Es passiert so viel, dass ich mir nicht alles merken kann und an den vergangenen drei oder vier Wochenenden hatte ich immer was vor, sodass sich nicht die Gelegenheit ergab, was ins Blog zu schreiben. Eigentlich müsste ich mir gleich während der Fahrt Notizen machen, um ausgereifte Einträge in dieses Blog schreiben zu können, denn anders muss ich mich auf kurze Eindrücke und subjektive Erinnerung verlassen, was nie gut sein kann.
Es gibt da z.B. Leute, die bei ihren Nachbarn unbeliebt sind.
Erste Gelegenheit: “Ich nehme für jeden in dieser Straße gern Pakete an, aber nicht für den!”
Zum Glück fand sich ein anderer Nachbar, der das Paket annahm.
Zweite Gelegenheit: “Nein, für diese Frau nehme ich keine Pakete an, und Sie werden in der ganzen Straße auch sonst niemanden finden – das ist nämlich eine ziemliche Hexe.”
“Na ja, wenn man alt wird und Familie und Freunde gestorben sind, dann wird man doch schon mal etwas eigen.”
“Nee, ich glaub, die war schon immer so…”
Ich warf eine Nachricht in den Briefkasten, kam tags darauf zurück und fand die Empfängerin vor – sie sei nicht zuhause gewesen, weil sie zum Mittagessen oft in die Kantine des nahen Krankenhauses gehe. Sie erschien mir eigentlich ganz nett und gab mir sogar ein Trinkgeld.
Dritte Gelegenheit: “Wenn Sie was für meine Cousine da hätten, gern, aber nicht für die Amerikaner nebenan.”
“Warum das denn?”
“Mit denen haben wir keinen Kontakt.”
Die Empfängerin passte mich dann aber noch vom Balkon aus ab, im Morgenmantel und mit Gurkenmaske im Gesicht.
Generell scheinen die US Soldaten einen schweren Stand in der deutschen Nachbarschaft zu haben, zumindest die, die nur kurzzeitig da sind und wenig Kenntnisse in der Landessprache besitzen. Sagt doch bei anderer Gelegenheit einer zu mir, als ich ihm ein Paket für eine Nachbarin in die Hand drückte:
“Wenn Sie was für die Frau D. haben und die ist nicht da, können Sie auch zu mir kommen. Zu denen da drüben brauchen Sie nicht zu gehen, das sind Amerikaner.” Der Klang seiner Stimme verriet einige negative emotionale Ladung, also verzichtete ich auf die Frage, was dieser Umstand mit irgendwas zu tun haben könnte.
Woanders habe ich einen Kunden, der regelmäßig Sauerstoffflaschen erhält. Als er mal nicht da war, ging ich zur Nachbarstür und fand dort einen eben solchen Amerikaner vor, der sich aber trotz mangelhafter Deutschkenntnisse sofort bereit erklärte, die beiden Zylinder anzunehmen und dafür zu unterschreiben, und immerhin handelt es sich dabei um ein (wenn auch minderes) Gefahrgut.
Lustige Begebenheit am Altersheim Gerolstein: Direkt neben dem Wareneingang, wo ich die Pappkisten stapele, bevor ich die Unterschrift an der Rezeption hole, befindet sich ein Raucherraum, beide mit großer Glastür zum Innenhof. Und da saß im Raucherraum eine füllige Alte und qualmte. Ich parkte, stellte den Motor ab, und als ich ausstieg, herrschte sie mich an, ob ich denn ausgerechnet hier parken müsse.
“Ja klar muss ich, hier ist doch der Wareneingang.”
“So eine Unverschämtheit!”
“Wo soll ich denn sonst parken?”
Worauf sie die Tür zum Hof unwirsch zumachte und ich mir ein Lachen nicht verkneifen konnte. Ihre Windeln und Spezialnahrung will sie wohl haben, aber die Anlieferung soll scheinbar unsichtbar erfolgen – und im Vergleich zu dem, was sie sich freiwillig in die Lungen zieht (ich erinnere: 4500 Giftstoffe), sind die gefilterten Abgase des Sprinters eigentlich eher harmlos.
Dieser Job hindert mich an einer Sache, die auffällig ist, wie kaum eine andere. Das ist zwar am meisten meine Aktivität auf YouTube, für das ich seit Wochen keinen Nerv mehr hatte, was ich bedauere, aber ich meine was anderes, nämlich Essen.
