Dienstag, 25.11.2003 – Next Generation
Am späten Vormittag fahre ich in die Stadt, weil ich was einkaufen will. Ich brauche neue Socken, um genau zu sein, und nach einer Winterjacke könnte ich mich auch umsehen. Und wenn ich schon dabei bin, kann ich auch die eine oder andere CD-Abteilung in Augenschein nehmen. Für meine Tour nutze ich die Pause zwischen der ersten und der dritten Unterrichtseinheit. Und natürlich regnet es wieder – wie könnte es anders sein – aber nicht sehr stark. Ich sehe mir im Ito Yôkadô alle CDs an, die ich ungehört zu kaufen bereit bin, also den „Sakura Taisen“ Soundtrack, „Fuwari“ und „Bertemu“ von Hayashibara Megumi, „Stop and Go“ von Ogata Megumi… insgesamt 19.000 Yen (ca. 145 E)… wuah, ich glaube, mir schwinden die Sinne… dann behalte ich doch erst mal meinen Plan mit der Schuluniform im Auge und kaufe vielleicht nur den „Sakura Taisen“ OST, nächsten oder übernächsten Monat, danach alles andere Stück für Stück…
Weil mich gerade die Blase drückt, gehe ich zur Toilette. Die in diesem Stockwerk wird gerade geputzt, also gehe ich ein Stockwerk nach oben. Was ich hier finde, ist ein „Washlet“ (eine Kombination aus „Waschen“ und „Toilette“ offenbar) das mehr Optionen bietet, als das Exemplar in der Uni. Das Ding hier hat einen Richtstrahl, jeweils eine Sprinkleranlage für den männlichen und den weiblichen Bedarf – und einen Fön. Den will ich doch gleich ausprobieren… hm… es dauert auf diese Art und Weise mehr als fünf Minuten, bis der Allerwerteste wieder trocken ist, und so lange will ich auch nicht auf der Toilette herumsitzen. Dann bleibe ich lieber beim Papier.
Ich fahre auch zum Bahnhof, weil es da noch weitere Läden gibt. Allerdings finde ich gerade keinen passenden Abstellplatz für mein Fahrrad, also vergesse ich das wieder. Zum Unterricht von Phillips bin ich also problemlos wieder zurück. Und seine Brille ist immer noch kaputt. Ich mag schon gar nicht mehr groß darüber nachdenken. Arm kann er nicht sein, also muss er entweder verwirrt oder von seinem derangierten Zustand reichlich unberührt sein. Ich bleibe bei letzterem.
Heute erfahre ich von ihm, dass buddhistische Priester (zumindest in Japan) oftmals verheiratet sind und dass er sich schon hin und wieder zusammen mit einem solchen einen Rausch angetrunken hat. Obwohl doch die buddhistischen Vorschriften sagen, dass berauschende Getränke verboten und dass Liebe und Ehepartner weltliche Fesseln seien, die es abzustreifen oder erst gar nicht anzulegen gelte. Sind das nicht Anzeichen von Abweichung von der Lehre, die es zu bekämpfen gilt? Die pragmatische Antwort auf meinen Einwand: Alles ist vergänglich – auch das Phänomen, das man „Buddhismus“ nennt. Wenn die Priester sich also in ihren Praktiken von der reinen Lehre entfernen, bestätigt das doch die „Goldene Wahrheit“ von der Vergänglichkeit. Aha… ich entferne mich in meinem Verständnis immer mehr von dieser Lehre. Ja, wenn denn alles vergänglich ist und sowieso den Bach runter geht – warum soll man dann brav und ordentlich sein? Warum leben Leute nach buddhistischen Regeln? Warum gehen sie nicht einfach raus in die Welt und haben Spaß?
