Samstag, 15.11.2003 – The ultimate Challenge
07:30 am Samstag, das heißt: SailorMoon Fan vor der Mattscheibe.
Zuerst beobachtet Usagi Motoki, wie der die Jacke des Fracks von Tuxedo Kamen in die Tüte einer Schneiderei stopft. Ihre Schlussfolgerung: Motoki ist Tuxedo Kamen! Der Fan vor der Mattscheibe weiß natürlich, dass Motoki nicht Tuxedo Kamen ist, in den sich Usagi/SailorMoon unsterblich und über jede Wiedergeburt hinaus verliebt hat. Aber dem Fan ist nicht klar, wie viel Motoki darüber weiß, dass sein Freund Mamoru Tuxedo Kamen ist – und Mamoru ist der Kerl, den Usagi momentan so richtig gar nicht leiden mag. Außer der Jacke hat Motoki noch Freikarten für einen Freizeitpark – und er schenkt Usagi drei davon.
Usagi nimmt Rei und Makoto mit, Ami hat keine Zeit oder keine Gelegenheit. Motoki im Gegenzug bringt Mamoru und einem Kerl namens Takai (der einen äußerst unmännlichen Rucksack in Form einer Stoffschildkröte auf dem Rücken trägt) mit zum Park. Drei Jungs und drei Mädchen losen daraufhin aus, wer mit wem „zusammenkommt“, da die Attraktionen ja oft genug Zweisitzer sind. Man braucht nicht viel Vorstellungskraft, um darauf zu kommen, dass Usagi natürlich mit dem (derzeit) ungeliebten Mamoru in einem Team landet. Aber sie tauscht mit Makoto, die Motoki bekommen hat.
Lustig ist die Szene, wo Usagi mit Motoki im Boot sitzt und ihm lauter Anspielungen auf „Tuxedo“ und „Kamen“ (= „Maske“) an den Kopf wirft (z.B. „Tuxedo… Kame?“, wobei „Kame“ = „Schildkröte“), womit er natürlich gar nichts anfangen kann. Und dann kommt Makoto, mit Mamoru im Boot, vorbeigerudert (Bugwelle!!!).
Takai bekommt heftigen Schluckauf (offenbar macht ihn das Zusammensein mit jungen Frauen zu nervös), was Rei von allen Aktivitäten ausschließt. Er sitzt so in der Gegend rum und ein Yôma fährt in ihn. Daraufhin zapft Takai allen möglichen Leuten Energie ab (auch Rei muss dran glauben) und speichert diese in seinem tollen Rucksack. Usagi ist währenddessen mit Motoki im Spiegelhaus. Natürlich ein verwirrendes Labyrinth. Sie wollen sich nicht verlieren, und damit er nicht ihre Hand anfassen muss (er will ihr ja nicht zu nahe treten), nimmt er ein Taschentuch und jeder der beiden fasst ein Ende an, so führen sie sich gegenseitig. Aber sie werden dennoch getrennt, und Motoki wird in dem Spiegelkabinett schlecht, er geht nach draußen. Mamoru geht daraufhin in das Spiegelhaus, weil Usagi ja auch nicht alleine bleiben soll.
Mamoru findet Usagi und will sie auch rausführen; und natürlich verwendet er kein Taschentuch, um sie zu führen, sondern er nimmt Körperkontakt mit ihr auf, indem er ihre Hand nimmt – zum Dahinschmelzen, nicht wahr? Das ist der Zeitpunkt, wo Rei anruft und sagt, dass es Arbeit gibt. Usagi löst sich also wieder von Mamoru und geht ein paar Ecken weiter. Als sie sich dann verwandelt, kann Mamoru sie über die Spiegel beobachten und weiß so schließlich von ihrem Geheimnis.