Ich leide bestimmt keinen Hunger, aber folgende Phänomene lassen sich feststellen: Morgens um kurz nach Vier mehr als eine Scheibe Brot zu essen, ist nicht gut für meinen Magen, der erst nach Acht bereit für “Input” ist. Während der Fahrt ist nicht gut essen, von daher trinke ich im Laufe des Arbeitstags eine Flasche Orangensaft – der immerhin knapp 140 Gramm Zucker enthält (und damit etwa viermal so viel wie ein Liter des berüchtigten Zitronentees, den ich seit 25 Jahren konsumiere). Knurrt der Magen zu sehr, kaufe ich mir in Gerolstein ein Fladenbrot. Das lege ich aufs Armaturenbrett und reiße kleine Stücke davon ab, während ich fahre. Zwischen zwei und vier Uhr am Nachmittag überkommt mich ab und zu ein Leistungstief, wo mir die Augen zuzufallen drohen, das ich durch Kaugummikauen (das bringt eine verstärkte Blutzirkulation im Kopf) auffange. Und wenn ich nach Hause komme, kann ich auch nicht mehr essen, als zum Sattwerden notwendig, weil jeder Bissen darüber hinaus meinen Magen am nächsten Morgen noch belastet. Im Endergebnis habe ich während der vergangenen beiden Monate zehn Kilo abgenommen und habe damit erstmals seit Herbst 1997 wieder die Marke von 90 kg unterschritten. Ich wog vor einer Woche mit Kleidung und ohne Schuhe 89 Kilo.
Mittlerweile kenne ich meine Touren fast auswendig, brauche also nur noch selten ein Navigationsgerät. Ich kenne auch meine Kurven auf der Strecke und wie schnell man sie fahren kann.
Zunächst muss ich feststellen, dass der in “Initial D” vorgeführte Trick, die Reifen einer Seite in die Rinne an der Kurveninnenseite zu klemmen, tatsächlich funktioniert, denn durch den Höhenunterschied zur Fahrbahn werden die Räder am wegrutschen gehindert und die Neigung des Fahrzeugs entgegen der Fliehkraft gibt zusätzliche Stabilität. Das hat mich bereits vor mindestens einer Kollision bewahrt, weil mich ohne Rinne die Trägheit der Masse auf die Gegenfahrbahn gebracht hätte. Das funktioniert allerdings nur mit einer befestigten Rinne, also nicht mit Schotter oder so, und ich weiß sehr wohl, wo ich mir das erlauben kann und wo nicht.
Auf Strecken, wo man mangels Bäumen die Straße jenseits der Kurven sehen und auf Gegenverkehr prüfen kann, lässt sich so ein Sprinter auf nasser Fahrbahn durchaus auch schon mal durch die Kurve driften.
Es gibt auch einen bestimmten Ortseingang, wo das gefahrlos zu bewerkstelligen ist – die Hauptstraße führt am Ort vorbei, da gilt Tempo 60 und mit 60 fahre ich in die Kurve (deren direkte Umgebung hindernisfrei ist). Allein die entgeisterten Blicke der Zuschauer sind das wert.
Übrigens Tempo: Da fuhr ich zu einem Frisör, bog rechtwinklig in seinen geschotterten Hof ab, fünfzig Meter bis zur Tür. Links neben dem Haus, in völliger Sicherheit, spielten drei oder vier Kinder. Wenn ich auf der kurzen Strecke 20 km/h gefahren bin, dürfte das hoch geschätzt sein. Um nicht umständlich wenden zu müssen, fuhr ich einen Bogen über eine (ungepflegte) Grasfläche, wo ich eine Bodenvertiefung übersah, weswegen das Fahrzeug kräftig schaukelte, was von Kunden beobachtet wurde.
“Da spielen doch Kinder! Sie können doch nicht mit so schnell die Einfahrt runterfahren!”
