völlig aneinander vorbei denken. Das Spiel dürfte also einige Überraschungen parat halten, für beide. Und natürlich für mich als Leser.

Um 20:00 startet ein neues Samurai TV-Drama, „Shinsengumi“ heißt es, und das Besondere daran ist, dass Katori Shingo eine der Hauptrollen besetzt. Katori Shingo ist Mitglied der Band SMAP, und sieht eigentlich eher wie ein Milchbubi aus, und nicht wie jemand, der als Samurai überzeugend wirkt. Und Shingo hat nicht etwa eine Hauptrolle – er hat die Hauptrolle. Es geht wohl um zwei Freunde, die 1854 die erzwungene Öffnung Japans erleben und auch begrüßen, aber wohl völlig verschiedene Auffassungen von der Art und Weise der weiteren Entwicklung haben. Ich interpretiere, dass einer der beiden in zehn Jahren für das Shogunat und der andere für die „Reformer“ arbeiten wird, die letztendlich den Sieg davontragen. Die Geschichte beginnt mit einem kurzen Ausflug ins Jahr 1864 und ich glaube, dass sich die beiden Freunde zu diesem Zeitpunkt als Feinde gegenüberstehen. Aber ich kann mich auch irren. Ich werde mir weitere Episoden ansehen, um sicherzugehen. Auch wenn Katori Shingo wirklich nicht überzeugend wirkt. J

Schließlich sehen wir den zweiten Teil von „Jurassic Park“ im Fernsehen – nur um wieder die ewig gleichen Synchronstimmen zu hören. Ich bin es so richtig satt, diesen Mist zu hören, aber ich nicht vor, einen Stereovideorekorder zu kaufen, nur, um auf O-Ton umschalten zu können.


[1]   Das Haus verfügte über keinerlei Isolation, da nutzte auch Minimalheizen nichts

19. Dezember 2023

Freitag, 19.12.2003 – Heimatland, schönes Land?

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

Als ich nach dem Aufstehen den Wasserhahn aufdrehe, kommt nichts raus. Aha. Dann haben sie in der Parallelstraße wahrscheinlich wieder die Wasserleitung in Arbeit. Dann schreibe ich den Hausaufgabentext eben vor dem Duschen, so das Wasser zurückkehren sollte, bevor ich zur Uni muss. Ich drücke mich heute wirklich seltsam aus. Oder kommt mir das nur so vor? Was ist los? Ich weiß es nicht… ich muss immer so schreiben, wie es mir in den Sinn kommt, alles andere gefällt mir tags darauf (da! Schon wieder so ein Begriff!) schon nicht mehr.

Ja, das Wasser. Nein, eben nicht das Wasser, sondern der Fisch…, nein, mein Text. (Eine Stunde nach dem ersten Versuch haben wir wieder Wasser.) Ich muss also noch einen Text (für den Kurs von Ogasawara-sensei) entwerfen… zu lange aufgeschoben habe ich das ganze schon. Und schreiben tue ich schon wie Yoda. Sei’s drum. Auf jeden Fall stehe ich rechtzeitig auf, um noch meinen Text schreiben zu können. Wir sollen einen kurzen Vortrag halten, und zwar über unsere Heimatstädte, im Unterricht von Ogasawara-sensei. Genau. Ja, das wäre bei mir dann wohl Gersheim. Aber über Gersheim gibt es auf den ersten Blick zumindest nicht sehr viel zu erzählen. Da muss ich ein paar Minuten nachdenken… ich greife ausweichend zu meinem Stück Leinen, auf das ja noch etwas eingestickt werden soll, oder besser: es fehlen noch zwei Drittel von dem Werk. Ich sticke also weiter drauflos, um mich von meinem Gersheim-Vortrag abzulenken.

Ich stelle dabei fest, dass es gar nicht so schrecklich einfach ist, auf einem quadratischen Grundmuster einen runden Buchstaben hinzubekommen… aber für jemanden, der das noch nie in seinem Leben gemacht hat und zwei Minuten braucht, bis der vermaledeite Faden endlich in dem Öhr ist, habe ich meine Aufgabe gar nicht schlecht gemacht. Ein paar Koordinationsfehler sind leider sehr offensichtlich, aber ich bin im Großen und Ganzen zufrieden damit. Das wird mein „Bild des Tages“ am Tag des Abgabetermins. Und der ist, wenn ich mich recht erinnere, am 15. Januar.

Aber dann hat mich mein Text wieder. Ich mache eine Stichwortsammlung, und hoffe, dass ich alle Vokabeln noch auftreiben kann. Damit die Angelegenheit nicht zu kurz wird, integriere ich noch ein paar Dinge, die nicht direkt im Ort sind, sondern auch ein Stück weg, sofern zu Fuß erreichbar. Was haben wir denn… ich stelle fest: ich weiß noch nicht mal, wie alt der Ort ist. Ich sage einfach mal 800 Jahre.1 Erstens wird das keiner in der Klasse überprüfen und nach dem Unterricht haben es alle wieder vergessen. Als nächstes gibt es Orchideen bei uns. Ja, das wird gut ankommen. Wir haben ein Kalkwerk, und man findet versteinerte Fossilien auf dem Feld. Hui, die Vokabel ist vielleicht zu bissig… das lasse ich unter den Tisch fallen. Die Vokabel für „Naturschutzgebiet“ reicht mir schon zu Genüge. In weiterer Entfernung haben wir die römische Villa bei Reinheim (ich schließe das großzügig in Gersheim mit ein), das Keltengrab an gleicher Stelle, und natürlich muss ich den kurzen Fußweg bis nach Frankreich ansprechen – da staunen nämlich die Asiaten immer alle und finden das ganz toll, dass ich zu Fuß und ohne Grenzkontrollen nach Frankreich gehen und dort frz. Waren kaufen kann, einfach so, mal schnell vor dem Frühstück und eigentlich immer, wann mir danach ist. Dass mir eigentlich noch nie danach gewesen ist und ich die nahe frz. Grenze als etwas Alltägliches und etwas wenig aufregendes betrachte, wollen Menschen aus Asien nicht recht verstehen.
Ja, aber ihr Chinesen, ihr habt die Große Mauer – und ihr Japaner, ihr habt den Ise-Schrein!
Ach so, ja, das…
Scheinbar ist die Indifferenz gegenüber kulturellen Gegebenheiten nur eine Frage der Gewohnheit.

Wenn ich in Deutschland von zuhause aus ein paar Kilometer weit gehe oder fahre, gehe ich an Jahrhunderten von Geschichte vorbei, ohne, dass es mir sonderlich auffallen würde. Kirchen! Was sind denn schon Kirchen? Wer braucht Kirchen, mein Gott… (ja, genau der braucht die!), aber wenn ich in Hirosaki durch die Stadt gehe, fällt mir jeder Schrein ins Auge, als habe er eine Neonreklame ausgehängt. Das heißt, es sind wohl die markanten roten Tore, die mich optisch anspringen. Um Himmels Willen, ein kultureller Monolog entfaltet sich. Nicht heute.

Der Vortrag wird auch gar nicht schlecht. Es ist der einzige, der von Fragen seitens der Zuhörer, und nicht von Vokabelkorrekturen seitens der Lehrerin beendet wird. Manzoku da ne.

Danach gehe ich in die Bibliothek und schreibe meine Post. Und ich stelle erst jetzt fest, dass ich meine beiden Uhren zuhause vergessen habe. Also muss ich die Zeit abschätzen. Nicht, dass ich auch jemanden hätte fragen können… auf jeden Fall sorgt das Missgeschick vom Morgen dafür, dass ich eine Stunde zu früh zuhause bin. Schon um halb sieben. Macht nichts, dann kann ich ja den „Doraemon“ Film ansehen, der für heute im Programm steht. Inklusive Werbung dauert der Film zwei Stunden, und dann habe ich immer noch bequem Zeit zum Einkaufen, da mein Supermarkt ja jeden Tag bis um 21:45 geöffnet hat. Das wird mir in Deutschland fehlen.

1 Erste urkundliche Erwähnung findet der Ort um 1150 als „Geroldesheim“.

15. Dezember 2023

Montag, 15.12.2003 – Kein Ende in Sicht?

Filed under: Filme,Japan,My Life,Uncategorized,Uni — 42317 @ 7:00

Am Morgen passiert mir das Missgeschick, dass ich während des Unterrichts angerufen werde. Ich habe vergessen, das Telefon abzuschalten und Yui hat den Tag verpeilt. Sie dachte, ich hätte erst später Unterricht. Sie möchte mich treffen, damit ich ihren „Arbeitsnachweis“ unterschreiben kann. Dieser Unfall ist mir natürlich peinlich und bringt mich derart aus dem Konzept, dass ich dem Unterricht nur noch schwer folgen kann. Aber es wäre mir noch peinlicher gewesen, wenn nicht Yamazaki-sensei selbst hin und wieder C-Mails auch während der Unterrichtszeit bekommen würde.

Misi meint zu mir, wir sollten es am Freitag noch einmal mit dem Tabehôdai versuchen. Ich habe nichts dagegen, aber ich werde nichts selbst organisieren, bevor ich nicht die entsprechende Liste mit Mailadressen zusammen habe. Des weiteren muss ich meine Kamera mal wieder leer machen, und mein Porträt muss ich auch noch einscannen, damit ich es zum gegebenen Zeitpunkt als „Bild des Tages“ versenden kann. Aber die Rechner im Center sind dauerbelegt, also verziehe ich mich in die Bibliothek.

Am Abend sehe ich mir die letzte Folge der aktuellen Staffel von „Ogami“ an. Der präsentierte Schluss ist so offen wie mein Mund während des Abspanns. Ogami trifft auf seinen Erzfeind, mäht eine Hundertschaft von dessen Leuten mit dem Schwert nieder, wird schließlich schwer verwundet und sticht seinem Gegner das Katana einige Zentimeter tief ins linke Auge. Der Böse wird daraufhin von seiner treusten Gefolgsfrau (hübsch, aber irre) gerettet und vom Schlachtfeld entfernt. Ogami bricht zusammen und sein kleiner Sohn pflegt seine Wunden am Fluss. Kurz darauf ist er wieder unterwegs, mit seinem Sohn und seiner Schiebekarre. Das ist kein Ende.

Danach läuft ein Special von Tai Ginseng, ein zweistündiger Film, plus etwa eine Stunde Werbepausen. Der Film ist deutlich besser aufgebaut als die Serie, und es treten Charaktere aus alten Staffeln auf (gealtert!). Natürlich fehlt mir da der Wiedererkennungseffekt. Lustig ist vor allem die Einblendung alter Szenenschnipsel, denen man ansieht, dass sie aus dem Archiv stammen, und dass sie gefärbt wurden – die Serie war ja bis 1993 schwarzweiß. Wenn sich der alte Herr an die Person erinnert, die ihm gerade wieder über den Weg gelaufen ist, wird eine solche alte Szene eingespielt.

Aber generell ist auch der Film eine unfreiwillige Lachnummer, weil einfach zu viel von der Handlung an den Haaren herbeigezogen wird. Mindestens zweimal z.B. taucht der Herkules in ausweglosen Situationen aus dem Nichts auf und rettet alle: Da werden zum Beispiel der Alte und seine Begleiter über einen Fluss getragen. Im Wasser lauern Attentäter. Plötzlich sieht man den Herkules tauchen und er entfernt das Problem. Woher er auch immer wusste, dass da zwei Shinobi im Wasser planschen. Oder: Der Alte und seine Begleiter werden über den nächsten Fluss gerudert. Der Fährmann setzt sich plötzlich mitsamt den Rudern ab und die Gruppe in dem Boot gleitet auf einen großen Strudel zu. Plötzlich ist der Herkules da mit einem zweiten Boot und wirft einen Enterhaken herüber, mit dessen Seil er die anderen aus der Gefahrenzone zieht. Ich habe einmal gehört, dass auch Captain Harlock hin und wieder solche Aktionen in Serien von Reiji Matsumoto bringe, in denen er ursprünglich gar nichts zu suchen hat.

Das hat natürlich wieder Zeit gekostet, und die Arbeit muss nachher erledigt werden. Um 01:10 kann ich den Tag endlich beenden.

11. Dezember 2023

Donnerstag, 11.12.2003 – Roadrunner

Filed under: Japan,My Life,Uni,Zeitgeschehen — 42317 @ 7:00

Ein sonniger Morgen, kein Schnee über Nacht. Aber es ist dennoch ziemlich kühl. Von dem gefallenen Schnee ist nur noch etwas auf den Dächern und ein paar Flecken auf dem Rasen übrig. Und morgen soll es regnen. Mal wieder.

Leider verschätze ich mich in der Zeit, die ich zum Rasieren brauche und werde erst um 0740 fertig. Dann also schnell den Reis in die dafür vorgesehene Körperöffnung stopfen und los geht’s, um 08:20. Das reicht bei den herrschenden Bodenverhältnissen zu Fuß gerade so, um pünktlich zu sein, wenn man ein bisschen Gas gibt. Die Straßen sind frei, aber auf den Bürgersteigen liegt noch Eis. Es ist allerdings kein festes Eis, es ist gebrochen und sehr körnig. Man kann also beinahe normal darauf laufen. Da wir spät dran sind, will ich mich beeilen, aber pro 100 Meter, die ich zurücklege, fällt Melanie 20 Meter zurück. Vom Boden her wäre es wirklich möglich, etwas schneller zu gehen, als sie das tut. Aber sie kann natürlich nichts dafür – es pflügt nicht jeder so durch die Gegend wie ich. Aber ich will nicht zu spät kommen und ziehe auf den letzten 500 Metern davon. Sie wird mir das übel nehmen, das weiß ich. Aber ich kann nicht spazieren gehen oder alle paar Meter stehen bleiben, um zu warten, wenn ich weiß, dass ich mich eigentlich beeilen sollte. Ich kann dann nicht langsam machen… das macht mich ganz zappelig und meine Laune wird ungenießbar. In dem Fall muss ich also abwägen, ob ich lieber ihre oder lieber meine Laune in den Keller trete. Heute steht meine Entscheidung fest. Ja, vielleicht ist das nicht nett. Ich habe aber was dagegen, zu spät zu kommen, vor allem, wenn es sich noch vermeiden lässt. Wir sind doch kein einheitlicher Organismus – es ist immer noch jeder in erster Linie für sich selbst verantwortlich.

Ich bin etwa eine Minute vor ihr da. Ich vor dem Gong, sie danach. „Danke, dass Du auf mich gewartet hast!
Ja, sie nimmt mir das übel. „Ja, keine Ursache.
Die Situation juckt mich jetzt gerade wenig.
Sie setzt sich in die übernächste Reihe hinter mir. Oha, symbolischer Abstand. Mach nur.

Nach dem Kanjitest, noch während des Unterrichts, sehe ich, dass sie eifrig ihr Tagebuch benutzt – sie wird einen entsprechenden Eintrag zu meinem unsozialen Verhalten schreiben… als ob ich je behauptet hätte, sozial zu sein…
Und weil ich ein gutes Gedächtnis für solcherlei Dinge habe, fällt mir in diesem Moment ein Tag im Oktober ein, an dem ich mich tödlich über die hiesigen Unterrichtsverfahren aufgeregt habe, und um genau zu sein, war es der 15. Oktober. Der „Born to kill?“ Eintrag war das. An dem Tag habe ich noch während des Unterrichts meine Meinung schriftlich festgehalten und wurde deswegen von ihr vorwurfsvoll getadelt:
Pass gefälligst auf und schreib nicht in Dein blödes Tagebuch!
Würde ich nicht gerade im Unterricht sitzen, würde ich angesichts dieser paradoxen Situation laut lachen.
Sic transit gloria mundis!

Am Ende der Stunde erzählt uns Yamazaki-sensei, dass sich nächste Woche der Stundenplan geringfügig ändere. Wegen der vielen ausgefallenen Montage sei eine Umstellung beschlossen worden. Ich glaube, der Unterricht am Donnerstag wird durch einen „Montagsstundenplan“ ersetzt. Genau verstanden habe ich die Angelegenheit nicht, aber es gibt Leute, die ich deswegen befragen kann.

Der Unterricht von Sawada-sensei beschäftigt sich heute mit Kogin-Stickerei. Es handelt sich dabei um eine Kunstform in Tsugaru, die aus dem Verbot (während der Edo-Periode) entstanden ist, dass Bauern keine Kleidung aus Baumwolle, sondern nur aus Leinen tragen durften. Leinen ist nicht dafür bekannt, dass man daraus warme Kleidung machen kann, und wenn man im Süden wohnt, dann mag das nicht allzu schlimm sein, aber hier oben sieht die Sache anders aus. Es gab allerdings kein Gesetz, dass den Bauern die Verwendung von Baumwollfäden verboten hätte. Die Frauen von Tsugaru stickten also Baumwollfäden in die Leinenkleider ihrer Familien, um sie über den Winter zu bringen. Und zwar so viel davon, dass man das Leinen darunter kam noch erkennen, sondern nur noch stellenweise erahnen konnte. Wenn man ein Auge für solche Dinge hat, kann man in den erhaltenen Kleidern (und auch in neuen Handarbeiten aus Heimproduktion) sehr schöne Muster finden.

Die Aufgabe für heute: 5 x 15 cm2 Leinen selbst besticken. Ich soll sticken??? Na wunderbar. Ich brauche ja schon eine ewige Zeit, um den vermaledeiten Faden überhaupt durch das Nadelöhr zu pressen. Und wie soll das jetzt laufen? Ich verstehe die Arbeitsanweisung nicht, weil hier Bewegungsabläufe beschrieben werden, unter denen ich mir nichts vorstellen kann. Dr. „Dragon“ Chen kommt damit auch nicht wirklich klar.
Wenn Du das gut machst, überlege ich mir, ob ich mich von Dir operieren lasse“, sagt Sawada-sensei schmunzelnd.
Einen Blinddarm zu entfernen ist viel leichter als das hier!“ sagt Chen. Und während ich noch an der Vorlage herumrätsele, nach der wir das Muster eingeben sollen, sieht sie sich noch einmal seine Arbeit an und meint: „Ich glaube, ich lasse mich lieber nicht von Dir zunähen…

Natürlich machen hier alle Scherze über die Bemühungen der weniger Begabten. Chen bringt auf Anhieb nichts zustande, ich habe nach einer Stunde endlich die Grundlinie fertig (und es werden Fotos von meinem hochkonzentriert anmutenden Gesicht gemacht), und SangSu stickt ein arg abstraktes Bild von seinem Hund in das Stück Leinen. „Der ist weggelaufen, bevor ich nach Japan gekommen bin,“ sagt er, „und ich hoffe, dass er dadurch wieder zurückkommt.“ Und dann plappert er wieder drauf los, von seinem Hund, und davon, wie man Kitahara-sensei eine besondere Freude machen könnte, indem man „K.K.“ (für Kitahara Kanako) in das Leinen stickt. Er sorgt für allgemeine Belustigung.

Am Ende der Stunde muss ich mein mühsam zusammengepuzzeltes Werk wieder lösen, weil ich mich bei der Reihenfolge der Einstichlöcher verzählt habe. Als Hausaufgabe sollen wir es für die nächste Stunde fertig haben. Ich kann mir wirklich angenehmere Beschäftigungen für meine Mußestunden vorstellen. Und die Vorlagen gehen mir auf den Senkel… warum soll ich hier unbedingt reproduzieren, was andere bereits gemacht haben? Aber nein, wir dürften auch gerne individuelle Muster entwerfen, wenn wir uns kreativ genug fühlten, sagt Sawada-sensei. Na, dann weiß ich natürlich binnen 30 Sekunden, was ich mit meinem Stück Leinen mache… nein, ich werde nichtHentaiman“, „Black Death“, „der Extreme“ oder „42317“ in das Leinen sticken. ?

Habe ich heute Yui vergessen? Ich bin nach dem Unterricht sofort in die Bibliothek gegangen, anstatt erst in der Halle vorbeizusehen. Ich glaube aber zumindest, dass sie nicht angerufen hat, um zu fragen, wo ich bleibe. Und ich glaube das nur, weil ich bei meiner Beschäftigung am Computer für gewöhnlich Kopfhörer trage und Musik höre. Keine Chance für das Telefon.

Als ich am Abend vom Einkaufen zurückkomme, findet sich eine lohnende Tätigkeit fürs Wochenende. Jin Eiko ruft mich an und bittet mich in einem für mich geradezu peinlich langsamem Japanisch, am Samstag auf eine kleine Party des „Hippo Family Clubs“ zu kommen, zusammen mit Melanie. Ich solle um 16:30 am „Dotemachi Square“ sein. Die Uni hat diese Feierlichkeit nicht angekündigt, also gehe ich diesmal von einem wirklich kleinen Rahmen aus, also Gastfamilien und die zugehörigen Studenten.

