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Aus dem noch unerforschten Inneren meines Schädels

23. Juni 2024

Mittwoch, 23.06.2004 – Besser unter der Matratze sparen!

Filed under: Japan,My Life,Uni,Zeitgeschehen — 42317 @ 7:00

Ogasawara-sensei lässt uns heute, wie befürchtet, „Shima Uta“ singen, aber es wird nicht ganz so grausig wie die letzte Vorstellung. Sie hat sich während einer Reise nach Tokyo am vergangenen Wochenende die “Single Collection +“ von „The Boom“ gekauft, weil sie die Zeit nicht aufwenden wollte, die „Shima Uta“ Maxi CD zu bestellen. Dr. „Dragon“ Chen möchte sich die Doppel-CD auch gleich ausleihen und ich werde wohl das gleiche tun, sobald er sie wieder zurückgibt. Vielleicht kann man ja auch mit anderen Liedern der Gruppe was anfangen, obwohl ich es eigentlich bezweifle. „Shima Uta“ ist ja nur von „The Boom“ gecovert, und männliche japanische Sänger haben bei mir eine weitaus niedrigere Erfolgsquote als ihre weiblichen Kolleginnen.
Mir fällt immer wieder auf, wie mies J-Pop, japanische Popmusik, eigentlich ist. Natürlich gibt es Lieder, viele sogar, die gut sind, bzw. die mir gefallen, aber das sind prozentual nicht viele. Ich kann auch nicht begründen, warum mir Soundtracks von Anime im Schnitt weit besser gefallen, als das, was in den lokalen Hitparaden so läuft. Bei „Music Station“ (in gewissem Sinne das japanische Gegenstück zu den deutschen Sendungen „Formel Eins“ oder „Hitparade“) rollen sich mir regelmäßig die Zehennägel hoch, also sehe ich mir das lieber nicht mehr an. Was lief da doch letztlich? Ein weibliches Rap-Duo gab da eine Art Mix aus Rap und HipHop zum Besten: „I know, you know, I’m going to za Machi“ (= „… the city“). Das ist mindestens genau so schlimm wie die „deutsche“ Liedzeile „Du bist so sweet wie Candy“, die stammt aus den 60ern, soweit ich weiß.[1]

SangSu referiert in Kondôs Unterricht heute über das japanische Bankensystem, muss aber eingestehen, dass er die Erläuterungen des Autors nicht ganz verstanden hat. Dabei ist das Prinzip nicht schwer zu verstehen. Möglicherweise ist er an Vokabeln gescheitert. Also schwimmt Kondô-sensei ganz in seinem Element und füllt die Lücken meines koreanischen Nachbarn.

Im Prinzip gibt es in Japan Versicherungen und private Banken, die ihr Geld damit verdienen, dass sie für Zinsen Geld an Unternehmen verleihen oder aber für Gewinnbeteiligungen Geld in Unternehmen investieren – mit Ausnahme von kleinen Unternehmen, da man diese in der Regel nicht als kreditwürdig betrachtet. Wegen der im Vergleich zu amerikanischen Banken geringeren Kapitalrücklagen der japanischen Institute ist das Risiko, das Geld nicht wieder zu sehen, für die hiesigen Kreditanstalten zu groß. Wie die kleinen Unternehmen an benötigte Kredite kommen, werde ich später ausführen.

Neben den privaten Kreditinstituten gibt es noch die staatliche Post, die nicht nur Brief- und Paketdienste anbietet, sondern auch Versicherungen und Bankgeschäfte. Allerdings fehlen der Postbank die personellen Kapazitäten, um effektiv mit privaten Unternehmen Geschäfte zu machen, und diese Mittlerrolle übernimmt der japanische Staat. Zum Leidwesen der meist ebenso ahnungslosen wie naiven japanischen Sparer verwendet die Regierung die Sparguthaben als „Ersatzhaushalt“, als zweiten und inoffiziellen Staatshaushalt, was natürlich nicht legal ist, aber in Japan ist grundsätzlich alles erlaubt, wobei man sich nicht erwischen lässt. Die Regierung investiert das Geld der Sparer in (meist vom Staat selbst initiierte) Bauprojekte, wie zum Beispiel den nie endenden Bau auch unnötiger Autobahnstrecken, um die politisch einflussreichen Bauunternehmen zu befriedigen.
Die Übersicht über die Investitionen (und deren Rentabilität) der vergangenen zehn Jahre zeigt deutlich, dass das Geld zum größten Teil in den Sand gesetzt worden ist und dass die Regierung wiederholt auf den offiziellen Staatshaushalt zurückgreifen musste, um das Geld der Sparer ersetzen zu können. Die Fähigkeit der Postbank, Zinsen an die Kunden auszahlen zu können, ist einer immer weiter wachsenden Gefahr ausgesetzt, während man der Öffentlichkeit auch weiterhin erklärt, dass Postbankguthaben absolut sicher seien, weil der Staat (angeblich) nicht Bankrott machen könne.

Zum Thema der Kredite für kleine Unternehmen und Privatleute erzählt Kondô weiter, dass diese häufig auf so genannte „Schwarze Kredite“ angewiesen seien, was keineswegs bedeutet, dass es sich dabei um illegale Finanzgeschäfte, vielleicht mit der Yakuza, handelt (oder handeln muss). Er nennt als populäre Beispiele „Acomu“ und „Promise“. Jedes Kind in Japan kennt diese Firmen aus der eingängigen TV-Werbung und Kondô-sensei wiederholt zu unserem Vergnügen die Melodien, „Ha-ji-mete no A-co-mu“ und „Pu-ro-mi-su“, um unserem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen, obwohl es eigentlich nicht notwendig ist, weil niemand, der einmal eine Werbung für „Acomu“ und „Promise“ gesehen hat, sie jemals wieder vergessen könnte, was a) an den Ohrwurm-Jingles der Firmen und b) an den Models liegt, die in der Werbung auftreten. Dann rechnet er an einem Beispiel vor, wie sich ein solcher Kredit entwickelt, und eigentlich reicht es völlig aus, zu sagen, dass die Zinsraten sich auf einem Level kurz vor 30 % halten. Sein Fazit: „Sollten Sie je einen Kredit brauchen, gehen Sie niemals zu Promise oder Acomu!“

Hugosson stellt uns heute ein Konzept vor, dass man wohl mit „Gesellschaftsverantwortungsbericht“ übersetzen könnte. Es handelt sich jeweils um Schriftstücke von großen Privatunternehmen, die darin hervorheben, welche ihre guten Taten des vergangenen Jahres waren, also welche allgemeinnützigen Projekte oder Fonds oder Stiftungen finanziert wurden und derlei Dinge. Wir sollen für die Stunde übernächste Woche einen solchen Bericht auftreiben und zusammenfassen. Ich bezweifle, dass die Waffen- und Rüstungsindustrie solche Berichte anfertigt, aber ich kann ja mal nachsehen.


[1]   Die beiden Japanerinnen waren die Band HARUCARI, deren Lieder ich eigentlich schätze – allerdings hatten die beiden kurz zuvor ihren Schulabschluss gemacht, waren also nicht mehr an Kleider- und Frisurvorschriften ihrer Schule gebunden, und ich habe sie deshalb schlicht nicht erkannt!

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