Samstag, 08.11.2003 – BOBOBÔBO BÔBOBO!!!
Heute hat mein Großvater Geburtstag – und ich habe nicht rechtzeitig ans Schreiben gedacht. Dann wird die Karte am Montag wohl mit der Expresspost rausgehen. Die Postkarte kostet dann 330 Yen und erreicht ihr Ziel im Normalfall nach fünf Tagen. Ich mache auch den Versuch, zuhause anzurufen, muss aber feststellen, dass das von Münztelefonen aus offenbar nicht funktioniert. Ich bedauere jetzt sehr, dass ich nicht schon längst die Liste mit den Geburtstagen ausgedruckt habe.
Am Morgen beschäftigt mich allerdings etwas anderes, wie ich zugeben muss. Es ist Samstag: SailorMoon.
Kino Makoto ist heute dazugekommen. Sie lebt tatsächlich alleine. In einem geräumigen Apartment. In Tokyo. Ihre Waisenrente muss ja gigantisch sein. Aber auch das Zimmer von Ami scheint so groß wie meine gesamte Wohnung in Hirosaki. Dafür sieht es aber auch übertrieben klinisch aus. Noch wurde auch nicht explizit auf Makotos Kochkünste eingegangen – ein Umstand, der dem Fan doch sehr verdächtig vorkommt. Aber es ist ja noch Zeit. Aber auch hier rettet sie Usagi vor drei übermäßig coolen Oberschülern, auch wenn diese weit weniger massiv daher kommen als die Exemplare in der Anime-serie, wo die Jungs eher wie Yakuza-Schläger aussahen. Die hier spielen ganz cool Basketball und tragen natürlich entsprechend coole Klamotten, und sie reden den entsprechenden, coolen Slang der Jugendlichen.
Makotos (ebenso cooler) Oberschüler, dem sie hinterher schmachtet, ist natürlich ebenfalls in der Episode vertreten, und zwar als Opfer von Jedyte. Es gibt eine ganz tolle Szene, wo sie auf ihn warten muss, weil er von einem Yôma „aufgehalten“ wird. Die Yôma (das sind die Monster, die für die Oberbösen die Drecksarbeit machen) bemächtigen sich offenbar auch menschlicher Körper, um an Energie zu kommen. Warum sie das so machen, ist mir nicht klar. Makotos Oberschüler jedenfalls ist ein solches Opfer und befördert (unfreiwillig) ein Dutzend weiblicher Basketball-Fans (alle unter 20) ins Negaversum (das ist der Ort, wo im SailorMoon-Anime die Bösen wohnen). Makoto steht also den ganzen Tag an diesem Brunnen rum, und – wie könnte es anders sein – wird natürlich bis auf die Knochen nassgeregnet. Makoto im Regen – offenbar eine Konstante in Raum und Zeit.
Als sie nach Hause geht, trifft sie auf ihren Oberschüler und der Yôma greift sie an. Mit Schlangententakeln. Stylish. Der Oberschüler fällt zu Boden, als der Yôma sich wieder aus ihm löst, und anstatt ihr zu helfen, rennt er panisch davon. Makotos Gedanken schweifen ab zu all den Leuten, die sie bisher verlassen haben – aber SailorMoon hält zu ihr! Welche Freude! Die Zuschauer toben und fangen an, ekstatisch die Stühle zu zertrümmern!
Makoto wird also zu SailorJupiter und – „Supreme Thunder!“ – macht den Yôma alleine fertig. Die anderen Senshi kommen gar nicht zum Zug und auch Tuxedo Kamen hat keinen Auftritt. Für die kommende Episode wird Zoisyte angekündigt, wenn ich dieses Outfit richtig interpretiere, das mir da so feierlich entgegenweht. 🙂
Danach will ich in die Bibliothek, muss aber feststellen, dass die am Wochenende erst um 1000 aufmacht. Das wäre dann in einer Stunde. Aber ich habe Glück. Irena steht vor dem Eingang und wartet auf ihre Gastfamilie, mit der sie den Bauernhof der Landwirtschaftlichen Fakultät besuchen will. Das heißt, ihr wurde gesagt, am Sonntag, dem 08.11., um 0900 sei der Ausflug. Nun ist der 08. aber leider ein Samstag. Und 0900 ist bereits vorbei. Sie sagt, sie wolle noch ein paar Minuten warten und dann wieder nach Hause gehen. Sie hat Glück, dass ich ihr ein Ohr kaue, denn um 0920 erscheint ihre Gastmutter, die schon seit zwanzig Minuten im Wagen vor dem Haupttor gewartet hat. Irena kommt also noch zu ihrem Vergnügen. Im Nachhinein muss ich mich allerdings fragen, warum sie vor der Bibliothek gewartet hat… ich kann mir nicht vorstellen, dass das der Treffpunkt gewesen sein soll, wo sich die Straße vor der Einfahrt 70 m weiter doch viel mehr anbietet.