Am Abend läuft im Fernsehen (wieder) ein Bericht über die Situation in Peking. Alles, was ich verstehe, ist, dass sich eine Handvoll japanischer Austauschstudenten wohl irgendetwas ungebührliches geleistet hat, was die chinesischen Gemüter so sehr erregt, dass 2000 Leute (hauptsächlich Studenten, wie mir scheint) auf die Straße gehen und lauthals demonstrieren. „Apologize! Apologize!“ brüllen sie. Auf Englisch. Damit die internationale Presse das auch versteht. Sie tragen auch Transparente in englischer Sprache, auf denen Parolen wie „Japaner raus!“ zu lesen und japanfeindliche grafische Darstellungen zu sehen sind. So langsam interessiert mich, was da los ist. Haben die Jungs an eine Mao-Statue gepinkelt? Oder eine ausschweifende Orgie gefeiert (wie die japanischen Geschäftsleute in Shanghai, was dieser Tage ebenfalls in der „Japan Times“ zu lesen ist)? Ich werde Sawada-sensei fragen, sobald ich dazu komme.

Die TV-Zeitschrift beinhaltet in dieser Woche einen Extrabericht über den von mir bereits beschriebenen „Tai Ginseng“. Da ist zu lesen, dass die Serie bereits seit 1969 existiert, mittlerweile mit dem fünften Hauptdarsteller, und bis etwa 1993 wurde sie in Schwarzweiß gedreht!? 1000 Episoden gibt es davon inzwischen, und aus diesem Grund soll demnächst ein „Movie Special“ gezeigt werden. Ich frage mich, wie man dieses Konzept 1000 Episoden lang durchhalten kann. So viel Abwechslung kann es doch nicht geben… man müsste ja annähernd ebenso viele verschiedene Berufe auffahren, für die Leute, die gerettet werden sollen. Aus den Fängen gieriger Feudalherren. Gibt es davon eigentlich so viele? Immerhin sehe ich, dass andauernd Samurai gemaßregelt werden, die mindestens aus der „mittleren Führungsebene“ stammen, wie man sagen könnte. Die Position der gezeigten Gegner scheint mir jeweils in die „Top 5“ des jeweiligen Clans zu gehören. Wie viele gab es davon?

Übrigens ist die Ninja-Xena in dem Lack-Leder-Polyester-Dress bereits seit Anfang der Achtziger dabei (mindestens) und ist dieses Jahr 53 Jahre alt geworden. Sie dürfte damit das älteste Mitglied der Wandertruppe, dieser japanischen „Spezialisten unterwegs“ sein, denn der Hauptdarsteller ist deutlich jünger als sie. Sein Alter wird nicht angegeben, aber wenn man ihn ohne Schminke sieht, erkennt man ihn erst einmal nicht wieder und man würde ihn auf Mitte Dreißig schätzen.

10. Dezember 2023

Mittwoch, 10.12.2003 – Alles rennet, rettet, flüchtet

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

Während der Nacht hat es nicht geschneit. Kalt ist es trotzdem, es liegt noch überall Schnee herum und die Bürgersteige sind am Morgen noch heftig glatt. Melanie verwendet bei dieser Gelegenheit die Spikes, die sie von Marc bekommen hat, aber ihre Schuhe sind dafür überhaupt nicht geeignet, weil sie an der Sohle die dafür notwendige Vertiefung zwischen Fußballen und Ferse nicht haben. Die Spikes stehen also weit nach unten heraus und drücken ihre Oberseite durch die weichen Sohlen der Turnschuhe unangenehm in den Fuß hinein. Ohne geht es sich bequemer. Ich selbst spüre bislang noch keine ernsthaften Probleme wegen der Straßenglätte.

In der ersten Stunde erfahre ich, dass meine Bemühungen um die Kanji gestern Abend (kurzfristig betrachtet) vergebens waren – der Test wird erst am Freitag geschrieben. Ich unterhalte mich nach Ende des Unterrichts ein wenig mit dem Chinesen, der erst neulich zu uns gekommen ist. Er studiert Medizin, mit Schwerpunkt auf Radiologie. Er macht in Hirosaki seinen Doktor und wird vier Jahre bleiben. Und er erzählt mir, dass Jackie Chan eigentlich „Chen Long“ heiße. Ja, ganz ähnlich wie der „DragonBall“ Drache. „Long“ schreibe man wie „Drache“. Einige Schauspieler hätten dies an ihre Namen angehängt, weil der Drache das Nationaltier Chinas sei, so auch Bruce Lee, dessen eigentlicher Name „Li Shou Long“ sei.

Dann gehe ich in meine Literaturklasse. Aber ich finde den Raum Nr. 409 um 10:20 leer vor. Habe ich eine Absage oder Verlegung vergessen? Als ich wieder gehen will, kommen mir die beiden japanischen Teilnehmer und Professor Vesterhoven entgegen. Die haben sich verspätet. Ich frage den Professor, ob heute vielleicht eine Verlegung stattfinde oder ähnliches. Nein, sagt er. Ganz normaler Unterricht. Sei zumindest geplant. Aber es ist niemand da bis jetzt. Nach weiteren fünf Minuten kommt auch noch David, der immer zu spät kommt, aus welchem Grund auch immer. Aber das war dann auch schon alles.

Prof. Vesterhoven 2003

Ich hätte jetzt nicht gedacht, dass Mishima so unbeliebt ist!“, sagt Vesterhoven. „Oder haben die alle eine Erkältung?“ Ansonsten möchte er wissen, was wir von der Geschichte gehalten haben. „Ich finde die Darstellung der Art von idealer Beziehung in der Geschichte schlichtweg bescheiden“, sage ich dazu. „Ich habe die Geschichte gehasst!“ sagt der Japaner. „Ich fand sie furchtbar grausam!“ sagt die Japanerin. „Ich halte sie für interessant…“ sagt David. (Allerdings sagt er das in den allermeisten Fällen.) Vesterhoven beschließt, mit allseitigem Einverständnis der Anwesenden, die Besprechung von „Yûkoku“ auf nächste Woche zu verschieben.

Im Center lese und drucke ich meine Post, rede dabei kurz mit Marc und speichere dann auch endlich die Bilder, die Chen mir geschickt hat: Ein Foto, das ihn im OP mit seinem Professor zeigt und ein weiteres, eine Aufnahme der Entfernung eines Hautkrebstumors. Sehr interessant. Hoffentlich hat er noch mehr davon. Mein elektronisches Postfach ist jetzt endlich wieder leer.

Alles muss raus

Am Mittag wollte ich eigentlich in der Halle bleiben, aber es ist zu kühl und ich finde den Schalter für die Heizung nicht. Offenbar ist sie abgeschaltet oder hat einen Defekt. Ich leiste Mei und BiRei also nur beim Essen Gesellschaft. Danach gehen die beiden zum Unterricht und ich begleite sie bis zur Treppe zum Center.

Und sie gehen dabei etwa halb so „schnell“, wie ich das dann tue, wenn ich viel, viel Zeit habe.

Was ist los? Schlaft ihr beim gehen?
Nein – aber manchmal gehen wir während des Schlafens…“ sagt BiRei und lacht.
Mensch, seid Ihr langsam… das muss an Euren kurzen Beinen liegen!
BiRei lacht sich schief. Mei droht mir amüsiert mit dem Finger. „Wie bitte?? Kurze Beine!? Wie unhöflich!“
Und ich dachte, dünne Bleistifte wie Ihr würden schneller durch den Wind kommen…
Bleistifte??? Du sagst andauernd so schreckliche Sachen!“ Aber kein Beobachter würde dabei auf die Idee kommen, ihren Protest ernst zu nehmen. Dafür lacht sie selbst zu viel. Ich verabschiede mich schließlich von den beiden und kehre erst um 14:22 in die Halle zurück, um Mei wegen ihrer Englischbemühungen zu treffen. Ich bin also (zwei Minuten!) zu spät und ich höre auf dem Weg zur Halle schon mein Telefon klingeln, aber wir begegnen uns, als ich die Treppe runterkomme.

Wir gehen ein weiteres Kapitel aus ihrem Lehrbuch „Questions and Answers“ durch und ich erläutere aus gegebenem Anlass, dass Kaugummikauen während einer Konversation (zumindest für Deutsche; ich weiß in dieser Beziehung ja nichts über China…) unhöflich sei, und dass auffälliges Kaugummikauen (also mit Blasenbildung und Schmatzgeräusch) geradezu als barbarisch eingestuft werde. Sie lässt daraufhin das Kaugummikauen zwar nicht sein, aber immerhin lässt sie mich weniger davon merken. Was ich bemerke, ist aber, dass ihre Aussprache besser wird. Offenbar erreiche ich tatsächlich was.

Den restlichen Tag lang gibt es nichts Interessantes mehr, und es gibt auch keinerlei Neuschnee.

9. Dezember 2023

Dienstag, 09.12.2003 – Tag der Arbeit

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

Über Nacht hat es noch mehr geschneit, und kaum sind wir um 08:20 die Tür draußen, schneit es auch sofort weiter, in den folgenden Stunden mal mehr und mal weniger heftig.

In der ersten Unterrichtseinheit schreiben wir die Zwischenklausur bei Yamazaki-sensei. Die Themen der Klausur sind Hörverständnis, Kanji und Grammatik. Letzteres wird durch Satzbildung abgefragt – Lückentexte. Aber diesmal war ich darauf gefasst. Und da über den Sätzen z.B. zu lesen war „Bilden Sie einen te-oku Satz“, war das Ganze eher eine Suche nach einem passenden Verb, als echte Prüfung im Bereich Grammatik. Zumindest hoffe ich, dass ich die Angelegenheit nicht falsch verstanden habe.

In der Pause danach bereite ich noch etwas „Buddhismus“ nach wie vor. Also eigentlich beides. Direkt danach wird die Klausur geschrieben. Und diese Klausur hat schon eine ganz tolle erste Frage:
Welche Doktrinen des Theravada Buddhismus sind wohl die wichtigsten? Begründen Sie Ihre Meinung.
Ich wusste noch nicht einmal, dass es mehrere Doktrinen gibt. Ich dachte, die „Doktrin“ sei eine einzige – die Überlieferungen der Lehren Buddhas. Die Antwort, die ich schreibe, ist entsprechend… „unwissenschaftlich“ und wird mich vermutlich 40 % der Punkte kosten. Ich fasse nur in drei Sätzen zusammen, was mir dazu einfällt. Der Rest der Klausur besteht aus 30 Stichworten, von denen wir 15 definieren sollen. Wegen der Kürze der ersten Aufgabe aber habe ich eine Menge Zeit und schreibe munter drauflos, was mir einfällt. Ich verfasse 22 Antworten und hoffe, dass mir das ein paar Bonuspunkte beschert.

Und es schneit und schneit und schneit. Zehn Zentimeter sind heute Morgen allein gefallen. Die Straßen sind glatt, die Bürgersteige sind es ebenfalls, aber es ist an der Zeit, Melanies Geschenk zu kaufen, also gehe ich zum Animedia Laden. Danach gehe ich zurück in die Bibliothek und schreibe Post. Um 19:20 kehre ich nach Nakano zurück.

Im BenyMart sind Sushi wieder mal um 50 % ermäßigt, also kaufe ich drei Pakete. Zuhause stelle ich fest, dass Melanie die gleiche Idee hatte… also können wir uns heute Abend wieder mit Sushi vollstopfen. Und das Beste daran ist der phänomenal niedrige Kaloriensatz – hier kann man essen bis zum Umfallen ohne zuzunehmen! Das Röstfleisch, dass sie ebenfalls gekauft hat, hebe ich dann für morgen früh auf. Macht sich als Frühstuck ja nicht schlecht.

Ich fühle mich nicht mehr sonderlich wach, aber ich muss noch ein paar Vokabeln in mein Gehirn stanzen und ich sollte für morgen auch noch einmal „Yûkoku“ von Mishima Yukio lesen. Man kann die Geschichte so schön auseinanderdiskutieren. Eine Berichtigung an dieser Stelle: Der Titel wurde oft übersetzt mit Begriffen wie „Patriotismus“, obwohl das den Kern der Sache nicht ganz trifft. Wenn ich die Vokabel recht verstehe, geht es dabei weniger um „Liebe zum Vaterland“ als um „Sorge um das Vaterland“.

5. Dezember 2023

Freitag, 05.12.2003 – Ein eitles Lehrbuch träumte, wie eine Speisekarte studiert zu werden…

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

Am Morgen scheint die Sonne und ein Blick aus dem Fenster sagt mir, dass sich der gefallene Schnee nicht lange wird halten können. Die Straßen und Bürgersteige sind wieder vollkommen eisfrei, nur auf Dächern, Bäumen und Grünflächen hält sich der Schnee noch hartnäckig. Morgen soll es mal wieder regnen und für Sonntag ist Frost gemeldet.

Im BenyMart ist die Aktion, nach dem Einkauf 1 bis 5 Punkte auf die Kundenkarte geschenkt zu bekommen, offenbar ausgelaufen. Jetzt kann man mit jeder Karte einmal versuchen, 10 bis 50 Punkte zu erspielen, aber nur an bestimmten Tagen und vorausgesetzt, man kauft für 2000 Yen oder mehr ein. Das dürfte mich also kaum betreffen, da ich meist zwischen 500 und 1200 Yen liege. Bis der nächste Sack Reis fällig wird, vergehen noch ein paar Tage.

Um 10:00 gehe ich aus dem Haus und nehme unseren Müll mit. Und ich erwähne das extra, weil es sich um vier große Tüten handelt – zwei Säcke mit PET-Flaschen, einmal Papier und einmal Plastik. Hoffentlich bin ich noch nicht zu spät dran, an der Sammelstelle liegt nämlich sonst nichts herum. (Anmerkung: Es sollte sich allerdings herausstellen, dass ich zu früh dran war, da die entsprechenden Müllkategorien erst am folgenden Tag abgeholt werden würden.)

Um 11:00 will ich Yui treffen, und sie kommt zehn Minuten zu spät. Sie entschuldigt sich dafür, aber es ist ja kein Beinbruch. Ich habe genügend Möglichkeiten, mich selbst zu beschäftigen… mir wird so schnell nicht langweilig. Wir gehen die Lektionen 9 bis 13 durch, aber es ist zu merken, dass wir alle beide nicht so recht wach sind. Und wenn ich weiter hier rumsitze, schlafe ich am Ende noch ein…

Yui 2003

Nachdem wir fertig sind, gehe ich ins Center und sehe nach meiner Post. Und dann ist wieder Unterricht angesagt. Ogasawara-sensei versucht heute, uns die Konnotationsunterschiede bestimmter Satzendungen näher zu bringen, aber ich verstehe die Hälfte davon nicht sofort. Ich muss erst ein wenig über diese Dinge wie „yo“, „ne“, „naa“, „ka naa“ und „yo ne“ nachdenken, bevor ich was damit anzufangen weiß. Ich befinde mich ja in der glücklichen Lage, direkt an der Quelle zu sitzen.

Ich komme nicht drum herum, mir die Trierer Situation vor Augen zu führen. 40 neue Studenten in der Japanologie, wie ich gehört habe… und wie viele Japaner sind für Tandem verfügbar? Wenn sich die Angelegenheit in einem „normalen“ Rahmen bewegt, möchte ich schätzen, dass vielleicht zehn Japaner anwesend und bereit sind. Frau Eismann als Tandem-Koordinatorin fällt aus beruflichen Gründen aus, und zu den 40 Erstsemestern kommen bestimmt noch einmal doppelt so viele Leute aus dem zweiten, dritten und vierten Semester dazu, die nicht weniger Bedarf an Kommunikationsübung haben. Am besten verdränge ich das, bis ich wieder zu Hause bin. Dort wird es genug Gelegenheit geben, mich von der herrschenden Situation erschlagen zu lassen.

Um 16:00 bin ich wieder in der Halle und gehe mein Textbuch noch ein bisschen durch, aber ich bleibe nur bis 16:45, weil mir die Formen „te-aru“ und „te-oku“ ja inzwischen klar sind. Hoffe ich zumindest. Ich will nicht noch eine Arbeit unter 60 % schreiben. Mein persönliches Ziel liegt schon bei nur zwei Dritteln, das wird wohl irgendwie zu machen sein!?

Um 18:55 bin ich wieder in der Bibliothek, um endlich die Post über den 22.11. fertig zu schreiben. Endlich, ja. Die Vorbereitungen für die Klausuren machen sich in meinem Schreibrhythmus deutlich bemerkbar. Aber der Computer, den ich aussuche, hat einen Schaden am Soundsystem… die Musik kommt nicht aus den Kopfhörern, sondern aus den Lautsprechern an den Seiten des Gerätes, und das stört natürlich mein Umfeld. Na wunderbar, dann fällt die Musik heute also flach. Ich merke mir das Gerät und vermeide es in Zukunft.

Endlich komme ich auch dazu, die letzte Mail von Kai zu öffnen: Er hat seine Meisterprüfung bestanden. Das freut mich natürlich sehr, und ich überlege, ob ich ihm nicht etwas passendes dazu schicken könnte, aber mir fällt nichts ein. Vielleicht stolpere ich noch über etwas. Schade, dass er die Prüfung nicht schon ein Jahr vorher abgelegt hat… ich habe mir bereits überlegt, ob ich nicht zusammen mit Oliver an den Prüfungsort fahren sollte, um „Infernal Meisterprüfung!“ (von der Spaßmetalband „Urinstein“) laufen zu lassen… aber ich will die Feierlichkeiten zu diesem Ereignis auch noch nachholen, und da wird sich bestimmt eine Gelegenheit finden, Kais Gehörgang mit der „Infernal Meisterprüfung!“ durchzufönen. 🙂

Und wenn ich schon dabei bin, sollte ich mal zusehen, dass ich das für Melanie vorgesehene Weihnachtsgeschenk auch kaufe, bevor es ein anderer tut. Morgen wäre ein passender Termin, denke ich. Der Schnee ist ja weitgehend weggeschmolzen, also kann ich wohl auch mit dem Rad hinfahren. Das würde deutlich Zeit sparen. Es kann ja wohl nicht den ganzen Tag regnen…

3. Dezember 2023

Mittwoch, 03.12.2003 – Ein Mensch lernt wenig von seinem Siege, aber viel von seiner Niederlage

Filed under: Bücher,Japan,My Life,Uni — 42317 @ 14:33

Ein sonniger Morgen, laut Wetterbericht sieben Grad Celsius. Zum Frühstück vertilgen wir den Reis, den Melanie gestern leider umsonst gekocht hat (sie hat die Einladung zum Essen bei den Nachbarn zwanzig Minuten zu spät erhalten). Um den Reis warm essen zu können, brate ich ihn an, mit etwas Öl, und das Ergebnis ist, dass mir den ganzen Tag über mehr oder weniger schlecht ist. Das Essen liegt mir wie ein Stein im Magen, und um 1700 habe ich immer noch keinen Hunger. Dabei habe ich doch noch eine Menge Sushi im Kühlschrank…

Aber alles der Reihe nach. Die Tatsache, dass wir am Morgen unsere Zwischenklausur des A2-Kurses zurückbekommen, trägt wohl auch nicht unwesentlich zu meinem Befinden während des restlichen Tages bei. 47 % sind keine Heldentat. Ich würde das „klar durchgefallen“ nennen. Urrghs… warum dieses Ergebnis? So schlecht war ich ja noch nie, so weit es Japanisch betrifft. Es ist natürlich nicht ganz einfach, als Betroffener objektiv darzustellen, wo genau der Wurm drin war, also stelle ich Melanies Interpretation an den Anfang: „Mangel an Vorbereitung!

Ich will den Vorwurf nicht als völlig unbegründet von der Hand weisen. Ich hätte wohl wirklich mehr dafür tun können – aber wegen des Schwierigkeitsgrades sah ich mich zu besonderen Anstrengungen nicht veranlasst. Das, was hier behandelt wurde, habe ich alles schon einmal gemacht und (damals) mit einem guten Ergebnis hinter mich gebracht, also ist es nicht so, dass ich die Materie überhaupt nicht beherrschen würde. Ich sehe mein Problem darin, wie die Aufgaben gestaltet sind. In Trier bestehen Klausuren aus einer Übersetzungsübung, die den Prüfling dazu veranlasst, die gelernte Grammatik anzuwenden. In Hirosaki bestehen die Aufgaben aus Lückentexten, über denen viel sagend geschrieben steht: „Setzen Sie die richtige Form ein!

