Dienstag, 08.06.2004 – Ein Ein-Mann-Unternehmen
Kondô-sensei hat heute einen gut ernährt aussehenden Mann namens Shibutani zu Gast, der einen länglichen Koffer bei sich trägt. Was für eine Art Boss ist der wohl? Schnell stellt sich heraus, dass er gar kein Unternehmen führt – er ist professioneller Shamisen-Spieler und verdient sich damit seinen Lebensunterhalt; anders als Daijô-sensei, der ja noch ein (überaus gutes) Restaurant führt.
Shibutani-sensei („sensei“ deshalb, weil er Schüler hat und weil Künstler im Allgemeinen so genannt werden) legt uns, wie auch Daijô-sensei vor einigen Monaten, die Geschichte der Shamisen dar, wenn auch weniger detailliert, mit einem kleinen Detailunterschied: Daijô-sensei hatte erzählt, dass die Tsugaru-Shamisen die Shamisen sei, die man solo spiele, während die übrigen nur im Verbund mit anderen Instrumenten bei japanischem Theater oder Konzerten eingesetzt würden. Heute wird uns gesagt, Shamisen werde „mehr und mehr auch solo gespielt“. Was für mich dann heißt, dass die Tsugaru-Shamisen sich immer größerer Beliebtheit erfreut. Es gibt auch nur zwei Sorten: die „Tsugaru-Shamisen“, benannt nach der kleinen Ebene, die sich ab Hirosaki nach Norden bis ans Meer nach Norden erstreckt, und… der Rest. Interessant ist auch, dass die Tsugaru-Shamisen heute gar nicht mehr hier in der Gegend hergestellt werden, sondern von einer Firma in Tokyo.
Shibutani-sensei erzählt weiterhin, dass es heutzutage etwa 40000 Spieler allein in Aomori-ken gebe. Über sein Einkommen sagt er nichts, außer, dass ihm ein Schüler pro Unterrichtsstunde 3000 Yen einbringe, und er habe mehr als 20 davon. Ich frage auch nicht nach seinem Gesamtverdienst. Er weist nur auf den Materialwert seines Instruments hin, dass aus einer Vielzahl von Rohstoffen hergestellt wurde, da wäre zum Beispiel ein spezielles indisches Hartholz für den Stiel (der nicht auf Wasser schwimmen würde), andere Hölzer für den Klangkörper usw. Das einfachste daran dürfte noch die Bespannung aus Katzen- und Hundeleder sein, und die drei Saiten, von denen, wie ich an anderer Stelle bereits sagte, zwei aus Nylon, die dickste der drei Saiten aber aus Seide, bestehen. Seine Shamisen hat einen Wert von umgerechnet etwa 7500 Euro.
Er sagt, er wolle im September ein Lokal in der Nähe des Bahnhofs eröffnen, wo man zum Preis eines gewöhnlichen Getränks dann Shamisen-Musik live hören könne. Leider werde ich dann vermutlich nicht mehr da sein. Außerdem nehme er auch an Wettbewerben teil. Den gesamtjapanischen Wettbewerb hat er bereits fünfmal gewonnen, die letzten drei Male in Folge.
Natürlich spielt er uns auch was vor, und ich finde es sehr beeindruckend. Auch hier zeigen sich gewisse Unterschiede zum verehrten Herrn Daijô: Daijô-sensei spielte locker drauflos, mit einer Leichtigkeit, als mache er nur Fingerübungen. Shibutani-sensei dagegen fängt an zu spielen und macht kurz darauf ein Gesicht, als sei er in Trance verfallen, Augen geschlossen, der Welt entrückt. Aber er spielt verdammt gut. Ich kann nachvollziehen, warum er so erfolgreich ist.
Ich sollte mir eine CD mit entsprechender Musik kaufen, bevor ich nach Europa zurückkehre, sofern ich einen Interpreten finde, der schnelle Stücke spielt, weil ich mit langsamen Schlafliedern nichts anfangen kann. Aber nach dem, was ich bisher gehört habe, muss ich mir wenig Sorgen machen. Shibutani-sensei legt uns die Gebrüder Yoshida ans Herz.
Danach gehe ich ins Center und kümmere mich um meine Post. Das Center ist ziemlich stark bevölkert, also weiche ich in die Bibliothek aus, bis ich dann gegen Neun nach Hause komme. Wir sehen uns eine Episode der neuen Deutsch-Lernsendung an, die bedeutend besser ist, als die letzte. Vor allem sind die Teilnehmer sympathischer. Die „Lerner“ sind ab sofort zwei Männer (wohl Mitte Zwanzig) und die Chaoten-WG wurde gekickt, das heißt, wir sind den alternativen „Siegfried von Waldorf“ los. Was wir aber nicht los sind, ist Prinz Pipo, diese grausam animierte Trickfilmfigur, deren „Abenteuer“ wohl von vorn wiederholt werden. Dabei ist die verwendete Sprache (veraltetes Hochdeutsch möchte ich beinahe sagen) so künstlich! Der ältere japanische Lehrer ist ebenfalls noch dabei, aber der stört mich ja nicht. Der Besuch in Deutschland, natürlich in Berlin, besteht heute aus einem Interview mit einem bekannten deutschen Koch, der meines Wissens auch im Fernsehen auftritt… ich habe nur seinen Namen vergessen. Laafer ist es aber nicht. Seine „Dialektausrutscher“ verraten ihn ziemlich schnell als Hessen.