Ich brenne am Morgen den Großteil meiner derzeit verfügbaren Daten und habe somit wieder Platz auf der Festplatte. Bin gespannt, wann ich dazu komme, mir das alles anzusehen… „Bakuretsu Tenshi“, „eX Driver Danger Zone OVA“, „BLAME“ und „Combustible Campus Guardress“ sind jetzt neu in meiner Sammlung.
Wir besuchen mit Kuramata-sensei eine Sake-Brauerei im Umland von Hirosaki und werden durch die Anlage geführt, gegen die die Karlsberg Brauerei zuhause wie ein High-tech Chemiewerk aussieht. Die Anlage in Hirosaki hat mehr das Flair einer besseren Schwarzbrennerei in der heimischen Garage. Gut, das ist untertrieben. Der Eindruck mag daher kommen, dass in dem Laden nichts los ist – japanischer Sake wird nämlich nur im Winter hergestellt. Im Sommer beschränkt sich die Firmenaktivität auf… ja, auf was eigentlich? Ich sehe ein paar Damen, die Flaschen einer besonderen Sorte von Sake etikettieren und in Kisten stellen. Alle anderen Angestellten scheinen nur wegen uns da zu sein und eigentlich nichts zu machen. In der Anlage herrscht sommerliche Stille.
Man erklärt uns zuerst das Herstellungsverfahren. Der Reis kommt an und wird poliert, das heißt, er verliert einen gewissen Prozentsatz seiner Substanz ab der Außenhaut in Richtung Kern. Der Reis, der gegessen wird, hat eine 92er Politur, das heißt, dass 8 % der Substanz, das ist hauptsächlich die Schale, mit Hilfe von Sandpapier in einer speziellen Anlage abgefräst werden. Für normalen Sake werden 30 % wegpoliert, und für einen Spitzensake sind es bis zu 60 %. Da bleibt von dem Korn kaum was übrig, aber angeblich ist das Endprodukt ungeheuer gut. Vielleicht sollte ich doch mal teuren Sake kaufen. Ich komme so schnell nicht mehr her…
Der Angestellte führt weiter aus, dass der Reis in seinen Außenschichten mehr Nährstoffe enthalte, als in seinem Inneren, und diese Nährstoffe störten den Gärungsprozess. Er erklärt das nicht genauer, aber ich kann mir denken, wie er das meint. Für eine gute Gärung muss man die bakterielle Aktivität in der… Protomasse (Maische?) unter Kontrolle halten, und wenn die Bakterien zu viel zu futtern haben, gerät die Sache eventuell aus dem Ruder und setzen dem Geschmack Dinge zu, die da nicht reingehören. Aber das ist nur mein laienhafter Gedanke bei der Sache, weil ich von Brauchemie überhaupt keine Ahnung habe. Ich will aber auch nicht selber machen, sondern nur trinken. Ich möchte wissen, was man mit dem Staub macht, der nach dem Polieren übrigbleibt: Das Reismehl werde gesammelt und an andere Firmen weitergegeben, z.B. um Klebstoff daraus zu machen.
Man führt uns anschließend in eine Ecke einer Fertigungshalle, wo eine Destille steht. Aha, aus Frankreich importiert, wie man uns mitteilt. Aber japanischer Sake wird gegoren, ist also Wein, und nicht gebrannt, also was macht diese Destille hier? Man kann aus Reis auch Schnaps machen, sagt der Angestellte und weist auf einen weiteren Mitarbeiter in einer Arbeitsschürze, der neben einem Fass Aufstellung genommen hat. In dem Fass befindet sich ein eben solcher Reisschnaps, und ich habe leider nicht verstanden, ob es sich um Weinbrand handelt oder um ein… Direktprodukt. Der Mann in der Schürze taucht eine Schöpfkelle in den Bottich und bietet uns grinsend einen Schluck an. „45 %“ sagt er nur. Ei, dann lass die Kelle mal kreisen, guter Mann! Unseren Freunden aus Thailand ist die Mischung ein wenig zu stark, während Mélanie die Portion ohne viel Aufhebens schluckt. Der Schnaps ist stark, kein Zweifel, aber sehr angenehm zu trinken (nach meinem Empfinden). Ich erlaube mir einen zweiten Schluck und mache mir eine mentale Notiz, dass ich Yukiyo bei Gelegenheit nach dem Zeug fragen muss, wenn sie schon an der Quelle arbeitet.
