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Aus dem noch unerforschten Inneren meines Schädels

4. August 2024

Montag, 02.08.2004 – Mittendrin statt nur dabei

Filed under: Japan,Musik,My Life,Uni,Zeitgeschehen — 42317 @ 13:26

Ich fahre am Morgen ins GEO und leihe mir wieder eine Reihe CDs aus. Dass ich keine Telefonnummer angegeben habe, sorgt noch immer für Verwirrung unter den Angestellten.

Leider bin ich, zurück im Center, ein bisschen spät dran und der für das Einlesen der Audio CDs benötigte Computer ist bereits von einer Chinesin besetzt, die an einem Aufsatz schreibt. Ich begnüge mich derweil mit einem anderen, aber der will nicht so, wie ich will. Ich beantworte also nur meine Post und schreibe zwei, drei Einträge ins Forum, bis der „richtige“ Rechner endlich verfügbar wird. Dummerweise wird die Zeit am Nachmittag knapp und eine der CDs kann nicht mehr eingelesen werden, also habe ich 250 Yen umsonst ausgegeben. Um 16:30 beginnen nämlich die Vorbereitungen für den heutigen Neputa Umzug, an dem auch die Universität Hirosaki (und mit ihr die Austauschstudenten) teilnehmen wird.

Wir bekommen also die dazu notwendigen Trachten ausgeteilt. Ein blauer Überwurf („Hanten“) mit „Hirosaki Daigaku“ Stickerei am Kragen und einem größeren, gleichlautenden Aufdruck auf dem Rücken, der mit einem braunen Stoffgürtel zusammengehalten wird. Für Schuhe und Hosen sind wir selbst verantwortlich, weshalb hier einige Leute mit langen Hosen rumlaufen, so z.B. Chen „Dragon“ und Arpi, der slowakische Ungar.

Arpi und Nim

Dann ziehen wir ins Schorum ein und werden erst einmal verköstigt, mit einem lauwarmen Büffet, wie man sagen könnte. Nach wenigen Augenblicken ist mir schon einmal klar, was ich auf den ersten Blick gewusst habe: Die Würstchen („Frankfurter“) schmecken furchtbar. Während alle anderen Platten bis aufs letzte Krümelchen blank geputzt werden, bleibt ein Berg von diesen Würstchen übrig. Das sonstige Angebot ist verlockend, aber ich will nicht zu viel essen. Ich will nicht mit einem vollgestopften Magen an dem Umzug teilnehmen, das macht müde und träge. Zum Essen gibt es, passend zur festlichen Gelegenheit, auch schon Bier, dem einige Leute bereits kräftig zusprechen. Vor allem SangSu macht den Eindruck, als sei er bereits nicht mehr ganz nüchtern, noch bevor die Sache richtig angefangen hat. Es werden dabei massenweise Erinnerungsfotos geschossen, und ich bitte einige der Leute darum, mir die Bilder auch zu schicken, auf denen ich abgebildet bin, aber ich habe wenig Hoffnung, dass irgendjemand meiner Bitte Folge leisten wird.

Dominik und Nan

Die gut aussehende junge Frau, mit der Kashima-sensei heute unterwegs ist, ist übrigens seine Tochter Nami. Sie ist 17 Jahre alt und gestern aus Tokyo eingetroffen – und sie wird auch bleiben. Dazu wurde die bürokratische Meisterleistung vollbracht, es ihr zu ermöglichen, die Oberschule zu wechseln. Ich habe ja die Schwierigkeiten eines solchen Verwaltungsaktes bereits erwähnt. Im Übrigen ist sie in Korea geboren und hat wegen der beruflichen Tätigkeit ihres Vaters eine Weile in den USA verbracht. Ihr Englisch sei also sehr gut, aber ihr Koreanisch absolut mies, sagt sie. Wie kann das sein, angesichts einer koreanischen Mutter? Allerdings schiebe ich die Frage auch ganz schnell wieder beiseite, da ich ja persönlich noch weitere Leute mit einem solchen Familienhintergrund kenne, deren Koreanisch mir bis zum heutigen Tag noch nicht einmal aufgefallen wäre.
Die Mutter befinde sich gerade auf einem Betriebsausflug, erzählt Kashima-sensei – nach Hawaii. Sie arbeitet bei einer Immobilienfirma in Tokyo und verdiene eine ungeheure Menge Geld, sodass sie sich nicht veranlasst sehe, ihre Arbeit aufzugeben und aufs Land nach Hirosaki zu ziehen. Auf jeden Fall würde mich interessieren, wie die Frau Mutter aussieht, nachdem mir bei der Tochter bereits die Kinnlade runtergeklappt ist und ich Kashima ganz unverblümt für seinen hübschen Nachwuchs loben musste. Eine familiäre Ähnlichkeit kann ich dem grinsenden Lehrer nämlich nicht bescheinigen.

Der eine oder andere Verantwortungsträger sagt dann auch noch ein paar Worte, und dann sind wir dran, eine improvisierte Dankesrede für das tolle vergangene Jahr in vier, fünf Sätzen zu halten. Dann geht die Sache langsam zu Ende und wir ziehen los, zum Treffpunkt, also dorthin, wo der Wagen der Universität steht. Das wäre dann die Hauptstation der hiesigen Feuerwehr. Ich gehe mit Melanie noch schnell zu Eve, weil sie auf dem Weg wohnt, um unser Gepäck dort abzustellen. Ich will keinen Rucksack von mehr als 10 kg Gewicht mit mir rumschleppen, zumindest nicht während des Umzugs. Außerdem befinden sich darin die CDs aus dem GEO, zwei Videos aus dem King Kong, mein Geldbeutel und allerhand nicht unwichtiger Kleinkram.

Eve in lockerer Stimmung

Wir finden uns schließlich alle an der Feuerwehrstation, quer gegenüber von der Uniklinik, ein. Das heißt, Eve, Melanie und ich sind die ersten, während die übrigen Ausländer erst einer nach dem anderen und schließlich in einem größeren Pulk eintreffen. Die anderen machen sich auch gleich über das kostenlose Eis her, das ausgeteilt wird, auch das Bier fließt hier in Strömen, ebenso der Sake, und es gibt bereits kleinere Trinkwettbewerbe unter Japanern. Links neben mir schüttet sich einer ein Wasserglas voll Sake in den Hals, unter dem Jubel seiner Trinkkumpane. Ich glaube, ich bleibe lieber nüchtern.

Unser Wagen, “Hirosaki Daigaku”

Irgendwann wird der Wagen dann in seine Startposition geschoben, die Zugseile befestigt und ausgerollt, und dann beginnt der Spaß. Und diese Zugseile sind nur zur Show da – zu meiner allergrößten Enttäuschung. Die großen Wagen haben nämlich Motoren, die das Gefährt mit einer Geschwindigkeit von zwei bis vier Kilometern pro Stunde vorwärtsbewegen. Man hält also nur das Seil in der Hand, wie in alten Zeiten, und läuft einfach mit – meine Güte, wie langweilig. Und dann soll man da in Stimmung kommen (was mir persönlich meistens recht schwerfällt) und die Parolen mitgrölen („YAA! YADOO!“). Unser „Antreiber“, also der mit dem Megaphon, der die Parole vorgibt, hat keine Ahnung von Takt. Dafür ist er sehr laut und sehr motiviert bei der Sache. Zwischendrin verschwindet Kuramata-sensei, der eigentlich den Anfang vom Seil festhalten soll, für eine Weile und überlässt mir die Spitze, weil er Fotos machen möchte. Das ist dann auch der Grund, warum sich meine eigenen Fotos an diesem Tag in Grenzen halten.

An den Seilen: BiRei, Weerit, dahinter Kuramata-sensei

Wir landen auch im lokalen Fernsehen. Nächstes Jahr kann man die Videos des diesjährigen Festes kaufen. Der Kameramann hält mir das Objektiv aus dreißig Zentimeter Entfernung mitten ins Gesicht, ich brülle (auf Kommando des Antreibers) „YAA! YADOO!“ in die Kamera und stoße mir den Kopf an der Linse. Der Kameramann muss mich für völlig betrunken halten. Der Kerl, der den Scheinwerfer trägt, lacht jedenfalls amüsiert.

Kuramata-sensei kommt schließlich zurück und sagt, ich solle mir die großen Trommeln weiter hinten ansehen, bzw. anhören, es sei ein echtes Erlebnis. Das lasse ich mir nicht zweimal sagen, also lasse ich das langweilige Seil sein und gehe zu den großen Taiko. Ah… das donnert und vibriert durch alle Eingeweide in einem ebenso einfachen wie eingängigen Rhythmus. Hier gefällt es mir viel besser, ich geselle mich also zu den Leuten, die derzeit diese Trommeln ziehen, das sind Chris, Izham, Misi und Alex, und lasse mich zudröhnen. Ob die Trommeln einen eigenen Motor haben oder tatsächlich gezogen werden, kann ich nicht genau sagen. Das Gerät braucht auf jeden Fall Lenkung und die meiste Zeit über habe ich das Gefühl, dass ich der einzige bin, der den Wagen daran hindert, von der Straße herunter gegen verschiedene Laternenpfosten zu rollen. Und diese Lenkmanöver sind nicht ganz ohne, bedenkt man das Gewicht des Wagens. Kurz darauf schwitze ich aus allen Poren. Aber das ist ja, was ich wollte. Jetzt macht die Angelegenheit erst so richtig Spaß, und der Sound macht alle Strapazen wieder wett.

Ich finde auf der Strecke eine Flöte in einer Stoffhülle. Alex meint, dass ich mir doch ein ganz tolles Souvenir gefunden hätte, aber das muss ich verneinen. Ich habe die Flöte, bzw. die Stoffhülle, nämlich heute schon mehrfach gesehen und ich weiß, zumindest optisch, wem sie gehört. Etwa eine Minute darauf hat die kleine Besitzerin den Verlust auch bemerkt und kommt in ihrem himmelblauen Kimono die Straße zurückgelaufen. Ich winke ihr zu, was sie zwar bemerkt, aber im ersten Moment ignoriert, weil ihr noch nicht klar ist, womit ich winke. Das gelingt ihr erst im zweiten Hinsehen. „Du hast Dein Instrument verloren!“ rufe ich ihr zu. Dann fange ich mir erst einmal den üblichen Blick ein („Der will mich bestimmt fressen…“), aber sie nimmt die Flöte an und bedankt sich leise.

Zorori ist auch dabei

Wir schieben schließlich alle unsere Wagen auf den Universitätscampus, und damit wäre der offizielle Teil dann beendet. Ein organisiertes Besäufnis hinterher gibt es nicht, was mich eingedenk japanischen Brauchtums doch ein bisschen wundert. Stattdessen gibt es kaltes Wasser, „Yakult“ Yoghurt-Drinks und Tüten mit Süßigkeiten, die mich nicht interessieren und aussehen wie ein Chemieunfall bei BASF. Ich trinke stattdessen eine Menge Wasser in kleinen Schlucken. Große Schlucke sind mit den Schöpfkellen aus Holz auch schwer zu bewerkstelligen.
Es kommt der Plan auf, nach Nishihiro zum Trinken zu fahren, zusammen mit „den üblichen Verdächtigen“, darunter auch Mitglieder von „KIWA American“. Ich lerne bei dieser Gelegenheit Hidaka Ippei kennen, und er ist wohl der erste japanische Student (soll heißen: „der erste studierende Mann“, weil ich ja bereits eine Menge sympathischer studierender Frauen getroffen habe), der mir wirklich sympathisch ist. Ist natürlich ganz toll, dass ich diese Leute erst kennen lerne, wenn ich quasi schon beim Zusammenpacken für die Heimreise bin!
Okay, also hängt Nishihiro im Raum. Die andere Hälfte der (planerisch aktiven) Anwesenden spricht sich dagegen dafür aus, einfach eine Fuhre Getränke und Snacks im Konbini zu besorgen und vor der Bibliothek ein geselliges Beisammensein zu veranstalten, weil die frische Luft ja was für sich habe. Mir ist das völlig egal. Der Entscheidungsprozess dauert scheinbar ewig und nimmt eine Viertelstunde in Anspruch. Das wäre auch schneller gegangen, aber was uns (immer noch) fehlt, ist ein charismatischer Anführer, der die Entscheidung auf sich nimmt und sagt: „Wir machen das jetzt so…“.
Schließlich setzt sich die Freiluft-Idee durch und die Masse der Leute verschwindet in Richtung Konbini. Da ich bereits was zu trinken bei mir habe, fahre ich auf den Platz vor der Mensa und fahre dort im Kreis, bis alle wieder zurück sind. Es wird auch ganz lustig, und der alkoholisierte SangSu redet wieder wie ein Wasserfall. Ich kann seinem verwirrten Redefluss nicht wirklich folgen; es geht ihm wohl um japanische Phonologie und die Angewohnheit von Jugendlichen, Sätze mit dem semantisch sinnlosen Füllwort „saa“ zu beenden, das sich auch hinter jedem Satzteil und hinter jedem Hauptwort beliebig einsetzen lässt, wenn ich meiner eigenen Erfahrung trauen darf.[1]

Wir sind auf dem Gelände nicht allein. Ich will es erst nicht recht glauben, aber um das Gebäude neben uns spielt eine Gruppe von einem halben Dutzend StudentInnen Verstecken. Dabei dachte ich eigentlich, man sei mit etwa 20 Jahren wirklich zu alt dafür, aber die Teilnehmer haben einen kindhaften Spaß daran, also sei es ihnen gegönnt.

Um 23:15 fahre ich dann zum GEO, um meine CDs zurückzugeben, bevor der Kalendertag vorüber ist. Von der Uni über King Kong in Nakano bis zum GEO dauert es mit dem Fahrrad nur 20 Minuten. Danach komme ich wieder zurück, aber nur noch, um zu erleben, dass SangSu inzwischen völlig hin ist und nervtötende Ambitionen zeigt, anderen was von seinem Bier abzugeben. Er schüttet was in Melanies leere Getränkedose und auch etwas in meine leere PET-Flasche (was jedoch dezent im Rasen landet). Er trinkt den Rest dann aus seiner eigenen Dose, schüttet sich noch ein paar Tropfen auf den Kopf und wiederholt dasselbe mit Melanie, die ihm dafür eine scheuert, weil sie das gar nicht lustig findet. Sie ist auch nicht begeistert davon, dass wir ihn in seinem Zustand wieder mal nach Hause bringen müssen.
SangSu aber will sich scheinbar nicht nach Hause bringen lassen. Während Melanie sich noch verabschiedet und unseren Müll einsammelt, setzt er sich auf sein Fahrrad und biegt um die nächste Ecke in Richtung Mensa. Da man ihn in dem Zustand nicht alleine lassen sollte, folgen wir ihm, sobald der Müll im Fahrradkorb verstaut ist. Aber SangSu ist verschwunden. Er muss zwar direkt vor Irenas Nase vorbeigefahren sein, aber die hat ihn nicht bemerkt, weil sie so sehr ins Gespräch mit einem der Koreaner vertieft war. (Gerüchte behaupten, die beiden seien vor SangSus Rausch aus unserem Kreis geflohen, um hier vor der Mensa Zuflucht zu finden.) Da SangSu verschwunden ist, fahren wir nach Hause. Ich habe nichts dagegen, ihn nach Hause zu bringen, wenn er für seine Verkehrssicherheit nicht mehr alleine sorgen kann, aber ich gehe ihn nicht auch noch suchen, wenn er einfach verschwindet, so lange er noch alleine gehen kann.


[1]   Wenn man jemandem eine Frage stellt und die Person antwortet nur „Saa…“, dann bedeutet das in der Regel „Ich weiß nicht“ oder „Ich bin nicht sicher“.

30. Juli 2024

Freitag, 30.07.2004 – Der letzte Tag

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

Heute ist der letzte Unterrichtstag, den ich vorerst in Japan haben werde. Ich stehe um 06:30 auf – weniger, weil ich das so will, als eher wegen der unbarmherzigen Morgensonne, die uns mit aller Kraft aus dem Schlafraum schmeißt. Das Licht finde ich nicht einmal so extrem, aber die Hitze ist um diese Uhrzeit bereits unerträglich. Man steht auf und schwitzt bereits. Duschen erscheint irgendwie überflüssig, weil man nur was anzuziehen braucht, um wieder in Schweiß auszubrechen.

Und gerade gibt wieder einer dieser billigen Kugelschreiber seinen Geist auf. Warum bloß? Die Mine ist noch halb voll! Was soll dieser Unsinn? Das Schriftbild verblasst völlig… ich nehme einen aus meiner Sammlung gefundener Schreiber.

Wir absolvieren dann also unsere letzte Unterrichtsstunde – bei Yamazaki, weil heute planmäßig nämlich nicht Freitag, sondern Montag ist. Der asiatische Teil der Klasse ist komplett anwesend, was mich ein wenig wundert, wenn ich an die letzte Stunde vor den Winterferien denke. Nur Valérie und Eve sind abwesend. Yamazaki hat sich schwer ins Zeug gelegt und gibt uns heute die Klausur vom Mittwoch zurück. Das Ergebnis ist das übliche, also nicht so schlecht, wie ich vermutet hatte. Aber dann beendet er den Unterricht eine halbe Stunde vor der Zeit. Es ist auch nichts mehr zu tun.

Ich gehe ins Center und verschiebe – endlich – ein paar Blocks meiner Daten, nebenher übertrage ich meine neu gekauften CDs ins MP3 Format, bis auf die „X-Box“, die ich nicht auszupacken wage. Das hält mich dann wieder ein paar Stunden auf, während denen ich Mei beim Sticken zusehe und BiRei etwas aufheitere, während sie eher unmotiviert mit ihren Hausarbeiten beschäftigt ist.
Währenddessen kommt MunJu vorbei. Ihre Gastmutter ist Lehrerin an einer Mittelschule, die für heute ein Schulfest angesetzt hat, und ich habe bereits vor einigen Wochen versprochen, etwas für das Fest zu kochen – das heißt, die Zubereitung soll vorgeführt werden, also ohne sichere Vorbereitung am heimischen Herd! Aber das Schulfest falle leider aus, sagt sie – einer der Schüler sei gestern beim Baden in einem örtlichen Fluss ertrunken. Da feiert man nicht am Tag darauf ein Fest.
Dann wechsele ich in die Bibliothek und schreibe einen Newsletter von fünf Seiten. Das braucht natürlich Zeit und ich bekomme einen höllischen Durst. Ich hole mir was aus dem Automaten in der Mensa, weil ich keine Motivation verspüre, bei dieser Hitze in den Supermarkt zu gehen, und 1,5 Liter oder mehr wären mir gerade auch zu viel.

Bis ich mit allem fertig bin, ist es Neun und ich verpasse ganz eindeutig gerade den Anfang von dem neuen „Lupin III.“ Film, der heute Abend im Fernsehen läuft. Während ich aufbreche, treffen sich Baqr, Misi, Irena, Mélanie und die beiden Chilenen gerade vor dem Hauptgebäude, um zum Karaoke zu gehen. Misi fragt, ob ich nicht mitwolle. Das muss ich leider ablehnen, weil ich Karaoke überhaupt nicht mag und ich sowieso zu spät dran bin. Die Verspätung hindert mich allerdings zugegebenermaßen nicht daran, an der Oden-Bude Halt zu machen und mir einen Oden-Spieß zu genehmigen. Währenddessen fährt der Karaoke-Haufen an mir vorbei und ich treffe die Leute dann vor dem King Kong wieder. Dort bemerkt Misi erstmals, dass ich ein „neues“ Fahrrad verwende und reagiert entsprechend ungläubig. In Sachen Gangschaltung und Federung habe ich ihn diesmal eindeutig geschlagen.

Zuhause stelle ich die Melone, die wir von Jin Eiko erhalten haben, erstmals in den Kühlschrank, weil endlich genug Platz darin ist. Den Salatkopf werfe ich weg. Der sieht inzwischen so traurig aus, dass ich ihn eigentlich nicht mehr essen möchte. Lupin wird währenddessen aufgezeichnet, ich werde es mir bei Gelegenheit ansehen. Dann fange ich an, meine Artbooks zu verpacken. Ich stelle zwei Pakete von jeweils knapp 5 kg zusammen, und ich werde womöglich noch zwei weitere brauchen. Am Montag gibt es ja wieder einen Satz Geld, also wird es finanziell wohl hinhauen.

28. Juli 2024

Mittwoch, 28.07.2004 – Der (zweite) längste Tag!

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

Heute sind also gleich drei Klausuren fällig… zwei für Japanisch und eine bei Dr. Hugosson. Es sind auch die einzigen, die ich überhaupt schreiben muss, von daher sollte ich mich nicht zu laut beschweren. Kondô-sensei hat ja nur regelmäßige Anwesenheit und ein Referat erwartet, und das gleiche gilt für Kuramata-sensei, der eben einen reisrelevanten Vortrag haben wollte und das Thesenpapier dazu. Yamazaki-sensei gab sich in seinem Essay-Kurs mit der Masse an Hausaufgaben als Leistungskontrolle zufrieden, die wir im Laufe des Semesters verfassen mussten. Ich will wahrscheinlich gar nicht wissen, was bei diesen Japanischklausuren herausgekommen ist… die eine Hälfte der Aufgaben ist schrecklich leicht, die andere Hälfte sagt mir überhaupt nichts.

Kondô-sensei tut daraufhin in seiner Unterrichtszeit was sehr entspannendes und lädt uns alle ins Schorum ein, wo es ja „All you can drink“ für 200 Yen gibt. Also Saft, Tee und Kaffee, so viel man trinken kann oder will, und das mit Klimaanlage. Wir haben sogar Glück und bekommen einen Tisch, an den auch sechs Leute passen, was zur Mittagszeit keineswegs üblich ist. Ich sehe Yuan an einem der anderen Tische sitzen und schließe aus ihrer Gesellschaft (drei Leute im Studentenalter und ein älterer Herr), dass wohl auch andere Lehrkräfte die gleiche Idee hatten.
Wir selbst machen nichts weiter kompliziertes, als uns gegenseitig Abschnitte aus einem Buch vorzulesen, das sich zweisprachig mit internen Phänomenen japanischer Betriebe auseinandersetzt, also mit Themen wie „Mobbing“ und „Sexuelle Belästigung“, aber auch positive Dinge, wie „Hochzeiten am Arbeitsplatz“. Uninteressant ist das nicht, aber ich finde nicht viel, was sehr Japan-spezifisch wäre.
Ein Punkt ist es bestimmt: Das Beispiel schildert den Fall eines mittleren Angestellten, der in eine Filiale am anderen Ende Japans versetzt wird. Das vorgestellte Problem dabei ist das aktuelle Schulsystem. Wenn dieser Angestellte ein Kind hat, das eine Oberschule besucht, wird er wahrscheinlich getrennt von seiner Familie leben müssen, weil Oberschulen nicht in die Pflichtschulzeit fallen und die Schulen mitten im Schuljahr, anders als die Pflichtschulen, keine neuen Schüler akzeptieren. Auch der Wechsel zwischen zwei Schuljahren gestaltet sich als ein bürokratischer Gewaltakt.
Sehr interessant fand ich das Kapitel „Unterhaltung potentieller Kunden und Geschäftspartner“. Das heißt, man lädt Leute, mit denen man Geschäfte machen möchte, in ein edles Restaurant, einen Host-Club oder zum Golf ein. Kondô-sensei erzählt, dass auch er in seiner Funktion als Generalverwalter der Mitsubishi Bank zu einem „zwanglosen Essen“ eingeladen worden sei, um „eventuelle Investitionen“ der Bank zu besprechen. Und am Ende überreichte ihm der Gastgeber ein kleines Paket und sagte: „Bitte nehmen sie diese Biskuits für ihre Frau Gemahlin an.“ (Ich versuche, auf diese Art und Weise höfliches Japanisch zu übersetzen.) Dass sich unter den Keksen ein Umschlag mit 50.000 Yen befand, merkte er dann erst zuhause.
„Warum so wenig?“ will ich wissen. Man kann doch einen Mann in einer derart hohen Position nicht mit solchen „Peanuts“ locken, oder? Kondô erklärt, dass eine zu hohe Summe den Empfänger abschrecken könnte, von daher gebe man ihm hin und wieder kleine Summen (ohne das genauer zu definieren), die aber für gewöhnlich nicht so klein seien, um völlig uninteressant zu sein. Natürlich habe er das Geld zurückgegeben, sagt er.

Und dann gehen wir zu Hugosson rüber und schreiben eine so genannte Klausur. Und die ist deshalb nur „so genannt“, weil wir erstens unsere Unterlagen verwenden dürfen, die jedoch völlig überflüssig sind, weil wir zweitens als Beantwortung der drei Aufgaben lediglich unsere Meinung zu den drei behandelten Großthemen abgeben sollen. Wenn man regelmäßig im Unterricht war, ist das kein Problem, weil man dann die Begriffe kennt, die man für einen halbwegs kompetent klingenden Kommentar braucht. Das einzige Problem ist, dass die Ränder der Seiten ständig durchweichen, weil sich auf dem Tisch wieder einmal Schweißpfützen bilden.
Während wir schreiben, korrigiert er Hausarbeiten aus seinem Englischkurs. Und nachdem ich fertig bin, zeigt er mir welche davon. Auffällig ist gleich das unerwartet gute Englisch, und er zeigt mir auch den Grund dafür: Die betreffende Hausarbeit wurde 1:1 von einer Seite im Internet kopiert. Da die Quellenangabe fehlt, ist das eine glatte Null wegen Plagiarismus. Mein Gott, der Autor hätte die Sätze wenigstens umformulieren können. Ich bin ja selbst nicht gefeit gegen die Versuchungen des Abschreibens, aber für gewöhnlich nehme ich dafür Texte aus einer Sprache, die ich für meine zu schreibende Klausur erst einmal übersetze. Das verhindert zumindest, dass man den Satz nur in eine Suchmaschine eingeben muss, um mich zu überführen. Aber mittlerweile ist mir auch klar, dass gegen das Abschreiben wenig spricht, solange man eine Quellenangabe anhängt.

Aber dann ist der Mist heute endgültig gelaufen. Ich verziehe mich ins Center, wo ich gegen Sieben als letzter hinauskomplimentiert werde. Ich verlege in die Bibliothek. Ich habe meine Post heute noch nicht angesehen und im Forum will ich natürlich auch noch kurz vorbeischauen. Es wird etwa 22:00, bis ich nach Hause komme. Ich bin gerade noch zur Öffnungszeit (bis 21:45) in den Beny Mart gekommen und stelle fest, dass Aquarius derzeit nur 150 Yen die Flasche kostet – ich kaufe also auf Vorrat.

27. Juli 2024

Dienstag, 27.07.2004 – Formalitäten!

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

Unser Nachbar von gegenüber hat eine echte Begabung dafür, uns am frühesten Morgen zu wecken. Allerdings tut er das ausnahmsweise nicht mittels einer Autowäsche. Sein uns bislang bekannter Hund ist offenbar tot oder sonst irgendwie verschwunden und auch gleich durch einen kleinen Welpen ersetzt worden. Und der junge Hund begrüßt ab 04:00 den neuen Tag, indem er bellt und winselt und sonst allerlei Geräusche macht, als werde er gerade geschlachtet. Dieser Vorgang zieht sich hin bis um 07:00, also über drei Stunden, während denen es bestenfalls möglich ist, in einen flachen Schlaf von ein paar Minuten zu fallen, bevor man wieder geweckt wird. Ich stehe also reichlich früh auf und schreibe an meinem Tagebuch. Melanie macht die erste Unterrichtsstunde blau, indem sie die ganze Zeit über hinter mir sitzt und „Der Gefangene von Azkaban“ liest.

Vor dem Unterricht gehe ich noch schnell meine Post durch und sehe mich einem organisatorischen Problem in Trier gegenüber. Ich muss darauf hoffen, durch Mithilfe von „Agenten“ in Trier einen Platz im Phonetikkurs von Ms. Oakeshott zu bekommen, um nicht ein weiteres Semester in der Anglistik damit zu verlieren. In Trier hat man es sich in der Anglistik ja offenbar einfallen lassen, die Kurseinschreibungen am Ende des Semesters vorzunehmen, und das unter Abschaffung der Bevorzugung höherer Semester. Am Dienstag bin ich allerdings noch nicht wieder in Trier und kann mich dem entsprechend auch nicht selbst einschreiben. Ich habe Sebastian darum gebeten und er hat nörgelnd zugestimmt, das alte Waschweib. Allerdings schockt er mich auch gleichzeitig mit der Mitteilung, dass man eine Immatrikulationsbescheinigung vorzeigen muss, um seinen Namen auf die Liste setzen zu können. Wenn ich das recht verstehe, setzt das voraus, dass man die Bescheinigung für das kommende Semester bereits hat, in dem der Kurs stattfinden soll, oder wie sehe ich das? Ich schreibe an Bill Argent, aber der kann mir nicht viel weiterhelfen, also bin ich auf das Wohlwollen der ewig gestressten und frustriert aussehenden Angela Oakeshott angewiesen, die zu E-Mails ein Verhältnis hat wie ein Asket zum Schweinebraten… na Mahlzeit. Trotzdem schreibe ich ihr ein paar erklärende Zeilen. Besser, dass sie es später liest als gar nicht. Man kann mir immerhin nicht vorwerfen, dass ich es nicht versucht hätte.

Kondô-sensei stellt uns heute als den letzten Vortragenden unserer Unterrichtsreihe einen weiteren Herrn Shibutani vor, der allerdings nur zufällig ebenso wie der beleibte Shamisenspieler vor wenigen Wochen heißt. Der heutige Shibutani ist Kaufmann und der aktuelle Vorsitzende der Junioren-Handelskammer, er handelt mit allem möglichen Tee und den Requisiten, die man in Japan dafür so braucht, inklusive des Materials für Sadô, Teezeremonien. Er war übrigens letzte Woche dabei, als wir den Salon besucht haben. Die Besitzerin ist eine Bekannte von ihm und er hat sich bereit erklärt, die Hälfte von uns mit seinem Wagen dorthin zu bringen. Beeindruckenderweise zeigt er heute gleich eingangs auf SungYi und sagt „Sie waren letzte Woche nicht dabei, richtig?“, womit er tatsächlich richtig liegt. Das finde ich beachtlich. Ich glaube nicht, dass ich in der Lage wäre, aus einer zwölfköpfigen Schar von mir völlig unbekannten Leuten, die ich nur einmal gesehen habe, nach einer Woche auf Anhieb den rauszupicken, den ich noch nicht gesehen habe.
Das ist dann aber auch schon ein großer Teil von dem, was ich verstanden habe von dem, was er tatsächlich sagt. Er spricht zwar sehr deutlich, aber ich kann in dieser brütenden Hitze meine Konzentration nicht lange genug aufrecht erhalten, um einem Vortrag von dreißig Minuten zu in japanischer Sprache zu folgen. Ich wage ja kaum, den Tisch zu berühren, auf dem ich normalerweise meine Arme ablege, denn wenn ich das mache, bilden sich binnen einer Minute richtige Pfützen auf der Tischoberfläche. Halte ich die Arme dagegen zu nah am Körper, nässt das T-Shirt durch. Shibutani-san war so schlau, sich ein Handtuch mitzubringen. In seinem Anzug ist ihm garantiert noch wärmer als uns.
Quasi zur Entspannung mache ich während des Vortrags ein Foto von FanFan, weil sie in den letzten Tagen mit zwei kurzen Zöpfen rumlauft, um den Nacken frei zu haben, und sie sieht so noch mehr zum Knuddeln aus als sonst. Ich hätte auch gerne ein Bild von MinJi gemacht, weil sie nämlich ständig einnickt und in der kurzen Phase, bevor ihr Kopf einen Ruck nach unten macht, ein äußerst „intelligentes“ Gesicht zur Schau trägt. Aber leider sind die Köpfe von Nun und FanFan die ganze Zeit im Weg und ich kann keinen passenden Moment erwischen.

v.l.n.r. SungYi, FanFan, Nun

Shibutani muss um 15:00 bereits wieder weg, weil er offenbar eine Verabredung mit Verantwortlichen der Universität hat. Kondô-sensei beendet also den Unterricht, ich gehe ins Center und bearbeite meine Post zu Ende, bevor ich in die Bibliothek wechsele und weiter an meinem Newsletter schreibe. Meine Güte, Zeit ist rar dieser Tage, und ich will nicht einmal behaupten, dass das an verstärkten Lernbemühungen liegen würde.

Ich finde im Forum einen Link zu einem weiteren IQ-Test, der leider einfacher gestrickt ist als der bei „TheSpark“, und auch der „attestiert“ mir einen IQ von 126, womit er sich mit allen anderen deckt, die ich ebenfalls gemacht habe. Außerdem sagt die Endauswertung, ich sei ein „Word Warrior“, ein „Wortkrieger“, redegewandt, diskussionsfreudig und in der Lage, komplexe Satzstrukturen zu erkennen und zu verstehen. Sei das nun wahr oder nicht, mir gefällt das Wort. Sogar besser als Kais Vorschlag, der auf „BookMaster“ lautete, als CB-Funk noch ein Thema war.

26. Juli 2024

Montag, 26.07.2004 – Wie sag ich’s meinem Professor?

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

Ich nutze den frühen Morgen, um mein Tagebuch zu aktualisieren und mir im Anschluss meine Grammatiklektionen anzusehen. Am Mittwoch werden gleich drei Klausuren geschrieben, und ich finde das etwas stark. Dafür sind es aber auch die einzigen Klausuren, die ich zu schreiben habe. Eine bei Dr. Hugosson, über die ich mir wenig Gedanken machen muss, weil ich regelmäßig den Unterricht besucht habe, und zwei Vokabel-Kanji-Grammatik-Klausuren bei Ogasawara- und Yamazaki-sensei.

Nach dem Unterricht brauche ich eine Pause. Aber nachdem ich dann innerhalb einer Stunde die dritte Partie „StarCraft“ gegen den Computer schmählich verloren habe, suche ich mir andere Unterhaltungsmöglichkeiten. Ich finde aber keine. Also kann ich mich wieder der „Nicht-Pause“ zuwenden.
Ich stelle fest, dass der Computer, auf dem der Hauptanteil meiner Daten lagert, immer mehr Macken zeigt, und ich fürchte, dass er in nicht allzu langer Zeit zusammenbrechen wird. Ich muss dringend meine Daten auf einen XP-Rechner transferieren und auf CD brennen, sonst könnte ich mir einige Mühe umsonst gemacht haben. Natürlich sind derzeit alle XP-Rechner auf längere Dauer besetzt. Ich hoffe, dass das nach Beginn der Semesterferien abflaut und dass der Computer so lange aushält.
Ich gehe also in die Bibliothek (wow, freie Plätze!), versende meine Post und schreibe meine Kommentare ins Forum, dann verfasse ich die beiden Berichte für Hugosson. Ich bin davon abgegangen, sie trocken-objektiv zu schreiben, weil mich der Verdacht überkommen hat, dass Hugosson in der Tat Meinungen und keine minutiösen Protokolle haben will. Überhaupt mag ich persönlich keine trockenen Aufsätze. Also schreibe ich meine subjektiven Eindrücke von der jeweiligen Angelegenheit und hoffe, dass es ihm zur Zufriedenheit gereicht. (Solche Satzkonstruktionen gewöhnt man sich an, wenn man bei den „falschen“ Leuten Lateinunterricht genommen hat.)

Neuerdings sitzt mir aber auch Prof. Fuhrt im Nacken, der einen Bericht über die Entwicklung meines Forschungsvorhabens haben will, wenn ich ihn Recht verstehe, um diesen dann an höhere Stellen weiterzureichen. Ich habe bisher allerdings nur ein paar Artikel aus dem online Lexikon für BW-Slang ins Japanische übersetzt – für alles Weitere fehlte mir schlicht die Zeit. Fünfzig Kanji pro Woche in den Kopf zu bekommen, ist kein Zuckerschlecken, und hin und wieder sollte man in die Grammatik schauen, um nicht den Faden zu verlieren. Gut, ich hätte mehr Zeit machen können, aber Freizeit ist mir wichtig, vor allem hier in Japan, wo ich so schnell nicht noch einmal hinkommen werde. Aber auch hier verbringe ich viel von meiner Freizeit mit meinem Newsletter. Ich arbeite nicht effektiv genug, um alles unter einen Hut zu bringen, das ist mir sehr wohl bewusst. Was soll ich jetzt also in den Bericht schreiben? Mir wird schon was einfallen… ich bin nicht umsonst der „Word Warrior“.
Ich glaube, das wird meine nächste E-Mail-Adresse. Der ganze Spam in meinen existierenden GMX Postfächern geht mir so langsam zu sehr auf die Nerven. Aber für heute habe ich erst mal genug Berichte geschrieben.

