Montag, 03.10.2003 – Das Geheimnis der japanischen Kraft
Heute ist ein lang erwarteter Tag. Strahlendes Wetter herrscht nicht gerade, aber es gibt mehr Sonne als Wolken. Ich gehe mit Melanie zur Uni, um dem Wettbewerb im Armdrücken zuzusehen. Und eigentlich nicht nur, um zuzusehen. Zuerst findet ja der Kampf der Clubs statt, und acht Clubs haben je drei Streiter an den Start geschickt. Darunter die Clubs für Aikidô, Kendô, Tennis, ein Club, dessen Bezeichnung ich nicht lesen kann, eine Gruppe namens „Free Wave“ und der „American Football Club“.
Einer von „Free Wave“ trägt ein Affenkostüm und scheint so besoffen, dass man ihn die Treppe zur Bühne hoch tragen muss. Der Kendô Club, in entsprechenden Trachten, wird dennoch von Free Wave weggefegt. Der Affe scheint mir nicht betrunken, wenn er am Pult steht. Er überrumpelt seinen Gegner innerhalb von nicht einmal zwei Sekunden, wankt dann aber wieder in den Hintergrund.
Weiterhin ist auffällig, dass einer der Clubs mit einem weiblichen Teilnehmer auftritt. Ich will nicht sexistisch sein, aber diese Entscheidung war nicht klug. Nicht bei dieser Konkurrenz. Sie geraten an den unleserlichen Club und verschwinden von der Bühne.1 Die Footballspieler machen im Halbfinale „Free Wave“ nieder und treffen im Finale auf den Club mit dem unleserlichen Namen. Zu meiner Überraschung verliert der Football Club. Die beiden besten Mannschaften erhalten Einkaufsgutscheine und eine kleine Urkunde.
Warum die Jungs vom Football Club verloren haben, ist mir optisch nicht ganz klar. Einer davon ist so groß wie ich, aber schmaler. Er sieht eigentlich normal aus. Die anderen beiden sind kleiner als ich. Der Typ mit dem Irokesenschnitt ist vielleicht 160 cm hoch, aber sehr stämmig. Und weil er aussagekräftig die Ärmel hochkrempelt, glaube ich, dass er nicht zu unterschätzen ist. Der dritte von denen ist vielleicht etwas mehr als 170 cm groß, aber bestimmt 30 kg schwerer als ich. Seine Unterarme allein sind beachtlich. Von dem unlesbaren Club ist nur einer auffällig, und das auch erst, wenn man zweimal hinsieht. Er trägt einen Pullover, aber man kann ahnen, dass einiges daruntersteckt.
Dann beginnt das Drücken der Freiwilligen. Um einen ersten Gegner zu haben, bleibt der Kapitän der Siegermannschaft auf der Bühne. Und wird vom erstbesten, der sich meldet, besiegt. Ohne große Probleme, und ohne, dass der Freiwillige sonderlich stark aussehen würde. Der Sieger bleibt jeweils auf dem Podest, der Besiegte darf ihm noch einmal die Hand schütteln und darf dann gehen.
Der 120-Kilo-Mann der Footballmannschaft wittert seine Chance, meldet sich noch einmal und macht den ersten Freiwilligen, quasi den Sieger über seinen eigenen Bezwinger, nieder. Es findet sich tatsächlich jemand, der gegen den Fleischberg antreten will, aber auch der wird besiegt. Die Organisatoren danken dem schweren Mann und schicken ihn von der Bühne. Mehr als zweimal hintereinander geht offenbar nicht.
Danach drücken noch verschiedene Leute, darunter auch zwei Westler (nicht „Wrestler“), die jedoch auch beide verlieren. Einem davon sieht man den Freeclimber an, aber dennoch findet er einen, der stärker ist als er. Außerdem will ich eigentlich gegen einen Japaner antreten. Schließlich findet sich einer und ich melde mich als Gegner. Mein Güte, was macht der ein Gesicht, als er mich die kleine Treppe hochkommen sieht!
Ausgangsstellung. Und losdrücken. Mir ist sofort klar, dass mit dem Mann hier fertig zu werden ist. Er ist kräftig, aber nicht stark. Allerdings weiß er das auch, und er hat was, das mir fehlt: eine Technik. Er dreht mein Handgelenk ein wenig im Uhrzeigersinn und zieht es zu sich hin, während mein Ellenbogengelenk auf dem gleichen Punkt fixiert bleibt. Dadurch wird mein Winkel an der Armbeuge größer und seiner kleiner. Bevor ich wirklich verstehe, wie hier gespielt wird, bin ich knapp 10 Sekunden später geschlagen – technischer KO. Ich habe keine große Anstrengung verspürt, aber mit ausgestrecktem Unterarm war da nicht viel zu machen. Das kratzt natürlich am Stolz. Aber man gewinnt nicht jeden Tag. Die erteilte Lehre in Sachen Technik merke ich mir für das nächste Mal, sollte es eines geben. Das „muss“ ich auch Alex erklären, der wissen wollte, wie es kommen konnte, dass er gerade wegen mir zwei Flaschen Bier bei einer Wette verloren hat.
Wir sehen noch eine Weile zu, gehen dann aber nach Hause, weil sich die Texte ja nicht von alleine lesen. Und diese theoretischen Texte über den Buddhismus sind stellenweise dermaßen langweilig, dass sich die Bibel wie ein Actiondrama liest.
Bevor ich einschlafe, bringe ich den Kreislauf in Wallung, indem ich noch einmal zum Golfplatz fahre und andere Bälle einsammle. Am Abend habe ich eine Tüte mit 49 Bällen im Schrank stehen… bloß… was mache ich jetzt damit?2
1 Aus gesammelter Erfahrung heraus muss ich allerdings hinzufügen, dass Japaner auch vieles deshalb tun, um „dabei zu sein“.
2 Der Großteil der Golfbälle verblieb letztlich in Japan. Die drei schönsten nahm ich mit, von denen ich wiederum einen vor einigen Jahren an eine Gruppe Kinder verschenkte.