Donnerstag, 06.11.2003 – Die Straße gehört mir (?)
Das Ryûgakusei Center ist heute… aus irgendeinem Grund geschlossen. Also muss ich für das Schreiben meiner Post auf die Bibliothek ausweichen. Die Rechner dort sind mir auch viel sympathischer. Windows 2000 Professional ist mir von der Uni Trier vertraut, die Maschinen haben mehr als ein Gigahertz Frequenzleistung, sie fahren schnell hoch, haben keine unnötigen Sachen wie die ganzen Downloadprogramme und Chat-Anwendungen drauf, wie man sie im Center findet, sie laufen stabil. Der Nachteil gegenüber Trier wiederum ist, dass man den Desktop nicht individuell gestalten kann, die Einstellungen werden immer wieder gelöscht. Und in der Programmleiste verbleiben die Shortcuts ebenfalls nicht. Aber damit kann ich leben.
Interessanterweise kann man das Musikprogramm WinAmp installieren. Ich entdecke zwar Windows Media Player, Quicktime und Real Player vorinstalliert, aber ich finde das Internet-Radio-Angebot dieser Programme entweder etwas mager oder unverständlich, das heißt, ich komme mit der Einrichtung nicht klar. Also lieber WinAmp, damit kenne ich mich aus. Ich habe mal einen Kanal für Klassische Musik, einen für 80er Popmusik, einen für Trance, einen für Rock und zwei für Heavy Metal in die Playlist getan. Das deckt meinen ersten Bedarf ab. Alles Weitere kann ich später noch finden.
Aber meine Kamera ist immer noch voll. Ich hatte noch keine Gelegenheit, die Bilder zu übertragen. Entweder war die eine Maschine, die ich benutzen muss, belegt, oder aber das Center war geschlossen. Hoffentlich läuft mir bis dahin nichts vor die Linse, was ich vermissen würde, wenn ich es nicht fotografieren kann.1
Der Unterricht zum Thema Kulturgeschichte von Tsugaru fällt ebenfalls aus, also habe ich viel Zeit. Am heutigen Tag schreibe ich drei Berichte auf einmal. Leider dauert das ein paar Minuten länger als geschätzt. Um 15:10 bin ich fertig, jetzt hat die Michinoku Bank geschlossen, und ich habe meine Miete nicht wie geplant einzahlen können. Aber – keine Panik! – die Miete ist auch erst am Ende des Monats fällig. Ich möchte mich nur darum bemühen, das Geld so schnell wie möglich loszuwerden…
Nachdem ich auch mit meiner Post fertig bin, fahre ich in Richtung Stadtmitte, zum Naisu Dô. Dort kaufe ich endlich das Artbook der Anime-Serie „Cutey Honey“, das ich bereits vor einigen Tagen ins Auge gefasst hatte. Es ist relativ dünn, kostet aber 2000 Yen. Aber ein Original aus dem Jahr 1981 ist mir das wert. Auch wenn der Preis damals gerade mal 580 Yen war. 23 Jahre sind doch nicht schlecht für ein solches Buch.
Ich finde bei der Gelegenheit auch noch verschiedene andere Dinge, die mich interessieren, darunter auch Artbooks der Serien „Galaxy Express“, „Queen Millenia“ („Königin der Tausend Jahre“) und „Queen Emeraldas“. Und die haben zum Teil auch bereits ein gesegnetes Alter. Für ebenfalls 2000 Yen pro Stück. Damit will ich aber warten, bis das nächste Geld bei mir ankommt. Ich habe eine „eigene Ecke“ im Regal2 eingerichtet… ich muss also in zwei, drei Wochen nur noch in den Laden gehen und ins Regal greifen, um alles in der Hand zu haben, was ich brauche. Dreimal zwanzig Minuten lang suchen ist mir lieber als einmal eine Stunde lang das Regal zu durchsuchen. Hinterher tun mir immer Knie und Rücken weh, weil ich ja von der Höhe des Fußbodens aus bis auf über zwei Meter Höhe meine „Fühler“ ausstrecken muss.
Auf dem Weg nach Hause, es ist immer noch hell, fahre ich beinahe in eines dieser Familien-Großraumautos hinein. Der Streckenabschnitt ist leicht abschüssig, und 30 km/h bin ich bestimmt gefahren, als vor mir dieser Wagen auf einen Parkplatz einbiegt. Der Fahrer hat meine Geschwindigkeit wohl etwas unterschätzt oder sich erst gar nicht darum bemüht, einen Blick in meine Richtung zu werfen.