Kurz nach Anbruch der Dunkelheit entlädt sich ein Gewitter über Hirosaki und ich sehe zu, dass ich unter einem Dach bin. Ich wähle den 11. Stock des Landwirtschaftsgebäudes und betrachte die wirklich beeindruckenden Blitze. Sehr dick und lang, zum Teil mit mehreren Ästen. Das habe ich bereits seit Jahren nicht mehr gesehen. Dabei ist das Gewitter circa 10 km entfernt, wenn ich die etwa 30 Sekunden Pause zwischen Blitz und Donner richtig interpretiere. Der Regen hört schließlich weitgehend auf, also fahre ich Richtung Heimat und zum Einkaufen. Als ich den Beny Mart verlasse, gießt es dagegen wieder in Strömen. Ich habe es nicht weit bis nach Hause, aber es reicht, um bis auf die Knochen nass zu werden. Immerhin hat der Regen eine angenehme Temperatur.

24. Juli 2024

Samstag, 24.07.2004 – „Normal“ ist ein subjektiver Begriff

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 15:12

Heute schlägt das Wetter so richtig zu – das Thermometer klettert auf die diesjährige Rekordmarke von 30 Grad Celsius. Und morgen soll sich das noch steigern. Meine Güte, man vergeht hier vor Hitze. Ich weiß auch, dass ich in Deutschland schon heißere Tage erlebt habe, aber die Luftfeuchtigkeit hier haut mich beinahe aus den Latschen.

Ich schlage mir den Tag in der Bibliothek um die Ohren, wo ich ausnahmsweise auf Anhieb einen Platz gefunden habe, während Melanie zusammen mit ihrem Kultur-Seminar irgendein Kraut ernten geht, mit dem man Stoffe indigoblau färben kann. Die Färberei gehört im Anschluss auch mit dazu und Melanie holt sich hübsch blaue Ränder um die Fingernägel, die aussehen wie ungesunde Blutergüsse; als hätte jemand mit einem Hammer drauf geschlagen. Das Tuch, das sie gefärbt hat, wird hinterher allerdings nicht tiefblau, sondern eher olivgrün… was ist da wohl schief gegangen? Würde mich natürlich interessieren, wie sich die Tücher der anderen so verhalten haben.

Ich mache heute insgesamt wohl kaum sehr sinnvolle Dinge, und das Forum bietet heute ein paar interessante Diskussionsmöglichkeiten. Außerdem stelle ich fest, dass der DivX-Player, der sich ja bedingt auf dem Unisystem installieren lässt, seinen Dienst nicht mehr verrichtet. Ich versuche es mit einem Update, und seitdem geht gar nichts mehr. Bei der ersten Installation vor einem halben Jahr habe ich noch ein dutzend Male auf „Fehler ignorieren“ gedrückt und die Filme liefen trotzdem. Jetzt erhalte ich keine Fehlermeldungen mehr, aber das Programm läuft nicht. Also kann ich vorerst keine Filme mehr sehen.

Zum Abendessen kaufe ich Pizza, weil mir gerade danach ist. Die „Half & Half“ Pizza ist gar nicht schlecht, eine Hälfte Thunfisch, eine Hälfte Salami, und ist geschmacklich die beste, die ich in Japan bisher gegessen habe. Ich kaufe noch Extra-Käse dafür. Dabei fällt mir auf, dass man sich auch an japanische Preise gewöhnt, wenn man nur lange genug vor Ort ist. In Deutschland würde ich jedem, der mir eine Pizza aus dem Tiefkühlfach für 3,00 E verkaufen will, den Vogel zeigen, und umgerechnet 4,00 E für 450 Gramm geraspelten Käse würde ich zuhause auch ein starkes Stück nennen.

23. Juli 2024

Freitag, 23.07.2004 – Sie waren sieben…

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

Da mein Referat für heute bereits fertig ist, verbringe ich meine Zeit im Center mit der „Pflege“ meines Postfachs. Ab 12:30 können wir dann für das „Reisseminar“ unsere Handouts kopieren und um 12:40 mit den Kurzvorträgen loslegen. Da wie üblich keiner der erste sein will, mache ich den Vorschlag, ganz einfach ganz links oder ganz rechts anzufangen und die Reihe durchzugehen. Melanie sitzt ganz links und beginnt. Ihre Schwierigkeiten bei der Aussprache des englischen Begriffs „Subsidies“ konnten im Vorhinein zwar nicht gelöst werden, aber dennoch ist es ein solider Vortrag für die Leistungsebene, in der wir uns in diesem Seminar bewegen.
Dann bin ich dran und rede nicht über Reis im Sinne eines Nahrungsmittels, sondern über „Rice“ als Begriff im amerikanischen Englisch und was man daraus machen kann. Schon mal den Begriff „Riced Car“ gehört? Ich auch nicht. Auf Deutsch würde man wohl sagten „Aufgemotzte Karre“, ein Auto mit vielen optischen Extras, die einen aggressiven, sportlichen Look ausmachen sollen. „Spanish Rice“ wäre das genaue Gegenteil – eine alte Schrottkiste, die in Deutschland nie über den TUV käme, aber in den USA in ärmeren Gebieten anzutreffen ist, oft gefahren von Leuten lateinamerikanischer Herkunft, die sich nichts Besseres leisten können. Ich erreiche den gewünschten Unterhaltungseffekt und bleibe von Fragen verschont.
Die übrigen Vorträge halten sich in einem vernünftigen und ernsthaften Rahmen. Interessant fand ich auf jeden Fall, dass die thailändische Version von „Hallo, wie geht’s?“ auf „Heute schon Reis gegessen?“ lautet. Aber angeblich sagt man in Osaka unter Geschäftsleuten ja auch „Heute schon Geld verdient?“

Ogasawara-sensei hat zum Semesterende den Plan gefasst, einen Film vorzuführen. Natürlich nicht, ohne vorher den Unterrichtsstoff zu Ende zu behandeln, was angesichts der Restzeit ihr Vorhaben reichlich obsolet erscheinen lässt. Sie hat „Shall we dance?“ ausgesucht. Es handelt sich dabei um einen Tanzfilm der japanischen Art und ich möchte betonen, dass es sich dabei um ein japanisches Original handelt – der Film mit Richard Geere ist die Kopie. Ein (verheirateter) Geschäftsmann sieht aus seiner S-Bahn heraus eine melancholisch und geheimnisvoll anmutende Frau am Fenster einer Tanzschule stehen und nimmt fortan Tanzunterricht – mit sehr zaghaften und lustigen, wenn auch klischeehaften, Anfängen. Es sind ein paar bekannte Gesichter in dem Film zu sehen, aber erst Takenaka Naoto macht die Angelegenheit so richtig interessant. Könnte die beste Rolle sein, in der ich ihn seit langem (ähem, im Laufe des vergangenen Jahres…) gesehen habe. Aber die Zeit ist leider knapp, wie ich bereits angedeutet habe, und wir bekommen vielleicht etwas mehr als eine halbe Stunde zu sehen, bevor die Unterrichtszeit um ist. Ich bleibe noch ein paar Minuten länger, muss dann aber auch gehen, weil ich erstens noch in mein Postfach sehen möchte und zweitens habe ich heute eine größere Verabredung.

Ich habe bereits letzten Monat für heute ein Tabehôdai im MooMoo angekündigt und warte ab 17:00 dort vor der Tür voller Spannung, wer letztendlich denn wohl kommt. Und in dieser Situation, während ich noch mit meiner Post zu Gange bin, eröffnet mir Valérie, dass in der Nähe der Shimoda Heights I (also dort, wo sie und Irena und Misi wohnen) eine Grillparty stattfinde, wo sich auch eine größere Anzahl der Studenten einfinden werde. Ah, deshalb ist die Zahl der Zusagen mal wieder so gering. Aber vielleicht war die Ankündigungszeit auch zu lang, und außerdem bin ich nicht der geborene Propagandist. Valérie und Misi z.B. pflegen ja viel engere Kontakte zu Austauschstudenten als ich, und von daher könnte meine Ansage schlicht vergessen worden sein. Ach, was soll’s, ich stelle mich einfach mal da hin und warte, wer kommt, und wenn es zu wenige sind (weniger als fünf Personen), dann können wir ja immer noch zur Party gehen.
Schließlich kommen dann Mei, BiRei, Yukiyo, SangSu, Shin und Melanie. Wir sind also zu siebt… eine direkt schicksalhaft anmutende Zahl. Wir beschließen, dennoch zum Yakiniku-Tabehôdai zu gehen und auf die anderen zu pfeifen. Dann stopfen wir uns eben im kleinen Rahmen voll. Shin quengelt zwar, dass keiner der anderen Chinesen da ist, mit denen er sonst immer Kontakt pflegt (ob ihm überhaupt klar ist, dass Mei und BiRei ebenfalls chinesische Staatsbürger sind, weiß ich nicht), aber ich überrede ihn, sich uns dennoch anzuschließen. Er soll ja essen, nicht reden. Der Laden ist weitgehend leer, wie um diese frühe Zeit zu erwarten, bis auf eine Fünfergruppe Schülerinnen, die während unserer Wartezeit bereits hineingegangen war. Wir haben also freie Tischauswahl. Einer natürlichen Regung folgend, suche ich einen Tisch mit Stühlen aus.

Der Spaß geht bereits bei der Getränkeauswahl los. Wir werden uns schnell einig, 200 Yen draufzulegen und ein Softdrink-Nomihôdai einzuschließen – wenn auch nicht einstimmig. Shin weiß entweder nicht, was er will, oder er leidet an mangelnder Kommunikationsfähigkeit. Zuerst fasst er ein alkoholisches Nomihôdai ins Auge, aber das würde seinen Preis auf 3300 Yen hochschrauben, und das ist wohl etwas viel. Dann fragt er nach Bier, und der Kellner, dessen wachsenden Verwirrungsgrad man deutlich erkennen kann, legt ihm Preise und Mengen dar. „Das ist aber teuer!“ bemerkt Shin frei raus, und ich muss mich beherrschen, wegen dieser Unverfrorenheit nicht laut zu lachen. Als er dann zwischen warmem und kaltem Sake schwankt, helfe ich seiner Entscheidung nach und ermuntere ihn, kalten Sake zu trinken, weil das Wetter so heiß ist. Nachdem das geschafft ist, packe ich mir zwei große Tabletts voll mit Fleisch und wir fangen mit dem Essen an.
Ich hätte nie gedacht, dass ausgerechnet ich auf solche Methoden zurückgreifen würde, aber da Shin die ganze Zeit still vor sich hin isst, muss ich ihm die eine oder andere Frage stellen, weil ich glaube, dass er sich sonst ausgeschlossen vorkommt. Er befindet sich hier unter lauter jungen Leuten, von denen ich zwar der älteste bin – aber ich bin immer noch mehr als 15 Jahre jünger als er. Zu meinem Glück springt auch Yukiyo auf diesen Zug auf und ich muss ihn nicht mehr alleine bearbeiten. So bekommen wir heraus, dass er 43 Jahre alt und seit 14 Jahren verheiratet ist, und einen Sohn von 13 Jahren hat. Dass er in Pharmazie promoviert hat, wusste ich immerhin schon. Seine Frau jedenfalls ist Ärztin und befindet sich ebenfalls in Hirosaki, während der Sohn in China bei den Großeltern lebt. Seine Frau ist auch der Grund, warum er die ganze Zeit über im Kaikan wohnen kann. Normalsterbliche Studenten dürfen da nur ein Jahr bleiben (auch Marc bereitet sich auf seinen Auszug vor), aber verheiratete Paare genießen Sonderregelungen. Er ist bereits seit drei Jahren hier und wird wohl noch zwei Jahre bleiben. Außerdem ist rasch zu bemerken, dass er gar kein Fleisch isst, sondern ausschließlich Fisch und andere Meeresfrüchte. Ja, er mache das mit Absicht, er möge kein Fleisch. Ich bin verdutzt und muss mir die Frage stellen, warum er trotz der geringen Auswahl an Meeresfrüchten einer Einladung in ein solches Restaurant folgt, zu einem „Yakiniku Tabehôdai“ – einem „So viel Sie an Grillfleisch in sich reinstopfen können, bevor Sie platzen“ Essen.

Um etwa 19:00 sind wir dann wieder einmal pappsatt. Ich habe drei Tabletts mit Fleisch und eine große Portion Nachspeise verschlungen. Ich werde solche Gelegenheiten in Deutschland wirklich vermissen, wo es leider keine Restaurants gibt, die auf diese Art von Essvergnügen ausgelegt sind. „All you can eat“ gibt es bei uns bestenfalls mal als seltenes Sonderangebot, und die letzten beiden, die ich in den vergangenen 15 Jahren gesehen habe, konnte man im Pizza Hut bestellen – da würde ich wirklich nur essen, wenn man mich einlädt, und auch dann nur ungern. Die Pizza schmeckt nach Seife, weil den Leuten öfters das Gewürzfass mit dem Oregano ausrutscht, und die Portionen sind so klein, dass es sich vom Preis her gar nicht lohnt, dort zu essen.

Wir machen ein paar Erinnerungsfotos und es wird mir bewusster denn je, dass all das bald nichts anderes mehr als Erinnerung sein wird. Volker hat mich vor meiner Abreise nach Japan gefragt, ob mir die letzten Tage in Deutschland nicht irgendwie „unwirklich“ vorkämen. Nein, so kamen sie mir in Deutschland auf jeden Fall nicht vor. Dieses Gefühl befällt mich jetzt. Als ob ich abgesetzt von meinem Körper das Geschehen wie im Fernsehen beobachten würde. Oder als ob ich träumte und mir im selben Moment bewusst wäre, dass der Wecker gleich klingeln müsse. Das trifft es wahrscheinlich am ehesten. Ich fürchte, dass Sebastian Recht haben und ich Japan mehr vermissen könnte, als Deutschland. Aber auch die Zeit vom Oktober 2003 bis zum August 2004 wird niemals den Sommer 1997 toppen können – und den habe ich ganz eindeutig in Deutschland verbracht. Ich betrachte meinen Japanaufenthalt also als die zweitbeste Zeit in meinem bisherigen Leben.

Zwischendurch hat sich der Laden weitgehend gefüllt, sogar der Ersatzraum weiter hinten scheint benutzt zu sein. Rechts hinten neben meiner Position befindet sich eine Gruppe junger Frauen (oder sagen wir besser „Mädchen“), deren Klamotten so „hip“ sind, dass ich davon gleich Augenbluten bekomme, wenn noch einmal eine durch mein Sichtfeld geht. Gleichzeitig sind sie auch so lebendig (sprich: „laut“), dass der ältere Herr am Tisch gegenüber offenbar Ohrenbluten zu bekommen droht und sich dieselben auch mehrfach zuhält. Schließlich gibt er entnervt auf und verlässt das Lokal. Ich fühle mich wenig gestört, da unsere „Nachbarinnen“ für mich nur eine Geräuschkulisse im Hintergrund sind, die ich kaum bewusst wahrnehme.
Um halb Acht bezahlen und gehen wir dann. Wir spalten die Rechnung nach gleichen Teilen auf. Ich zahle alles, um den Geschäftsablauf zu beschleunigen und sammele dann von jedem 1800 Yen ein. Shin gibt mir das Geld und macht dann das, was man wohl einen „französischen Abgang“ nennt – er verschwindet einfach. Draußen sehe ich ihn gerade noch mit seinem Fahrrad um die Ecke biegen. Ich hab’s versucht, aber wenn er nicht will…
Wir übrigen trennen uns an der Tür, bis auf Yukiyo und SangSu, die uns noch auf den Campus begleiten, weil Melanie ja ein neues Fahrrad braucht. Wir trennen uns erst am Physikgebäude, wo Yukiyo in Richtung Nishihiro abbiegt und SangSu schon mal nach Hause fährt, weil er ja keinen Grund hat, auf uns zu warten.

Wir nehmen ein Rad aus dem völlig überwucherten Abstellplatz, prüfen, ob die Technik herhält, was sie herhalten soll, schrauben das Schloss ab und pumpen am „Cycland“ neue Luft in die Reifen. Dort steht immer noch nachts ein Eimer aus, in dem zwei Luftpumpen stehen, und immer noch ist eine davon kaputt. Offenbar hat das noch keiner dem Besitzer mitgeteilt, aber ich habe auch wenig Interesse, das zu tun, weil ja eine Pumpe funktioniert und mehr brauche ich auch nicht.

22. Juli 2024

Donnerstag, 22.07.2004 – Tanzende Mädchen!

Filed under: Japan,Musik,My Life,Uni — 42317 @ 12:20

Nach dem Unterricht gehe ich gleich ins Center und kurz darauf erscheint Kazu. Sie sagt, die Veranstaltung ihrer Oberschule beginne um 10:40. Ich sehe auf die Uhr: „10:30“ sagt die. Ich beende also, was ich gerade schreibe und besteige mein Fahrrad, um zur Bürgerhalle am Rand des Stadtparks zu fahren.
Auf dem Weg verabschiedet sich das rechte Pedal meines Fahrrades. Es ist der Druckkraft meines Körpergewichtes bei der Beschleunigung aus dem Stand nicht gewachsen. Nun ja, ein Rad, das umsonst war, muss wohl auch Nachteile haben. Es scheint, dass der Hauptteil des Pedals, auf dem der Fuß ruht, ein aufsteckbares Plastikteil ist, dessen Halterung offenbar schon ziemlich ausgeleiert ist. Was übrig bleibt, ist ein etwa fünf Zentimeter langer Stumpf. Damit fährt es sich zwar nicht ganz so bequem, aber es ist machbar. Wer hat sich dieses Patent bloß ausgedacht? Wozu soll das gut sein, dass man das Pedal teilweise entfernen kann? Warum nicht einfach ein Metallpedal mit Kugellager, fest installiert und aus einem Stück?
Als nächstes muss ich am Eingang des Parks einem Mittelschüler ausweichen, der es offenbar jenseits jeder Rücksichtnahme eilig hat. Ich kann gerade so vermeiden, in der Hecke zu landen, fange mir aber einen 20 cm langen Kratzer am linken Arm ein, der angesichts der Hitze und des Schweißes leicht zu brennen beginnt. Aber das kann ich in ein Kämmerchen in meinem Hinterkopf sperren. Die große Hitze und die pralle Sonne sind schon schwerer zu ignorieren, von daher bin ich ganz froh, als ich dann endlich in das klimatisierte Gebäude komme. Ich suche mir einen Platz möglichst weit vorne, der es mir erlaubt, die ganze Breite der Bühne auf einem Foto erfassen zu können. Von weiter hinten hätte ich nur eine helle Fläche in der Mitte einer schwarzen Fläche statt einer beleuchteten Bühne in diesem dunklen Raum. Kazu sitzt mit angestrengten Augen da, weil sie ihre Brille vergessen hat. Ich mache einen Scherz und sage, dass es ja auch eigentlich mehr ums hören als ums sehen ginge.
Es handelt sich wohl jeweils um die Mädchen einer ganzen Klasse, weil nie weniger als ein Dutzend davon auf der Bühne stehen. Die Nummern sind modern, die Musik amerikanisch. Es wundert mich direkt, dass nicht die grausigen japanischen Kopien der nicht minder grausigen amerikanischen Originale laufen, also Britney Spears, Jennifer Lopez , Christina Aguilera und Konsorten versus Hamasaki Ayumi, Misia, Utada Hikaru und was weiß ich, wie die alle heißen. Die Hälfte von dem, was ich mitbekomme, gefällt mir zwar auch nicht, aber immerhin ist es besser, die Originale zu spielen, als die noch blasseren japanischen Popkopien. Es läuft aber nicht nur aktuelle Chart-Musik. Auch „Larger than Life“ (ich glaube, das ist von den Backstreet Boys, und es gibt ein tolles Cowboy Bebop Fanvideo dazu) läuft hier zum Beispiel.
Das Publikum ist eigentlich auffälliger als die Darbietungen selbst. Da sitzen ganze Fanclubs (vornehmlich weiblich) in den Reihen, die ihre jeweilige Favoritin anfeuern und es auch während der Auftritte nicht an lautstarken Zurufen mangeln lassen. Direkt vor der Bühne sitzt eine Reihe von Jungs, die an sich das gleiche machen, nur weniger schrill, und sie bringen am Ende jeweils einen Strauß Blumen „an die Frau“.

Nach den Tanznummern, die weitgehend irgendwie alle gleich waren, was Choreografie und Musikstil betrifft, fällt der Vorhang und hinter diesem bereitet sich das Orchester der Schule auf seinen Auftritt vor. Nach knapp zehn Minuten ist der Umbau beendet und es folgt ein Konzert von 40 Minuten. Der Dirigent muss ein beliebter Lehrer sein, weil auch er zu Beginn positive Zurufe aus dem Publikum erhält, als er gerade mit dem Taktstock ausholt. Er lacht und hält den Zeigefinger an die Lippen. In Deutschland würde ich nie erwarten, dass jemand seinen eigenen Lehrer anfeuert. Bei uns scheint man ja eher froh, wenn man „das Pack“ endlich los ist. Ich bin eigentlich kein großer Fan von Blasorchestern (zum Leidwesen meines Großvaters), aber die Jungs und Mädchen da unten sind zumindest nicht schlecht, soweit ich das beurteilen kann. Zumindest sind sie besser als die MusikerInnen der Oberschule in unserer Nachbarschaft in Nakano, deren Bemühungen wir seit Ende der Winterpause wieder jedes Wochenende bewundern dürfen.
Kazu erzählt, dass morgen ein regionaler Wettbewerb solcher Schulorchester stattfinde und bedauert, dass die hier anwesenden Musiker wegen des heutigen Festes keine Zeit zum Üben hätten. Allerdings muss ich mich dann auch fragen, ob das Konzert hier denn keine Übung ist?

Nach dem Konzert ist die Sache auch schon gelaufen, aber wir bleiben noch eine halbe Stunde sitzen, weil es hier so schön kühl ist. Dann gehen wir zum Ausgang. Offenbar war das Timing gut, weil Kazu plötzlich von einer Gruppe Schülerinnen lautstark begrüßt wird. Im ersten Moment habe ich damit gerechnet, einen Gehörsturz zu erleiden. Dasselbe wiederholt sich, wenn auch in geringerem Maße und nicht mehr ganz so laut, noch mehrere Male. Ich sagte ja bereits, dass sie offenbar niemand Unbekanntes ist. Der letzten Gruppe werde ich auch vorgestellt und aufgefordert, meine Meinung über die Show zu sagen. Ich möchte beinahe vermuten, dass Kazu mich hier auf die Probe stellen will, da ich während unserer „Ruhezeit“ nach dem Ende der Veranstaltung zwar die gründliche Vorbereitung gelobt, aber die roboterhafte Ausführung bemängelt hatte. Ich wiederhole, was ich über die Vorbereitung bereits gesagt habe und halte mich mit dem Rest bedeckt. Ich kann ihnen ja schlecht ins Gesicht sagen, dass sie mit der Ausdruckskraft eines C3PO tanzen, als ob sie an Fäden hängen würden. Also lobe ich die bewundernswerten Bemühungen, die man ja wirklich sehen konnte. Und dennoch, meine Güte, machen die fünf Mädchen Gesichter, als ob sie gleich weglaufen und sich im nächsten Mauseloch verstecken wollten! He – ich habe gesagt: „Ihr habt Euch sehr gut vorbereitet und ich finde das toll“, und nicht „Ich schlepp Euch zu mir nach Hause und esse Euch zum Nachtisch!“ Sehe ich so besorgniserregend aus?
Kazu sucht noch einen der Lehrer, weil sie ein paar Worte mit ihm reden möchte. Allerdings scheint er vom Erdboden verschluckt und keiner kann ihr sagen, wo er hingegangen sein könnte. Wir kehren also zur Universität zurück.

Im Center übertrage ich gleich meine (wenigen) neuen Bilder auf den Computer, und danach besteht der Tag eigentlich nur noch aus Pause. Es ist mir kaum möglich, konzentriert an etwas zu arbeiten. Erstens ist es viel zu heiß und zweitens ist irgendeinem verantwortlichen Trottel eingefallen, den Haupteingang unseres Gebäudes ausgerechnet ab Beginn der Klausurenphase restaurieren zu lassen. In den vergangenen Tagen ist da ein schweres Arbeitskommando angerückt, das mit kleinen Baggern, Schleifmaschinen, Metallfräsen und Presslufthämmern zu Gange ist. Der entsprechende Abschnitt wird offenbar komplett entkernt und neu gemacht! Sind die nicht ganz bei Trost? Warum machen die das jetzt und nicht erst nach dem 30. Juli, wenn alle Klausuren geschrieben sind und man keinen mehr stören kann? Die Fensterwand des Ryûgakusei Centers liegt genau im Schallbereich der Baustelle. Das finde ich ganz toll… Die Bibliothek dürfte ja wegen der anstehenden Hausarbeiten voll sein, also brauche ich da auch nicht hinzugehen. Außerdem liegt auch die Bibliothek im Einwirkungsbereich der Baustelle, nur eben vor dem Eingang, anstatt dahinter. Und zusätzlich hat man in der Bücherei die Wahl, entweder wegen des Lärms die Fenster zu schließen und vor Hitze und Menschengeruch zu vergehen, oder aber die Fenster zu öffnen, sich den Schmalz aus den Ohren hämmern zu lassen, dafür aber frische Luft zu haben.

21. Juli 2024

Mittwoch, 21.07.2004 – Einführung in „Neputa“

Filed under: Japan,Musik,My Life,Uni,Zeitgeschehen — 42317 @ 7:00

Ich halte bei Kondô-sensei heute ein weiteres Referat, diesmal über die Zinspolitik der US Reservebank und deren Folgen für die wegen der anhaltend niedrigen Zinsen völlig überschuldeten Amerikaner. Simultan gibt es dazu einen Artikel aus der New York Times über Insiderverkäufe von Aktien. „Wo glauben sie liegt der Zusammenhang zwischen den beiden Texten?“ fragt Kondô. Ich habe keine Ahnung. Der Zusammenhang bestehe  darin, erklärt er, dass man als Großanleger Aktien verkaufe, wenn die Zinsen steigen und in andere Dinge investiere, weil sich der Gewinn dann nicht mehr maximieren lasse. Wie dem auch sei, mein Bezug zum Thema hält sich etwa am Nullpunkt.

Hugossons Unterricht im Anschluss… findet nicht statt. Ich setze mich stattdessen ins Center, schreibe Post und helfe KiJong ein bisschen beim Schreiben ihres eigenen Berichtes für ein Thema von Hugosson. Der lässt sich aber noch selbst sehen und mahnt mich zur Abgabe meiner beiden fälligen Berichte, über die Umwelt-NPO an der Uni und über den Besuch bei Harappa. Mein Tagebuch erfüllt hier den praktischen Zweck einer Gedächtnisstütze, da ich nach so langer Zeit überhaupt nicht mehr recht weiß, was da im Einzelnen gelaufen ist. Schlecht ist, dass es den Einträgen der vergangenen Wochen etwas an Detailqualität mangelt, weil ich mit dem Schreiben ständig hinterherhänge. Es ist so warm, dass ich eigentlich nur in der Gegend herumliegen möchte, ohne mich bewegen zu müssen. Das Center verfügt immerhin über eine effektive Klimaanlage.

Zwischendurch fahre ich in die Stadt zu dem gefundenen Spieleladen und hole „Command & Conquer“ ab.[1]

Im Center zurück erinnert mich Jû daran, dass wir heute eine Verabredung mit Kazu haben. Offenbar hat sie für das Neputa ihrer Oberschule kräftig die Werbetrommel gerührt.
Um exakt 19:00 stehe ich dann also vor dem Kaufhaus Nakasan und warte… ich bin der einzige, der am Treffpunkt steht. Aber irgendwann kommt Baqr an und meldet, dass Kazu sich verspäten werde. Um 19:25 sind dann wohl alle da, die kommen sollten oder wollten. Baqr, Kazu (mit einer Freundin), Jû, Irena, Valérie, Chris (und ein Freund aus Chile, der zu Besuch hier ist), Melanie und ich. Bis zum Nachmittag dachte ich noch, dass es sich um eine Art Schulfest mit Neputa-Thematik handele, aber es handelt sich in der Tat um einen ganzen Umzug – wenn auch im kleinen Maßstab, weil ja nur eine Schule beteiligt ist. Jede Gruppe schiebt und zieht einen Wagen, auf dem wilde Krieger, Dämonen und geheimnisvolle Damen abgebildet sind. Zum Teil handelt es bei den Lampenschirmen (also um Metallgeflechte, die mit Wachspapier bespannt sind) um dreidimensionale Figuren, zum Teil sind es einfachere Konstruktionen in grober Halbkreisform, auf denen recht blutrünstige Szenen aus der japanischen und buddhistischen Sagenwelt in zweidimensionaler Form dargestellt sind. Die Wagen werden von innen beleuchtet und auch hin und wieder gedreht. Auf diesem Umzug hier werden die übergroßen Lampen mit Hilfe von eingebauten Motoren gedreht.
Es handelt sich nach meiner Zählung um 25 Wagen und ich bekomme gerade so das „Best Of“ auf meinen Kameraspeicher. Natürlich werden nicht alle Bilder was, weil Menschen und Wagen in Bewegung sind. Wenn ich die Geschwindigkeit der Objekte nicht im richtigen Winkel zur rechten Zeit mitmache, sorgt die unnötig lange Belichtungszeit meiner Kamera dafür, dass ich nur eine undeutliche Masse auf dem Bild habe. Aufnahmen im Dunkeln sind eh nicht so das Ding dieses Yakumo-Produkts… die Bilder werden grobkörnig, und wenn ich eine weiße Lichtquelle im Bild habe, schaltet sich die automatische Helligkeitsreduktion ein und die dunkleren Flächen werden annähernd schwarz. Oder die dunklen Flächen bleiben so, wie sie eben sind, und dafür verwandeln sich die hellen Flächen in eine undeutlich schimmernde Masse ohne Strukturen und Farbstufen. Aber es macht großen Spaß, den wild trommelnden, grölenden und pfeifenden Oberschülern zuzusehen. Man kann deutlich das Leben in dieser Darbietung spüren. Wenn Japaner doch immer so lebendig bei ihren Auftritten wären! Das hier wurde wohl nicht im Detail geübt, also dringt eine Spontaneität durch, die nicht durch ständiges Üben und Wiederholen abgewürgt wurde. Was will man auch groß üben? Die Wagen werden über die Hauptstraße gezogen, hin und wieder gedreht und die Jungs und Mädels rufen „Yaa Yadô!“. Dazu braucht man keine Übung, sondern ein lautes Organ. Wer so was nicht hat, spielt halt Flöte oder bedient die Trommel. Das Flötespielen sollte man üben, ja. Wenn man etwas Taktgefühl hat, hat man die Trommeln nach zwei Minuten im Griff.
Kazu scheint auch niemand Unbekanntes zu sein. Einige der SchülerInnen und LehrerInnen erkennen sie wieder, andere werden von ihr angesprochen und so weiter, obwohl sie bereits eine Weile weg von der Schule ist. Aber das sei nicht ungewöhnlich, sagt sie. Erstens halte sie oder man einen gewissen Kontakt mit seiner alten Schule (ich bin jetzt nicht sicher, ob sie von sich oder von der Allgemeinheit spricht) und zweitens wolle sie Lehrerin an dieser Schule werden, da sei es nicht schlecht, Fühlung mit dem potentiellen Arbeitgeber zu halten. Ich erinnere mich, dass ich im Frühjahr 1999 meine Schule besucht und auch meinen Englischlehrer Spang getroffen habe, der mir da schelmisch erklärte, dass er sich nach seinem Abitur dort erst mal 20 Jahre nicht habe sehen lassen.
Der Umzug dauert etwa eine halbe Stunde, dann überlegen wir uns, was wir weiter mit dem jungen Abend anfangen können. Irgendwoher kommt der Vorschlag, zu den Gasteltern von Chris zu gehen, die wegen des kommenden Neputa Festes heute wohl irgendeine offene Party am Start hat. Wir bewegen uns dann langsam in die entsprechende Richtung und es sickert ebenso langsam durch, dass vermutlich gar nicht genug Platz für uns alle sein wird – was aber nicht etwa den einen oder anderen zum Aufgeben bewegt, sondern gleich die ganze Gruppe als solche „vernichtet“. Die meisten gehen nach Hause, Chris geht zusammen mit seinem Besucher zur genannten Party, und Melanie und ich überlegen gemeinsam mit Kazu, wo wir was zu essen herbekommen könnten.

Da wir gerade in der Nähe sind, schlage ich vor, zum „Curry Maharadja“ zu gehen, aber es stellt sich heraus, dass der heute geschlossen hat. Kazu kennt auch kaum Restaurants in der Gegend, schlägt aber eines vor, dass sie von Erzählungen ihrer Mutter kennt. Es handelt sich, einfach ausgedrückt, um einen Yakiniku-Laden, aber das Innere verspricht gehobene Atmosphäre, ebenso wie uns die Speisekarte der überdurchschnittlichen (wenn auch noch nicht japanisch-teuren) Preise versichert.
Zunächst einmal befindet sich am Eingang ein großer Schuhschrank mit abschließbaren Fächern. Ich verzichte auf Latschen, weil sie eh zu klein sind. Das Innere des Restaurants ist gediegen und sauber, dunkel lackiertes Holz. Der Service ist erstklassig, das muss ich sagen, sogar für japanische Verhältnisse. Die Bedienung ist sehr freundlich, und ich ziehe das dem Prädikat „höflich“ grundsätzlich vor. Unterwürfigkeitsgesten von Seiten des Personals sind mir immer wieder unangenehm. Aber die hier machen ihre Sache gut, scheinen sehr sympathisch und reden vor allem ein verständliches Japanisch.

Wir essen gemeinsam, und Melanie geht schließlich zum Bus (ihr Fahrrad ist ja immer noch platt). Ich bleibe mit Kazu noch eine Weile. Sie erzählt, dass ihre Oberschule (also die, deren Umzug wir gerade gesehen haben) morgen eine Art Schulfest in der Bürgerhalle habe, inklusive einer Reihe von Bühnenshows. Tanzende Mädchen? Ha, das kann ich mir doch nicht entgehen lassen. Die Veranstaltung beginne irgendwann um die Mittagszeit und sie werde mir noch eine Nachricht schreiben, sobald sie die genaue Zeit wisse. Ich müsse nur morgen frühzeitig meine Post abrufen. Wir trennen uns an der ENEOS Tankstelle und fahren nach Hause.


[1] Treppenwitz für die Nachwelt: Nachdem ich eine Menge Geld dafür ausgab, spielte ich das Spiel nach meiner Heimkehr nur ein einziges Mal für ein paar Stunden. Seitdem liegt es in der Kiste mit Playstationzeug.

20. Juli 2024

Dienstag, 20.07.2004 – In Eile

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

Jetzt hat Melanie heute also Geburtstag und ich habe ihr Geschenk noch nicht gekauft. Glücklicherweise hat sie an einem Dienstag Geburtstag, was mir wegen ihrer Unterrichtskonstellation am Morgen eine ganze Menge Zeit verschafft. Ich schwinge mich also auf mein Fahrrad und düse zum Sakurano. Und meine Güte, ist das vielleicht heiß heute! Ich muss peinlichst darauf achten, dass mein Fahrrad im Schatten steht, sonst kann ich auf dem Sattel nachher Spiegeleier braten und eigentlich möchte ich keine. Man muss wirklich keine Alternativen haben, um sich freiwillig in diesen Freiluft-Backofen zu begeben. Ich habe keine. Heute ist der Tag.
Ich fahre in das entsprechende Stockwerk hoch, gehe in die Abteilung für Studio-Ghibli-Merchandising und kaufe nach einem dreiminütigen Auswahlprozess und einer fünfminütigen Suche nach einer geöffneten und zuständigen Kasse ein „Totoro“ Stofftier und lasse es als Geschenk einpacken. Mir persönlich gefallen die schwarzen Katzen aus dem „Kiki“ Sortiment viel besser, aber Melanie wollte ein „Totoro“ Produkt. So sei es also. Ich bringe das Paket gleich nach Hause, schreibe eine Widmung auf die Außenseite und lasse es auf dem Schreibtisch liegen, bevor ich zur Uni fahre. Sie wird es also in einem geeigneten Moment finden.