Wenn ich diese Aufgabe nun im Buch sehe, dann ist mir ja wegen des aufgeschlagenen Kapitels voll und ganz klar, auf welche Satzstrukturen die Angelegenheit hinausläuft. Hier ist das nicht der Fall. Ich muss den japanischen Text lesen, trotz der Lücken verstehen, um was es geht, und daraus schließen, was ich in die Lücken schreiben muss – und das alles ohne Wörterbuch (das in Trier bei Übersetzungen aus dem Japanischen ins Deutsche erlaubt ist). Die Mehrheit der Fehler ist wohl dadurch entstanden, dass ich Übersetzungsschwierigkeiten bei den Kanji hatte (= mangelnde Vorbereitung meinerseits) und den Kontext nicht richtig auf den Lehrplan habe umdeuten können (= konzeptionelle Mängel des Lehrmaterials). Die Kanji, die wir für die drei Tests jede Woche lernen müssen, stehen nämlich in keinem direkten Zusammenhang zu den zu behandelnden Lektionen – das ist ein ganz anderes Buch. Die Aufgaben der Klausur stammten jedoch alle aus dem Lehrbuch – was für mich bedeutet, dass ich nicht nur die grammatikalischen Formen können muss (mit dem, was ich an Strukturen vorbereitet hatte, wäre ich bequem auf 80 % gekommen), sondern ich muss auch die Aufgabenstellungen im Buch mehr oder weniger auswendig können, damit ich bei Verständnisschwierigkeiten dennoch weiß, welcher Grammatikteil da gerade abgefragt wird.

Das alles trägt weder zu meiner körperlichen und geistigen Gesundheit noch zu meiner Laune bei. Die Übersetzungsaufgaben von Katsuki-sensei schmecken mir viel besser – schließlich wird man bei der Konversation in der Mensa nicht plötzlich mit Lückentexten konfrontiert… Dass die Klausurtexte Kommunikationsbeispiele waren, macht die Sache nicht besser. Andererseits sitzen in Form der ca. 15 Teilnehmer mindestens fünf Nationen im Raum (Deutschland, Frankreich, Thailand, China und Peru), was eine Übersetzungsübung ziemlich kompliziert für die Lehrerin machen würde. Also muss ich Lernaufwand in die Lehrbuchtexte investieren – was früher völlig überflüssig war. Man könnte aber ruhig ein Kanjilexikon zulassen, um so Vokabelfragen klären zu können und eine vollständige Konzentration auf die Grammatik zu ermöglichen, um die ja eigentlich geht.

Vesterhoven bespricht heute Mishima Yukio und gibt uns „Yûkoku“ („Patriotismus“) zum Lesen mit. Ich bin gespannt. Die „Geständnisse einer Maske“ haben mir sehr gut gefallen, und „Yûkoku“ ist das wahrscheinlich bekannteste Werk Mishimas – nicht zuletzt wegen der Darstellung eines rituellen Selbstmordes… aber das ist bislang alles, was ich darüber weiß, weil ich es noch nicht gelesen habe. Ich bin gespannt…

… und die Kinnlade fiel mir auf den Schreibtisch. Und ich kann nicht sagen, dass dieser metaphorische Vorgang positive Ursachen hätte. Ich habe nicht gedacht, dass Mishima solch einen Mist schreiben kann. Seine Fans mögen mir das bitte verzeihen, aber ich finde „Yûkoku“ in keiner Weise berauschend. Das einzige, was dieser Text wirklich gut vermittelt, ist der Schmerz eines Mannes, der sich mit einem Katana den Bauch aufschlitzt – und zwar ohne jemanden, der ihm den Kopf abschlägt, wenn es zu viel wird. Ansonsten ist der Text eine Mischung aus chauvinistischen Phrasen, Körperkult und Sex. Nennen wir die Dinge doch beim Namen. Die Handlung findet statt vor dem Hintergrund der Geschehnisse ab dem 26. Februar 1936. In Tokyo rebellierten rund 1400 Soldaten der kaiserlichen Armee (geführt von idealistischen Offizieren der unteren und mittleren Dienstgrade) gegen die Regierung. Ihre Motivation war die Absetzung der Herrschaft von „Parteien, korrupten alten Männern und Bürokraten“, um den Tenno persönlich die direkte Herrschaft zu ermöglichen. Sie hofften, auf diese Art und Weise u.a. die ärmlichen Verhältnisse der Landbevölkerung mildern zu können (die dazu führten, dass eine Menge Töchter in die Prostitution verkauft wurden) – und nicht wenige Offiziere kamen vom Land zur Armee, weil sie dort eine gesicherte Existenz sahen. Der Shôwa Tenno (Hirohito) ordnete am 29.02. jedoch an, die Rebellion niederzuschlagen, worauf die meisten Aufständischen freiwillig die Waffen niederlegten.

Leutnant Takeyama ist die männliche Hauptperson der Kurzgeschichte. Er steht nicht auf der Seite der Aufständischen, aber er weiß, dass man ihm befehlen wird, gegen die Meuterer vorzugehen, unter denen sich seine besten Freunde befinden. Der Leutnant ist verheiratet, und die Darstellung dieser Ehe ist von einem derart archaischen Ideal geprägt, dass einem davon schlecht werden könnte. Seine Frau ist seine absolute Untergebene. Er macht ihr klar, dass es zum Leben eines Offiziers der kaiserlichen Armee gehört, jederzeit sein Leben für Kaiser und Vaterland zu geben und sie macht deutlich, dass sie ihm freiwillig in den Tod folgen werde, sollte dieser Fall eintreten. Es folgen Darstellungen, wie leidenschaftlich (und ausdauernd) das Sexualleben der beiden verläuft (vor allem, wenn er von Übungen wieder zurückkommt), was für einen göttlichen Körperbau die beiden haben (jeweils das extreme Idealbild eines männlichen und eines weiblichen Körpers, man denke dabei an die Vorstellungen der Nazis) und wie hingebungsvoll der Leutnant seinem Kaiser dient. Und als dann klar wird, dass er am folgenden Tag auf seine Freunde und Landsleute würde schießen müssen, nimmt er sein Schwert und verteilt eindrucksvoll seine Darmwindungen auf dem Tatamiboden im gemeinsamen Schlafzimmer (es ist nicht schwer zu raten, was die zwei vorher einige Stunden lang gemacht haben), gefolgt von seiner Frau, die sich mit einem großen Messer den Hals aufschlitzt.
Das möchte ich nicht noch einmal lesen, wenn es sich vermeiden lässt. Aber die Darstellungen der Schmerzen sind so richtig „echt Mishima“. Sehr lebhaft geschildert und gut durchdacht. Immerhin.

Um 1200 gedachte ich eigentlich Yui in der Halle zu treffen, aber sie ist nicht da. Sie ruft auch nicht an. Daraus muss ich eigentlich schlussfolgern, dass unsere Treffen nicht als so regelmäßig ausgemacht worden sind, wie ich mir das gedacht habe. Ein bisschen Kontinuität würde ich doch begrüßen. Ach, was soll’s, ich hab auch schon solche Fehler gemacht. Dafür treffe ich Mei und BiRei, die hier ihr Mittagessen verzehren wollen. Dann unterhalte ich mich eben mit denen ein bisschen, so lange sie essen.

Um 1420 sehe ich Mei dann wieder zum Englischlernen. Derzeit ein überraschend konstanter Faktor in meiner wöchentlichen Freizeitplanung. Mei hat ihr Textbuch vergessen, also nehmen wir das Grammatikbuch als Grundlage. Verbformen. Das ermüdet die junge Dame wesentlich schneller als einfache Kommunikation. Aber die Zeit vergeht dennoch recht schnell und sie hat um 1600 eine Verabredung mit ihrem Tutor. Dann komme ich vielleicht ja doch noch bis 1900 nach Hause, und kann vorher noch Post schreiben.

Aber so weit sollte es nicht kommen. Weit gefehlt! Ich schreibe also den bisherigen Tag in mein Tagebuch und um 1615 kommt BiRei mit XiangHua in die Halle – auf der Suche nach Mei. Sie sei bei einem Treffen mit ihrem Tutor, sage ich, worauf die beiden beschließen, mit mir vorlieb zu nehmen. Wir sitzen also da und unterhalten uns. Währenddessen schreibt BiRei Vokabeln auf, die ich nicht kenne (oder nicht sofort verstanden habe), drückt mir den Zettel in die Hand, sieht mich streng an und sagt: „Lern das und vergiss es nicht!“ Ah… wie Sie wünschen. War von ihr natürlich nicht so ernst gemeint, wie sie es in Szene gesetzt hat. Im Gegenzug möchte sie, dass ich ihr ebenfalls etwas Englisch beibringe. Aber nicht zusammen mit Mei, da sie Mei nicht stören möchte. Dann könnte sie sie doch zumindest fragen, ob das in Ordnung sei? Nein, sie wolle Mei nicht damit belästigen. Und ich solle Mei gegenüber das Thema auch nicht anschneiden. Ich will das jetzt nicht verstehen müssen. In einem klassischen Fernsehdrama würde dieses Verhalten darauf schließen lassen, dass Mei romantische Gefühle für mich hegt und BiRei das weiß, und deshalb die Zweisamkeit nicht stören möchte. 🙂
Aber gut… hier und da ein wenig englische Konversation, wenn wir uns begegnen. Ich solle dann auch von Fall zu Fall unbekannte Vokabeln aufschreiben und an sie weitergeben. Hm… sie hat nach ihrem Schulabschluss erst angefangen, verstärkt Englisch zu lernen, auf der Schule hat sie in erster Linie Japanisch gelernt (acht Jahre), und nur ein bisschen Englisch nebenher gemacht. Eigentlich sollte ich ihr gleich ein Wörterbuch schenken. Mehr als „Basiskommunikation“ ist bei ihr noch nicht zu machen, was bedeutet, dass ich zuerst Vokabeln und dann Strukturen aufbauen muss… das könnte ja in Arbeit ausarten…
Als wir uns dann wieder verabschieden, ist es 1840. Mit „1900 zuhause“ wird das nichts mehr, und ich habe heute noch nicht einmal einen Computer gesehen. Ich werde meine Post abrufen und beantworten, aber einen Bericht schreibe ich heute nicht mehr. Mehrstündige Konversation auf Japanisch kostet mich noch viel zu viel Konzentration und Energie.

Und als ob der Tag nicht schon Kraft raubend genug gewesen wäre, läuft am Abend auch wieder die „WG Kunterbunt“. Heute ausnahmsweise nicht mit Bildern aus den dreißiger Jahren. Es geht ein wenig weihnachtlich zu, und ich denke noch so bei mir: „Hey, dann könnte die Sendung heute ja mal erträglich sein“, aber dann kommt bereits der Dämpfer: „Ernst, wie wir nun mal sind…“ oh nein, oh nein, was kommt jetzt?
Ernst, wie wir nun mal sind, berichten wir heute über allein erziehende Mütter und Väter in der Weihnachtszeit.
Okay, ich gebe zu, das ist besser als „Weihnachten unterm Hakenkreuz“, aber immer noch viel zu deprimierend für eine Kindersendung! Ich sagte ja bereits, dass die Themen, die ja nicht unwichtig sind, inhaltlich eher was für Jugendliche wären – hätte die Sendung nicht allgemein eine so kindgerechte Aufmachung. Warum zeigen die keine Weihnachtsmärkte? Von mir aus auch mit alternativem Holzspielzeug „made in Germany“. Oder verschneite Bäume, spielende Kinder mit Schlitten und dergleichen mehr? Nein, wir zeigen lieber die Kehrseiten der Medaille und lassen die Japaner denken, dass Deutsche sich nur über schwermütige Themen Gedanken machen. In Deutschland ist Weihnachten also nicht das Fest der Freude, sondern das Fest, wo man an weniger gut situierte Menschen denkt und Trübsal bläst. Etwas mehr Ausgewogenheit wäre hier angebracht – und unter „Ausgewogenheit“ verstehe ich etwas anderes als die Laberbacke Sascha mit seinen Fußballbegriffen… wenn Deutsche sich von ihrer Trübsal mal lösen wollen, spielen sie also Fußball oder sehen sich Spiele an. Wie könnte es auch anders sein?

Prinz Pipo“ gibt am Ende der Sendung jeweils den Satz des Tages vor. Vielleicht habe ich das bereits erwähnt – es handelt sich dabei um den Kernsatz des vorgeführten Puppentheaterstücks, und dieser Satz wird mehrfach erwähnt, damit ihn sich auch jeder merkt. Und der lautet heute:
Eigentlich dachte ich, dass die Natur auf der Erde intakt ist.
Muss man Germanist sein, um diesen Satz als „auffällig“ zu betrachten? Ich bin keiner, und ich behaupte dennoch, dass der Satz nicht ganz richtig ist (ich will nicht direkt „falsch“ sagen). Müsste das hier nicht heißen:
Eigentlich dachte ich, dass die Natur auf der Erde intakt sei.???
Vielleicht gibt es Konnotationsunterschiede, die mir unbekannt sind? Annahmen werden wie indirekte Rede doch im Irrealis ausgedrückt, oder? Für mich ist meine Version jedenfalls richtiger. Übel Freunde, ganz schlecht.

Und dann fängt es an zu schneien.

26. November 2023

Mittwoch, 26.11.2003 – Just Communication

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 12:51

Strahlendes Wetter am Morgen, und es hält sich den ganzen Tag über.

Am Morgen komme ich in den Genuss, mich mit zweien der älteren Chinesen (also über 30) zu unterhalten. Generell unterhalten wir uns über Sinn und Zweck des Japanischstudiums, der sich bei mir darin erschöpft, dass ich überhaupt nicht weiß, was ich mit meinem Leben sonst anfangen sollte. Positiv ausgedrückt ist es also mein Lebensinhalt. Einer der jedenfalls beiden studiert Japanisch, weil er den Manga „Tetsuwan Atomu“ als Jugendlicher so mochte. Viel interessanter dabei war, zu erfahren, welches Bild von Japanern ihrer Meinung nach in China vorherrscht. Sie sagen, dass Japaner als ein wenig verrückt betrachtet würden, aber die Allgemeinheit sei weit davon entfernt, in ihnen den „Erbfeind“ zu sehen. Ich würde das eine positive Entwicklung nennen, angesichts der schätzungsweise 19 Millionen Chinesen, die der kontinentale Teil des Pazifischen Krieges das Leben gekostet hat… und ich halte die geschilderte Einstellung für durchweg richtig.

Vesterhoven behandelt heute Kawabata Yasunari, und der zu lesende Text ist „Kata Ude“, ins Englische übersetzt als „One Arm“. Kawabata arbeitet hier extrem mit bildhaften Stilmitteln und Handlung und Setting wirken sehr (sehr!) surreal. Ich habe keine Ahnung, was ich da eigentlich lese, und was sich der Künstler dabei möglicherweise gedacht hat – falls er gedacht hat und nicht im Morphiumrausch geschrieben hat.
Was steht da nun eigentlich?
Eine junge Frau gibt dem Mann, der sie begehrt, ihren rechten Arm, damit er ihn (an ihrer Stelle) mit nach Hause nehmen kann. Er packt den Arm (keine Prothese! Und dies ist auch kein Horrorszenario) unter seinen Mantel und geht nach Hause. Es ist sehr neblig. Er hört aus einem Radio die Durchsage, dass drei Flugzeuge wegen des starken Nebels nicht landen könnten. Ein Auto fährt an ihm vorbei, aber er nimmt das Auto nicht recht wahr, sondern nur die Fahrerin, und die Lichter des Autos, die lila schimmern und im Nebel verschwinden. Er redet mit dem Arm. Der Arm redet mit ihm. Zuhause legt er sich mit dem Arm ins Bett. Dann erliegt er der Versuchung, nimmt seinen eigenen Arm ab und befestigt den Arm der jungen Frau an seiner Schulter. Aha. Körperliche Verschmelzung, it est: es geht um Sex.
Nichts für mich. Nicht in dieser Form. Ich habe schon Probleme, Texte zu interpretieren, die in sich Sinn ergeben.

Vesterhoven macht seinen Studenten (uns) das Angebot, zu Weihnachten, genauer am 23. Dezember, zum Essen zu ihm zu kommen. Voraussetzung: Man muss helfen, den großen Tannenbaum in seinem Garten zu schmücken. Nun ja, das Herrichten eines Weihnachtsbaumes ist für mich eine rein mechanische Angelegenheit ohne tieferen Sinn, aber vor allem habe ich am 23.12. gar keine Zeit, weil ich bereits am Tag zuvor nach Tokyo fahren werde. Wir werden Ricci und Ronald besuchen, und ich werde auch Hiroyuki wieder sehen wollen. Er soll mir mal Akihabara zeigen. Und für Kati und Memel habe ich mit ein bisschen Glück vielleicht auch Zeit.

Ab 12:15 bin ich mit Yui in der Mensa, um 14:20 treffe ich Mei in der Halle. Anstatt allerdings ihre Englischlektionen zu wiederholen, reden wir knapp drei Stunden lang über alles mögliche andere. Vor allem die Darstellung meiner fernsehreifen Familienverhältnisse verwirren sie sehr, und am Ende macht sie ein Gesicht, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen. Des weiteren muss ich (zu einem anderen Thema) meine Darstellung von Ideal und Realität mehrfach erklären, bis ich verständlich gemacht habe, dass Wertunterschiede zwischen Menschen eben nicht meiner Meinung entsprechen (ich habe nur gesagt, dass Menschen mit geringerer Bildung für Menschen wie uns arbeiten werden), sondern leider eine bittere Realität sind, die ich nicht schätze.

Bevor ich nach Hause fahre, gehe ich aber ins Naisu Dô und kaufe die Artbooks, die ich mir letzten Monat bereits zurechtgelegt habe. 16200 Yen für etwa ein Dutzend Artbooks. Drei weniger dringende habe ich noch stehen lassen. Die kaufe ich dann wohl im Januar zusammen mit dem Material, das ich verkaufen will. Und wenn ich schon Geld bekommen habe, dann kann ich morgen auch gleich meine Miete zahlen, und das diesmal pünktlich…

10. November 2023

Montag, 10.10.2003 – Call me, call me…

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

Die Wahlen sind entschieden – und wie erwartet ausgegangen. Die regierende Jimintô ist mit einer stabilen Mehrheit als Sieger daraus hervorgegangen. Und das von ihr selbst vor 50 Jahren vorteilhaft entworfene Wahlsystem sorgt dafür, dass sie bei einem Stimmanteil von 44 % einen Anteil von 56 % an den Parlamentssitzen erhält.

Vor dem ersten Unterricht schreibe ich noch in aller Eile eine Zusammenfassung meiner bisherigen Eindrücke für die Einführungsveranstaltung der Japanologie der Universität Trier, damit Frau Prof. Gössmann ein paar Zeilen hat, die sie dem Nachwuchs vorlesen kann. Auch Melanie und Marc tun das, mit jeweils anderen Schwerpunkten, damit nicht dreimal dasselbe vorgelesen wird. Ich gehe davon aus, dass auch Berichte aus Tokyo fällig sind, die mich natürlich ebenfalls interessieren würden.

Dann beschäftigen wir uns wieder mit Textstrukturen. Wir suchen die Leitsätze eines Abschnittes heraus und teilen dann die nachfolgenden Sätze verschiedenen Kriterien zu: Ob es sich dabei um ein erläuterndes Beispiel handelt, oder ob der Leitsatz vertieft, bzw. weiterhin erklärt wird.

Nach dem Unterricht verfasse ich die Heimatpost vom 01.11., und nachdem ich mich von meinem Stuhl erhoben habe, gibt Alex mir das versprochene Telefon. Es ist ein relativ altes Modell (zwei Jahre alt), das man nicht zusammenklappen kann, es hat auch kein integriertes Kanjilexikon. Aber es hat ein unnötiges Farbdisplay und ein ebenso unnötiges Hamsterspiel… und man kann mich anrufen, unter der Nummer 090-7522-5780.

Jetzt frage mich aber bitte niemand nach der Vorwahl von Japan. Es handelt sich um ein Prepaid-Telefon mit leerer Karte, das heißt, ich kann damit aktiv gar nichts machen. Ich kann niemanden anrufen und niemandem eine C-Mail schreiben. Und das ist mir vollkommen gleich. Denn man kann mich anrufen und mir mitteilen, ob was Wichtiges anliegt. Ich plane nicht, irgendwelches Geld in ein Telefon zu investieren. Dafür sind die bis jetzt schon geplanten Ausgaben einfach zu hoch.