“Ich bin gar nicht schnell gefahren, da war nur dieses Loch da…”
“Das ist ja unverantwortlich! So wie ein Wilder hier…”
“Ich bin höchstens Zwanzig gefahren…”
Weitere Kommentare zu meinem rabaukenhaften Fahrstil folgten, die nicht den Anschein erweckten, dass das, was ich sagte, auch irgendwie in den Gehirnen der Beobachter angekommen sein könnte. Ich hätte natürlich gern erklärt, dass das menschliche Gehirn kein gutes Werkzeug zur Erfassung von Geschwindigkeiten ist, und dass sich die menschliche Wahrnehmung leicht von Unregelmäßigkeiten beeinflussen lässt, wie zum Beispiel dem Schaukeln des Fahrzeugs, was beim Beobachter einen rein subjektiven Eindruck überhöhter Geschwindigkeit weckt, der objektiv nicht haltbar ist. Aber ich schien aus dem kommunikativen Akt eh ausgeschlossen zu sein und letztendlich muss ich davon ausgehen, dass die Damen eh nichts von dem verstanden hätten, was mir spontan durch den Kopf ging.
Die Fehler anderer Fahrer kommen auch irgendwie zu Tage, wenn es um den Umgang mit Kunden geht. Manche lassen mich wissen, dass ich die Postsendung einfach vor der Tür stehen lassen solle, worauf ich klarstellen muss, dass ich das aus rechtlichen Gründen nicht kann. “Die anderen Fahrer haben das auch so gemacht.” Was die anderen Fahrer gemacht haben, interessiert mich nicht, denn für den Empfang muss jemand eine Unterschrift leisten, und ich werd einen Teufel tun und Unterschriften fälschen, wenn auch mit Einverständnis des Kunden. Ich erkläre also, dass für ein solches Vorgehen eine so genannte Anliefervereinbarung mit dem Unternehmen geschlossen werden muss, worauf der Kunde oft genug feststellt, dass er keinen Platz zum Abstellen hat, und der muss gegeben sein. Wenn ich Pakete auf “Anliefervereinbarung” da lasse, obwohl keine solche existiert, kostet das eine Vertragsstrafe von 200 Euro.
Ebenfalls 200 E kosten gewisse Werbesendungen für Ärzte. Ich habe keine Ahnung, was da drin ist, aber der Versender will alles genau gemacht haben: Der Empfänger muss persönlich den Lieferschein unterschreiben und seinen Stempel draufdrücken. Bei einem Paket habe ich das vergessen (weil es anders als die anderen aussah) und gab das Paket der Apothekerin im selben Haus, weil der Arzt im Urlaub war. Das Büro in Trier war nicht begeistert und hielt den Lieferschein, der an den Versender zurück sollte, zurück, damit ich das Paket (50 g) zurückholen und nach dem Urlaub korrekt mit neuem Lieferschein ausliefern konnte, um nicht diese Strafe zahlen zu müssen. Jeder der Empfänger stimmte mir zu, dass diese Vorgabe von Seiten des Versenders eine Idiotie sonder gleichen sei, da der Wert des Inhalts in keiner Weise die Vertragsstrafe rechtfertige.
Die Woche, in der ich Geburtstag hatte, war schon hart. Jene Woche fing eigentlich bereits am Freitag Abend nach der Tour an, weil ich nach der Rückgabe des Renault “Master” an den Vermieter einen etwas kleineren Sprinter erhielt – völlig versifft und zugedreckt und entsprechend stinkend, und ich durfte den ganzen Tag drin fahren. Überall Müll, Getränkespritzer und Tabakflocken.
Ich fuhr los und stellte bald fest, dass der Wassertank der Scheibenwischanlage leer war, und bei schönem Wetter brauche ich schon ein paar Liter von Trier bis Gerolstein, um die Überreste der zerschellten Insekten von der Scheibe zu wischen. Schmetterlinge haben darunter die widerlichsten Innereien: Das ist ein schmieriges weißes Zeug, das wasserabweisend wie Fett daherkommt. Der Scheibenwischer verteilt es lediglich, und runter geht es nur mit einem Schwamm und Seifenwasser. Ich wollte also an der Shelltankstelle in Herforst Wasser aufnehmen, fand aber die üblichen Gießkannen nicht. Als ich den Tankwart fragte, sagte der doch zu mir, ich könne in der Waschanlage Wasser holen und wies auf den Münzautomaten dort! Davon bekam ich binnen einer Sekunde einen solchen Hals, dass ich bis Gerolstein alle Flugleichen ignorierte und mir das Wasser dort an der ED-Tankstelle holte. Na, bei den Idioten tanke ich bestenfalls dann, wenn ich keine andere Wahl habe, und das kann passieren – nach Herforst gibt es nämlich in meinem gesamten Einsatzgebiet keine Shelltankstelle mehr, und nur für die habe ich eine Tankkarte. Ich habe in der Umgebung von Prüm, wo meine Tankanzeige ansprang, per Navi nach der nächsten Shelltankstelle gesucht: Da wurden natürlich Trier und Herforst angezeigt, aber westlich war die nächste in Bitburg (wo ich auf den letzten Liter noch hinfuhr) und östlich gibt es eine bei Wittlich, und im Norden meines Gebiets erstreckt sich bereits Nordrhein-Westfalen, wo hinzufahren ein echter Umweg wäre.
