Code Alpha

Aus dem noch unerforschten Inneren meines Schädels

11. November 2023

Dienstag, 11.11.2003 – Veteran’s Day vs. Kölsche Jecken

Filed under: Japan,My Life — 42317 @ 12:01

… aber das soll nur das Datum unterstreichen. Hat nichts mit dem Inhalt dieses Kapitels zu tun.
Wir schreiben also das Jahr 85 nach der ersten deutschen Niederlage gegen eine Weltkoalition.

Es ist heute ebenso kalt wie gestern Abend, und ich bin für meine Jacke dankbar. Allerdings hat sie alte Flecken, weil Schmutz im Regenwasser sie verfärbt hat, und am rechten Ärmel fehlt der Knopf, sodass der Ärmel immer offen bleibt. Eigentlich sehe ich damit aus, als hätte ich die Jacke in der Altkleidersammlung gefunden. Ich muss bald eine neue kaufen. Auch habe ich noch keine Handschuhe, das heißt, meine Hände werden während des Radfahrens völlig gefühllos. Das kann ich direkt nach dem Unterricht abstellen. Handschuhe gibt es auch im 100-Yen-Laden.

Die Klassenräume sind im Gegenzug dermaßen geheizt, als sei dies eine Sauna und keine Universität. Dieser krasse Temperaturwechsel muss zu Erkältungen führen. Tanja dreht die Heizung runter, ich mache das Fenster auf. Die meisten Leute in meiner Umgebung husten, schniefen, und niesen bereits.

Und das Wetter wird immer besser: Nach dem Unterricht ist es immer noch kalt, aber jetzt regnet es auch noch eiskalten Regen! Das untergräbt meinen Plan, sofort nach dem Unterricht Kerosin zu kaufen, ganz gewaltig. Vielleicht stellt sich an dieser Stelle jemand die Frage, warum man in Japan mit Flugbenzin und nicht mit Heizöl heizt? Die Frage löst sich ganz pragmatisch: Weil Heizöl Steuern kostet und Kerosin nicht. Deshalb kostet ein Liter Diesel um die 80, Kerosin aber nur 37 Yen. Und die Öfen sind schon auf Kerosin ausgelegt – da hat nicht erst eine Mehrheit der Benutzer durch die „falsche“ Befüllung der Öfen entschieden, auf die günstigere Alternative umzusteigen…

Also einkaufen gehen will ich vorerst nicht. Aber ich treffe auch Kasai Kazu, die vorhat, im kommenden Oktober nach Trier zu gehen. Ich habe sie bereits während einer Unterredung mit Prof. Fuhrt getroffen. Sie hadert derzeit noch sehr mit der deutschen Grammatik und macht sich noch mehr Sorgen darüber, wie sie mit 600 E im Monat überleben soll. Ich sage ihr, dass das in Deutschland wegen der niedrigeren Verbraucherpreise durchaus möglich ist, aber ich glaube auch, dass das Leben für Frauen aus verschiedenen Gründen teurer ist. Das Gespräch kostet mich den größten Teil meiner Konzentration für den Tag. Ich fühle mich wie ausgenommener Fisch, der zum Trocknen aufgehängt wird.

Philips sieht etwa so aus, wie es in meinem Kopf gerade zugeht, nämlich etwas derangiert. Der rechte Bügel seiner Brille ist abgebrochen. Ich habe mich die ganze Zeit bereits gefragt, warum sein Gesicht so schief aussieht. Das liegt daran, dass seine Brille irgendwie quer über sein Gesicht hängt…

Am Nachmittag regnet es nicht mehr, ich kann also Öl kaufen. Ich gehe in einen Laden, wo es vornehmlich Salz und Öl zu kaufen gibt, und der nur zwei Minuten von meiner Haustür weg liegt, direkt gegenüber vom Sunday Home Center. Ich kann diesen Laden wärmstens empfehlen. Sollten im Verlauf des Verkaufsgespräches Vokabelprobleme auftreten, muss man nicht weiter frieren. Der Besitzer, schätzungsweise 60 Jahre alt, spricht genügend Englisch – zumindest genug, um Öl verkaufen zu können.