Ich treffe Marc und er legt mir dar, was für ein tolles Buch Kashima-sensei in seinem Unterricht behandelt. Generell muss jeder alles lesen, aber einige Seiten davon auch vorbereiten und nachher ein kurzes Referat halten. Das an sich ist aber nicht das Problem. Das Buch ist von einem japanischen Mathematik-Professor geschrieben, der darin den Niedergang der Lernfähigkeit bzw. der akademischen Fähigkeiten (Gakuryoku) der Japaner beklagt. Seine Forschungen erstrecken sich dabei über den Zeitraum von 1997 bis 2000. Er vergleicht japanische Studenten mit Austauschstudenten mit Hilfe von mathematischen Aufgaben (Leistungskursniveau), ohne in einer Silbe darauf einzugehen, woher diese ausländischen Studenten jeweils kommen und was sie und ihre japanischen Kommilitonen eigentlich studieren. Die einzigen angegebenen Kriterien sind japanische Studenten und Austauschstudenten. Und die Japaner schneiden dabei sehr schlecht ab. Dabei könnte es sich hier um den Versuch handeln, Äpfel mit Birnen zu vergleichen, wie man so schön sagt. Denn wenn er sich eine beliebige Anzahl Japaner genommen hat, die allesamt Literatur studieren und auf der anderen Seite eine Reihe von Mathedoktoranten aus aller Herren Länder aufmarschieren ließ, wäre das Ergebnis kein Wunder.

Laut der berüchtigten PISA-Studie haben die japanischen Schüler im internationalen Vergleich doch gar nicht so schlecht abgeschnitten, als dass sie in ihrer nachfolgenden Studentenzeit bereits alles wieder vergessen haben könnten. Und das gerade in mathematischen und naturwissenschaftlichen Fächern. Ich wage einmal, das darauf zurückzuführen, dass das Auswendiglernen von Fakten in diesen Fachbereichen mehr Sinn macht, als in den sprachlichen Zweigen, wo man nicht auswendig lernen, sondern immer wieder anwenden muss, um das Können zu steigern. Mir drängt sich das Gefühl auf, dass hier der Versuch gemacht wurde, den Zustand der japanischen Bildung schlechter aussehen zu lassen, als er tatsächlich ist, um einen „korrigierenden Einfluss“ ausüben zu können. Unter den immer wachsamen Kräften, die um die Zukunft des Vaterlandes besorgt sind, gibt es bestimmt einige Personen, die sich dazu verleiten lassen, diesem ohne Zweifel übertriebenen Szenario Glauben zu schenken. Das Buch des Professors erschien im Jahre 2000, als im Bildungsministerium bereits die Pläne existierten, das Bildungswesen gründlich zu reformieren, also den Unterricht stellenweise um ein Drittel zu kürzen, um den Schülern mehr Zeit für sich zu verschaffen und damit den Stresslevel zu vermindern, und einige andere interessante Ansätze. Aber auf diese Punkte will ich hier nicht weiter eingehen.

Ich sehe mich im Internet nach dem Newtype 100%Neon Genesis Evangelion Artbook um, um festzustellen, in welcher Preisklasse ein neues Exemplar in Deutschland zu haben ist. Aha, der momentane Neupreis in Deutschland liegt zwischen 20 und 25 E. Für mein gebrauchtes Exemplar habe ich etwa 7 E bezahlt. Ich muss also davon ausgehen, dass mit einem Gewinn von mehr als 5 E nicht zu rechnen ist.

Die Dunkelheit nach Sonnenuntergang bringt eine weitere Verminderung der schon tagsüber kühlen Lufttemperatur mit sich. Es ist kalt, möchte ich sagen. Wir essen heute wieder im Kleintransporter, und die fette Ramensuppe scheint mir bei dem Wetter genau das Richtige zu sein. Bei allem Diätbestreben sollte man bei kalter Witterung im Winter doch hin und wieder etwas Fettes essen, um den „inneren Ofen“ am Brennen zu halten. Und ich rede von echtem Fett, nicht von Zeug, das nur fett macht. Das Stück Fleisch in meiner Suppe hat einen Durchmesser wie ein Stück Rollbraten und ist etwa so dick wie mein kleiner Finger, auch die Brühe hat Fettaugen. Ich glaube, ich hätte auch ohne Jacke den Rückweg antreten können, ohne die Kälte zu spüren…

7. November 2023

Freitag, 07.11.2003 – Ethik

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 8:43

Heute Morgen um 10:00 findet eine Sondervorlesung über „Ethik und Universität“ statt. Sawada-sensei hat uns mehrfach darauf hingewiesen, dass wir nicht bereuen würden, die zwei Stunden zu investieren. Ich bin also mal hingegangen, und außer mir finden sich in dem kleinen Saal zwei oder drei japanische Studenten, und drei weitere Leute, die ich aus dem Ryûgakusei Center kenne: Misi, Luba und Irena. Ansonsten: Lehrpersonal der Universität verschiedenen Alters. Die Vorlesung (oder eher: der Vortrag) wird gehalten von Professor Hinchcliff von der Universität Auckland, Neuseeland. Leider verspätet er sich etwas. Um die Zeit zu überbrücken, stellt sich Kuramata-sensei, der Leiter des Centers, nach vorne und redet die Zeit tot. Etwa fünf Minuten lang, mit den Unterbrechungen knapp zehn Minuten, bis der eigentliche Sprecher eintrifft. Professor Hinchcliff wirkt etwas gebrechlich. Er ist recht groß, steht leicht nach vorne gebeugt und die Hand, in der das Mikrofon hält, zittert ein wenig. Aber seine Stimme ist kräftig. Sawada-sensei übersetzt den Vortag ins Japanische.

Im Prinzip redet er darüber, dass Menschen in Führungspositionen eine besondere Verantwortung haben, weil sie Entscheidungen treffen, die mitunter das Leben anderer Menschen beeinflussen. Er wendet sich direkt an die anwesenden Studenten, als er darauf hinweist, dass man einen festen, aber flexiblen Satz von Werten braucht, wenn man das Miteinander harmonisch gestalten möchte, wenn wichtige Entscheidungen getroffen werden müssen. Wenn die Wertvorstellungen verschiedener Leute kollidieren, muss man Schwerpunkte setzen und einen Kompromiss finden. Dazu ist es notwendig, Werte frei diskutieren zu können, anstatt sich hinter denselben zu verbarrikadieren und unumstößlich auf den eigenen Werten zu beharren, ohne die des Gegenübers auch nur in Betracht zu ziehen.

Im Prinzip hat er mir nichts erzählt, was mir nicht bereits vorher bewusst gewesen wäre, nur dass ich dieses Bewusstsein nicht ausformuliert habe. Nebenbei erwähnt er, dass das MIT (Massachusetts Institute of Technology) alle Vorlesungen frei erhältlich im Internet veröffentliche. Dadurch wird das Finden von Informationen natürlich unglaublich leicht, und das ist für Studenten nicht unerheblich. Andererseits lässt sich Plagiarismus, Ideenklau, auch schneller feststellen.

Nach Ende des Vortrags werden noch ein paar Fragen gestellt, von denen eine besonders heraussticht. Ein japanischer Herr zwei Reihen hinter mir fragt: „Verzeihen Sie bitte, dass meine Frage eigentlich nichts mit Moral und Ethik zu tun hat – aber ist es wahr, dass in Neuseeland mehr Schafe als Menschen leben?“ Hinchcliff gibt sich amüsiert. „Ja“, sagt er, „es gibt etwa zehnmal so viele Schafe wie Menschen in Neuseeland.“

Den Tag über passiert nichts aufregendes, und am Abend bin ich nur noch in die Bibliothek gegangen, um meine Post zu schreiben. Ich probiere bei der Gelegenheit den Drucker der Bibliothek aus. Man kann dort problemlos drucken, sogar in Farbe und in guter Qualität (wenn auch nicht in der Qualität des Laserdruckers in Trier), aber es gibt einen Zähler, und wenn ich den richtig interpretiere, kann man pro Semester (nur?) 100 Seiten umsonst drucken. Dann nehme ich meine Dokumente lieber mit ins Center, drucke dort so viel ich will und hebe mir den Bib-Drucker für Bilder auf… sollte ich auf verlockende Motive treffen.

6. November 2023

Donnerstag, 06.11.2003 – Die Straße gehört mir (?)

Filed under: Japan,Manga/Anime,My Life,Uni — 42317 @ 11:12

Das Ryûgakusei Center ist heute… aus irgendeinem Grund geschlossen. Also muss ich für das Schreiben meiner Post auf die Bibliothek ausweichen. Die Rechner dort sind mir auch viel sympathischer. Windows 2000 Professional ist mir von der Uni Trier vertraut, die Maschinen haben mehr als ein Gigahertz Frequenzleistung, sie fahren schnell hoch, haben keine unnötigen Sachen wie die ganzen Downloadprogramme und Chat-Anwendungen drauf, wie man sie im Center findet, sie laufen stabil. Der Nachteil gegenüber Trier wiederum ist, dass man den Desktop nicht individuell gestalten kann, die Einstellungen werden immer wieder gelöscht. Und in der Programmleiste verbleiben die Shortcuts ebenfalls nicht. Aber damit kann ich leben.

Interessanterweise kann man das Musikprogramm WinAmp installieren. Ich entdecke zwar Windows Media Player, Quicktime und Real Player vorinstalliert, aber ich finde das Internet-Radio-Angebot dieser Programme entweder etwas mager oder unverständlich, das heißt, ich komme mit der Einrichtung nicht klar. Also lieber WinAmp, damit kenne ich mich aus. Ich habe mal einen Kanal für Klassische Musik, einen für 80er Popmusik, einen für Trance, einen für Rock und zwei für Heavy Metal in die Playlist getan. Das deckt meinen ersten Bedarf ab. Alles Weitere kann ich später noch finden.

Aber meine Kamera ist immer noch voll. Ich hatte noch keine Gelegenheit, die Bilder zu übertragen. Entweder war die eine Maschine, die ich benutzen muss, belegt, oder aber das Center war geschlossen. Hoffentlich läuft mir bis dahin nichts vor die Linse, was ich vermissen würde, wenn ich es nicht fotografieren kann.1

Der Unterricht zum Thema Kulturgeschichte von Tsugaru fällt ebenfalls aus, also habe ich viel Zeit. Am heutigen Tag schreibe ich drei Berichte auf einmal. Leider dauert das ein paar Minuten länger als geschätzt. Um 15:10 bin ich fertig, jetzt hat die Michinoku Bank geschlossen, und ich habe meine Miete nicht wie geplant einzahlen können. Aber – keine Panik! – die Miete ist auch erst am Ende des Monats fällig. Ich möchte mich nur darum bemühen, das Geld so schnell wie möglich loszuwerden…

Nachdem ich auch mit meiner Post fertig bin, fahre ich in Richtung Stadtmitte, zum Naisu Dô. Dort kaufe ich endlich das Artbook der Anime-Serie Cutey Honey, das ich bereits vor einigen Tagen ins Auge gefasst hatte. Es ist relativ dünn, kostet aber 2000 Yen. Aber ein Original aus dem Jahr 1981 ist mir das wert. Auch wenn der Preis damals gerade mal 580 Yen war. 23 Jahre sind doch nicht schlecht für ein solches Buch.

Ich finde bei der Gelegenheit auch noch verschiedene andere Dinge, die mich interessieren, darunter auch Artbooks der Serien Galaxy Express, Queen Millenia (Königin der Tausend Jahre) und Queen Emeraldas. Und die haben zum Teil auch bereits ein gesegnetes Alter. Für ebenfalls 2000 Yen pro Stück. Damit will ich aber warten, bis das nächste Geld bei mir ankommt. Ich habe eine „eigene Ecke“ im Regal2 eingerichtet… ich muss also in zwei, drei Wochen nur noch in den Laden gehen und ins Regal greifen, um alles in der Hand zu haben, was ich brauche. Dreimal zwanzig Minuten lang suchen ist mir lieber als einmal eine Stunde lang das Regal zu durchsuchen. Hinterher tun mir immer Knie und Rücken weh, weil ich ja von der Höhe des Fußbodens aus bis auf über zwei Meter Höhe meine „Fühler“ ausstrecken muss.

Auf dem Weg nach Hause, es ist immer noch hell, fahre ich beinahe in eines dieser Familien-Großraumautos hinein. Der Streckenabschnitt ist leicht abschüssig, und 30 km/h bin ich bestimmt gefahren, als vor mir dieser Wagen auf einen Parkplatz einbiegt. Der Fahrer hat meine Geschwindigkeit wohl etwas unterschätzt oder sich erst gar nicht darum bemüht, einen Blick in meine Richtung zu werfen.

Die Bremsen beweisen, dass sie gut sind. Zehn Zentimeter vor der Beifahrertür kommt das Vorderrad zum stehen. Der Wagen fährt weiter auf den Parkplatz, mein Hinterrad hebt sich in die Höhe, und weil ich nicht auf der Straße einen Salto schlagen will, springe ich einen halben Meter nach vorne, also dahin, wo vor einer halben Sekunde noch das Auto im Weg war. Der Fahrer kümmert sich in keiner Weise um den Beinahe-Vorfall. Ich hole einmal tief Luft, um den kurzen Schrecken loszuwerden und fahre weiter. Ich sehe mich nicht genötigt, mit einem japanischen Autofahrer zu diskutieren. Dafür fehlen mir das Vokabular und die Nerven.

Zuhause stelle ich fest, dass Melanie nicht da ist. Eigentlich wollte sie doch Hausaufgaben machen? Dafür sieht der Schreibtisch aus wie die Miniausgabe des Schlachtfelds von Sewastopol – voll mit Krempel, den man zum Verpacken von niedlich aussehenden Paketen (Melanie-Stil) offenbar so braucht. Und das, was auf dem Schreibtisch keinen Platz mehr findet, liegt auf dem Boden. Aha. Aber wozu aufregen? Ich mache eine Flasche Boco auf und sehe mir Hamtarô an. Auf Japanisch kommt das gleich viel besser. Ist allerdings immer noch zu kindisch. Und (Aber?) dieses Titellied ist ein extremer Ohrwurm. Man bekommt die Melodie nicht mehr aus dem Kopf, tagelang übrigens. Bereits zuhause hatte ich mir das Lied aus dem Internet besorgt, aber bei dem, was jetzt läuft, handelt es sich um eine Art Remix. Das alte Titellied wurde mit ein paar Dancefloor-Rhythmen aufgepeppt und landet noch viel besser in der „Zwischenablage“ hinter dem Trommelfell. Ich glaube, sogar das Schlusslied von Atashinchi steht dahinter zurück.

Unser erster, in Japan gekaufter Sack Reis geht heute zu Ende. In einem Monat braucht man pro Person also etwa fünf Kilo. Natürlich würde der Reis länger halten, wenn wir morgens nichts davon essen würden, aber man gewöhnt sich schnell daran, am Morgen etwas Warmes zu essen. Vor allem, wenn es Reis ist. Wenn ich zuhause in Deutschland morgens etwas gegessen habe, war mir nachher erst einmal schlecht. Nicht so richtig speiübel, aber mir war nicht gut, bis etwa zur Mittagszeit. Reis dagegen ist sehr bekömmlich, stelle ich fest, und leicht verdaulich. Ich habe bereits erwähnt, dass man zwei Stunden, nachdem man sich damit vollgegessen hat, schon nicht mehr viel davon spürt.

Die Reispreise hier im Beny-Mart beginnen bei 2800 Yen (ca. 21 E). Der teuerste Sack, den ich bisher gesehen habe, kostet 5300 Yen (ca. 40 E). Ich erinnere daran, dass hier von 10-Kilo-Säcken die Rede ist, nicht von den günstigen 22,5-Kilo-Säcken für 17 E, mit denen ich bisher „gearbeitet“ habe, dank der freundlichen Unterstützung der Familie Hary und ihrem Asia Laden in Saarbrücken. Und der billige Reis, den ich in Deutschland bekommen habe, war „nur“ Bruchreis. Der Bruchreis ist zwar gut, hält aber keinem Vergleich mit dem japanischen Produkt stand. Trotzdem möchte ich hinzufügen, auch wenn ich mich wiederhole, dass Basmati der bisher beste Reis war, den ich gegessen habe. Japanischer Reis kommt nur auf Rang Zwei.

In der Heimat werde ich mir einen Reiskocher zulegen. Der Reis wird einfach um Klassen besser in einem Suihanki (Reiskocher). Es werden in Deutschland auch Varianten verkauft, wo man den Reis auf der Herdplatte in einem normalen Topf „ankocht“ und dann den Topf in ein wärmeisoliertes Styroporgefäß stellt, wo dann der Rest des Wassers den Reis so schonend garen soll. Meine Großmutter hat eine solche Vorrichtung (leider) gekauft. Vergesst diesen Schrott, kauft Euch einen echten Reiskocher. Ich werde es auch tun.

Und weil Reis sich so gut verdaut, könnte ich den ganzen Tag Reis essen, von früh bis spät. Ein Pott leer – den nächsten gleich aufgesetzt. Und man braucht nichts groß dazu, ich esse den Reis einfach mit Sojasoße, mit Furikake (getrockneter Geschmack aus der Tüte zum Überstreuen) und/oder mit Nori-Blättern, nach denen ich mich dieser Tage verzehre… im wahrsten Sinne des Wortes. Beinahe jedenfalls.

Heute ist Donnerstag, da läuft „TRICK“ im Fernsehen. Ich genieße die Serie jedes Mal aufs Neue.

Was TRICK auf jeden Fall hat, ist das „Scooby-Doo-Kernelement“, das da besagt, dass hinter allen mysteriösen Geschehnissen immer ein logisch erklärbarer Trick steckt. Kurz gesagt, ging es diesmal um eine Dame um die 40, die ein Museum um eine alte Statue erleichtern will. Sie verschwindet, indem sie mit ihrem Fächer einen „Schlitz“ („Suritto“ = engl. „Slit“) in die Luft malt und hineinsteigt. Sie sagt, auf diese Art und Weise blitzschnell an anderen Orten wieder erscheinen zu können, indem sie sich dieser „Warp-Möglichkeit“ bedient. Es kommt dann heraus, dass sie Spiegelfolie aufhängt und dahinter ein Drehrad mit irren Farben aufstellt, damit der Schlitz auch magisch aussieht. Sie war vor 20 Jahren eine bekannte Sprinterin gewesen und nutzt den Überraschungseffekt (ihres Verschwindens) aus, um zu dem Ort zu rennen, an dem sie „erscheinen“ möchte, möglichst mit Zeugen. Der von ihr verwendete Begriff „Schlitz“ ist übrigens auch eine Anspielung auf ihr Kleid, das ebenfalls einen solchen hat. Sie nutzt jede Gelegenheit, um so ihr Bein zu zeigen, sehr zur Freude der männlichen Charaktere, die so gebannt sind, dass sie alles andere vergessen… außerdem lacht sie auf eine Art und Weise, wie man es aus verschiedenen Anime kennt. Nicht ganz Naga, aber immerhin. (Insidergespräche, ich weiß…) Natürlich ist das alles etwas irrsinnig. Es kann ja nicht sein, dass sie nicht damit gerechnet hat, dass einer der Zeugen zum Ort ihres „Verschwindens“ laufen könnte, um nachzusehen. Die Stellwände für die Spiegelfolie und das neonfarbene Rad dahinter wären jedem Trottel sofort aufgefallen.

Interessant ist übrigens auch, dass die Serie sich ein wenig über Absolventen der Tôdai (der Tokyo Universität) lustig macht. Ueda und Yamada sehen sich immer wieder verfolgt von einem Inspektor der Polizei. Dessen Assistent ist ein solcher Tôdai-Absolvent. Das erwähnt er auch bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit (vor allem, wenn er sich jemandem vorstellt) und macht sich dementsprechend „beliebt“. Er wirkt eigentlich wie ein Clown. Der funny Sidekick. Das deckt sich ein wenig mit einer Aussage von Professor Vesterhoven, der irgendwann in den vergangenen drei Wochen am Rande einmal erwähnt hat, dass Absolventen der Tôdai nicht mehr so beliebt bei Arbeitgebern seien wie früher. Das hinge nicht damit zusammen, dass Japans elitärste Universität an Qualität verloren habe, sondern damit, dass sich ihre Absolventen für die besten und schönsten und klügsten Söhne und Töchter der Sonne auf dem Erdball hielten.

Und natürlich sollte man im Anschluss nicht Manhattan Love Story verpassen… 🙂

1 Es handelte sich um eine „billige“ Kamera für 160 Euro, die schon nach damaligen Verhältnissen sehr durchschnittlich war. Der interne Speicher umfasste ganze 16 MB, das reichte für 24 Bilder im Format 1024 x 768. Der Vorteil gegenüber einer analogen Kamera war, dass man Bilder löschen und noch einmal aufnehmen konnte.

