Donnerstag, 13.11.2003 – Tuning Apples
Heute steht der Besuch im Apfelforschungszentrum in Kuroishi an, die Abfahrt ist wie üblich um 12:10. Der Kleinbus, mit dem wir fahren wollen, stellt sich als zu klein heraus. Einer passt nicht mehr hinein, und das ist Kashima-sensei. Er folgt uns daher mit dem eigenen Wagen.
Auf dem Weg heraus aus der Stadt heraus halte ich die Augen wieder nach Autohäusern auf, halte Ausschau nach Nissan und Mazda. Aber ich finde „nur“ Mitsubishi, Subaru, Daihatsu, Volkswagen, Toyota, Honda, Suzuki und sogar Harley Davidson. Also ist quasi alles vertreten, nur nicht das, was zu suchen ich beauftragt wurde. Das ist etwas seltsam, könnte man meinen, vor allem im Hinblick darauf, dass Mazda die meistverkauften Importwagen Deutschlands sind (oder waren). Aber Mazda ist in Japan relativ selten, stelle ich fest. Der Löwenanteil entfällt auf Toyota (mit etwa 50 % Marktanteil – die könnten Daimler-Chrysler kaufen, wenn sie das wollten) und Mitsubishi. Aber ich habe bisher mehr VWs als Mazdas gesehen. Ich glaube, zwei Mazda-Modelle sind bisher an mir vorbeigefahren. Obwohl Mazda im Werbefernsehen vertreten ist (mit dem Modell „Avensis“, was wohl ein sportlich aufgemachter Familienwagen ist).
Über die Autos ist generell etwas zu sagen. Es gibt im Großen und Ganzen zwei Typen auf den Straßen – gedrosselte und nicht gedrosselte Fahrzeuge. Ich habe bereits geschrieben, dass die Geschwindigkeitslimits hart sind und dass es sich eigentlich nicht lohnt, PS-starke Autos zu fahren. Die meisten Fahrzeuge sind halt gedrosselt, und ich nehme an, dass man damit nicht weit über 100 km/h hinauskommt. Diese Fahrzeuge haben einen spürbar geringeren Steuersatz als die ungedrosselten Fahrzeuge. Man kann sie an den Nummernschildern auseinanderhalten – es gibt gelbe und weiße (und grüne, die ich aber bisher nur bei Taxen und LKWs gesehen habe).
Bis zum Forschungszentrum sind es nur ca. 20 Minuten Fahrt. Und es bleibt festzustellen, dass es sehr klein ist. Es besteht aus einem Hauptgebäude und einem Museum, drumherum Apfelfelder. Aus irgendeinem Grund bekommen wir nur das Museum zu sehen. Dabei hätte ich gerne live gesehen, wie man Äpfel erforscht. Aber eigentlich wird in dem Museum alles erklärt, Geschichte, Methoden und Produkte. Das Forschungszentrum wurde 1932 gegründet, aber das kommerzielle Anpflanzen von Äpfeln begann wohl schon etwa 30 Jahre früher. Und es dauerte eine ganze Weile, bis man heraus hatte, wie man die Bäume und Früchte effektiv vor Schädlingen schützen kann. Die ersten fünf Jahre sollen recht hart gewesen sein, eine Ernte nach der anderen wurde von Insekten gefressen oder von Pilzbefall vernichtet.
Das älteste Exemplar von Apfelbaum ist 103 Jahre alt. Und trägt noch immer Früchte, und zwar gute. Ja, natürlich ist nur der Stamm so alt, weil die Äste immer wieder nach Bedarf weggeschnitten werden. Die Apfelpflege ist immens. Ich bin öfters in Südtirol gewesen, einer Region, die ebenfalls eine hohe Produktion von Äpfeln aufweist, aber etwas solches wie hier habe ich auch dort nicht gesehen. Die Äpfel hier werden während ihres Wachstums jeden Tag ein paar Zentimeter gedreht, damit alle Seiten gleichmäßig Sonne erhalten. Alle Äpfel werden von Hand gedreht. Ja, ganz richtig. Früher wurden die Blüten auch von Hand bestäubt – jede einzelne – aber heute geht man da bequemer vor. Heute lässt man diese Arbeit von Bienen machen. Ja, das klingt völlig normal, ich weiß, aber diese Bienen hier sind was besonderes.
