Freitag, 11.06.2004 – Trauer in Stein gemeißelt
Kuramata-sensei lässt heute über die Geschichte des Reisanbaus von der Yayoi-Periode (300 v. Chr. bis 300 n. Chr.) bis zu den Hungersnöten der Edo-Zeit (1603 – 1868) referieren. Ein älterer Professor hat das übernommen.
Interessant ist zunächst, dass man in dem Zeitraum für das vierte bis zum neunten nachchristlichen Jahrhundert keinerlei Reisanbau in Nordjapan nachweisen kann. Offenbar hat man damit aufgehört. Die Historiker schreiben das einer Klimaveränderung zu, die ein Absinken der Durchschnittstemperatur zu Folge hatte. Sinkt diese hier oben nur um zwei Grad im Jahresmittel, bleibt von der Reisernte nicht viel übrig.
Während der Edo-Zeit wiederum war Reis aus Tsugaru so beliebt, dass er bis nach Osaka verkauft wurde. Die an Gewinn interessierten Daimyô (Landesfürsten) verstärkten also den Reisanbau, bis jeder nur halbwegs geeignete Zipfel Land mit Reisfeldern bedeckt war. Das brachte einen gewissen Wohlstand, aber natürlich erwies sich die Monokultur aus den bereits angedeuteten Gründen als Fehler.
In der Mitte des 18. Jh. erlebte die Gegend ein ziemlich kühles Jahr und die Ernte erbrachte nur ein schmales Minimum. Etwas Anderes, für Notfälle dieser Art, hatte man nicht gepflanzt. Und wie auch später die britischen Gutsbesitzer mit der irischen Kartoffelernte zögerten die japanischen Landesherren von Tsugaru nicht, auch das bisschen Reis, was vorhanden war, zur persönlichen Bereicherung zu verkaufen. Was folgte, war die wohl verheerendste Hungersnot in der Geschichte Japans, während der mehr als 100.000 Menschen an Unterernährung starben. Es gibt Belege, dass Leichenverzehr und Kannibalismus an der Tagesordnung waren.
Im Süden der Ebene von Tsugaru stehen unzählige Steindenkmäler, die von den Überlebenden zur Ehre der Toten, aber wohl auch als Bitte um Verzeihung, errichtet worden waren. Dabei handelt es sich um die in Japan weit verbreiteten Steinfiguren, aber auch um Steinplatten, in die man ein Memorandum eingemeißelt hat. Etwas in der Art wie „Auf dass wir eine solche Not wie wieder erleben mögen.“
Ogasawara-sensei lässt „Shima Uta“ laufen und den Text heraushören. Ganz fertig werden wir wegen der heutigen Grammatikfülle allerdings nicht. Sie bittet mich, ihr die CD noch ein paar Tage zu überlassen, wogegen ich natürlich nichts einzuwenden habe. Dann überlegt sie es sich aber anders und sagt, dass sie sich die CD eh selbst kaufen werde. Allerdings hat sie vergessen, die CD auch wieder in die Hülle zu tun und bringt sie mir zehn Minuten später im Center vorbei. Ich bearbeite noch meine Post, könnte aber sonst von keinen Abenteuern singen.
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