2 Im Regal des Ladens, muss ich betonen, auf einer Höhe oberhalb des Blickfelds.

3. November 2023

Montag, 03.10.2003 – Das Geheimnis der japanischen Kraft

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 12:24

Heute ist ein lang erwarteter Tag. Strahlendes Wetter herrscht nicht gerade, aber es gibt mehr Sonne als Wolken. Ich gehe mit Melanie zur Uni, um dem Wettbewerb im Armdrücken zuzusehen. Und eigentlich nicht nur, um zuzusehen. Zuerst findet ja der Kampf der Clubs statt, und acht Clubs haben je drei Streiter an den Start geschickt. Darunter die Clubs für Aikidô, Kendô, Tennis, ein Club, dessen Bezeichnung ich nicht lesen kann, eine Gruppe namens „Free Wave“ und der „American Football Club“.

Einer von „Free Wave“ trägt ein Affenkostüm und scheint so besoffen, dass man ihn die Treppe zur Bühne hoch tragen muss. Der Kendô Club, in entsprechenden Trachten, wird dennoch von Free Wave weggefegt. Der Affe scheint mir nicht betrunken, wenn er am Pult steht. Er überrumpelt seinen Gegner innerhalb von nicht einmal zwei Sekunden, wankt dann aber wieder in den Hintergrund.

Weiterhin ist auffällig, dass einer der Clubs mit einem weiblichen Teilnehmer auftritt. Ich will nicht sexistisch sein, aber diese Entscheidung war nicht klug. Nicht bei dieser Konkurrenz. Sie geraten an den unleserlichen Club und verschwinden von der Bühne.1 Die Footballspieler machen im Halbfinale „Free Wave“ nieder und treffen im Finale auf den Club mit dem unleserlichen Namen. Zu meiner Überraschung verliert der Football Club. Die beiden besten Mannschaften erhalten Einkaufsgutscheine und eine kleine Urkunde.

Warum die Jungs vom Football Club verloren haben, ist mir optisch nicht ganz klar. Einer davon ist so groß wie ich, aber schmaler. Er sieht eigentlich normal aus. Die anderen beiden sind kleiner als ich. Der Typ mit dem Irokesenschnitt ist vielleicht 160 cm hoch, aber sehr stämmig. Und weil er aussagekräftig die Ärmel hochkrempelt, glaube ich, dass er nicht zu unterschätzen ist. Der dritte von denen ist vielleicht etwas mehr als 170 cm groß, aber bestimmt 30 kg schwerer als ich. Seine Unterarme allein sind beachtlich. Von dem unlesbaren Club ist nur einer auffällig, und das auch erst, wenn man zweimal hinsieht. Er trägt einen Pullover, aber man kann ahnen, dass einiges daruntersteckt.

Dann beginnt das Drücken der Freiwilligen. Um einen ersten Gegner zu haben, bleibt der Kapitän der Siegermannschaft auf der Bühne. Und wird vom erstbesten, der sich meldet, besiegt. Ohne große Probleme, und ohne, dass der Freiwillige sonderlich stark aussehen würde. Der Sieger bleibt jeweils auf dem Podest, der Besiegte darf ihm noch einmal die Hand schütteln und darf dann gehen.

Der 120-Kilo-Mann der Footballmannschaft wittert seine Chance, meldet sich noch einmal und macht den ersten Freiwilligen, quasi den Sieger über seinen eigenen Bezwinger, nieder. Es findet sich tatsächlich jemand, der gegen den Fleischberg antreten will, aber auch der wird besiegt. Die Organisatoren danken dem schweren Mann und schicken ihn von der Bühne. Mehr als zweimal hintereinander geht offenbar nicht.

Danach drücken noch verschiedene Leute, darunter auch zwei Westler (nicht „Wrestler“), die jedoch auch beide verlieren. Einem davon sieht man den Freeclimber an, aber dennoch findet er einen, der stärker ist als er. Außerdem will ich eigentlich gegen einen Japaner antreten. Schließlich findet sich einer und ich melde mich als Gegner. Mein Güte, was macht der ein Gesicht, als er mich die kleine Treppe hochkommen sieht!

Ausgangsstellung. Und losdrücken. Mir ist sofort klar, dass mit dem Mann hier fertig zu werden ist. Er ist kräftig, aber nicht stark. Allerdings weiß er das auch, und er hat was, das mir fehlt: eine Technik. Er dreht mein Handgelenk ein wenig im Uhrzeigersinn und zieht es zu sich hin, während mein Ellenbogengelenk auf dem gleichen Punkt fixiert bleibt. Dadurch wird mein Winkel an der Armbeuge größer und seiner kleiner. Bevor ich wirklich verstehe, wie hier gespielt wird, bin ich knapp 10 Sekunden später geschlagen – technischer KO. Ich habe keine große Anstrengung verspürt, aber mit ausgestrecktem Unterarm war da nicht viel zu machen. Das kratzt natürlich am Stolz. Aber man gewinnt nicht jeden Tag. Die erteilte Lehre in Sachen Technik merke ich mir für das nächste Mal, sollte es eines geben. Das „muss“ ich auch Alex erklären, der wissen wollte, wie es kommen konnte, dass er gerade wegen mir zwei Flaschen Bier bei einer Wette verloren hat.

Wir sehen noch eine Weile zu, gehen dann aber nach Hause, weil sich die Texte ja nicht von alleine lesen. Und diese theoretischen Texte über den Buddhismus sind stellenweise dermaßen langweilig, dass sich die Bibel wie ein Actiondrama liest.

Bevor ich einschlafe, bringe ich den Kreislauf in Wallung, indem ich noch einmal zum Golfplatz fahre und andere Bälle einsammle. Am Abend habe ich eine Tüte mit 49 Bällen im Schrank stehen… bloß… was mache ich jetzt damit?2

1 Aus gesammelter Erfahrung heraus muss ich allerdings hinzufügen, dass Japaner auch vieles deshalb tun, um „dabei zu sein“.

2 Der Großteil der Golfbälle verblieb letztlich in Japan. Die drei schönsten nahm ich mit, von denen ich wiederum einen vor einigen Jahren an eine Gruppe Kinder verschenkte.

1. November 2023

Samstag, 01.11.2003 – Ein Feeest, wo man Krüge leert…

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 9:50

Samstag – SailorMoon-Tag! Heute hat die liebe Ami Probleme, weil sie das Prinzip der Freundschaft noch nicht so recht verstanden hat. Daher kauft sie ein Buch mit dem Titel „Wie man wirklich Freunde gewinnt“, in dem zu lesen ist, dass man sich in punkto Interessen und Aktivitäten an seine Freunde anpassen soll (zumindest habe ich das so verstanden). In Folge dessen beteiligt sie sich an der Pyjama-Party bei Usagi, singt Karaoke und schminkt sich das Gesicht so zu, dass man die Haut nicht mehr sehen kann. (Machen Mädchen in dem Alter, um die 15, so was wirklich?) Das alles nimmt sie sehr mit, sie wird krank und deswegen von einem Yôma in arge Bedrängnis gebracht. Nephlyte hat sich als Opfer irgendeine Frau ausgesucht, weil diese einen ganz tollen Edelstein um den Hals trägt. Der Ort des Geschehens ist ein Museum, bei dem man am Eingang ein Namensschild erhält. Ob das einen tieferen Sinn hat, als gleich darauf für einen Gag zu sorgen, weiß ich nicht. Ich habe jedenfalls noch nie in einem Museum ein Namensschild bekommen.

Wie es der „Zufall“ will, hält auch Mamoru sich in dem Gebäude auf, und, wie sollte es anders sein, Usagi findet sein Namensschild auf dem Fußboden. Offenbar hat er es verloren. Sie liest den Namen, der draufsteht halblaut vor, interpretiert aber die Kanji falsch. Ich habe leider nicht mehr im Kopf, was sie gesagt hat. Natürlich taucht er in diesem Moment auf, nimmt ihr das Schild aus der Hand und sagt: „Das heißt Chiba Mamoru!“ Er nimmt ihr Schild, auf dem ihr Name, „Tsukino Usagi“, geschrieben steht („Usagi“ = „Hase“), und liest vor „Tsukino Ko-Buta“ („Ko-Buta“ = „Schweinchen“). Ich fand das lustig.

Und Für die nächste Episode wird Kino Makoto aka SailorJupiter angekündigt. Wai!

Die Charaktergestaltung von Aino Minako interessiert mich ebenfalls langsam immer mehr. Usagi, Rei und Ami singen ihr Lied „C’est la Vie“, an der Wand von Usagis Zimmer hängt ein Poster von Minako. Wie wollen die es jemals fertig bringen, diese Figur hinter Usagi zu stellen, ohne gewaltige Einschnitte an den Charaktereigenschaften vorzunehmen? Minako müsste sich sehr „blond“ benehmen (man verzeihe mir den Ausdruck), damit das klappt. Der Unterschied zwischen ihrem Bühnenimage, ihrem Alter Ego SailorVenus und der „eigentlichen“ Minako müsste dazu gar gewaltig ausfallen. Aber was soll das Mutmaßen? In wenigen Wochen weiß ich es ja doch.

Im Anschluss individualisiere ich mein neues, gebrauchtes Fahrrad. Zu diesem Zweck hat Melanie Klebeband im 100-Yen-Laden gekauft. Ähem… leider gab es diese Klebebänder nur als Dreierpack in den alten deutschen Reichsfarben Schwarz, Weiß, Rot. Mein Fahrrad sieht für den mitteleuropäischen Beobachter also reichlich nationalistisch aus. In Deutschland könnte ich mich damit nicht auf die Straße wagen, ohne in Gefahr zu laufen, von Antifa-Sympathisanten gesteinigt zu werden.

Im Fernsehen läuft eine Kochsendung, die ebenfalls etwas aus dem Rahmen fällt: Es kochen vier Personen: Drei junge Models („Apron Girls“ = „Schürzenmädchen“) und ein Profikoch. Die Jury besteht aus dem Moderator und der Komoderatorin, einem VIP und einem älteren Herrn, offenbar ebenfalls ein professioneller Koch. Ich habe schnell das Gefühl, dass hier gezielt Damen eingeladen werden, die überhaupt nicht kochen können.1

Die heutige Aufgabe: „Richten Sie innerhalb von dreißig Minuten ein Tanmen-Ramen an!“

Und am Ende erhält jeder der Juroren eine Schüssel Nudelsuppe. Und die Kommentare sind brutal. Und man stelle sich das Ganze noch mit ausführlicherer Wortwahl und entsprechender Mimik vor, wenn man ein schlechtes Essen serviert bekommt.
Bewertung Bewerberin 1:

Das ist kein Tanmen!“ (klingt wie „Das ist kein Jim Beam!“ auf Japanisch.)

Dieses Essen hat keine Schärfe, keinen Geschmack, kein gar nichts. Nicht gut.“

Bewertung Bewerberin 2:

Das ist Tanmen. Aber viel zu scharf! Nicht gut.“

Bewertung Bewerberin 3:

Es sieht lecker aus, aber… das ist auch kein Tanmen!“

(hustet, fasst sich an den Hals) „Meine Güte, ist das scharf! Das tut ja im Hals weh!“

Bewertung des Kochs:

Das ist Tanmen!“ Es folgt eine Reihe von Belobigungen.

Der Gaststar darf anschließend Bilder der Köchinnen auf eine Tafel kleben, um zu bewerten, wie hoch er ihre Kochkunst einschätzt. Das Bild der letzten Bewerberin trägt er nach draußen und legt es auf das Geländer der Treppe an der Laderampe… unterhalb der anderen beiden war kein Platz mehr, und weit weg von der Skala.

Am Mittag beginnt, lange erwartet, endlich das Kulturfest der Uni und um 14:00 die „International Festa“ des Ryûgakusei Centers. Zuvor, um 1300, treffen alle anderen Austauschstudenten ihre Gastfamilien, um sich ihnen vorzustellen. Ich habe das ja bereits hinter mir, also habe ich eine Stunde Zeit, mich umzusehen. Irgendwo höre ich eine mittelmäßig gut singende Metallica Coverband. Aber spielen tun sie wie in der guten, alten „Ride the Lightning“ Zeit. Auf dem Hauptplatz spielt schon wieder eine Punkband. Vielleicht ist es auch die gleiche wie beim letzten Mal. Zumindest spielen sie eine Art Punkrock, der nicht ganz so „punkig“ klingt wie das gestern.

Man findet vor allem viele Stände, wo man alles mögliche zu essen kaufen kann. Ich will jetzt im Einzelnen nicht darauf eingehen, und außerdem habe ich keinen Hunger. Ich gehe ins Mensagebäude, aber nicht zum essen. Dort ist eine der „Attraktionen“ aufgebaut – eine Art Gesundheitsprüfung. Die Studenten, die dafür verantwortlich sind, versorgen ihr Forschungsprojekt auf diese äußerst günstige Weise mit Testpersonen. Eigentlich interessiert mich nur der Apparat, mit dem man die Kraft der Unterarme messen kann. „51 kg Druck“ quetschen meine Hände also zusammen. Im Anschluss werden noch verschiedene andere Dinge getestet, z.B. die Reaktionszeit. Man muss eine Messlatte fangen und dann wird abgelesen, wie viele Zentimeter man verpasst hat. Dann soll ich mit geschlossenen Augen so lange wie möglich auf einem Bein stehen. Dann auf den Stuhl klettern und mit gestreckten Knien meine Fingerspitzen so weit wie möglich unter die Sitzfläche drücken.

Ich bekomme auch ein Pflaster auf den Arm gedrückt, das den Alkoholgehalt meiner Ausdünstungen messen soll, es stellt also fest, wie alkoholgewohnt ich bin. Natürlich gleich Null, weil ich in den vergangenen Wochen kaum Alkohol getrunken habe. Der nächste Test beinhaltet einen Stoffstreifen, auf den man beißen soll. Anhand der Verfärbung kann man eine Aussage über den allgemeinen Zustand der Zahnpflege machen. Auch im positiven Bereich. Den letzten Teststreifen soll man zwischen Zunge und Gaumen festklemmen, im Anschluss sagt die Verfärbung etwas aus über den Tabakkonsum der Testperson aus.

Sie rauchen durchschnittlich viel“, sagt der japanische Student.

Ich habe in meinem ganzen Leben noch nicht geraucht“, sage ich.

A… Are!?!“ („W… Wie!?!“). Er versteht sein Testverfahren und die Welt nicht mehr.2

Als letztes wird der Körperfettgehalt gemessen. Ich liege bei 22,5 %. „Sie haben… ein bisschen zu viel Fett“, sagt er diplomatisch. Ja, das weiß ich auch so. Anschließend überlasse ich meine Daten seiner Statistik. Eigentlich habe ich jetzt Anspruch auf ein Udon (Suppe mit dicken Nudeln) für 100 Yen, aber ich bin immer noch nicht hungrig und will auch vor meinem Auftritt nichts mehr essen. Ich verschiebe das Essen.

Die Zeit ist perfekt gelaufen. Ich brauche nur die Treppe hoch zu gehen, und bin in dem Saal, wo die Vorführungen stattfinden sollen. Eine Menge Leute sind bereits anwesend, über 100 Personen werden es wohl sein. Gleich zu Beginn ein altes Spiel: Die anwesenden Einheimischen erhalten Zettel und sollen sich auf Austauschstudenten stürzen, um deren E-Mail-Adressen und Namen zu erfahren. Die Schlange um mich herum ist lang. Ein Pullover von Heckler & Koch mag noch dezent sein (es weiß auch in Deutschland kaum jemand was mit den beiden roten Buchstaben anzufangen), aber meine kriegerisch gesprenkelten Hosen fallen offenbar sehr auf. Ich gebe meine Daten an Personen im Alter von 8 bis 80 Jahren weiter, aber mir ist sonnenklar, dass es an ein Wunder grenzen dürfte, wenn mir auch nur einer davon schreibt. Die Achtjährige salutiert. Ich bitte sie, das bitte nicht zu machen – diese Zeiten seien vorbei.

Die Koreaner beginnen die Show. SangSu drückt mir seine Kamera in die Hand und bittet mich, Fotos zu machen. Er fällt auch selbst wieder am meisten auf – durch mangelnde Koordination mit dem Rest der Gruppe. Er kommt immer wieder mal aus dem Takt. Er scheint in dieser Hinsicht unverbesserlich, man muss ihn einfach mögen.

Die Koreaner stellen kurz ihr Land vor, ihre Flagge, SungYi trägt ein traditionelles Kostüm, führt eine förmliche Begrüßung und Verabschiedung und die förmliche Sitzweise vor. Alle gemeinsam erklären dann kurz, wie die koreanische Schrift aussieht und wie diese aufgebaut ist.

Danach ist Slowenien dran, vertreten durch Irena. Sie ist so aufgeregt, dass sie die Hälfte von dem Text vergisst, den sie eigentlich sagen wollte, erfahre ich nachher von ihr. Dabei macht sie eigentlich einen sicheren Eindruck und ihr Japanisch ist gut. Aber dadurch wird der Vortrag auch wesentlich kürzer als bei den Proben.

Irena

Dann kommt Marc an die Reihe, in seinem Yukata (eine Art „Kimono Light“) und den viel zu kleinen Sandalen. Er redet kurz über deutsches Essen. Auch er verwendet dazu eine Powerpoint-Präsentation, die mit einem Beamer auf eine Leinwand projiziert wird. Er zeigt Gerichte aus einem deutschen Kochbuch, die ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen habe. Auch ihm merkt man die Aufregung an. Er redet ein wenig schnell, und die Fragen, die er dem Publikum eigentlich stellen will, hören sich eher an, als ob er sie einfach in den Raum stellt, weil er niemanden direkt anspricht. Hm… ich hätte keine Probleme damit gehabt, mir den erstbesten Japaner aus der ersten Reihe auf die Bühne zu holen. Die Frage, warum es in Hirosaki kein Apfelmus gibt, ist nämlich gar nicht uninteressant, denke ich, betrachtet man die großen Apfelplantagen.

Aber dann bin ich endlich dran. Meine Knie jedenfalls fühlen sich wie Apfelmus an. Ich stelle mich vor und meine mit Blick auf meine Hosen und meine Stiefel, dass das doch sicherlich ein wenig zum Fürchten wirke. Murmeln im Zuschauerraum. Aber dem könne man ja abhelfen. Ich drehe mich um und ziehe meinen Pullover aus – „Ore wa Otoko da wa…“ steht auf meinem Rücken. Es wird gelacht. Ich drehe mich wieder zu den Zuschauern hin. „Otokorashii…“ steht auf der Vorderseite, mit Herzchen verziert. Das rosa Hemd mit dem seltsamen Aufdruck verfehlt seine Wirkung nie.

Dann endlich sage ich, was ich eigentlich zu tun gedenke, nämlich das „Palästinalied“ von Walther von der Vogelweide zu singen. Leider mache ich dabei den Fehler, dass Vogelweide offenbar im 12. Deka-Millenium (im 1200. Jahrhundert) gelebt hat, anstatt im 12. Jahrhundert. Peinlich. Aber das passiert, wenn man schneller reden muss, als man denken kann. Ich rede noch ein bisschen mehr, aber ich kann mich nicht erinnern was, bis Sawada-sensei mir zuruft, ich solle (grob übersetzt) „mal in die Gänge kommen“, wie man bei der Bundeswehr so schön sagt. Natürlich hat sie sich höflicher ausgedrückt. Ich schalte das Mikrofon aus und drücke es ihr in die Hand. „Das brauche ich nicht.“ Sie schaut mich sehr ungläubig an. „Doch, wirklich“, bekräftige ich meine Absicht. Also gut, ich trällere los. Mit lauter Stimme. Ohne Fehler in Text und Ton. Auf Althochdeutsch.3 Ich verschwinde in einem Paralleluniversum ohne Bezug zu dem Ort, an dem mein Körper gerade steht. Am Ende danke ich für das Zuhören und gehe ab. Nachdem ich aus der Parallelwelt wieder zurückgekehrt bin, sagt Melanie, dass ich einen ganz tollen Applaus bekommen hätte. Ich kann mich nur nicht selbst daran erinnern…

Meine Stimme wird von verschiedenen anderen Leuten gelobt, und einige junge Damen attestieren mir anschließend, dass ich „kakkoii“ sei. Ich mache also eine coole Figur – ist das nicht toll?

Dann stellt Misi Ungarn vor und singt ebenfalls ein Lied, über den „ungarischen Way of Life“, wie er sagt. Mein Gott, das klingt so melancholisch, dass man die Ungarn eigentlich bedauern müsste. Es klingt irgendwie traurig, aber es hört sich gut an. Und ich hätte auch nicht gedacht, dass Ungarisch eine Sprache ist, die sich mehr nach den rauen kasachischen Steppen (wo die Ungarn offenbar in grauer Vorzeit herkamen) als nach dem gemütlichen Balaton (Plattensee) anhört.

