Von gestellten Weichen
Ich sollte auch was Positives berichten. Am vergangenen Samstag war ich zu Gast auf der Hochzeitsfeier eines guten Schulfreundes, mit dem ich einige Wanderungen und Touren hinter mich gebracht habe, deren Erinnerungswert ich keinesfalls missen möchte, und dessen Initialen sich auf einer Tastatur wunderschön direkt nebeneinander befinden: 001.
(Die Namen der Hauptbeteiligten werden aus Gründen der Anonymisierung digital verschlüsselt.)
Wenn ich die Sache richtig sehe, dann ist seine amtliche Heirat bereits einige Monate her. Der Vorgang war so unauffällig, dass ich ihn mir nicht dauerhaft gemerkt habe und erst bei eben jener Gelegenheit wieder daran erinnert wurde, und “jene Gelegenheit” ist die kirchliche Trauung der beiden gewesen, aus gegebenem Anlass in ökumenischer, also gemeinschaftlich katholischer und protestantischer Form abgehalten.
Organisatorische Hinweise gab es bereits frühzeitig, im Frühjahr, und die offizielle Einladung erfolgte im Juli. Ich besitze keinen fahrbaren Untersatz und könnte mir auch keinen leisten, weswegen ich zu Beginn bereits fragte, wie ich denn an den Veranstaltungsort kommen würde, der immerhin im Großraum Heidelberg liegt. Wegen des Umstands, dass ich über keinerlei Kontakte zu seiner Familie verfüge, überließ ich die Angelegenheit seiner Planung, was aber wegen der Koordinierung von 80 Gästen dann aber erst im letzten Moment, in der Woche zuvor, angeleiert werden konnte.
Seine Eltern hatten die Karre voll, also bot er einen Onkel aus der Saarlouiser Gegend an. Nach einem klärenden Telefonat kam ich mit diesem überein, dass er uns am Völklinger Bahnhof abholen würde. “Uns” heißt – unglaublich, aber wahr – dass Melanie an diesem Event teilnehmen würde. Ich weiß nicht, ob ich etwas besonderes dazu beigetragen habe, ihre sonst zurückhaltende Stimmung, was Kontakte mit meinen Freunden anbelangt, zu ändern. Vielleicht hängt es auch damit zusammen, dass eine Trauung ein einzigartigerer Vorgang ist, als eine jährlich wiederkehrende Geburtstags- oder Silvesterfeier, von denen man wirklich sagen musste, dass sie immer gleich verliefen. Für alte Freunde mag das angenehm sein, aber für neu dazu gestoßene Freundinnen muss eine derartige, unbeabsichtigt geschaffene, Tradition sehr eintönig erscheinen.
Aber zu diesem Anlass war sie dabei, und ich habe mich darüber gefreut.
Am Stichtag lief irgendwie alles eine Stunde zu früh. Es war verabredet, dass wir um kurz nach Zehn morgens mit dem Herrn Onkel am Bahnhof zusammentreffen sollten. Allerdings bin ich bei der Überprüfung der Bahnverbindungen wohl um eine Zeile verrutscht, und so kam es, dass wir um Sechs aufstanden, eine halbe Stunde im Bahnhof rumsaßen, um Acht in den Zug stiegen, um kurz nach Neun in Völklingen ankamen, eine weitere Stunde im Zielbahnhof rumsaßen, und dann den Herrn bemerkten, der sich auffällig in der Halle umsah. Es war der richtige.
Die Fahrt ging technisch und geistig sehr schnell vonstatten. Technisch, weil die Autobahn frei war und es zu keinerlei Verzögerungen kam. Geistig, weil wir die ganze Zeit mit japanologischen Darlegungen beschäftigt waren, außerdem entpuppte sich unser fahrender Gastgeber als Frankreichkenner, der mit meiner Freundin Impressionen aus der Ardeche austauschen konnte. Gelangweilt hat sich also wohl keiner. Belustigt war ich, als er wegen der Beschreibung eines Ausflugs nach Vichy fragte, ob ich mit dieser Stadt irgendetwas assoziieren könne, nachdem sich das kulturelle Angebot der Stadt eher mager darstelle. Ich hätte beinahe gefragt, wieviel Zeit er mir für den Vortrag über das Regime des Marschall Petain geben würde, beließ es aber bei dem Einleitungsabschnitt des improvisierten Vortrags, in dem ich andeutete, dass ich mit diesem Teil der frz. Geschichte sehr wohl vertraut bin. Er hätte mich ebenso fragen können, ob ich das Märchen von Hänsel und Gretel kenne. Ich empfand es als einen lustigen Moment.