Die Bremsen beweisen, dass sie gut sind. Zehn Zentimeter vor der Beifahrertür kommt das Vorderrad zum stehen. Der Wagen fährt weiter auf den Parkplatz, mein Hinterrad hebt sich in die Höhe, und weil ich nicht auf der Straße einen Salto schlagen will, springe ich einen halben Meter nach vorne, also dahin, wo vor einer halben Sekunde noch das Auto im Weg war. Der Fahrer kümmert sich in keiner Weise um den Beinahe-Vorfall. Ich hole einmal tief Luft, um den kurzen Schrecken loszuwerden und fahre weiter. Ich sehe mich nicht genötigt, mit einem japanischen Autofahrer zu diskutieren. Dafür fehlen mir das Vokabular und die Nerven.
Zuhause stelle ich fest, dass Melanie nicht da ist. Eigentlich wollte sie doch Hausaufgaben machen? Dafür sieht der Schreibtisch aus wie die Miniausgabe des Schlachtfelds von Sewastopol – voll mit Krempel, den man zum Verpacken von niedlich aussehenden Paketen (Melanie-Stil) offenbar so braucht. Und das, was auf dem Schreibtisch keinen Platz mehr findet, liegt auf dem Boden. Aha. Aber wozu aufregen? Ich mache eine Flasche Boco auf und sehe mir „Hamtarô“ an. Auf Japanisch kommt das gleich viel besser. Ist allerdings immer noch zu kindisch. Und (Aber?) dieses Titellied ist ein extremer Ohrwurm. Man bekommt die Melodie nicht mehr aus dem Kopf, tagelang übrigens. Bereits zuhause hatte ich mir das Lied aus dem Internet besorgt, aber bei dem, was jetzt läuft, handelt es sich um eine Art Remix. Das alte Titellied wurde mit ein paar Dancefloor-Rhythmen aufgepeppt und landet noch viel besser in der „Zwischenablage“ hinter dem Trommelfell. Ich glaube, sogar das Schlusslied von „Atashi’n’chi“ steht dahinter zurück.
Unser erster, in Japan gekaufter Sack Reis geht heute zu Ende. In einem Monat braucht man pro Person also etwa fünf Kilo. Natürlich würde der Reis länger halten, wenn wir morgens nichts davon essen würden, aber man gewöhnt sich schnell daran, am Morgen etwas Warmes zu essen. Vor allem, wenn es Reis ist. Wenn ich zuhause in Deutschland morgens etwas gegessen habe, war mir nachher erst einmal schlecht. Nicht so richtig speiübel, aber mir war nicht gut, bis etwa zur Mittagszeit. Reis dagegen ist sehr bekömmlich, stelle ich fest, und leicht verdaulich. Ich habe bereits erwähnt, dass man zwei Stunden, nachdem man sich damit vollgegessen hat, schon nicht mehr viel davon spürt.
Die Reispreise hier im Beny-Mart beginnen bei 2800 Yen (ca. 21 E). Der teuerste Sack, den ich bisher gesehen habe, kostet 5300 Yen (ca. 40 E). Ich erinnere daran, dass hier von 10-Kilo-Säcken die Rede ist, nicht von den günstigen 22,5-Kilo-Säcken für 17 E, mit denen ich bisher „gearbeitet“ habe, dank der freundlichen Unterstützung der Familie Hary und ihrem Asia Laden in Saarbrücken. Und der billige Reis, den ich in Deutschland bekommen habe, war „nur“ Bruchreis. Der Bruchreis ist zwar gut, hält aber keinem Vergleich mit dem japanischen Produkt stand. Trotzdem möchte ich hinzufügen, auch wenn ich mich wiederhole, dass Basmati der bisher beste Reis war, den ich gegessen habe. Japanischer Reis kommt nur auf Rang Zwei.
In der Heimat werde ich mir einen Reiskocher zulegen. Der Reis wird einfach um Klassen besser in einem „Suihanki“ (Reiskocher). Es werden in Deutschland auch Varianten verkauft, wo man den Reis auf der Herdplatte in einem normalen Topf „ankocht“ und dann den Topf in ein wärmeisoliertes Styroporgefäß stellt, wo dann der Rest des Wassers den Reis so schonend garen soll. Meine Großmutter hat eine solche Vorrichtung (leider) gekauft. Vergesst diesen Schrott, kauft Euch einen echten Reiskocher. Ich werde es auch tun.