Natürlich kann es sein, dass lediglich die Daten meines Navis veraltet sind, aber ich hätte beim Herumfahren auch nie eine der benötigten Tankstellen gesehen. Vielleicht frage ich bei Gelegenheit mal die Kollegen von UPS oder DPD.
Am Freitag Abend schrubbte ich also vier Stunden lang die Fahrerkabine und habe dabei noch nicht einmal die Glasflächen angefasst, die waren erst am Sonntag dran. Glasreiniger reichte nicht aus, um die durchs Rauchen “getönte” Scheibe wieder klar zu bekommen, da musste was schärferes her. Sonntags waren also noch einmal zwei weitere Stunden für die Fenster innen und außen und die Karosserie allgemein fällig.
Dabei hatte ich mir die Außenseite ersparen wollen. Ich erinnerte mich, dass jemand sagte, dass man bei Hess in Trier West den Sprinter günstig durch die Waschanlage fahren könne, und da es in Gerolstein ebenfalls eine Vertretung dieser kleinen Kette gibt, fuhr ich dorthin. Nun, man konnte da das Auto waschen lassen, für einen Fünfer, aber der Sprinter passt nicht in die Anlage hinein und eigentlich sei dieser Service nur für Kunden. Also selber machen.
Alternativ versuchte ich mich an einer SB-Station mit Hochdruckreiniger. Pustekuchen. Ein Hochdruckreiniger spült nur groben Schmutz herunter, von dem nur ein bisschen zwischen Plastikteilen saß. Der feine Staub, der sich bei feuchter Witterung auf dem Lack absetzt, lässt sich mit einem Hochdruckreiniger gar nicht entfernen. Die Dinger sind nur auf rauhen Oberflächen zu gebrauchen. Ein weicher Schwamm bringt den Staub dagegen ohne Mühe und ohne Münzeinwurf ab, man muss also schon dämlich sein, wenn man diesen SB-Stationen für den Hochdruckreiniger über die erste Erfahrung hinaus Geld in den Rachen wirft.
Abgesehen von all dem hatten die Hinterreifen keinen Millimeter Profil mehr, wurden aber nach zwei Tagen ersetzt. Das Schloss der Hecktür brauchte auch etwas Zuwendung, was allerdings Peter besorgte, weil dies eindeutig über meine Fähigkeiten ging. Bis dahin fuhr ich einen Tag mit einer Hecktür, die nicht richtig zuging und bei Erschütterungen aufschwang. Daran änderte auch der Expander nichts, den ich anband, der sorgte nur dafür, dass die Tür auch wieder zuschwang. Lustig war das nicht.
Dann begann die Woche wirklich. Immerhin ekelte ich mich nicht mehr vor dem Auto, aber an drei von fünf Tagen kam ich erst nach Sieben nach Hause und brauchte wirklich das ganze Wochenende danach, um mich von der Belastung zu erholen, was durch meine Heimfahrt in den Gau erschwert wurde.
Der Donnerstag lief auch nicht optimal, hätte aber schlimmer sein können, und Melanie hatte sich bereit erklärt, an meinem Geburtstag mit auf Tour zu gehen, auch, um zu sehen, was ich eigentlich mache. Der Donnerstag war verregnet und ich habe eine Reihe von Konzentrationsfehlern gemacht, die mich nur erneut lehrten, mich vom Stress nicht hetzen zu lassen, denn eigentlich hatte ich bei der Bundeswehr bereits begriffen, dass man Dinge nicht schneller machen soll, als man kann, weil man sonst genau deswegen vermeidbare Fehler macht. Denn merke: Der Ausbilder hetzt Dich, damit Du Deine Sachen richtig machst und den Stress ausblenden lernst. Die Steigerung der Arbeitsgeschwindigkeit ist nur ein Nebeneffekt.