Zuletzt bekommen wir drei Flaschen vorgesetzt, die Sake in drei verschiedenen „Härtegraden“ enthalten und wir sollen sie bitte probieren und ein Urteil abgeben. Der Alkoholgehalt ist überall gleich, nur die Rezeptur unterscheidet sich ein wenig. Der „mittlere“ ist der beste, denke ich, eine gute Mischung aus Alkohol und Geschmack. Und zum Abschied bekommen wir jeder eine 0,2 l Flasche geschenkt, „karaguchi“, also stark. Man solle diesen Reiswein am besten auf Eis trinken, sagt man uns, damit etwas Verdünnung dabei sei. Aber natürlich spreche nichts gegen den puren Genuss.
Und dann gehen wir nach draußen. Ins Warme. Es trifft mich ein sanfter Schlag „von Innen“ und ich muss Acht geben, auf dem Weg zum Bus nicht zu sehr zu wanken.
Dr. „Dragon“ gibt die CD an Ogasawara-sensei zurück und ich bitte gleich darum, sie mir als nächstes ausleihen zu dürfen. Allerdings bin ich davon nach dem Anhören nicht sehr begeistert, da „The Boom“ offenbar auf einen Mix von „klassischem“ J-Pop und Ska spezialisiert ist, und bis auf ein einziges Lied („Michizure“) ist die „Single Collection“ eine Ansammlung langweiliger und gleich klingender Vertreter der japanischen Popmusik. Sehr enttäuschend.
Nach dem Unterricht haben wir noch eine Stunde Zeit, unsere Post durchzugehen und ähnliche Dinge zu tun, so arbeite ich zum Beispiel weiter an meinen Rückreiseplänen. Da ich die Stipendiumszahlung vom 01.09. noch in Anspruch nehmen will (ich kann nicht auf 600 E verzichten), werde ich am 02.09. fliegen. Melanie hat da das Problem, dass ihre letzte Zahlung erst Ende September fällig ist, und bei ihr geht es um fast doppelt so viel Geld. Sie wird die Wohnung alleine bestreiten müssen. Vorsorglich bestelle ich ein Zimmer im Gästehaus, für den Fall, das Melanie sich dazu entschließt, mit mir zusammen heimzureisen. Das heißt, ich fülle den Antrag aus, aber ob ich auch bezahle und die Buchung damit vollständig mache, ist was Anderes. Wenn Melanie noch über September hierbleibt, werde ich natürlich nicht schon ab dem 31.08. ins Gästehaus ziehen.
Um kurz nach Fünf fahren wir nach Hause und verpacken unsere vorbereiteten Nahrungsmittel so gut wie möglich und fahren zum „Schorum“ („school forum“), dem Restaurant im zweiten Stock des Mensagebäudes[1], wo die Party von „KIWA American“ steigen soll. Ich glaube, wir sind die ersten Ausländer vor Ort und bis auf ein paar (übrigens ebenso schmackhafte wie violette) Onigiri ist unser mitgebrachtes Essen das einzige, das selbst gemacht ist. Die übrigen Tische sind voll beladen mit Chips und Keksen und allem möglichen anderen Junkfood. In Folge müssen wir in der Küche Essstäbchen besorgen, da man den Nudelsalat ja nicht mit den Fingern essen kann. Der größte Teil davon wird übrigens weggegessen.
Als nächstes packt mich das Grauen, als ich den „Party Zeitplan“ erblicke. Oh, es steht gar nichts so schreckliches darauf, mich erschüttert nur immer wieder die Tatsache, dass es solche Zeitpläne überhaupt gibt!
