Freitag, 14.05.2004 – Wenn mir schon was einfällt…
Mit Hilfe der morgendlichen Vorbereitungszeit ist der Kanjitest ein wahrer Spaziergang. Der Test wird heute auf die Rückseite des alten Tests geschrieben, weil Ogasawara-sensei vergessen hat, den neuen zu kopieren.
Dann fährt Kuramata-sensei mit seinem Seminar über Reis fort. Er geht zuerst noch kurz auf Sannai Maruyama ein und geht dann zu der Genetik der Reispflanze über. Eigentlich müsste man sagen, dass er über Genetik im Allgemeinen redet, was es damit auf sich hat und wer sich in dem Fach besonders hervorgetan hat. Nach sechzig Minuten ist er damit fertig, aber er will uns eine halbe Stunde vor Ende der Stunde noch nicht gehen lassen, also regt er uns zu Fragen an. Mir fällt sogar ausnahmsweise was dazu ein.
„Wenn die Jômon Leute keinen Reis kultiviert haben, warum beschäftigt sich das Seminar damit?“
Kuramata lacht darüber (hätte ich in dieser Situation auch gemacht) und sagt, dass das Seminar doch eine tolle Gelegenheit sei, uns völlig umsonst die Ruinen in Aomori zu zeigen. Sehr gute Antwort. Direkt, ohne Umschweife und ehrlich. Da stimme ich ihm natürlich zu. Außerdem, fährt er fort, sei erwiesen, dass die Menschen dort Nussbäume gepflanzt hätten, um sich auf diese Art und Weise Nahrungsquellen zu erschließen. Nun seien (japanische) Forscher natürlich Feuer und Flamme, den Beweis zu finden, dass man vor 7000 Jahren vielleicht bereits wilden Reis angepflanzt hat. Reisanbau wird (offiziell) seit der Yayoi-Periode betrieben, und die begann 300 vor Christus. Dann ist natürlich anzunehmen, dass Reisanbau – in Ansätzen – bereits in der Jômon-Zeit betrieben worden sein muss, aber meiner Meinung nach wohl erst in der Spätzeit, je nachdem, wie lange man gebraucht hat, um herauszufinden, dass Reis besser gedeiht, wenn er in einem Feld wächst, das unter Wasser steht. Aber zu hoffen, dass Reis schon 5000 Jahre früher so weit in den Norden verbreitet worden war, halte ich für etwas enthusiastisch. Es ist was ganz anderes, Nüsse von einem Baum zu pflücken, als die Früchte einer Grasart als essbar zu erkennen, wenn man diese vorher zubereiten muss. Aber gut… auch diese Nüsse mussten erst einmal eine Zeitlang in Wasser eingelegt werden, um den bitteren Eigengeschmack zu mildern. Darauf muss man auch erst mal kommen.
„Warum kann man eigentlich nicht ganz regulär Reis aus ganz Japan in den Supermärkten kaufen?“
Aber schon als ich die Frage ausgesprochen habe, ist mir der Fall selbst klar, obwohl Kuramata nur sagt, es sei zu teuer, und er nennt dabei den hohen Arbeitskräfteeinsatz. Trotz der Hochtechnologie, für die dieses Land bekannt ist, wird Reis immer noch weitgehend mit relativ primitiven Methoden angebaut und geerntet: Mit bloßen Händen und barfuß im Reisfeld. Dabei gibt es Maschinen dafür (von der Firma „Kubota“, wie ich jeden Samstagmorgen in der Werbung erfahre), und wenn es keine gäbe, könnte man locker welche bauen. Statt die Modernisierung der Reiswirtschaft voranzutreiben (und damit nicht wenige Bauern, auf die sich die Regierungspartei LDP stützt, in den Ruin zu treiben oder auf andere Produkte umsteigen zu lassen) wird die Landwirtschaft mit Milliardenbeträgen subventioniert und ist in keinem Fall konkurrenzfähig, soweit es das asiatische Ausland betrifft. Bevor ich nach Japan kam, dachte ich, Reis müsse in ostasiatischen Staaten allgemein sehr billig sein, weil er ja massenweise vor Ort angebaut wird. Aber nichts war’s damit. 10 kg japanischer Reis, aus der Gegend, in der ich ihn auch kaufe, kostet mich umgerechnet etwa 30 Euro. Wenn ich mich mit thailändischem Bruchreis begnüge, der den halben Globus entfernt angebaut wird, kosten mich 22,5 kg in Deutschland sogar gerade einmal knapp 20 E.[1]