Am Freitag gab’s dann Geld: 1254 E netto. Nicht die Welt und objektiv bestimmt lang nicht das Wahre bei meinem Bildungshintergrund, aber für mich in meiner Situation eine ganze Menge. Mein Konto war seit Jahren nicht mehr vierstellig.
Jetzt muss ich nur noch das Arbeitsamt dazu bewegen, mir die Hartz-IV Rate zu zahlen, die ich im Juni nicht erhalten habe, wegen der Unklarheiten meines Beschäftigungsverhältnisses (ich habe zwar Geld aber immer noch keinen Vertrag!?). Da ich im Juni keinerlei Geld verdient oder erhalten habe, steht mir für den Monat noch etwas zu, das war mir in einem Vortrag des von mir beschriebenen Herrn Colling erst vor kurzem erzählt worden, aber natürlich brach zunächst ein Sammelsurium von Antrags- und Nachweisformularen auf mich herein – aber dass mich das abschreckt, können die Jungs und Mädels von der Dasbachstraße vergessen. Ich kann von einem Monatsgehalt nicht zwei Mieten UND meine übrigen Lebenshaltungskosten zweier Monate bestreiten!
Die Woche drauf war das genaue Gegenteil: Alles ging glatt und flüssig, ich war dreimal zwischen Drei und Vier mit der Tour fertig und entsprechend früh zuhause.
Ich war sogar mal recht früh in Reuth, früh genug, um die m.E. gut aussehende Sprechstundenhilfe noch anzutreffen. Das einzig störende am Haus den Tierarzts, das zu einem Bauernhof gehört, sind die vielen Fliegen. Wenn ich mit dem Ausladen fertig bin, habe ich anschließend mindestens ein halbes Dutzend davon im Laderaum und trage so zur Festigung der Erbanlagen der Reuther Hausfliegen bei, weil einige davon mit nach Trier kommen und die dortige Population mit ihren Genen auffrischen.
Mittwochs rettete mich ein Niederländer vor einer Geldstrafe: Ich fahre oft die Autobahn von Prüm Richtung Wittlicher Kreuz runter, wo ich auf die Autobahn nach Trier wechsele. Dort wird das Tempo auf 120-100-80-60 heruntergeregelt, aber bislang fuhr ich die Engstelle, wie jeder andere auch, mit 80, und die sanfte Kurve bereitet einem dabei keinerlei Schwierigkeiten. Aber just an jenem Tag war ein Niederländer im Wohnmobil unterwegs, und ich habe Niederländer als sehr vorsichtige Fahrer kennengelernt, die wohl auf Grund der Beschaffenheit ihrer Heimat keine Serpentinen kennen und an den Straßenrand fahren, um mich vorbeizulassen. Das genannte Wohnmobil nun fuhr in die Engstelle und hatte hinter sich bereits eine Reihe von Autos angesammelt, ich war der fünfte und sicher nicht weniger unmutig über die Verzögerung wie die anderen. Zuerst sah ich den Polizeiwagen auf der gesperrten Spur stehen, dann den Blitzapparat. Ein erschreckter Blick auf den Tacho – 55 – sicher!
Wo ich von der Polizei rede, erwähne ich auch den Mitarbeiter von Gerolsteiner, an dessen Privatadresse ich drei schwere Pakete zu liefern hatte. Es waren etwa 30 Grad im Schatten und er bot mir als erstes was zu trinken an, sogar eisgekühlt.
“Auf die Pakete warte ich schon sehnsüchtig,” sagte er.
“Was ist denn drin, wenn ich fragen darf?”
“Haha, ein Schnaps/Likör aus dem Elsass. Hat nur 35 Umdrehungen, brennt also nicht so, und man hat beim Trinken das Gefühl, in eine reife Birne zu beißen. Super Zeug. Sammelbestellung mit den Nachbarn.”
“Ist natürlich toll, wenn das Zeug nach dem schmeckt, aus dem es gemacht wird. Ich dachte, auch die Eifel sei für solche Sachen bekannt?”