In der Zwischenzeit ist auch Valerie dazugekommen, die ebenso wenig wie ich wusste, wann an Wochenenden die Tore der Bücherei geöffnet werden. Nachdem Irena dann weg ist, gehe ich mit Valerie in die Mensa, weil sie nicht in der Kälte (bestenfalls „Kühle“, sage ich) herumstehen will. Dort ist zwar kein Betrieb, aber die Tür ist offen. Ich unterhalte mich bis 1000 mit Valerie, und ich bin der Meinung, dass sie ein netter Mensch ist. Sie macht auf den ersten Blick einen reservierten Eindruck, der auf manche Menschen arrogant wirken könnte. Aber derlei Dinge finde ich bei ihr nicht. Sie ist auch keine Französin im eigentlichen Sinne, wie ich feststelle. Sie kommt auch nicht aus der Schweiz. Valerie stammt aus Neukaledonien. Eine ehemalige frz. Kolonie, daher die Sprache. Ei, wo ist denn das? Das liegt mitten im wärmsten Südpazifik, wo immer die Sonne scheint und „Winter“ ein Fremdwort aus Märchen und Sagen ist. Da wächst zwar nicht das Bier in den Palmen und die Leute müssen arbeiten, aber es ist ein Leben, das sich deutlich von dem in Mitteleuropa und Nordjapan unterscheidet, vor allem im Hinblick auf die Temperatur. Sonne, Strand und Palmen. Heizung? Was ist das?
Valerie studiert in Bordeaux, weil es an der Universität ihrer Heimat keine Japanologie gibt. Um sich das Studium in Frankreich leisten zu können, hat sie nach der Schule einige Jahre gearbeitet. Ich wäre rein optisch nie auf den Gedanken gekommen, dass Valerie bereits 28 Jahre alt ist. Sie ermutigt mich, meine Pläne für ein Auslandstudium in England nicht aufzugeben – ich könnte es später bereuen, diese Chance, die sich mir durch den PAD (Pädagogischer Austauschdienst) bietet, nicht genutzt zu haben. Ich bin ihr dankbar, dass sie mir in dieser Angelegenheit wieder zu mehr Mut verholfen hat. Ich schätze, es macht keinen großen Unterschied, ob ich die Universität mit 29 oder mit 30 Jahren verlasse…1
Ich bleibe dann bis um 1700 in der Bibliothek, abgesehen von einem kurzen Ausflug ins Naisu Dô, weil meine Freundin Natsumi, die eigentlich Marion heißt, mich gebeten hat, nach Artbooks von „Card Captor Sakura“ und „Shôjo Kakumei Utena“ Ausschau zu halten. Ich kaufe vier „Sakura“ Artbooks – was den kompletten Bestand des Ladens darstellt. „Utena“ ist nicht mehr auf Lager, seit ich das letzte Exemplar für meine eigene Sammlung gekauft habe. Und wenn ich schon mal da bin, kann ich gleich meinen eigenen weiteren Bedarf feststellen. Ich stelle eine Reihe von Büchern in „meine“ Ecke, damit ich, wie bereits erwähnt, nur ins Regal zu greifen brauche, wenn ich mit neuem Geld wiederkomme, in etwa zwei Wochen.
Was ich allerdings sofort mitnehme, ist eine Ausgabe der „Voice Gallery“ von 1995. Diese Zeitschrift beschäftigt sich nur mit Synchronsprechern, aber weniger mit Interviews und ähnlichem, sondern fast ausschließlich mit Fotografien, denen ein wenig Text zur Seite gestellt wurde. In dieser Ausgabe finden sich Bilder von Hayashibara Megumi (Ranma-chan), Inoue Kikuko (Belldandy), Amano Yuri (Elise und Naria in „Escaflowne“), Hidaka Noriko (Akane in „Ranma“), Shiratori Yuri (Mokona in „Rayearth“), Matsumoto Rica (Satoshi/Ash in „Pokemon“), Mitsuishi Kotono (Usagi/SailorMoon), Orikasa Ai (Ryoko in „Tenchi Muyô“), Mizutani Yuko (Sora in „Digimon“), Hisakawa Aya (Ami/SailorMerkur)… und einigen unwichtigen, weil überwiegend männlichen Sprechern. 😉 Danach kehre ich in die Bibliothek zurück, um Natsumi mitzuteilen, was ich für sie habe.