Aber zurück zu dem hiesigen Reisverteilungsproblem: Ich erinnere mich an den Unterricht bei Kondô, kombiniere ein paar Informationen und erkenne, was hier gespielt wird. Die landesweite Verteilung der Ernte ist wegen der hohen Autobahngebühren unerschwinglich, und würde man diese Aufgabe mit Hilfe der Küstenschifffahrt zu bewältigen versuchen, wären es die von der Schiffergewerkschaft erstrittenen, hohen Personalkosten der Seeleute, die den Preis pro Sack in die Höhe trieben. Kurzum, man könnte sich in Kyûshû den Reis aus Aomori gar nicht leisten! Also lässt man es gleich sein, propagiert den Reis vom Feld 500 m weiter als das Nonplusultra, und beschränkt sich im Binnenhandel auf bestimmte Feinschmeckersorten (wer auch immer diese zu solchen erklärt), die dann natürlich auch einen Feinschmeckerpreis haben. Oder vielleicht ist auch jemand auf die Idee gekommen, „exotischen“ Reis zu verkaufen, und behauptet, der Reis sei teuer, weil er besonders gut sei – die Leute glauben ja viel. Kaviar schmeckt wahrscheinlich ebenfalls nur deshalb so umwerfend, weil er teuer ist. Man kommt sich ja vor wie in feudalen Zeiten! Die innerjapanischen Zölle sind zwar abgeschafft, aber deren Platz wurde von den Autobahngebühren eingenommen.
„Wie groß ist das Interesse der Konsumenten eigentlich an genetisch bearbeitetem Reis, den die Forscher dieser Tage ja bis auf das letzte Chromosomenpaar analysieren wollen? Wozu ist die Arbeit eigentlich gut?“
Oh, die Japaner seien strikt gegen genmanipuliertes Material. Vor allem die Bemühungen der USA, ihre „Designersojabohnen“ nach Japan zu exportieren, machten Schlagzeilen. Auf vielen Nattô-Packungen wird extra darauf hingewiesen, dass es sich um einwandfreie japanische Bohnen ohne Eingriffe technischer Art handele. Ich interpretiere also, dass genmanipulierter Reis nicht sehr freundlich angenommen würde und die ganze Genforschung auf diesem Gebiet nur dazu dient, wissenschaftliche Bücher zu füllen… und wenn man auf den Sack nicht draufschreibt, dass an dem Reis herumgeschraubt wurde, merkt es auch keiner. Oder aber man definiert „genetisch manipuliert“ entsprechend so, dass das Verfahren nicht in die Definition fällt. Sehr japanisch und einfach wäre auch ein Gesetz, nach dem nur Importwaren als „genmanipuliert“ gekennzeichnet werden müssen, und das somit die innerjapanische Angabepflicht unter den Teppich kehrt.
Damit habe ich die Restzeit auf zehn Minuten reduziert und wir können gehen. Ich schlage noch eine Stunde im Center mit Postschreiben tot, in der Hoffnung, dass der richtige Rechner mal wieder frei wird. Aber natürlich wird man dabei für gewöhnlich herb enttäuscht. Dafür findet heute wohl ein Treffen von Gastfamilien mit einigen der neuen Studenten statt. Im Hintergrund läuft Klaviergeklimper klassischer Art.
Um 16:45 fahre ich mit Melanie zum Sushi Shôgun und genehmige mir das Sushi, das mir am Mittwoch verwehrt geblieben ist. Markant: „Kaiten Sushi“! Das bedeutet, das verfügbare Angebot rollt auf einem Fließband vorbei und man nimmt sich, was man haben möchte. Wenn man etwas auf dem Fließband vermisst, kann man es bestellen, das ändert an dem Preis von 100 Yen pro Teller nichts, auf dem, je nach Materialwert, ein oder zwei Röllchen zu finden sind. Es rollt aber auch Fruchtsaft, Obst und Pudding vorbei. Es könnte etwas kühler serviert werden, aber das eine oder andere Stück ist geschmacklich wirklich eine Sensation, für die es zu morden lohnt. Übrigens ist das der Laden, vor dem wir mit Ricci und Ronald damals gestanden haben, nachdem wir aus dem Kino gekommen waren.[2]
Melanie fährt nach dem Essen nach Hause und ich in die Bibliothek. Leider habe ich mein Tagebuch zuhause vergessen, kann also nichts schreiben. Ich beschäftige mich anderweitig bis halb Neun, und gehe dann erst heim, um mir endlich die „SailorMoon“ Episode von letzter Woche anzusehen, bevor morgen wieder die nächste kommt.