Der Yôma wird besiegt (unglaublich, aber wahr). Lustig auch hier die Nahkampfszene – die Mädchen erweisen sich als ziemlich beweglich und turnerisch begabt. Und viel Bein zeigen sie dabei auch noch. Jedyte schaltet sich persönlich ein und verletzt Tuxedo Kamen (= der verwandelte Mamoru) an der Hand. Mamoru erhält von SailorMoon ein Taschentuch als (reichlich nutzlos aussehenden, weil sehr locker sitzenden) Verband.
Danach gehe ich in die Bibliothek (diesmal rechtzeitig um 10:00 und nicht wieder eine Stunde zu früh) und schreibe drei Mails am Stück, über den 07., 08., und den 09.11. Außerdem stelle ich fest, dass man das Evangelion Artbook, das ich loswerden will, bei E-Bay für 20 E losbekommen kann, obwohl der Neupreis doch bei gerade mal 20 bis 25 E liegt. Aber das kann mir natürlich nur Recht sein. Ich nehme mir also für morgen vor, das Buch zum Verkauf anzubieten.
Am Abend dann gehe ich mit Melanie auf die angekündigte „International Party“. Dort finden sich neben einer Handvoll „Westler“ (nicht „Wrestler“ – das erwähnte ich bereits) und mindestens einer Chinesin (Mei) etwa 50 bis 70 Japaner im Alter von 0,75 bis 70 Jahren ein. Aber die genannten Westler habe ich noch nie gesehen, und die haben auch mit der Uni nichts zu tun, oder nur wenig, weil sie als Englischlehrer arbeiten oder ein Praktikum absolvieren oder etwas ähnliches dieser Art. Von den Austauschstudenten befinden sich hier nur Mei, David, Melanie und ich. Das war dann auch schon alles. Ja, wo sind denn Tanja und Mareike? Ei, ei, ei… wollten die nicht Kontakte mit Japanern abseits des „Studentenverkehrs“ knüpfen? Gelächter! Die sitzen wahrscheinlich zuhause, sehen fern und sind froh, dass sie sich mit ihrem schlechten Japanisch nicht blamieren, das wesentlich besser werden würde, wenn sie mal aktiv mit Leuten reden würden. Ich vermeide an dieser Stelle einfach mal Begriffe unhöflicher Natur, die mir hierbei ganz spontan einfallen.
Das Programm der Party folgt einem streng organisierten Plan, wie immer. Zuerst wird gemeinsam gesungen, unter Anleitung. Eine ältere Dame am Klavier gibt eine Melodie vor und ein Herr um die Dreißig singt den Text, der auch auf einer großen Tafel geschrieben steht. Wenn ich das richtig interpretiere, schließt das Lied Gebärdensprache mit ein. Die Gestikulation von dem Mann sieht für mich als Laien zumindest danach aus, und dazu wird das Lied gesungen, aber ich kann mich auch irren und die Gebärden sind reine ABM. Das Lied wird dreimal (!!! – ?!?) von den Anwesenden gesungen. Es sieht lustig aus, aber mir ist das ein wenig zu affig. Also nein, aus solchen Spielen halte ich mich raus. Es wird mir wohl niemand nachsagen können, dass ich Probleme mit öffentlichem Auftreten hätte, aber ich mag solche Spiele nicht.

Dann wird erklärt, wie man Soba-Nudeln macht. Dazu ist ein Profi eingeladen worden, der seinen Reis damit verdient, dass er Sobanudeln zu Udon verarbeitet.

Und das scheint gar nicht schwer zu sein. 450 g Sobamehl und etwa 0,2 Liter Salzwasser (er verwendet eine kleine Tasse) in eine Schüssel geben und durchkneten. Ei braucht man keines, offenbar hat dieses Mehl Eigenschaften, die Ei überflüssig machen. Wenn man den Teig geknetet hat, packt man ihn in eine Plastiktüte (!), legt die Tüte auf den Boden und stampft den Teig mit den Füßen weiter (ohne Schuhe), etwa 10 oder 15 Minuten lang.