Die Bienen hier wurden mit Hilfe moderner Biotechnologie „hergestellt“. Allerdings mittels Kreuzungsverfahren, wie man uns versichert, nicht mit Hilfe von Genmanipulation. In dem Fall würde ich die Arbeit als beeindruckend erfolgreich bezeichnen. Diese Bienen hier haben zum einen nämlich keinen Stachel, das heißt, sie werden Bauern und Anwohnern nicht gefährlich.
Ja, aber wie verteidigen sie sich dann gegen Raubinsekten?
Gar nicht.
Wie bitte? Und wie verhindert man die Ausrottung von ganzen Völkern durch Wespenkommandos?
Einfach: Durch gesteigerte Geburtenrate.
Wie geht das?
Indem man die Königin aus der Hierarchie subtrahiert und die Hierarchie somit abschafft.
Aber wer legt dann die Eier?
Alle Bienen legen Eier.
Was soll das heißen: „alle“?
Ja, eben „alle“. Auch die Männer legen Eier. Aber eigentlich sind es keine richtigen Männer.
Was soll denn das nun wieder heißen?
Normalerweise haben irdische weibliche Lebewesen zwei X-Chromosomen, männliche haben ein fehlerhaftes Chromosom, das man Y-Chromosom nennt. Den männlichen Bienen dieser Art „fehlt“ das fehlerhafte Y-Chromosom. Sie haben nur ein X-Chromosom. Bei Paarungen können also nur X-Chromosomen zusammenkommen und alle Nachkommen sind deshalb in der Lage, Eier zu legen. Die weiblichen Bienen sind außerdem in der Lage, die männliche Samenflüssigkeit zu speichern. Wenn sie den Samen mehrerer Männchen speichern, werden aus den Eiern Weibchen schlüpfen, legen sie die Eier sofort nach der Paarung, werden männliche Bienen schlüpfen. Ihr Instinkt sagt ihnen jeweils, was vorteilhafter ist. Auf diese Art und Weise ist ständig genügend Nachwuchs vorhanden und ein Ausfall der Königin kann nicht das Volk gefährden, wie das sonst üblich ist. Ich werde eine Weile brauchen, bis ich das halbwegs verdaut habe.
Die Äpfel werden sechsmal im Jahr gespritzt. Jeweils eine andere chemische Keule gegen verschiedene Krankheiten und Schädlinge. Die kleineren Exemplare schneidet man bereits im Frühstadium ab, damit der Baum sich auf die größeren konzentrieren kann, die dadurch noch größer werden. Und jeden Tag wird hier daran gearbeitet, den Apfel zu kreieren. Natürlich nicht „einfach so“ mit Hilfe der Gentechnik, sondern mit Hilfe von Auswahl und Kreuzungsverfahren, wie man mir ausdrücklich versichert. Es gibt knapp zwei Dutzend Sorten, von denen die Hälfte noch angepflanzt werden, die anderen sind „Auslaufmodelle“. Alle aktuellen Sorten werden gleichmäßig angepflanzt und sind darauf ausgelegt, zu verschiedenen Zeiten im Jahr vom Frühsommer bis in den November geerntet werden zu können. Es hängen sogar jetzt noch Äpfel an manchen Bäumen, und jetzt ist Mitte November. So verhindert man, dass eine Naturkatastrophe wie z.B. ein starker Taifun oder übermäßiger Regen mit einem Schlag die komplette Jahresernte vernichtet.
Was ich auch nicht wusste, ist, dass ein und die selbe Apfelsorte gelb oder rot werden kann. Wünscht man, dass der Apfel rot wird, muss man ihn mit Papier einwickeln, so lange er noch am Baum hängt. Soll er gelb werden, lässt man ihn der Sonne ausgesetzt.