Kondô-sensei bringt uns heute in einen Schönheitssalon, der extra für uns seinen freien Tag für zwei Stunden unterbricht. Außerdem bekommen wir so die erste (und einzige) Frau aus unserem Referentenkreis zu sehen. Sie ist bereits seit 20 Jahren in diesem Geschäft tätig und erläutert uns kurz, was hier so läuft und wie es um die finanziellen Anreize bestellt ist. Die Leute lassen eine Menge Geld in diesen Läden, auch wenn sie aus verschiedenen Gründen kommen. Der Fuß z.B. repräsentiere den gesamten Körper, heißt es. Für jede Körperregion gebe es eine Stelle am Fuß, und wenn man irgendwo Beschwerden habe, müsse man nur den entsprechenden Neuralgischen Punkt massieren. Den deutlichsten Unterschied macht die Unterteilung Männer und Frauen. Ja, wer hätte das gedacht? Einige Männer frequentieren den Laden, und sie tun das, weil sie gut aussehen wollen. Die Damen dagegen kommen her, um sich zu entspannen und den Stress mal draußen zu lassen.
„Männer gehen zusammen in die Kneipe und trinken sich einen an. Das ist deren Form von Stressabbau“, erläutert die Chefin. „Frauen machen das aus verschiedenen Gründen nicht. Sie gehen lieber in einen solchen Salon und lassen sich eine Stunde lang massieren.“
Sie erzählt weiter, dass das Personal (sie hat eine Angestellte Mitte Zwanzig) auch geschult werde, kleine Problemberatungen zu machen, da die Kundinnen auch über solche reden. Das Alter der Kundinnen reiche von 20 bis 83, aber der Durchschnitt liegt bei Mitte Vierzig.
Dann werden die Räumlichkeiten gezeigt und vorgeführt, wie hier Geld verdient wird. Wir werden in zwei Gruppen aufgeteilt. Der Laden besteht aus einem Empfangs- und Wartezimmer, das vom „Arbeitsbereich“ durch eine Glaswand abgetrennt ist. Dort hinten gibt es drei kleine Kabinen. In zweien stehen Liegetische für Massagen, in der mittleren befindet sich ein Stuhl, der aussieht wie aus einem Science-Fiction Film, aber er wird nicht erläutert. Nun, Irena und Melanie erhalten eine Massage der Füße im Schnellverfahren (also knapp 10 Minuten), die Männer lehnen das Angebot durch die Bank dankend ab. Nun übernimmt jeweils das zweite Bein von Irena und Melanie, als wäre das die normalste Sache der Welt. Sie hat diesen Job ebenfalls gelernt, professionell, aber einen solchen freiwilligen Einsatz hätte ich nicht erwartet.
Nachdem ich dann also eine halbe Stunde Massagearbeit beobachtet habe, frage ich die Mitarbeiterin, ob sie Kartoffeln zerquetschen könne, weil man bestimmt eine Menge Kraft für diese Arbeit braucht, und sie ja täglich Finger und Unterarme trainiere. Aber sie lacht darüber und sagt, dass wesentlich mehr mit Körpergewicht gedrückt werde, als tatsächlich mit Muskeln.

Wir verabschieden uns schließlich und jeder geht seiner Wege. Melanie biegt ab nach Shita-Dotemachi und ich gehe in Richtung Universität, mit einem Abstecher in den Supermarkt, um eine Flasche Yoghurt-Kalpis zu besorgen. Da ich dieser Tage wegen der Menschenfülle nur ungern in die Bibliothek gehe, muss ich mit dem Center vorliebnehmen. Melanie ist sogar vor mir angekommen. Sie sagt, die „Card Captor Sakura“ Metallic-Karten, die sie habe kaufen wollen, gebe es nicht mehr. Außerdem teilt sie mir mit, dass ich eine Verabredung mit Yui am Morgen vergessen habe. Oh, übel. Immerhin habe ich eine gute Ausrede.

Wegen der Mängel meines derzeitigen fahrbaren Untersatzes (das vordere Bremskabel ist gerissen), muss ich mir ein neues Fahrrad aneignen. Ich beobachte also seit einigen Tagen ein brauchbar aussehendes Modell und habe festgestellt, dass es seit zwei Wochen nicht von der Stelle bewegt worden ist. Also erlaube ich mir, es zu benutzen. 21 Gänge, Federung an beiden Achsen und funktionierende Bremsen. Eine Lampe hat es auch nicht, aber immerhin vorne und hinten Reflektoren. Ich werde wohl die restlichen Wochen damit klarkommen, so lange es mir nicht unter dem Hintern zusammenbricht.

16. Juli 2024

Freitag, 16.07.2004 – Timing sollte man unter Kontrolle haben

Filed under: Japan,Manga/Anime,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

Am Morgen fasse ich mal wieder verschiedene Dinge in Worte. Erstens wären da ein paar Hausaufgaben für Ogasawara-sensei, und zweitens muss ich für Kuramata-sensei auch noch eine kurze Abhandlung über Reis schreiben. Ich nehme mir „Webster’s Dictionary Online“ zu Hilfe und schreibe einen Text über das Wort „Rice“ – also nicht direkt über die Pflanze und ihre kulturellen Verwicklungen mit verschiedenen Völkern dieser Welt, sondern über das Wort, das Morphem, „Rice“. Das in erster Linie, weil sonst keiner auf eine solche Idee gekommen sein dürfte. Allerdings darf ich kurze Zeit später feststellen, dass die Arbeit für heute noch nicht fällig ist, weil der entsprechende Unterricht heute nicht stattfindet. Aber die Arbeit ist damit getan.

Ich hole mir bei Kondô-sensei mein nächstes Vortragsthema ab. Ich habe einen zweiten Vortrag erhalten, und das auf kuriose Art und Weise. Wegen der großen Hitze dieser Tage stehen die Türen der Unterrichtsräume fast grundsätzlich offen. Am Mittwoch waren wir gerade dabei, den Unterricht zu beenden und ich war mit meinen Gedanken bereits ganz wo anders, als Kazu draußen vor der Tür vorbeiging, mich sah und winkte. Ich winkte zurück – just in dem Moment, wo Kondô-sensei fragt, wer denn bereit sei, den Vortrag für die kommende Woche zu übernehmen. Ein klarer Fall von schlechtem Timing, aber ich sehe bald, dass die Angelegenheit nicht kompliziert wird. Es geht um die Zinspolitik der US-Zentralbank, böhmische Dörfer für mich, aber ich sollte wohl in der Lage sein, einen englischen Zeitungstext von vier Seiten zusammenzufassen.

Ich gehe in die Bibliothek und erledige dort die üblichen Arbeiten. Aber ich mache auch eine interessante Entdeckung: Man kann die ersten Episoden der Animeserie „Atashin’chi“ bei Animesuki.com mit Untertiteln runterladen. Das würde ich eine gute Nachricht nennen. Das würde mir ermöglichen, die Geschichten erstmals auch im Detail zu verstehen und ich kann jedem empfehlen, mal einen Blick darauf zu werfen.

Weiterhin zeigt mir ein genauerer Blick auf die Homepages der „SailorMoon“ Darstellerinnen, dass die „großen“ fünf ihr jetziges Taschengeld auf nicht viel andere Art und Weise verdienen als ihre „kleine“ Kollegin Koike Rina, über die ich letztlich erst ein paar Takte geschrieben habe. Der Unterschied liegt natürlich darin, dass die Senshi-Darstellerinnen fünf bis sieben Jahre älter sind, und immerhin haben sie keine fragwürdigen Videos gemacht. Und einzig Komatsu Ayaka, die die SailorVenus spielt, ist in einem größeren Film zu sehen, der den englischen Titel „Bayside Shakedown 2“ trägt. Ich fühle mich direkt versucht, den Film auszuleihen, um mal zu sehen, was sie zu tun hat. Ich rechne damit, dass sie eine entführte Schülerin spielt und zwei Sätze Text sagen darf. Dennoch… auch die Aufmachung des Plakats macht den Film interessant. Sawai Miyû, die Darstellerin der Usagi, ist auch in irgendeiner TV-Serie zu sehen, aber deren Name ist mir in diesem Moment wieder entfallen.

15. Juli 2024

Donnerstag, 15.07.2004 – Unter den Rasen gespült

Filed under: Bücher,Japan,Militaria,My Life,Spiele,Sport,Uni — 42317 @ 7:00

Yamazaki gelingt heute ein wirklich interessanter Unterricht, nachdem er uns einen kurzen Aufsatz über die gängigen Sportarten in Japan vorgestellt hat. Natürlich handelt es sich dabei um Fußball, Baseball und Sumo. Und weil uns gerade Sumo interessiert, legt er uns dar, wie z.B. die Rangfolge der Kämpfer organisiert ist und was es mit Phänomenen wie fliegenden Sitzkissen auf sich hat. Wir haben gestern Abend im Gastraum bei Daijô-san am Fernseher das aktuelle Sumo-Turnier gesehen, und dabei gerade einen Kampf des hierzulande hochberühmten (mongolischen) Yokozuna Asashôryû beobachten können. „Yokozuna“ ist nicht sein Name, sondern sein Titel, und es ist der höchste in der Hierarchie. Bei der beobachteten Gelegenheit verlor Asashôryû allerdings gegen einen Kämpfer, der hierarchisch unter ihm eingeordnet ist (was ja fast alle sind, wenn er zur Spitzengruppe gehört), und bei eben dieser Gelegenheit, wenn ein Yokozuna von einem Rangniederen besiegt wird, wirft das Publikum die Sitzkissen in den Ring, um der Überraschung Ausdruck zu verleihen. Den meist lachenden Gesichtern war dabei nicht zu entnehmen, dass es sich um die japanische Form des Ausbuhens handeln könnte. Es scheint sich eher um Volksbelustigung zu handeln.

Nach dem Unterricht setze ich mich ins Center und spiele eine Runde StarCraft. Ning setzt sich daneben und sieht eine Weile zu. Dann sagt er „Komm, wie spielen eine Runde gegeneinander!“ Ich habe nichts dagegen. Dazu müssen allerdings erst die entsprechenden Netzwerkprotokolle installiert werden. Fünf Minuten später legen wir dann los und weitere 15 Minuten später wischt Ning mit mir das Schlachtfeld auf, noch bevor meine Aufbauphase so richtig beendet ist. Ich habe noch nie im Leben Finger so schnell über eine Tastatur fliegen sehen – der Kerl ist ein Profi! Er kennt die Keyboard-Befehle auswendig und muss nicht mehr auf die Tasten sehen, wenn er einen Befehl zum Bauen oder Forschen oder Angreifen geben will. Er sagt, er spiele intensiv seit etwa zwei Jahren, auch auf Online-Turnieren. Na Mahlzeit… dann weiß ich ja, mit wem ich nicht mehr in den Ring steigen muss. Ich weiß schon, warum mir rundenbasierte Spiele lieber sind… da habe ich Zeit zu überlegen und muss nicht im Blitztempo alles möglichst gleichzeitig und in der richtigen Reihenfolge machen. Das ist mir zu stressig. Ning weist mich daraufhin an, was man am günstigsten in welcher Reihenfolge unternimmt. Ich kann es nachvollziehen, aber mir ist klar, dass der erste Schritt zur wahren Meisterschaft darin besteht, die Tastaturbefehle auswendig zu lernen. Ich habe mit meiner Zeit allerdings besseres vor, und ich habe auch nichts dagegen, ein reiner Spaß-Spieler ohne Turnierambitionen zu bleiben.

Ich gehe zur Post, um ein seit einiger Zeit fälliges Päckchen abzuschicken. Auf dem Rückweg treffe ich Prof. Philips in einem ungewohnt bunten und gemusterten Hemd, das er sich schon gar nicht mehr in die Hose steckt, und ich unterhalte mich eine Weile mit ihm. Mich interessiert dieser Tage die Frage, wie es möglich war, dass eine zahlenmäßig unterlegene Truppe von arabischen Wüstenreitern die Stadt Alexandria einnehmen konnte, die von 50000 Berufssoldaten und der imperialen Flotte verteidigt wurde.
Er erzählt viel – allerdings ohne viel zu sagen oder die Frage zu beantworten – und wir machen es uns in seinem Büro gemütlich (soweit das in seinem voll gestopften Büro geht). Die Rolle der christianisierten Nubier (aus dem Gebiet des heutigen Sudan) bei der Verzögerung des arabischen Vormarsches in Nordafrika ist zwar sehr interessant (die Araber nannten sie „Die den Pfeil in die Augen schießen“), aber das ist alles sehr viel strategischer als das, was ich wissen wollte. Aber er nennt mir den Namen eines arabischen Historikers aus dem 15. Jh., der wohl etwas darüber geschrieben hat. „Ibn Khaldun“ heißt der Mann und ich habe seinen Namen noch nie gehört. Aber das ist natürlich nicht weiter verwunderlich. Abgesehen von der Tatsache, dass ich historisch nicht allwissend bin, scheint es mir, dass man in Deutschland überhaupt kaum arabische Autoren liest oder zum Studium anbietet. Dabei hatten auch die ihre guten Zeiten und haben bedeutende Werke verfasst. Ibn Khaldun z.B. wird von Kennern auch als der erste Sozialforscher bezeichnet, da er offenbar sorgfältige Studien zu diesem Thema verfasst hat. Aber wenn ich die Bücher in der Abteilung für Geschichte betrachte, dann sehe ich dort in erster Linie Europäer und Amerikaner.

Ich muss also das Büro des Professors vorerst reichlich unbefriedigt wieder verlassen, aber ich werde mich mal nach den genannten Quellen umsehen, sobald ich wieder zuhause in Deutschland bin.[1] Die Bibliothek der Universität Hirosaki ist geradezu lachhaft. Dabei dachte ich, dass bereits Trier nur eine dürftige Bibliotheksgröße aufweise.


[1] Die Biografie der byzantinischen Kaiserin Theodora, der Frau Kaiser Justinians, geschrieben von Anthony Bridge (1978), gibt darauf eine interessante Antwort: Innerreligiöser Konflikt und Verfolgung entfremdeten die christlich-monophysitischen Bewohner der östlichen und südöstlichen Provinzen von der christlich-orthodoxen Elite in Byzanz und trieben sie den muslimischen Arabern in die Hände, denen es reichlich egal war, auf welche Art und Weise die christlich gesinnten Untertanen ihren Gott anbeteten, solange sie Ihre Steuern zahlten.

14. Juli 2024

Mittwoch, 14.07.2004 – … denn die Macht wandert schnell in der Bruderschaft

Filed under: Japan,My Life,Spiele,Uni — 42317 @ 7:00

Ich muss natürlich gerade an einem Mittwoch Geburtstag haben, am längsten Tag der Woche! SangSu lässt es sich nicht nehmen, auch überall herumzuerzählen, dass ich Geburtstag habe, also lässt Kondô-sensei wieder eine Runde Getränke springen. Besten Dank dafür.
SangSu redet dann weiter über den Vergleich zwischen der untergegangenen Fuji Bank (die übrigens im „Shadowrun“ Spieluniversum weiter zu existieren scheint) und der amerikanischen Citi Corporation. Ich verstehe nicht ganz, was wir heute anderes besprechen, als beim letzten Mal. Wieder wird die These dargelegt, dass die Fuji Bank, würde sie noch existieren, ihren Geschäftsumfang einschränken und auffächern müsste, um profitabler zu sein. Und ich sage deshalb „These“ und nicht „Tatsache“, weil ich immer noch nicht zu 100 % verstanden habe, welche Maßnahmen warum für eine bessere Bilanz sorgen könnten – das ist definitiv nicht mein Fachgebiet. Das, was ich verstanden habe, habe ich ja bereits dargelegt. Immerhin ist mir jetzt klar, dass ein Unternehmer eine „gesunde Mischung“ aus Eigenkapital und Krediten braucht, um effektiv arbeiten zu können.

Das sollte ich mir merken für den Fall, dass ich je wieder dazu komme, eine Partie „Oil Imperium“ zu spielen, wo ich immer nach zwei Spieljahren pleite gegangen bin, weil ich allergisch gegen Kredite bin und es daher mangels ausreichendem Eigenkapital versäumt habe, Ölquellen in anderen Teilen der Welt zu erschließen, wo der Preis pro Barrel noch nicht unter die Rentabilitätsgrenze gerutscht war.[1]

Ich frage Kondô, ob es ein ideales Verhältnis von Eigenkapital und Krediten gebe. Das gebe es bestimmt, sagt er und grinst, aber wer den Idealstatus finde, habe sich einen Nobelpreis für Wirtschaft verdient (falls es einen solchen geben sollte). Ich interpretiere, dass es eine Frage der Situation ist. Es hängt wohl vom jeweiligen Betrieb ab, wie viel Investitionskapital geliehen werden muss und wie viele Rücklagen benötigt werden. Wegen meiner Frage überziehen wir die Stunde um ein paar Minuten und ich komme etwas spät zu dem Treffen mit Hugosson, der mit uns heute eine NPO besuchen will. Wir fahren mit dem Fahrrad, weil es nicht so weit ist, dass wir dafür den Fahrdienst der Universität in Anspruch nehmen müssten.

Die Organisation heißt „Harappa“ und unterstützt Künstler, die abseits vom Mainstream tätig sind, in erster Linie Maler und Skulpturisten. Den Anfang nahm das Unternehmen mit einem Künstler namens „Hara“, der sich wohl in den USA bereits einen Namen gemacht hatte und eine Ausstellung in seiner Heimatstadt Hirosaki veranstalten wollte, unter dem Titel „I don’t mind if you forget me“. Allerdings sah sich die Stadtverwaltung offenbar organisatorisch nicht in der Lage, für die benötigten Dinge zu sorgen, allem voran fehlte es an einem Ausstellungsraum. Es bildete sich also eine Gruppe von Freiwilligen, darunter eine ältere Dame aus der Stadt, offenbar mit Geld gesegnet, die ein altes Warenhaus zur Verfügung stellte. Es handelt sich um ein rotes Backsteingebäude und es sieht meiner Meinung nach aus, als sei es eigens für den Zweck von Kunstausstellungen geschaffen worden. Offenbar ist die Kunstszene nicht selten in solchen Bauten aus dem Industriezeitalter zu finden. Das ist ja auch in Deutschland nicht anders.
Diese lockere Organisation von Freiwilligen wagte es, mit ein paar Tausend Besuchern zu rechnen, doch letztendlich waren es 60.000 Leute innerhalb weniger Wochen, die einen Gewinn von drei Millionen Yen in die Kassen von Harappa spülten. Das war der Startpunkt, die Organisation offiziell zu gründen und sich weiteren Ausstellungen zu verschreiben. Der derzeitige Chef ist ein Anwalt um die 50, also kein Armer, der in seiner Freizeit den Laden schmeißt. Allein die Sekretärin ist fest angestellt, alle anderen sind unbezahlte Freiwillige.
Das Regal an der Wand steht voll mit Designerstücken, die zum Teil zu kaufen sind. Das einzige Stück, das mich interessiert, ist allerdings unverkäuflich. Schon mal einen psychopathisch aussehenden Plüschhund gesehen? Es gab leider nur harmlos aussehende „Brüder“ von ihm zu kaufen, die sind aber aus Plastik, für 9000 Yen das Stück. Ich bin doch nicht bekloppt. Interessant ist sonst noch die (ebenfalls unverkäufliche) Uhr. Es handelt sich dabei weder um eine Digitaluhr, noch um eine Zeigeruhr. Die Zahlen werden auf einzelnen Plastikplättchen angezeigt, von denen nach jeder Minute ein neues ins Sichtfeld des Beobachters geschoben wird. Neben den Zahlen von 00 bis 59 (bzw. 1 bis 12) befinden sich darauf kleine Bilder, die zum Teil rätselhaft, zum Teil irgendwie lustig (weil unkonventionell) sind. Frech ist allenfalls das Feld für die volle Stunde – da zeigt das Zifferblatt das böse Wort „Fuck“ an.
Natürlich sollen wir auch hierüber einen Bericht schreiben. Hugosson informiert uns außerdem, dass wir für die Klausur unsere Unterlagen verwenden dürften. Im Normalfall heißt das entweder, dass die Klausur Fragen enthält, die nicht sehr tiefgehend sind, oder aber solche, die direkt unser Verständnis der Materie überprüfen sollen. Ich werde bis dahin das Wichtigste wohl noch einmal lesen.

Danach fahren wir getrennt unserer Wege. Die einen nach Hause, andere sonst wohin, und ich will in die Bibliothek. Mein Postfach ist, dem Datum entsprechend, ziemlich voll. Was meinen Blick auch auf die Menge an SPAM lenkt, die ich jeden Tag bekomme. Es sind mittlerweile etwa 20 solche Mails, die meisten davon Werbung, aber auch einige, die keinen sinnvollen Text enthalten. Manche schaffen es trotz Spamfilter in mein Postfach und ich bin bereits am überlegen, ob ich meine Adresse nicht mal wieder ändern sollte.

Ich fahre ins Ito Yôkadô und hole meine Bestellung ab, den „Streetfighter II Animated Movie“. Einen Geburtstagsrabatt will man mir leider nicht gewähren. Dann gehe ich in die Konsolenabteilung und frage dort nach einer japanischen Version von „Command & Conquer“. Die US (NTSC) Version „brüstet“ sich mit der Option, dass man als Passwort den Begriff „Godzilla“ eingeben kann, worauf die Sprache der Truppen auf Japanisch umschaltet. Das funktioniert in der Euroversion (PAL) leider nicht, also lege ich mir doch gleich die japanische Ausgabe zu. Allerdings ist das Spiel nicht auf Lager, was mich bei dem Alter des Spiels auch wenig wundert. Mir erscheint allerdings die Verkäuferin aber ein wenig alt für eine solche Abteilung. Ich muss ihr zuerst erklären, dass es einen Unterschied zwischen „Playstation“ und „Playstation 2“ gibt und dass es sich bei dem gesuchten Spiel um Software auf zwei CDs handelt, und nicht um eine Datenkassette, wie man sie für Nintendo Konsolen verwendet. Die Frau macht ja einen wirklich netten Eindruck, wie so ziemlich alle Kaufhausangestellten in Japan, aber ich kann aus ihrem Gesicht zum Beispiel auch nicht herauslesen, ob sie verstanden hat, was ich gerade gesagt habe, und sie redet in dem Kaufhaus mit all seinen Geräuschen mit einer relativ leisen Stimme. Sie wolle bis morgen herausfinden, ob man das Spiel noch bekommen könne.

Einen Augenblick später erblicke ich in der Nähe der Kasse, an der ich mich gerade befinde, den japanischen John Belushi. Man stelle sich also einen gut ernährten Japaner in einem Anzug vor, wie ihn die Blues Brothers tragen, mit Hut und Sonnenbrille, auch die Frisur mit den Koteletten stimmt – aber mit Strohsandalen an den Füßen. Das sieht so absurd aus, dass es lustig wirkt. Und er wird seinem Äußeren auch in seinem Verhalten gerecht. Der Mann (um die Mitte 20) scheint mir stark von „Dance Dance Revolution“ geschädigt, da er, während sein Kamerad (in normaler Kleidung) gerade etwas bezahlt, zu tanzen beginnt. Und ich rede jetzt nicht von Walzer oder Tango. Schön koordinierte Beinarbeit, aber ich persönlich hätte das vielleicht nicht gerade an der Kasse im Kaufhaus gemacht. Ich hätte ihn nach einem Foto fragen sollen.

Da ich keine Motivation verspüre, bis morgen zu warten, um zu erfahren, ob ich das gewünschte Spiel eventuell bekommen könnte, fahre ich in einen der Spieleläden und frage dort nach. Ja, heißt es da, man könne das Spiel als Neuversion bestellen, also tue ich das. Für den unverschämten Preis von 4200 Yen. Das ist wirklich kein schlechter Preis für ein Spiel, dessen europäische Version man wahrscheinlich bereits in Spielsammlungen zusammen mit drei anderen Spielen für 5 E kaufen kann.

Zum Schluss gehe ich mit Melanie zu Daijô-san essen. Das Ebi-Donburi ist ganz hervorragend, darf ich feststellen. Die CD der Yoshida Brüder schaue ich immer gezielter an, aber es widerstrebt mir auch weiterhin, mir eine CD zu kaufen, ohne vorher mal reingehört zu haben. Ich werde auf der Homepage des Vertriebs mal nach Sampletracks sehen, oder den CD Verleih bemühen.


[1]   In diesem Spiel gibt es keinen globalen Handel. Nach etwa zwei Jahren sinken in einer Region die Ölpreise, dann muss man die vorhandenen Quellen stilllegen und mit Hilfe des bereits gewonnenen Kapitals eine Bohrgenehmigung und das notwendige Material woanders kaufen, wo der Preis noch hoch ist. Wenn im zweiten Bohrgebiet der Preis dann verfällt, hat er sich im ersten wieder erholt.

9. Juli 2024

Freitag, 09.07.2004 – Tapetenkleister, Mahlzeit!

Filed under: Japan,Manga/Anime,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

Zuerst muss ich mal wieder Vokabeln lernen und einen Text vorbereiten, der als Hausaufgabe präsentierbar ist. Auf dem Weg nach draußen treffe ich dann SangSu, der den Müllplan studiert und außerdem heute Geburtstag hat, aber um diese Zeit denke ich noch nicht daran.

Ogasawara-sensei lässt uns heute über die Vorteile von Groß- und Kleinfamilien und über „traditionelle“ Auszugstermine aus der elterlichen Wohnung diskutieren. Ich habe eine Koreanerin und einen Chinesen mit am Tisch sitzen, also ist mir von vorneherein klar, dass die meine „separatistischen Tendenzen“ nicht recht nachvollziehen können werden. MiSong, die Koreanerin, sagt, dass sie sich eine große Familie wünsche, weil sie ein Einzelkind sei und sich immer Geschwister gewünscht habe. Ich muss in Anbetracht meiner persönlichen Erfahrungen über das Argument ein wenig lächeln und lasse mir kurz durch den Kopf gehen, was der „armen“ MiSong da alles entgangen ist!
Dr. Chen „Dragon“, der Chinese, spricht sich natürlich für eine Großfamilie aus, weil das der Altersversorgung der Großeltern zuträglich sei. Das wundert mich dann doch aus zwei Gründen. Brüsten sich nicht gerade sozialistische Staaten (also z.B. die Volksrepublik China) mit ihren sozialen Errungenschaften? Ich gewinne den Eindruck, dass das Thema „Altersversorgung“ in China ein wenig altertümlich behandelt wird – dabei dachte ich bisher, in China sei die „Ein-Kind-Familie“ Gesetz. Chen sagt, man verliere lediglich finanzielle Vorteile, wenn man mehr als ein Kind zeuge, aber es werde nicht strafrechtlich verfolgt. Deshalb wachse die chinesische Bevölkerung trotz der jahrzehntelangen Politik der Geburtenkontrolle.

Kuramata-sensei geht mit uns in die Abteilung für Hauswirtschaftslehre (das kann man tatsächlich studieren), wo üblicherweise nach idealen Diäten, Ernährungsplänen, Kinder- und Seniorennahrung geforscht wird.
Am Eingang treffe ich schon auf die erste Schwierigkeit. Eigentlich zieht man aus hygienischen Gründen die Schuhe aus und Latschen an, und damit habe ich theoretisch kein Problem. Das praktische Problem allerdings sind die zur Verfügung stehenden Latschen, die sind mir nämlich ein paar Nummern zu klein. Ich erkläre, dass ich auch ohne alles klarkäme, aber man erklärt mir, dass in einer Küche gefährliche Dinge auf den Boden fallen (oder durch Aufprall auf den Boden entstehen) könnten, also dürfe ich meine Schuhe ruhig anbehalten.
Die Lehrerin (ihr Alter ist für mich nicht bestimmbar) und ihre drei Doktorandinnen haben also den ganzen Tag wenig anderes zu tun, als zu kochen (und zu essen). Trotz der dazu gehörenden Theorie der Ernährungswissenschaften möchte ich das ein interessantes Studium nennen. Heute gibt es aber ein ganz einfaches Programm für uns. Wir erleben eine Vorführung, wie heutzutage Mochi gemacht werden und was man dazu alles braucht.
Man braucht allerdings nicht wirklich viel. In erster Linie braucht man natürlich Reis, aber es handelt sich dabei nicht um den Reis, den man üblicherweise kocht und isst. Dieser Reis hier ist besonders klebrig, damit die Masse auch zusammenhält. Traditionell wird der Reis in einem Pott gestampft, indem man ihn mit einem großen Hammer aus Holz bearbeitet. Aber die Mochi-Köchin von heute wirft den Reis ganz einfach in eine Maschine, die Reiskocher und –stampfer in einem ist. Die Maschine hat in ihrem Inneren den Kochtopf, in den man, wie üblich, nur den Reis und Wasser tut, aber sobald der Reis gekocht ist, springt der Deckel auf und ein Metallrotor am Boden des Topfes setzt sich, ganz ähnlich einem Mixer, in Bewegung. Egal, wie oft man es bereits erlebt hat, man erschrickt, wenn der Deckel plötzlich aufspringt und das Gerät, wegen des Rotors, beginnt, seltsame Geräusche zu machen und auf der Ablage herumzuhüpfen.

… was sich nicht leicht darstellen lässt.

Nach einigen Minuten sind die Reiskörner völlig in einer homogenen Masse aus mürbem Reis aufgegangen (mit der man wohl auch Tapeten an Wände kleben könnte) und werden auf ein mit Mehl bestäubtes Tablett geschüttet. Obwohl „schütten“ nicht das passende Wort ist, weil es sich um eine zähe Masse und nicht um etwas auch nur annähernd Flüssiges handelt.

Mochiblob

Alles, was man dann noch zu tun hat, ist essen. Der Einfachheit halber formt man einen Ball aus einem Stück der Masse, feuchtet ihn an und wälzt ihn in süßem Sojabohnenmehl (grün) oder in einer Paste aus süßen Bohnen (dunkelbraun), die Melanie so verabscheut. Ich ziehe das süße Mehl aber ebenfalls vor. Wir versuchen uns auch daran, die Bohnenpaste in das Innere eines Reisballs zu bekommen, aber das Ergebnis ist dürftig. Natürlich ist es einfach, den Reis flach zu drücken, eine Mulde zu formen und dann die Paste hinein zu tun, aber das schwierige daran ist, einen glatten Ball daraus zu formen, dem man von außen nicht ansieht, dass etwas drin ist! Nach zwei Experimenten reicht mir das und ich gehe wieder zum einfachen Essen über.

Mochi-Reisteig sättigt überraschend schnell, müssen wir feststellen, und wir kriegen sogar noch einen zweiten Haufen angeboten. Irena „rettet“ uns da ein bisschen, weil sie noch eine Sprachprüfung hatte und verspätet zu uns kommt. Sie hat von dem ersten Reisteig noch nichts gegessen und noch mehr Platz für den Rest, als das bei uns anderen der Fall ist. Der zweite Teig ist allerdings lila. Und das ist Absicht. Es handelt sich um eine spezielle Reissorte, die eben lila ist und einen kräftigeren Geschmack besitzt, als der normale, weiße Reis. Und weil die hier anwesenden Damen die Füllfähigkeit ihrer Vorführung deutlich unterschätzt haben, bekommen wir auch noch einen Eintopf aus Kartoffeln, Fleisch und Gemüse präsentiert, dem ich geschmacklich anmerke, dass die vier Damen Übung im Zubereiten von Speisen haben. Wirklich hervorragend. Am Ende bin ich pappsatt und eigentlich müsste man mich aus dem Raum rausrollen.

Nach dieser Erfahrung verbringe ich meine Zeit reichlich untätig im Center, weil ich kaum Motivation verspüre, mich zu bewegen. Das Wetter ist so richtig schwül-warm und man fühlt sich von der Luft beinahe erdrückt, ganz zu schweigen von dem Sättigungsgefühl, das in mir wohnt. SongMin macht zu dieser Zeit die Runde und informiert die üblichen Leute, dass bei SangSu heute Abend eine Geburtstagsparty steigen werde, und zwar ab Neun. Dass es eine Überraschung für ihn werden soll, erfahre ich erst später.

Kurz danach gehe ich in die Bibliothek und schaue mir den „Candy Candy“ Film an. Technisch betrachtet ist deutlich zu erkennen, dass es sich dabei um einen Zusammenschnitt aus Schlüsselepisoden handelt, da die Handlung viel zu schnell vor sich geht und auffällig Details fehlen. Völlig hirnrissig erscheint es da, diese Serie, die immerhin 115 Episoden hat, in gerade mal 25 Minuten (!) zu quetschen (also auf die Länge einer Episode)! Wer hat sich das ausgedacht? Man braucht allerdings schon ein dickes Fell, um diese gerade mal 25 Minuten zu überleben. Ich habe schon lange nichts mehr gesehen, was so schmalzig war! Da wird mit so richtig klassischen, althergebrachten Schablonen gearbeitet:
Candy ist ein Waisenkind und kommt schließlich im Alter von 12 Jahren zu einer reichen Witwe (?). Allerdings nicht als Tochter, sondern als Hausangestellte! Die Dame des Hauses hat bereits zwei Kinder in Candys Alter, einen Sohn und eine Tochter, der Candy als persönliches Zimmermädchen dienen soll. Natürlich sind die beiden die widerlichsten, hochnäsigsten, verzogensten und unausstehlichsten Gören (mit überdies sadistischen Tendenzen), die man sich vorstellen kann. Sie tragen ein besonders starkes Klassenbewusstsein zur Schau. Man muss sie einfach hassen. Candy vergießt also viele Krokodilstränen, bis sie schließlich die „Nachbarn“ kennen lernt – drei Jungs, die mit ihrer Großmutter auf dem nächsten Landhaus leben. Die drei sind das exakte Gegenteil von Candys Arbeitgebern und natürlich betritt hier der romantische Aspekt die Bühne, und der ausgewählte Junge sieht nicht weniger wie ein „Vorzeige-Arier“ aus als Candy selbst. Ja, und nachdem Candy also 15 Minuten lang unter ihrer „Familie“ gelitten hat, lernt sie auf einer abendlichen Gesellschaft ihren Schwarm kennen und der Film ist vorbei.
Das Werk ist durch die Kompression so abgedreht, dass ich die Datei wohl behalten werde. Man kann es allerdings keinem zeigen, ohne unweigerlich in Folge starker Hirnblutungen des Zuschauers wegen fahrlässiger Tötung im Gefängnis zu landen. Auf die Serie kann ich gut verzichten… der Schnelldurchlauf hier reicht völlig aus.

Um 20:30 bin ich dann zuhause und mache mich fertig, um runter zu SangSu zu gehen. Beim zweiten Nachdenken kommt mir der Gedanke, dass es vielleicht keine gute Idee ist, SangSu mit einem Besuch zu überraschen… man bedenke die Unordnung, der normalerweise in seinem Zimmer herrscht.
Als erstes treffen zwei Koreanerinnen ein, SûJin und KiJong, die wir vom Balkon aus ankommen sehen, worauf es zwei Stockwerke unter uns deutlich lauter wird. Melanies Interpretation: „Die haben ihn in seinem Saustall überrascht und jetzt ist er sauer!“ Ich teile diese Meinung nicht, obwohl ich (wie sie) kein Koreanisch verstehe und nur den Tonfall interpretieren kann. Dennoch zieht Melanie es vor, auf die Straße zu gehen und einen Augenblick lang an seinem Fenster zu lauschen (wie komm ich mir denn da vor???), um die Lage zu peilen, bevor wir endgültig reingehen. Wie ich mir dachte, ist die Situation da drinnen nicht gespannt, also gehen wir hinein.
Nachdem etwa die Hälfte der erwarteten Leute angekommen ist, wird sein Zimmer bereits recht eng, also bieten wir an, die Party in unser Apartment zu verlegen. Wir machen allerdings vorher selbst noch ein wenig sauber, um dem Ganzen das Prädikat „grob gereinigt“ geben zu können, und legen den Teppich in das Tatami-Zimmer, damit die Reismatten nicht mit irgendwas getränkt werden, was ich Abends nicht in der Nase haben möchte, wenn ich mich hinlege.
Es werden einige Leute, wie sich bald herausstellt. Ii, Wiirit, Nan, SongMin, SûJin, KiJong, noch zwei Koreanerinnen, deren Namen ich nicht kenne, Valérie, Chris, Misi, Eve, Irena, Melanie und ich. Alex, MinJi, Jû, Izham und Baqr (der allerdings öfters „Abu“ gerufen wird), sowie Mélanie sind nicht da. Ich nehme an, dass sie nicht zur rechten Zeit im Center waren. BiRei aber war da und ist trotzdem nicht gekommen. Sehr schade eigentlich.

v.l. KiJong, Nan, Ii, Eve, Weerit, Misi

Unsere Nachbarn werden den Abend wohl so schnell nicht vergessen. Ich bin der Meinung, dass wir nicht außergewöhnlich laut waren, aber wir waren auch nicht leise. Und ausgerechnet der Trottel von gegenüber ruft seinen Unmut zu unserem Balkon herüber! Dabei muss gerade der die Klappe halten – er, der mitten in der Nacht mit laufendem Motor (seines Geländewagens) mit seinem Kumpel (der in seinem eigenen laufenden Wagen sitzt) tratschen muss; er, mit seinem zu Sonnenaufgang kläffenden Hund (der selbst natürlich nichts dafür kann, also verzeihe ich dem Hund); er, der auch schon mal morgens um fünf Uhr laut plätschernd sein Auto waschen muss und dabi auch vor dem röhrenden Staubsauger für den Dreck im Fußraum nicht zurückschreckt; er, aus dessen Haus zu den ungewöhnlichsten Zeiten der Klang von Klavierübungen erschallt; er, der zu jeder Tages- und Nachtzeit ungeniert seinen Schleim aus seinem Raucherhals würgt und hustet und laut auf die Straße ausspuckt! Nein, der hat bei mir kein Beschwerderecht, und bei allem Respekt: Er kann mich mal kreuzweise.

SangSu ist am Ende wieder leicht angetrunken und man macht sich über sein rotes Gesicht und seine roten Ohren lustig. Aber Wiirit scheint ziemlich hin zu sein, er erinnert vom Gesichtsausdruck her ein bisschen an einen abgehobenen Guru im Rausch der Sinne oder so. Ich habe ein Foto davon gemacht. Er hat sogar Probleme, gerade zu sitzen.