Dann wird der Teig ausgerollt, bis er ganz dünn ist, mit Mehl bestreut und ohne Druck zu einer langen Zigarre zusammengerollt, und in dieser Form wird er dann in etwa 5 mm breite Streifen geschnitten. Die Streifen werden im Anschluss gekocht und mit Pilzen, Fleisch und Gemüsebeilage als Nudelsuppe serviert. Aha? „Soba + Pilze + Gemüse-/Fleischsuppe = Udon“?1 Es schmeckt hervorragend.

Während all dieser Vorgänge wechsele ich ein paar Worte mit einer Familie, deren Namen alle mit „Yû“ anfangen. Yû, der Vater, Yûko, die Mutter, Yûtarô, der Sohn (3) und Yûmi, die Tochter (0,75). So ein Zufall – in meiner Gastfamilie heißt der Vater Yûta, der Sohn ebenfalls Yûtarô und die Tochter Yûmiko. Entweder ein echter Zufall oder aber diese Namen, bzw. die Silben sind sehr beliebt. Während ich mit dem jungen Vater rede, der scheinbar sehr glücklich ist, dass er mit uns Englisch reden kann, sieht mich sein Söhnchen an, als käme ich vom Mars. Wir kneten schließlich den Teig zusammen.
Viel interessanter (und das nicht nur von einem männlichen Standpunkt aus betrachtet) sind die beiden Oberschülerinnen Saika (16) und Chitose (17). Von ihnen erfahre ich zum Beispiel, dass einer der Kämpfer beim diesjährigen Kyûshû Sumô Basho ein Absolvent ihrer Schule sei, und sie sind mächtig stolz darauf. Ihre Schule liegt vielleicht 100 Meter von meiner Wohnung entfernt, ich fahre jeden Morgen daran vorbei. Dann erzählen sie munter ca. zehn Minuten lang etwas über den Begriff „pichi-pichi“ und Haut, was ich erst nicht so recht verstehe. Erst gegen Schluss wird mir langsam klar, dass sie mir zu erklären versuchen, dass „pichi-pichi“ etwa „wie ein Pfirsich“ (von engl. „peach“) bedeutet und dass es in Japan wohl ein Sprichwort gibt, das da sagt „eine Haut wie ein Schulmädchen haben“. Aha. Und aber oh ja! Die Haut, die da vor mir steht, würde jeden Mann interessieren, sofern er nicht scheintot, homosexuell oder sonst irgendwie gebunden ist. Die zwei sehen gut aus (meiner bescheidenen Meinung nach). Zur Erinnerung mache ich ein Foto von den beiden. Ohne „V“-Geste, die allen Ostasiaten zu eigen zu sein scheint. Das Bild sieht zwar ein wenig verrückt aus (vor allem Chitose), aber es gefällt mir. Wahrscheinlich gerade deshalb.

Aber sie sind eigentlich hergekommen, weil sie ihr Englisch verbessern wollen. Und damit scheint es ihnen recht ernst zu sein. Ihr Englisch ist schlecht, in Bezug auf Vokabular und Aussprache. Die Grammatik ist in Ordnung. Wir führen das gemeinsam auf die einseitig auf grammatische Strukturen ausgelegte Lehrmethode an den Schulen zurück, wo man kaum Kommunikationsschulung erhält. Sie sind sehr begierig, Phrasen zu lernen, vor allem in Bezug auf Begrüßungen (also förmliche, ritualisierte Angelegenheiten). Und sie werden nicht müde, Englisch zu sprechen (so weit sie das können) und es berichtigen zu lassen. Ich bin beeindruckt. Vor allem, weil eben nicht jeder seine Fehler gerne zur Schau stellt, um sich auch noch belehren zu lassen.