Ich sehe mich um und versuche mir einen Überblick über die Nicht-Japaner zu verschaffen. Einige der Thais sind da, das heißt Ii, Nun, Wiirit und Nan, die Koreaner sind zahlreich vertreten, SangSu, Jû, SongMin, MinJi und einige andere, deren Namen mir nicht geläufig sind, nur SungYi kann ich nicht entdecken, dann sind noch mindestens drei Chinesinnen da, deren Gesicht ich kenne, aber nicht BiRei und Mei, weil die, wie sich später zeigen wird, wie auch ich noch vorgestern der Meinung sind, die Party sei erst am Samstag. Baqr, der Ägypter, ist ebenfalls vor Ort, ebenso Irena, Chris und Eve. Misi, Marc oder Alex sind nicht erschienen, ebenso wie auch die männlichen Chinesen, von denen sich kein einziger hier blicken lässt.
Zuerst hält der Clubpräsident eine Begrüßungsansprache in holprigem, aber verständlichem Englisch, und seine Stellvertreterin übersetzt das Ganze ins Japanische. Und damit dabei auch bestimmt nichts schiefgeht, sind beide Texte im Voraus geschrieben und einstudiert worden, weswegen der Ablauf etwas ins Stocken gerät, als der Vorsitzende einen Nebensatz vergisst und die Übersetzerin somit kein Stichwort erhält. Dann erklärt er die Regeln des obligatorischen Spiels, das eigentlich kein Spiel ist, sondern eine Motivation zur Kommunikation, wieder mal ein Wenig im Hauruck-Stil. Jeder hat eingangs ein Namensschild erhalten, mit dem Namen und einer Nummer darauf. Man soll zuerst die Person ausfindig machen, die die gleiche Nummer hat, wobei durch eine zweigeteilte Anwesenheitsliste grob gewährleistet ist, dass nicht zwei Japaner oder zwei Ausländer zusammenkommen, obwohl das „nationale“ Ungleichgewicht der Anwesenden für eben solche Einzelfälle sorgt. Hat man die betreffende Person also gefunden, soll man sich mit dieser für zehn Minuten auseinandersetzen und sich schließlich gegenseitig vorstellen. Ich finde Shida Eiko, 18 Jahre alt, im ersten Studienjahr, geboren in der Präfektur Aichi, mit 10 Jahren umgezogen nach Niigata und vor wenigen Jahren in Hirosaki gelandet. Sie will Lehrerin an einer Mittelschule werden… weil ihr diese Zeit so gut gefallen habe, wie sie sagt.
Die Aufgabe ist, sich gegenseitig in englischer Sprache vorzustellen, was möglicherweise von Seiten der Japaner ganz sinnvoll ist, aber man hätte die Ausländer schon zum Japanisch sprechen bewegen sollen. So ist die ganze Sache ja ein Kinderspiel. Zumindest für mich, denn MinJi z.B. klagt laut, was sie denn tun solle, weil sie eigentlich kein Wort Englisch könne (ihr Englisch ist wirklich sehr rudimentär).
Jedes Paar hat zwei Minuten Zeit, sich gegenseitig vorzustellen, daneben steht auch einer mit der Stoppuhr (!) und nach irgendwelchen nie genannten Kriterien soll am Ende ein Siegerpaar gekürt werden. Natürlich ist all die Arbeit vergebliche Liebesmüh, weil vielleicht ein Drittel der Anwesenden, aber nicht mehr, den Ausführungen auf der kleinen Bühne zuhört, während die anderen das machen, wofür die Party eigentlich ausgerufen wurde: Sie unterhalten sich interkulturell.
Ich bin mit Eiko als drittes Paar an der Reihe, weil wir ja relativ früh da waren. Eiko fängt an und nachdem ich im Anschluss dann den ersten Satz gesprochen habe, in dem ich Eiko für ihre Vorstellung meiner Person danke, geht ein Raunen durch den Saal. Mein Gott, ist mein Englisch denn so umwerfend für die japanischen Zuhörer oder habe ich irgendein Geschehnis verpasst? Wie dem auch sei, wir kommen mit unseren zwei Minuten gut hin und nachdem wir die kleine Bühne wieder verlassen haben, findet Eiko gleich mit Melanie zusammen und tauscht sich mit ihr über japanische TV-Serien aus.
