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Aus dem noch unerforschten Inneren meines Schädels

2. November 2023

Sonntag, 02.11.2003 – … Ist das Krüge-leeren auf dem Campus nicht eigentlich verboten?

Filed under: Japan,My Life,Sport — 42317 @ 12:18

Das Kulturfest ist heute so richtig uninteressant. Es ist natürlich schön, dass die Sonne scheint und angenehme Temperaturen herrschen, aber das Angebot an Aktivitäten finde ich nicht sehr aufregend. Noch immer macht Nahrung den größten Teil des Angebots aus, aber ich bin nicht hungrig. Es kommt mir selbst seltsam vor. Ich gehe ein wenig durch die Gänge und treffe Nan und… ah, seinen Namen habe ich schon wieder vergessen. Jedenfalls einen weiteren der Thailänder treffe ich mit ihr zusammen an.1 Wir gehen durch zwei Stockwerke und hören uns einen kleinen Vortrag von Medizinstudenten an. Ich glaube, es geht um falsche Diätvorstellungen, die durch die Werbung vermittelt werden. Aber das war auch schon alles, was ich aus dem Gesagten herausinterpretieren kann. Verstanden habe ich so richtig gar nichts. Akustisch ging es ja gerade so, weil ich einen halben Meter neben der jungen Frau stand, die den Laptop bediente und die Grafiken koordinierte. Bei ihrer Lautstärke dürfte aber bereits jemand, der nur einen Meter weiter als ich entfernt saß, bereits nichts mehr gehört haben. Und das auch erst, nachdem ich sie aufgefordert hatte, lauter zu sprechen.

Ein paar Schritte weiter bieten die Mediziner alle möglichen Getränke an, in einem abgedunkelten Raum, der einen gemütlichen Eindruck macht. Es gebe auch Sake, sagt mir die Studentin am Eingang. Sie trägt, wie übrigens alle Medizinstudenten in diesen Tagen, einen weißen Labor-Kittel mit blutroten Flecken. Leider ist mein Fotoapparat voll. Ich komme ja nicht an den Rechner ran, in dem ich meine Bilder ablege, weil das Center zu ist.

Es gibt hier also Sake. Aha. Ist das auf dem Campus nicht eigentlich verboten? Sie antwortet mit einem undefinierbaren, aber viel sagenden Kichern. Soso. Ich bin nicht abgeneigt, aber um 14:00 am frühen Nachmittag möchte ich noch keinen Alkohol trinken. Wie lange denn geöffnet sei? Bis um 17:00, sagt sie. Natürlich, dann ist ja Schluss mit Fest für heute. Dann also nicht.

Im dritten Stock befindet sich ein Raum, in dem Brettspiele gespielt werden, und der Anteil an deutschen Spielen ist auffällig, denn eigentlich ist mir der Raum nur deshalb aufgefallen, weil an der Tafel neben all den Kana- und Kanjikombinationen auch etwas steht, was ich ohne nachzudenken lesen kann: „6 nimmt“.

Dabei handelt es sich um ein Kartenspiel. Ich habe aber nie davon gehört. Ich gehe hinein und lese die Anschrift an der Tafel. Hier gibt es „Die Siedler von Catan“, „Bohnanza“, „Scotland Yard“, und andere mehr. Aber dass das Spiele sind, die aus Deutschland stammen, weiß hier keiner. Hier ist nichts, was mich aufhält.

Ich sattle mein Rad und fahre wieder nach Hause. Aber da will ich auch nicht lange bleiben, weil das Wetter so gut ist. Ich nehme meinen Lesestoff (zum Thema „Buddhismus“) mit und fahre einfach mal irgendwohin. Einfach einer Straße nach (grob nach Westen), die ich nicht kenne. Nach ein paar Kilometern finde ich einen Golfplatz. Na ja, eigentlich ist es kein Golfplatz, sondern einer dieser hoch eingezäunten Abschlagplätze. Und kaum habe ich ihn gesehen, verklemmt sich meine vordere Gangschaltung, und ich kann nur noch die untersten sieben Gänge verwenden. Ich fummele ein bisschen daran herum, finde aber das Problem nicht. Wenn ich schon mal da bin, kann ich den Leuten auch mal beim Abschlagen zusehen. Die Kunden stehen in einzelnen Kabinen, zwei übereinander, sieben nebeneinander, und schlagen einen Ball nach dem anderen einfach weg. Der Ball wird dann ca. 100 Meter weiter, da wo ich stehe, von den ca. 30 Meter hohen Netzen aufgefangen und bleibt am Rand liegen, um irgendwann eingesammelt zu werden. Allerdings hat das Netz auch kleine Löcher und Lücken, durch die Golfbälle beim herunterrollen hindurchschlüpfen können. Ich sammele ein paar davon auf. Es liegt auch etwas Metallschrott in der Gegend rum und ich suche mir eine kleine Metallstange, die ich an den Rahmen klemme und meinen Draht der Gangschaltung auf diese Art und Weise so spanne, dass sie immerhin auf das mittlere Zahnrad fixiert bleibt.