Die hinterhältige Sängerin Mio setzt ihr niederträchtiges Werk fort und streut das Gerücht, Minako werde ein Live-Konzert geben. Usagi hilft bei den Aufbauarbeiten und schließlich erscheinen ein paar Dutzend Oberschüler, die lautstark nach Minako verlangen. Übrigens straft diese (quantitativ) äußerst lächerliche Fantruppe, die da vor der Bühne steht, das Aufhebens Lügen, das um Minako in dieser Serie als „Star“ gemacht wird – oder aber die Mund-zu-Mund-Propaganda ihrer Gegnerin war reichlich ineffektiv. Natürlich zielt diese Aktion darauf ab, Usagi (und Minako) den Unmut der Fans zuzuschustern, denn es war ja nie geplant, dass Minako erscheinen solle. Und Mio kann sich bei der treu-doofen Usagi darauf verlassen, dass sie, aus welchem fadenscheinigen Grund auch immer, den nicht einmal ein Japaner nachvollziehen könnte, die Verantwortung für den Fehlschlag auf sich nimmt. Während Usagi also bereits zur Entschuldigungsrede ansetzt, dass Minako wohl nicht kommen werde (und eigentlich nur noch die faulen Tomaten fehlen), geht das Licht aus und Minako erscheint tatsächlich – wenn auch auf ihrer eigenen Bühne (umgebauter LKW) ein paar Schritte weiter. Uh, ein neues Lied! Dann bleiben wir diesmal also von „C’est la vie!“ verschont. Aber was heißt „verschont“? Das Lied ist ja nicht schlecht, aber es immer wieder zu hören, ist ein bisschen viel.
Der Plan der Rivalin ist also vereitelt, die hier in einem äußerst sinnvollen Monolog hinter der Bühne offenbart, wie sehr sie die beiden hasst, und alle, die zu ihnen gehören.
Während des Konzerts erscheint allerdings, wie sollte es anders sein, der starke Yôma wieder, mit dem die Senshi in der vergangenen Episode nicht fertig geworden sind. SailorMoon macht das ganz locker und pustet das Monster mit ihrer neuen „Herzschmerzraketenwerfer“ Attacke („Moon Twilight Flash!“), für die mir auf die Schnelle keine bessere Bezeichnung einfällt, einfach so im Alleingang weg. Und die Widersacherin scheint nicht einfach nur boshaft zu sein – sie kann „was“: Naru hält auch weiterhin zu Usagi und stellt Mio zur Rede, da das Gerücht aufgetaucht ist, ihre Verletzung an der Hand (aus der vergangenen
Episode) habe sie Usagi verdanken. Mio stützt das Gerücht, indem sie geschickt (?) das exakte Gegenteil behauptet und die Angelegenheit so aussehen lässt, als beuge sie die Wahrheit, um Schaden von Usagi abzuwenden. Naru fängt sich also einen bösen Blick ein und geht mit starken Kopfschmerzen in die Knie. Aha, also dunkle Kräfte am Werk! Andererseits kann ich ihre Reaktion gut verstehen, weil sich meine Sehnerven auch ständig verkrampfen, wenn ich dieses spitznasige Schrapnell auf dem Bildschirm sehen muss.[3] Sie heißt übrigens mit vollem Namen „Kuroki Mio“, und wenn ich Kuraki Mai wäre, würde ich den Sender deswegen verklagen. 🙂
[1] Nachtrag 2010: Mittlerweile sind die Reissäcke auf 20 kg geschrumpft und die Preise auf 27 E gestiegen.
[2] Bei dem Namen „Sushi Shôgun“ handelt es sich übrigens um ein Wortspiel. Den Koch eines Sushiladens, also den Hauptverantwortlichen für das Herstellen des Essens, nennt man traditionell „Taishô“, und das bedeutet „General“. Der „Shôgun“ dagegen ist der „Generalissimus“, der „militärische Oberbefehlshaber“, und somit über dem Taishô angesiedelt, womit wohl eine Aussage über die angebotene Qualität des Lokals gemacht oder suggeriert werden soll.
[3] Die Schauspielerin wirkt natürlich sehr nett, den Interviews nach zu urteilen.
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