Wegen der mit wenigen Abweichungen haltbaren Durchschnittsgeschwindigkeit kam es dann dazu, dass wir eine Stunde früher als geplant in dem gesuchten Heidelberger Vorort ankamen. Wir suchten zwar zuerst einmal die Festhalle, in der die Festivität statfinden sollte, aber auch das ging flott von statten, und da wir, anders als der Onkel und seine Gattin, kein Hotelzimmer hatten, verbrachten wir diese Stunde zu zweit vor der Kirche, die so klein ist, dass wir zweimal daran vorbei fuhren, ohne sie zu entdecken, und unterhielten uns über ausgefallene Kindernamen.
Kann man zum Beispiel seine Tochter “Medea” nennen? Ich behaupte ja, weil ich der Meinung bin, dass die Konnotation des Namens dem Großteil der Leute nicht geläufig ist. Melanie traut der durchschnittlichen Bevölkerung eine höhere Bildung zu, als ich, und behauptet das Gegenteil. Ebenso würde ich meinem hypothetischen Nachwuchs keinen Namen geben, der sich zu sehr nach Kirche und Bibel anhört, also keine Apostel oder Propheten und dergleichen, auch keine bekannteren Päpste. “Johannes Paul” käme mir gar nicht in die Tüte. “Urban” klingt völlig verstaubt, und “Innozenz” erkennt man ja heute nicht mal mehr als Namen. “Romulus” hat theoretisch den gleichen Anklang wie “Medea”, aber wer weiß heute schon, dass Romulus der klassische Brudermörder war, bis die Christen mit ihrem Kain aufwarteten?
Der Ausflug zu den Kaisern bringt auch nicht viel. Würde ein “Augustus” über kurz oder lang “dummer August!” gerufen? Klingt ein “Julius” nicht so elitär und bourgeois, dass man ihm allein dafür ein Bein stellen und ihn auf dem Schulhof herumschubsen müsste? Müsste man beim “Markus Antonius” nicht über den Anton, den aus Tirol, stolpern und vor lauter Schwindelgefühl einen Anfall von Brechreiz erleiden? Ich muss dagegen zugeben, dass mir der oströmische “Basileos” gar nicht schlecht gefallen würde.
Während dieser Gedankengänge füllte sich der kleine Kirchenvorplatz mit anderen Eingeladenen, und wir stellten mit Belustigung fest, dass man dem einen oder anderen die alternative Einstellung durchaus ansah, die Braut, 000, trug ein Kleid, dessen leicht glänzende, weiße Oberfläche den Eindruck vermittelte, es handele sich um einen umgeschneiderten Regenmantel, und der Bräutigam ist immer noch so schmal, dass ich im Stillen bei mir denken musste, dass er bestimmt in jede Parklücke passt.
Um kurz vor Zwei fehlten noch zwei Leute, von denen ich wusste, dass sie eine Einladung erhalten hatten, ebenfalls Schulkameraden. Andreas kam dann auf den letzten Drücker, mit Anzug und Rucksack. Dieser Anzug schien im besser zu passen, als der letzte, in dem ich ihn gesehen habe, und ich erinnere mich nicht, bei welcher Gelegenheit das war. Jedenfalls hatte ich damals den Eindruck, dass ihm das Teil zu groß war. Wie dem auch sei… ich habe mich sehr darüber gefreut, Andreas und 001 mal wieder zu sehen, und meine Freude wäre sicher noch größer gewesen, wäre der Dritte per Sammelmail Eingeladene ebenfalls da gewesen. Der kam aber nicht, und noch heute weiß keiner, warum eigentlich, hat er doch erst in dieser Woche eine feste Anstellung in Koblenz gefunden. Ich bin sicher, dass er gute Gründe hat, aber schade war’s trotzdem.