Nach dem so genannten Spiel folgt ein kurzer Vortrag (von 20 Minuten) von Prof. Uematsu zum Thema „Warum Fremdsprachenerwerb wichtig ist“, wobei er eingangs erwähnt, dass er bis vor wenigen Augenblicken noch keine Ahnung hatte, dass er vor einer internationalen Gruppe sprechen sollte, weil der Clubvorsitzende nur etwas von Clubmitgliedern erwähnt hatte, als er ihn um den Vortrag gebeten hatte, daher richte sich sein Vortrag natürlich an Japaner und sage den anderen Gästen mit höchster Wahrscheinlichkeit nicht viel. So etwas meinte ich, als von „Chaoten“ sprach.
Uematsu-sensei sagt, er habe damals sogar auf Englisch geträumt, als er Schüler und Student war, was mich wenig wundert, wenn ich seinen Ausführungen, dass er ununterbrochen englische Vokabeln wiederholt habe, Glauben schenken darf. Er erzählt mir sonst wirklich nichts Neues, und ich will nicht weiter darauf eingehen, weil jeder vernunftbegabte Mensch eine Vorstellung davon haben sollte, warum man Fremdsprachen lernen sollte. Aber für die meisten Japaner dürften seine Argumente, vor allem in Bezug auf die Methodik, geradezu revolutionär sein, geht doch das hartnäckige Gerücht um, dass Japaner wegen der angeblichen Einzigartigkeit ihrer Sprache und Kultur angeblich nicht in der Lage seien, eine Fremdsprache vollständig zu beherrschen. Natürlich ist das Unsinn, aber darauf baut das Bildungssystem, das die Qualität des Fremdsprachenunterrichts an Schulen absichtlich vernachlässigt. Ich danke ihm im Anschluss für den Vortrag (dem ebenfalls kaum jemand zugehört hat), weil er Dinge zur Sprache bringt, die eigentlich selbstverständlich sein sollten. Er bittet mich im Gegenzug, bei Gelegenheit einen Fragebogen auszufüllen, ohne näher darauf einzugehen, um was es sich dabei handelt. Ich sollte ihn also einfach mal besuchen, sobald ich herausgefunden habe, wo man ihn findet. Ah.
Apropos Fragebogen: Da diese Party von der Firma gesponsert wird, der das Seikyo, das ist der Uni- und Bürobedarfsladen im Erdgeschoss, gehört, sollen wir einen Zettel ausfüllen, auf dem gefragt wird, wie sehr wir mit dem Laden zufrieden seien, wo wir Stärken und Schwächen sähen. Außerdem wird wohl im August je eine Fahrt nach Hiroshima und Nagasaki organisiert, um an den Veranstaltungen der Friedensbewegung teilzunehmen, über die Ôe Kenzaburô in seinem Buch „Hiroshima Notes“ bereits ein paar Kommentare, unter anderem wenig löbliche, hinterlassen hat. Auf dem Werbezettel steht kein Preis und ich frage, was die Sache koste, aber ich erhalte keine definitive Antwort. Etwa so viel, dass der Preis mitunter davon abhänge, wie viele Leute daran teilnähmen. Da ist zuerst mal von mehr als 20.000 Yen die Rede, und so gerne ich mal nach Hiroshima fahren würde – das ist zu viel. Ich kreuze also an, dass ich nicht interessiert bin.
Danach ist noch Zeit für freie Kommunikation eingeplant und die Gewinner der gegenseitigen Vorstellungen werden bekannt gegeben, bevor dann das verbliebene Essen verteilt und der Raum aufgeräumt wird. Die Thailänderinnen und SangSu nehmen das zum Anlass, alle möglichen Packungen mit Keksen und anderem Kram in der Kapuze von MinJis Hoody zu stopfen, „als Vorrat für später“. Ich sehe amüsiert zu, während sich MinJi zeternd, aber vergnügt und reichlich halbherzig dagegen zur Wehr setzt. Schließlich zeigt sie auf SangSu und sagt zu mir: „Dominik, der macht lauter böse Sachen mit mir!“ Warum den Spaß also nicht mitmachen? Ich baue mich also vor SangSu auf, schubse ihn mehrfach (locker) an der Schulter und sage streng „Hey, Du! Man hackt nicht auf Mädchen rum, verstanden?“ MinJi grinsend zu den Thais: „Ist er nicht toll?“ („Kakoii deshou!“) Trotzdem wird sie von den Thais weiter mit Lebensmitteln „versorgt“, und mit denen möchte ich denselben Scherz nicht machen.
