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Aus dem noch unerforschten Inneren meines Schädels

30. Juni 2024

Mittwoch, 30.06.2004 – Hallo, Vermittlung?

Filed under: Filme,Japan,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

In einem kaum zu kühlenden Lehrsaal beendet SangSu heute seinen Vortrag über das japanische Bankensystem und wieder hält Kondô-sensei die halbe Stunde, weil SangSu verschiedene Details nicht verstanden hat. Dafür erhält er den Auftrag, den nächsten Text für die kommende Stunde ebenfalls vorzubereiten und noch einen themenverwandten Vortrag zu halten.

Mit Hugosson fahren wir in einem Wagen der Universität heute zu einer NPO, „Non-Profit-Organization“, einer Organisation, deren erklärtes Ziel nicht materieller Gewinn ist. Wir erleben auf der Fahrt einen kräftigen Platzregen und sehen amüsiert oder mitleidig den davon überraschten Fahrradfahrern hinterher.
KiJong schreibt währenddessen kleine Nachrichten auf ihrem Telefon und Hugosson fragt sie scherzhaft, ob sie ihrem Ehemann schreibe. Nein, sagt sie, er sei „nur“ ihr Freund. Und dann verliere ich das Interesse an dem Gespräch, weiß also nicht, wie sich die Pointe fünf Minuten später herleitet, als sie sagt, dass ihr Freund Schauspieler sei. Ob er berühmt sei, fragt Hugosson, wieder ohne die Frage sonderlich ernst zu meinen. Schließlich sind Statisten in TV-Serien auch irgendwo Schauspieler, und einige machen diese Hintergrundrollen ja auch professionell. KiJong aber sagt, dass ihr Freund „mehr oder weniger“ berühmt sei. Ja, was bedeutet denn das? Sie sagt, er habe eine der Hauptrollen in dem recht neuen koreanischen Film, der in Japan unter dem Titel „Brotherhood“ in den Kinos laufe, und sie finde es gar nicht gut, wie er mit dem ganzen Schmutz und Schweiß im Gesicht aussehe.
Die Welt kommt mir dabei wieder ziemlich klein vor. Der Werbung nach zu urteilen ist „Brotherhood“ nicht irgendein ostasiatischer Actionstreifen. Aufnahmequalität und die gezeigten Bilder deuten auf einen durchaus ernsthaften Film hin, der sich möglicherweise mit US Produktionen messen kann. Ich wollte ihn schon längst im Kino sehen, aber ich komme nie dazu. Irgendwann wird er aus den Kinos wieder verschwinden, falls er das nicht schon ist, und wenn ich die DVD-Veröffentlichung in Japan verpasse (und der Film in Europa nicht rauskommt), dann werde ich SangSu fragen müssen, ob er mir eine Version aus Korea schicken kann. Ich gehe davon aus, dass DVDs dort deutlich billiger sind, als in Europa und vor allem in Japan.