Wir platzierten uns alle in der Kirche, in einer unauffälligen, hinteren Reihe, und das Brautpaar flanierte etwas steif zum Altar. Zumindest war das mein Eindruck. Der traditionelle Hochzeitsmarsch, bzw. einer der beiden, wurde nicht georgelt, stattdessen etwas Nichtssagendes, was in jeden Sonntagsgottesdienst gepasst hätte.
Obwohl ich sagen muss, dass ökumenische Gottesdienste leichter zu ertragen sind, als die katholischen, die ich aus meiner Kindheit kenne, ist mir nur wenig von dem Gesagten in Erinnerung geblieben. Wenn übermäßig von Gottes Gnade geredet wird, treten semantische Inhalte bei mir zum einen Ohr hinein und zum anderen wieder hinaus, ohne im Zwischenraum auf Widerstand zu stoßen. Allein die Aussagen über “ein Rudel Kinder” und den Hinweis auf die erotischen Inhalte der Bibel fand ich unterhaltsam.
In deutlicher Erinnerung geblieben ist mir das Anstecken der Ringe, was man scheinbar “im Namen des Vaters, des Sohnes, und des Heiligen Geistes” macht: Ich hätte Probleme, diese Formel überhaupt über die Lippen zu bekommen. Ernsthaft. Ein inneres Widerstreben lässt mir diese und solche Worte im Hals stecken bleiben.
Andreas neben mir macht bei solch geballter Heiligkeit auch keinen allzu amüsierten Eindruck, aber ich habe davon abgesehen, ihn nach seinen Eindrücken und Meinungen zu fragen. Don’t ask, don’t tell, nur auf einem anderen Gebiet. (Nein, ich erkläre das jetzt nicht extra.)
Ich weiß nicht mehr, wie lange das religiöse Brimborium gedauert hat, dessen auffälligstes optisches Element für mich wohl die Messdienerin war, wie ich unkeusch zugeben muss, die ich in fünf Jahren gerne wiedersehen würde, um das Ergebnis ihrer zwischenzeitlichen Entwicklung zu begutachten, aber nach dem “Schulsssegen” (Originaltext des Beiblatts) war es dann vorbei und ich konnte endlich mal wieder richtig Luft holen. Ich fühlte mich irgendwie unruhig, und nachdem wir uns noch artig in das große Gruppenfoto eingereiht und dem “neuen” Ehepaar beim Holzsägen zugeschaut hatten, machte ich mich mit Andreas und Melanie zu Fuß auf zur Festhalle, die etwa einen Kilometer entfernt von der Kirche steht.
Als schließlich auch alle anderen dort eingetroffen waren, begann der eher entspannende Teil, und der kam mir sehr japanisch vor. Ich habe in meinem Japantagebuch das eine oder andere über die festgefügte Gestaltung einer japanischen Party geschrieben. Natürlich waren wir hier nicht auf zwei Stunden festgelegt, aber die Art der Spielchen zum Auftakt kam mir verdächtig bekannt vor.
Jeder Tisch war auf acht Personen ausgelegt und war einem bestimmten grafischen Symbol zugeordnet, zum Beispiel “Berg”, “Buch”, “Blume”, usw. Gegenstücke dieser Symbole befanden sich in einer Schale, in Form von Losen, deren Anzahl der der geladenen Gäste entsprach. Jeder sollte eines ziehen und Ziel der Übung war es, dass man an einem zufällig zusammengestellten Tisch landen würde, um die kategorische Aufspaltung der Gesellschaft in Familien und Interessengruppen zu verhindern.
