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Aus dem noch unerforschten Inneren meines Schädels

30. Juli 2011

King of Kylltal (Teil 9)

Filed under: Arbeitswelt — 42317 @ 17:32

Dann also der Freitag, an dem ich nicht so bei der Sache war, wie es notwendig gewesen wäre.

Bei zwei Kunden musste ich noch einmal aus dem Auto springen, weil ich die Unterschrift vergessen hatte, und weil ich mit den Gedanken zur falschen Zeit mehr bei der Tourplanung war, als beim akuten Tourablauf, vergaß ich einen Kunden in Birresborn und musste nach Ablieferung der Expresse in Gerolstein noch einmal fünf Kilometer zurückfahren, weil mich der Rückweg über die Ostroute und damit noch weiter weg führen würde.

Der Konzentrationsmangel und die damit einhergehende Einschränkung meiner Entscheidungsfähigkeit zeigten sich als erstes bei Herforst, wo ich den Waldweg nach Arenrath und Landscheid nehmen wollte, um festzustellen, ob das schneller sei, als die Landstraße (ist es nicht); der Waldweg wurde nämlich mittendrin von einer Baumfällmaschine blockiert, die allerdings genügend Platz fand, um mich gerade so noch durchzulassen.
Seinen Höhepunkt fand mein mangelndes Urteilsvermögen nach diesem Omen dann am nordöstlichen Wendepunkt der Tour, als ich nach Süden abbiegen wollte, drei Stopps vor Schluss, in Essingen. Den Kunden dort hatte ich um etwa 1445 erledigt, es war nicht unrealistisch, zwischen Vier und halb Fünf daheim zu sein. Da ich von diesem Punkt aus noch nie direkt nach Neroth gefahren war, befragte ich das Navigationsgerät nach der kürzesten Strecke. TomTom zeigte mir eine Nebenstrecke, eigentlich einen Weg für landwirtschaftliche Fahrzeuge. Die Witterung war feucht, aber der Weg war geschottert, und als ich erkannte, das diese Schotterung irgendwann aufgehört hatte und in festgefahrene Erde übergegangen war, da war es zu spät. Obwohl… eigentlich war es erst dann zu spät, als ich mich in einem Beurteilungsfehler dazu entschloss, eine leicht geneigte, schmale, und vor allem feuchte Stelle zu überfahren, anstatt die Sache sofort aufzugeben und rückwärts in Richtung Straße zurückzustoßen.

Als erstes musste ich einen kleinen Baum, der quer über dem Weg hing, entfernen. Dann überquerte ich eine weitere Stelle, die schlammig war. Das war der Zeitpunkt, wo mir dämmerte, dass ich hier besser nicht entlang gefahren wäre. Hundert Meter weiter eine dritte Stelle mit weichem Boden. Hier entschloss ich mich zunächst, wieder zurückzufahren, was mangels Platz ja nur rückwärts ging, wohlgemerkt mit jeweils einem knappen halben Meter Platz links und rechts vom Wagen. Ich kam zurück zur zweiten Stelle mit weichem Boden und merkte schnell, dass der Wagen zu wenig Halt fand und Richtung Abhang rutschte. Ob das Stangenholz an der Stelle mich vor einem Überschlag bewahrt hätte, erscheint mir fraglich. Bevor die Sache hoffnungslos wurde, entschied ich mich, die Methode “mit dem Kopf durch die Wand” zu probieren. Ich fuhr wieder geradeaus und passierte die dritte weiche Stelle, wonach der Bodenzustand sich stabilisierte und alles gut gegangen zu sein schien – aber nur hundert Meter weiter kam der Weg aus dem Wald heraus und führte über eine Wiese. Man konnte die Fahrspur zwar erkennen, gerade so, aber sie war alles andere als ausgewalzt, ich würde nie und nimmer diese Wiese überqueren können, ohne mich festzufahren. Also wieder zurück.