Das Büro der Organisation, die wir besuchen, befindet sich in einem Gebäude, in dem offenbar viele Nachhilfeschulen untergebracht sind, denn das ganze Haus ist voller Schüler, die mit ihren Blicken ein nicht geringes Interesse an dieser Konzentration von Ausländern bekunden. Die selbst gestellte Aufgabe der NPO ist die Vermittlung von freiwilligen Helfern jeder Art. Es kann jeder in das Büro kommen, wo er oder sie einen Fragebogen ausfüllen und eine Art Vorstellungsgespräch führen muss, der sich als Freiwilliger registrieren lassen möchte. Auf dem Fragebogen gibt man also an, welche Aufgaben man übernehmen möchte und welche lieber nicht, dann natürlich die notwendigsten persönlichen Daten und allgemeine Interessengebiete. Gleichzeitig kann sich auch jeder in diesem Büro melden, der Freiwillige für irgendeine Aufgabe sucht, sei es also Autos mittels eines blinkenden Stabes um eine Baustelle herumleiten oder Kinder hüten. Anhand der erstellten Kartei kann man sich jemanden heraussuchen, der für die Aufgabe am ehesten geeignet erscheint. Der Freiwillige bleibt dabei bis zum letzten Moment anonym.
Wir sitzen in der Sitzecke des Büros, in dem sich etwa ein Dutzend Leute befinden, von denen ebenfalls nur zwei für das, was sie tun, bezahlt werden, nämlich der Büroleiter, der uns erzählt, was hier so läuft, und seine Stellvertreterin, die für die Einstellungsgespräche und für die ganze Kartei zuständig ist. Man könnte sagen, sie trägt die Last der Arbeit und er die Verantwortung – weswegen es Hugosson am liebsten gewesen wäre, wenn sie das Gespräch mit uns geführt hätte. Aber nach dem japanischen „Senpai-Prinzip“ redet grundsätzlich der, der eine längere Firmenlaufbahn hinter sich hat. Und wenn die Arbeitserfahrung gleich ist, wird automatisch der Mann zum Repräsentanten. Der Chef redet also, während seine Stellvertreterin eher wie schmückendes Beiwerk daneben sitzt und hin und wieder zustimmend nickt. Ich glaube, sie hat während der Stunde einen einzigen zusammenhängenden Satz geredet. Andererseits trägt sie wie gesagt ja auch die Arbeitslast, was sich darin äußerte, dass sie sich wegen ankommender Klienten zweimal kurz entschuldigen musste.
Die NPO veröffentlicht übrigens eine eigene Zeitung, die alle zwei Monate erscheint. Ich bestätige, die Zeitung in der Zeitschriftenecke der Studentenhalle in der Universität schon einmal gesehen zu haben, aber an meine Haustür werde sie, anders als dargestellt, nicht geliefert. Das sei ganz klar, sagt der Chef, die Zeitung werde nur an Mitglieder der Nachbarschaftsorganisationen ausgeteilt, und normalerweise werden Austauschstudenten nicht mit einer Mitgliedschaft belästigt, da sie nur über einen begrenzten Zeitraum im Land bleiben.

Hugosson möchte, dass wir einen kurzen Bericht über den Besuch schreiben und erinnert mich daran, dass ich die Mail, die nur der Kontaktaufnahme dienen sollte, immer noch nicht geschrieben habe. Ich hole das gleich nach unserer Rückkehr nach. Ich gehe in die Bibliothek, aber da ist kein Durchkommen, also schreibe ich die Mail vom Center aus. Warum wir den Bericht schreiben sollen, ist mir nicht wirklich klar, denn eigentlich handelt es sich dabei um eine Aufgabe für den Englischunterricht in der Mittelstufe. Aber gut, wenn er denn möchte. Mehr als eine halbe Seite gibt es darüber nicht zu schreiben, wenn man sich auf die nackten Fakten beschränkt. Ich füge noch eine persönliche Meinung über den Ablauf des Ganzen hinzu, um etwas mehr Raum auf dem Papier zu füllen und vergrößere den Zeilenabstand auf 1,5.

Dann gehe ich ins Ito Yôkadô und hole die CD von Orikasa Fumiko ab. Es handelt sich in der Tat um ein volles Album für 3000 Yen, aber das stört mich wenig, vor allem, nachdem ich sie mir angehört habe. Fumiko gibt keinen 08/15 J-Pop zum Besten, sondern schöne, ruhige Musik, und bis auf ein oder zwei Songs, die nach einer Weile langweilig werden, kann man sich alle auch öfters mal anhören. Vielleicht handelt es sich dabei nicht gerade um partytaugliche Musik, aber als Hintergrundmusik für ein gemütliches Essen kann sie allemal herhalten.

Meine Bonuskarte der „Shinseidô“ CD Abteilung ist jetzt voll, das bedeutet, ich habe 2000 Yen „Dankguthaben“ dafür erhalten, für 40.000 Yen CDs gekauft zu haben, umgerechnet etwa 300 E. Ich überlege mir, was ich mit den 2000 Yen anfangen könnte und frage nach einer CD der „Drifters“, deren „Bibanon Ondo“ mir sehr gut gefallen hat. Allerdings gibt es von der Gruppe nur zwei Sammelalben, zwei Doppel-CDs, für jeweils 3900 Yen. Ich denke, dass ich mir erst Samples von der Seite des Vertriebs herunterladen will, bevor ich mich zu einem Kauf entscheide. Oder aber ich bemühe den Verleih… auf jeden Fall vertage ich die Entscheidung über mein „Dankguthaben“.

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