An sich ist das eine gute Idee, aber ich kann Andreas gut verstehen, dass es ihm nicht schmeckte, mit wildfremden Leuten zusammengesteckt zu werden, die er danach nie wieder sehen würde, anstatt mit den Freunden, die zu sehen er eigentlich gekommen war. 001 ließ sich von keinem Argument erweichen, und ich machte Witze, dass ihm das Dasein als höherer Beamter nach seinem Zweiten Staatsexamen scheinbar bereits zu Kopf gestiegen sei. Aber uns kam ein Denkfehler der Organisatoren zu Gute. Die Anzahl der Lose entsprach zwar der der Gäste, aber es war auch festgelegt, dass man Paare nicht auseinanderreißen würde, und so ergab es sich, dass, als wir als letzte noch standen, noch Lose übrig waren. Lapidar ausgedrückt besorgten wir uns auf diese Weise passende Lose und setzten uns dann an den Tisch, an dem noch drei Plätze frei waren.
Es gab keine offizielle Hochzeitstorte. Auch die wurde ausgelost, indem jeder mitgebrachte Kuchen eine Nummer und ein entsprechendes Los in einer anderen Schüssel erhielt. Das Los fiel auf die Nummer 10, und dabei handelte es sich um den wahrscheinlich schlichtesten Kuchen auf der gesamten Anrichte, ein rundes und niedriges braunes Etwas, das dann feierlich von den beiden angeschnitten wurde. Das Überangebot sorgte dann dafür, dass ich mehr Kuchen aß, als im gesamten vergangenen Jahr, und nach fünf Stücken hatte ich auch erst mal wieder genug (abgesehen davon, dass mir mein Vater am Tag darauf noch Stücke eines Sandkuchens anbot, von denen ich auch etwas nahm). Kuchen ist so richtig langweilig geworden seit meiner Kindheit, wo die Oma jeden Sonntag mindestens einen auf den Tisch gestellt hatte. Heutzutage bräuchte es wohl einen echten Rahm- oder Käsekuchen (mit Mürbeteigboden und Rosinen), um mein echtes Interesse zu wecken. Man mag mir das krumm nehmen, aber alles andere esse ich nur aus Höflichkeit, und auch nur dann, falls es sich um ein selbstgemachtes Exemplar handelt.
Zwischen Kuchen und Hauptmenü war etwas Zeit, um die Tischnachbarn kennen zu lernen. Wir hatten da eine Pädagogin, die sich mal an Japanologie versucht hatte und ein Bild von meinem Anzug machen wollte, und auf der anderen Seite einen 19 Jahre alten Bayern, der nach seinem Abitur Medizin studieren möchte und sich nicht ganz sicher zu sein scheint, ob er lieber verweigern oder dienen soll. Natürlich rate ich ihm zum Wehrdienst, und zwar, weil es sich um eine charakterfördernde Erfahrung handelt, aus der man einige positive Lehren ziehen kann, unabhängig davon, was auch immer man von den negativen Seiten halten mag oder zu wissen glaubt. Natürlich lasse ich bei meinen Schilderungen die negativen Seiten nicht aus, und die meisten Zuhörer sind mir in der Regel dankbar für meine Darstellungen, da man Informationen zum Thema Wehrdienst scheinbar nur von extremen Vertretern der Pro- oder Contra-Fraktion erhält. Ich lege ich ihm auch die Möglichkeit dar, sich freistellen zu lassen und nach seinem Studium zur Armee zu gehen. Ich bin sicher, dass Wehrdienst als Titularhauptmann was für sich hat.
Dann gibt’s die Hauptmahlzeit. Ich weiß nicht mehr im Einzelnen, was es war, obwohl ich mit dem Koch des Büffets eine ganze Weile darüber geredet habe. Ich erinnere mich an Karottensalat in einer Zitronenvinaigrette, Maultaschen in gelber Soße (hauptsächlich pürierte Möhren), Bandnudeln mit einer anderen Soße, Schweinefilets in einer hellen Soße, die aus Sahne besteht, in der man Petersilie mit etwas Salz gekocht hat, und gegartes Gemüse. Ich bin sehr zufrieden gewesen, und der Obstschnaps im Anschluss war nötig. Aber wenn ich bedenke, was ich vor zehn Jahren noch alles in mich hineinstopfen konnte, muss ich heute ungläubig den Kopf schütteln. Auch der Wein war nicht schlecht, und ich habe (vor dem Essen bereits) deutlich gespürt, wie zwei Gläser davon die ganze Sache viel lockerer erscheinen ließen.