Mit dem Textlesen komme ich an dem Golfplatz auch nicht weit. Kaum sitze ich ein paar Minuten, wird mein Sichtfeld nebelig. Aber da kommt kein gewöhnlicher Nebel auf mich zu. Irgendwo verbrennt wohl ein Bauer sein Reisstroh. Die Sichtweite sinkt unter 100 Meter und es stinkt furchtbar. Ich fahre wieder davon. Allerdings bin ich auf dem Hinweg einen steilen Berg heruntergekommen, den ich nicht hochfahren oder –laufen will. Ich entscheide mich, den Hügel in nördlicher Richtung zu umgehen. Allerdings muss ich doch zwischendurch anhalten und fragen, wo ich eigentlich bin und wie ich nach Nakano komme. Bis ich dann die nächste Sitzgelegenheit gefunden habe, ist es schon beinahe dunkel, aber es ist ein Spielplatz mit Laterne. Leider paart sich die Dunkelheit schnell mit einer unangenehmen Kühle. Unangenehm vor allem deshalb, weil ich gewöhnlich schnell fahre und mein Rücken unter dem Rucksack deshalb schweißfeucht ist. Aber ein paar Seiten gehen noch und ich erhalte meine ersten Einsichten in die Lehre des Buddhismus.

Und solch seltsame Dinge habe ich schon lange nicht mehr gelesen. Dass es keine Seele gebe, kann ich akzeptieren. Aber was wird wiedergeboren? Das Karma. Aha. Das wird von einem Leben ins nächste weitergereicht. Das Karma ist wie ein Sparbuch für gute und böse Taten.

Und es mangelt allen Dingen an Ego… an „Substanz“. Aber wenn es mir an Ego mangelt und ich keine Seele habe, was landet dann im Idealfall irgendwann im Nirvana? Was habe ich davon, wenn mein tolles Karma im Paradies ist, ich aber nichts davon mitbekomme? Das kommt mir vor, als hätte ich zum Zeitpunkt meines Todes eine Unmenge Geld auf meinem Konto und das Sparbuch landet, in Gold eingerahmt, in einem bedeutenden Museum. Ich interpretiere, dass das Nirvana ein Ort sein müsste, an dem man in Form eines gefühlsbefähigten Wesens geboren wird (damit man die Wonnen auch erkennen und auskosten kann), und auch wieder sterben kann, um woanders geboren zu werden, falls man sich im Nirvana daneben benommen hat??? Das muss ich noch hinterfragen.2

Heute läuft, wie seit mindestens zwei Wochen angekündigt, der Film „Gladiator“ (ja, mit Russel Crowe) im japanischen Fernsehen, in japanischer Sprache. Ich will über die Qualität der Synchro (die Vertonung der Stimmen) auch gar nichts sagen, sondern nur den interessantesten Punkt nennen:

Ganz zu Beginn, wenn der Tribun Maximus durch die Reihen seiner Männer schreitet, stehen sie auf und rufen tatsächlich, wie von mir zuvor eigentlich nur scherzhaft vermutet, ehrfürchtig: „Shôgun!“ Man hat also seine Funktion übersetzt, anstatt das Fremdwort („Toribuun“) zu übernehmen. Und dann wird Maximus die ganze Zeit über „Shôgun“ genannt. Und wegen der riesigen kulturellen Spalte zwischen Römern und Japanern wirkt es wirklich lustig. Man denkt ja eher an einen besonders feierlich herausgeputzten Samurai in alter japanischer Rüstung, wenn man „Shôgun“ hört, nicht wahr?3

1 Sein Name ist Wiirit.

2 „Das Nirvana“ ist kein Ort, wie „der Himmel“, sondern der Zustand der völligen Auflösung. Nirvana ist Abwesenheit von Leid durch Nichtexistenz. Für Menschen, die mit jüdisch-christlichen Jenseitsvorstellungen aufgewachsen sind, mag das schwer nachzuvollziehen sein.

3 Shôgun bedeutet aber ganz generell „Oberbefehlshaber“.

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