Aus den Äpfeln wird alles Mögliche hergestellt, nur auf Apfelmus scheint niemand gekommen zu sein. Sawada-sensei sagt, dass man Äpfel mancherorts mit Hilfe einer Reibe zerkleinere und anschließend so verzehre – aber das ist ja nicht das gleiche. Apfelmus wird aus gekochten und zerstoßenen Äpfeln hergestellt und mit einer Portion Zucker ohne weitere Zutaten verzehrt. Ich jedenfalls brauche keine Kartoffelpfannkuchen unter meinem Apfelmus. Dabei mögen doch vor allem Japanerinnen süße Nebengerichte. Vielleicht stelle ich einfach mal ein Glas Apfelmus her und schicke es dem Präfekten oder dem Kulturbeauftragten… Apfelmus ist eine viel zu simple Angelegenheit, um es sich entgehen zu lassen.
Ansonsten hat man die Wahl zwischen mehreren Sorten Apfelsaft und alkoholischen Getränken, es gibt Kekse (welche mit Apfelgeschmack und auch welche aus Äpfeln), Tee aus Apfelblüten, Curry-Soße mit Apfelbeimischungen, Eiscreme mit Apfelgeschmack, Marmelade, Kompott und Gelee, es gibt Stoffe, die mit natürlicher Apfelfarbe gefärbt werden, und es gibt sogar Produkte wie Handtaschen, die mit geflochtenen Fasern aus dem Holz des Baumes verziert werden. Natürlich gibt es noch mehr, aber ich fühlte mich leider nicht dazu bewegt, den ganzen Krempel auf dem Tisch schriftlich festzuhalten. Aber Mus gibt es keines. Und auffälligerweise steht hier auch kein Plastikmodell eines Apfelkuchens – das ist ebenfalls überaus verdächtig.
Wir erhalten den Auftrag, das Museum nach Informationen zu durchforsten und jede der Gruppen erhält ein Themengebiet. Unsere Gruppe, mit Irena, Yon, Mathieu und meiner Wenigkeit, bekommt die „Apfelprodukte der Region“ zugewiesen – was machen wohl die anderen??? Am folgenden Donnerstag soll dann jeden Gruppe einen fünf Minuten langen Vortrag über das Thema halten. Das sollte nicht weiter kompliziert werden, nachdem Irena die Aufgabe übernommen hat, die Produktpalette abzuschreiben. Ich hätte mich gerne ebenfalls darauf vorbereitet, aber ihre Liste ist Englisch, Slowenisch und Japanisch gemixt, und zumindest Slowenisch kann ich ohne ihre Hilfe nicht entziffern. Sie will mir eine englische Version zukommen lassen.
Auf der Rückfahrt landet Sang Su auf dem Sitz neben mir und es entfaltet sich ein übliches „Veteranengespräch“, da wir ja beide „alte Funker“ sind. Ich glaube, bereits erwähnt zu haben, dass er die zwei Jahre und zwei Monate seines Wehrdienstes in einem Bunker auf einer Luftwaffenbasis verbracht hat. Von ihm erfahre ich ein paar allgemeine Dinge über die Organisation der südkoreanischen Armee. So zum Beispiel steht unterhalb der Divison gleich das Regiment als nächste Verwaltungseinheit. Brigaden gibt es dort nicht. Dafür haben die Divisionen in Südkorea nur eine Stärke von 3000 Mann, übergeordnete Verbände wie Korps und Armee sind entsprechend kleiner als bei uns. Ich muss ihn bei Gelegenheit daran erinnern, sich von seiner Mutter seine Uniform schicken zu lassen, die er als Reservist noch im Schrank liegen hat. Das gemeinsame Foto wird bestimmt erstklassig.
Nach der Ankunft an der Uni gehe ich sofort in die Bibliothek, um meine Post zu schreiben.
Am Abend essen wir zuhause, weil Melanie „lauter Sonderangebote“ gekauft hat. Natürlich ist das nichts, was ich bedauern müsste, sieht man von der Mühe der Herstellung und dem Geschirrspülen ab.
„TRICK“ und „Manhattan Love Story“ runden diesen Tag noch so richtig ab.
Jetzt kann ich ruhig schlafen.
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