Nicht gereicht hat das für ein Spielchen am Nachmittag. Unter dem Vorwand, die beiden sollten Blumen pflücken und einen Kranz daraus flechten, wurde das Brautpaar weggeschickt, und die Initiatorin dieser Aktion weihte die verbliebenen Gäste in Ihre Absichten ein. Sie hatte eine CD dabei, von der ein hebräischer Hochzeits- und Segenstanz zu hören war, und die versammelte Runde sollte, wortwörtlich, in zwei sich entgegenlaufenden Kreisen um das Brautpaar herumtanzen, sechs Schritte nach links, sechs Schritte nach rechts, einen Text mitsingen, der sich in “A-ja-ja” erschöpfte, und dabei mit den Füßen auf den Boden stampfen. “Konsterniert” ist ein schöner Ausdruck für meine Begeisterung. Die Pädagogin an unserem Tisch hatte vermutlich gar nicht so unrecht, als sie mich fragte, ob es mir zu peinlich sei, mitzumachen. Ich erklärte ihr, dass ich ungern das mache, was alle machen, vor allem dann, wenn es als was Tolles gepriesen wird, ich bin bis an mein Lebensende tanzgeschädigt, und außerdem wäre ich nicht ich, wenn ich so ohne weiteres an einem solchen Ringelpiez mitmachen würde.
Nach etwas Smalltalk gab es weitere Unterhaltungsprojekte. Nebenbei sei ein Spiel erwähnt, bei dem man vergleichen konnte, wieviele Alltagsdinge das Ehepaar so über den jeweils anderen wusste, und die seltsame Idee, den Bräutigam (Bauingenieur) einen Eimer mit Sand nach Münzen durchsieben zu lassen, während seine Frau (Ärztin) eine Plüschratte sezierte, um irgendwelche Fremdkörper aus den Innereien zu nehmen.
Interessanter fand ich das Wanderpaket, also einen Karton mit einem Geschenk drin, der mit mehreren Lagen Papier umwickelt war, und auf jeder Lage war eine Aufgabe zu finden, die der Öffner lösen musste. Das heißt, der Bräutigam bekam als erster das Geschenk und darauf war zum Beispiel geschrieben, er solle es “dem Herrn mit der größten Nase” überreichen, der musste dann eine Schicht entfernen und bekam die Aufgabe, das Paket der Dame mit der schönsten Frisur zu geben, die es an den ältesten Gast weitergeben sollte und so weiter, bis die Sache dann, wie auf der vorletzten Schicht vermerkt, bei der Braut landete. Das Geschenk stammte wohl von einem argentinischen Freund, der heimische Spezialitäten, Tee und Kochzutaten, glaube ich, hineingepackt hatte. Nette Idee, aber meine zu Geschlechterstudien neigende Ausbildung machte sich darin bemerkbar, dass ich amüsiert darüber war, dass ein Geschenk, das mit dem Dasein einer Hausfrau in Verbindung zu bringen war, ausgerechnet für die junge Ehefrau bestimmt war. Würde es sich hierbei um eine zu analysierende Geschichte handeln, wäre dies wohl ein eigener Abschnitt im Kapitel “Sexismus” geworden. Natürlich war ein solcher hier nicht beabsichtigt, aber vorhanden war er trotzdem.
Aus einem ähnlichen Grund lustig fand ich die Tanzvorführungen des Brautvaters (obwohl ich mir nicht mehr sicher bin, ob er das war, vielleicht war’s auch ein Onkel). Während mein freundlicher Fahrer ganz eindeutig zu den Frankophilen zu zählen ist, hatte der tanzende Herr einen Narren an Griechenland gefressen. In landschaftlichen Dingen muss ich ihm zustimmen, Griechenland hat sehr schöne Orte zu bieten, seien sie nun ästhetisch oder historisch interessant, die ich selbst leider nur aus Büchern und Filmen kenne. Man sollte es wohl gesehen haben, kann ich mir denken.