Irena, Chris, SangSu

Um 00:45 verlagert sich die Party (für etwa eine Stunde) wieder nach unten in SangSus Apartment, nachdem ein Teil der Leute wohl gegangen ist. Einige gehen langsam und reden laut auf der Straße. Vor allem der lachende Misi ist bestimmt kilometerweit zu hören. Ich ziehe es allerdings vor, schlafen zu gehen, während Melanie den Rest des Festes ebenfalls noch erleben will.

7. Juli 2024

Mittwoch, 07.07.2004 – Themenvielfalt macht den Tag schöner

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Mich plagt heute den ganzen Tag über eine mehr oder weniger unterschwellige Übelkeit… ich habe keine Ahnung, wo ich die herhaben könnte. Morgens schreibe ich Kanji für den Test bei Yamazaki-sensei ab und in der Mittagspause fasse ich den „Sozialbericht“ von „Lloyd’s London“ für Hugosson zusammen, den er für heute noch gar nicht haben wollte… aber immerhin ist diese Arbeit damit erledigt. Stattdessen fragt er mich, wo mein Bericht über den Ausflug letzte Woche bleibe. Moment mal, den Bericht habe ich längst versendet! Er hat ihn aber nicht erhalten. Ich betreibe ein wenig Ursachenforschung und stelle fest, dass ich die E-Mail-Adresse falsch in das Adressfeld eingegeben habe. Nach „Hugosson@“ folgt nämlich zuerst mal „cc.“ und nicht gleich „hirosaki-u“. Was mich dabei wundert, ist die Tatsache, dass die Post nicht mit dem Vermerk „unbekannter Empfänger“ zurückgekommen ist. Das würde bedeuten, dass die Mail zwar noch irgendwo im Netzwerk existiert, aber eben nicht dort, wo sie eigentlich hinsollte. Aber was soll’s, ich hole die Versendung nach und es herrscht wieder Frieden im Land.

Dann ist erst mal Kondô-sensei dran und SangSu hält einen weiteren Vortrag, diesmal über die atemberaubenden Unterschiede zwischen der (inzwischen nicht mehr existenten) japanischen Fuji Bank und der amerikanischen CitiCorp Bank. Der zugrundeliegende Aufsatz stammt von 1996. Für unsereins sind die Details eigentlich langweilig, keiner von uns studiert ein wirtschaftlich relevantes Fach, abgesehen davon, dass ich die Erweiterung meines Allgemeinwissens gutheiße. Nim kommt noch nahe heran, weil sie die Feinheiten der Geflügelzucht studiert…
Der Aufsatz, der vom Computerwissenschaftler SangSu zusammengefasst und vom Finanzspezialisten Kondô genauer erklärt wird, führt den Nachweis, dass japanische Banken zu viel Kapital haben. Diese These kommt einem Laien wie mir natürlich seltsam vor – wie kann man zu viel Kapital haben? Die Fuji Bank, die durchaus stellvertretend für die gängige Praxis stand und als Paradebeispiel heute noch steht, hatte zwar riesige Rücklagen und eine große Summe laufender Kredite, aber die Investitionen waren wenig gewinnbringend angelegt. Die CitiCorp kam letztendlich zwar auf ein niedrigeres Geschäftsergebnis, aber der Gewinn pro investiertem Dollar war deutlich höher als der der Fuji Bank. Warum war das so?
Die CitiCorp hat ein breit gefächertes Investitionsfeld, wogegen die Fuji Bank, wie praktisch alle anderen japanischen Banken auch, eine klare Konzentration auf Großkunden besaß. Das heißt, Kredite wurden praktisch nie an Körperschaften vergeben, die nicht mindestens in die Kategorie „mittleres Unternehmen“ fielen. Kleine Unternehmen oder gar Privatpersonen haben in Japan überhaupt keine Chance, an einen regulären Kredit zu kommen. Ich erwähnte das bereits an anderer Stelle. Großkunden allerdings sind oft einflussreiche Konzerne, die die Möglichkeit besitzen, den Zinssatz der Bank herunterzuhandeln. Entweder die Bank setzt die Zinsrate niedrig an oder verliert das Geschäft. Ergo: Die Banken sollten also ihr Investitionskapital verringern und sich mehr auf mittlere und kleine Unternehmen konzentrieren, sowie auf individuelle Kreditnehmer, um so das Risiko einer einzelnen Investition zu streuen. Die Zeiten, wo man Kredite an japanische Großunternehmen als sicher betrachten konnte, sind seit etwa zehn Jahren vorbei, aber das haben die großen Kreditinstitute offenbar noch nicht gemerkt.

Wir besuchen mit Hugosson heute eine wirklich naheliegende NPO. Sie hat ihren Sitz im Studierzimmer eines Professors im Physikgebäude nebenan, und weil da alle ganz umweltbewusst sind (die anwesenden Studenten wohl eher weniger freiwillig), läuft da auch keine Klimaanlage. Das Zimmer ist ein Backofen und die Fenster müssen geschlossen bleiben, damit nicht ein Windstoß wichtige Papiere durcheinanderbringt. Nach fünf Minuten, in denen ich nur stillsitze, läuft mir der Schweiß bereits in Strömen vom Gesicht und ich wage gar nicht, meine Arme auf dem Tisch abzustützen, weil sich an den Berührungsflächen sofort Pfützen bilden. Der Professor macht für uns Gäste eine Ausnahme und schaltet die Klimaanlage ein. Nach weiteren fünf Minuten kann man den Raum dann als bewohnbar betrachten.
Das erklärte Ziel dieser Organisation ist die Renaturierung stillgelegter Agrarflächen, um durch menschlichen Einfluss verdrängte Insektenarten, unter anderem (oder vor allem) ein paar sehr schöne Libellenarten, wieder anzusiedeln. Diesbezüglich seien bereits einige Erfolge eingetreten – auch solche, die eigentlich nicht beabsichtigt waren. So habe sich nach der Aufnahme der Arbeit der NPO die Rote Libelle, die unter der japanischen Bezeichnung „Akatombo“ jedem Kind in Japan ein Begriff ist, stark verbreitet. Allerdings sei diese Libelle vorher in Aomori nicht heimisch gewesen, bis vor fünfzig Jahren gab es sie hier oben noch gar nicht – es war zu kühl. Die Verbreitung dieses Raubinsekts nach Norden ist also ein Anzeichen für die globale Erwärmung. Aber die spürt man auch weiter südlich. In Tokyo sollen schon Gottesanbeterinnen gesehen worden sein, und auch ein paar hässliche und auch giftige Spinnenarten sollen sich bereits in der Südhälfte von Honshû ausgebreitet haben. Na Mahlzeit, darauf kann ich verzichten. Aber vor die Wahl gestellt, würde ich lieber mit einer Gottesanbeterin zusammenleben.
Nebenbei hat man sich der Umwelterziehung der einheimischen Kinder verschrieben, und ich persönlich finde das angesichts des Mülls, den man auch in den Wäldern findet, recht notwendig. Der Professor ist sehr angetan vom deutschen Mülltrennungssystem, lobt es in den höchsten Tönen und zeigt uns ein paar typische Fotos, die er während einer Umwelttagung in Frankfurt am Main gemacht hat: Mülltonnen. Ich habe schon öfters Touristen in Trier am Bahnhof gesehen, die angesichts der verschiedenartigen Müllboxen auf dem Bahnsteig die Kamera rausholten und Fotos von den Eimern machten. Dann zeigt er ein paar andere Fotos und Statistiken, die belegen (sollen) wie sehr der Kohlendioxidgehalt der Luft in den vergangenen 200 Jahren zugenommen hat. Festgestellt wird das alles anhand von Ablagerungen verschiedener Art, in erster Linie durch Proben von den Polkappen, wo sich ja jedes Jahr eine aussagekräftige neue Schicht von Eis bildet.
Der liebe Professor redet viel und wir überziehen zehn Minuten lang, aber nach dieser Stunde hat keiner von uns mehr Unterricht. Zuletzt bittet er uns, an einer Radiosendung der „Apple Wave“, des Aomori-ken Lokalsenders, teilzunehmen, um von unseren heimatlichen Mülltrennungs- und anderen Umweltmaßnahmen zu berichten. Er kann uns noch kein Datum nennen, aber er werde mit unserem Dr. Hugosson in Kontakt treten, um die Sache in die Wege zu leiten. Natürlich interessiert mich diese Erfahrung… obwohl hier kaum jemand Radio hört und was von mir mitbekommen wird. Würde sich der Betrieb einer Radiostation lohnen (durch Werbeeinnahmen z.B.), dann gäbe es sicher mehr als zwei oder drei pro Region. Wenn ich bedenke, wie viel Radioauswahl ich in Deutschland genieße… dort kann ich mir beinahe für jedes Interessengebiet einen anderen Sender aussuchen – Musik auf RTL oder SR1, Nachrichten auf der Europawelle und beknackte Moderatoren auf Radio Salü (wenn man sich wieder vergewissern möchte, warum man diesen Sender nicht hören will).

Ich surfe danach ein bisschen im Internet und finde die Homepage von Koike Rina.
Wer ist Koike Rina? Dabei handelt es sich um die junge Schauspielerin, die die menschliche Luna in der „SailorMoon“ Realserie spielt. Aus verschiedenen Kommentaren kann ich entnehmen, dass Luna manche Leute so sehr an die wenig beliebte ChibiUsa erinnert, dass sie keine Chance hat, irgendwelche Sympathiepunkte zu erreichen. Diese Kommentare höre ich derweil nur aus Deutschland, aber wen wundert das? Die Animeserie war in erster Linie in Europa ein Erfolg, vor allem in Deutschland und Italien. Italiener haben wir hier aber keine, und auch Amerikaner, die immerhin einen Teil der Serie kennen könnten, haben wir auch nicht. Die Japaner, die ich gefragt habe, kennen zwar alle die Animeserie, streiten aber ab, die Realserie zu kennen. Andererseits wird sie aber auch zu einer Zeit gesendet, zu der Studenten noch tief und fest schlafen.

Wie dem auch sei, ich habe also “Lunas“ Homepage gefunden.
Aha… sie ist 1993 geboren und 135 cm groß, bei knapp 29 kg Gewicht. Meine Güte – ein Zwerg, und ein ziemlich leichter obendrein. Sie wird wohl noch ein paar Zentimeter wachsen. Rina ist unter Vertrag bei einer Promotion-Firma, die „Very Berry“ heißt, was im Japanischen Englisch irgendwo wieder lustig klingt, weil beide Begriffe gleich ausgesprochen werden. Diese Firma verdient ihr Geld offenbar mit der Vermittlung junger „Talente“ an Firmen, die etwas mit diesen produzieren, was sich irgendwie vermarkten lässt.
Eine der Firmen, die Rina „gemietet“ haben, ist z.B. „Idolland“ („Idol“ ist die japanische Bezeichnung für junge Showstars). Diese Firma wiederum verdient ihr Geld mit so genannten „Image Videos“. Das sind Videos, die, so fasse ich das zumindest auf, für die jeweilige Vertragsnehmerin (die sind nämlich alle weiblich, soweit ich das überblicken kann) als Werbemaßnahme zur „Weitervermietung“ dienen sollen – zumindest offiziell. Dass diese Videos nämlich für die Darstellung des künstlerischen Potentials der Vertragsnehmerin geeignet (oder auch nur gedacht) sind, halte ich für äußerst fragwürdig. Man kann sie auch im Handel kaufen, für 3900 Yen pro DVD. Dafür bekomme ich 40 Minuten Unterhaltung. Ich möchte es mal so nennen.

Man werfe einen Blick auf die Seite www.idolland.co.jp. Die Aufmachung der Seite sagt alles darüber aus, um was es hier tatsächlich geht. Aber für die, die keinen Zugang haben, führe ich das noch ein wenig aus. Die Gestaltung der Cover der DVDs (von den Fotos auf der Idolland Homepage mal ganz abgesehen) zeigt mir, dass hier sehr körperbetonte Aufnahmen verkauft werden. Oh nein, natürlich keine expliziten Details. Das würde dem ganzen Geschäft ja den legalen Rahmen rauben. Die meisten der dargestellten Mädchen sind minderjährig. Das ist im Idol-Business allerdings nichts Ungewöhnliches, und ich habe auch gar nichts dagegen, wenn die Mädchen singen und tanzen. Eben das tun sie in den „Idolland“ Produktionen aber eben nicht. Da sind Titel wie „Chûgakusei“ („Mittelschülerinnen“) nicht selten, und die Mädchen werden dargestellt in den „üblichen“ Outfits: Freizeitkleidung, Schuluniform, Schulsportdress (also T-Shirt mit kurzen, enganliegenden Hosen) und Badeanzug. Die Posen möchte ich dabei schon für „eindeutig“ bis „obszön“ halten, aber mir scheint, dass es Abstufungen je nach Alter der Vertragsnehmerin gibt: Je näher die Person an 21 (Volljährigkeit) herankommt, desto deutlicher treten die eigentlichen Zwecke dieser Aufnahmen hervor. Aber die ältesten Models bei „Idolland“ tragen immer noch Schuluniform, sind also bestenfalls 18 Jahre alt – sofern das Alter nicht falsch angegeben wird.
Sagen wir es kurz und knapp: Die liebe Rina kommt aus dem Loli-Business. Wie ich mit der „Altersabstufung“ andeutete, gibt zumindest das Cover ihrer DVD keine allzu erotischen Bilder her (ein magerer Spatz im Badeanzug ist nicht sonderlich anziehend in meinen Augen). Aber letztendlich handelt es sich dabei um ein Produkt, das in bewegten Bildern das zeigt, was man auch in dem kleinen Bilderbuch sehen kann, das ich vor wenigen Wochen gekauft habe. Man kann die inneliegende Pädophilie aus dem Bildschirm herausriechen. Aber ich will hier keinen Vorurteilen Vorschub leisten. Es gibt in Japan ganz bestimmt nicht mehr Pädophile als anderswo in der so genannten zivilisierten Welt – die legalen Grauzonen am Rand dieser Ausrichtung sind nur akzeptierter als sonst wo. Ich persönlich führe das auf eine Eigenart der japanischen Kultur zurück, die jedem Japaner und jeder Japanerin eingeimpft wird und sich in der Sprache niederschlägt.

Als ich im Winter in Tokyo war, habe ich mich, wie ich erzählt habe, mit Shizuka getroffen, die ich von ihrem Studienjahr in Trier her kannte. In Akihabara kamen wir an einem großen Werbeplakat vorbei, auf dem Nakama Yukie abgebildet war, und meine Sympathie für diese junge Frau habe ich in meinem Tagebuch schon öfters zur Sprache gebracht. Beim Anblick des Posters machte ich die Bemerkung, dass sie meines Erachtens die derzeit schönste Frau Japans sei. Shizuka sah mich an und fragte mich, ob ich sie „niedlich“ finde – „Kawaii?“ Die Rückfrage ließ mich kurz stutzen, weil ich an diesen Begriff überhaupt nicht gedacht hatte. Ich sagte, nein, „niedlich“ sei das falsche Wort, ich fände Yukie „schön“ – „utsukushii“. Bei „kawaii“ denke ich in erster Linie an „niedliche“ Kleinstkinder aller Art, seien es Tiere oder Menschen, aber nicht an erwachsene Frauen.
Sensibilisiert durch diese kurze Episode fielen mir in den folgenden Monaten öfters solche Kommentare auf, in denen der Begriff „kawaii“ auf erwachsene Frauen angewendet wurde, um ihr Äußeres und ihre Ausstrahlung zu beschreiben, und nach und nach fielen mir auch derlei Kommentare aus japanischen Filmen ein, die ich gesehen hatte. Ich muss daraus schließen, dass die Begriffe „hübsch“, „gut aussehend“ und „niedlich“ hier synonym sind. Der implizierte Sexismus solcher Sprachmuster besteht darin, dass, laut japanischem Sprachgebrauch, eine Frau, die nicht „niedlich“ ist, auch nicht „hübsch“ – und damit nicht anziehend sein kann. Ich habe eine solche Prägung nicht und bin durchaus der Meinung, dass schöne Frauen nicht unbedingt auch immer irgendwie niedlich sind.
„Niedlich“ ist ein Begriff, den ich – wieder beim Thema – mit einer kindlich-unschuldigen Art von Schönheit in Verbindung bringe. Nakama Yukie zum Beispiel besitzt für mich eine „erwachsene“ Schönheit, in der ich persönlich keine „Kindhaftigkeit“ sehe und auch nicht sehen kann. In Japan zu einer Frau zu sagen, sie sei „kawaiku nai“ („nicht niedlich“) ist allerdings schon eine Art Affront, da damit alle anderen äußeren Qualitäten, die die Angesprochene haben mag, in Frage gestellt werden. Diese zweifelsfrei männliche Sicht der Dinge hat natürlich der Kosmetikindustrie ihren Stempel aufgedrückt.[1]

Ein weiteres sprachliches Phänomen in dieser Richtung ist die seltsame Angewohnheit von japanischen Frauen, sich im mehr oder minder engen Bekanntenkreis mit dem eher kindlichen Suffix „-chan“ anzusprechen, den ich gerade beschrieben habe. Als Mitteleuropäer will ich nicht verstehen, warum erwachsene Frauen sich mit Bezeichnungen anzureden, wie sie eher in den Kindergarten passen würden. Ich würde gar nicht auf die Idee kommen, eine Japanerin, die 16 Jahre oder älter ist, mit diesem meines Erachtens diskriminierenden Suffix anzusprechen. Es ist ein Sexismus, der sich in der Sprache niederschlägt und die japanische Frau in ein untergeordnetes, kindliches Muster presst. Um dieses Konzept für die Frauen akzeptabel zu machen, erzählt man ihnen von klein auf, dass niedlich zu sein eine weibliche Tugend sei.
Wenn ich zu viel darüber nachdenke, wird mir noch übel davon. Ich bin ganz froh, dass der Umgang, den ich mit der Familie Jin pflege, nicht auf solche Stereotypen schließen lässt. Dr. Jin bedenkt seine Frau mit der sehr höflich zu nennenden Bezeichnung „Eiko-san, und dieses Suffix wird, laut dem einen oder anderen Soziologen, für gewöhnlich schnell vergessen, sobald man mal dasselbe Kopfkissen geteilt hat.

Ich gehe schließlich nach Hause. Ein Blick in den Himmel zeigt mir, dass der Himmel, der den ganzen Tag über, wie auch während der Tage zuvor, weitgehend klar gewesen war, jetzt bewölkt ist. Was mich daran erinnert, dass heute „Tanabata“ ist. Was ist Tanabata?
Laut einer Legende, die aus eigentlich aus China stammt, waren da vor langer Zeit einmal der Hirte Hikoboshi und die webende Prinzessin Orihime (die Sterne Vega und Altair), die sich so innig liebten, dass sie ihre Arbeit vernachlässigten. Darüber war der Himmelskaiser sehr erzürnt und er trennte die beiden durch den Himmelsfluss (die Milchstraße), über den sich nur am siebten Tag des siebten Monats eine Brücke spannt. Wenn es an diesem Tag allerdings regnet, tritt der Fluss über die Ufer, die Brücke bildet sich nicht und die beiden müssen ein Jahr auf die nächste Gelegenheit warten. Zu dumm, dass um dieses Datum gerade Regenzeit ist…
Ich bin sicher, dass es auch andere Versionen dieser Legende gibt, mindestens so viele, wie es diesbezügliche lokale Bräuche in Japan gibt. Manche Regionen z.B. feiern Tanabata erst am 07. August, weil dieses Datum näher an den ursprünglichen Zeitpunkt im Mondkalender herankommt, als der neuere Sonnenkalender. Ich habe Versionen gelesen, denen zu Folge auch der Hirte ein Prinz gewesen sein soll, und andere, nach denen er trotz seiner niederen Geburt die Prinzessin habe heiraten dürfen, bevor die beiden aus genannten Gründen getrennt wurden. Anderswo heißt es auch, dass sich die beiden nicht direkt begegnen, sondern nur sehen könnten, was natürlich nur geht, wenn der Himmel klar ist – was während der Regenzeit eigentlich eine Seltenheit ist.
Aber Tanabata ist ja nicht nur Legende, sondern auch eine feierliche Praxis. Abgesehen davon, dass anlässlich des Festes vielerorts kräftig gebechert wird, gibt es schöne Festivals zu sehen. Die Stadt Sendai zum Beispiel, ein Stück südlich von Hirosaki gelegen, ist berühmt für ihr Tanabata-Fest. Weiterhin ist es Brauch, kleine Papierzettel mit Wünschen an einen Bambusstrauch zu binden, in der Hoffnung, dass die Wünsche wahr werden. Gewöhnlich tut man das vor der eigenen Haustür, aber auch Bambusdekorationen an Bahnstationen werden verwendet. Traditionellerweise werden die Bambusgewächse in einen Fluss geworfen oder in ein Reisfeld gesteckt, um Unglück abzuhalten und eine gute Ernte zu erbitten.

Was jeweils aus dem Bambus wird, der für das Tanabata-Fest der Japanologie in Trier verwendet wird, ist mir allerdings nicht klar. Reisfelder haben wir ja keine, ebenso mangelt es unserer Fakultät an Kindern, die jung genug wären, um tatsächlich zu glauben, dass Wünsche wahr werden, die man an eine exotische Graspflanze heftet, die als Schlag- und Stichwaffe, sowie als Folterwerkzeug und Nahrungsmittel einen weitaus größeren Bekanntheitsgrad besitzt, und ich habe auch noch kein „Kommando“ bemerkt, dass den Bambus in die Mosel geworfen hätte, um so Unglück bei den kommenden Klausuren abzuwenden.


[1] Ich übersetze kawaii grundsätzlich als hübsch (engl. pretty) und verwende niedlich (engl. cute) nur in passend erscheinenden Kontexten – was mir noch den Unmut so manches selbstbewussten Hobbyübersetzers einbrachte.

6. Juli 2024

Dienstag, 06.07.2004 – Die Apfeltöchter

Filed under: Japan,Musik,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

Kondô-sensei hat heute einen Mann eingeladen, der gleich zwei Geschäfte betreibt. Zum einen ist er Gebrauchtwagenhändler und konzentriert sich bei seinen Ausführungen auf die japanische Version der TÜV-Abnahme. Der entscheidende Faktor bei der Kostenberechnung ist das Gewicht des Fahrzeugs, und der Spaß kostet in Japan das Dreifache dessen, was man in Deutschland blechen muss. Das klingt auf den ersten Blick unheimlich teuer, also will ich natürlich wissen, was ich für mein Geld bekomme. Er beschreibt zuerst die Sicherheitschecks und all das, was ich selbst kenne, aber das Interessante kommt danach: Der japanische TÜV schließt nämlich die Zahlung der Kfz-Versicherung und –steuer mit ein. Vergleicht man dann diese Posten als Ganzes mit dem deutschen Gegenstück, kommt man darauf, dass Autofahren (abgesehen von den überteuerten Autobahnen) in Japan deutlich billiger ist, als in Deutschland. Für einen Benz bezahlt man alle zwei Jahre um die 1000 E, und da ist alles mit drin.
Natürlich ist das kein allzu tiefer Einblick in die Geschäftswelt des Gebrauchtwagenhandels gewesen. Es ist kompletter Unsinn, zwei Geschäftszweige in einer Doppelstunde besprechen zu wollen, er hätte einen zweiten Termin bekommen sollen, wie auch der Versicherungsmensch vor einigen Wochen. Zum anderen ist der Herr nämlich der Manager der Firma „Ringo Music“, die nichts mit dem Schlagzeuger der Beatles zu tun hat. „Ringo“ ist das japanische Wort für „Apfel“, und welchen treffenderen Namen könnte es für eine solche Gesellschaft mit Sitz in Hirosaki geben? Es geht dieser Firma um die Förderung lokaler Talente und er stellt uns „Ringo Musume“ vor, die „Apfeltöchter“. Es handelt sich dabei um fünf junge Frauen, die man eigentlich besser „Mädchen“ nennen sollte, angesichts der Geburtsdaten zwischen 1987 und 1992.
Er hat Magazine mitgebracht, in denen die Fünf (die öfters anscheinend nur zu viert auftreten) abgedruckt und vorgestellt worden sind, darunter eines, das, anderen Artikeln nach zu urteilen, definitiv für Männer gedacht ist. Außerdem hat er eine CD dabei, die kürzlich erschienen ist. Zu meinem Gefallen handelt es sich dabei nicht um den üblichen 08/15 J-Pop. Die Mädchen haben irgendwo was eigenes, und die Musik ist ruhiger als das, was ich von anderen Gruppierungen kenne, die sich ebenfalls „Musume“ nennen. Und von denen gibt es nicht so wenige, wie man annehmen könnte. Aber ich kenne außer „Ringo Musume“ nur eine weitere selbst, und die reichen mir eigentlich völlig für alle anderen Vertreter der „Töchterbands“. Das herausragende Kriterium von „Ringo Musume“ ist die Live-Band, die für die Hintergrundmusik sorgt. Bei „normalen“ Gruppen sind nämlich Melodien vom Band, bzw. von CD üblich. Sie singen auch besser als „Morning Musume“, aber das ist nicht schwer. Die Texte von „Ringo Musume“ haben natürlich dennoch einen literarischen und philosophischen Anspruch wie ein Drei-Groschen-Western von G.F. Unger. Lustig ist allenfalls noch, dass die Künstlernamen der Mädchen mit den Bezeichnungen verschiedener Apfelsorten identisch sind. Kleidung und Auftreten richtet sich nach Farbe und Geschmack des Apfels.
Wir bekommen zwei Seiten Ausdrucke aus einem amerikanischen J-Pop Forum, in dem die Apfeltöchter nur miese Kritiken bekommen haben. Ein schneller Blick in das Forum sagt mir später, dass es sich bei den Kommentatoren um eingefleischte „Morning Musume“ Fans handelt, die ihren Senf dazu abgeben, dass „Ringo Musume“ sich dem „Hello Project“ anschließen möchte. Ich will das nicht weiter ausführen; in Kürze handelt es sich dabei um ein organisatorisches Gebilde von (meiner Meinung nach oft wenig gesangsbegabten) Künstlerinnen im Dunstkreis von „Morning Musume“. Das „Hello Project“ ist allerdings sehr populär, und wer auch immer da mitmacht, kann mit steigenden CD-Verkaufszahlen rechnen. Wenn die Apfeltöchter wissen wollen, was gut für ihren Ruf ist, sollten sie den Plan lassen und lieber mittelmäßige eigene Lieder statt schlechte fremde Lieder singen. Aber der Kernpunkt des Eintrags ist die Internetadresse, von der man ein 80 MB großes Video der Apfeltöchter aus dem Internet runterladen kann, um sich ein Bild zu machen. Ich stelle nach dem Unterricht die Downloadadresse dem Animetric Forum zur Verfügung und bin gespannt, ob irgendjemand darauf reagiert. Ich wage es ja zu bezweifeln.

Am Abend habe ich einen ganz furchtbaren Appetit auf Fleischspieße und Oden, also gehe ich mit Melanie zu der entsprechenden Bude, um zu essen. Allerdings soll es dabei nicht bleiben und wir gehen um kurz nach Neun noch ins Skatt Land und lassen den Fleischspießen noch eine Pizza folgen. Allerdings erwische ich schon wieder eine, die nicht gebacken, sondern frittiert wird, und die sind meines Erachtens nicht sonderlich toll. Vielleicht sollte ich in Zukunft einfach bei Mixed, Thunfisch und Curry Pizza bleiben. Viel Zeit, im Skatt Land zu essen, habe ich ja nicht mehr.

5. Juli 2024

Montag, 05.07.2004 – „Spawn more Overlords!“

Filed under: Japan,My Life,Spiele,Uni — 42317 @ 7:00

Es ist heute etwas kühler als in den vergangenen Tagen, aber die Luftfeuchtigkeit ist immer noch so hoch, dass man bei der kleinsten Bewegung ins Schwitzen kommt. Außer dem üblichen Schreibgeschäft hat dieser Tag nur zwei Dinge zu bieten:

Zunächst einmal hat „einer der lustigen Chinesen“ (oder auch „one of these fine Chinese gentlemen“, wie Misi zu sagen pflegt) eine englische Version des Echtzeit-Strategie-Klassikers „StarCraft“ auf einem der Rechner im Center installiert, und weil es schon ein paar Jahre her ist, spiele ich eine Partie. Ich nehme auch nicht an, dass es die letzte bleiben wird…

Am Abend sehen wir uns „Kozure Ogami“ an, und es handelt sich um eine funkelnagelneue Staffel. An dem Ablauf der Dinge hat sich natürlich nichts Atemberaubendes geändert, aber Ogami hat an einer Stelle laut gedacht! Das heißt, er hat, wie üblich, nichts gesagt, aber sein Gedankengang wurde an einer Stelle laut eingespielt. So was habe ich in dieser Serie bis jetzt noch nicht erlebt, das ist geradezu revolutionär (ich sagte ja bereits etwas über die Starrheit des japanischen Kunstgewerbes). Außerdem ist bei Daigorô, Ogamis etwa fünfjährigem Sohn, verstärkter Haarwuchs auf dem sonst teilrasierten Kopf festzustellen! Wenn’s kommt, dann gleich dicke, oder wie sehe ich das? 🙂

2. Juli 2024

Freitag, 02.07.2004 – Tauchstation in Sicht

Filed under: Filme,Japan,Manga/Anime,My Life,Uni,Zeitgeschehen — 42317 @ 7:00

Nachdem wir also zu Fuß zur Universität gegangen sind, verbringe ich den Morgen vor den Computern im Center. Schließlich erscheint auch Mei, die auf eigene Faust nicht mit „CDex“ und „Nero“ zurechtgekommen ist und um weitere Hilfe bei der Konvertierung ihrer CDs bittet. Aber sie wolle es selbst machen und ich solle nur dann eingreifen, wenn sie nicht weiterwisse. Sehr löblich, gute Einstellung. Der oder die eine oder andere könnte sich davon eine Scheibe abschneiden. Aber Probleme hat sie eigentlich nur mit dem Nero Cover Designer. Das Nero Brennprogramm selbst ist eines der einfachsten Programme überhaupt. Daher bekommt sie ihre CD weitgehend alleine hin. Ich brenne dann selbst noch zwei CDs mit den „Anime Trance“ Stücken drauf und schenke sie Eve, als Dankeschön, dass sie meinen für sie sicherlich nicht sehr spannenden Kampfbericht korrigiert. Der Rest sei ihr Projekt fürs Wochenende, sagt sie.

Bei Kuramata-sensei bekommen wir heute einen Vortrag über Klimageschichte gehalten, also darüber, wie sich das globale Klima in den vergangenen Jahrtausenden so entwickelt hat und woher man darüber Bescheid weiß. Man kann aus dem Eis der Pole, aus Ablagerungen am Boden von Seen und aus Baumringen so einiges erfahren.
Im Übrigen berichtet auch dieser Doktor hier von einer „Mini-Eiszeit“, die im frühen 16. Jh. begonnen und bis etwa 1850 angehalten habe. Nach dem Ende dieser kühlen Periode sei die globale Temperatur beständig gestiegen und dies ginge eher zufällig mit der industriellen Entwicklung auf dem Planeten einher. Mit anderen Worten: Die globale Erwärmung hänge nur zum Teil mit dem menschlich verursachten Ausstoß von Treibhausgasen zusammen. Wir könnten tun, was wir wollen – auch wenn wir den Ausstoß von Kohlendioxid auf ein Minimum oder gar Null reduzieren, könnten wir das weitere Abschmelzen der Polkappen nur verzögern, aber nicht verhindern. Einige Leute werden nasse Füße bekommen, da der Meeresspiegel, laut Aussage unseres Vortragenden hier, in den kommenden Jahrzehnten um 50 bis 70 Meter steigen werde, nur der Zeitplan sei noch nicht sicher. Ein Blick auf die Karte Japans offenbart mir, dass die komplette Tsugaru-Ebene überflutet wird und gerade die südlichsten Teile von Hirosaki könnten als Küstenflecken noch trocken aus dem Meer herausragen. Auf der Ostseite der Berge wird es nicht besser aussehen, Hachinohe und die Ebene darum herum werden überflutet, weiter nördlich wird die Landspitze um Mutsu zur Insel.
Ich frage den Doktor nach der Kantô-Ebene, die sich landeinwärts hinter Tokyo erstreckt. Er sagt, das Gelände werde wohl bis zum Landkreis Gunma im Meer versinken. Wenn man sich die Landkarte anschaut, wird man feststellen, dass Gunma dort anfängt, wo die Kantô-Ebene, bedingt durch Berge, aufhört. Das ganze Gelände wird schlicht und ergreifend absaufen und ein Grossteil der Reisebenen Japans wird unter der Meeresoberfläche verschwinden.

Nach dem Unterricht versuche ich, einen Platz in der Bibliothek zu bekommen, aber der Laden ist voll. Das Semesterende naht und Abschlussarbeiten werden verfasst. Also hier alles beim Alten. Ich gehe ins Center zurück und beginne dort mit dem Schreiben meines Tagesberichtes. Dann kann ich die historischen Daten zwar nicht sofort eintragen, aber immerhin ist der Bericht dann schon geschrieben. Um 17:30 gehe ich wieder, schwinge mich auf mein Rad und mache mich daran, Melanie vor dem Kino zu treffen – wir werden uns den dritten „Harry Potter“ ansehen. Allerdings gehen wir zuerst in den Sushi Shôgun zum Essen. Ich war nur ein paar Wochen nicht hier und merke beim ersten Stück sofort, wie sehr ich den Laden vermisst habe. Ich sollte öfters hingehen. Ich glaube nämlich nicht, dass ich in Deutschland zwei mit Fisch belegte Reisröllchen so schnell wieder für umgerechnet 75 Cent bekommen werde.

Was den Film betrifft, so merkt man, dass da ein anderer Regisseur am Werk war, die Stimmung ist anders als in den ersten beiden Filmen. Alles in allem ein weiterer netter Streifen aus der Reihe, dem immer noch etwas fehlt, um richtig gut zu sein. Der Verschleiß von Lehrern aus dem Fachgebiet „Abwehr gegen böse Künste“ hält an; es handelt sich wohl um einen „running gag“, dass mit denen immer irgendwas nicht in Ordnung ist, seien sie Verbündete des Bösen, Scharlatane oder Werwölfe. Bin schon beinahe gespannt, was für eine Macke der nächste hat. Die „Dementoren“ kommen mir irgendwie wie Ringgeister vor, was ihr Äußeres und ihre Geräusche betrifft, und Harry selbst kommt so langsam rüber wie Anakin Skywalker. Er entwickelt eine impulsive Ungeduld im Umgang mit seiner „Macht“, und dass er für die dunkle ebenso wie für die helle Seite, repräsentiert durch die Häuser Slytherin und Gryffindor, geeignet ist, muss ich nicht extra hervorheben.

Wir fahren nach Hause und ich will schlafen, aber kaum liege ich im Bett, klingelt es an der Tür. Die E.A.V. hat für diese Situation geschrieben: „… es sind die Nachbarn, besoffen, mit einer Kiste Bier.“ Nun gut, es ist ein Nachbar, nämlich SangSu. Besoffen ist er nicht, aber Bier hat er dabei. Der größte Teil meiner Sake-Flasche geht normalerweise fürs Kochen drauf, und allein trinken ist nicht mein Ding, also nehme ich die Gelegenheit wahr.
Melanie, in Feierlaune (der Film hat ihr gefallen, wie es scheint), läuft zum Hotspar und besorgt ein paar Flaschen „Two Dogs“, weil ich Sake trinke und kein Bier mag, und sie weder Sake noch Bier ausstehen kann, was SangSu in schönster Regelmäßigkeit vergisst. Während Melanie also noch weg ist, geht SangSu runter in seine Wohnung und holt seinen Laptop hoch, weil er uns „Azumanga Daiô“ zeigen will.

Vielleicht liegt es daran, dass ich anderthalb Meter vom Bildschirm weg sitze, dass mir die auflösungsbedingte Unschärfe, die ich am Unirechner beobachten durfte, nicht so auffällt. Ich möchte feststellen, dass es sich um eine ganz hervorragende Serie handelt, auch wenn es sich um eine Ansammlung von kurzen Einzelepisoden zu handeln scheint, die nur einen lockeren Zusammenhang besitzen. Aber das Konzept funktioniert ja auch bei „Atashin’chi“, sogar ganz hervorragend. Außerdem muss ich Drehbuch und Regie ein Lob aussprechen (und natürlich den Sprechern) für die klar verständliche Sprache, die in den seltensten Fällen mal wirklich schnell wird und auch nicht mit wilden Dialekten und Slangs zu Gange ist. Die Charaktere sind sehr sympathisch und die Designs ansprechend, dazu gefällt mir der Humor, also was will ich mehr? Ich frage mich allerdings, ob es in der Serie auch männliche Charaktere in tragenden Rollen gibt.[1]
Ich revanchiere mich für die Vorführung und drücke ihm die ersten drei Episoden von „Gash Bell“ in die Hand, um sie gleich im Anschluss ins Laufwerk zu schieben. Die Serie kommt auch gut an. Wichtig ist schon mal, dass die Serie auch Melanie gefällt – eine Kombination, die selten zu Stande kommt. Eine Episode „One Piece“ sehen wir uns auch noch an, aber es handelt sich wohl um eine fortgeschrittene Staffel und die Handlung erklärt sich mir nicht von alleine, weil man die vorhergehenden Episoden gesehen haben muss, um sie zu verstehen, also verstärkt sich mein Drang, „One Piece“ zu sehen, nicht.
Natürlich dauert der Tag auf diese Art und Weise entsprechend lang und ich muss den Plan aufgeben, um zehn Uhr morgens an der Bibliothek zu sein.