“Ja schon, aber den hier gibt’s nur da unten; hab ich zufällig auf einem Wochenendtrip entdeckt.”
Er zeigt mir eine Flasche, deren Inhalt von goldgelber Farbe ist. Macht einen guten Eindruck, auch von der Konsistenz her. Als ich ihm dann schildere, dass ich selten zum Trinken komme, weil ich kaum einen kenne, der hochprozentiges trinkt, sagt er grinsend:
“So, jetzt biste fällig!” und schickt seinen Sohn in den Vorratsraum, damit der eine angebrochene Flasche vom letzten Jahr holt. Als ich etwas einwenden will, winkt er ab: “Keine Panik, nur ein halbes Gläschen. Du musst ja noch fahren.”
Und das Getränk ist gar nicht übel. Es schmeckt in der Tat nach reifer Birne, ist also für meinen Geschmack eine Spur zu süß, mit entsprechend medizinischem Nachgeschmack – aber gegen eine Flasche für einen Schluck dann und wann hätte ich rein gar nichts einzuwenden. Vielleicht hätte ich mir die Marke merken sollen… irgendwas mit “Katz~” oder “Katzen~”, glaube ich.
Abschlusshighlight der Woche war die Fahrt mit Melanie und das Abendessen bei Nick’s Diner in Herforst. Ich habe keine Ahnung, wer Nick sein soll, denn ich war auf Empfehlung eines amerikanischen Kunden dort, der mir versprach, dass die Hamburger dort richtig gut seien, seit “der Türke” den Laden übernommen habe, allerdings sei die Pizza dafür völlig ungenießbar. In einem Anfall von Größenwahn bestellten wir jeder einen “Big Food” Burger, ein Ungetüm von knapp 30 cm Höhe mit 360 Gramm Fleisch, das nur durch einen Spieß in der Mitte aufrecht erhalten werden kann. Die Bedienung empfahl Messer und Gabel.
Für einen Burger war das vom Geschmack gar nicht schlecht, hätte ich etwas vergleichbares bei Burger King gegessen, wäre mir kotzübel geworden, aber zum Abschluss aß ich noch ein Eis – mein Geldbeutel und mein aktuelles Körpergewicht erlauben das nach meiner Ansicht. Der Burger mit Pommes kostet 7,90 E, das erscheint mir ein angemessener Preis, gemessen an meinem Sättigungsgrad.
Dennoch esse ich das nicht noch einmal, die Fleischmenge ist einfach zu viel für mich. Ich gehe bestimmt noch einmal hin, belasse es dann aber bei einem Cheeseburger, die ebenfalls nicht klein sind und auch nur fünf-Euro-irgendwas kosten.
Auch mein “Bandnachbar” Kelvin (Name geändert) nutzt seine Lieferfahrten übrigens für “Familienausflüge”, wie er es nennt. Dann packt er am Nachmittag Frau und Kind in den Wagen und fährt mit denen durch die Gegend. Dort, wo die Fahrer Dan und Engel (Namen geändert) ihre Bassboxen montiert haben, hat Kelvin, sechs Jahre jünger als ich, einen Kindersitz eingebaut. Wie ich ihn einschätze, ohne vorher die Meinung des Chefs eingeholt zu haben.
Fahrer DJ (Name geändert) ist ein knappes Jahr jünger als ich, verheiratet, macht Musik, spielt mehrere Instrumente und komponiert im Bereich Electronica. Wir unterhielten uns ein bisschen und als er erfuhr, dass ich früher Songtexte geschrieben habe (vor 13 Jahren), bat er mich, ihm einen Text zu schreiben zum Thema “Feel it”. Vielleicht fällt mir was ein… ein Problem könnte allerdings sein, dass das Stück bereits existiert und ich meine Inspiration, so ich eine finde, in ein vorgegebenes Rhythmusmuster pressen muss, was früher nicht notwendig war, weil ich einfach ein spontan sich anbietendes Versmaß verwendete und Felix, Tobi und Pascal dann die Melodie um den Text herum montierten, und nicht umgekehrt. Meine Bandbreite von SailorMoon zu Sepultura und dann zum Techno-Remix “Otaku Hardcore Revolution” war jedenfalls zu viel für sein Vorstellungsvermögen eines umfassenden menschlichen Musikgeschmacks, aber mit dem ist gut auszukommen. Nur ist er derzeit auch Montags nicht ganz so fit, weil er an Wochenenden die Renovierung seines Hauses vorantreibt. Er scheint auch entsprechend Fehler zu machen und das Gerücht macht die Runde, dass seine Tage gezählt seien.
