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Aus dem noch unerforschten Inneren meines Schädels

12. Mai 2024

Samstag, 08.05.2004 – Kasukabe Boys

Filed under: Filme,Japan,Manga/Anime,My Life — 42317 @ 21:48

Melanie hat sich gestern Abend, mit technischer Unterstützung unseres ungarischen Bekannten, ein neues Fahrrad besorgt und wir entschließen uns dazu, heute ins Kino zu gehen, um den „Shin-chan“ Film „Kasukabe Boys“ anzusehen. Am Sonntag, morgen, läuft die letzte Vorstellung.
Es handelt sich dabei, grob gesagt, um eine Western-Parodie, in der Klaus Kinski und (ein recht junger) John Wayne (als die Bösen) ebenso auftreten, wie auch Yul Brunner und der Rest der Glorreichen Sieben.
Shinnosuke landet mit seinen Freunden beim Spielen in einem alten Kino, in dem zwar niemand anwesend ist, wo aber trotzdem, reichlich unscharf, eine Szene aus einer typischen Western-Wüste auf dem Bildschirm gezeigt wird. Er geht zwischendurch auf die Toilette und als er zurückkommt, sind die anderen vier verschwunden. Er geht nach Hause, aber es stellt sich bald heraus, dass seine Freunde nicht nach Hause gegangen sind. Die komplette Familie macht sich also auf den Weg, das alte Kino zu besuchen – was natürlich dazu führt, dass sie in dem (namenlosen) Film landen…

Wüste. Eine Bahnlinie. Eine klassische Westernstadt. John Wayne und seine Gehilfen lassen die Dorfbewohner für sich arbeiten. Shinnosukes Freund Kazama hat sich der Gang auch inzwischen angeschlossen (er ist der Sheriff geworden) und gibt vor, sich nicht mehr an Shinnosuke zu erinnern. Masao (in der Rolle des unterdrückten Mexikaners) erzählt dasselbe. Nene lebt mit Masao zusammen und Bô ist der einsame Indianer, der in seinem Tipi am Rand eines Canyons wohnt. Es scheint, dass die Stadt voller Leute ist, die hier eigentlich nicht hingehören und wieder aus dem Film raus müssen – aber je mehr Zeit man in „Justice City“ (so der Name der Stadt) verbringt, desto mehr vergisst man von seinem alten Leben.
Des Weiteren steht in dieser Welt die Zeit still. Das heißt, hier ist immer „High Noon“, 12 Uhr mittags. Shinnosuke geht dazu über, den Zeitverlauf daran zu messen, wie häufig der örtliche Erfinder und Bastler (sicherlich auch eine Parodiegestalt, die ich aber nicht erkenne, möglicherweise Steve McQueen) als Strafe für sein freidenkerisches Tun hinter einem Pferd durch die Straßen geschleift wird. Die Bösen haben natürlich ein Interesse daran, dass die Zeit stehen bleibt, denn ein Film, in dem jemand ungerechterweise uneingeschränkte Macht ausübt, kann nur ein „Happy End“ haben – was sich natürlich zu ihren Ungunsten auswirken würde. Als die Leute sich dann zusammentun, um gegen ihr Joch zu protestieren, vergeht endlich etwas Zeit und die Sonne neigt sich ein Stück gegen den Horizont.
Zum Schluss gibt es dann wieder eine Verfolgungsjagd, diesmal Pferd, bzw. Ford, gegen Eisenbahn, und schließlich Eisenbahn gegen „MechaWayne“ (ein großer Roboter), der von John persönlich gesteuert wird und von den zu Superhelden mutierten Kindern zu Fall gebracht werden muss. Natürlich kommt, was kommen muss, nämlich das Happy End, und alle landen wieder in dem kleinen Kinosaal, wo alles angefangen hat.