[1] Es gibt einen männlichen Lehrer. Aber es heißt auch, dass die Darstellung eines Schülers, die in einer der ersten Szenen des ersten Bandes zu sehen war, in einer späteren Ausgabe des Manga durch die Darstellung einer Schülerin ersetzt wurde, um das Gesamtkonzept nicht zu stören.

30. Juni 2024

Mittwoch, 30.06.2004 – Hallo, Vermittlung?

Filed under: Filme,Japan,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

In einem kaum zu kühlenden Lehrsaal beendet SangSu heute seinen Vortrag über das japanische Bankensystem und wieder hält Kondô-sensei die halbe Stunde, weil SangSu verschiedene Details nicht verstanden hat. Dafür erhält er den Auftrag, den nächsten Text für die kommende Stunde ebenfalls vorzubereiten und noch einen themenverwandten Vortrag zu halten.

Mit Hugosson fahren wir in einem Wagen der Universität heute zu einer NPO, „Non-Profit-Organization“, einer Organisation, deren erklärtes Ziel nicht materieller Gewinn ist. Wir erleben auf der Fahrt einen kräftigen Platzregen und sehen amüsiert oder mitleidig den davon überraschten Fahrradfahrern hinterher.
KiJong schreibt währenddessen kleine Nachrichten auf ihrem Telefon und Hugosson fragt sie scherzhaft, ob sie ihrem Ehemann schreibe. Nein, sagt sie, er sei „nur“ ihr Freund. Und dann verliere ich das Interesse an dem Gespräch, weiß also nicht, wie sich die Pointe fünf Minuten später herleitet, als sie sagt, dass ihr Freund Schauspieler sei. Ob er berühmt sei, fragt Hugosson, wieder ohne die Frage sonderlich ernst zu meinen. Schließlich sind Statisten in TV-Serien auch irgendwo Schauspieler, und einige machen diese Hintergrundrollen ja auch professionell. KiJong aber sagt, dass ihr Freund „mehr oder weniger“ berühmt sei. Ja, was bedeutet denn das? Sie sagt, er habe eine der Hauptrollen in dem recht neuen koreanischen Film, der in Japan unter dem Titel „Brotherhood“ in den Kinos laufe, und sie finde es gar nicht gut, wie er mit dem ganzen Schmutz und Schweiß im Gesicht aussehe.
Die Welt kommt mir dabei wieder ziemlich klein vor. Der Werbung nach zu urteilen ist „Brotherhood“ nicht irgendein ostasiatischer Actionstreifen. Aufnahmequalität und die gezeigten Bilder deuten auf einen durchaus ernsthaften Film hin, der sich möglicherweise mit US Produktionen messen kann. Ich wollte ihn schon längst im Kino sehen, aber ich komme nie dazu. Irgendwann wird er aus den Kinos wieder verschwinden, falls er das nicht schon ist, und wenn ich die DVD-Veröffentlichung in Japan verpasse (und der Film in Europa nicht rauskommt), dann werde ich SangSu fragen müssen, ob er mir eine Version aus Korea schicken kann. Ich gehe davon aus, dass DVDs dort deutlich billiger sind, als in Europa und vor allem in Japan.

Das Büro der Organisation, die wir besuchen, befindet sich in einem Gebäude, in dem offenbar viele Nachhilfeschulen untergebracht sind, denn das ganze Haus ist voller Schüler, die mit ihren Blicken ein nicht geringes Interesse an dieser Konzentration von Ausländern bekunden. Die selbst gestellte Aufgabe der NPO ist die Vermittlung von freiwilligen Helfern jeder Art. Es kann jeder in das Büro kommen, wo er oder sie einen Fragebogen ausfüllen und eine Art Vorstellungsgespräch führen muss, der sich als Freiwilliger registrieren lassen möchte. Auf dem Fragebogen gibt man also an, welche Aufgaben man übernehmen möchte und welche lieber nicht, dann natürlich die notwendigsten persönlichen Daten und allgemeine Interessengebiete. Gleichzeitig kann sich auch jeder in diesem Büro melden, der Freiwillige für irgendeine Aufgabe sucht, sei es also Autos mittels eines blinkenden Stabes um eine Baustelle herumleiten oder Kinder hüten. Anhand der erstellten Kartei kann man sich jemanden heraussuchen, der für die Aufgabe am ehesten geeignet erscheint. Der Freiwillige bleibt dabei bis zum letzten Moment anonym.
Wir sitzen in der Sitzecke des Büros, in dem sich etwa ein Dutzend Leute befinden, von denen ebenfalls nur zwei für das, was sie tun, bezahlt werden, nämlich der Büroleiter, der uns erzählt, was hier so läuft, und seine Stellvertreterin, die für die Einstellungsgespräche und für die ganze Kartei zuständig ist. Man könnte sagen, sie trägt die Last der Arbeit und er die Verantwortung – weswegen es Hugosson am liebsten gewesen wäre, wenn sie das Gespräch mit uns geführt hätte. Aber nach dem japanischen „Senpai-Prinzip“ redet grundsätzlich der, der eine längere Firmenlaufbahn hinter sich hat. Und wenn die Arbeitserfahrung gleich ist, wird automatisch der Mann zum Repräsentanten. Der Chef redet also, während seine Stellvertreterin eher wie schmückendes Beiwerk daneben sitzt und hin und wieder zustimmend nickt. Ich glaube, sie hat während der Stunde einen einzigen zusammenhängenden Satz geredet. Andererseits trägt sie wie gesagt ja auch die Arbeitslast, was sich darin äußerte, dass sie sich wegen ankommender Klienten zweimal kurz entschuldigen musste.
Die NPO veröffentlicht übrigens eine eigene Zeitung, die alle zwei Monate erscheint. Ich bestätige, die Zeitung in der Zeitschriftenecke der Studentenhalle in der Universität schon einmal gesehen zu haben, aber an meine Haustür werde sie, anders als dargestellt, nicht geliefert. Das sei ganz klar, sagt der Chef, die Zeitung werde nur an Mitglieder der Nachbarschaftsorganisationen ausgeteilt, und normalerweise werden Austauschstudenten nicht mit einer Mitgliedschaft belästigt, da sie nur über einen begrenzten Zeitraum im Land bleiben.

Hugosson möchte, dass wir einen kurzen Bericht über den Besuch schreiben und erinnert mich daran, dass ich die Mail, die nur der Kontaktaufnahme dienen sollte, immer noch nicht geschrieben habe. Ich hole das gleich nach unserer Rückkehr nach. Ich gehe in die Bibliothek, aber da ist kein Durchkommen, also schreibe ich die Mail vom Center aus. Warum wir den Bericht schreiben sollen, ist mir nicht wirklich klar, denn eigentlich handelt es sich dabei um eine Aufgabe für den Englischunterricht in der Mittelstufe. Aber gut, wenn er denn möchte. Mehr als eine halbe Seite gibt es darüber nicht zu schreiben, wenn man sich auf die nackten Fakten beschränkt. Ich füge noch eine persönliche Meinung über den Ablauf des Ganzen hinzu, um etwas mehr Raum auf dem Papier zu füllen und vergrößere den Zeilenabstand auf 1,5.

Dann gehe ich ins Ito Yôkadô und hole die CD von Orikasa Fumiko ab. Es handelt sich in der Tat um ein volles Album für 3000 Yen, aber das stört mich wenig, vor allem, nachdem ich sie mir angehört habe. Fumiko gibt keinen 08/15 J-Pop zum Besten, sondern schöne, ruhige Musik, und bis auf ein oder zwei Songs, die nach einer Weile langweilig werden, kann man sich alle auch öfters mal anhören. Vielleicht handelt es sich dabei nicht gerade um partytaugliche Musik, aber als Hintergrundmusik für ein gemütliches Essen kann sie allemal herhalten.

Meine Bonuskarte der „Shinseidô“ CD Abteilung ist jetzt voll, das bedeutet, ich habe 2000 Yen „Dankguthaben“ dafür erhalten, für 40.000 Yen CDs gekauft zu haben, umgerechnet etwa 300 E. Ich überlege mir, was ich mit den 2000 Yen anfangen könnte und frage nach einer CD der „Drifters“, deren „Bibanon Ondo“ mir sehr gut gefallen hat. Allerdings gibt es von der Gruppe nur zwei Sammelalben, zwei Doppel-CDs, für jeweils 3900 Yen. Ich denke, dass ich mir erst Samples von der Seite des Vertriebs herunterladen will, bevor ich mich zu einem Kauf entscheide. Oder aber ich bemühe den Verleih… auf jeden Fall vertage ich die Entscheidung über mein „Dankguthaben“.

25. Juni 2024

Freitag, 25.06.2004 – … Party los!

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Ich brenne am Morgen den Großteil meiner derzeit verfügbaren Daten und habe somit wieder Platz auf der Festplatte. Bin gespannt, wann ich dazu komme, mir das alles anzusehen… „Bakuretsu Tenshi“, „eX Driver Danger Zone OVA“, „BLAME“ und „Combustible Campus Guardress“ sind jetzt neu in meiner Sammlung.

Wir besuchen mit Kuramata-sensei eine Sake-Brauerei im Umland von Hirosaki und werden durch die Anlage geführt, gegen die die Karlsberg Brauerei zuhause wie ein High-tech Chemiewerk aussieht. Die Anlage in Hirosaki hat mehr das Flair einer besseren Schwarzbrennerei in der heimischen Garage. Gut, das ist untertrieben. Der Eindruck mag daher kommen, dass in dem Laden nichts los ist – japanischer Sake wird nämlich nur im Winter hergestellt. Im Sommer beschränkt sich die Firmenaktivität auf… ja, auf was eigentlich? Ich sehe ein paar Damen, die Flaschen einer besonderen Sorte von Sake etikettieren und in Kisten stellen. Alle anderen Angestellten scheinen nur wegen uns da zu sein und eigentlich nichts zu machen. In der Anlage herrscht sommerliche Stille.
Man erklärt uns zuerst das Herstellungsverfahren. Der Reis kommt an und wird poliert, das heißt, er verliert einen gewissen Prozentsatz seiner Substanz ab der Außenhaut in Richtung Kern. Der Reis, der gegessen wird, hat eine 92er Politur, das heißt, dass 8 % der Substanz, das ist hauptsächlich die Schale, mit Hilfe von Sandpapier in einer speziellen Anlage abgefräst werden. Für normalen Sake werden 30 % wegpoliert, und für einen Spitzensake sind es bis zu 60 %. Da bleibt von dem Korn kaum was übrig, aber angeblich ist das Endprodukt ungeheuer gut. Vielleicht sollte ich doch mal teuren Sake kaufen. Ich komme so schnell nicht mehr her…
Der Angestellte führt weiter aus, dass der Reis in seinen Außenschichten mehr Nährstoffe enthalte, als in seinem Inneren, und diese Nährstoffe störten den Gärungsprozess. Er erklärt das nicht genauer, aber ich kann mir denken, wie er das meint. Für eine gute Gärung muss man die bakterielle Aktivität in der… Protomasse (Maische?) unter Kontrolle halten, und wenn die Bakterien zu viel zu futtern haben, gerät die Sache eventuell aus dem Ruder und setzen dem Geschmack Dinge zu, die da nicht reingehören. Aber das ist nur mein laienhafter Gedanke bei der Sache, weil ich von Brauchemie überhaupt keine Ahnung habe. Ich will aber auch nicht selber machen, sondern nur trinken. Ich möchte wissen, was man mit dem Staub macht, der nach dem Polieren übrigbleibt: Das Reismehl werde gesammelt und an andere Firmen weitergegeben, z.B. um Klebstoff daraus zu machen.
Man führt uns anschließend in eine Ecke einer Fertigungshalle, wo eine Destille steht. Aha, aus Frankreich importiert, wie man uns mitteilt. Aber japanischer Sake wird gegoren, ist also Wein, und nicht gebrannt, also was macht diese Destille hier? Man kann aus Reis auch Schnaps machen, sagt der Angestellte und weist auf einen weiteren Mitarbeiter in einer Arbeitsschürze, der neben einem Fass Aufstellung genommen hat. In dem Fass befindet sich ein eben solcher Reisschnaps, und ich habe leider nicht verstanden, ob es sich um Weinbrand handelt oder um ein… Direktprodukt. Der Mann in der Schürze taucht eine Schöpfkelle in den Bottich und bietet uns grinsend einen Schluck an. „45 %“ sagt er nur. Ei, dann lass die Kelle mal kreisen, guter Mann! Unseren Freunden aus Thailand ist die Mischung ein wenig zu stark, während Mélanie die Portion ohne viel Aufhebens schluckt. Der Schnaps ist stark, kein Zweifel, aber sehr angenehm zu trinken (nach meinem Empfinden). Ich erlaube mir einen zweiten Schluck und mache mir eine mentale Notiz, dass ich Yukiyo bei Gelegenheit nach dem Zeug fragen muss, wenn sie schon an der Quelle arbeitet.
Zuletzt bekommen wir drei Flaschen vorgesetzt, die Sake in drei verschiedenen „Härtegraden“ enthalten und wir sollen sie bitte probieren und ein Urteil abgeben. Der Alkoholgehalt ist überall gleich, nur die Rezeptur unterscheidet sich ein wenig. Der „mittlere“ ist der beste, denke ich, eine gute Mischung aus Alkohol und Geschmack. Und zum Abschied bekommen wir jeder eine 0,2 l Flasche geschenkt, „karaguchi“, also stark. Man solle diesen Reiswein am besten auf Eis trinken, sagt man uns, damit etwas Verdünnung dabei sei. Aber natürlich spreche nichts gegen den puren Genuss.
Und dann gehen wir nach draußen. Ins Warme. Es trifft mich ein sanfter Schlag „von Innen“ und ich muss Acht geben, auf dem Weg zum Bus nicht zu sehr zu wanken.

Dr. „Dragon“ gibt die CD an Ogasawara-sensei zurück und ich bitte gleich darum, sie mir als nächstes ausleihen zu dürfen. Allerdings bin ich davon nach dem Anhören nicht sehr begeistert, da „The Boom“ offenbar auf einen Mix von „klassischem“ J-Pop und Ska spezialisiert ist, und bis auf ein einziges Lied („Michizure“) ist die „Single Collection“ eine Ansammlung langweiliger und gleich klingender Vertreter der japanischen Popmusik. Sehr enttäuschend.

Nach dem Unterricht haben wir noch eine Stunde Zeit, unsere Post durchzugehen und ähnliche Dinge zu tun, so arbeite ich zum Beispiel weiter an meinen Rückreiseplänen. Da ich die Stipendiumszahlung vom 01.09. noch in Anspruch nehmen will (ich kann nicht auf 600 E verzichten), werde ich am 02.09. fliegen. Melanie hat da das Problem, dass ihre letzte Zahlung erst Ende September fällig ist, und bei ihr geht es um fast doppelt so viel Geld. Sie wird die Wohnung alleine bestreiten müssen. Vorsorglich bestelle ich ein Zimmer im Gästehaus, für den Fall, das Melanie sich dazu entschließt, mit mir zusammen heimzureisen. Das heißt, ich fülle den Antrag aus, aber ob ich auch bezahle und die Buchung damit vollständig mache, ist was Anderes. Wenn Melanie noch über September hierbleibt, werde ich natürlich nicht schon ab dem 31.08. ins Gästehaus ziehen.

Um kurz nach Fünf fahren wir nach Hause und verpacken unsere vorbereiteten Nahrungsmittel so gut wie möglich und fahren zum „Schorum“ („school forum“), dem Restaurant im zweiten Stock des Mensagebäudes[1], wo die Party von „KIWA American“ steigen soll. Ich glaube, wir sind die ersten Ausländer vor Ort und bis auf ein paar (übrigens ebenso schmackhafte wie violette) Onigiri ist unser mitgebrachtes Essen das einzige, das selbst gemacht ist. Die übrigen Tische sind voll beladen mit Chips und Keksen und allem möglichen anderen Junkfood. In Folge müssen wir in der Küche Essstäbchen besorgen, da man den Nudelsalat ja nicht mit den Fingern essen kann. Der größte Teil davon wird übrigens weggegessen.
Als nächstes packt mich das Grauen, als ich den „Party Zeitplan“ erblicke. Oh, es steht gar nichts so schreckliches darauf, mich erschüttert nur immer wieder die Tatsache, dass es solche Zeitpläne überhaupt gibt!
Ich sehe mich um und versuche mir einen Überblick über die Nicht-Japaner zu verschaffen. Einige der Thais sind da, das heißt Ii, Nun, Wiirit und Nan, die Koreaner sind zahlreich vertreten, SangSu, Jû, SongMin, MinJi und einige andere, deren Namen mir nicht geläufig sind, nur SungYi kann ich nicht entdecken, dann sind noch mindestens drei Chinesinnen da, deren Gesicht ich kenne, aber nicht BiRei und Mei, weil die, wie sich später zeigen wird, wie auch ich noch vorgestern der Meinung sind, die Party sei erst am Samstag. Baqr, der Ägypter, ist ebenfalls vor Ort, ebenso Irena, Chris und Eve. Misi, Marc oder Alex sind nicht erschienen, ebenso wie auch die männlichen Chinesen, von denen sich kein einziger hier blicken lässt.

Zuerst hält der Clubpräsident eine Begrüßungsansprache in holprigem, aber verständlichem Englisch, und seine Stellvertreterin übersetzt das Ganze ins Japanische. Und damit dabei auch bestimmt nichts schiefgeht, sind beide Texte im Voraus geschrieben und einstudiert worden, weswegen der Ablauf etwas ins Stocken gerät, als der Vorsitzende einen Nebensatz vergisst und die Übersetzerin somit kein Stichwort erhält. Dann erklärt er die Regeln des obligatorischen Spiels, das eigentlich kein Spiel ist, sondern eine Motivation zur Kommunikation, wieder mal ein Wenig im Hauruck-Stil. Jeder hat eingangs ein Namensschild erhalten, mit dem Namen und einer Nummer darauf. Man soll zuerst die Person ausfindig machen, die die gleiche Nummer hat, wobei durch eine zweigeteilte Anwesenheitsliste grob gewährleistet ist, dass nicht zwei Japaner oder zwei Ausländer zusammenkommen, obwohl das „nationale“ Ungleichgewicht der Anwesenden für eben solche Einzelfälle sorgt. Hat man die betreffende Person also gefunden, soll man sich mit dieser für zehn Minuten auseinandersetzen und sich schließlich gegenseitig vorstellen. Ich finde Shida Eiko, 18 Jahre alt, im ersten Studienjahr, geboren in der Präfektur Aichi, mit 10 Jahren umgezogen nach Niigata und vor wenigen Jahren in Hirosaki gelandet. Sie will Lehrerin an einer Mittelschule werden… weil ihr diese Zeit so gut gefallen habe, wie sie sagt.
Die Aufgabe ist, sich gegenseitig in englischer Sprache vorzustellen, was möglicherweise von Seiten der Japaner ganz sinnvoll ist, aber man hätte die Ausländer schon zum Japanisch sprechen bewegen sollen. So ist die ganze Sache ja ein Kinderspiel. Zumindest für mich, denn MinJi z.B. klagt laut, was sie denn tun solle, weil sie eigentlich kein Wort Englisch könne (ihr Englisch ist wirklich sehr rudimentär).
Jedes Paar hat zwei Minuten Zeit, sich gegenseitig vorzustellen, daneben steht auch einer mit der Stoppuhr (!) und nach irgendwelchen nie genannten Kriterien soll am Ende ein Siegerpaar gekürt werden. Natürlich ist all die Arbeit vergebliche Liebesmüh, weil vielleicht ein Drittel der Anwesenden, aber nicht mehr, den Ausführungen auf der kleinen Bühne zuhört, während die anderen das machen, wofür die Party eigentlich ausgerufen wurde: Sie unterhalten sich interkulturell.
Ich bin mit Eiko als drittes Paar an der Reihe, weil wir ja relativ früh da waren. Eiko fängt an und nachdem ich im Anschluss dann den ersten Satz gesprochen habe, in dem ich Eiko für ihre Vorstellung meiner Person danke, geht ein Raunen durch den Saal. Mein Gott, ist mein Englisch denn so umwerfend für die japanischen Zuhörer oder habe ich irgendein Geschehnis verpasst? Wie dem auch sei, wir kommen mit unseren zwei Minuten gut hin und nachdem wir die kleine Bühne wieder verlassen haben, findet Eiko gleich mit Melanie zusammen und tauscht sich mit ihr über japanische TV-Serien aus.

Nach dem so genannten Spiel folgt ein kurzer Vortrag (von 20 Minuten) von Prof. Uematsu zum Thema „Warum Fremdsprachenerwerb wichtig ist“, wobei er eingangs erwähnt, dass er bis vor wenigen Augenblicken noch keine Ahnung hatte, dass er vor einer internationalen Gruppe sprechen sollte, weil der Clubvorsitzende nur etwas von Clubmitgliedern erwähnt hatte, als er ihn um den Vortrag gebeten hatte, daher richte sich sein Vortrag natürlich an Japaner und sage den anderen Gästen mit höchster Wahrscheinlichkeit nicht viel. So etwas meinte ich, als von „Chaoten“ sprach.
Uematsu-sensei sagt, er habe damals sogar auf Englisch geträumt, als er Schüler und Student war, was mich wenig wundert, wenn ich seinen Ausführungen, dass er ununterbrochen englische Vokabeln wiederholt habe, Glauben schenken darf. Er erzählt mir sonst wirklich nichts Neues, und ich will nicht weiter darauf eingehen, weil jeder vernunftbegabte Mensch eine Vorstellung davon haben sollte, warum man Fremdsprachen lernen sollte. Aber für die meisten Japaner dürften seine Argumente, vor allem in Bezug auf die Methodik, geradezu revolutionär sein, geht doch das hartnäckige Gerücht um, dass Japaner wegen der angeblichen Einzigartigkeit ihrer Sprache und Kultur angeblich nicht in der Lage seien, eine Fremdsprache vollständig zu beherrschen. Natürlich ist das Unsinn, aber darauf baut das Bildungssystem, das die Qualität des Fremdsprachenunterrichts an Schulen absichtlich vernachlässigt. Ich danke ihm im Anschluss für den Vortrag (dem ebenfalls kaum jemand zugehört hat), weil er Dinge zur Sprache bringt, die eigentlich selbstverständlich sein sollten. Er bittet mich im Gegenzug, bei Gelegenheit einen Fragebogen auszufüllen, ohne näher darauf einzugehen, um was es sich dabei handelt. Ich sollte ihn also einfach mal besuchen, sobald ich herausgefunden habe, wo man ihn findet. Ah.
Apropos Fragebogen: Da diese Party von der Firma gesponsert wird, der das Seikyo, das ist der Uni- und Bürobedarfsladen im Erdgeschoss, gehört, sollen wir einen Zettel ausfüllen, auf dem gefragt wird, wie sehr wir mit dem Laden zufrieden seien, wo wir Stärken und Schwächen sähen. Außerdem wird wohl im August je eine Fahrt nach Hiroshima und Nagasaki organisiert, um an den Veranstaltungen der Friedensbewegung teilzunehmen, über die Ôe Kenzaburô in seinem Buch „Hiroshima Notes“ bereits ein paar Kommentare, unter anderem wenig löbliche, hinterlassen hat. Auf dem Werbezettel steht kein Preis und ich frage, was die Sache koste, aber ich erhalte keine definitive Antwort. Etwa so viel, dass der Preis mitunter davon abhänge, wie viele Leute daran teilnähmen. Da ist zuerst mal von mehr als 20.000 Yen die Rede, und so gerne ich mal nach Hiroshima fahren würde – das ist zu viel. Ich kreuze also an, dass ich nicht interessiert bin.
Danach ist noch Zeit für freie Kommunikation eingeplant und die Gewinner der gegenseitigen Vorstellungen werden bekannt gegeben, bevor dann das verbliebene Essen verteilt und der Raum aufgeräumt wird. Die Thailänderinnen und SangSu nehmen das zum Anlass, alle möglichen Packungen mit Keksen und anderem Kram in der Kapuze von MinJis Hoody zu stopfen, „als Vorrat für später“. Ich sehe amüsiert zu, während sich MinJi zeternd, aber vergnügt und reichlich halbherzig dagegen zur Wehr setzt. Schließlich zeigt sie auf SangSu und sagt zu mir: „Dominik, der macht lauter böse Sachen mit mir!“ Warum den Spaß also nicht mitmachen? Ich baue mich also vor SangSu auf, schubse ihn mehrfach (locker) an der Schulter und sage streng „Hey, Du! Man hackt nicht auf Mädchen rum, verstanden?“ MinJi grinsend zu den Thais: „Ist er nicht toll?“ („Kakoii deshou!“) Trotzdem wird sie von den Thais weiter mit Lebensmitteln „versorgt“, und mit denen möchte ich denselben Scherz nicht machen.

Dann wird die Party aufgelöst und die Leute werden aus dem Gebäude gebeten, worauf man eben vor der Tür weiter darüber nachdenkt, was man mit dem angebrochenen Abend noch anfangen könne. Nach einer Viertelstunde der Entschlusslosigkeit (weil ein Anführer fehlt, der sagt „Wir machen das jetzt!“), macht sich dann die Hälfte der Gruppe auf den Weg ins Skatt Land.
Wir fallen mit 18 Leuten dort ein und haben Glück, dass so viel Platz auf einmal frei ist. Baqr genießt offenbar bereits einen gewissen Ruf in der Gegend, weil er von einem der bereits anwesenden Gäste (im Studentenalter) begeistert begrüßt wird. Ich nehme also nicht an, dass dieser Ägypter sonderlich streng mit der Religion ist. Und kaum sitzen wir, werden die drei Tische im Hauptraum fertig und wir machen uns dort breit. Den Platz brauchen wir auch, weil kurze Zeit später ein weiteres Dutzend „KIWA“ Partyteilnehmer eintrifft und sich zu uns gesellt. Dann kommt der Chef des Ladens persönlich und die Japaner verhandeln mit ihm das „Warikan“. Dabei handelt es sich um das in Japan übliche System der Kosten- und Materialteilung in Kneipen, wo man nicht nur trinkt, sondern auch was dabei isst. Es wird eine Grenze von 45.000 Yen ausgemacht, das heißt, bis zu dieser Grenze bezahlt jeder einen pauschalen Anteil von 1500 Yen und kann dafür essen und trinken, was immer er oder sie möchte. Wird dieses Limit erreicht, wird abgerechnet und jeder zahlt das, was er darüber hinaus vertilgt, für sich allein, um damit die Leute mit den kleinen Mägen nicht zu sehr zu benachteiligen.
Im Prinzip handelt es sich dabei um die Möglichkeit, zu günstigen Konditionen an ein „Nomitabehôdai“ heranzukommen, das, inklusive alkoholischer Getränke, hier ja 2500 Yen kostet. Auf diese Art und Weise habe ich 1500 Yen gezahlt und trotzdem einen vollen Bauch mit nach Hause getragen, aber das kommt ja erst später. Die Kostenteilung schließt auch die Teilung der Bestellungen mit ein. Das bedeutet, dass die Getränke zwar individuell geliefert werden, aber das Essen wird in die Mitte des Tischs gestellt und jeder nimmt sich was davon. Es werden ganz automatisch kleine Essschüsseln mit auf den Tisch gestellt, um damit den gewünschten Anteil abgreifen zu können. Ein weiterer Faktor bei der gerechteren Kostenteilung, und ich finde das für die Gemeinschaftsbildung sehr interessant.

Zuerst habe ich SangSu vor mir, Eve rechts neben mir und einen Japaner namens Satoshi links neben mir. Er hat zusammen mit der Chinesin ReiGen den Vorstellungswettbewerb gewonnen, und er ist ein echter Spinner. Oder sagen wir „er ist ungeheuer lebhaft“ und um Fehler in seiner englischen Kommunikation nicht sehr verlegen – eine gute Voraussetzung, weil man durch Fehler lernt und durch schamhaftes Schweigen in Unfähigkeit verbleibt.
Dann, mittlerweile ist mehr als eine Stunde vergangen, werden die Sitzplätze getauscht, um die zu einseitige Gruppenbildung, vor allem unter den Koreanern, aufzubrechen. Ich habe keine große Lust, mich zu bewegen, also rutsche ich ganz einfach ein paar Zentimeter nach rechts, wo bis vor wenigen Augenblicken noch Eve gesessen hat. Jetzt habe ich eine Koreanerin, die auf den Namen SûJin hört, rechts von mir und zwei weitere Koreanerinnen links von mir, deren Namen mir allerdings wieder entfallen sind, weil ich nicht mehr sehr zurechnungsfähig bin und außerdem die Lautstärke ein wenig gestiegen ist. Vor mir sitzen zwei oder drei Japaner aus dem Club, darunter eine junge Frau namens Asahi („Morgensonne“, wie die Brauerei und die Zeitung), die mich angesichts meines steigenden Alkoholpegels immer besorgter anschaut und, wie ich ihr Gesicht interpretiere, offenbar jeden Moment damit rechnet, dass ich gewalttätig werde. Dabei liegt mir auch bei Alkoholgenuss doch nichts ferner – ich bin aufgrund meiner eingeschränkten Aktionsfähigkeit sogar eher noch harmloser als in nüchternem Zustand. Aber meine Sitznachbarn müssen eben auf meine Art die zwei kleinen Flaschen Sake ausbaden (etwa 0,33 l pro Flasche), die ich getrunken habe, und die knappe dritte Flasche, die ich nach dem Sitzplatzwechsel noch trinken werde.
Ich will gar nicht wissen, was für einen Unsinn ich den Koreanerinnen um mich herum erzählt habe und hoffe, dass sie es auch ganz schnell wieder vergessen. Ich erinnere mich in diesem Punkt nicht an viel… zu der jungen Frau links habe ich gesagt, dass ihre Klamotten schrecklich konservativ aussähen (wie aus den Fünfzigern), und dass sie mit ihrer Frisur und der Art und Weise, wie sie ihre Bücher festhalte (vor dem Oberkörper), locker in einem dieser „Peggy Sue“ Filme mitspielen könne, worauf sie entgegnete, dass ihr dieser Stil halt gefalle, wogegen natürlich nichts spricht, aber ich wollte es halt mal gesagt haben. Und ich glaube mich zu erinnern, dass ich SûJin am Ohrläppchen gezogen habe, weil sie eines hat, das nicht am Ohr herabhängt, sondern unterhalb der Ohrmuschel direkt am Kopf festgewachsen ist. Ich glaube, mehr will ich gar nicht wissen, obwohl es über die qualitative Stufe von „Hey! Das blöde Telefon funktioniert ja gar nicht!“ hinausgehen dürfte. Der eine oder andere unter meinen Lesern dürfte wissen, wovon ich rede.
Schließlich ist Satoshi so frei, mir das letzte Viertel meiner Sake-Flasche wegzutrinken, und meint, dass es besser für mich sei. Mir ist sogar bewusst, dass er Recht hat und ich lasse ihn gewähren. Das ist auch der Zeitpunkt, an dem die ausgemachte Obergrenze von 1500 Yen pro Mann erreicht und das Geld eingesammelt wird. Ich kann noch Geld zählen… das ist ja schon mal was wert…
Die Afterparty löst sich weitgehend auf, und manche beschließen, einfach die Kneipe zu wechseln, aber mich zieht es nach Hause, nicht zuletzt, weil ich, wie üblich nach einer solchen Völlerei, einen heftigen und schmerzhaften Schluckauf habe, der mich den ganzen Heimweg über begleiten und erst Ruhe geben wird, wenn ich mich hinlege. Ich bin schlau genug, mein Fahrrad zu schieben… ich wäre kaum in der Lage, das Gleichgewicht zu halten.

Zuhause falle ich gleich in mein Bett und schalte den Wecker aus… ich gehe nicht davon aus, dass ich in der Lage sein würde, auf Weckerkommando aufzustehen… aber immerhin habe ich keine wichtigen Verabredungen am Morgen.


[1] Ich mache darauf aufmerksam, dass es in Japan kein Erdgeschoß gibt. Das „deutsche“ Erdgeschoß ist in Japan der „1. Stock“.

24. Juni 2024

Donnerstag, 24.06.2004 – An den Start…

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Das Wetter hat sich auf ein erträgliches Maß abgekühlt und macht die Bewegung im Freien wieder angenehmer. Yamazaki-sensei geht derweil von Kurzbiografien zu Erläuterungen über, also etwa, wie man den Japanischen Fußballbund in fünf bis sieben Sätzen erklärt, und die Hausaufgaben sind entsprechend. Ich versuche mich an den Aufnahmebedingungen für deutsche Universitäten, was bedeutet, dass ich das parallele Schulsystem ebenso erklären muss wie den Numerus Clausus und die Lateinvorgabe für verschiedene Fächer. Ich bin nicht sicher, ob das auf eine Seite passt, aber das kann man sicher irgendwie stopfen.

Ab heute ist mir auch klar, dass die Internationale Party der (durchaus sympathischen) Chaoten vom „KIWA American“ Club bereits morgen, am Freitag, stattfindet. Wie bin ich bloß auf die abwegige Idee gekommen, dass eine solche Party am Wochenende stattfinden könnte? Das wäre wider die Natur (fast) jedes Studenten. Das bedeutet, dass der Nudelsalat und die Frikadellen heute Abend vorbereitet werden müssen, damit wir das Essen morgen nach dem Unterricht nur noch zuhause abzuholen brauchen.
Das Endprodukt wird auch gar nicht schlecht, auch wenn nach meiner Meinung mehr Mayonnaise an einen Nudelsalat gehört und man Frikadellen vorzugsweise warm essen sollte.

23. Juni 2024

Mittwoch, 23.06.2004 – Besser unter der Matratze sparen!

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Ogasawara-sensei lässt uns heute, wie befürchtet, „Shima Uta“ singen, aber es wird nicht ganz so grausig wie die letzte Vorstellung. Sie hat sich während einer Reise nach Tokyo am vergangenen Wochenende die “Single Collection +“ von „The Boom“ gekauft, weil sie die Zeit nicht aufwenden wollte, die „Shima Uta“ Maxi CD zu bestellen. Dr. „Dragon“ Chen möchte sich die Doppel-CD auch gleich ausleihen und ich werde wohl das gleiche tun, sobald er sie wieder zurückgibt. Vielleicht kann man ja auch mit anderen Liedern der Gruppe was anfangen, obwohl ich es eigentlich bezweifle. „Shima Uta“ ist ja nur von „The Boom“ gecovert, und männliche japanische Sänger haben bei mir eine weitaus niedrigere Erfolgsquote als ihre weiblichen Kolleginnen.
Mir fällt immer wieder auf, wie mies J-Pop, japanische Popmusik, eigentlich ist. Natürlich gibt es Lieder, viele sogar, die gut sind, bzw. die mir gefallen, aber das sind prozentual nicht viele. Ich kann auch nicht begründen, warum mir Soundtracks von Anime im Schnitt weit besser gefallen, als das, was in den lokalen Hitparaden so läuft. Bei „Music Station“ (in gewissem Sinne das japanische Gegenstück zu den deutschen Sendungen „Formel Eins“ oder „Hitparade“) rollen sich mir regelmäßig die Zehennägel hoch, also sehe ich mir das lieber nicht mehr an. Was lief da doch letztlich? Ein weibliches Rap-Duo gab da eine Art Mix aus Rap und HipHop zum Besten: „I know, you know, I’m going to za Machi“ (= „… the city“). Das ist mindestens genau so schlimm wie die „deutsche“ Liedzeile „Du bist so sweet wie Candy“, die stammt aus den 60ern, soweit ich weiß.[1]

SangSu referiert in Kondôs Unterricht heute über das japanische Bankensystem, muss aber eingestehen, dass er die Erläuterungen des Autors nicht ganz verstanden hat. Dabei ist das Prinzip nicht schwer zu verstehen. Möglicherweise ist er an Vokabeln gescheitert. Also schwimmt Kondô-sensei ganz in seinem Element und füllt die Lücken meines koreanischen Nachbarn.

Im Prinzip gibt es in Japan Versicherungen und private Banken, die ihr Geld damit verdienen, dass sie für Zinsen Geld an Unternehmen verleihen oder aber für Gewinnbeteiligungen Geld in Unternehmen investieren – mit Ausnahme von kleinen Unternehmen, da man diese in der Regel nicht als kreditwürdig betrachtet. Wegen der im Vergleich zu amerikanischen Banken geringeren Kapitalrücklagen der japanischen Institute ist das Risiko, das Geld nicht wieder zu sehen, für die hiesigen Kreditanstalten zu groß. Wie die kleinen Unternehmen an benötigte Kredite kommen, werde ich später ausführen.