Dann wird die Party aufgelöst und die Leute werden aus dem Gebäude gebeten, worauf man eben vor der Tür weiter darüber nachdenkt, was man mit dem angebrochenen Abend noch anfangen könne. Nach einer Viertelstunde der Entschlusslosigkeit (weil ein Anführer fehlt, der sagt „Wir machen das jetzt!“), macht sich dann die Hälfte der Gruppe auf den Weg ins Skatt Land.
Wir fallen mit 18 Leuten dort ein und haben Glück, dass so viel Platz auf einmal frei ist. Baqr genießt offenbar bereits einen gewissen Ruf in der Gegend, weil er von einem der bereits anwesenden Gäste (im Studentenalter) begeistert begrüßt wird. Ich nehme also nicht an, dass dieser Ägypter sonderlich streng mit der Religion ist. Und kaum sitzen wir, werden die drei Tische im Hauptraum fertig und wir machen uns dort breit. Den Platz brauchen wir auch, weil kurze Zeit später ein weiteres Dutzend „KIWA“ Partyteilnehmer eintrifft und sich zu uns gesellt. Dann kommt der Chef des Ladens persönlich und die Japaner verhandeln mit ihm das „Warikan“. Dabei handelt es sich um das in Japan übliche System der Kosten- und Materialteilung in Kneipen, wo man nicht nur trinkt, sondern auch was dabei isst. Es wird eine Grenze von 45.000 Yen ausgemacht, das heißt, bis zu dieser Grenze bezahlt jeder einen pauschalen Anteil von 1500 Yen und kann dafür essen und trinken, was immer er oder sie möchte. Wird dieses Limit erreicht, wird abgerechnet und jeder zahlt das, was er darüber hinaus vertilgt, für sich allein, um damit die Leute mit den kleinen Mägen nicht zu sehr zu benachteiligen.
Im Prinzip handelt es sich dabei um die Möglichkeit, zu günstigen Konditionen an ein „Nomitabehôdai“ heranzukommen, das, inklusive alkoholischer Getränke, hier ja 2500 Yen kostet. Auf diese Art und Weise habe ich 1500 Yen gezahlt und trotzdem einen vollen Bauch mit nach Hause getragen, aber das kommt ja erst später. Die Kostenteilung schließt auch die Teilung der Bestellungen mit ein. Das bedeutet, dass die Getränke zwar individuell geliefert werden, aber das Essen wird in die Mitte des Tischs gestellt und jeder nimmt sich was davon. Es werden ganz automatisch kleine Essschüsseln mit auf den Tisch gestellt, um damit den gewünschten Anteil abgreifen zu können. Ein weiterer Faktor bei der gerechteren Kostenteilung, und ich finde das für die Gemeinschaftsbildung sehr interessant.
Zuerst habe ich SangSu vor mir, Eve rechts neben mir und einen Japaner namens Satoshi links neben mir. Er hat zusammen mit der Chinesin ReiGen den Vorstellungswettbewerb gewonnen, und er ist ein echter Spinner. Oder sagen wir „er ist ungeheuer lebhaft“ und um Fehler in seiner englischen Kommunikation nicht sehr verlegen – eine gute Voraussetzung, weil man durch Fehler lernt und durch schamhaftes Schweigen in Unfähigkeit verbleibt.