Ich finde es sehr bedauerlich, dass in diesem Film „echte“ Gewalt zum Einsatz kommt. In „Das Imperium der Erwachsenen schlägt zurück“ waren die Bösen mit Spielzeugwaffen ausgerüstet und niemand wurde verletzt. In „Yakiniku Lord“ (oder „- Road“) gab es zwar einen Kampf am Ende, aber dabei handelte es sich um ein sehr lustig choreographiertes Handgemenge, dessen Schwerpunkt eindeutig auf Humor lag. Aber in „Kasukabe Boys“ schießen die Bösen mit Revolvern, es gibt Verletzte unter den Bewohnern, und Shin-chan und seine Mutter werden von John Wayne mit einer Peitsche bewusstlos geschlagen – ich glaub’, ich spinne! Von allem, was ich von Shin-chan bisher gesehen habe, ist das hier am wenigsten für das nicht erwachsene Publikum geeignet, das hier im Kinosaal so vier bis sieben Jahre alt sein dürfte. Bedauerlich ist eigentlich auch, dass die Kinder die Anspielungen auf klassische Western überhaupt nicht verstehen können. Wer von denen kennt denn Klaus Kinski? Oder gar Yul Brunner? Letzterer ist schon seit 1985 tot. Da war so mancher Elternteil erst so alt wie die anwesenden Kinder heute!
Und dann: Welch Aufhebens wurde in der TV-Werbung für diesen Film um die Präsenz der japanischen Gruppe „No Plan“ gemacht! Dabei waren die Jungs nur in einer einzigen Szene zu sehen, einer sagte einen Satz und damit war der Fall gegessen. Sie haben dann das Schlusslied gesungen, das „Yume Biyori“ von Shimatani Hitomi (einem Doraemon Schlusslied) irgendwie nicht ganz unähnlich ist.

Dann trennen sich unsere Wege – Melanie fährt ins Book Off und ich in die Bibliothek. Ich mache allerdings noch einen Zwischenstopp in der Mazdavertretung und frage dort nach einer Fernbedienung für ein Pioneer Radio, die man am Lenkrad befestigen kann. Ich weiß nicht, wozu das gut ist, aber Kai will so was haben. Hätte ich dabei „Gran Tourismo“ besser im Hinterkopf gehabt, hätte ich zwei Gesprächszeilen bei dem Dialog mit dem Angestellten vermeiden können.
„Für welches Auto?“ fragt der. Ich bin verwirrt.
„Ist das wichtig? Für den Mazda MX5.“
„MX5? Ah so, Roadster. Für welche Radiomarke?“
„Es handelt sich um Pioneer.“
Ich bin mir nicht zu 100 % sicher, ob das noch stimmt, aber ich glaube, Kai kommt gar nichts anderes ins Haus (so lange er es sich Bohse noch nicht leisten kann…). Aber einen bestimmten Typ kann ich leider nicht nennen, weil ich keine Ahnung von Autoradios habe. Der Angestellte wirft einen Blick in den Katalog und meint dann: „Für Stereoradios werden keine Fernbedienungen geliefert.“ Ich weiß, dass Kai bereits eine Fernbedienung hat, also muss ich dann daraus schlussfolgern, dass es sich bei seinem Modell um kein Stereo-Radio handelt? Kai war mit Informationen leider nicht sehr großzügig, entgegen seinem sonst üblichen Perfektionismus in solchen Dingen. Ich sage dem Angestellten also, dass ich nachfragen werde und verabschiede mich bis zum nächsten Mal.
In der Bibliothek gehe ich meinen üblichen Tätigkeiten nach, aber mein Newsletter wird bis 17:00 nicht fertig.