Ein leerer 20-Liter-Kanister Öl kostet 650 Yen, die Füllung dafür kostet 900 Yen. Was kostet Heizöl in Deutschland gleich? Ich glaube, 4000 Liter kosten etwa 1900 E – hier kosten mich 4000 Liter umgerechnet etwa 1350 E. Aber zurück zu meinem Verkäufer. Er fragt mich, ob ich nicht lieber einen kleineren Kanister haben möchte, wegen des Gewichtes. Ah so, ja, wie viel kleiner ist der kleinere Kanister (Tank) denn? Der kleine Kanister fasse 18 Liter, sagt er. Ich runzele die Stirn. Das ist ja nun nicht der ultimative Unterschied. Wie viel wiegen den 20 Liter Kerosin (Tôyû)? Er nimmt einen Taschenrechner zur Hand und berechnet ein Gewicht von 14,4 kg. Das ist alles? Und darüber soll ich mir Sorgen machen?

Ich sage ihm, das sei schon in Ordnung, ich hätte es ja nicht weit. Also gut, er füllt den Kanister draußen auf und trägt ihn dann mit beiden Händen in den Laden, von der Last gebeugt. Ich nehme den Kanister auf und hebe ihn am gestreckten Arm hoch. Ach, das ist wirklich nicht so schwer. Er sieht mich etwas fassungslos an, freut sich aber offenbar über die Showeinlage. Wo ich denn herkäme. Ja, aus Deutschland. Oh, ah, wirklich? Vielen Dank kann er sagen. Ich beglückwünsche ihn.

Zuhause stelle ich fest, dass ich noch eine Art Pumpe brauche, um das Öl aus dem Kanister in den Tank des Ofens zu bringen. Ich gehe in den 100-Yen-Laden und frage nach so was. Die sind leider gerade ausverkauft. Aber ich bekomme solche Pumpen doch sicher auch bei Sunday? Ja, natürlich… aber da kosten die bestimmt 200 Yen! Ein Unterschied von umgerechnet 75 Cent… ich setze mich also auf mein Fahrrad und fahre die 100 Meter bis zum Sunday. Die Pumpen hängen gleich am Eingang. 98 Yen: Traue niemals einem 100-Yen-Laden! Dort wird generell einiges verkauft, was man sonst wo für weniger Geld kaufen kann. Zum Beispiel gibt es in dem Laden 300 Gramm Salz für 100 Yen. Im BenyMart gibt es ein Kilo Meersalz für 85 Yen. Das ist doch sehr deutlich, denke ich. Aber der Vorteil des 100-Yen-Ladens ist, dass man die günstigsten Waren nicht erst im Gesamtangebot suchen muss, weil alles das gleiche Geld kostet.

Die Pumpe besteht aus einem knapp faustgroßen flexiblen Plastikkopf, aus dem zwei etwa 50 cm lange Röhren herausragen und verwendet ein simples Klappensystem. Man drückt das Kopfstück zusammen, die Luft entweicht durch die Auslassröhre. Wenn man den Kopf wieder loslässt, zieht er durch seine Rückstellbewegung durch das Ansaugrohr das Öl aus dem Kanister, sammelt es in seinem Inneren und befördert es in den Öltank des Ofens, wenn man ihn weiter zusammenpresst. Klappen in den Röhren verhindern jeweils, dass der Materialtransport in die falsche Richtung läuft. Den vollen Tank fasst man dann an seinem Henkel und versenkt ihn in der dafür vorgesehenen Einraste im Ofen selbst. Das Heizsystem nimmt sich dann, was es braucht. Den Kanister lasse ich wegen der Geruchsbelästigung vor der Tür stehen, und die kleine Pumpe gleich dazu. Pak und Jû werden wohl kaum mein Öl klauen und die Pumpe hat nicht die Welt gekostet. Ich überlege auch, den Kanister auf den Balkon zu stellen, aber ich befürchte, dass der Kanister (aus Plastik) durch die Witterung vielleicht Schaden nimmt.

