Ich hatte gestern eine Begegnung der zweiten Art.
Und bevor ich das weiter ausführe, kläre ich dieses populäre Missverständnis mit den Begegnungen auf.
Jeder kennt den Begriff “Begegnung der dritten Art” und jeder weiß, dass das was mit Außerirdischen zu tun hat. Man überträgt den Begriff mittlerweile auch auf “seltsame Leute”. Aber mehr weiß Otto Normaldosenbiertrinker nicht – daher eine kurze und lehrreiche Darstellung verschiedener “Begegnungen”:
Wenn man ein UFO sieht, ist das überhaupt keine Begegnung.
Wenn man Außerirdische vor der Haustür sieht und so tut, als sei man nicht da, dann ist das eine Begegnung der ersten Art. Wenn man die Außerirdischen dann aber reinlässt und die sagen sowas wie: “Erdling, wir machen da ‘ne Umfrage…”, dann ist das eine Begegnung der zweiten Art. Wenn sie Dich dann aber einpacken und mitnehmen, dann erst ist das eine Begegnung der dritten Art. Und so schlimm war’s ja nicht.
Spulen wir erst mal zurück zum Oktober des vergangenen Jahres.
Es klingelt an der Tür. Ein untersetzter Mann Mitte Zwanzig steht davor und sagt:
“Wir machen da ‘ne Umfrage…”
Da ich Zeit habe, schüttele ich seine Hand, bitte ihn herein und stelle ihm was zu Trinken hin.
“Sind sie vielleicht auch Jurist?” fragt er mich zuerst, so nebenbei.
Ich bin kurz verwirrt, sehe an mir herunter, finde meine Armyhosen an ihrem Platz und antworte: “Bestimmt nicht, sowas würden Juristen nicht mal in ihrer Freizeit anziehen.”
“Ah, ich dachte nur, weil da hinten auch eine Juristin wohnt.”
“Kann sein, hier wohnen alle möglichen Leute und ich kenne die wenigsten.”
Dann fängt er mit seiner Einleitung an.
Ah ja, eine Umfrage. Er stellt ein paar Fragen zum Thema “Rettungsdienst in Deutschland”, scheinbar, um herauszufinden, wie viel ich darüber weiß. Die Art der Umfrage zeigt mir bereits, dass es sich um einen Vorwand handelt. Er machte recht unsaubere Striche auf einem einzelnen Blatt Papier.
(Zu der Zeit, im Sommer 2005, hatte ich gerade eine Umfrage für ein Saarlouiser Marktforschungsunternehmen bei Hela gemacht. Für repräsentative Zwecke verwendet man ein Blatt für jeden Gefragten, damit auch seine/ihre demografischen Daten erfasst werden können. Aber daran will ich mich nicht aufhängen. Auch nicht daran, dass drei Minuten später, mitten in der folgenden Unterhaltung, auf einmal zwei junge Mormonen vor meiner Tür standen, die über Gott reden wollten und bei denen ich kurz mit dem Gedanken spielte, sie zur Erweiterung meines Vergnügens ebenfalls herein zu bitten, was ich aber verwarf und sie wegschickte.)
Dann erzählt er, er komme aus Dresden (zeigt mir seinen Personalausweis, auf dem das geschrieben steht) und sei Dachdecker gewesen, bis er vom Gerüst gestürzt sei. Schwere innere Verletzungen, der Rettungsdienst habe zu lange gebraucht, deswegen habe er eine Niere verloren und sei wegen weiterer Schäden an Gelenken und Wirbelsäule nun berufsunfähig.
Und dann lässt er die Katze aus dem Sack: Ich solle doch bitte dem Rettungsdienst, dessen Unterlagen er mir zeigt, 60 EURO pro Jahr spenden – “nicht mal 20 Cent am Tag”.
Danke, nein, ich lebte damals ja selbst nur von Spenden. Sichtlich verstimmt verlässt der untersetzte Mittzwanziger dann die Wohnung wieder, mit einem Gesicht, als hätte ich ihm erklärt, er könne von mir aus was Unverschämtes mit seiner Mutter machen.
Zeitsprung vom Oktober 2005 zum 23. November 2006.
Es klingelt an der Tür.
Ein mittelgroßer, blonder Mann Anfang Zwanzig steht davor und sagt:
“Wir machen da ‘ne Umfrage…”
Da ich Zeit habe, schüttele ich seine Hand, bitte ihn herein und stelle ihm was zu Trinken hin.
“Sind sie vielleicht auch Jurist?” fragt er mich zuerst, so nebenbei.
Ich bin kurz verwirrt, sehe an mir herunter, finde aber meine Armyhosen nicht an ihrem Platz vor und antworte deshalb nur: “Nein, ich arbeite mit Kulturwissenschaften.”
