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Aus dem noch unerforschten Inneren meines Schädels

30. November 2006

Beitrag, für den mir kein toller Titel eingefallen ist

Filed under: Japan — 42317 @ 17:13

Vor einigen Tagen habe ich mit zwei Japanerinnen zu Abend gespeist, aber darin lag nicht der Selbstzweck des Abends. Die beiden studieren Geschichte, was mir ungewöhnlich für Frauen erscheint (nein, ich habe keine repräsentative Umfrage zur Hand), und ungewöhnlich für Japaner, und das vor allem dann, wenn sie sich auch noch als radikal kritisch zeigen – zumindest, was japanische Geschichte angeht. Japanern ist ihre jüngere Vergangenheit ja zumeist völlig unbekannt.

Kayo habe ich gleich zu Beginn ihres Aufenthaltes in Trier kennen gelernt, und der grobe Verlauf unserer damaligen Unterhaltung erschien mir recht typisch japanisch.
Kayo heißt mit Familiennamen “Nogi”. In ihrem Falle setzt sich das zusammen aus “Feld” und “Baum”. Nun gibt es in der neuzeitlichen japanischen Geschichte einen General des Heeres, der sich zwar anders schreibt, dessen Name aber ebenfalls “Nogi” gelesen wird, und ich erwähnte diesen ihr gegenüber. Sie machte ein ganz zerknittertes Gesicht und sagte, sie möge diese Person nicht, weil er Kamikaze Angriffe befohlen habe.

Nee, nee, muss ich da einwenden, General Nogi hatte im Russo-Japanischen Krieg anno 1904-05 ein Kommando (und führte seine Truppe bis zum Baikalsee) und folgte seinem Kaiser anno 1912 durch Freitod ins Grab – das alles, bevor Flugzeuge in Konflikten eine Rolle spielten. Und “erfunden” wurden die Kamikaze (eigentlich “Tokubetsu Kôgeki-tai”, kurz “Tokkôtai”, “besondere Angriffseinheit”, freier übersetzt “Sonderkampfstaffel”) von einem Vizeadmiral (?) namens Onishi anno 1944.
Peinlich berührt vergrub sie den Kopf in ihren Händen und jammerte: “Dabei studiere ich doch Geschichte…” 🙂 Das Ereignis bestärkte mich jedenfalls in meiner Meinung über das japanische Bewusstsein moderner Geschichte.

Sie war sogar so peinlich berührt, dass sie mir in den folgenden Monaten – augenscheinlich zumindest – aus dem Weg ging. Aber nun war sie drauf und dran, mit Kaori zusammen ein Referat an der hiesigen Fakultät für Geschichte zu halten, wo sie eingeschrieben ist, und bat mich, ihre Notizen aus Radebrech ins Deutsche zu übersetzen.

Wir setzten uns also zusammen und gingen das Referat durch, dessen Inhalt mich doch überraschte. Die beiden sprachen da ganz offen über japanische Kriegsverbrechen im Felde und im Hinterland, Menschenversuche in der Mandschurei, “Deals” mit den Amerikanern, die einigen Klasse-A-Kriegsverbrechern den Strang ersparte, und die Rolle des Shôwa Tennô bei der ganzen Sache, der ungeschoren davon gekommen ist.

Ich will jetzt nicht die historischen Begebenheiten aufrollen, es geht mir nur um den Ausdruck meiner (angenehmen) Überraschung, auf Japanerinnen gestoßen zu sein, die ganz klar sagen “Der Tennô war als Entscheidungsträger an Verbrechen beteiligt und hätte ebenso belangt werden müssen wie z.B. Premierminister Tôjô”. Die beiden sagten zwar nicht “Kaiser Hirohito hätte hängen müssen!”, aber darauf wäre die Angelegenheit ja hinausgelaufen, hätte man ernsthaft gegen ihn ermittelt – stattdessen ließ man ihn in Frieden ziehen, weil man davon ausging, dass das Land durch eine solche Maßnahme ins Chaos gestürzt werde. Unruhen hätten zweifellos einer kommunistischen Unterwanderung Vorschub geleistet, und der ultrarechtskonservative General MacArthur hatte daran nun überhaupt kein Interesse. Auch den will ich nicht auswalzen, obwohl ich könnte, da es zu MacArthurs Rolle bei der fehlgeschlagenen vollständigen Demokratisierung Japans genügend Literatur gibt.

Kurzum: Ich war platt. Ich sollte Kayo anhalten, auf der akademischen Laufbahn zu bleiben und wilde Bücher gegen japanische Geschichtsbeschönigung zu schreiben.

Eine Antwort zu “Beitrag, für den mir kein toller Titel eingefallen ist”

  1. DirtyFinger sagt:

    ob die in trier studieren weil dort das klima besser ist als in japan ? 🙂

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