Weiche Stelle #3 machte keine Schwierigkeiten, aber #2 konnte nicht ohne Aufwand überwunden werden. Ich sammelte erst mal wieder Holz, um dem Boden mehr Stabilität zu verleihen, aber es half nur begrenzt. Zuletzt überfuhr ich die Stelle quer, mit Lenkrichtung quasi in den Hügel hinein, was zu einer de facto geraden Fahrrichtung führte, weil die Schräglage des Wegs ein Abrutschen zum Abhang hin verursachte, was nur durch Querstellen ausgeglichen werden konnte.
Aber dieses Verfahren funktionierte an Stelle #1 nicht mehr. Erstens war die Schräge extremer, zweitens war der Boden dort aufgeweichter, und drittens war der Weg hier noch schmaler, was die notwendige Querstellung des Fahrzeugs verhinderte. Nach zwei oder drei Metern steckte das linke Hinterrad im Schlamm am Wegrand. Weiteres Manövrieren, das mir bei Büscheich damals die Unterfütterung der Spur ermöglicht hatte, war wegen der oben genannten Faktoren unmöglich, da ich fürchten musste, den Hang hinunter zu kippen, von dem ich noch eine Lineallänge entfernt war.

Ich entschied, Mike nicht mit dem Problem zu belästigen, so lange ich noch eine Option hatte, die ich probieren konnte, und bewegte mich im Laufschritt den Kilometer zurück nach Essingen, was mich überraschend wenig aus der Puste brachte – zehn Kilogramm weniger auf den Rippen machen sich scheinbar bemerkbar, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass dieser Beruf einen spürbaren Beitrag zur Ausdauer liefert.
Der erste Bauer musste leider mein Anliegen, den Sprinter aus dem Dreck zu ziehen, zurückweisen, weil er gleich einer Kindergruppe, die sich vor dem Stall versammelt hatte, Reitstunden gebe. Der zweite, den ich fragte, musste mich ebenfalls enttäuschen, weil seine Fahrzeugbatterie gerade nicht eingebaut sei und am Ladegerät hing, empfahl mir aber seinen Nachbarn gegenüber.
Bei dem handelte es sich um einen wohlgenährten Mann in etwa meinem Alter, der sich sofort bereit erklärte, mir zu helfen. Von den dreien verfügte er auch über den größten Schlepper, so breit, dass ich Zweifel hatte, ob das Ding überhaupt in den Waldweg passte.

Es passte allerdings, und am Sprinter angekommen, mussten wir uns erst überlegen, wie wir den mir zur Verfügung stehenden Gurt am Transporter befestigen sollten. Eine Anhängerkupplung hat das Fahrzeug nicht, an die Achse kamen wir nicht ran, also machte ich den Vorschlag, den Haken an der Halterung des Trittbretts hinten einzuhängen. Mein Bauer war da etwas misstrauisch, auch im Hinblick auf den Spanngurt von knapp zehn Zentimetern Breite, der das Gewicht allein aushalten musste, aber viel Auswahl bot sich uns nicht. Er zog also, ich legte den Rückwärtsgang ein und fünfzig Meter weiter konnte ich wieder allein fahren (was sehr für die Qualität dieser Spanngurte spricht), zuerst ein paar Hundert Meter zurück bis zu einer Wendegelegenheit bei der Bahnschranke, wo der Landwirt auf mich wartete, für den Fall, des es doch noch Schwierigkeiten geben sollte. Es gab zum Glück keine.

Zurück auf der Landstraße bedankte ich mich für die Hilfe, schüttelte seine Hand und fragte, was ich als Gegenleistung anbieten könne, aber er meinte, das sei schon in Ordnung. Ihn beschäftige derzeit viel mehr seine Heuernte, weil das Wetter laut Vorhersage auch in den folgenden Tagen kaum trockener werde, und weil das gemähte Gras eine Weile in der Sonne trocknen müsse und bei Regen verfaule, wage er derzeit das Risiko nicht, die vierzig in der kommenden Woche anstehenden Hektar zu mähen. Ich wünschte ihm also alles Gute und machte mich auf den Weg nach Hause mit den letzten Stopps in Neroth, Wallenborn und Meisburg. Ich trage mich allerdings dennoch mit dem Gedanken, ihm einen Kasten Bier zu bringen, denn ich weiß ja, wo er wohnt.

Zuhause war ich dann so gegen Fünf, und wenn ich den Umweg nach Birresborn und die Aktion bei Essingen wegrechne, hätte ich sogar um Vier daheim sein können.

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