Elmo (Name geändert), Anfang Vierzig, fährt LKW und erzählt gern von den alten Tagen beim Fernverkehr wie ein pensionierter Seemann (“Damals, am Nordpolarkreis, das war mal kacke! Keine Klimaanlage! Mitternachtssonne! Da wurdest Du in der Schlafkabine gekocht! Da oben steht ja kein Baum, nichts, was Schatten spendet!”). Er lädt durch seine Art geradezu ein, dass man Witze über ihn macht, und er nimmt sie mit Humor. Wenn das Bäckerauto um kurz vor Acht vor der Tür klingelt, ruft die ganze Halle seinen Namen (“ELMO! DEIN FRÜHSTÜCK IST DA!”)… da träumt so mancher Rockstaranwärter nur von. Letztlich rollte er auf einer Ameise durch die Halle, breitete die Arme aus wie Kate Winslet auf der “Titanic” und rief: “Guck mal, ein fliegender Kobold!”
Ähnlich oft wird nur Fallis Name (auch geändert) gerufen, der dann aber schon mal wie das HB-Männchen in die Luft geht und durch die Halle brüllt – was die Halle mit lautem Lachen zur Kenntnis nimmt (und er nimmt es auch nicht wirklich übel). Falli ist in erster Linie im Büro beschäftigt und fährt, wenn die Halle leer ist, mit der Kehrmaschine durch, übernimmt bei Engpässen aber auch schon mal Fahrten nach Luxemburg und Belgien.
Da auch ein Fahrer mit dem Namen Murat im Depot arbeitet, habe ich dem einen oder anderen den türkischen Film “Dünyay? Kurtaran Adam” (“Der Mann, der die Welt rettet”) empfohlen, auch bekannt als “Turkish Star Wars”, und von mir wegen der Namen der Protagonisten als “Murat und Ali im Weltraum” bezeichnet (weswegen ich seinen Namen jetzt nicht geändert habe). Ich muss bei Gelegenheit mal die Reaktionen einholen, denn vor ein paar Jahren konnte man den Film an einem Stück auf Google Video sehen.
Nennen wir noch den Kurden aus dem Irak, auch einige Jahre jünger als ich. Kam als Zwölfjähriger nach Deutschland, spricht Kurdisch, Arabisch und Deutsch (und Trierer Dialekt), eigentlich mehrheitlich Sprachen, von denen so mancher Sicherheitsdienst wie der BND gern profitieren möchte. Obwohl nicht unsympathisch ist er allerdings dermaßen unverlässlich, dass er einem Klischeestudenten gerecht werden könnte und hat sich sein polizeiliches Führungszeugnis völlig zerschossen. Vergangene Woche kam er tatsächlich in der Halle an, bevor das Band anlief – zum ersten Mal, seit ich da arbeite. Der Kurde kam noch nie vor Sechs oder halb Sieben.
Dabei hat er mit Bitburg eine gemütliche Stadttour und ist oft genug vor drei Uhr Nachmittags wieder zuhause, obwohl er zwischendurch Pausen zum Essen oder auch ein Nickerchen macht. Sieben Cheeseburger zum Frühstück, eine Stunde später ein Döner, noch eine Stunde später Teilchen vom Bäcker, wie Mike berichtete. Dabei sieht er eigentlich recht drahtig aus. Er habe ständig wieder Hunger, könne aber nicht viel auf einmal essen, wobei die Definition von “viel” subjektiv ist, denn nach sieben Cheeseburgern müsste ich vermutlich kotzen.
“Dann rauch doch mal weniger Gras, hm?”
“Ich rauch kein Gras mehr, seit vier Jahren. Damals hab ich das Doppelte gefressen.”