Und weil Reis sich so gut verdaut, könnte ich den ganzen Tag Reis essen, von früh bis spät. Ein Pott leer – den nächsten gleich aufgesetzt. Und man braucht nichts groß dazu, ich esse den Reis einfach mit Sojasoße, mit Furikake (getrockneter Geschmack aus der Tüte zum Überstreuen) und/oder mit Nori-Blättern, nach denen ich mich dieser Tage verzehre… im wahrsten Sinne des Wortes. Beinahe jedenfalls.
Heute ist Donnerstag, da läuft „TRICK“ im Fernsehen. Ich genieße die Serie jedes Mal aufs Neue.
Was „TRICK“ auf jeden Fall hat, ist das „Scooby-Doo-Kernelement“, das da besagt, dass hinter allen mysteriösen Geschehnissen immer ein logisch erklärbarer Trick steckt. Kurz gesagt, ging es diesmal um eine Dame um die 40, die ein Museum um eine alte Statue erleichtern will. Sie verschwindet, indem sie mit ihrem Fächer einen „Schlitz“ („Suritto“ = engl. „Slit“) in die Luft malt und hineinsteigt. Sie sagt, auf diese Art und Weise blitzschnell an anderen Orten wieder erscheinen zu können, indem sie sich dieser „Warp-Möglichkeit“ bedient. Es kommt dann heraus, dass sie Spiegelfolie aufhängt und dahinter ein Drehrad mit irren Farben aufstellt, damit der Schlitz auch magisch aussieht. Sie war vor 20 Jahren eine bekannte Sprinterin gewesen und nutzt den Überraschungseffekt (ihres Verschwindens) aus, um zu dem Ort zu rennen, an dem sie „erscheinen“ möchte, möglichst mit Zeugen. Der von ihr verwendete Begriff „Schlitz“ ist übrigens auch eine Anspielung auf ihr Kleid, das ebenfalls einen solchen hat. Sie nutzt jede Gelegenheit, um so ihr Bein zu zeigen, sehr zur Freude der männlichen Charaktere, die so gebannt sind, dass sie alles andere vergessen… außerdem lacht sie auf eine Art und Weise, wie man es aus verschiedenen Anime kennt. Nicht ganz Naga, aber immerhin. (Insidergespräche, ich weiß…) Natürlich ist das alles etwas irrsinnig. Es kann ja nicht sein, dass sie nicht damit gerechnet hat, dass einer der Zeugen zum Ort ihres „Verschwindens“ laufen könnte, um nachzusehen. Die Stellwände für die Spiegelfolie und das neonfarbene Rad dahinter wären jedem Trottel sofort aufgefallen.
Interessant ist übrigens auch, dass die Serie sich ein wenig über Absolventen der Tôdai (der Tokyo Universität) lustig macht. Ueda und Yamada sehen sich immer wieder verfolgt von einem Inspektor der Polizei. Dessen Assistent ist ein solcher Tôdai-Absolvent. Das erwähnt er auch bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit (vor allem, wenn er sich jemandem vorstellt) und macht sich dementsprechend „beliebt“. Er wirkt eigentlich wie ein Clown. Der „funny Sidekick“. Das deckt sich ein wenig mit einer Aussage von Professor Vesterhoven, der irgendwann in den vergangenen drei Wochen am Rande einmal erwähnt hat, dass Absolventen der Tôdai nicht mehr so beliebt bei Arbeitgebern seien wie früher. Das hinge nicht damit zusammen, dass Japans elitärste Universität an Qualität verloren habe, sondern damit, dass sich ihre Absolventen für die besten und schönsten und klügsten Söhne und Töchter der Sonne auf dem Erdball hielten.
Und natürlich sollte man im Anschluss nicht „Manhattan Love Story“ verpassen… 🙂
1 Es handelte sich um eine „billige“ Kamera für 160 Euro, die schon nach damaligen Verhältnissen sehr durchschnittlich war. Der interne Speicher umfasste ganze 16 MB, das reichte für 24 Bilder im Format 1024 x 768. Der Vorteil gegenüber einer analogen Kamera war, dass man Bilder löschen und noch einmal aufnehmen konnte.
2 Im Regal des Ladens, muss ich betonen, auf einer Höhe oberhalb des Blickfelds.