Ich empfehle den beiden, mit dem Ryûgakusei Center der Universität in Verbindung zu setzen, da es da ja eine Menge Leute gibt (eben Austauschstudenten), die Englisch sprechen. Um einfach nur Kommunikation zu üben wird es schon ausreichen. Ich gebe den beiden die Namen von Sawada-sensei und Kuramata-sensei, damit sie sich erst mit denen in Verbindung setzen können. Ich möchte nicht, dass die Verantwortlichen des Centers eines Tages davon überrascht werden, dass (minderjährige) Oberschülerinnen auftauchen und die Studenten ansprechen – nicht, dass der Eindruck entsteht, dass hier unsaubere Geschäfte getätigt werden. Ich muss sobald wie möglich mit Sawada-sensei darüber sprechen, damit sie nicht von „außen“ erfahren muss, dass ich das Center als „Sprachschule“ weiterempfohlen habe. Saika und Chitose jedenfalls versprechen, meinem Rat zu folgen. Ich bin gespannt, was daraus wird – oder wie lange es dauert, bis sie sich trauen.2
Auf jeden Fall habe ich den Eindruck, dass japanische Mädchen weitaus weniger Scheu haben, auch schlechte Sprachkenntnisse anzuwenden, als Jungs. Und sie haben mehr Mut, wildfremde Leute um Berichtigung zu bitten. Die Jungs halten m.E. lieber die Klappe, als sich mit Fehlern zu blamieren und nachher als „uncool“ zu gelten. Meine Achtung vor den Mädchen ist heute erheblich gestiegen (was natürlich nicht heißt, dass ich sie vorher geringgeschätzt hätte).
Melanie unterhält sich währenddessen mit zwei anderen einheimischen Frauen und erzählt ihnen, dass sie mit ihrem Freund zusammenlebe. Die beiden Damen (ca. 30 Jahre alt) reagieren ungläubig: „Was bitte? Wirklich?“ Da bei mir gerade eine Gesprächspause eingetreten ist, gehe ich zu Melanie hinüber, um zu sehen, wie sie zurecht kommt. Ich nähere mich ihr von hinten und streiche ihr durch die Haare, was die beiden Damen begreifen lässt, dass diese Person Melanies Freund ist. Sie wollen aus dem Staunen nicht mehr herauskommen, als sie sehen, wie der Freund von Melanie aussieht. Sie machen bei meinem Anblick einen Laut, als hätte Melanie gerade den Beweis geführt, dass man aus angeschimmeltem Reisstroh Gold machen kann. Vielleicht tut es Melanie mal ganz gut, wegen etwas beneidet zu werden.
Auch diese Party dauert zwei Stunden. Das scheint hier so Brauch zu sein. Melanie und ich fahren nach Hause, und das gerade rechtzeitig, bevor es in stärkerem Maße zu regnen beginnt. Heute war ein Tag, einer der wenigen Tage eigentlich, von dem ich auf keinen Fall sagen würde, dass er verschwendete Zeit war. Eigentlich möchte ich jeden bedauern, der nicht auf dieser kleinen Feier war. Trotz der beknackten Gesangs- und Gymnastikeinlage.
1 „Udon“ ist die Bezeichnung für dicke, helle Nudeln aus herkömmlichem Weizenmehl, „Soba“ sind dünne, dunkle Nudeln aus Buchweizenmehl. Zum damaligen Zeitpunkt lag ein grundlegendes Missverständnis meinerseits vor.
2 Da wurde natürlich nie was draus. Es handelte sich um einen Erkenntnisschritt für mich, und am Ende des Weges, im Laufe des kommenden Jahres, hatte ich gelernt, dass Japaner einem alles mögliche erzählen, wenn sie der Meinung sind, dass es dem Gegenüber ein gutes Gefühl gibt. Als Ausländer außerhalb des Gefüges gegenseitiger Beziehungen zu stehen, fördert dies zusätzlich. Diese kleinen Lügen sind japanische Konvention und niemand denkt etwas Böses dabei.
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