“Ah, ich dachte nur, weil da hinten auch eine Juristin wohnt.”
“Kann sein, hier wohnen alle möglichen Leute und ich kenne die wenigsten.”
Dann fängt er mit seiner Einleitung an.
Ah ja, eine Umfrage. Er stellt ein paar Fragen zum Thema “Vorurteile gegenüber straffällig gewordenen Jugendlichen”, scheinbar, um herauszufinden, wie viel ich darüber weiß. Zum Beispiel, ob ich, wäre ich ein Chef, eine an sich qualifizierte Person nicht einstellen würde, nur weil die Person gerade gesessen habe.
Die Art der Umfrage zeigt mir bereits, dass es sich um einen Vorwand handelt. Er macht recht unsaubere Striche auf einem einzelnen Blatt Papier. Meine Hela-Umfrage habe ich noch immer im Gedächtnis und zum ersten Mal werden mir Parallelen zu einem ähnlichen Ereignis vor einem Jahr bewusst.
Dann erzählt er, er komme aus dem Erzgebirge (zeigt mir seinen Personalausweis, auf dem ein Ortsname geschrieben steht, der sich in dieser Gegend befindet) und sei vor kurzem nach zweijähriger Haft wegen Drogendelikten aus der JVA Dresden entlassen worden, sei derzeit offiziell obdachlos, daher mangels Wohnsitz aus staatlicher Sicht nicht unterstützungswürdig und müsse nun durch vorgezeigte Arbeitsmotivation irgendwelche Creditpunkte sammeln, um ein Bewertungsschreiben zu bekommen, das seine Arbeitsplatzchancen erhöhe. (Hää!?)
“Ich weiß ja nich’, vielleicht war’n se schon mal in Dresden…”
Spätestens zu diesem Zeitpunkt grinse ich so breit, dass es schon unheimlich wirken muss.
“Nein, ich war noch nicht da… aber ich kenne da einen aus Dresden. Der hat vor genau einem Jahr auf genau dem Stuhl da gesessen, hat mir ein paar Fragen zum Thema Rettungsdienste gestellt, mir dann ebenfalls seinen Perso gezeigt und wollte dann, dass ich für Spenden unterschreibe.”
Mein Gegenüber wirkt geschockt.
“Was!? Wie!?” Er wendet den Kopf ruckartig wie ein Huhn, schaut erst überrascht an die Wand links von ihm, dann auf den Stuhl, auf dem er sitzt und dann wieder in mein Gesicht… so binnen einer Sekunde.
Und dann lässt er die Katze aus dem Sack. Er schiebt mir schon beinahe diskret einen eingeschweißten Zettel rüber, auf dem die Namen und Preise verschiedener Wochenzeitschriften zu lesen sind. Ich werfe einen kurzen Blick darauf (TV-Zeitschriften und Boulevardpresse, kurz unterbrochen vom Handelsblatt) und gebe es ihm wieder zurück.
“Könnten Se mich da ‘n bisschen unterstützen?”
Ich lebe zwar nicht mehr von Spenden, aber:
“Danke, nein, ich kaufe nichts. Was soll ich auch mit ‘ner Zeitung, die mich nicht interessiert?”
“Dann nehmen Se doch eine, die Sie interessiert.”
Ich zeige grob aus meinem Fenster.
“Da drüben steht die Bibliothek der Uni Trier. Wenn ich da zum Haupteingang reingehe, dann treffe ich als erstes auf eine breite Regalwand, in der jede Zeitung zu finden ist, die mich auch nur entfernt interessieren könnte – und das völlig umsonst.” *breites Grinsen*
“Aber es geht doch nicht um die Zeitung, es geht doch hier um einen Menschen, dem man helfen kann!”
“Trotzdem. Viel Spaß noch.”
“Mit Spaß hat das nichts zu tun…”
Sichtlich verstimmt verlässt der mittelgroße, blonde Anfanganziger dann die Wohnung wieder, mit einem Gesicht, als hätte ich ihm erklärt, er könne von mir aus was Unverschämtes mit seiner Mutter machen.
Ich warte gespannt auf den nächsten Herbst.
Vielleicht steht dann ein großgewachsener Endzwanziger vor meiner Tür, der sagt:
“Wir machen da ‘ne Umfrage…”
Und wenn ich seine Hand schüttele, winde ich mich in Zuckungen und sage:
“Großer Gott! Ich hatte eben eine Vision! Warte… Du hast ein einzelnes Blatt Papier mit fünf oder sechs Fragen dabei… Deinen Perso hast Du griffbereit in der Manteltasche… und… und… ich spüre, dass… dass Du… mich für einen Juristen hältst, und… und… einen prägenden Abschnitt Deines Lebens in Dresden verbracht hast! … nein, ich unterschreibe trotzdem nichts.“