Aber was die Kultur betrifft… die Griechen folgten spätestens nach dem Fall des Oströmischen Reiches dem Beispiel ihrer italienischen Nachbarn, lebten unter wechselnden Fremherrschern (Serben und Türken) bis zu ihrer Selbständigkeit 1830, und verblieben in einem Zustand völliger politischer und kultureller Bedeutungslosigkeit bis zur Vertreibung der Osmanen im Zuge der Balkankriege zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
Wie gelangte die wie auch immer wiederentdeckte (oder neu erfundene?) griechische Kultur in das Bewusstsein der übrigen Welt? Durch Anthony Quinn und “Alexis Sorbas”. Der Film beruht zweifelsfrei auf einer griechischen und teilbiografischen Vorlage (geschrieben von Nikos Kazantzakis), aber das macht keine Aussage darüber, wie alt die derzeit zelebrierte griechische Kultur tatsächlich ist. Ein mir bekannter Rumäne, den ich in Hirosaki getroffen habe, lachte über den Begriff moderner griechischer Kultur, als wir von eben jenem Tanz redeten und sagte: “Alle sagen, dies sei der griechische Tanz. Die Griechen hatten gar keinen Tanz, bevor ihnen dieser Film einen gegeben hat!” Und in Erinnerung an dieses Zitat musste ich auch am Abend der Hochzeit lachen, denn mich beschleicht der Verdacht, dass der immens beliebte Film aus einer lokalen Eigenart ein nationales Merkmal gemacht hat.
Ein bemerkenswertes Highlight waren die Diashows der beiden Väter, die ein paar Bilder aus dem Leben ihrer Sprösslinge kommentierten. Ich bekam ein Bild von 001 zu sehen, das ihn nach der Abiturzeugnisübergabe zeigt. Damals hatte er lange Haare, was ihm einen “Grunge-Look” verpasste, dem er mit seinem Verhalten nicht gerecht wurde. Das war sehr nostalgisch und sah gleichzeitig so abgefahren aus, dass ich laut lachen musste. Der Herr Vater nahm das natürlich zur Kenntnis und sagte: “Der Dominik muss gar nicht so lachen. Wenn ich gewusst hätte, dass der heute kommt, hätte ich noch ein paar andere Bilder mitgebracht, auf denen er ebenfalls zu sehen ist.” Ich muss zugeben, dass ich drei Sekunden gebraucht habe, um darauf zu kommen, was er damit wohl gemeint hat. Dabei hatte ich es damals wegen meiner Erscheinung sogar als “Farbtupfer” in die Saarbrücker Zeitung geschafft. Ich habe jedenfalls großes Interesse an diesen Bildern, von denen er sprach, weil ich von keinen anderen weiß, die von mir am 27. Juni 1997 gemacht wurden.
Der restliche Abend lief vor sich hin, und zwar ohne, dass ich mich gelangweilt hätte. Immerhin brachte 001 noch einen angemessenen Walzer zustande, den man am Nachmittag nochmal geübt hatte. Einen solchen würde ich wohl auch noch hinbekommen, aber nur mit einer kurzen Einübung wie er, und außerdem brauche ich auch jemanden, mit dem ich tanzen könnte. Melanie tanzt nicht, und ich tanze nicht mit irgendjemandem. Ich nutzte das allgemeine Tanzen, um meine Hälfte von der Flasche “Trollinger” Rotwein (2006) und alles andere, was ich so getrunken hatte, wieder rauszulassen.