Es kommt aber hinzu, dass er gern auf Partys und in Clubs geht, und man munkelt, dass er nicht selten von dort ohne Umweg übers Bett zur Arbeit komme. Aber vielleicht hält er sich ja mit der Pünktlichkeit der letzten beiden Tage, denn immerhin geht er damit seinen Nachbarn am Band auf den Keks, die für ihn seine Pakete runternehmen müssen. Was ihn aber nie daran gehindert hat, eine große Klappe zu haben, wenn auch im Scherz. Neben maskulinen Beleidigungen für andere Fahrer, die mal ein Paket verpassen (die aber in gleicher Münze zurückzahlen, weil er ja die selben Fehler macht und noch mehr davon), singt er neben deutschen Schlagern, Popsongs und Werbejingles auch schon mal die verpönte dritte Strophe des Deutschlandlieds und beklagt sich über die heutige Jugend und was aus Deutschland geworden sei (“Damals, als ich hier angefangen habe…” “Ja, was war denn damals vor vier Monaten?”)
Über weitere Leute kann ich nicht viel sagen, weil ich wenig Kontakt zu denen habe, die weiter weg am Band stehen. Felix und Hermes (Namen geändert) zum Beispiel sind neu. Der erstere ist ehemaliger Taxifahrer und kommt mir ein bisschen hypochondrisch vor mit Hang zum Selbstmitleid, Hermes kommt ein bisschen unsicher daher, scheint sonst gut drauf zu sein, und wenn der nicht homosexuell ist, dann weiß ich nicht, wer sonst.
Dabei ist uns das Klagen doch allen irgendwie gegeben. Sagte nicht Balzac, dass wir alle immer mehr klagten, als wir tatsächlich litten? Da muss ich auf Kalaschnikow zurückkommen, den selbsternannten “Eifel-Tornado” und zweifellos der beste Fahrer im Depot (der sein Auto sogar zu seinem WKW Avatar gemacht hat): Jeden Tag beschwert er sich, was für Extratouren er machen müsse und wie umständlich und lang er dann fahren müsse… und wenn ich ihn tags drauf frage, wie es gelaufen sei?
“Ach, alles locker! (grins)”
Kalaschnikow kommt am kommenden Montag nach drei Wochen Urlaub wieder zurück, und den hat er wegen seines Umzugs auch gebraucht. Seine Tour wurde von Kelvin gefahren und da “sein” Auto ja Firmenbesitz ist, blieb es im Depot und wurde ausgerechnet vom Kurden verwendet. Auch Kalaschnikow ist kein Hygienefetischist und hat eindeutig niedrigere Standards als ich (die laut meiner Freundin weit unterdurchschnittlich sind), aber der Kurde gehört zu denen, die sich nichts dabei denken, leere Flaschen und was sich durch seinen Nahrungskonsum ansammelt, im Auto liegen zu lassen. Außerdem ist in dieser Zeit wohl die Handbremse kaputtgegangen und während er parkte, fuhr jemand den rechten Außenspiegel ab.
Kalaschnikow liebt sein Auto. Er kennt jeden Quadratzentimeter der Karosserie persönlich, führt jegliche Reparaturen selbst aus und lässt sich von der Firma lediglich den Materialwert ersetzen. Von den Missgeschicken des Kurden unterrichtet, ließ er ausrichten: “Am Montag um halb Fünf bin ich wieder da und um Sieben stirbt er!” 🙂
Na ja, mal abwarten. Für die bellenden Vierbeiner auf der Tour, und das sind ein paar, bin ich dieser Tage auch mal in den “Fressnapf” in Gerolstein gegangen, um ein paar Hundekuchen zu besorgen, nicht zu groß, nicht zu klein, da Hunde ja in verschiedenen Größen daherkommen. Es gibt eine Sorte, deren einzelne Stückchen etwa einen Kubikzentimeter haben. Als ich das Preisschild sah, wollte ich erst mal wieder weglaufen: “24,99 E”.
Aber es handelt sich nicht um den Preis pro Kilo, sondern um den 10-Kilo-Preis. Eine große Handvoll von 100 Gramm kostet also nur 25 Cent, und das nahm ich dann. Dann wird sich wohl auch der misstrauische Kleine in der Brunnenapotheke bald an mich gewöhnen.
Ganz und gar nicht beeindruckt war der kleine Dackel einer Kundin, die Maniküre und Duftkerzen anbietet. Mike hatte mich bereits vorgewarnt, dass der Dackel völlig ignorant sei, aber dass er einen Hundekuchen, direkt vor die Schnauze gehalten, gelangweilt ignorieren würde, hätte ich so nicht erwartet.