Neben den privaten Kreditinstituten gibt es noch die staatliche Post, die nicht nur Brief- und Paketdienste anbietet, sondern auch Versicherungen und Bankgeschäfte. Allerdings fehlen der Postbank die personellen Kapazitäten, um effektiv mit privaten Unternehmen Geschäfte zu machen, und diese Mittlerrolle übernimmt der japanische Staat. Zum Leidwesen der meist ebenso ahnungslosen wie naiven japanischen Sparer verwendet die Regierung die Sparguthaben als „Ersatzhaushalt“, als zweiten und inoffiziellen Staatshaushalt, was natürlich nicht legal ist, aber in Japan ist grundsätzlich alles erlaubt, wobei man sich nicht erwischen lässt. Die Regierung investiert das Geld der Sparer in (meist vom Staat selbst initiierte) Bauprojekte, wie zum Beispiel den nie endenden Bau auch unnötiger Autobahnstrecken, um die politisch einflussreichen Bauunternehmen zu befriedigen.
Die Übersicht über die Investitionen (und deren Rentabilität) der vergangenen zehn Jahre zeigt deutlich, dass das Geld zum größten Teil in den Sand gesetzt worden ist und dass die Regierung wiederholt auf den offiziellen Staatshaushalt zurückgreifen musste, um das Geld der Sparer ersetzen zu können. Die Fähigkeit der Postbank, Zinsen an die Kunden auszahlen zu können, ist einer immer weiter wachsenden Gefahr ausgesetzt, während man der Öffentlichkeit auch weiterhin erklärt, dass Postbankguthaben absolut sicher seien, weil der Staat (angeblich) nicht Bankrott machen könne.

Zum Thema der Kredite für kleine Unternehmen und Privatleute erzählt Kondô weiter, dass diese häufig auf so genannte „Schwarze Kredite“ angewiesen seien, was keineswegs bedeutet, dass es sich dabei um illegale Finanzgeschäfte, vielleicht mit der Yakuza, handelt (oder handeln muss). Er nennt als populäre Beispiele „Acomu“ und „Promise“. Jedes Kind in Japan kennt diese Firmen aus der eingängigen TV-Werbung und Kondô-sensei wiederholt zu unserem Vergnügen die Melodien, „Ha-ji-mete no A-co-mu“ und „Pu-ro-mi-su“, um unserem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen, obwohl es eigentlich nicht notwendig ist, weil niemand, der einmal eine Werbung für „Acomu“ und „Promise“ gesehen hat, sie jemals wieder vergessen könnte, was a) an den Ohrwurm-Jingles der Firmen und b) an den Models liegt, die in der Werbung auftreten. Dann rechnet er an einem Beispiel vor, wie sich ein solcher Kredit entwickelt, und eigentlich reicht es völlig aus, zu sagen, dass die Zinsraten sich auf einem Level kurz vor 30 % halten. Sein Fazit: „Sollten Sie je einen Kredit brauchen, gehen Sie niemals zu Promise oder Acomu!“

Hugosson stellt uns heute ein Konzept vor, dass man wohl mit „Gesellschaftsverantwortungsbericht“ übersetzen könnte. Es handelt sich jeweils um Schriftstücke von großen Privatunternehmen, die darin hervorheben, welche ihre guten Taten des vergangenen Jahres waren, also welche allgemeinnützigen Projekte oder Fonds oder Stiftungen finanziert wurden und derlei Dinge. Wir sollen für die Stunde übernächste Woche einen solchen Bericht auftreiben und zusammenfassen. Ich bezweifle, dass die Waffen- und Rüstungsindustrie solche Berichte anfertigt, aber ich kann ja mal nachsehen.


[1]   Die beiden Japanerinnen waren die Band HARUCARI, deren Lieder ich eigentlich schätze – allerdings hatten die beiden kurz zuvor ihren Schulabschluss gemacht, waren also nicht mehr an Kleider- und Frisurvorschriften ihrer Schule gebunden, und ich habe sie deshalb schlicht nicht erkannt!

22. Juni 2024

Dienstag, 22.06.2004 – Ein Lächeln macht noch kein gutes Bild

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

Wir mussten wegen des einsetzenden Regens in der Nacht das Fenster schließen, aber ansonsten handelte es sich bei dem Taifun nur um ein eher schwächlich erscheinendes sommerliches Gegenstück zu einem europäischen Herbststurm.

Ich verbringe den frühen Morgen mit dem Lernen von Vokabeln, vergesse aber leider, dass mal wieder eine Ladung Wäsche in die Maschine gehört. Möglicherweise werde ich dann morgen mal wieder ein altes T-Shirt anziehen müssen, weil nicht mehr viel im Schrank liegt.

Kondô-sensei hat für heute einen Fotografen eingeladen, der uns ein paar seiner Arbeiten zeigt, die in Japan und auch in den USA einige Preise auf Ausstellungen gewonnen haben. Außerdem ist er der erste in dieser Vortragsreihe, der nicht in einem Geschäftsanzug erscheint… er sieht wirklich wie ein Klischeefotograf aus, und ich glaube, ihm ansehen zu können, dass er von Kunst etwas versteht. Seine Bilder sprechen ebenfalls dafür. Vielleicht sprechen seine Bilder auch noch für etwas anderes, weil nämlich alle dargestellten Personen weiblich sind, und keine davon dürfte älter als 30 Jahre sein. Es sind auch Baby- und Kinderfotos dabei, weil er einen Abriss davon geben möchte, welche Motive heutzutage beliebt sind. Natürlich darf in dem Portfolio auch die Darstellung einer Frau in einem fließenden Brautkleid europäischen Stils nicht fehlen, aber es sind auch japanische Hochzeitskimonos vertreten. Es folgen also mehrere Damen in verschiedenen Kimonos, eine in einem chinesischen Kleid, und eine ohne Bekleidung. Aber das Bild ist „vernebelt“, die Dame liegt auf dem Bauch und man kann ihre Hüftrundung mehr erahnen als sehen. Aber es ist deutlich zu erkennen, dass unser Gast hier Ahnung von seinem Fach hat. Man kann keinem der Bilder den künstlerischen Charakter absprechen.

Um etwas Praktisches zu zeigen, bittet er die Thailänderin Nun nach vorn und zeigt an ihrem Beispiel, wie man durch einfache Veränderungen der Positur einer Person ein gutes Motiv erhalten kann. Ich habe auch nicht schlecht gestaunt, wie man durch eine „Korrektur“ der Stehweise aus einer normalen jungen Frau ein Model machen kann. Der Gerechtigkeit halber wird dasselbe auch an einem der Chinesen vorgeführt, mit dem Unterschied, dass man Männer in anderen Posen darstellt, als Frauen. Ich finde das wiederum nicht so überzeugend, aber das mag daran liegen, dass mir die ästhetischen Eigenschaften von Männern bei weitem nicht so sehr ins Auge fallen. Er erklärt auch den Unterschied zwischen hohen und tiefen Aufnahmewinkeln; wenn man ein lebhaftes Foto machen wolle, müsse man eine tiefe Position wählen, während eine Aufnahme aus einer erhöhten Position das Motiv ruhiger erscheinen lasse.

Er geht auch kurz auf die üblichen Kosten einer solchen Aufnahme ein. Eine Sitzung bei ihm koste zwischen 8500 und 11000 Yen, also grob zwischen 60 und 80 E, dafür erhalte man eine Reihe von Fotos, für gewöhnlich zehn, aus denen man sich die besten zwei oder drei aussuchen könne. Er bittet uns natürlich, ebenfalls einmal vorbeizukommen und macht uns das Angebot, so viele Fotos zu schießen, bis uns eines davon gefalle. Na ja, hätte ich Geld und Interesse gleichzeitig, gerade fehlt mir das erstere, würde ich gerne darauf zurückkommen, aber mein Verlangen nach Ästhetik ist nicht so groß, dass ich derzeit diesen Preis dafür zu zahlen bereit wäre… ich gebe mein Geld dann lieber für andere Dinge aus, ganz zu schweigen davon, dass ich jetzt sparen muss, um noch so viel Geld wie überhaupt möglich mit nach Deutschland nehmen zu können.

Während ich im Center herumsitze, treffe ich Wakasa Chikako, die sich hier eigentlich mit einer Freundin, die als Tutorin arbeitet, getroffen hat, sich dann aber lieber mit mir beschäftigt. Na, vielen Dank für die Blumen, aber wer ist Wakasa Chikako? Gut, ich kenne ihr Gesicht und ich weiß auch, woher ich es kenne, aber der Name allein hätte mir nichts gesagt, weil sie sich damals entweder nicht vorgestellt hat (was in der Situation durchaus vorstellbar war) oder weil ich den Namen schlicht wieder vergessen habe: Sie war die kettenrauchende Protokollantin des Erdbebenexperiments vor einigen Wochen. Es ist heute deutlich zu spüren, dass sie weniger Stress hat, weil ihre Sprechgeschwindigkeit ein verständliches („verstehbares“?) Maß hat. Ihre Erklärung zum Thema „Warum man Austauschstudenten keine Informationen zu Erdbeben zukommen lässt“, hatte sie ja in einer Geschwindigkeit vorgetragen, die mir Kopfschmerzen bereitete, zumindest hatte ich ein spürbares Klopfen an den Schläfen verspürt. Und zu meinem Glück darf hier nicht geraucht werden.
Sie zeigt mir eine Handvoll alter Fotos von ihr, ab Alter 5 Jahre aufwärts, bis zu einem Foto, dass sie aus irgendeinem Anlass im Kimono zeigt. Sie sieht darauf aus, als würde sie Kinder mögen, und zwar am liebsten mit einer großen Portion Bohnen und Speck, und weil ich ein etwas offener Mensch bin, sage ich ihr, dass sie auf dem Foto recht streng aussehe. Gut, sie nimmt meine Direktheit mit Humor. Und um mich zu revanchieren, zeige ich ihr die Fotos, die ich bis jetzt gemacht habe. Hoffentlich hat sie sich dabei nicht zu sehr gelangweilt.
Ich habe, nachdem wir uns verabschiedet haben, noch Zeit übrig, also gehe ich am Nachmittag zum Friseur und lasse meine Haare wieder auf eine erträgliche Länge kürzen, sechs Millimeter.

21. Juni 2024

Montag, 21.06.2004 – Montag, Montag

Filed under: Filme,Japan,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

Nach Yamazakis Unterricht setze ich mich ins Center, lese ein paar Strips „Kevin & Kell“ und unterhalte mich eine Weile mit Marc, der offenbar gerade an einer Kanji-Analyse existierender Namensschreibungen mitarbeitet und sich über die neuerdings erlaubten Namensbestandteile lustig macht. Man kann seinen Kindern in Japan neuerdings die verrücktesten Namen geben. Sachen wie „Käfer“ oder „Krebs“ (die Krankheit) sind in der Liste vorzufinden. Ich glaube, sogar das Kanji für „Furz“ ist dabei. Das Parlament begründet die Entscheidung mit der Eigenverantwortung der Eltern für ihre Kinder. Ich glaube, dass in den 90er Jahren ein Ehepaar ihren Sohn „Akuma“ („Teufel“) nennen wollte, war ein Meilenstein in dieser Diskussion, die nun offenbar auf diese Art und Weise beendet worden ist.
Marc ist an einer Verlängerung seines Aufenthalts, den ich ihm vor wenigen Tagen anbieten konnte, interessiert. Er wolle noch dies und das realisieren und scheint voll bei der Sache zu sein. Allerdings würde aus seinem Antrag auf Stipendium nichts werden, da das hiesige Gremium beschlossen habe, mittellose Chinesen primär und vor (angeblich) wohlhabenderen Europäern zu unterstützen. An sich klingt es sehr gut, dass man Leute finanziell unterstützt, die es nötig haben. Aber… wenn ich mich so umsehe unter den hier anwesenden Chinesen, dann finde ich auf Anhieb keinen, der nicht schon einen richtigen Job oder nicht zumindest Eltern mit Geld hat. Da wären ja zuerst einmal die Leute, die bereits einen Abschluss haben und hier eigentlich nur zur Fortbildung sind. Die haben zuhause einen Job, eine gesicherte Existenz, sei es nun als Arzt oder Pharmazeutiker oder Computerfachmann. Die sind zumindest nicht arm. Vielleicht nicht so wohlhabend wie ihre Kollegen in Europa, den USA oder Japan, aber nicht arm. Natürlich haben wir auch Chinesen ohne diese existenziellen Vorzüge hier. Aber auch die sehen zumindest nicht arm aus: Die tragen alle Designer- und Markenkleider, haben die neuesten Laptops und Handys, sind ausgestattet mit Accessoires der neueren Generation, wie zum Beispiel mehrere Gigabyte starken, transportablen Festplatten und all dem. Wenn ich deren technischen Stand ansehe, könnte ich glatt neidisch werden (wenn ich denn Interesse an diesem Zeug hätte). Aber ich habe wirklich noch keine armen Chinesen hier gesehen. Ich dagegen, der „wohlhabende Europäer“, bin arm wie eine Kirchenmaus.

Ich beende die Feinarbeit an meinem Kampfbericht und überreiche Eve die 50 DIN A4 Seiten Papier, Times New Roman 11, Zeilenabstand 1,5. Die Feinarbeit hat das Volumen dann doch deutlich über die von mir geschätzte Obergrenze von 40 Seiten gebracht. Eve braucht sich damit nicht zu beeilen, weil zumindest so lange Zeit ist, bis Frank seine Notizen ins Englische übersetzt hat (anstatt sie gleich auf Englisch zu schreiben).

Den Rest der notwendigen Zeit verbringe ich in der Bibliothek und fahre eine Stunde früher als üblich nach Hause, weil ich Melanie versprochen habe, mit ihr zusammen den ersten „Harry Potter“ Film anzusehen. Sie hat die beiden verfügbaren Teile für jeweils eine Woche ausgeliehen, um sie sich entsprechend oft ansehen zu können. Ich werde also über kurz oder lang (eher „kurz“) dazu kommen, auch den zweiten Teil noch zu sehen.
Der Film erweist sich als zumindest nicht schlecht, für junge Jugendliche gemacht und ein wenig außerhalb meiner Interessensphäre. Ich finde es gut, den Film gesehen zu haben, das war weder Zeit- noch Geldverschwendung, aber ich würde dafür keinen Platz in meinem Regal bereitstellen wollen.

Übrigens ist für heute Abend ein Taifun angekündigt worden. Oder eigentlich eher für heute Nacht. Irgendwann nach Mitternacht soll das Schauspiel beginnen und ich bedauere ein wenig, dass ich dann schlafe.

18. Juni 2024

Freitag, 18.06.2004 – Reis, Reis, Reis

Filed under: Japan,My Life,Uni,Zeitgeschehen — 42317 @ 7:00

Ich gehe früh ins Center, um mit meiner Datenübertragung fertig zu werden, damit ich mit Misi die Memorysticks wieder tauschen kann. Ich lerne nebenher meine Vokabeln und lese ein paar „Kevin & Kell“ Comicstrips. Ich erfahre dabei, dass man auch Bücher davon kaufen kann, man kann sie im Internet bestellen. Aber eine Ausgabe kostet umgerechnet 10 E, und zwar ohne Angabe, wie viele Seiten oder Strips ich dafür bekomme.

Weil Eve gerade da ist, kläre ich mit ihr ein paar Einzelheiten meines Kampfberichtes. Sie hat sich dazu bereit erklärt, ihn nach Fehlern zu durchsuchen, obwohl ihr das Thema nichts bis wenig sagen dürfte, aber ich habe sie eingehend vorgewarnt, um was es dabei geht und sie hat trotzdem zugestimmt. Leider ist sie die einzige Muttersprachlerin vor Ort; wären Dave oder David noch da, hätte ich die fragen können. Ich glaube, dass männliche Leser eher einen Bezug zu dieser Materie haben könnten.

Kuramata-sensei hat einen Professor zu Gast, der eine „echte“ Vorlesung über die wirtschaftliche und ökologische Bedeutung des Reisanbaus für Japan hält – das heißt, er hat eine Powerpoint-Präsentation vorbereitet und liest den Text exakt so ab, wie er auf der Leinwand erscheint. Aber gut, Stil beiseite. Ich habe mich schon woanders mehr gelangweilt. In seinem Text heißt es, dass Reisfelder das Land vor Taifunen schützen. Dieser Punkt ist mir nicht klar und ich frage nach. Die Reisfelder fungieren als ein gigantisches Netz vieler kleiner Staudämme und nehmen das Regenwasser auf, weswegen Überflutungen in Japan eine eher seltene Erscheinung seien. Ja, wenn ich „Taifun“ höre, muss ich in erster Linie an einen heftigen Sturm denken, und erst lange danach kommt mir der Gedanke an Regen. Offenbar ist die Trennung von „Sturm“ und „sintflutartiger Regen“ in japanischen Köpfen nicht so strikt wie in europäischen.
Dann erscheint unter „wirtschaftlichem Nutzen“ die Aussage „Reisfelder schmücken die Landschaft und ziehen Touristen aus den Großstädten an“. Nun ja, über die Ästhetik von Reisfeldern kann man sich streiten, aber man kann wohl sagen, dass es schön aussehen kann, wenn der Reis in Blüte steht. „Wie ein goldener Teppich auf dem Land“ sagen manche Beobachter.
Interessant fand ich auch das Argument „Reisfelder nehmen Giftstoffe (engl.: contaminants) auf und reinigen die Luft“. Ja, wenn sich das Gift im Reisfeld sammelt, landet es dann nicht in meiner Schüssel? Darüber muss der Professor einen Augenblick nachdenken, wirft einen Blick in die japanische Vorlage und meint dann: „Das verwendete Wort (Giftstoffe) ist vielleicht keine gute Wahl gewesen. Damit sind Stoffe wie Kohlendioxid gemeint.“ Aha, damit wird der Fall schon klarer.
„Aber machen das nicht alle Pflanzen?“
Der Professor lacht (verlegen?): „Ja, natürlich… aber dennoch ist es auch ein Vorteil der Reispflanze, oder?“
Wie kommt mir diese Argumentation vor?
„Benennen Sie die Vorteile eines Rotstiftes!“
„Man kann damit schreiben.“
Unter den statistischen Angaben findet sich die folgende Angabe, die mir (in aktuellerer Version) durch den Vortrag von Nim über Reisanbau in Japan bereits bekannt war: „Etwa die Hälfte der japanischen Bauern pflanzt ausschließlich Reis an.“
Ja, sind die denn alle von Sinnen?
„Warum pflanzen die denn keine Varietät von Reis, Gemüse und Obst, damit ihnen ein schlechtes Jahr nicht alles nimmt, was sie investiert haben?“
Darauf weiß er keine Antwort. Eine weitere Frage, die ihm unangenehm scheint. „Ja, das wäre sicherlich besser.“ sagt er. Warum kommt es mir vor, als hätte ich heute nur Fragen gestellt, die nicht genehm waren?
Die Statistiken offenbaren mir eine weitere Schwachstelle: Ich habe an anderer Stelle erwähnt, dass Japan nur 40 % seines Kalorienbedarfs selbst decken könne, die Reisversorgung aber sichergestellt sei. Klingt gut, vor allem als Wahlkampfslogan: „Die Reisversorgung ist sicher!“ Aber das hat einen Grund, der den Slogan ins Stolpern bringt: Seit dem Beginn der Sechziger Jahre ist der Pro-Kopf-Reisverbrauch aufgrund des steigenden Verzehrs von Brot und Nudeln von etwa 120 kg auf knapp 50 kg pro Jahr gefallen. Das heißt, wenn den Japanern Brot und Nudeln plötzlich nicht mehr schmecken würden (oder wenn sie der ewigen „Esst mehr Reis!“ Propaganda nachgeben würden), dann würde der Reis eben nicht reichen und es müssten gewaltige Mengen importiert werden.

Apropos Reisimporte: Japan wurde vor einiger Zeit von der Welthandelsorganisation WTO gezwungen, pro Jahr etwa 700.000 Tonnen Reis aus anderen ostasiatischen Staaten zu importieren (was etwa 9 % des eigenen Erntevolumens ausmacht). Dieser Reis aber landet nicht auf dem japanischen Markt, sondern wird in Hafenhallen gelagert, um bei Bedarf in Staaten mit Ernährungsengpässen geliefert zu werden, also zum Beispiel nach Nordkorea. Das mag an sich sehr nobel sein, aber für diese Starrsinnigkeit gegenüber dem Import von Reis kann man nur die Machtliebe der Liberaldemokratischen Partei LDP verantwortlich machen. Japanische Bauern sind aufgrund der Primitivität ihrer Mittel überhaupt nicht in der Lage, mit dem Ausland zu konkurrieren, sie würden untergehen, weil der Reis aus dem Ausland nicht nur billiger, sondern zum Teil auch besser ist. Allerdings stellen Reisbauern einen erheblichen Anteil der LDP Wählerschaft, und die Partei hat natürlich ein großes Interesse daran, ihre jahrzehntelange Alleinherrschaft aufrecht zu erhalten.
Der größte Nachwuchsfaktor für Reisbauern ist übrigens nicht der Familiennachwuchs der Bauern selbst, sondern Leute über 50, die sich pensionieren lassen, um dann als Bauern auf dem Land zu leben. Der Bauernstand veraltet, im wahrsten Sinne des Wortes. Der durchschnittliche Reisbauer ist um die 60 Jahre alt.

Ogasawara-sensei gibt uns unsere Klausuren zurück und bespricht sie. Ich komme auf 61 % und habe damit meinen Schnitt seit dem vergangenen Semester weiter gesteigert. Man muss es auch positiv sehen können.
Zuletzt gehen wir „Shima Uta“ weiter durch und sollen für die kommende Stunde den Text flüssig ablesen können – was bedeutet, dass mal wieder gesungen wird. Hat ihr denn die Vorstellung vom letzten Mal nicht ausgereicht?

Ich gehe ins Center und rede eine Weile mit Marc. Wie wir darauf kommen, weiß ich nicht mehr, aber er erzählt von „Baldur’s Gate II“, einem Rollenspiel für PC, das offenbar große Spielräume für das Verhalten des Charakters lässt, und das interessiert mich. Nichts ist übler in einem Rollenspiel, als dem Spieler keine Aktionsfreiräume abseits der Haupthandlung zu belassen.
Izham, der Malaye, rät mir, es auch mal mit „World of Warcraft“ zu versuchen. Ich wiederum tue mein bestes, ihn für „Combat Mission“ zu erwärmen, weil er ein Faible für Taktik- und Strategiespiele zu haben scheint, also gebe ich ihm die CD mit, bevor ich mich in die Bibliothek verziehe.

14. Juni 2024

Montag, 14.06.2004 – Wolf und Hase

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

Ich verbringe den frühesten Morgen wie üblich mit Vokabeln und werfe auch noch eine Portion Grammatik dazu, aber ich kann mich nicht recht konzentrieren. Dann bringen wir den Unterricht hinter uns und ich rette weitere Daten auf meinen „Sprungrechner“, also den Computer, von dem aus meine Daten mit meinem (schnelleren) Memorystick schließlich auf dem Rechner mit dem Brenner übertragen werden sollen. Währenddessen lerne ich weiter meine Grammatiklektionen auswendig.

Ich finde einen ganz hervorragenden WebComic, also eine der Comicserien, die nicht auf Papier, sondern nur im Internet erscheinen, mit der Bezeichnung „Kevin & Kell“. Die Charaktere sind Tiere, die natürlich dazu dienen, die Menschen auf die Schippe zu nehmen. Kevin und Kell sind ein ungewöhnliches Ehepaar, in dem Sinne, als sie eine Wölfin ist, die einen heranwachsenden Sohn (aus einer Verbindung mit einem Rotfuchs) in die Ehe mitbringt, während er ein Hase ist, der aus erster Ehe ein adoptiertes Igelmädchen mit einbringt. Die „kulturellen“ Unterschiede der beiden sorgen also für den Humor zum Auftakt. Es geht aber wohl in erster Linie um die Einflüsse des Internets auf die Gesellschaft.
Der Comic erscheint seit 1995 (alle paar Tage ein Strip von vier Bildern) und wird von Bill Holbrook gezeichnet, der stellenweise einen ganz hervorragenden Humor an den Tag legt. Solche Comics haben oft einen guten Start, werden nach den ersten paar Nummern aber auch schnell langweilig. Die Qualität von „Kevin & Kell“ hält sich nach mehreren gelesenen Jahren dagegen auf einer guten Stufe, wenn auch die Story nach einiger Zeit komplizierter wird. Der deutliche Nachteil der durchgängigen Storyline: Wenn man nicht von Anfang an alles gelesen hat, versteht man nicht, um was es geht und verpasst den einen oder anderen Witz. Ich werde die Strips sammeln, soweit sie erhältlich sind. Vielleicht mache ich irgendwann eine Papierversion daraus.[1]

Und eigentlich wollte ich heute FanFan treffen, die sich für meine „Beratung“ und meine Auskünfte über deutsche Landeskunde erkenntlich zeigen und mir ein paar Dinge über China erzählen will. Aber dem stehen zwei Dinge entgegen: Ich weiß die Uhrzeit noch, habe aber den Ort vergessen. Ich dachte, wir würden uns im Center treffen, und als sie nicht erscheint, gehe ich in die Halle (wo BiRei mit ihrer Tutorin rumsitzt), was aber auch zu keinem Ergebnis führt. Vielleicht hat sie es vergessen? Aber langweilig ist mir ja eh nicht.


[1]   Die Geschichte blieb bis zum „Y2K“ Kapitel interessant, danach wurde es stetig uninteressanter.

11. Juni 2024

Freitag, 11.06.2004 – Trauer in Stein gemeißelt

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

Kuramata-sensei lässt heute über die Geschichte des Reisanbaus von der Yayoi-Periode (300 v. Chr. bis 300 n. Chr.) bis zu den Hungersnöten der Edo-Zeit (1603 – 1868) referieren. Ein älterer Professor hat das übernommen.

Interessant ist zunächst, dass man in dem Zeitraum für das vierte bis zum neunten nachchristlichen Jahrhundert keinerlei Reisanbau in Nordjapan nachweisen kann. Offenbar hat man damit aufgehört. Die Historiker schreiben das einer Klimaveränderung zu, die ein Absinken der Durchschnittstemperatur zu Folge hatte. Sinkt diese hier oben nur um zwei Grad im Jahresmittel, bleibt von der Reisernte nicht viel übrig.
Während der Edo-Zeit wiederum war Reis aus Tsugaru so beliebt, dass er bis nach Osaka verkauft wurde. Die an Gewinn interessierten Daimyô (Landesfürsten) verstärkten also den Reisanbau, bis jeder nur halbwegs geeignete Zipfel Land mit Reisfeldern bedeckt war. Das brachte einen gewissen Wohlstand, aber natürlich erwies sich die Monokultur aus den bereits angedeuteten Gründen als Fehler.
In der Mitte des 18. Jh. erlebte die Gegend ein ziemlich kühles Jahr und die Ernte erbrachte nur ein schmales Minimum. Etwas Anderes, für Notfälle dieser Art, hatte man nicht gepflanzt. Und wie auch später die britischen Gutsbesitzer mit der irischen Kartoffelernte zögerten die japanischen Landesherren von Tsugaru nicht, auch das bisschen Reis, was vorhanden war, zur persönlichen Bereicherung zu verkaufen. Was folgte, war die wohl verheerendste Hungersnot in der Geschichte Japans, während der mehr als 100.000 Menschen an Unterernährung starben. Es gibt Belege, dass Leichenverzehr und Kannibalismus an der Tagesordnung waren.
Im Süden der Ebene von Tsugaru stehen unzählige Steindenkmäler, die von den Überlebenden zur Ehre der Toten, aber wohl auch als Bitte um Verzeihung, errichtet worden waren. Dabei handelt es sich um die in Japan weit verbreiteten Steinfiguren, aber auch um Steinplatten, in die man ein Memorandum eingemeißelt hat. Etwas in der Art wie „Auf dass wir eine solche Not wie wieder erleben mögen.“

Ogasawara-sensei lässt „Shima Uta“ laufen und den Text heraushören. Ganz fertig werden wir wegen der heutigen Grammatikfülle allerdings nicht. Sie bittet mich, ihr die CD noch ein paar Tage zu überlassen, wogegen ich natürlich nichts einzuwenden habe. Dann überlegt sie es sich aber anders und sagt, dass sie sich die CD eh selbst kaufen werde. Allerdings hat sie vergessen, die CD auch wieder in die Hülle zu tun und bringt sie mir zehn Minuten später im Center vorbei. Ich bearbeite noch meine Post, könnte aber sonst von keinen Abenteuern singen.

9. Juni 2024

Mittwoch, 09.06.2004 – Wolken

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

Heute ist der Tag, an dem der Planet Venus zum ersten Mal seit 122 Jahren wieder die Bahn der Sonne kreuzen wird. Ein Naturschauspiel also, das nicht jeder in seinem Leben geboten bekommt – und hier ist es bewölkt! Die ganzen letzten Tage war das Wetter hervorragend. Ich habe in den 80ern bereits den Halleyschen Kometen verpasst, weil in dem betreffenden Zeitraum der Himmel wolkenverhangen war, aber den könnte ich wieder sehen, in dem Fall, dass ich über 70 Jahre alt werde.
Außerdem habe ich nicht gut geschlafen in dieser Nacht, was selten vorkommt. Ganz klar merke ich das daran, dass ich mich daran erinnern kann, was ich geträumt habe, was mir sonst nie passiert. Kein tiefer Schlaf, würde ich sagen.

Sawada-sensei leitet auch in diesem Semester ein Kulturseminar, an dem ich allerdings keinen Anteil habe. Melanie dagegen hat es belegt, und weil es zum Thema passt, wird wieder Kôgin-Zashi, die regionale Stickereikunst, behandelt und praktiziert. Man erkennt die Kursteilnehmer also ganz leicht daran, dass sie emsig damit beschäftigt sind, Muster von den verschiedenen Vorlagen auf die Leinentücher umzusetzen.
… von Vorlagen! Meine Güte, bloß nicht kreativ sein! Dass die Vorlagen schön sind, macht die Einfallslosigkeit meines Erachtens nicht wett. Ich weiß auch, dass mein „CODE a“ (lies: Alpha) nicht der Gipfel der Schaffenskunst ist, aber es ist mein Werk, mein eigenes!

Yamazaki-sensei schafft es heute im Laufe seiner 90 Minuten Unterrichtszeit, ganze drei Sätze zu analysieren. Das mag nicht ganz an ihm liegen, aber es bombt den Rest des Tages schon ziemlich weit in die Lethargie.

Ich verleihe „Shima Uta“ an Ogasawara-sensei, die sich eine passende Version aussuchen soll. Und ich hätte nicht erwartet, dass sie sich derart auffällig (sollte ich sagen „wie ein Kind“?) über die Leihgabe freuen würde. Schreibt man Japanern nicht eine gewisse Reserviertheit zu? Es soll Ausnahmen geben… natürlich freue ich mich darüber.

Bei Kondô-sensei hält Mei heute ihren Teil des Vortrags über die japanische Landwirtschaft und mögliche Reformen, dessen erste Hälfte letzte Woche von Nim abgehandelt worden war. Ich habe keinen Funken Konzentration mehr übrig. Ich versuche es, aber ich kann mich nachher an keine Zeile von dem erinnern, was sie über das Thema gesagt hat.

Bei Hugosson geht es mir nicht viel besser, weil der heute mehr vorträgt, als er diskutieren oder Erfahrungen austauschen lässt. Es entgeht ihm auch nicht, dass es (nicht nur mir) an Aufmerksamkeit mangelt und er macht seine Witze darüber. Immerhin weiß ich im Anschluss noch, um was es ging: Um die Notwendigkeiten beim Aufbau einer Organisation am Beispiel einer Studentenverbindung. Wir erarbeiten also eine imaginäre Organisation, die Austauschstudenten das Leben leichter machen soll. Er fragt, ob ich beitreten würde, wenn es umsonst wäre.
„Das kommt darauf an, was mir die Organisation zu bieten hat.“
„Und was wäre zum Beispiel etwas Wünschenswertes?“
„Auf die Schnelle fällt mir nichts ein, was mir fehlen würde.“
Ich bin nicht gerne Mitglied in irgendwelchen Organisationen, wenn es sich vermeiden lässt, das bürstet einem nur Verpflichtungen auf, die nicht immer gelegen kommen. Dass ich bei meiner Ablehnung gleichzeitig bereit wäre, für die Organisation Informationsvorträge zu halten, ohne dabei an Bezahlung zu denken, kann er nicht ganz nachvollziehen, aber das will mir auch selbst nicht ganz gelingen. Stehe ich außerhalb der Organisation, kann ich frei entscheiden, ob und welche Aufgabe ich übernehmen will und stehe nicht durch eine Mitgliedschaft in der Pflicht.

Ich gehe ins Center, das wieder einmal voll von Leuten ist, also verschwinde ich wieder einmal lieber in die Bibliothek, wo ich meine Post, das Forum und einen Spielzug gegen Frank bearbeite. Ich finde eine Nachricht von Jin-sensei vor (auch Ärzte sind „Lehrer“). Ich habe mich letzte Woche per E-Mail an ihn gewandt, um ihn zu bitten, mir einen guten (und vielleicht nicht allzu teuren) Schneider zu empfehlen, damit ich endlich die gewünschte Gakuran, eine Schuluniform für Jungs, anfertigen lassen kann. Ich habe vor zwei, drei Tagen bereits eine Antwort erhalten, in der er mich fragte, wie groß ich sei, und wie es mit meinem Brustumfang stehe. Letzteres konnte ich ihm nicht sagen. Der wurde zuletzt vom Truppenarzt gemessen, und das ist ein paar Jahre her. Aber gut, dabei habe ich mir noch nicht viel gedacht. Heute aber schreibt er mir, dass er bereits mit einem Schneider telefoniert habe, der eine Übergröße kommen lassen wolle, und dass ich am Samstagmorgen um 10:00 bei ihm vorbeischauen solle. Meine Güte, so viel Eigeninitiative hätte ich jetzt weder erwartet noch erbeten. Es hätte ja gereicht, mir einfach eine Adresse zu nennen. Aber ich bin ebenso gespannt wie dankbar.

Dann kommen Marc und Melanie und schlagen vor, gemeinsam was essen zu gehen. Ja, wieso nicht? Ich habe schon den ganzen Tag einen unerklärbaren Appetit auf „Butter-Ramen“, also bin ich dafür, ins Bunpuku zu gehen, da sich die beiden Initiatoren noch keine Gedanken über den Zielort gemacht haben.
Im Restaurant sitzen gegenüber von uns (im Rücken von Melanie und Marc heißt das, also eigentlich „gegenüber von mir“) drei Schülerinnen. Das an sich wäre nichts wirklich Aufsehen erregendes, wenn sich nicht eine davon so auffällig rechts an der Hüfte (also knapp unterhalb des Gürtelniveaus, wo der Oberschenkelknochen ansetzt) gekratzt hätte… und ich erinnere an dieser Stelle daran, dass die alle Röcke tragen, und sie hat es vorgezogen, sich nicht durch den Stoff zu kratzen… Ende der Rückblende.
Nein, ich habe nicht auf den Tisch gesabbert. Dennoch danke ich dem Schicksal für die gebotene Gelegenheit.

Ich habe heute Mittag auch eine Nachricht von Katsuki-sensei erhalten, die ich an Marc weitergeleitet habe, und ich nutze jetzt die Gelegenheit, um den Gesamthintergrund dieses Schreibens darzustellen. Ein Hirosaki-Bewerber aus Trier ist abgesprungen, somit ist hier ein Studienplatz für eine Verlängerung frei. Natürlich würde ich diese Möglichkeit mit Begeisterung annehmen – wenn da nicht die Finanzfrage wäre. Mein Stipendium läuft nur ein Jahr, ohne Chance auf Verlängerung, also werde ich wohl spätestens Mitte September wieder in Deutschland sein (müssen), weil ich mich nicht selbst finanzieren kann. Ich habe daraufhin Marc von dieser Gelegenheit in Kenntnis gesetzt, weil er erstens sowieso jetzt schon nicht von einem Stipendium anhängig ist und zweitens ja eine Freundin in Aomori hat, die sich über eine Verlängerung seinerseits sicherlich freuen würde. Er ist interessiert, muss aber noch ein paar Punkte klären.

Melanie will noch was besorgen und fährt mit Marc nach dem gemeinsamen Essen ins Daiei. Ich fahre lieber gleich nach Hause.

8. Juni 2024

Dienstag, 08.06.2004 – Ein Ein-Mann-Unternehmen

Filed under: Japan,Musik,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

Kondô-sensei hat heute einen gut ernährt aussehenden Mann namens Shibutani zu Gast, der einen länglichen Koffer bei sich trägt. Was für eine Art Boss ist der wohl? Schnell stellt sich heraus, dass er gar kein Unternehmen führt – er ist professioneller Shamisen-Spieler und verdient sich damit seinen Lebensunterhalt; anders als Daijô-sensei, der ja noch ein (überaus gutes) Restaurant führt.