Misi mit Unterstützung

Danach wiederholen die Neuseeländer ihr Maori-Spiel. Es läuft eine Musik, die jeden durchschnittlich gebildeten Menschen eher an Hawaii denken lässt, und die Teilnehmer (in Zweiergruppen auf dem Boden sitzend) werfen sich im Takt gegenseitig Holzstäbe zu, die so groß sind, wie etwa ein menschlicher Unterarm. Jeder hat zwei solche Stöcke in der Hand, schlägt sie mit dem oberen Ende zweimal links neben sich auf den Boden, zweimal rechts neben sich, wirft sie in die Luft, dass sie sich einmal überschlagen, dann schlägt man auf jeder Körperseite einen der Stäbe mit dem unteren Ende auf die Erde und dann wirft man sie dem Gegenüber zu. Das alles ebenfalls im Takt der Musik. Für mich eine Hochleistung an Koordination, denn die Stöcke dürfen nicht auf den Boden fallen.

Digital Camera

Heute tanzt auch FanFan wieder. Nicht mehr ganz so perfekt wie beim letzten Mal, aber dennoch schön anzusehen. Danach noch einmal vier Chinesinnen, die einen chinesischen Popsong singen. Wenn sie kein Mikrofon benutzt hätten, hätte man sie wahrscheinlich nicht gehört. Sie singen ein wenig unsicher, daher leise und anfällig für Tonfehler. Das Lampenfieber nimmt sie zu sehr in Anspruch. Sing like you mean it!

Die Krönung bilden die Thailänder. Die Damen haben in der Tat interessante Namen. Nim, Nan, Nun, Yong, Ii. Das sind natürlich Kürzel. Thailändische Namen in voller Länge tendieren dazu, wahre Monster zu sein, glaube ich. Auch sie stellen kurz ihr Land vor. Nun hat sich in ein traditionelles Kostüm geworfen und führt einen Tanz vor, mit jeweils einer Kerze (Teelicht) in jeder Hand. Sieht sehr ästhetisch aus.

Digital Camera

Melanie lässt von mir im Anschluss ein Bild machen, dass sie zusammen mit Nun zeigt (Nun und Nuhn auf einem Bild also), weil das Kostüm so schön aussieht. Zum Schluss tanzen dann alle Thais in der Gruppe, aber sie gehen runter ins Publikum und fordern Zuschauer dazu auf, mitzumachen. Ein wirklich interessanter Anblick. Ein kleiner Tanzkreis vor der Bühne und ein größerer in der Mitte des Raumes. Leider kann man ohne diesen Kontext auf meinem eigenen Foto nicht gut erkennen, was da gerade gemacht wird und warum ich es fotografiere…

Digital Camera

Ich unterhalte mich während der Zeit mit drei Oberschülerinnen, die aus reiner Neugier hergekommen sind und auch bereit waren, den Eintrittspreis von 500 Yen (also doch keine 1000) zu zahlen. Sie bleiben die ganze Zeit treu bei mir, während ich den Tisch vor mir von dem darauf aufgestellten Essen „säubere“. Eine Kiste Windbeutel habe ich bei der Gelegenheit wohl alleine gegessen, bis auf einen, der in der Handtasche einer Oberschülerin verschwindet.

Natürlich will ich ihre Meinung zum japanischen Schulwesen hören und erläutere die gängige Meinung in Deutschland. Sie könnten diese Meinung nicht teilen, sagen alle drei und finden eher lustig, was ich ihnen über die Meinung der Deutschen erzähle. Die Schule sei natürlich anspruchsvoll, aber auch „tanoshii“ (also zumindest „unterhaltsam“, bis hin zu „lustig“). Ihnen scheint die Sache Spaß zu machen. Wer nicht gerade auf eine Eliteuniversität wolle, habe bei weitem nicht so viel Stress, dass man sich deswegen gleich umbringen müsse.

Nach der Festa sehe ich mich noch ein wenig um, entdecke aber nichts spannendes mehr. Die Festa ist um 16:00 beendet – und der Rest vom Fest um 17:00. Dem entsprechend leer waren auch die Stände, wo es vor kurzem noch was zu essen gab. Ich hätte doch gerne mal das Takoyaki (gebratener Oktopus in Teigmantel) probiert. Obwohl ich eigentlich schon wieder gar keinen Hunger mehr habe.

1 Sie erhalten auch kein Rezept; es geht ausschließlich um Unterhaltung durch die Darstellung (realer) Unfähigkeit. Die jungen Damen wissen natürlich, was sie erwartet, was das Publikum von ihnen erwartet, und dass ihr Konzern von ihnen erwartet, den eigenen Verkaufswert zu steigern. Wegen dieses Prinzips werden in Japan auch grundsätzlich nur Stars und Sternchen in Fernsehsendungen eingeladen und nicht etwa Jens Jedermann oder Erika Mustermann, wie das u.a. in Deutschland üblich ist.

2 Wegen meines empfindlichen Magens habe ich ständig Belag auf der Zunge, der sich nicht wegbürsten lässt; das mag die Ursache der Verwirrung gewesen sein.

3 Grundlage für mein Stück war übrigens die Version von In Extremo.

30. Oktober 2023

Donnerstag, 30.10.2003 – Propaganda

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 10:40

Das Wetter wechselt zwischen sonnig und wolkig, dennoch ist es relativ kühl.

In diesen Tagen spielen öfters Bands in der Mittagspause auf dem Platz der Uni. Heute spielt eine Punkband auf der Bühne, die für das Fest vom 01. bis 03.11. aufgebaut wurde. Die Jungs sehen eigentlich nicht nach Punk aus. Sie scheinen mir eher aus einem Tarantino-Streifen entlaufen zu sein, mit ihren „Anzügen“ und Hemden.

Egal, die Musik hört sich nach Punk an, vielleicht auch nur nach dem, was japanische Studenten für Punkmusik halten, oder ich habe einfach keine Ahnung von dem Krempel und halte es alleine für Punkmusik. Hin oder her, ich würde solcherlei Aktionen in Trier begrüßen. Ein bisschen Musik oder Krach zur Mittagsstunde, wenn kein Unterricht stattfindet, kann doch nicht verkehrt sein.

Die Ideen von Mareike und Tanja werden immer seltsamer. Jetzt heißt es, sie wollten sich allgemein bei deutschen Projekten zurückhalten, weil sie nicht zu sehr mit Deutschen und anderen Austauschstudenten rumhängen wollten, sie wollten sich mehr um japanische Kontakte bemühen. Aha. Gut, ich habe zu Beginn, Ende September, etwas ganz ähnliches gesagt (und mich damit bei Ramona gleich „beliebt“ gemacht), aber ich persönlich habe so meine Zweifel, dass aus dem frommen Vorsatz der beiden viel wird. Ich erlebe ja selbst, dass die Dinge so werden, wie sie halt kommen und man trifft halt, wen man trifft, und sich absichtlich aus gemeinsamen Projekten heraus zu halten ist doch unsozial. Außerdem könnte man was verpassen. Erstens einmal ist Tanja im Moment gar nicht danach, länger als ein halbes Jahr zu bleiben (obwohl die beiden mit dem Berufsziel Übersetzer studieren!?), zweitens machen sich die beiden jedes Mal ins Hemd, wenn sie in Gefahr laufen, japanisch reden zu müssen, und drittens hat Tanja sogar Probleme damit, ohne Begleitung (= Mareike) nach Hause zu gehen.

Mareike und Melanie durchsuchten z.B. vor einigen Tagen die Kramkisten im Naisu Dô, ich wartete auf Melanie, und Tanja stand mehr oder minder gelangweilt in der Gegend rum, obwohl sie nichts Bestimmtes mehr vorhatte. Sie könne doch nach Hause gehen, wenn sie sich langweile. Nein, das wolle sie nicht alleine. Und dann wollen die mir erzählen, dass hinter der gemachten Erklärung viel Wille steckt? Nein, meine Damen. Ich glaube, die werden ebenso sprachbegabt wieder abreisen, wie sie angekommen sind.

Okay, ich bin ja auch nicht ohne sturen Egoismus und sperre mich gegen eine Mitarbeit bei dem neuen „Ode an die Freude“ Projekt. Ich will mein Lied nicht umsonst geübt haben. Ich werde Ramona und Luba gerne helfen, wenn ich vorbereitend etwas für sie tun kann, aber ich mache mein eigenes Ding, egal, was die beiden zu tun gedenken.

SangSu sorgt heute im Unterricht über Kultur und Geschichte von Tsugaru für Unterhaltung.

Kitahara-sensei: „Wann kamen die ersten Ausländer wohl nach Hirosaki?“

SangSu: „Vor vielen, vielen, vielen, vielen, vielen Jahren, habe ich gehört.“

Wieder hat er für Lacher gesorgt, der arme Kerl, aber ich mag ihn. Er bezieht sich mit seiner Antwort auf die ersten Menschen überhaupt, die, wohl so in der Steinzeit, als Siedler hier in diese Gegend kamen. Natürlich existierte Hirosaki damals nicht, und natürlich war die Frage nicht so gemeint, wie er sie verstanden hat. Kitahara-sensei meint „die ersten Ausländer“ im Sinne von Leuten, die nach dem Sturz des Shôgunats und der Öffnung des Landes anno 1868 nach Tsugaru kamen.

Nur zur Erklärung des Vokabulars:

Hirosaki“ ist die Stadt und auch der „Landkreis“, wo ich lebe und wo sich die Universität befindet.

Aomori-ken ist (verdeutscht) gewissermaßen das „Bundesland Aomori“.

Tsugaru“ ist der „Gau“, in dem sich Hirosaki befindet und der einen bedeutenden Teil des Westens von Aomori-Ken ausmacht. Der andere „Gau“ von Aomori ist Hachinohe.

Um 14:40 treffe ich Yui. Wir besprechen eigentlich nur ein paar Hausaufgaben, reden über den Text, wo es um die Farben des Regenbogens geht und über meine Eindrücke von der Familie Jin, so weit diese gestern anwesend war.

Den Regenbogentext findet sie ebenfalls etwas schwierig zu verstehen, weil abstrakt, und die Familie Jin bedenkt sie wegen meiner Schilderung des Applaudierens und der „furchtlosen“ Tochter belustigt mit dem Begriff „okashii“ („merkwürdig, seltsam, komisch“).

Wegen der anstehenden Wahlen in Japan am 09.11.2003 will ich noch ein paar Worte über Wahlwerbung verlieren: Die regierende Jimintô (Liberal-Demokratische Partei) hat einen Werbespot, in dem der Premierminister auftritt. Er sitzt auf einem Barhocker vor einem neutralen Hintergrund, steht dann bedeutungsvoll auf und sagt ein paar Worte (die ich nicht verstehe). Dabei läuft im Hintergrund eine Ballade von… X-Japan!? Mit eine der legendärsten Rockbands des Landes. Da läuft „Forever Love“ um genau zu sein. Ich wusste nicht, dass diese Band für ihren Patriotismus so bekannt war, dass die Regierung ihren Werbespot damit schmücken wollte. Vielleicht auch, weil die Band eben „X-Japan heißt.

Die Minshutô (Demokratische Partei) trägt ein wenig dicker auf. Der Kandidat, das heißt, sein Gesicht, wird in Großaufnahme gezeigt, und er sagt „Watashi wa – Nippon – ga suki desu!“ („Ich – mag – Japan!“). Mit angedeuteten kurzen Pausen von je etwa einer halben Sekunde. Zur Unterstreichung der Feierlichkeit läuft im Hintergrund… die „Ode an die Freude“. „Freude schöner Götterfunken“, hübsch mit deutschem Text, in einer Werbung für eine japanische Partei, deren Kandidat Japan liebt. Hätte er dann nicht lieber die eigene Nationalhymne nehmen sollen? Das sollte hier nicht so übertrieben wirken wie in Deutschland. Wenn bei uns einer sagt, „Ich liebe Deutschland!“, dann macht er sich ja gleich verdächtig, Nationalist, Rassist oder Antisemit zu sein. In dieser Reihenfolge. Eigentlich traurig.

Am Abend essen wir Yakiniku, um mal was anderes zu essen. Auch hier wird die Stimmung besser, nachdem wir uns als Deutsche entpuppt haben (und nicht als Amerikaner). Das Yakiniku ist wirklich gut. Ich bedauere nur, dass es so schnell kalt wird. Außerdem füllt es nicht so gut wie Ramen, weil beim Yakiniku nicht so viel Flüssigkeit dabei ist, die den Bauch füllt. Dennoch plane ich, auch hier die Speisekarte einmal komplett zu essen. Seit dem Beginn unserer „Ernährungsforschung“ macht Melanie Notizen, welches Essen wie gut war. Das könnte ebenfalls eine Hilfe für nachkommende deutsche Studenten sein.1

Da ich ja nicht hundertprozentig gesättigt bin, esse ich zuhause die erste Mikan meines Lebens.

Die Dinger sehen zwar ähnlich aus wie Mandarinen, sie sind außen und innen orange, aber es sind keine Mandarinen. Will man die Schale entfernen, kann man sie nicht einfach lösen, sondern man muss die Frucht schälen. Allerdings stelle ich fest, dass man die Schale mitessen kann, wenn man sie vorher sauber macht. Das Innere besteht auch nicht aus mehreren Spalten, sondern besteht aus einem ganzen Fruchtkörper. Das Fruchtfleisch kaut sich wie eine perfekt reife Birne – nicht zu hart, nicht zu weich. Der Geschmack kommt mir entfernt vertraut vor, aber ich kann ihn nicht definieren. Vor allem kann man davon noch mehr essen.

Habe ich bereits erwähnt, dass „TRICK“ eine einmalig irre und lustige Serie ist? Mystery und Komödie sind hier fast in Perfektion verschmolzen. Der Humor basiert in erster Linie auf Slapstick. An dieser Serie ist ein Anime verloren gegangen, aber vielleicht kommt der eines Tages auch noch. Es geht um Yamada (w) und Ueda (m), die zusammen irgendwelche mysteriösen Dinge aufklären, wobei mir die Motivation nicht ganz klar ist. Sie ist eine reichlich durchschnittliche Showmagierin und er ein halbwegs erfolgreicher Autor. Interessant ist, dass dabei alle möglichen Tricks (daher wohl der Name), wie man sie in Zaubershows sehen kann, aufgeklärt werden.

Ich glaube, Yamada ist wirklich eine lebende Animefigur. Sie sieht gut aus, sie ist gerissen (wenn es darum geht, sich den Lebensunterhalt zu verdienen, auch mit Schummeleien), sie ist oft genug schusselig, sie fällt von einer Sekunde auf die nächste in Tiefschlaf, auch wenn Ueda gerade was erklären möchte, sie liegt auf lustig verdrehte Art und Weise und schnarcht, wenn sie schläft.

Ueda dagegen ist ohne all das seltsam genug. Als beide von den Handlangern eines Gegenspielers eingefangen und gefesselt werden, sollen sie verbrannt werden. Sie bittet um ein paar letzte Worte und sagt zu Ueda (auf englisch): „Why don’t you just try and do your best!?… Why don’t you just try and do your best?!?“ („Warum versuchst Du’s nicht einfach und gibst Dein Bestes!?“), worauf er die Fesseln sprengt und plötzlich so vor Kraft strotzt, dass ihm sogar das Hemd wegfliegt. Und dann steht er da, mit seinem Kampfschrei, in einer Pose, mit nach vorne gestreckten Armen, die ich bei Bruce Lee schon mal gesehen habe. Ich bin beinahe vom Stuhl gefallen, weil ich so lachen musste.

Die Hauptdarstellerin heißt Nakama Yukie. Seinen Namen konnte ich mir, wie gewohnt, nicht merken. Mein Gedächtnis für Männernamen ist offenbar kürzer.2

Danach läuft auf dem nächsten Kanal (ich schreibe nie auf, auf welchem) „Manhattan Love Story“.

Ja, der Titel klingt für die meisten wohl reichlich abschreckend. Aber der Titel täuscht ein wenig.

„Manhattan“ ist der Name des Cafés/Bistros/Restaurants (in Tokyo gelegen), in dem ein Großteil der Handlung stattfindet. Die Charaktere sind Anwohner oder Angestellte der Gegend, die das Manhattan zu ihrem Stammlokal gemacht haben. Dabei geht es um die (zum Teil sexuellen) Beziehungen der Charaktere untereinander, wer wen mag oder nicht mag, welche Frau mit welchem Mann eine Beziehung hat und mit wie vielen Frauen dieser schrecklich rückgratlose Typ (kein geringerer als Theaterregisseur Matsuo Suzuki) geschlafen hat, obwohl er verheiratet ist. Klingt ernst. Ist es aber nicht. Der Pächter des Lokals fungiert die ganze Zeit über als Erzähler im Hintergrund. Er redet während einer Episode vielleicht zwei Sätze direkt, alles andere kommt aus dem Off. Der Mann arbeitet die ganze Zeit mit seiner Mimik, die seine Gedanken untermalt – und das kann er richtig gut. Im Hinterzimmer hat er eine Schiefertafel hängen, auf die er das Soziogramm seiner Kundschaft aufgemalt hat. Die Schiefertafel hat er unter einem Kalender versteckt, damit Shinobu, sein Angestellter, sie nicht findet.

Wer Gelegenheit hat, sollte sich das mal ansehen. Man kann auch diese Serie bestimmt irgendwo runterladen, per „Bittorrent“ oder mit einem ähnlichen Filesharing-Programm. Wahrscheinlich ist die Sache dann sogar untertitelt.

Es ist festzustellen, dass ich in Japan viel begeisterter fernsehe, als in Deutschland. Die TV-Serien sagen mir mehr zu, als zuhause, und der Anteil an Animeserien ist dabei nicht wirklich gestiegen… irgendwas machen die Japaner im Fernsehen besser, als Amerikaner – oder Deutsche, deren Serien man in den allermeisten Fällen in den Mülleimer treten kann.3

1 Fast 20 Jahre später waren diese Notizen eine Hilfe oder Inspiration für unsere japanische Freundin Kazu, die zwar in Hirosaki aufgewachsen ist, aber noch nie im Bunpuku gegessen hatte.

2 Sein Name ist Abe Hiroshi.

3 Mein Eindruck ist, dass Japaner ein besseres Händchen für Serien als für Filme haben, und dass Serien ohne Spezialeffekte die besseren sind.

21. Oktober 2023

Dienstag, 21.10.2003 – „Obiwan-sensei wa omae ni koto wo takusan oshiete-ageta!“ to iimasu ka?

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 7:45

(Das bedeutet: “Sagt man so (auf japanisch) Obiwan hat Dich viel gelehrt?”)

Ich stelle fest, dass Yamazaki-senseis Unterricht besser wird, in meiner subjektiven Wahrnehmung. Das gemeinsame Aufsagen von Sätzen lässt deutlich nach, es kann also nicht nur Gewöhnung sein. Dann kann ich die Angelegenheit viel entspannter angehen, wie mir Kashima-sensei das von Anfang an geraten hat.

Danach schreibe ich eine weitere Mail, die durch einen „Time-out Error“ in den Tiefen des WWW verschwindet. Interessanterweise rege ich mich nicht darüber auf. Shit happens, und vom Grollen bekommt man doch nur Magengeschwüre, frei nach der Richtlinie meines „alten“ Feldwebels Ingolf „Ingo“ Diete:

Schwarz, manche Dinge sind so beschissen, dass man wieder drüber lachen muss.“

Und der Mann hat viel gelacht. (Ich bitte um Vergebung wegen der unfeinen Sprache.)

Die Einführung in das Studium des Buddhismus ist weder spannend noch langweilig, liegt aber im interessanten Bereich. Das Ganze ist etwas rätselhaft. „Nichts ist für die Ewigkeit“ kann man eine der Grundregeln wohl paraphrasieren. Man wird wiedergeboren, aber es gibt gleichzeitig keine Seele, sondern nur Karma – also was genau wird da eigentlich wiedergeboren? So weit ich das verstehe, ist das Karma wie ein Register, in dem schlechte und gute Taten aufgelistet werden. Wenn ein Leben zu Ende geht und das nächste anfängt, bleibt man belastet von den vorhergehenden Leben. Die Wiedergeburten haben eine seltsame Hierarchie, denn man kann als Höllenwesen oder als Tier, als Mensch oder als Gott geboren werden. Was offenbar bedeutet, dass Götter sterblich sind. So weit interessant. Aber nur Menschen können zur Erleuchtung gelangen, durch eigenes Streben oder unter Anleitung eines Buddhas. Götter können das nicht, sie müssen erst als Menschen geboren werden.