Bevor es dunkel wird, schwinge ich mich noch einmal auf mein Fahrrad und fahre zur Seiai-Oberschule, um mir ein Bild davon zu machen, wo sie überhaupt liegt. Kudô-san hat mir zur Orientierung eine Karte gegeben und ich finde die Schule sehr schnell. Die Angabe „10-15 Minuten mit dem Fahrrad” war allerdings ein wenig übervorsichtig. Wenn ich gemütlich fahre, brauche ich etwas mehr als fünf Minuten, vielleicht sieben. Jetzt ist mir auch klar, wo dieser Strom von Schülern hinführt, der täglich an meiner Straße vorbeirauscht. Allerdings habe ich über meinen kleinen Ausflug vergessen, was zu trinken zu kaufen. Bis ich was kaufen kann, dauert es bis morgen Mittag. Aber was soll’s. Es gibt ja noch Wasser.

Der Test des Ofens läuft ganz hervorragend. Erst einmal verbrennt der ganze Staub, der sich auf den jetzt heißen Flächen abgesetzt hatte. Dieser Geruch ist nicht ganz so toll, aber es geht vorbei. Aber vor allem riecht der Ofen nicht nach Öl, wie ich befürchtet habe, und das ist schon einmal ganz hervorragend.

Die Heizung bietet ein paar bequeme Optionen: Der Ofen brennt nicht einfach vor sich hin, wie Ölöfen in Deutschland den Eindruck machen (oder machten). Ich erinnere mich auch mit wenig Freude an die Ölöfen in meiner Vergangenheit, wo in jedem Zimmer ein an den Haupttank angeschlossener Ofen stand, in dem einfach eine nicht weiter abgeschirmte, stinkende Öllache brannte.

Unser Modell hier in Japan hat z.B. ein Thermometer, das die Lufttemperatur misst und man kann einstellen, bei wie viel Grad Celsius man die Wohnung haben möchte. Ich stelle 20 Grad ein. Der Ofen heizt daraufhin auf 22 Grad und schaltet dann ab. Sinkt die Temperatur auf unter 19 Grad, schaltet er sich wieder ein und verteilt die erhitzte Luft mit Hilfe eines eingebauten Ventilators im Raum. Man kann einen O-yasumi-Timer einstellen, der den Ofen nach einer bestimmten Zeit abschaltet, wenn man ins Bett geht, man kann hier wählen zwischen 30, 60 und 90 Minuten nach Aktivierung. Es handelt sich also um das gleiche Prinzip wie die SleepTimer Funktion eines modernen Fernsehgerätes.

Zuletzt gibt es den Ohayô Timer. Man gibt die Zeit ein, zu der man am Morgen den Raum betreten wird und der Ofen beginnt 10 Minuten zuvor mit dem Heizen. Und das ist morgens sehr, sehr entspannend, wenn man halbnackt aus der warmen Decke hervorkommt und man sich nicht bereits auf dem Weg zur Dusche wertvolle Körperteile abzufrieren droht. Aber vor allem ist es besser für meine Gelenke. Wenn sie zu kalt sind, schmerzen meine Ellbogengelenke, und das möchte ich vermeiden. Und Melanie friert sowieso den ganzen Tag, unabhängig von der Raumtemperatur… Ich stelle den Guten Morgen Timer also auf 0655, damit um es Sieben warm ist.

Ich freue mich sehr darauf, morgen zur Seiai zu fahren. Ich weiß nicht genau warum, aber ich bin sicher, dass es Spaß machen wird.