Ab halb Zwölf war mit mir nichts mehr anzufangen, und Melanie schlief schon fast im Sitzen. Andreas hatte sich schon zu einem Gang um den Block aufgemacht, um der sich einstellenden Müdigkeit und verbrauchten Luft im Saal entgegenzuwirken. Etwa um Mitternacht habe ich aufgegeben, und es lief auch nichts mehr, was zu verfolgen sich lohnte, also packte ich den Schlafsack mit Isomatte, den man mir geliehen hatte, verabschiedete mich von Andreas, der in sein Hotel einkehrte, sagte meinen Gastgebern Gute Nacht und begab mich mit Melanie in den Keller des Gebäudes, wo sich ein Raum befindet, der von den Geräuschen der Halle oben drüber weitgehend abgeschirmt und dunkel ist. Ein Paar aus Schleswig Holstein, Ole und Nina, hatte sich ebenfalls dort eingenistet, aber die kamen erst runter, als ich schon nichts mehr davon merkte.
Beachtlicherweise schlief ich bis um Neun Uhr, und das ist deswegen beachtlich, weil auch eine Isomatte den harten Linoleumboden nicht wirklich abschwächt. Ich bin also immer wieder mal aufgewacht, weil meine Hüfte schmerzte, und musste mich umdrehen, um wieder eine bis zwei Stunden Ruhe zu haben. Melanie scheint komplett durchgeschlafen zu haben, mit der Einschränkung, dass sie wegen Oles Schnarchen wohl Gehörschutz verwendet hat.
Am Morgen danach also ein feudales Frühstück, das aus den Brötchenresten des vergangenen Tags plus einer Anzahl frischer Butterhörnchen bestand. Danach war ich satt für den ganzen Tag und hätte mir noch einen Schnaps gewünscht, aber es ging auch so. Ich habe ein paar Bilder von der Frühstücksversammlung gemacht, an der 001, seine Eltern, sein Bruder, 000, Ole, Nina, Melanie und meine Wenigkeit teilnahmen, aber nur eines ist was geworden, und gerade das wird Nina überhaupt nicht gerecht, die durchaus besser aussieht, als das Foto vermuten lässt. Vielleicht waren auch noch ein oder zwei Leute mehr da, aber ich kann mich nicht erinnern.
Nach dem Frühstück wurde dann der Saal inklusive Küche aufgeräumt und besenrein hinterlassen. Wieder einmal wurde alles zu früh fertig. Ich hatte mit dem Onkel aus Saarlouis ausgemacht, dass er uns um 1430 vor der Halle abholen sollte. Da er noch nie in Heidelberg gewesen war, wollte er die Gelegenheit nutzen, die Stadt auch anzusehen. Nun war es Ein Uhr und die verbliebenen Leute abfahrbereit, 001 und 000 verabschiedeten sich und traten den Heimweg an.
Wir hatten genug zu lesen dabei und außerdem ein paar Sitzkissen, die ich als Stopfmaterial aus Gründen der improvisierten Kopfkissenbequemlichkeit in meinen Rucksack gesteckt hatte, wir hätten also auch auf der Treppe der Gemeinschaftshalle warten können. Stattdessen luden uns die Eltern ein, auf den Heiligenberg zu fahren, wo sich unter anderem eine so genannte Thingstätte befindet. Dabei handelt es sich um einen Veranstaltungsort nach nationalsozialistischem Gepräge, also eine halbrunde Bühne aus wuchtigen Steinquadern, deren Mauer man auch für den Aufmarsch von Fahnen- und Standartenträgern verwenden konnte, und davor mehrere tausend Sitz- und Stehplätze. Stimmungsvoll ist die Atmosphäre dort bei abendlichen Großveranstaltungen bestimmt. Jetzt ist aber grade Mittag und der Berg hat noch was anderes zu bieten.
Wie es scheint, handelt es sich um eine Kultstätte altgermanischer Art, die bereits vor über 2000 Jahren besiedelt war. Die Römer bauten hier ebenfalls einen Tempel, und nach der Christianisierung der Gegend wurde im 9. Jh. der ehemals römische Tempel zu einem Kloster ausgebaut, der Tempelbereich selbst zur Kirche umfunktioniert. Heute sind davon nur noch Ruinen zu besichtigen. Aber immerhin sind es saubere und kommentierte Ruinen, denn an vielen Stellen des Baus kann man Tafeln sehen, auf denen zu lesen ist, in was für einer Art Raum man sich gerade befindet.