Phillips ist kommende Woche nicht da, er hält einen Vortrag in Kanada, von daher kriegen wir 100 Seiten Papier zum Lesen, um uns mit der Geschichte und der Ideenwelt des Buddhismus vertraut zu machen. Dann bin ich ja mal gespannt, wie das war, mit der Mutter von Siddharta und dem weißen Elefanten…

Danach besorge ich mir mit Hilfe von Alex eine Kundenkarte für die „King Kong“ Videothek und stelle befriedigt fest, dass eine japanische Sprachversion von „Star Wars“ (Ep. IV-VI) existiert. Oh, und den „Terminator“ fasse ich bei der Gelegenheit ebenfalls in Auge.

Der Angestellte der Videothek redet so schnell, dass ich kaum verstehe, was er sagt. Mein Dank an Alex für seine Hilfe bei der Angelegenheit. Ein Tag Ausleihe kostet 180 Yen, zwei Tage 230 Yen, sofern es sich nicht um funkelnagelneue Filme handelt. Ob die Preisangaben auch DVDs einschließen, ist mir bislang nicht bekannt geworden. Und eigentlich ist es auch nicht interessant, weil ich keinen DVD-Player besitze und auch keinen hier anschaffen werde. Da die Videothek 24 Stunden lang geöffnet hat, scheint es also günstig, um zwei Minuten nach Mitternacht einen oder mehrere Filme auszuleihen, weil man dann mehr Zeit hat. Nett zu wissen, aber für mich nicht wirklich von Bedeutung.

Alex weist mich noch auf verschiedene Dinge hin, die von minderer oder größerer Bedeutung sein könnten. In einer der nahen Städte findet offenbar jährlich eine Art Roboter-Wettbewerb statt. Dazu kommen Kinder aus aller Welt nach Japan und bauen hier ihre Maschinen zusammen. Da die Kunden meist aus englischsprachigen Staaten anreisen, suchen die Veranstalter Dolmetscher. Alex empfiehlt also, sich dafür zu bewerben, weil man eine Woche lang in einem Drei-Sterne-Hotel wohnt, mit drei warmen Mahlzeiten am Tag und anderen Vergünstigungen. Und das Vokabular sei weitgehend auf den Umgang mit dem notwendigen Werkzeug beschränkt, und darauf, was die Kinder (und ihre Erziehungsberechtigten) so brauchen. Das interessiert mich natürlich sehr.

Zuletzt bemängelt er den mangelnden Zusammenhalt der Austauschstudenten, der dieses Jahr offenbar herrscht. Er sagt, im letzten Jahr habe es zwei Wochen gedauert, bis alle so dicke zusammen waren, dass man halbnackt (!) wilde und vor allem alkoholhaltige Partys im Wohnheim gefeiert habe. „Nach zwei oder drei Wochen Party haben wir uns eigentlich weitgehend wieder beruhigt – nur JP hat weitergemacht wie gehabt“ sagt Alex, und er bedauere nichts von alldem. Na, ich kann mir vorstellen, dass jemand wie JP (ein weiterer meiner Trierer Jahrgangskollegen) die notwendigen Eigenschaften besitzt, eine solche Gemeinschaft zu schaffen und auch zu erhalten. Eine solche Persönlichkeit ist in diesem Jahrgang nicht enthalten. So weit ich das sehe, sind die allermeisten der europäischen Austauschstudenten Nichtraucher und nur Gelegenheitstrinker.

Mein Eindruck ist bisher, dass keiner dabei ist, eine Party so richtig zum toben bringt. Mathieu, „der frische Franzose“, scheint mir am ehesten dafür geeignet, aber er teilt meine Ansicht, dass man den Mund halten sollte, wenn man nichts Sinnvolles zu sagen hat. Man muss eine Konversation erst aus ihm herausziehen. Ansonsten eine gesellige Natur, wie die meisten anderen auch, aber ein Party-Tier habe ich keines gefunden. Und irgendwie beruhigt mich das ein wenig. Wenn ich das recht verstehe, waren es nämlich diese kleinen Orgien im Internationalen Studentenheim, die dafür gesorgt haben, dass „öffentliche“ Partys um 22:00 einzustellen und in den privaten Bereich, in die lächerlich kleinen Zimmer, zu verlegen sind. Es wurde ausdrücklich verboten, außerhalb der nun sehr eng gefassten Regelungen im Kaikan zu feiern; der Eingangsbereich lade zwar dazu ein, er sei aber nur ein Ort für „zivilisierte“ Zusammenkünfte, wenn ich das mal so umschreiben darf. Den O-Ton von Ôta-san auf dem Hinweisschild habe ich nicht mehr im Kopf, aber darauf lief es hinaus.

Alex erklärt mir bei dieser Gelegenheit auch, was es mit den Shimoda Häusern auf sich hat, von denen ich ja eines bewohne. Nach seiner Schilderung ist Ikeda-san der Präsident der Firma, die diese Miethäuser verwaltet, aber die Häuser befinden sich im Besitz einer Dame mit Namen Shimoda. Jene Dame ist offenbar die reichste Person in der Umgebung, wahrscheinlich eine der reichsten Frauen Japans. Sie besitze mehrere dieser Miethäuser, drei Krankenhäuser und wohl auch eine Universität. Er gibt nicht genauer an, welche. Und jene Dame hat wohl ob ihres finanziellen Hintergrundes politische Ambitionen. Gerüchte (?) besagen, dass sie Präfekt (weibliche Form?) von Aomori-ken werden will. Für deutsche Ohren klingt das vielleicht nicht weiter seltsam, aber ich glaube, man kann die Gefühle der Japaner zu dieser Sache möglicherweise damit vergleichen, wenn in der Bundesrepublik Deutschland sich eine Frau für das Amt des Bundeskanzlers bewirbt. Und das vor dem Hintergrund, dass die Geschlechterrollen in Japan etwas rigider sind als in Deutschland.

Was ganz anderes „ereilt“ mich am Nachmittag. Ich habe meine Gastmutter kennen lernen dürfen. Sie heißt „Jin“ (das ist der Familienname), was sich schreibt wie „Kami“, also „Gott“. Wer Piccolo, diesen grünen Kerl aus der Serie „DragonBall“, kennt, weiß, wie man das schreibt, er trägt dieses Kanji auf seiner Tunika. „Dieu“ (frz.) wurde es bei uns untertitelt, wegen der Herkunft der Übersetzungsgrundlage. Ich bin also folglich demnächst Gast im Hause Gottes. Nun ja, das heißt, ich werde es am 29.10. sein. Oh, und diese Frau Jin sieht nicht aus, als sei sie bereits 44 Jahre alt.

Die Familie Jin hat aus diversen Gründen am 01.10. keine Zeit, die „International Festa“ zu besuchen, wo die Austauschstudenten eigentlich ihre Gastfamilien erst treffen sollen. Also bittet sie mich (und Sushanan, eine der Thailänderinnen, die ihr ebenfalls zugeteilt wurde) dafür um Verzeihung und lädt uns für den 29.10. zum Essen ein. Zum Sukiyaki, um genau zu sein. Ich habe keine Ahnung, was das ist, aber sie sagt, ich solle bei der Herstellung helfen, dann wisse ich sehr schnell, um was es sich dabei genau handele. Na ja, das geht schon in Ordnung.

Das Programm ist also eine Art Doppelaktion. Jede der teilnehmenden Familien erhält zwei Austauschstudenten zugeteilt, die sich möglichst in Herkunft und Geschlecht unterscheiden sollen. Hier also ein Deutscher und eine Thailänderin. Warum nicht. Auf den „Clash of Civilizations“ bin ich sehr gespannt. Von Jin-san habe ich einen sehr mütterlichen Eindruck. Sie ist mir auf den ersten Blick sympathisch. Dann erhalte ich ein Blatt, auf dem eine kurze Familienübersicht dargestellt ist. In dem Haus wohnen also das Ehepaar Jin, beide Mitte Vierzig, mit zwei Kindern (eine Tochter von 11 und ein Sohn von 14 Jahren) und den Großeltern, beide 74 Jahre alt. Leider haben die Namen keine Furigana (das sind Schriftzeichen, die mir sagen, wie man die Kanji des Namens zu lesen und auszusprechen hat), also kann ich nur raten. Außerdem wird man sich mir wahrscheinlich sowieso noch einmal vorstellen, wenn ich denn im Wohnzimmer stehe.

20. Oktober 2023

Montag, 20.10.2003 – Follow the yellow Brick Road

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 9:15

Montage erfordern kein frühes Aufstehen. Und interessanterweise gibt es nicht nur zwei Kneipen direkt vor der Uni und eine Sakebrauerei nördlich daneben, nein, die ersten beiden Stunden sind montags grundsätzlich frei!1 Kein Lehrangebot bis 10:20 Uhr! Zumindest für uns Austauschstudenten.

Ich lasse mir also Zeit und gehe erst um 08:30 ins Center. Mein erster Unterricht beginnt um 12:40, also habe ich vier Stunden Zeit, das reicht für zwei lange Berichte per Mail. Eigentlich. Aber das Schicksal (die Technik!) ist gegen mich. Der erste Rechner hat kein MS Word, beim nächsten Rechner ist es zerschossen (scheint eine Krankheit der XP-Rechner hier zu sein), der dritte stellt keine Netzverbindung her, der vierte stürzt ab, sobald ich etwas machen will, was komplizierter ist, als ihn einzuschalten, der fünfte mag den Drucker nicht (nicht installiert) und der letzte, den ich noch freiwillig ausprobiere, hat keine funktionierende Kabelverbindung zum Drucker. Immerhin kann man mit dem hier schreiben. Das Senden kann man auch später in den Zeitplan einschieben.

Bis 12:40 habe ich es dann immerhin geschafft, die Mail vom 10.10. zu verfassen und zu speichern.

Nach diesem Desaster erlebe ich meinen ersten Unterricht „Japanisch A3“.

Noch bin ich mir nicht ganz im Klaren, um was es da heute genau geht. Die erste Aufgabe ist gleich komisch:

Der japanische Regenbogen hat sieben Farben. Ist das in Deiner Heimat anders? Warum ist es anders?“

Ich verstehe nicht ganz, lese die Aufgabe noch einmal. Aber das ist, was da steht. Wir sollen in Gruppen die Regenbögen unserer Heimatländer diskutieren. Ich habe mir seit dem Kindergarten keine Gedanken mehr darüber gemacht, welche Farben der Regenbogen hat. Also versuche ich, die Sache logisch anzugehen.

Der Regenbogen in Japan hat also sieben Farben. Okay, damit kann ich leben.

Aber scheint nicht überall die gleiche Sonne?

Fällt nicht überall der gleiche Regen aus H2O?

Atmen wir nicht alle die gleiche Luft?

Mehr Faktoren für einen Regenbogen fallen mir nicht ein, vielleicht noch der Einstrahlungswinkel der Sonne? Japan liegt auf der Höhe des Mittelmeers, das sollte nicht so sehr anders sein.

Am Ende sind die Studenten sich einig. Der Regenbogen hat überall die gleichen Farben, es gibt keine Unterschiede. Und die Entscheidung ist einstimmig: Deutsche, Franzosen, Thailänder, Chinesen und Koreaner sind dieser Meinung. Der Lehrer und Japaner Yamazaki sagt aber, das sei nicht möglich. Er lacht und fragt, wie das sein könne? Ich lese in dem dazugehörigen Text herum und glaube zu erkennen, dass es darum geht, dass es in Japan viele konkrete Farbbegriffe gibt, die es ermöglichen, die Farben zu benennen und zu identifizieren. In Deutschland z.B. gibt es nicht so viele Begriffe für die einzelnen Farbtöne, die über die Hauptfarben definiert werden, denen sie ähneln, wie „Karmesinrot“ oder „Ultramarineblau“. Es gibt wohl eine Verbindung zwischen den Dingen, die man in einer Sprache ausdrücken kann und der Wahrnehmung, die man als Muttersprachler eben aufgrund der Begrifflichkeiten hat. Dinge, die keine Namen haben, für die es kein Wort gibt, existieren nicht, werden nicht als existent wahrgenommen. Auf gewisse Art und Weise ist das wohl wahr.

Aber eigentlich geht es um Textaufbau und nicht um Naturwissenschaft, Psycholinguistik oder Philosophie. Einfache Textstrukturen sollten an diesem Beispiel gezeigt werden, Einleitung, Hauptteil, Schluss. Das ist alles. Aber es ist auch alles, was ich an diesem Tag von den Ausführungen von Yamazaki-sensei verstehe. Er könnte ebenso gut Chinesisch reden. Für diesen Bereich fehlt mir doch deutlich das Vokabular. Ich empfinde diesen Zustand als sehr frustrierend. Der übrige Sprachunterricht geht. Die Quintessenz herauszuhören, ist machbar, also kann ich dem Unterricht folgen.

Aber der A3 von heute Morgen… hui. Der Text ist wirklich seltsam.

Die wichtigste Funktion eines Begriffs ist sein Zweck, Dinge zu identifizieren“ steht da. So weit, so gut. Den Satz, der mir am wenigsten sagte, übersetze ich grob mit „Wir denken an Freiheit und glauben zu sprechen.“ Wie bitte? Irgendwo muss ich einen Fehler gemacht haben. Ich muss einen Muttersprachler fragen, der auch Deutsch kann. „Fudan wareware wa, Jiyû no mono wo kangae, hanashite-iru to omotte-iru.“ Im Hinterkopf sehe ich bereits Shitaba-sensei mit seinem „Kontext!!“ Schild winken.2

Auch am Nachmittag will die Sache nicht ins Rollen kommen, was das Versenden von Mails betrifft. Der GMX-Server kann nicht gefunden werden. Von keinem der Rechner, den ich ausprobiere. Ist der Server offline? Der Multi-Terabyte-Server von GMX? Das wäre mal ein starkes Stück. Vielleicht stimmt aber auch etwas an der Leitung nach Deutschland nicht. Web.de ist erreichbar. Seltsam, seltsam. Mir bleibt nichts anderes übrig, als zu warten, bis ich wieder an mein Postfach komme.

Magenknurren. Ein bedeutender Bestandteil meines Daseins in Japan. Ich habe mir angewöhnt, am Morgen eine satte Portion Reis zu essen, aber Reis hat eine extrem kurze Halbwertzeit, und am frühen Nachmittag knurrt mir der Magen. Gegen 17:30 komme ich für gewöhnlich zum Essen. Nein, ich muss nicht hungern, um Himmels willen. Das darf man jetzt nicht falsch verstehen. Es ist nur so, dass ich nach dem Frühstück schnell wieder hungrig werde. Vielleicht hängt das mit dem Reis zusammen, vielleicht verbrauche ich vor lauter Stress auch mehr Kalorien.

Jedenfalls hat, weil heute Montag ist, mein Ramenlokal geschlossen. Aber auf dem Weg nach Hause gibt es eine Oden-Bude mit Vordach.

Digital Camera

Dort werden in erster Linie Fleischspieße gebraten. Also Yakiniku. Und die Spieße schmecken wirklich hervorragend, vor allem mit leerem Bauch. Schwein, Rind, Geflügel und Gemüse, und das über Holzkohle gebraten. Ich bezweifle, dass ein Elektrogrill das besser hinbekommt. Aber vor allem sind diese Dinger hier salzig! „Möchten Sie Salz?“ fragt mich die ältere Dame höflich. „Ja, bitte“ antworte ich, nichts ahnend. Dann wollen mir schier die Augen rausfallen angesichts der Salzmenge, die sie an den Spieß wirft. Man kann das Salz nachher vom Fleisch abklopfen. Ich muss also nächstens um „ein wenig Salz“ bitten.

Digital Camera

Außer den Spießen probiere ich auch noch das Oden (mit einem kurzen „o“ wie in „Stock“). Zumindest so weit ich das verstehe, handelt es sich um Oden, muss ich sagen. Da schwimmen seltsame Objekte in einer dunklen Brühe, und ich glaube zu verstehen, dass alles aus Fisch gemacht ist, obwohl es nicht im Geringsten nach Fisch riecht oder schmeckt. Oh, das Ei in der Brühe ist natürlich nicht aus Fisch. Das Stück Daikon (Riesenrettich) natürlich auch nicht. Aber beides ist gut. Ich gehe gesättigt aus dieser kulinarischen Erfahrung hervor und habe auch nicht mehr bezahlt, als wenn ich ein Ramen gegessen hätte. Da kann man öfters hingehen. Aber wegen des vielen Salzes werde ich heute Abend noch drei Tassen Kaffee trinken, um das Zeug wieder rauszuspülen (Kaffee entwässert den Körper, wenn man nicht daran gewöhnt ist).3

Im Fernsehen bringen die Nachrichten am Abend wieder Bilder von Verkehrsunfällen auf der Autobahn. Diesmal drei Tote. In den letzten Tagen verging kaum ein Tag, ohne Berichte über Unfälle mit Toten. Ich frage mich, wie viele Leute eigentlich jedes Jahr auf japanischen Straßen zu Tode kommen? Oder auch allein auf den Autobahnen, auf denen man doch nur 80 fahren darf!? Bringen diese Limits denn gar nichts? Es kann ja nicht sein, dass es hier derartig viele schlechte Autofahrer gibt… vielleicht gibt es auch einfach nicht viel, über das zu berichten sich lohnen würde.4

1 Es ist mir nach all den Jahren nicht mehr erinnerlich, was das eine mit dem anderen zu tun hatte.

2 Der japanische Satz enthält einen Fehler, vermutlich habe ich ihn falsch abgeschrieben. Es muss lauten „Fudan wareware wa, Jiyû ni mono wo kangae, hanashite-iru to omotte-iru“ ?????????????????????????????? und das bedeutet „Üblicherweise denken wir, dass wir frei denken und sprechen.“

3 Die Aussage, dass Kaffee entwässernd wirkt, ist mittlerweile wissenschaftlich widerlegt. Für mich persönlich gilt allerdings, dass warme Getränke schnell zu Harndrang führen.

4 In Deutschland wurden 2003 insgesamt 6613 Verkehrstote verzeichnet, das entspricht etwa 18 Menschen pro Tag. 2016 waren es laut WHO in Deutschland noch 3327 und in Japan noch 5224 im Jahr, also etwa 14 am Tag.

17. Oktober 2023

Freitag, 17.10.2003 – War da heute was?

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 9:41

Eigentlich war nichts los. Oder vielleicht waren es einfach zu viele kleine Dinge?

Ich versuche, das mal zusammenzufassen.

Am Morgen hat mein Schrottrad endlich Luft in die Reifen bekommen. Jetzt kann man bequemer damit fahren, aber wegen der Bremsen werde ich mir noch ein anderes suchen müssen. Zu gefährlich, muss ich einsehen.

Nach dem Unterricht werde ich von zwei einheimischen Studenten zu einem Interview gebeten. Sie erforschen die Unterschiede zwischen japanischen Sportarten und solchen woanders auf der Welt, und wie Sport in anderen Ländern empfunden wird, sei es als Schulsport oder als Vereinssport, welches die populärsten Sportarten in den jeweiligen Staaten sind und welchen Eindruck man dort von japanischem Sport hat.

Die Bibliothek habe ich mal flüchtig in Augenschein genommen. Irgendwie klein. Aber ich habe bestimmt nicht alles gesehen. Und da sehe ich etwa 20 öffentliche Rechner. Moment bitte – 20 Rechner für alle Studenten? Das muss ein Irrtum sein. Es kann sich doch nicht jeder einen Laptop leisten! Ich bin eher bereit zu glauben, dass die Bibliothek der Hirodai nur ein Stockwerk groß ist, als dass es außerhalb des Ryûgakusei Centers nur 20 Computer auf dem Campus gibt.