Shibutani-sensei („sensei“ deshalb, weil er Schüler hat und weil Künstler im Allgemeinen so genannt werden) legt uns, wie auch Daijô-sensei vor einigen Monaten, die Geschichte der Shamisen dar, wenn auch weniger detailliert, mit einem kleinen Detailunterschied: Daijô-sensei hatte erzählt, dass die Tsugaru-Shamisen die Shamisen sei, die man solo spiele, während die übrigen nur im Verbund mit anderen Instrumenten bei japanischem Theater oder Konzerten eingesetzt würden. Heute wird uns gesagt, Shamisen werde „mehr und mehr auch solo gespielt“. Was für mich dann heißt, dass die Tsugaru-Shamisen sich immer größerer Beliebtheit erfreut. Es gibt auch nur zwei Sorten: die „Tsugaru-Shamisen“, benannt nach der kleinen Ebene, die sich ab Hirosaki nach Norden bis ans Meer nach Norden erstreckt, und… der Rest. Interessant ist auch, dass die Tsugaru-Shamisen heute gar nicht mehr hier in der Gegend hergestellt werden, sondern von einer Firma in Tokyo.
Shibutani-sensei erzählt weiterhin, dass es heutzutage etwa 40000 Spieler allein in Aomori-ken gebe. Über sein Einkommen sagt er nichts, außer, dass ihm ein Schüler pro Unterrichtsstunde 3000 Yen einbringe, und er habe mehr als 20 davon. Ich frage auch nicht nach seinem Gesamtverdienst. Er weist nur auf den Materialwert seines Instruments hin, dass aus einer Vielzahl von Rohstoffen hergestellt wurde, da wäre zum Beispiel ein spezielles indisches Hartholz für den Stiel (der nicht auf Wasser schwimmen würde), andere Hölzer für den Klangkörper usw. Das einfachste daran dürfte noch die Bespannung aus Katzen- und Hundeleder sein, und die drei Saiten, von denen, wie ich an anderer Stelle bereits sagte, zwei aus Nylon, die dickste der drei Saiten aber aus Seide, bestehen. Seine Shamisen hat einen Wert von umgerechnet etwa 7500 Euro.
Er sagt, er wolle im September ein Lokal in der Nähe des Bahnhofs eröffnen, wo man zum Preis eines gewöhnlichen Getränks dann Shamisen-Musik live hören könne. Leider werde ich dann vermutlich nicht mehr da sein. Außerdem nehme er auch an Wettbewerben teil. Den gesamtjapanischen Wettbewerb hat er bereits fünfmal gewonnen, die letzten drei Male in Folge.
Natürlich spielt er uns auch was vor, und ich finde es sehr beeindruckend. Auch hier zeigen sich gewisse Unterschiede zum verehrten Herrn Daijô: Daijô-sensei spielte locker drauflos, mit einer Leichtigkeit, als mache er nur Fingerübungen. Shibutani-sensei dagegen fängt an zu spielen und macht kurz darauf ein Gesicht, als sei er in Trance verfallen, Augen geschlossen, der Welt entrückt. Aber er spielt verdammt gut. Ich kann nachvollziehen, warum er so erfolgreich ist.
Ich sollte mir eine CD mit entsprechender Musik kaufen, bevor ich nach Europa zurückkehre, sofern ich einen Interpreten finde, der schnelle Stücke spielt, weil ich mit langsamen Schlafliedern nichts anfangen kann. Aber nach dem, was ich bisher gehört habe, muss ich mir wenig Sorgen machen. Shibutani-sensei legt uns die Gebrüder Yoshida ans Herz.

Danach gehe ich ins Center und kümmere mich um meine Post. Das Center ist ziemlich stark bevölkert, also weiche ich in die Bibliothek aus, bis ich dann gegen Neun nach Hause komme. Wir sehen uns eine Episode der neuen Deutsch-Lernsendung an, die bedeutend besser ist, als die letzte. Vor allem sind die Teilnehmer sympathischer. Die „Lerner“ sind ab sofort zwei Männer (wohl Mitte Zwanzig) und die Chaoten-WG wurde gekickt, das heißt, wir sind den alternativen „Siegfried von Waldorf“ los. Was wir aber nicht los sind, ist Prinz Pipo, diese grausam animierte Trickfilmfigur, deren „Abenteuer“ wohl von vorn wiederholt werden. Dabei ist die verwendete Sprache (veraltetes Hochdeutsch möchte ich beinahe sagen) so künstlich! Der ältere japanische Lehrer ist ebenfalls noch dabei, aber der stört mich ja nicht. Der Besuch in Deutschland, natürlich in Berlin, besteht heute aus einem Interview mit einem bekannten deutschen Koch, der meines Wissens auch im Fernsehen auftritt… ich habe nur seinen Namen vergessen. Laafer ist es aber nicht. Seine „Dialektausrutscher“ verraten ihn ziemlich schnell als Hessen.

4. Juni 2024

Freitag, 04.06.2004 – Sandalen auf heißem Sand

Filed under: Filme,Japan,Musik,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

In der Mittagspause bringe ich meine eben abgeholte Immatrikulationsbescheinigung zu Prof. Fuhrt, der mir verspricht, sie heute Abend nach Trier zu faxen.

Der Unterricht von Kuramata-sensei fällt heute aus, weil der Verantwortliche der Hauswirtschaftsabteilung keine Zeit hat. Es heißt, das angesetzte Reiskochen werde auf unbestimmte Zeit verschoben. Ich nutze die Zeit, um ins Ito Yôkadô zu fahren. Ich möchte noch die eine oder andere CD kaufen, bevor ich das Land verlasse, und Melanie ebenfalls. Ich kaufe also „Sotsugyô“ von „ZONE“ und, weil es mir ins Auge fällt, auch „Anime Trance 2“. Wenn ich „Animetal sammele, warum nicht auch „Anime Trance? Ich frage an der Theke nach den „Animetal Marathon“ CDs #2, #3 und dem „Lady Marathon“, muss aber erfahren, dass es von dieser Serie nur noch die CD #3 zu kaufen gibt, alle anderen sind bereits außer Produktion. Bei der dritten CD handelt es sich um ein „Ultraman“ Special, aha… das sagt mir jetzt natürlich reichlich wenig, aus musikalischer Sicht gesehen. Ich weiß nur, dass „Ultraman“ eine Serie ist, die man nicht unbedingt gesehen haben muss. Der Held verwandelt sich mit Sonnenenergie in einen Riesen und kämpft gegen Monster in der Größe von Gozilla oder so…
Bei solchen Gelegenheiten werde ich gern gefragt, warum ich die Superheldenserien so schlecht finde, mir aber aktuell „SailorMoon“ anschaue. Diese Serie sei doch ebenso schrottig, was Regie und Spezialeffekte betrifft? Einfache Antwort: Das hat ganz klar hormonell bedingte Gründe. Was nutzt es auch, das abzustreiten? Aber ich bin auch ein Fan des Originals. Und ich habe auch Gründe, die in der Handlung liegen. Ich finde zum Beispiel sehr interessant, auf welche andere Weise die Geschichte erzählt wird, und wie anders die Beziehungen verschiedener Charaktere untereinander gestaltet wurden.
Wie dem auch sei, ich würde die „Animetal“ Reihe schon gerne komplett haben, also werde ich Hiroyuki bei Gelegenheit bitten, ein Auge auf die Läden in Tokyo zu haben.

Der Unterricht von Ogasawara-sensei findet natürlich statt und nach Schluss möchte ich noch die eine oder andere Sache in Erfahrung bringen. Warum z.B. hat sie „Satôkibi Batake“ als Lied ausgesucht? Sie sagt, weil ihr das Lied gefalle und sie die CD gerade in der Hand gehabt habe. Also keine tiefgründigen Hintergedanken. Ich drücke mein Bedauern darüber aus, dass dieses Lied so schrecklich melancholisch klinge und frage, ob sie „Shima Uta“ kenne. Ja, entfernt, sagt sie. Ich solle die CD einfach mal mitbringen.
Des Weiteren interessiert mich, warum ein koreanischer Film, dessen Name sich mit den chinesischen Schriftzeichen für „Bushi“ schreibt, in Japan „Musa“ gelesen wird (was sich eigentlich ein bisschen anders schreibt). Sie erklärt, dass die beiden Begriffe theoretisch synonym seien, dass aber das Wort „Bushi“ in Japan zuerst den Gedanken an „Samurai“ wecke; „Musa“ dagegen sei „ein starker Kämpfer“, aber nicht unbedingt ein Samurai. Da der Titel direkt aus dem Chinesischen stamme, mache der koreanische Titelgeber diese Unterscheidung nicht. In meinen Worten ausgedrückt: Die dargestellten Personen sind Ausländer und können daher nicht mit einem Begriff beschrieben werden, der etwas einzigartig Japanisches ausdrückt!
Zuletzt möchte ich mir zwei Kanji-Kombinationen erklären lassen, die sich beide „Zenzai“ lesen – also so, wie der übliche Deutsche den japanischen Lehrer, den „Sensei“, betitelt, bzw. ausspricht. Zum einen handelt es sich dabei um „zuvor begangene Verbrechen“. Bei einem Gewohnheitsverbrecher also um die Straftaten, die er vor der aktuell untersuchten begangen hat. Zum anderen handelt es sich bei „Zenzai“ um eine Spezialität aus der Gegend von Osaka. Was daran so speziell sein soll, verstehe ich nicht, weil es sich dabei um eine Schüssel mit süßer Bohnenpaste handelt, wie man sie für gewöhnlich in Brot oder in Reisteig einwickelt. Offenbar isst man da unten dieses Zeug auch pur. Außerhalb von Kansai, der Ebene um Osaka, gibt es ebenfalls „Zenzai“, aber mit der Variation, dass Stücke von Reisteig (Mochi) in die Paste geschnitten werden.

Ich treffe dann Melanie am Center und wir fahren ins Kino. Wir sehen uns „Troja“ an. Die männlichen Hauptrollen finde ich allesamt gut besetzt, aber die Frauen erscheinen mir arg farblos, vielleicht abgesehen von der einkassierten Cassandra. Dass Orlando Bloom den Paris gespielt hat, war ebenfalls eine gute Wahl (auch wenn es sicherlich noch bessere gegeben hätte), aber ich musste am Ende doch lachen und mich fragen, ob er die Rolle nicht deshalb bekommen hat, weil er dann wieder mit Pfeil und Bogen hantieren kann – es fehlt eigentlich nur noch, dass er in zehn Jahren in der 2813ten „Robin Hood“ Verfilmung die Hauptrolle spielt. Paris überlebt also, trifft noch schnell Aeneas und verschwindet dann scheinbar spurlos in der Weltgeschichte. In der Originalerzählung ist er bei der Eroberung von Troja so sang- und klanglos umgekommen, dass Homer gerade mal eine oder zwei Zeilen dafür aufwendete. Paris war offenbar gutaussehend, aber nicht das Ebenbild eines Mannes – wie anders könnte ich Homer interpretieren, der sinngemäß sagt, dass die Helena ganz froh war, wieder zu ihrem Gatten zurückkehren zu können. Und dafür, dass die Helena einen erotischen Ruf genießt, wie er sonst nur der Kleopatra oder Mata Hari zukommt, hätte ruhig eine geeignetere Darstellerin als Diane Kruger herhalten können.

An sich ist der Film nicht schlecht. Ich finde nur, dass man sich zu viele Freiheiten genommen hat, um die beiden Seiten quasi als „Gut gegen Böse“ zu stilisieren. Der Hektor ist z.B. viel zu ritterlich geworden, damit er Achilles besser kontrastieren kann. Dabei war Hektor genauso ein Metzger – hat er in der Vorlage nicht ebenfalls den erschlagenen Patroklos hinter seinem Streitwagen her in der Gegend herumgeschleift?
Darüber hinaus hätte es mir nicht schlecht gefallen, das wahre Ende des Agamemnon zu sehen, anstatt diese „Happy End“ Version, die man in dem Film zu sehen bekommt. Der Mann hat Cassandra mit nach Hause genommen und wurde dafür von seiner eifersüchtigen Frau und deren Erfüllungsgehilfen umgebracht. Aber zur Verteidigung von Clytemnestra sei gesagt, dass da nicht nur Eifersucht eine Rolle spielt – Agamemnon war auch so frei, vor seiner Abreise nach Kleinasien ihre Tochter Iphigenie den Göttern zu opfern, um so einen günstigen Wind für die Überfahrt zu erbitten. Und das tragische Element dabei ist, dass die Iphigenie von den Göttern gerettet wurde, indem sie sie im Moment ihres „Todes“ an einen fernen Ort entrückten. Natürlich kann ich mich irren – ich habe den dicken Wälzer vor mehr als zehn Jahren zuletzt gelesen.
Wirklich lustig fand ich die Zeitkomprimierung. In „Gladiator“ war ja der „Blitzritt“ des Helden Maximus nach Spanien schon ein Grund zum Schmunzeln, aber in „Troja“ wird das noch viel extremer: Da landen die Griechen am Strand, dann wird zwei, drei Tage lang gekämpft, dann folgt die Kampfpause während Hektors Trauerfeiern und dann wird Troja erobert – dem unbedarften Zuschauer erscheint das wie eine Sache von vielleicht zwei Wochen. Soweit ich mich erinnere, hat die Belagerung Trojas in der Ilias etwa zehn Jahre gedauert, und in diesem Zeitraum wurden erst einmal alle mit Troja verbündeten Städte nacheinander von den Griechen zerstört.
Aber wenn wir schon dabei sind, kann man doch die Fortsetzung gleich in Auftrag geben – hat nicht Odysseus gerade seinen unvorsichtigen Fuß in sein Schiff gesetzt? Die „Odyssee“ wäre doch jetzt der nächste, logische Schritt, oder nicht? Ich bin sicher, dass Sean Bean eine gute Figur in der Rolle macht. Stattdessen finde ich einen Bericht in der „Japan Times“, die einige andere Titel (unter dem Motto „Die Rückkehr der Sandale“) ankündigt. Jetzt kann ich mich natürlich mangels Notizen nicht mehr erinnern, um was es im Einzelnen geht. Da war u.a. von einer Neuverfilmung von „Spartakus“ und „Alexander“ die Rede. Na, warum nicht.

Wir wollen nach dem Film was essen und mir ist nach Pizza. Und wenn man in Hirosaki Pizza essen will, sollte man dafür ins SkattLand nach Nishihiro fahren. Vor dem Eingang erspähe ich die erste Kakerlake, die ich in meinem Leben live sehe. Aber sie ist „nur“ so groß wie mein Daumen. Zertreten soll man sie ja nicht, weil ihre Eier so am Schuh kleben bleiben und sich bis in die eigene Wohnung verteilen können.
Im SkattLand hängt ein Angebot für 400 Yen aus, das da heißt „Eiersalat mit Ume-Mayo-Dressing“. Was bitte soll denn das sein? Eiersalat mit Mayonnaise ist klar, aber was haben Pflaumen daran zu suchen? Ich wage nicht, das Gericht zu bestellen, außerdem wollte ich eh eine Pizza (oder auch zwei) essen. Vielleicht probiere ich diese abenteuerlich klingende Mischung später einmal.

2. Juni 2024

Mittwoch, 02.06.2004 – Die Bauern, unsere Beziehungen, und die Neue Kuh

Filed under: Japan,My Life,Uni,Zeitgeschehen — 42317 @ 0:00

Von den Leuten, die ich gestern um Rat gefragt habe, haben tatsächlich wie erwartet drei geantwortet. Meinen besten Dank. Ich erfahre leider nichts Neues, außer, dass die weniger wissen als ich. Unter Trierer Studenten, die vorübergehend ins Ausland ziehen, geht man davon aus, dass es notwendig sei, die Rückmeldung mit Hilfe der TuniKa in Trier vor Ort vorzunehmen, indem man einem Treuhänder seine Karte überlässt und den bittet, die entsprechende Überweisung vorzunehmen. Dies entspricht aber nicht der Wahrheit – eine Überweisung des Semesterbeitrags mit Matrikelnummer als Verwendungszweck reicht völlig aus. Am meisten wundert mich, dass Katsuki-sensei noch nicht geschrieben hat. Sie ist als notorische Frühaufsteherin normalerweise recht schnell beim Beantworten der Post, und ich habe sogar einen hohen Prioritätsgrad angegeben.

Kondô-sensei lässt den Unterricht heute ins Freie verlegen, weil das Wetter so schön ist. Dann drückt er Mei 1000 Yen in die Hand und sagt, sie solle bitte zum Automaten gehen und bitte für alle was zum Trinken besorgen. Sie bringt Tee. Und dieses Zeug aus dem Automaten, allem voran Ôlong, ist einfach widerlich. Aber ich trinke ein paar Schlucke davon, um den Spender nicht zu beleidigen, wie man das in Japan halt macht.
Nim redet über den Zustand der japanischen Landwirtschaft, und der zu Grunde liegende Aufsatz (von 2003) zeichnet da ein reichlich düsteres Bild. Fünf Prozent der japanischen Bevölkerung sind in der Landwirtschaft tätig, in Deutschland sind es drei. Das ist an sich nicht atemberaubend. Die quantitative Reisversorgung ist sichergestellt, aber dennoch kann Japan aus sich heraus nur 40 % des nationalen Kalorienbedarfs decken. Die Nahrungsmittelimporte sind so hoch, dass sie die Exportgewinne in Höhe von etwa 7 Trillionen Yen (ca. 53 Mrd. Euro) fast vollständig aufzehren. Vom weltweiten Fischfang z.B. gehen 60 % (!) nach Japan.[1] Deutschland ist, laut Aussage des Verfassers, in der Lage, seinen Kalorienbedarf zu 99 % selbst zu decken. Natürlich bedeutet eine solche Angabe in der Statistik nicht, dass ein Staat mit einer Sättigung von 100 % keine Importe bräuchte. Schließlich könnte das auch bedeuten, dass das nationale Angebot zwar sehr kalorienhaltig, aber wenig abwechslungsreich ist.
Nim ist leider nicht leicht zu verstehen. Ihr Englisch (es mag nicht sehr gut sein, aber es ist auch nicht schlecht) macht dabei nur den geringsten Teil des Problems aus. Hinter ihr plätschert nämlich der Brunnen, neben mir übersetzt SangSu das Gesagte für Mei ins Koreanische und wir müssen andauernd Ameisen von unseren Kleidern verjagen, weil es hier in der Umgebung offenbar einen volkreichen Staat gibt.

Im Anschluss redet Hugosson, im Lehrsaal, über „Soziales Kapital“ (oder „Gesellschaftliches Kapital“), was man auf gut Deutsch „Vitamin B“ nennt – Beziehungen. Wie viele Beziehungen wir denn hätten, will er wissen. Ich gebe an, so um die 80 zu haben. Ich denke, so viele Leute stehen mir nahe genug, um sie um einen Gefallen bitten zu können, wenn es einmal notwendig sein sollte. Die Koreanerin JiGong schickt gleich „ein paar Hundert“ ins Rennen. Aha. Die Thailänderin Nun setzt der Sache die Krone auf und gibt „um die 2000“ an. Da fällt mir ja die Kinnlade runter! Und ich habe echte Probleme, das zu glauben. Ich möchte schätzen, dass es auf der Welt etwa 150 Leute gibt, die sich an meinen Namen oder an mein Gesicht (oder zumindest eines davon) erinnern können. Den „harten Kern“, also meine besten Freunde, gebe ich mit etwa einem halben Dutzend an, und da unterscheide ich mich nicht von den anderen, was meiner Meinung nach die These von den 2000 Kontakten weiter aushöhlt.

Als nächstes, nach dem Unterricht, schreibe ich „Entwarnungen“ an alle, die mir auf meine Anfrage geantwortet haben, und an meine Lehrerin. Dann gehe ich ins Sekretariat meiner hiesigen Fakultät und beantrage die Immatrikulationsbescheinigung – auf Englisch, bitte. Das Papier werde binnen der nächsten zwei Tage in meinem Postfach liegen, heißt es.
In eben jenem Postfach finde ich heute einen Bescheid des Centers, in dem ich aufgefordert werde, bis zum 30. Juni meine Rückreiseformalitäten mit der Angabe meiner Reiseroute zu beginnen. Ich gehe also zu Prof. Fuhrt, um eine mögliche Verlängerung zu klären, aber er verweist mich an meine Kontaktstellen in Trier. Außerdem bietet er mir an, das Faxen der Immatrikulationsbescheinigung für mich zu übernehmen.

Ich werfe am Abend einen Blick in die „Japan Times“ und finde darin einen interessanten Bericht. Darin ist zu lesen, dass das japanische Unternehmen „Kirin“ es geschafft habe, eine Kuh zu züchten, die gegen BSE immun sei. Man habe dazu ein Trägerprotein entfernt, das angeblich keine andere Funktion als das Übertragen von solchen Krankheiten habe. Die Kuh sei noch nicht geboren, sondern befinde sich derzeit noch im Mutterleib – nichtsdestotrotz laufen die Untersuchungen bereits. Jetzt frage ich mich allerdings, warum ausgerechnet eine Brauerei, wenn auch die zweitgrößte Japans, solche Forschungen betreibt. Die verkaufen nämlich Getränke jeder Art – nur keine Milch.[2]


[1] Ich frage mich heute, ob diese Zahl korrekt berechnet war. Im Jahr 2020 betrug der japanische Anteil am weltweiten Fischkonsum (laut de.statista.com) nämlich nur knapp 4 %.

[2]   Patente sind immer eine Kapitalanlage.

1. Juni 2024

Dienstag, 01.06.2004 – Der längste Tag

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

Heute ist also der entscheidende Tag. Ich schreibe zuerst den Japan-Veteranen meiner Fakultät, um mir genauere Einblicke in die praktischen Abläufe einer Rückmeldung über den halben Globus hinweg zu verschaffen. Vielleicht finde ich auf diese Art und Weise eine Lücke in meiner eigenen Vorgehensweise. Wenige Leute sind das nicht – zehn, um genau zu sein. Ich rechne mal mit drei Antworten binnen der nächsten 48 Stunden.
Dann wende ich mich an meine Bank, erst einmal schriftlich, weil ich ja eventuell den Nachweis führen muss, dass ich tatsächlich überwiesen habe, möglicherweise nur mit dem falschen Verwendungszweck (falsche Matrikelnummer, da sind Nullen enthalten, die man angeblich für nichts braucht). Dann schreibe ich an meinen Sachbearbeiter im Studentensekretariat und schließlich auch meiner Lehrerin in Trier.

Kondô-sensei stellt uns heute Herrn Nakai vor, der seine Brötchen mit dem Verkauf von Hausmedizin verdient. Er hat uns Kostproben mitgebracht, darunter ein flexibles Pflaster aus einem speziellen Material, dass sich der Form der verpflasterten Stelle sehr gut anpasst, ein Pulver gegen Völlegefühl, und eine kleine Flasche mit einer Mixtur gegen Magenprobleme, die so ein bisschen wie Red Bull ohne Kohlensäure schmeckt. Ich bin sicher, dass ein guter Teil der Formel aus reinem Zucker besteht. „Aber aus Fruchtzucker!“ sagt Nakai-san. Es kratzt trotzdem im Hals. Gegen Magenprobleme? Ist genau das, was ich heute brauche, also runter damit. Geholfen hat’s allerdings nicht. Die Spannung hält bis zum Abend an.
Das Versorgungssystem ist in Japan übrigens sehr interessant: Auf Anfrage (oder im Rahmen einer Werbeaktion) kommt ein Bote mit einer ganzen Kiste voll Zeug (etwa so groß wie ein Schuhkarton für Stiefel), bedankt sich für das Interesse und geht wieder. Am Ende des Monats kommt er zurück und sieht nach, was in der Kiste fehlt. Das, was man verbraucht hat, wird berechnet; angebrochene Ware erst, wenn sie leer ist. Man merkt auf diese Art und Weise schnell, was man nicht so dringend braucht und kann den Inhalt der Kiste entsprechend anpassen lassen.

Im Anschluss will ich schauen, ob vielleicht schon jemand geantwortet hat, aber der Mailserver will schon wieder nicht mehr – hurra Deutschland! Ich fahre stattdessen ins Ito Yôkadô und hole die CDs ab, die ich letztlich bestellt habe.

Nach Anbruch der Dunkelheit gehe ich in den MiniStop gegenüber von der Universität und kaufe mir eine Telefonkarte im Wert von 3200 Yen für 3000 Yen (200 Yen geschenkt!). Die Verkäuferin lobt bei der Gelegenheit mein Japanisch, danke, und erklärt mir, wie man die Karte bedient. Es steht auf der Karte selbst drauf und sie gibt mir auch noch ein Faltblatt, auf dem noch mal dasselbe draufsteht. Diese Karten sind nicht wie deutsche Telefonkarten, in die ein Chip eingelassen ist, auf dem alles Notwendige zum Telefonieren gespeichert ist. Auf den japanischen Karten befindet sich ein Rubbelfeld, und unter der Decke befindet sich eine Nummer mit etwa 12 Stellen, inklusive Rauten. Diese Rauten dürfe man auf keinen Fall vergessen.
Dann kommt ein (japanischer) Kunde, etwa Mitte Vierzig, auf die Kasse zu. Die Verkäuferin zeigt auf ihn und sagt, dass er ausgezeichnet Englisch spreche. Aha… und was soll ich dem jetzt erzählen?
„Haben Sie Probleme?“ fragt er.
„Nein, ich muss nur mit meiner Bank reden.“
„Aber dies hier ist keine Bank.“
„Dessen bin ich mir bewusst. Ich kaufe eine Telefonkarte, um meine Bank in Deutschland anrufen zu können.“ Dann verabschiede ich mich aus diesem überflüssigen Dialog, was meinem in diesen hineingedrängten Gegenüber vielleicht auch ganz Recht ist. Für einen Japaner ist sein Englisch aber wirklich ganz hervorragend. Seinem Erscheinungsbild nach würde ich ihn für einen Lehrer halten.

Ich suche eine Telefonzelle und fahre dafür bis zur Poststelle in der Nähe vom Beny Mart, weil das Telefon, das auf dem Weg liegt, besetzt ist. Ich vergewissere mich, dass dieser Apparat für internationale Gespräche geeignet ist und wähle also zuerst die Kartennummer, worauf eine Stimme vom Band mir auf Japanisch und Englisch erläutert, dass ich auf das Signal warten solle, bevor ich die Teilnehmernummer wähle, wieviel Wert meine Karte noch hat und wie lange ich damit noch telefonieren kann. Dann erst folgt die Teilnehmernummer, dann die „49“ für Deutschland, und dann die Ortsvorwahl, natürlich ohne die „0“ am Anfang.
Ich rufe meine Kreissparkasse in Homburg an, und da weiß ich eine Weile nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Die Dame von der Telefonzentrale ist sehr nett, aber offenbar nicht in der Lage, Hochdeutsch zu sprechen, was ich sogar in der Heimat bei wichtigen Angelegenheiten vorziehe, vor allem über das Telefon, wo man schnell mal was falsch verstehen kann. „Ach Gott, Sie rufe aus Japan an!? Ei, ich vastehn Sie awwa gudd… dann beeil ich mich am beschde mol, damit Sie nit so viel bezahle misse…“ Ich bin der guten Verbindung auch dankbar – ich hätte nicht gedacht, dass es ein so gutes Gefühl sein würde, den Heimatdialekt mal wieder zu hören. Mit Melanie kann ich das ja nicht erleben… erstens kommt sie aus Saarbrücken und zweitens ist sie eh nur ein Halbblut-Saarländer. Ja, ich grinse jetzt.
Ich lande binnen 15 Sekunden bei einem Herrn Hager, der mir sagt, dass es problematisch sein könnte, die Transaktion von Homburg aus nachzuvollziehen, da ihm auch nur der Zeitraum der vergangenen sechs Wochen zur Verfügung stünde, wie mir beim Online Banking. Er werde aber versuchen, diese oder jene Schritte in die Wege zu leiten, um dem Problem zu begegnen. Er werde zuerst mit der Filiale in Gersheim reden, die könne ich dann in dreißig Minuten anrufen, um Ergebnisse zu hören. Meine Überweisungsdaten seien dort wesentlich greifbarer.

Zuvor rufe ich aber in Trier beim Studentensekretariat an. „Ja, ich habe Ihre beiden Mails gerade gelesen“, heißt es dort. Es sind deshalb zwei, weil der Rechner sich nach dem ersten Drücken auf „Senden“ aufgehängt hat und ich nicht sicher war, ob die Mail nun weg war oder nicht, also habe ich sie noch einmal geschrieben. „Die Exmatrikulation hat gar nichts mit der Nummer zu tun, die Sie auf die Überweisung geschrieben haben. Die zusätzliche Null behindert den Erkennungsprozess nicht. Das Problem besteht darin, dass Sie noch keine Immatrikulationsbescheinigung aus Hirosaki geschickt haben.“ Das sei alles, und ich könne die Bescheinigung einfach faxen, ohne das Brimborium mit der Beschwerde und dem beigefügten Bescheid. Den könne ich wegwerfen, sobald das Fax weg sei.
Ich bin so perplex wegen der Einfachheit dieses Problems, dass mir die Frage in diesem Moment gar nicht einfällt, warum man mir diesbezüglich nicht ganz einfach eine kurze Mail geschickt oder diesen Sachverhalt nicht einfach als Begründung in den Exmatrikulationsbescheid geschrieben hat! Das hätte mir einen äußerst „spannenden“ Dienstag erspart. Ich gehe wesentlich erleichtert erst mal in den Beny Mart, kaufe eine Platte Sushi und verzichte auf einen Anruf in Gersheim.

Aber zuhause erwartet mich gleich die nächste Krise: Melanie ist am Boden zerstört, weil der Friseur ihre Wünsche offenbar falsch verstanden und zu viel von ihren Haaren abgeschnitten hat, die eigentlich hätten lang wachsen sollen. Ich persönlich stelle keinen wesentlichen Unterschied in der Länge fest, dafür einen extrem hohen Anteil seltsam riechenden Haargels, um die Frisur in Form zu halten. Ich tue für sie, was ich kann, und will mir gleichzeitig die gute Laune auf keinen Fall verderben lassen. Ich verzehre den Großteil des Sushi alleine und trinke einen Pott warmen Sake. Das macht glücklich und wird mich schlafen lassen wie einen Stein. Leider muss ich bei dieser Gelegenheit meinen ersten Krug wegwerfen, weil aus unerfindlichen Gründen eine Art Pilz (grün) darin gewachsen ist. Macht nicht viel, hat eh nur 75 Cent gekostet.
Ich mache heute Abend aber auch nichts wirklich Sinnvolles mehr und gehe bald schlafen, weil ich am Morgen noch ein paar Vokabeln lernen will. Aber nach dem heutigen Tag ist mir der morgige Vokabeltest so richtig egal. Dafür geht’s mir jetzt zu gut.

31. Mai 2024

Montag, 31.05.2004 – Nagasaki Feeling in Hirosaki

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

Ich lerne am Morgen munter drauf los und fahre bereits früh zur Universität, weil Lernen und CDs brennen ganz hervorragend gleichzeitig machbar ist. Am Ende habe ich ausreichendes Wissen über Texte, Kanji und Grammatik und habe mir 30 Episoden von „Konjiki no Gash Bell!“ angeeignet. SangSu will mir heute Abend außerdem noch „Azumanga Daiô“ überlassen, damit ich mir eine Kopie der CDs ziehen kann.

Dann schreiben wir die Klausur bei Yamazaki, die mir flüssig von der Hand geht, aber jedes Mal, wenn ich hier bei einer Klausur ein gutes Gefühl habe, kommen am Ende doch nur 50 % raus.

Dann versuche ich, meine Post zu schreiben, aber daraus wird nicht viel, weil der GMX-Server streikt. Die Seiten brauchen ewig zum Aufbauen, wenn das überhaupt ganz gelingt. Dann schaue ich stattdessen nur die anderen Accounts an, aber da ist ja nie viel los.

Abends finde ich einen Brief von meinem Großvater vor, in dem er ein offizielles Schreiben der Universität an mich weiterleitet: Ich bin „von Amts wegen exmatrikuliert“.

Ja, warum denn jetzt das? Ich habe meinen Semesterbeitrag doch überwiesen, und sogar die Beurlaubung fristgerecht verschickt! Das Schreiben sagt nichts über die individuellen Gründe aus, es ist ein Standardbrief. Ach, was liebe ich die Bürokratie… macht Euch bloß nicht zu viel Arbeit, Leute! Aber eines stellt der Brief deutlich klar: Er wurde versendet am 06. Mai, und zwar als erstes an meine alte, nicht mehr genutzte Adresse im Petrisberg. Habe ich meine Adressänderung bei meiner Rückmeldung zum Wintersemester nicht angegeben? Dummer Fehler… auf jeden Fall ist das Schreiben dann in Gersheim gelandet und von dort aus nach Japan geschickt worden. Ich hätte einen Monat Zeit, mich die Entscheidung zu reklamieren, heißt es. Von dem Monat sind jetzt noch sechs Tage übrig. Dann sollte ich das Problem gleich morgen in Angriff nehmen.
Melanie trifft wegen dieser Nachricht beinahe der Schlag. Dass ich in dieser Situation ruhig bleibe, erscheint ihr völlig befremdlich. Aber wenn ich jetzt hier das Zipperlein kriege und Panik schiebe, bringt mich das nicht nur nicht weiter, sondern es hindert mich ja auch am klaren Denken. Ich muss versuchen, (m)einen Fehler zu finden, und das Merkblatt, auf dem das Procedere einer Rückmeldung auf Entfernung dargelegt war, haben wir nicht mehr. Aber ich bin ganz sicher, dass darauf nur geschrieben stand, dass man lediglich den Semesterbeitrag überweisen müsse, unter Angabe der persönlichen Matrikelnummer als Verwendungszweck.
Ich werde morgen früh Mails an die entsprechenden Stellen schreiben und andere „Japan Veteranen“ um Rat fragen. Wenn ich sechs oder sieben Leute anschreibe, sind meine Chancen gar nicht schlecht, dass zumindest einer antwortet. Das wäre dann die übliche Erfolgsrate. Ich sollte morgen Abend auch mit dem Studentensekretariat in Trier und meiner Bank in Homburg oder Gersheim telefonieren. Ich muss gegebenenfalls die Überweisung an die Landeshochschulkasse nachweisen. Sawada-sensei sollte ich ebenfalls einen Besuch abstatten, nicht, dass eine Exmatrikulation in Trier das sofortige Ende meines Stipendiums bedeutet oder ähnlichen Mist. Ich gehe also schlafen. Ich könnte morgen einen klaren Kopf gebrauchen.

28. Mai 2024

Freitag, 28.05.2004 – Spuren im Schlamm

Filed under: Japan,My Life,Uncategorized,Uni — 42317 @ 7:00

Ich verbringe den Morgen mit Vokabeln und Datentransfer, die vorletzte „Airmaster“ CD kann ich fertigstellen. Auf die letzte muss ich noch warten, weil niemand die Episode Nummer 26 anbietet. Es die vorletzte Episode, und da ist für gewöhnlich am meisten los, deswegen möchte ich nur ungern darauf verzichten. Ich sollte einigen Teams eine entsprechende Mail schreiben, aber für gewöhnlich sind die allergisch gegen Bestellungen, und die höchste persönliche Meinung habe ich von Leuten, die Mails noch nicht einmal der Höflichkeit halber beantworten, nicht.