Dann, mittlerweile ist mehr als eine Stunde vergangen, werden die Sitzplätze getauscht, um die zu einseitige Gruppenbildung, vor allem unter den Koreanern, aufzubrechen. Ich habe keine große Lust, mich zu bewegen, also rutsche ich ganz einfach ein paar Zentimeter nach rechts, wo bis vor wenigen Augenblicken noch Eve gesessen hat. Jetzt habe ich eine Koreanerin, die auf den Namen SûJin hört, rechts von mir und zwei weitere Koreanerinnen links von mir, deren Namen mir allerdings wieder entfallen sind, weil ich nicht mehr sehr zurechnungsfähig bin und außerdem die Lautstärke ein wenig gestiegen ist. Vor mir sitzen zwei oder drei Japaner aus dem Club, darunter eine junge Frau namens Asahi („Morgensonne“, wie die Brauerei und die Zeitung), die mich angesichts meines steigenden Alkoholpegels immer besorgter anschaut und, wie ich ihr Gesicht interpretiere, offenbar jeden Moment damit rechnet, dass ich gewalttätig werde. Dabei liegt mir auch bei Alkoholgenuss doch nichts ferner – ich bin aufgrund meiner eingeschränkten Aktionsfähigkeit sogar eher noch harmloser als in nüchternem Zustand. Aber meine Sitznachbarn müssen eben auf meine Art die zwei kleinen Flaschen Sake ausbaden (etwa 0,33 l pro Flasche), die ich getrunken habe, und die knappe dritte Flasche, die ich nach dem Sitzplatzwechsel noch trinken werde.
Ich will gar nicht wissen, was für einen Unsinn ich den Koreanerinnen um mich herum erzählt habe und hoffe, dass sie es auch ganz schnell wieder vergessen. Ich erinnere mich in diesem Punkt nicht an viel… zu der jungen Frau links habe ich gesagt, dass ihre Klamotten schrecklich konservativ aussähen (wie aus den Fünfzigern), und dass sie mit ihrer Frisur und der Art und Weise, wie sie ihre Bücher festhalte (vor dem Oberkörper), locker in einem dieser „Peggy Sue“ Filme mitspielen könne, worauf sie entgegnete, dass ihr dieser Stil halt gefalle, wogegen natürlich nichts spricht, aber ich wollte es halt mal gesagt haben. Und ich glaube mich zu erinnern, dass ich SûJin am Ohrläppchen gezogen habe, weil sie eines hat, das nicht am Ohr herabhängt, sondern unterhalb der Ohrmuschel direkt am Kopf festgewachsen ist. Ich glaube, mehr will ich gar nicht wissen, obwohl es über die qualitative Stufe von „Hey! Das blöde Telefon funktioniert ja gar nicht!“ hinausgehen dürfte. Der eine oder andere unter meinen Lesern dürfte wissen, wovon ich rede.
Schließlich ist Satoshi so frei, mir das letzte Viertel meiner Sake-Flasche wegzutrinken, und meint, dass es besser für mich sei. Mir ist sogar bewusst, dass er Recht hat und ich lasse ihn gewähren. Das ist auch der Zeitpunkt, an dem die ausgemachte Obergrenze von 1500 Yen pro Mann erreicht und das Geld eingesammelt wird. Ich kann noch Geld zählen… das ist ja schon mal was wert…
Die Afterparty löst sich weitgehend auf, und manche beschließen, einfach die Kneipe zu wechseln, aber mich zieht es nach Hause, nicht zuletzt, weil ich, wie üblich nach einer solchen Völlerei, einen heftigen und schmerzhaften Schluckauf habe, der mich den ganzen Heimweg über begleiten und erst Ruhe geben wird, wenn ich mich hinlege. Ich bin schlau genug, mein Fahrrad zu schieben… ich wäre kaum in der Lage, das Gleichgewicht zu halten.
Zuhause falle ich gleich in mein Bett und schalte den Wecker aus… ich gehe nicht davon aus, dass ich in der Lage sein würde, auf Weckerkommando aufzustehen… aber immerhin habe ich keine wichtigen Verabredungen am Morgen.
[1] Ich mache darauf aufmerksam, dass es in Japan kein Erdgeschoß gibt. Das „deutsche“ Erdgeschoß ist in Japan der „1. Stock“.