Sawada-sensei macht wiederholt und mit viel Freude auf das Internationale Fest am 01.11. aufmerksam. Vielleicht (offenbar) erhalte ich dort noch die Chance, meinen Vogelweide loszuwerden. Außerdem sollen wir dort unseren Gastfamilien vorgestellt werden. Auch hier handelt es sich um eine alkoholfreie Zwei-Stunden-Veranstaltung. Auf meine vorsichtige Anfrage hin erklärt mir Sawada-sensei, dass Alkohol auf dem Campus generell verboten sei und man nicht einmal privaten Alkohol mitbringen dürfe. Na denn prost. Aber das Fest findet eh um zwei Uhr nachmittags statt, da sollte man noch keinen Alkohol trinken. Vorführende erhalten kostenlosen Zutritt mit Verpflegung, während alle andern etwa einen Tausender zahlen müssen, um die Unkosten zu decken. Na, dann sing ich doch lieber. Außerdem ist vergessen werden schlimmer als der Tod.1 😉

Ich versende noch ein paar Bilder. Li SangSu, mein koreanischer Nachbar aus dem Erdgeschoss, dessen Name ich mir endlich merken kann, macht mir das Angebot, meine Bilder auf seinen Laptop zu laden und zu gegebener Zeit eine CD zu brennen. Ich komme bestimmt darauf zurück. Nett von ihm. Im Anschluss unterhalte ich mich noch ein wenig mit ihm und zweien der übrigen Koreaner. Die Unterhaltung wird ab und zu etwas chaotisch, weil das Japanisch von SangSu nur etwas besser ist als meines und er daher Jû, der schräg gegenüber von mir wohnt, fragen muss, was denn dies oder das heiße. Er solle es doch auf Englisch versuchen, sagt Jû, aber SangSu winkt ab. Jû lacht sich daraufhin fast tot (leise, aber heftig), zeigt auf SangSu und sagt zu mir: „Der hat zwei Jahre in Australien gelebt und kann immer noch kein Englisch!“ und SangSu sagt „Der behandelt mich dauernd wie einen Sklaven!“ Die sind lustig. Während des Gesprächs stelle ich auch fest, dass die anwesenden Koreaner die ganze Zeit dachten, Karl Marx sei ein Russe gewesen. Wohl wegen des Sowjetkommunismus. Und ich stelle fest, dass sie in Korea zwei Jahre lang Deutsch gelernt haben. In der Oberschule. Da bin ich doch platt. In der koreanischen Oberschule muss man zwei Fremdsprachen belegen und meine männlichen Nachbarn haben Englisch und Deutsch gelernt, und meine weibliche Nachbarin SongMin, sie wohnt in dem Apartment direkt gegenüber, hat wahrscheinlich (wie SangSu sagt, aber ich habe noch nicht gefragt) Unterricht in Französisch genossen. Die Sprache sei bei Schülerinnen beliebt. Die Jungs lernten lieber ein wenig Deutsch, weil Deutschland ein wirtschaftlich bedeutendes Land sei. Schön und gut, aber leider wissen sie nichts mehr davon. Sie können sich vorstellen und dem Gegenüber einen guten Tag wünschen. Aber ein Brot könnten sie wohl nicht mehr kaufen.

Wie dem auch sei, ich finde meine Nachbarn ganz umgänglich, im Gegensatz zu einer Darstellung aus den USA, von wo mir zugetragen wurde, dass Koreaner am liebsten den Tag und vor allem die Nächte mit feucht-fröhlichen und vor allem lauten Partys verbrächten. Jû sagt, dass er sich das in den USA durchaus vorstellen könne, wo es viele koreanische Studenten hinzieht, die eine gewisse Vorstellung vom „amerikanischen Traum“ und den Freiheiten dort haben. Studenten mit mehr Sinn für Disziplin gingen eher nach Japan oder Deutschland, sagt er.

Auf dem Weg nach Hause kaufe ich mir ein Glas Nescafe Instantkaffee und eine Flasche Sake aus „Sake ga nomeru zoeeeee“ Akita.2 Nur 1,8 Liter… wir wollen ja nicht übertreiben.3 🙂 Ich fange in der Preisskala unten an, die Flasche kostet ca. 1300 Yen. Wenn man hier übrigens von „Sake“ redet, dann verstehen Japaner darunter ganz allgemein ein „alkoholisches Getränk“. Das, was sonst wo auf der Welt als „Sake“ verkauft wird, heißt hier Nihonshû“. Grob übersetzt: „alkoholisches Getränk aus Japan. Ich warte also auf eine Gelegenheit, die Flasche zu öffnen. Heute hätte sich eine Gelegenheit bieten können, weil ich Misi die „Inkomplette Liste unhöflicher Begriffe“ (der englischen Sprache)4 vorführen wollte. Aber die Pappnase ist mal wieder nicht gekommen, also bleibt die Flasche vorerst zu.

1 Aus Final Fantasy IX, das ich nie gespielt habe.

2 Aus den Liedern des jap. Duos „Barracuda & Beethoven“

3 Es handelt sich hierbei um die gängigste Flaschengröße.

4 „The incomplete list of impolite words“ von Carl Douglas

15. Oktober 2023

Mittwoch, 15.10.2003 – Born to kill?

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 13:40

Na, so schlimm ist es nicht geworden. Aber der Japanischunterricht heute vernichtet meine gute Laune, die ich am Morgen noch hatte, durch Phrasenbeten als Gruppenaktivität. Ich erwäge, den Vorschlag zu machen, die Sätze aus den Hörübungen nicht mehr gemeinsam, sondern einzeln abhören zu lassen. Die Leistungsunterschiede in unserer Klasse treten dabei sicherlich deutlicher zu Tage. Es sind einige dabei, die die Sätze flüssig aufsagen können, und andere brauchen eine Weile. Auf momentane Art und Weise entsteht ein Mischmasch von Artikulationsgeräuschen, die doch niemand mehr als Sprache erkennen kann. Wie soll man da die Fehler des Einzelnen erkennen und bekämpfen? Ich halte das hiesige Procedere auch weiterhin für pädagogisch fragwürdig.1

Dann sollen wir einen Text lesen und verstehen. Okay. Ich glaube, ich weiß, was drin steht, aber mit dem Erklären könnte ich Probleme haben. Ogasawara-sensei möchte, dass wir den Inhalt noch einige Minuten später wiedergeben können, und zur Ablenkung spielen wir Jan-Ken-Pon. Dabei handelt es sich um ein Spiel, dass bei uns „Schere-Stein-Papier“ heißt. Jetzt kocht meine Galle aber! Ich akzeptiere, dass das Spiel hierzulande beliebt ist und von quasi allen Altersgruppen gespielt wird (aus den gleichen Gründen wie bei uns), aber ich habe das zuletzt gespielt, als ich noch halb so groß war wie heute, vor knapp 20 Jahren. Ich ordne „Schere-Stein-Papier“ sehr eindeutig dem Bereich „Kleinkinder“ zu, und dass ich das hier spielen soll, im Alter von 26 Jahren, bringt mich zur Weißglut. Ich überlege mir, ob ich ausweichend auf die Toilette gehen soll. Aber ich lasse es. Flucht ist kein gutes Mittel, um sich an Umstände zu gewöhnen, die man nicht mag. Also spiele ich Jan-Ken-Pon und versuche anschließend, in drei Sätzen zu erläutern, was in dem Text steht.

Wie es scheint, lebe ich noch. Und alle anderen in meinem Umfeld auch. Was auch immer kommt, es kann nur besser werden. Und ich werde besser damit fertig werden. Kashima-sensei hat mir gleich zu Beginn gesagt, dass ich am besten alles ganz entspannt angehen solle. Alles andere sei Unsinn und werde im Endeffekt nur Probleme bringen. Ich folge seinem Rat in verstärktem Maße. Das wiederum veranlasst Melanie dazu, mir mangelnde Arbeitsmotivation zu unterstellen. Das Problem sehe ich nicht. Ich mache die Arbeit, die man von mir erwartet. Sie arbeitet länger an den Kanji für die Tests, und ich freue mich, dass sie diese Ausdauer aufbringt – aber meine Testergebnisse sind ebenso gut und ebenso schlecht wie ihre. Also was soll’s? Ich fühle mich durchaus in der Lage, mein Arbeitspensum zu steigern, wenn es notwendig wird.

1 Yamazaki-sensei versicherte mir irgendwann, dass er in dieser Methode geübt genug sei, um Studenten mit Problemen heraushören zu können.

14. Oktober 2023

Dienstag, 14.10.2003 – Die Wahrheit ist irgendwo da draußen

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 13:47

Heute weiß ich nicht, wo ich anfangen soll. Am besten am Beginn des Tages.

Zuerst Unterricht bei Yamazaki-sensei. Diesmal ohne gemeinsames Phrasenwiederholen. Hat er den Unmut bemerkt? Wie auch immer. So gut gelaunt war ich nach einem Unterricht schon seit Wochen nicht mehr.

Danach folgt die erste Unterrichtseinheit „Einführung in das Studium des Buddhismus“. In dem Kurs sitzen zehn Leute. Der Dozent ist Professor John Phillips, und er musste nicht erst sagen, dass er Amerikaner ist – man sieht es ihm sofort an. Aber es ist auch nicht nur seine Ausstrahlung, ich fand vor allem diese übertrieben große Gürtelschnalle auffällig, auf der sein Name geschrieben steht. Der Mann ist eigentlich Spezialist für afrikanische Geschichte, genauer für die Haussa in Nigeria. Er spricht deren Sprache und auch Arabisch. Was macht der also in Japan? Japan sei ein Land, in dem Afrika keine „Geschichte“ hat, sondern nur „Anthropologie“. Und wie kommt er zu einem Seminar über Buddhismus? Er sagt, er interessiere sich für Religion im weitesten Sinne.

Man merkt allerdings schnell, dass er überhaupt kein Interesse daran hat, in Japan zu bleiben. Oder hatte: Er hat eine Familie hier. Hm. Vielleicht will er warten, bis sein Nachwuchs einen Schulabschluss hat? Wie dem auch sei. Er lebt bereits seit einigen Jahren in Japan, man sagt, er sei seit zehn Jahren hier, aber schreiben hat er nie gelernt. Als er z.B. „Daikoku“, eine Gottheit, die man mit den Kanji für „groß“ und „schwarz“ schreibt (??), vorstellen möchte, bittet er einen japanischen Teilnehmer, das zu schreiben. Unterrichtsvorbereitung? Mangelhaft. Wenn er japanische Begriffe in den Mund nimmt (die Bezeichnung ist ganz treffend), bluten meine Ohren. Sehr amerikanisch geprägt. Ein wirklich sympathischer Mann, aber irgendwie fehl am Platz.

Nach diesem Unterricht werde ich auf Anfrage endlich über das finanzielle Gebaren hier aufgeklärt. Mir wurde vor einigen Tagen eigentlich nur mitgeteilt, dass ich als AIEJ Stipendiat (das heißt, das Geld kommt aus dem Fond der Universität Hirosaki) nicht auf ein Bankkonto angewiesen sei. Melanie dagegen erhält ein staatliches Stipendium, und dafür braucht sie ein Konto und einen „Hanko“, eine Art Stempel, der als Unterschriftsersatz dient. Eigentlich bin ich davon ausgegangen, dass auch AIEJ Gelder auf ein Konto überwiesen würden, das erscheint mir ein normaler und ordentlicher Vorgang zu sein. Aber das war weit gefehlt. AIEJ Stipendiaten erhalten ihr Geld in bar! 80000 Yen, monatlich, in bar! Saitô-san, die zuständige Angestellte, spricht die Leute dann zu entsprechender Zeit an und bittet um eine Unterschrift, worauf man einen Umschlag mit dem Geld erhält, das einem zusteht. Wer hätte das gedacht? Niemand hat mich jemals darauf vorbereitet, dass es so was noch gibt. Jetzt bin ich seit mehr als zwei Wochen hier, ohne dass mir das jemand gesagt hätte, und auch in Trier hat mich niemand informiert. Aber ich kann mich auch nicht mehr erinnern, ob es in den Unterlagen zu lesen war, die ich erhalten habe. Das hätte mir auffallen müssen, aber ich erinnere mich nicht. Die entsprechenden Personen sollen das bitte nicht als Vorwurf auffassen. Ich war nur etwas fassungslos, dass Transaktionen von diesem Geldumfang in bar getätigt werden.

Dann aber fängt der Spaß so richtig an. Ich habe für meine Wohnung einen Versicherungsbetrag in Höhe von 7500 Yen gezahlt. Davon erstattet mir die Universität 2500 Yen zurück. Aber nur per Überweisung auf ein ordentliches Bankkonto! Ein Konto der Postbank, das ich für meine Nebenkostenüberweisungen eingerichtet habe, wird nicht akzeptiert. Ich will aber kein weiteres Konto eröffnen und kann durchsetzen, dass dieses Geld an Melanie überwiesen wird. Und dann kommt der nächste Scherz.

Die Regierung hat im Rahmen des Antiterrorpakets ein Gesetz erlassen, nach dem Banken keine automatischen Überweisungen (also Daueraufträge) für Personen ausführen dürfen, die weniger als sechs Monate in Japan wohnen. Das heißt, Melanie muss ihre Überweisungen „manuell“ machen, also die Rechnung zur Bank bringen und mit einem Formular das Geld überweisen. Nach sechs Monaten erst kann das Geld von den Firmen per Bankeinzug abgebucht werden. Für ein Bankkonto braucht man auch die „Alien Registration Card“ (die von Japanern vorgenommene Übersetzung für „Gaikokujin Tôroku Shômeisho“), die man erhält, wenn man als Ausländer für länger als 90 Tage in Japan lebt. Für ein Postbankkonto braucht man keine solche Karte, es könnte also damit zusammenhängen, dass die Postbank seltener akzeptiert wird. Aber die Postbank akzeptiert sofort automatische Überweisungen, ohne Wartezeit von sechs Monaten. Zum Glück akzeptieren die Gas- und Stromlieferanten die Postbank.

Später erfahre ich, dass aber die Krankenversicherung nur über eine „ordentliche“ Bank überwiesen werden kann. Na toll. Aber ich gehe mal davon aus, dass ich kein Konto dafür brauche, sondern eine Bareinzahlung tätigen kann. Zumindest habe ich die Hoffnung, dass das geht.

Am Abend gibt Melanie mir die Kundenkarte für den BeniMart, die sie unter Anleitung von Yumi, Marcs Freundin, angeschafft hat. Diese Karten tun folgendes: Zunächst einmal erhält man auf alles, was man kauft, 5 % Rabatt. Das ist nicht die Welt, aber es ist eben genau der Betrag der Konsumsteuer, die auf die Waren erhoben wird. Falls ich es noch nicht erwähnt habe, möchte ich an dieser Stelle einfügen, dass diese Steuer nicht in den aufgedruckten Warenpreis einfließt. Da stehen also z.B. 100 Yen auf dem Schild, aber an der Kasse bezahlt man dann 105. Die Kundenkarte revidiert das also. Und für jeweils 100 Yen Warenpreis erhält man einen Treuepunkt. Und einmal am Tag kann man an einen Automaten gehen und den Strichcode der Karte einlesen lassen. Daraufhin erscheinen die BeniMart Maskottchen (die „Beni-Rangers“) und man sucht einen aus, der dem Kunden eine zufällige Zahl von Punkten schenkt, im Bereich von 1 bis 5. Wenn man eine bestimmte Zahl von Punkten erkauft hat, bekommt man ein Guthaben gutgeschrieben, für das man dann umsonst einkaufen kann. Das ist nicht gerade umwerfend. Ich freue mich weit mehr über die 5 % Rabatt.1

Beni Mart

1 Nach meinem Abgang aus Hirosaki am 03. September 2004 blieb Melanie noch ein paar Tage vor Ihrer Reise nach Tokyo und lebte während dieser Zeit kostenlos von den angesammelten Punkten der vergangenen elf Monate. Die machen also durchaus Sinn.

9. Oktober 2023

Donnerstag, 09.10.2003 – Später Start

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 9:19

Heute also der erste Unterricht ab 08:40. Beim gefürchteten Yamazaki-sensei, von dem Marc wohl gehört hat, dass er tödlich langweilig sei. Aber so langweilig scheint er mir nicht. Meiner Meinung nach ein ganz sympathischer Kerl.

Yamazaki-sensei 2003

Wir starten mit Hörverstehen und simplen Kanji (verschiedene Lesungen der Zahlen). Dann aber bricht das Japanische System voll durch. Dieses hirnrissige Wiederholen von Phrasen aus der Übung im Gruppenrahmen verstößt eindeutig gegen Paragraph 1 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland. Ich fühle mich irgendwo bei „180“, wie man so schön sagt.

Dass die Chinesen allesamt besser sind als die Europäer, ist ja noch nicht einmal schlimm, weil nachvollziehbar. Und langweilig oder frustrierend ist Yamazaki auch nicht – aber er ist in pädagogischer Hinsicht voll und ganz Japaner. Nach dem Unterricht sollte man mich eine Weile nicht ansprechen. Meine Kommentare wären nicht sehr feinfühlig.

Dann ist Pause. Nach der Pause folgt die Einführungsveranstaltung für den Kurs „Kulturgeschichte von Tsugaru“. Auf dem Programm stehen Vorlesungen und Ausflüge. Das klingt doch prima. Die Dame, die die Vorlesungen zur Lokalgeschichte hält, Kitahara-sensei, ist offenbar eine Koryphäe auf dem Gebiet und beschäftigt sich außerdem mit der Geschichte der Frauen in dieser Gegend. Immerhin hat sie damit ein überschaubares Feld, weil Tsugaru erst zu Beginn des 17. Jh. besiedelt wurde.

Kitahara-sensei 2003

Nu ja. Sawada-sensei (habe ich erwähnt, dass sie gebürtige Neuseeländerin ist?) bietet uns für morgen eine interessante Gelegenheit, etwas zu erleben. Die Universität besitzt eine Abteilung für Pädagogik und Lehrerausbildung. Daher ist an die Universität ein Kindergarten, eine Grundschule und eine Mittelschule angeschlossen, wo man mit Erziehungsmethoden experimentiert. Im Prinzip eine Schule für Kinder von wohlhabenden und/oder avantgardistischen Eltern. Die zweite Klasse dieser Grundschule arbeitet an einem Projekt, in dem sie Ausländern Hirosaki vorstellen möchten, und zwar in englischer Sprache. Das muss ich erleben. Also trage ich mich in eine entsprechende Liste ein.

Des weiteren möchte ich an dem Gastfamilienprogramm teilnehmen. Wenn zuhause die Rede von solchen Dingen war, dann hatte das was mit „Homestay“ (Wohnen bei der Gastfamilie) zu tun, deshalb war ich da skeptisch. Aber dieses Programm hier ist etwas anders: „Home Visit“. Man füllt erst einmal (wie gewohnt) einen Zettel aus, auf dem man sich kurz vorstellt. Die Formulare gehen an eine Stelle, wo die entsprechenden Angaben von Gastfamilien vorliegen und man vergleicht die Daten. In etwa einem Monat ist die Zuteilung dann beendet und man kommt mit einer Gastfamilie zusammen. Dabei handelt es sich um einen lockeren Austausch. Man trifft sich dann und wann, tauscht Geschichten, Kochrezepte, Erfahrungen, usw. aus. Wenn ich schon einmal hier bin, möchte ich eine solche Gelegenheit nicht verpassen.

Am Abend, so gegen sieben, sitze ich im Ryûgakusei Center und werde kurz verwirrt. Eine ca. 150 cm große Koreanerin (sieht gut aus!) spricht mich an und fragt mich, ob ich im Kaikan (dem Internationalen Wohnheim) wohne.1 Nein, das tue ich leider nicht. Warum? Ihren Ausführungen in japanischer Sprache entnehme ich, dass sie sich fürchtet, im Dunkeln allein nach Hause zu gehen und sucht eine männliche Begleitung. Aha. Sie fragt ausgerechnet mich? Dabei sagen Leute, dass ich eher wie einer von denen aussehe, die im Dunkeln lauern… ich fühle mich geehrt. Wäre ich mit meiner Post fertig gewesen, hätte ich ihr zuliebe den Umweg gemacht, aber ich konnte sie in diesem Moment an jemand anderen verweisen, von dem ich wusste, dass er im Kaikan wohnt.

Später erzählt man mir, dass angeblich gerade Koreanerinnen ungern alleine im Dunkeln nach Hause gehen. Ich wusste nicht, dass Korea so ein übles Land ist. Die anderen Asiatinnen scheinen sich weniger Sorgen zu machen. Aber diese Angabe ist natürlich nicht repräsentativ. Die Chinesin neben mir zum Beispiel fürchtet sich nicht, wie sie sagt. Japan sei doch ein recht sicheres Land.

Ah ja?

Und dritter Dan Karate.

Ah ja!

Einige Minuten darauf treffe ich meine Nachbarn aus dem Shimoda Heights II Haus. Die sind ebenfalls aus Korea. SongMin (w), Jû (m) und noch einer (m), dessen Namen ich mir noch nicht merken kann…2 aber er sieht aus wie die asiatische Version von Thomas Stopp (dies nur für die, denen das was sagt).

Übrigens stelle ich mich gewöhnlich mit Vornamen vor, weil „Schwarz“ für Ostasiaten eine schwierige Vokabel ist. Sie brechen sich dabei die Zunge ab, wie mir scheint. Dann also lieber die einfache Silbenfolge anstatt der Konsonantenbündel.

Darüber hinaus glaube ich geringfügige Verbesserungen in meinem Japanisch festzustellen. Ich habe zwar nur eine unwesentliche Anzahl neuer Vokabeln gelernt, aber die, die ich kenne, fallen mir schneller ein.

1 MinJi. Sie wird später noch Erwähnung finden.

2 SangSu. Auch der wird einen bleibenden Eindruck hinterlassen.