Die Bibliothek hat heute wegen Arbeiten an den Computern die Terminals dicht gemacht. Aber es gibt Ausweichmöglichkeiten. Valérie hat Melanie einen Raum gezeigt, in dem etwa 100 Rechner stehen, mit Druckern und Scannern in jeder Reihe. Der befindet sich im Gebäude des Rechenzentrums, und man darf das Gebäude nicht mit Schuhen betreten. Am Eingang befindet sich ein Schuhregal, wo man seine eigenen Treter reinstellen und dafür ein Paar (viel zu kleine) Latschen herausnehmen kann. Ich nehme dann in der letzten Reihe Platz und sehe kurz in die Runde… aha, da vorne sehe ich jemanden, der eine Taktiksimulation spielt. Okay… schon verstanden.
Über das Wochenende hat sich einiges an kleinen Mails angesammelt, und das Beantworten braucht seine Zeit. So komme ich nur dazu, einen einzigen Bericht zu schreiben. Karl zum Beispiel hat mir eine Liste mit Bezeichnungen von technischem Gerät aus dem Universum des „Battletech“ Spiels geschickt und bittet um eine Übersetzung. Bei dieser Gelegenheit erweisen sich die auf den Rechnern vorhandenen Bilingualen Wörterbücher, Englisch-Japanisch und Japanisch-Englisch, als sehr praktisch. Leider gibt es für die japanischen Wortkombinationen, die er wissen möchte, immer wieder mehr als eine mögliche Schreibweise, das macht es nicht einfacher. Es wäre praktischer, wenn man statt einer genauen Schreibung in Kanji nur die europäische Schreibung angeben müsste und dann die verschiedenen Möglichkeiten auf einen Blick präsentiert bekommen könnte. So muss ich eine Möglichkeit nach der anderen durchgehen, und das kostet natürlich mehr Zeit, als wenn ich die Lesungen in einem Lexikon aus Papier nachschlagen würde – zumal man Kombinationen im Schreibeditor auswählen kann, die nicht im Lexikon enthalten sind (oder gar nicht existieren). Das kann doch nicht Sinn eines Computerprogramms sein!?
Am Abend kaufe ich einen neuen Sack Reis. Und beim Durchsehen des Regals frage ich mich, ob und wo man in Japan auch ausländischen Reis bekommen kann… ich hätte durchaus nichts dagegen, ein paar Kilo Basmati aus Thailand oder Indien auf Lager zu haben. Und ich nehme zwei große Packungen Sushi mit. Sie würden im Normalfall 600 Yen pro Paket kosten, aber wegen der fortgeschrittenen Stunde (etwa acht Uhr am Abend) wurden sie um 50 % reduziert. Also nehme ich zwei mit und habe somit satt zu essen für zwei Leute für ca. 4,50 E. Und nach dem Essen muss ich mir die Kanji für morgen in den Kopf hämmern, weil ich das übers Wochenende sträflich vernachlässigt habe.1
Inzwischen hat auch Melanie verstanden, dass ein Aufenthalt in Tokyo vom 23.12. bis zum 03.01. kostentechnisch eine utopische Wunschvorstellung ist. Sie reduziert die Dauer auf eine Woche, mit Rückfahrdatum 28.12.2003. Damit wäre ich früh genug wieder zurück, um Vorräte für „o-Shôgatsu“ (die ersten Tage im Januar) einzukaufen, weil dann ausnahmsweise einmal wirklich alle Läden dicht sein sollen, wie Volker berichtete – in seinem eigenen Newsletter vom 01. Januar und 02. Januar 2002, um genau zu sein. Ja, ja, die habe ich alle noch, und ich habe sie griffbereit auf meiner Festplatte hier.
1 Ausländischen Reis gibt es in Japan bestenfalls im Delikatessenladen. Japan ist durch die WTO verpflichtet, Reis einzuführen, lässt ihn aber im Lagerhaus liegen. Kommt es dann irgendwo zu einer Naturkatastrophe, wird der ausländische Reis gern verladen und an Bedürftige verschenkt, aber den eigenen Markt wollen die sich nicht stören lassen. (Von einem japanischen Dozenten, von dem noch die Rede sein wird.)