Ich stieg mit dem Herrn K auf einen der verbliebenen Türme und wir betrachteten die Rheinebene. Leider sind die Bäume im direkten Umfeld der Anlage zu hoch und verdecken den Ausblick auf etwa drei Viertel der weiteren Umgebung. Sehr schade. Aber mein “Fremdenführer” ist ein eloquenter Gesprächspartner, der so einiges zu erzählen weiß, und ich genieße solche Gelegenheiten immer sehr. Allein seine Gattin überraschte mich mit der Anfrage, ob man denn, da es ja bereits früher Nachmittag sei, nicht eine Brotzeit einlegen sollte. Ah, danke, ich spüre mein Frühstück immer noch.
Pünktlich für die Abfahrzeit machten wir uns auf den Weg zurück zur Halle, wo wir denn in den Wagen des Onkels umsteigen sollten. Auf dem Weg dahin kamen wir nicht umhin, einen Umweg zu fahren, damit ich ein Foto vom Heidelberger Schloss und dem Stadttor machen konnte. Auch für diese Gelegenheit bin ich sehr dankbar. Wie es der Zufall will, mussten wir nicht die gesamte Strecke bis zum Treffpunkt fahren, weil der Onkel eben zu dieser Zeit aus der Stadt zurückkehrte und an einer roten Ampel direkt hinter uns landete. Sein Hupen, mit dem er auf sich aufmerksam machte, hätte den vor uns haltenden Ford beinahe dazu gebracht, bei Rot über die Ampel zu fahren, aber der Fahrer bemerkte es nach fünf Zentimetern (anders als ein anderer PKW, der wenige Minuten später die rote Ampel überfuhr und dabei geblitzt wurde).
Die Wagen wurden also ein paar Meter weiter am Straßenrand geparkt und es wurde noch ein bisschen geplaudert – scheinbar redet die ganze Familie gern – und nach einer weiteren Viertelstunde räumten wir unsere Sachen um und fuhren gen Heimat, wieder ungelangweilt durch Gespräche, und nur kurz durch ein liegen gebliebenes Fahrzeug auf der Autobahn aufgehalten. Weil ich erwähnte, dass mein Vater in Ludweiler wohnt, wurde Melanie in Völklingen am Bahnhof abgesetzt, während ich nach Ludweiler gefahren wurde, weil meine derzeitigen Gastgeber über den Warndt nach Hause fahren wollten, und weil ich morgen eh noch die Großeltern besuchen wollte, was eine Rückfahrt nach Trier überflüssig gemacht hätte. Wir verabschiedeten uns und ich stapfte mit meinem weitgehend vollen Rucksack die Kopfsteinpflasterstraße zu meinem Vater hoch, der zu dem Zeitpunkt noch gar nicht wusste, dass ich kommen würde…
Aber mein Vater ist flexibel. Wir redeten also den Nachmittag über bis in die Nacht auf die uns eigene Art und Weise in fließendem Übergang über verschiedenste Themen, wobei ich etwa zwei Liter Schwarzen Tees trank. Ich schlief trotzdem wie ein Stein, was verwundert zur Kenntnis genommen wurde – aber der Zitronentee, den ich seit 25 Jahren täglich literweise trinke, enthält Schwarzteeextrakt, von daher nehme ich an, dass ich gegenüber dem eigentlich anregenden Wirkstoff gegenüber bereits völlig immun bin.
Alles in allem… ein gelungenes Wochenende, das ich gern in Erinnerung behalten möchte.
Und deswegen steht es hier.
Dabei möchte ich erwähnen, dass dieser Artikel knapp 4200 Wörter beinhaltet, das heißt, es handelt sich vom Umfang her um zwei komplette Proseminarsarbeiten, die ja auf 2000 Wörter (plus Literatrurliste) ausgelegt sind. Ich habe auch nur die letzten sieben Stunden gebraucht, den Text zu verfassen, zu lesen, und zu korrigieren. Wenn ich doch bloß meine Arbeiten mit dieser schlafwandlerischen Sicherheit und Motivation schreiben könnte… mein Leben wär vermutlich richtig toll.