Danach gehe ich mit Melanie essen, und zwar – endlich – in das Lokal des Shamisen-Meisters Daijô Kazuo. Eine sehr gemütliche Atmosphäre herrscht dort, und vor allem erweist sich die Dame des Hauses als sehr gesprächig, und sie lacht gerne. Sie ist sehr erheiternd auf ihre Weise. Ich frage sie, was denn die Spezialität des Hauses sei. „Eigentlich haben wir keine Spezialität“, sagt sie, empfiehlt aber „Tonkatsu Ramen“. Na, dann immer her damit. „Wir hatten schon früher einen Deutschen zu Gast“, erzählt sie, „das war Professor Höffgen. Er hat jeden Tag hier gegessen – bis er 1985 geheiratet hat. Ab dann ist er leider nicht mehr regelmäßig gekommen.“ Seit 1980 habe der Professor hier zu Mittag gespeist, erzählt sie weiter. Und sie erzählt offenbar gerne, interessanterweise ohne etwas zu erwischen, was mich langweilen würde. Sie vergisst darüber sogar, unsere Bestellungen zu bearbeiten, bis sie sich schließlich, nach etwa zehn kommunikativen Minuten, über sich selbst ein wenig erschreckt, besinnt und meint: „Oh, Ihr seid sicher hungrig – ich sollte mich endlich um Euer Essen kümmern.“ Aber es ist mir nicht wirklich aufgefallen, „dass da was fehlt“. Auf so sympathische Art und Weise ist mein Essen noch nie herausgezögert worden. Aber wir werden durch den Geschmack großzügig entschädigt – ich will hier auf jeden Fall noch einmal essen.
Auch Daijô-san ist da und ich frage ihn, wo oder wie man den Soundtrack zu „Nitabô“ kaufen könne. Er ist sich nicht sicher und fragt seinen Sohn. „Es gibt keinen zu kaufen“, sagt der.
AAAAAAAAAAAAAAAAAAARGH!
Wieder ein Traum meines Daseins dahin!

Wir fahren schließlich nach Hause. Melanie überfährt eine rote Ampel, weil die Straße frei ist und sie nicht warten will. Ich halte an und reagiere mit einer resignierenden Geste. Eine Großmutter am Straßenrand lacht vergnügt darüber.

Zuhause sehen wir uns „Kozure Ogami“ an und ich lese weiter in meinem „Pokemon“ Manga, dessen unterschwellige (sagte ich eben unterschwellige???) Sexualisierung mir hier und da die Sprache verschlägt – wie prüde erscheint mir da der Anime! Ich hege den Verdacht, das Ono Toshihiro einen Teil der existierenden Hentai Dôjinshi selbst unter einem Pseudonym zeichnet… seine Freude am Zeichnen üppiger weiblicher Formen ist unübersehbar.[1] Natürlich ist diese Vermutung an den Haaren herbeigezogen, aber ganz unwahrscheinlich ist es auch nicht – immerhin sind die (metaphorischen!) Haare vorhanden. Da befindet sich zum Beispiel auf dem Innenumschlag ein reichlich unbekleideter Shigeru/Gary. Der ist ein männlicher Charakter, ja, aber seine Körpermitte wird nur von einer vor ihm stehenden Figur verhüllt und ein Pfeil, der auf die private Gegend deutet, ist mit dem Kommentar versehen: „Er trägt eine Unterhose!“ Soll heißen: „Nein, er ist nicht nackt!“, aber der Eindruck wird erweckt. Weiterhin befindet sich auf Seite 9 des zweiten Bandes eine Stadtstraßenszene, gesehen aus der Vogelflugperspektive, und in einem der Fenster ist „Spielzeug“ zu sehen, dass definitiv nicht für Kinder ist. Auf Seite 47 im selben Band ist Kasumi/Misty dargestellt, und ihre Kleidung zeigt mehr, als sie verbirgt.
Die Amerikaner haben die Zensur zwar auf die Spitze getrieben, aber ich komme zu dem Schluss, dass der Manga in seiner Originalversion nicht für Kinder geeignet ist. Wenn ich einen guten Tag habe, würde ich sagen „Geeignet für Leser ab 13 Jahren“, aber nicht weniger.
Ich bin natürlich nicht so scheinheilig, zu behaupten, dass mich persönlich das sehr stören würde, aber ich bin auch alt genug und dieser Manga verfehlt eindeutig das offizielle Zielpublikum.


[1] „Dengeki Pikachu“ IST ein Dôjinshi und dessen Schöpfer Ono hat zur offiziellen Produktreihe keine lizenzrechtliche Beziehung.

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