Am Abend sehe ich mir „Crayon Shin-chan“ an, diesmal die Serie. Und sie gefällt mir. Nicht mehr ganz die erste Staffel, wie mir scheint. Melanie mutmaßt, dass es an unserem mangelnden Textverständnis liegen könnte, dass wir die Serie auf Japanisch besser finden, als auf Deutsch. Ich will diese Möglichkeit nicht ausschließen, werde mir aber noch mehr davon ansehen.
Danach läuft eine brandneue Anime-Serie mit dem Titel „BOBOBÔBO BÔBOBO!“. Die erste Episode. Und… es geht um… Haare?? Der Held ist ein klassischer Muskelmann mit einer Figur wie ein Nothammer im Bus, mit einem blonden… Afro-Schnitt. Und er bekämpft Gegner… mit seinen Nasenhaaren!?! Er kann sie auf einige Meter Länge ausfahren und voll kontrollieren. Dabei parodiert er u.a. „SailorMoon“ (indem er auf dieselbe Art und Weise mit den Armen fuchtelt, wenn er dem Gegner gegenübersteht), „DragonBall“ (die Bösen sehen mit ihren Glatzen fast alle aus wie Tenshin Han) und sehr viel „Hokuto no Ken“ („Fist of the North Star“). Das postapokalyptische Setting der Serie sieht so richtig danach aus, mit den Trümmern und den Motorradgangs, die Leute belästigen. Das Mädchen mit den rosa Haaren tut durch ihr Aussehen das ihrige, um mich an „Fist of the North Star“ zu erinnern (ihr Name ist Beauty).
Die Bösen hassen offenbar Haare und reißen sie den Leuten aus. Sie nennen sich „Ke-kari-tai“ (etwa „Haarjägertruppe“), daher ist der Held, dessen Name „BoBobôbo Bôbobo“ ist, ihr erklärter Feind. Dieser Anime ist zum totlachen. Die Serie wird gesponsert von Konami und Hudson, dem entsprechend gibt es bereits zum Start drei Spiele zu der Serie, unter anderem für Playstation 2. (Hudson zeichnet sich verantwortlich für mehrere Kampfspiele, darunter „Bloody Roar“, und Konami muss ich nicht extra vorstellen, denke ich.)2
Zuletzt läuft am Abend noch „Ashita Tenki ni naare“. Angeblich ein rotes Tuch für konservative Japaner. Eine freiwillig (!) alleinerziehende Mutter, und dazu mit braungefärbten Haaren, die bei einem Fernsehsender in Tokyo als Wetteransagerin arbeitet!? Die Produktion wurde für die Darstellung eines „Familienfragments“ kritisiert, wie man mir sagte. Eine Mutter mit Tochter ohne Ehemann ist für manche Leute offenbar ein Bruch der guten Sitten.
Mich berührt das herzlich wenig. Die Serie ist auch nicht lustig im eigentlichen Sinne, aber interessant anzusehen.
Wenn ich mich so ansehe, stelle ich übrigens fest, dass meine Beine sich verformen. Eine Folge des Radfahrens, nehme ich an, weil sich die entsprechenden Muskeln ausbilden.
1 Am Ende habe ich die Universität wegen Prüfungsangst und Stressdepression erst mit 34 abgeschlossen und bin aus Zeit- und Geldgründen nicht nochmal ins Ausland gegangen.
2 In der Japan Times fand sich der Kommentar, dass Bobobo sicher nicht so schnell im US-Fernsehen laufen werde, das Konzept sei viel zu japanisch-animistisch und aus kulturellen Gründen kaum vermittelbar. Ein halbes Jahr später war es dennoch dort lizenziert. Als ob sich irgendjemand vorm Fernseher für hochtrabende kulturelle Unterschiede interessieren würde, aa gibt es Action und abgefahrenen Humor, und das verkauft sich.
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