Kuramata-sensei, frisch vom Friseur gekommen, verkarrt uns zur chronologisch nächsten Sehenswürdigkeit: Eine Yayoi-Ausgrabungsstätte. Bei Yayoi handelt es sich um die Zeitperiode nach Jômon. Die Periode ist angesiedelt von 300 v. Chr. bis 300 n. Chr. und ihre herausragenden Merkmale sind organisierter Reisanbau und der Gebrauch der Töpferscheibe. Wichtig für diese Zeit war auch die Verhüttung von Eisen und Bronze.
Eigentlich gibt es nicht schrecklich viel zu sehen. Man hat etwa einen Quadratkilometer alter Reisfelder ausgegraben, während von der Siedlung nur die Bodenvertiefungen der Häuser übriggeblieben sind, und einige Gräber. Bemerkenswert ist, dass man bis zur Entdeckung dieses Ortes 1982 nicht glaubte, dass es zur Yayoi Zeit so hoch im Norden Reisanbau gegeben hat. Man ging bis zu jenem Zeitpunkt davon aus, dass das Klima für die Möglichkeiten des damaligen Ackerbaus zu kühl gewesen sei. Aber dennoch wurde hier erfolgreich Reis geerntet.Allgemein machten der Reisanbau und dessen Lagerung die Bildung größerer Siedlungen möglich, da der Reis das seit der Jômon Periode übliche Jagen und Sammeln deutlich ergänzte. Das scheint an sich sehr positiv zu sein, allerdings belegen die Funde auch die Nachteile der verbesserten Lebensbedingungen.
Wie es scheint, ging der Reisanbau (und der damit verbundene gestiegene Wohlstand) mit der Entdeckung der Metallverarbeitung eine unheilige Allianz ein, da ab nun die ersten, wenn auch kleinen, Kriege um Anbaugebiete geführt wurden. Auf dem Friedhof gibt es Skelette ohne Köpfe, mit deutlichen Gewaltspuren an der Halswirbelsäule, und woanders fand man ein Skelett, zwischen dessen recht gut erhaltenen Überresten 13 Pfeilspitzen steckten. Es muss also stellenweise heiß hergegangen sein. Reis hat offenbar nicht nur Vorteile. Die verbesserten Lebensbedingungen, der sich entwickelnde Wohlstand, förderten auch die Herausbildung einer deutlicheren hierarchischen Struktur in den Gemeinschaften, und natürlich zeigte sich auch, dass manche Anbaugebiete besser waren als andere. Und wo Menschen aufgrund welcher Umstände auch immer Macht und Gewalt über das Schicksal anderer erhalten, wollen sie diese Macht ausbauen. Da ging er hin, der himmlische Friede der Urgesellschaft.
Die Hauptattraktion der Ausgrabungen sind die Fußspuren, die sich im erhärteten Schlamm erhalten haben. Sie stammen von Menschen, die etwa 1,50 bis 1,60 m groß waren. Daneben gibt es Ausstellungen von Vasen, Arbeitsgeräten und Reiskörnern, ebenso wie Bronzeschmuck und Pfeilspitzen. Bronze wurde ausschließlich zu Schmuckzwecken verwendet, wie uns der Angestellte erzählt.
Wir verabschieden uns dann – bis zum Sonntag. Dann machen wir den nächsten Trip in dieses Dorf, wenn auch nicht wieder zu den Ausgrabungen. Wir werden uns am Sonntag im „Ta-ue“ üben – im Reis pflanzen. Ich hoffe, dass es nicht regnet, das könnte das schlammige Feld richtig unangenehm machen.

Wir kommen pünktlich zum nächsten Unterricht wieder zurück und Ogasawara-sensei hat den Plan gefasst, die Kommunikation innerhalb der Klasse zu erhöhen, indem sie jede Übung von jemand anderem „moderieren“ lässt. Ich bekomme die längste ab und muss den Inhalt erst einmal selbst verstehen, was die Sache natürlich in die Länge zieht, aber der Kommunikation sehr dienlich ist, weil ich dauernd irgendwelche Fragen an die Leute stellen muss, um zu verstehen, um was es hier eigentlich geht.
Auch Shin soll eine Übung leiten, was wegen seiner Art zu sprechen für allgemeine Erheiterung sorgt. Han bricht darüber in Tränen aus (zumindest kann ich keinen anderen kausalen Zusammenhang erkennen), und das nicht vor Lachen, das hier sieht ernst aus. „Vielleicht schämt sie sich dafür, dass alle über den armen Kerl da vorne lachen und ihm das vielleicht nicht einmal bewusst ist?“ sagt Melanie dazu. Ich will das nicht ausschließen, obwohl mir eine derart heftige Reaktion übertrieben scheint. Es lacht ja niemand laut, aber das Grinsen ist allerorts breit. Allen voran bei Hans Ehemann Jo…

26. Mai 2024

Mittwoch, 26.05.2004 – Aus dem Leben eines Schweden

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

Der nächste lange Mittwoch steht mir ins Haus, und ich darf ihn damit beginnen, zwei Dialoge für Ogasawara-sensei, für den heutigen Unterricht, zu schreiben – weil ich diese Hausaufgabe völlig vergessen habe. Ich wehre mich gegen den Vorwurf der erfolgreichen Verdrängung – ich habe eine Schwäche für solche Schreibangelegenheiten. Wegen des Zeitmangels schaffe ich es leider nicht, der Sache den üblichen Schwung zu geben. Da jeder Teilnehmer zwei Dialoge hat schreiben müssen, lässt die Lehrerin die Notizen wandern, von einem Tisch zum anderen, und man soll markieren, welcher Text der bessere sei. Die Texte mit den meisten Markierungen werden vorgelesen – meiner ist dabei, und ich würde das ein Armutszeugnis für die Kreativität meiner Mitstudierenden hier nennen.

Kondôs Unterricht fällt aus. Ich gehe in den nächsten Supermarkt und kaufe eine Tüte Brot, die eigentlich drei Portionen Frühstück abgeben soll, aber sie verschwindet im Laufe des Nachmittags Stück für Stück in meinem Bauch. Die Flasche Yoghurt Kalpis dagegen ist tatsächlich für den Sofortverzehr gedacht. Dieses Getränk könnte ich ernsthaft vermissen. Nudelsuppe und sogar Sushi bekomme ich auch in Deutschland auf die eine oder andere Weise, aber Yoghurt Kalpis?

Ich setze mich in die Bibliothek und vertreibe mir die Zeit bis zum nächsten Unterricht mit dem Schreiben meines Kampfberichtes, aber ich vergesse die Zeit ein bisschen zu sehr und komme zehn Minuten zu spät zum Unterricht von Hugosson. Der fragt mich zuerst nach deutschen „Schuhsitten“:
„Trägt man in Deutschland im Haus Straßenschuhe?“
„Das ist von Haushalt zu Haushalt verschieden, aber es spricht an sich nichts dagegen, solange die Schuhe nicht deutlich verschmutzt oder nass sind.“
Er fragt auch die anderen Anwesenden, aber die kommen ja alle aus Asien, und Asiaten sind sich in dieser Frage einig, wie es scheint. Er erzählt, in Schweden sei es üblich, die Straßenschuhe auszuziehen und mitgebrachte, saubere Schuhe anzuziehen, während es völlig in Ordnung sei, das Haus barfuß zu betreten, auch wenn man gerade durch die Wiese oder den staubigen Garten spaziert war.

Ansonsten erzählt er, wie er anno dazumal, 1992, zum ersten Mal nach Japan gekommen war, als Kampfsportlehrer. Man stelle sich das vor: Ein Europäer, dazu noch einer aus dem friedlichen Schweden, kommt ins Land der weisen Sensei und will sich als Kampfsportlehrer betätigen, und dazu noch in einer offenbar japanischen Disziplin: „Taidô“ heißt der Sport. Ich hab noch nie davon gehört. Jedenfalls kam er auf Vermittlung des betreffenden Sportverbandes zuerst nach Tokyo, mitten im Winter, und er hatte nur Sommerklamotten dabei. Er hatte ein milderes Klima auf der geografischen Höhe des Mittelmeers erwartet.
Nachdem er dann eine Woche lang von McDonald’s gelebt hatte, weil er kein Wort Japanisch sprach, wurde er von dem Sportverband ausgerechnet nach Hirosaki weitervermittelt – in seinen Sommerklamotten. Also im überhitzten Bus mitten in die „Arktis“; eine kurze, aber heftige Erkältung war die Folge.
Er lebte dann ein Jahr lang „Homestay“ bei einem wohlhabenden Arzt (ich glaube, in Japan sind alle Ärzte wohlhabend, nicht wahr, Jin-san?), arbeitete aber nicht als Trainer, sondern als Kucheneinwickler in einer Konditorei im Norden der Stadt. Man entzog ihm ziemlich schnell die weichen Tortenstücke wieder, weil er ein wenig zu kräftig zupackte und gab ihm „härtere“ Backwaren zum Einpacken. Außerdem musste er im Spagat an dem Tisch arbeiten, weil der für Japaner gebaut war, was heißt, dass er für einen durchschnittlich großen Nordeuropäer zu klein zum davor Stehen und zu groß zum davor Sitzen oder Knien ist. 1995 kehrte er zurück, diesmal als Forschungsstudent/Doktorand, machte seinen Doktor an der Universität von Hirosaki. Er heiratete eine Japanerin und blieb im Land.
Ich habe keine Ahnung, was das mit dem Thema zu tun hat, aber ich finde es sehr unterhaltsam und es macht den Mann auch sehr sympathisch. Immerhin erwähnt er hier und da eine der Organisationen, um die es in dem Unterricht eigentlich gehen soll.

Danach verschwinde ich wieder in der Bibliothek, bis etwa 21:45. Ein großer Artikel zum Thema „D-Day“ hält mich auf. Aber es geht nicht um die Landung selbst, sondern um eine Übung an der englischen Küste:
Da sollen doch 1943 die Übungsgegner aus nicht bekanntem Grund scharfe Munition erhalten haben, wahrscheinlich ein fataler Fehler der Ausrüstungsstelle. Die Probelandung soll 750 (!) Amerikaner das Leben gekostet haben, und noch lebende Anwohner der Gegend sagen aus, sie hätten die Leichentransporte gesehen, beim Herstellen von Särgen geholfen oder beim Ausheben von Massengräbern, während andere sich ausschweigen und kein Wort über die Angelegenheit verlieren wollen, die vom Pentagon vehement abgestritten wird. Die Verluste werden offiziell einem Angriff deutscher Schnellboote auf einen Konvoi tags darauf zugeschrieben.

25. Mai 2024

Dienstag, 25.05.2004 – Grundstück in Japan gefällig?

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

Ich stehe früh auf, um noch was gearbeitet zu kriegen und gehe dann ins Center. Weitere Kanji eintragen und lernen kann ich auch dort.

Alex stellt uns frustriert ein Buch vor die Nase, das offenbar von einem Neuseeländer geschrieben worden ist. Das Buch enthält ein paar Textstellen in der Sprache der Maori und ich habe nicht verstanden, um was es genau geht. Ein sozialpolitisches Thema. Alex findet das Buch zu langweilig, um es konzentriert lesen und dann wiedergeben zu können, also sucht er im Internet nach einer guten Zusammenfassung – findet aber keine. Offenbar finden auch andere Leute das Buch langweilig. Misi ist so nett und liest ihm eine Seite vor, damit er schon mal eine weniger selbst lesen muss.

Um 13:00 treffe ich Yui, aber sie bittet mich darum, das Treffen auf 17:40 zu verschieben, weil sie noch nichts gegessen und im Anschluss Unterricht habe. Ich habe auch gleich Unterricht, bei Kondô.
Kondô-sensei hat heute einen Mann namens Ichinohe zu Gast, und so langsam frage ich mich, wie viele „-nohe“ Verbindungen es eigentlich geben kann. „Hachinohe“ ist eine Stadt an der Ostküste hier oben, „Mitsunohe“ (oder „Sannohe“?) ist eine Oberschule (auf einem Trainingsanzug gelesen) und „Ichinohe“ ist offenbar ein Familienname. Ichinohe-san redet über die Immobilienpreise in Hirosaki, die mitunter die niedrigsten im ganzen Land seien – es gibt mehr Angebot als Nachfrage –, daher mache er auch Geschäfte in Tokyo und habe seine Fühler während der vergangenen Jahren bis nach Shanghai ausgestreckt, weil der wachsende chinesische Markt einigen Gewinn verspreche. Er teilt ein Infoblatt aus, auf dem lokale Miet- und Kaufangebote aufgelistet sind und bittet darum, dass man seine kürzlich erst gestartete Internetpräsenz doch kommentieren solle. Ich beschließe, das Blatt zu behalten, weil ich Leute kenne, die eventuell eine Zeitlang in Hirosaki wohnen möchten, aber ich finde es kurze Zeit später bereits nicht mehr. Sehr nett fand ich, dass er eingangs kurz seine Familiensituation beschrieben hat (verheiratet, zwei Kinder, 9 und 12 Jahre alt), das macht die Atmosphäre meiner Meinung nach weitaus lockerer.

Heute holt sich übrigens SongMin einen (wenn auch recht sanften) Anpfiff. Kondô fragt sie, ob sie das Wort verstanden habe, das er eben verwendet hatte, und SongMin fragt zuerst SungYi, um bei der Übersetzung sicher zu gehen, worauf Kondô tadelt: „Wenn ich ihnen eine Frage stelle, dann antworten Sie bitte mir – und nicht Ihrer Nachbarin.“ Mir scheint, der Mann ist in dieser Hinsicht recht empfindlich. Aber was soll man erwarten? Ein ehemaliger Generalverwalter der Mitsubishi Bank ist es vermutlich gewohnt, dass man ihn in feinstem Japanisch anspricht und mit Respektsbezeugungen überschüttet.

Um 17:45 treffe ich dann Yui, aber in der Halle wollen wir schon bald nicht mehr bleiben, weil hier offenbar eine Art Clubtreffen stattfindet. Tische werden verrückt, die Leute reden laut, ein Kleinkind schreit. Wir weichen in die Lobby des Physikgebäudes aus, weil es da ruhiger ist, und gehen die Grammatik für den Montag durch, bis etwa 19:45 Uhr. Aus irgendeinem Grund kann ich mich erinnern, dass wir ein paar Schokokekse gegessen haben, aber ich kann mir keinen Grund denken…

21. Mai 2024

Freitag, 21.05.2004 – Gemurmel mit musikalischer Untermalung

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Kuramata-sensei leitet heute den Unterricht nicht selbst, sondern überlässt ihn einem jüngeren Assistenzprofessor, der sich eingehend mit der Bedeutung des Reises für die japanische Kultur beschäftigt und fließend Englisch redet, wenn auch mit Akzent. Seinen Namen habe ich leider schon wieder vergessen. Er redet über alles Mögliche in Bezug auf Reis, also Ursprungsgebiete, Sorten, Ausbreitung und Verbreitungsrichtungen der letzten 3000 Jahre. Man geht davon aus, dass der Reis aus Südchina gekommen ist, weil es dort die größte Zahl von Sorten gebe, das heißt also, der Reis hatte dort die meiste Zeit, sich zu diversifizieren.
Er redet auch ein wenig über Verarbeitungsmethoden und führt uns dabei eine Rechnung vor, in der er darzustellen versucht, wie viele Reiskörner der durchschnittliche Japaner im Laufe einer Mahlzeit verzehrt. Er geht dabei von einem Go Reis aus, und das sind offiziell 165 Gramm (trocken). Anhand des Gewichts eines einzelnen Reiskorns kann man nun errechnen, dass ein Abendessen das Ende von ca. 448.000 Reiskörnern in einem einzelnen Magen sieht. Diese Zahl erscheint mir so unglaublich hoch, dass ich versucht bin, bei Gelegenheit mal zu zählen.[1] Im Gegensatz zu der vergangenen Stunde habe ich keine weiteren Fragen. Was das Thema „Entschlüsselung der Genstruktur des Reises“ angeht, bin ich bedient worden.
Und wir sollen einen Aufsatz über ein vergleichbares Produkt in unserer Heimat schreiben, bis in zwei Wochen. Also was wäre das? Kartoffeln sind zwar ein bedeutender Faktor deutscher Ernährung, aber sie sind viel zu „jung“, da sie erst seit ca. 300 Jahren in großem Stil bei uns angebaut werden. Dann bleibt ja nur Getreide, also Weizen oder Roggen, würde ich sagen. Eher Weizen. Melanie schustert mir auch gleich die ganze Arbeit zu – aus Kompetenzgründen, sagt sie. Erstens seien mein Englisch und meine Ausdrucksfähigkeit viel besser und zweitens käme ich ja vom Land, also sollte mir das Thema ja liegen, ich sei „prädestiniert“ für ein Agrarthema. Dabei hatte ich mit Landwirtschaft nie mehr zu tun, als zum Zeitvertreib Kornfelder mit Heuballen platt zu walzen, abgeerntete Felder anzuzünden und Traktoren zu sabotieren – was abenteuerlustige Kinder halt so alles treiben.

Ogasawara-sensei lässt uns heute das Lied „Satô Kibibatake“ („Zuckerrohrfelder“) singen, nachdem wir es in den letzten Stunden gelesen und zu verstehen versucht hatten. Allerdings würde ich den Begriff „singen“ hier lieber nicht verwenden. Ein misstönendes Etwas kommt dabei heraus. Für meine Begriffe hat das Lied eine etwas unglückliche Tonlage. Die ist höher als mein Ideal, aber wenn ich eine Oktave tiefer gehe, renke ich mir den Kehlkopf aus. Man muss es mit lauter Stimme singen, damit das was wird, und danach ist mir in dieser Situation nun wirklich nicht.

Ich gehe noch in die Bibliothek, schreibe aber wegen der Kürze der Zeit nichts mehr.


[1] Ein trockenes Reiskorn wiegt 0,02 bis 0,03 Gramm. Ein Gramm Reis sind also höchstens 50 Reiskörner, 165 Gramm Reis sind also demnach ungefähr 8250 Reiskörner. Die genannte Zahl von 448000 wären also über 54 Go Reis (mit denen man über dreißig Leute satt bekommt).

20. Mai 2024

Donnerstag, 20.05.2004 – Kamikakushi[1]

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Ich schaue mir am Morgen eher zufällig die Nachrichten an und sehe, dass sich zwei Geiselnehmer, ein Mann und eine Frau, in einem Haus verschanzt hatten, das wohl heute Morgen von einem Polizeikommando gestürmt worden ist. Der „spannende“ Bericht ist live und geht über mehrere Minuten, aber alles, was es zu sehen gibt, sind ein Haus mit zerbrochener Fensterscheibe, die obligatorische blaue Plane, um das Sichtfeld vor der Presse zu schützen und abfahrende Krankenwagen. Noch nicht einmal einen gesprochenen Kommentar gibt es. Mich interessiert heute der Wetterbericht mehr, da wohl gerade ein Taifun nach Norden rollt. Aber er wird bestenfalls den Ostrand der Kantô-Ebene mit seinen Ausläufern streifen (= Tokyo) und hier oben bei uns im schlimmsten Fall für unspektakuläre Wolken und ein bisschen Regen sorgen, heißt es. Und der Regen fällt heute zu günstigen Zeiten, nämlich dann, wenn wir unter einem Dach sind, und wir werden beim Radfahren nicht nass.

Nach Yamazakis Unterricht betreibe ich weiter Werbung für das gemeinsame Sushi-Essen am Samstag. Unser chinesisches Ehepaar Han (sie) und Jo (er) erklärt, Interesse zu haben. Und währenddessen passiert etwas sehr Merkwürdiges. Drehen wir die Zeit für die Einleitung zwanzig Minuten zurück:
Ich finde unter meinem Tisch im Lehrsaal einen Ordner mit Unterrichtsunterlagen und Hausaufgaben, einiges davon Englisch. Kein besonders gutes Englisch, der Autor (eher „die Autorin“, der Schrift nach zu urteilen) hat Probleme mit Präpositionen. Na egal. Ich suche nach einem Namen und finde schließlich eine Arbeitserlaubnis für Ausländer, wenn ich das richtig sehe. Eine Chinesin offenbar… ha, und den Namen darauf kann ich sogar lesen: „Das fröhliche, fröhliche Pferd“ – Ma FanFan. Aha… und sie ist zwei Jahre älter, als sie mir gesagt hat… sie ist 1980 geboren, nicht 1982. Eitelkeit kennt offenbar keine Grenzen. 🙂 Das würde zum Teil erklären, warum sie mich damals so vehement gebeten hat, ihr Geburtsjahr wieder zu vergessen. Ich lache in mich hinein. Es wäre auch nicht das erste Mal, dass ein Chinese sein Geburtsjahr für sich behält, so wie Tei, der Programmierer, der mir erzählen will, dass das Jahr der Geburt in China für amtliche Vorgänge nicht von Bedeutung sei. Ich lege den Ordner schön sichtbar auf den Tisch, damit ich ihn nicht vergesse. Bei Unterrichtsende, nach den zwanzig Minuten der Einleitung, wende ich mich dann zuerst dem Ehepaar zu und rede zwei Minuten mit den beiden, zuzüglich der Zeit, die ich brauche, um das Foto zu machen, das mir noch von den beiden fehlt. Sie kriegen ein gemeinsames.

Als ich mich dann wieder zu meinem Tisch umdrehe, ist die Mappe verschwunden. Sie liegt auch nicht darunter. Ich gehe also davon aus, dass Melanie, die neben mir saß, das Ding an sich genommen hat und gehe ins Center, um sie zu fragen, aber Melanie hat den Ordner nicht angefasst. Ich gehe in den Raum 313 zurück und durchsuche ihn gründlicher. Aber ich kann so viele Würfe auf „Durchsuchen“ machen, wie ich will, das Ding ist nicht mehr da. Ich gehe wieder ins Center und frage Valérie und Eve, die in der 313 vor mir sitzen, aber die haben nicht gesehen, was daraus geworden ist. Das ist doch zum Mäusemelken! FanFan wird nicht begeistert sein, wenn ich ihr erzähle, dass ich ihre offizielle Arbeitsberechtigung gefunden habe, nur um sie zwanzig Minuten später wieder zu verlieren.

Den Rest des Tages verbringe ich in der Bibliothek und gehe mit Melanie am Abend noch mal in den LKW essen.

[1] Etwa: das „Verschwinden auf Grund übernatürlicher Einflussnahme“

19. Mai 2024

Mittwoch, 19.05.2004 – Der Aussteiger

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

Zum Glück besteht der Monstermittwoch üblicherweise weitgehend aus Routine, an sich muss man nicht viel darüber schreiben. Es sei denn, Dinge wie heute nehmen ihren Lauf…

Vor einer Woche hatte ich im Unterricht von Kondô-sensei einen Vortrag über das praktizierte, aber nach Interpretation des Autors nicht ganz legale japanische Autobahnfinanzierungssystem gehalten. Über die erste Hälfte des Aufsatzes, um genau zu sein. In der zweiten Hälfte steht gar nicht mehr so viel drin. Das Interessanteste sind noch die Vorschläge, wie man die Situation nicht nur auf nationaler, sondern auch auf lokaler Ebene angehen und lösen könne. Es war nun Misis Aufgabe, eine Zusammenfassung des Inhalts der zweiten Hälfte vorzunehmen. Zehn Tage vor dem heutigen Datum hatte ich ihm den Text gegeben.
Er war mit der ihm eigenen Motivation an den Text herangegangen, was mir zwar aufgefallen war, ich aber nicht weiter erwähnenswert fand, weil Kommentare wie „Ich will diesen langweiligen Scheiß nicht machen…“ unter Studenten nicht unüblich sind, während die Arbeit aber in den meisten Fällen dann doch irgendwie gemacht wird. Zu meinem Vortrag war er nicht erschienen, aber auch dabei dachte ich mir nicht allzu viel. Er gehört nicht zu der eifrigen Sorte und man könnte meinen, er gehöre zu denen, die genau Buch über blaugemachte Tage führen, um das Maximum aus der erlaubten Anzahl von verpassten Stunden herauszuholen.

Heute kommt er zumindest zu spät. Aber was macht das schon? Kondô selbst kommt grundsätzlich fünf Minuten zu spät. Als Kondô dann aber da ist und das stumme Warten beginnt, frage ich SangSu, ob er Misi anrufen könne – nicht, dass er am Computer die Zeit vergessen hat. Kondô bespricht währenddessen mit Nim ein paar Einzelheiten ihres Vortrages nächste Woche. Misi erweist sich als erreichbar (alles andere wäre auch seltsam), und aus dem, was SangSu von sich gibt, muss ich entnehmen, dass Misi entweder nur mangelhaft oder gar nicht vorbereitet ist. Meine erste Vermutung ist natürlich, dass er sich mit irgendeiner mehr oder weniger fadenscheinigen Ausrede entschuldigen lässt – aber er kommt einen Augenblick später tatsächlich durch die Tür herein! Betrunken? Wahnsinnig? Blöde? Er sieht auch recht verunsichert aus. Würde mir an seiner Stelle ebenso gehen. Ich weiß nicht mehr, was er beim Reinkommen gesagt hat, aber er hat sich für seine Verspätung nicht entschuldigt. Nach der mangelnden Vorbereitung (Vorbereitung?) und dem verspäteten Erscheinen an sich ist das sein dritter Fehler. Erstens ist es eine Sache der Höflichkeit und zweitens war Kondô ein hohes Tier in einem japanischen Wirtschaftsunternehmen – der Mann ist es gewohnt, dass man ihn in höflichstem Japanisch anspricht und es ist schon beinahe beachtlich, dass er solche Basiskurse ausgerechnet für Ausländer veranstaltet.
Aber gut, Misi fährt fort auf seinem Weg in den Abgrund. Er legt seine Unterlagen auf einen Tisch in der zweiten Sitzreihe, nimmt einen Stuhl aus der ersten Reihe, dreht in um und setzt sich darauf. Ich gehe in diesem Moment davon aus, dass er die Situation retten will, indem er das, was er vorträgt, direkt aus dem Text abliest. Ich muss nicht extra erwähnen, wie hirnrissig ein solcher Plan meiner Meinung nach ist. Aber es erweckt auch den Eindruck, dass er zumindest etwas davon gelesen hat. Ansonsten wäre er doch nicht so dämlich, tatsächlich zu erscheinen. Oder doch?

Er sitzt also erst mal und holt Luft. Kondô-sensei fordert ihn aber auf, ans Pult zu gehen und von dort aus zu sprechen, wie man das üblicherweise macht. Eine reine Formalität, würde ich sagen, denn immerhin hat Kondô nichts dagegen, wenn man während des Vortrags sitzt, auch mir hat er das angeboten, aber ich stehe lieber. Misi hasst es generell, vor einer Gruppe zu sprechen, und das gilt auch für die Englischstunden, die er im „York Cultural Center“ gibt, oder gegeben hat. Möglicherweise hat er zu viel Lampenfieber. Ich dachte eigentlich, das lege sich, wenn man mal zwei oder drei Vorträge gehalten hat, und ich mache es inzwischen eigentlich ganz gerne. Aber er nicht. Und wohl deshalb entfleucht ihm beim Aufstehen ein artikulierter japanischer Laut, der das exakte Gegenstück zum deutschen „Ja, ja…“ ist, das man in seiner besten Ausführung aus dem ersten „Werner“ Film kennt. Vierter Fehler! Kondô findet es gar nicht komisch, mit einem solchen Kommentar bedacht zu werden und weist den Ungarn zurecht: „Was soll das heißen, ‚ja, ja’? Ich bin der jenige, der ‚ja, ja’ machen sollte!“ Das steckt Misi noch weg.
Er fängt an zu reden. Ich bin gespannt. Ungefähr fünf Sekunden lang. Dann weiß ich, was läuft: „In dem Aufsatz geht es darum, dass japanische Autobahnen sehr teuer sind. Ich habe mit einer Bekannten gesprochen und sie erzählte mir, dass eine Fahrt nach Tokyo 10.000 Yen koste, und der Weg zurück noch einmal 10.000…“ Und weiter kommt er nicht mehr.
„Das ist nicht in Ordnung!“ unterbricht ihn Kondô unwirsch.
„Was ist nicht in Ordnung?“ Dass Misi in dieser Situation überhaupt nicht weiß, wie er gerade seinen Untergang besiegelt hat, sagt alles darüber aus, dass er in seinen „Lesebemühungen“, wenn überhaupt, nicht einmal bis zu dem Teil gekommen ist, über den er eigentlich reden sollte. Vermutlich hat er völlig vergessen, dass er nur die zweite Hälfte hätte behandeln müssen.
„Darüber haben wir letzte Woche bereits gesprochen! Sie waren nicht da, also wissen Sie wahrscheinlich noch nicht einmal, was Sie zu tun haben!“ Uh, Kondô ist sauer, die Luft zum Schneiden dick, und nachdem sich die beiden dann noch dreimal gegenseitig ins Wort gefallen sind, erklärt Misi, dass er den Kurs verlassen wolle. Ist wohl besser so in dieser Situation. Ich bezweifle auch stark, dass er den Kurs am Dienstag weiter besuchen wird, der Trottel. Kondô verlangt für die volle Vergabe der Leistungspunkte nur regelmäßige Anwesenheit, einen unbedeutend kleinen Vortrag, wenigstens vorgetäuschtes Interesse und offenbar ein Mindestmaß an Höflichkeit. Keine Hausarbeit, keine Klausur. Man muss schon arg einen an der Waffel haben, um sich das entgehen zu lassen. Immerhin ermöglicht Kondô damit seinen Zuhörern, die Klausuren zweier weiterer Kurse in den Sand setzen zu können, ohne dadurch unter die Grenze von 12 Punkten (= sechs erfolgreiche Doppelstunden-Kurse) zu rutschen. Er erklärt den heutigen Unterricht mangels Inhalt für beendet, stärkt mein Ego, indem er meinen Vortrag von letzter Woche gleich zweimal lobt, und sagt, dass das Wesentliche bereits erläutert worden sei.

Ich bin arg durstig und gehe zusammen mit Mei in den „Maruesu“ Supermarkt, um mir eine Flasche Yoghurt Kalpis zu kaufen. Das Brot ist gerade um 30 % reduziert, also lasse ich mir das auch nicht entgehen. Ich gehe dann mit ihr in die Mensa, bis der nächste Unterricht beginnt. Sie haut mir den Stuhl übrigens nicht um die Ohren, als ich sie darauf anspreche, ob sie in Japan möglicherweise zugenommen habe. Nein, sie wiege genauso viel wie vorher.

Was also noch folgt, ist Hugosson, der alte Schwede (Ende Dreißig). Da ist heute ebenfalls ein Vortrag fällig, über die sozialen Sicherungssysteme unserer jeweiligen Heimatländer. Soweit Deutschland betroffen ist, kann das ziemlich kompliziert oder umfangreich werden. Ich sage ihm also zu Unterrichtsbeginn, dass ich zwei oder drei Minuten (wie verlangt) damit füllen könne, einfach nur zu sagen, dass es diese und jene staatlichen Versicherungen gebe und zu was sie im Prinzip gut seien, aber darüber hinaus wisse ich nicht, was ich weiter sagen könne, ohne in unwichtige Details zu verfallen, wie zum Beispiel die Bestimmungen über die Berechnung der Beiträge. Er lässt die Vorträge darauf ganz einfach sein und organisiert die Sache als entspannte Diskussionsrunde. Und das geht auch ganz wunderbar, da wir nur zu dritt sind. MunJu ist heute nicht da. Und – wer hätte das gedacht? – Misi ebenfalls nicht. Er fragt, wieso, und ich versuche mich in den schönsten Euphemismen, um die Situation von vor 90 Minuten zu umschreiben. Das beflügelt für gewöhnlich die Fantasie des Zuhörers mehr, als wenn man einfach sagt, wie es wirklich gelaufen ist, und gleichzeitig simuliert der Sprecher eine zurückhaltende Höflichkeit. J

Ich gehe in die Bibliothek (uswusf.) und komme gegen Acht nach Hause.

18. Mai 2024

Dienstag, 18.05.2004 – Wer Golf spielt, sollte versichert sein!

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

Im Unterricht von Kondô-sensei ist heute wieder der Filialleiter der „Tokio Marine & Fire“ Versicherung zu Gast und er beendet seinen Vortrag heute mit einer mir sehr eigentümlich erscheinenden Sache, die von unserem Dozenten auch noch mit persönlicher Erfahrung garniert wird: In Japan gibt es offenbar Versicherungen speziell für Golfspieler, und zwar nicht einfach nur solche, die Personen- und Sachschäden durch fliegende Golfbälle abdecken, oder etwa Sportverletzungen, wenn man sich einen Muskel zerrt, ein Gelenk überbelastet oder vielleicht mit dem Golfwagen einen Unfall hat. Nein, es gibt tatsächlich eine „Hole-in-One Versicherung“.
Zur Erklärung für die, die diesen englischen Begriff nicht kennen: Das bedeutet, dass man den Ball vom Abschlagpunkt aus direkt in das vorgesehene Loch befördert, mit Hilfe welcher (regelkonformen) Umstände auch immer. Ich habe keine Ahnung, wie ein solches Ereignis im Rest der Welt zelebriert wird, aber in Japan geht es da hoch her, wenn man das so nennen kann. Zu seiner Zeit als Generalverwalter der Mitsubishi Bank habe sein nächsthöherer Vorgesetzter, der Aufsichtsratsvorsitzende, eine solche Leistung vollbracht, erzählt Kondô, und damit etwa die folgenden Ereignisse ins Rollen gebracht, die in Japan jedem widerfahren, der ein Hole-in-One schafft (und dabei „erwischt“ wird):

Da wären zunächst einmal 5000 Yen (derzeit knapp 40 E) für jeden Caddy des Spielers, also für die Helfer, die die Tasche mit den Schlägern tragen und das Golfmobil steuern. Leute mit Geld haben schon mal mehr als einen bei sich. Aber dieser Betrag fällt im Geldbeutel einer solchen Person nicht weiter auf, wenn er fehlt.
Als nächstes wäre da ein Baum am Rand des Golfplatzes zu pflanzen, mit einer entsprechenden Gedenkplakette, auf der geschrieben steht, wer der Spender ist. Das kann etwa 100.000 Yen (ca. 750 E) kosten. Dann versendet man kleine Präsente an alle, mit denen man jemals Golf gespielt hat. Der Herr Vorsitzende machte das bereits seit 40 Jahren und hatte völlig den Überblick verloren, also schenkte er jedem, der im Verdacht stand, schon einmal mit ihm das Eisen geschwungen zu haben, eine 500 Yen Telefonkarte. Auch Kondô erhielt eine, ohne jemals mit dem Vorsitzenden Golf gespielt zu haben, und er lässt es sich nicht nehmen, eine spöttische Bemerkung über das Gedächtnis „des Alten“ zu machen. Es kann sich also, je nach Alter oder Spielerfahrung des „glücklichen“ Spielers, um einige Dutzend Leute handeln. Und man verschickt ja nicht einfach schmucklos eine Telefonkarte, da muss noch eine Karte dazu, und nicht unbedingt eine aus einem Zehnerpack des 100 Yen Ladens. Man könne also von knapp 1000 Yen für eine solche Postsendung rechnen, alles inklusive, also die Telefonkarte, die Grußkarte, Versandkosten.
Zuletzt lade man seine engsten Freunde, und Kondô geht von vier oder fünf Personen aus, zu einem „angemessenen“ Essen ein, „natürlich nicht irgendwo“. Pro Nase könnten da gerne 200.000 bis 300.000 Yen (1500 bis 2250 E) anfallen. Es sei also durchaus realistisch, mit einem Ausgabenvolumen von zwei Millionen Yen (15.000 E) zu rechnen – und genau gegen solche Fälle könne man sich versichern.

Kudô, der Mann von der Versicherung, führt uns noch ein Video vor, das er in den Morgennachrichten vor einigen Tagen aufgenommen hat. Es zeigt ihn (und untermalende Szenen aus dem Park von Hirosaki), wie er in einem kurzen Beitrag seine „Kirschblüten-Wetter-Versicherung“ speziell für Taxiunternehmen vorstellt. Diese können sich gegen Einkommenseinbußen versichern, die zur Zeit der Kirschblüte entstehen können, wenn die Wagenflotte an „strategischen Punkten“ der Stadt (wie z.B. Ein- und Ausgänge des Parks, Bahnhof) steht, aber wegen zu geringer Temperaturen die Blüten noch nicht aufgesprungen sind und deshalb die Kundschaft ausbleibt. Er sagt, dieses Jahr sei etwas kühl gewesen und er habe in dieser Sparte deshalb 270.000 Yen Verlust gemacht.

Ich gehe ins Center, aber da gibt es nichts „zu holen“, also wechsele ich in die Bibliothek. Ich will heute austesten, wie lange ich brauche, wenn ich nur Dinge am Computer mache, die ich mir fest auf meinen Tagesplan geschrieben habe, also Post, Newsletter, Spiel gegen Frank und Forum. Das Ergebnis sind 3,5 Stunden. Dabei schreibe ich einen Kurozamurai-Bericht, drei kurze Einträge ins Forum, spiele eine Runde gegen Frank (und verfasse den dazugehörigen Bericht) und bearbeite meine Post. 2,5 der 3,5 Stunden sind für Newsletter und Post.

Um kurz nach Acht will ich dann wieder gehen, aber wie es der Zufall will, entdecke ich JaYong (die christliche Koreanerin) an einem der Rechner. Ich frage, was sie so mache, dass man sie so lange nicht im Center gesehen habe. „Japanisch lernen“ sagt sie. „Was sonst?“, denke ich mir ergänzend dazu. Es bestehe für sie kein Bedarf, ins Center zu gehen. Und was ist mit ihrer widerspenstigen Mailadresse bei „Dreamwiz“? Das könne sie sich nicht erklären, sagt sie. Ich mache also gleich vor Ort den Versuch, ihr Dreamwiz Konto von jedem einzelnen meiner Mailaccounts anzuschreiben – aber alle Mails kommen wieder zurück, mit der Begründung, vom Zielserver zurückgewiesen worden zu sein. Mit anderen Worten: Meine Mails werden als Spam betrachtet und gelöscht, ohne dass der geplante Empfänger ein Wort mitzureden hat. Wie auch den anderen Leuten in meinem Umfeld sage ich ihr Bescheid, dass wir am Samstag Sushi essen gehen wollten und dass sie gerne mitkommen dürfe. Sie äußert sich positiv darüber, aber wie ich sie einschätze, wird sie nicht kommen. Wie ich mein Glück kenne, werde ich mit Melanie nachher eh wieder der einzige sein, der sich vor der Tür des Sushi Shôgun einfindet.