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Aus dem noch unerforschten Inneren meines Schädels

17. Mai 2024

Montag, 17.05.2004 – Ein Besatzer???

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

Yamazakis Grammatiklektionen sind heute wahre Böhmische Dörfer für mich, ich werde aus seinen Erklärungen nicht schlau. Aber da ich gleich im Anschluss Yui treffe, macht das nichts. Und Yui bringt auch gleich noch jemanden mit: Hiromi. Und schon kenne ich eine Frau mehr. Das heißt, eigentlich habe ich sie schon einmal getroffen, damals, im Oktober, als Yui vorbeikam, um mir die Waschmaschine zu erklären und Hiromi dabei im Schlepptau hatte, weil Hiromi sich gerade entschlossen hatte, Deutsch zu lernen. Mir kam ihr Gesicht auch entfernt bekannt vor, aber ich verlasse mich nicht auf meine äußerst schwachen Fähigkeiten, mir Gesichter zu merken. Unvorsichtigerweise sage ich ihr auch, dass mir ihr rundes Gesicht wegen der Form vage bekannt sei (obwohl die Aussage eigentlich übertrieben ist). Natürlich schmollt sie deshalb ein bisschen und sagt „Er erinnert sich an mich, weil ich fett bin…“ Nein, Du bist nicht fett. Du hast „Fleisch auf den Rippen“, wie man bei uns im „Gau“ sagt. Das ist was Anderes als „fett“.

Yui wird zwischendurch angerufen und geht nach draußen. Ich unterhalte mich derweil mit der verbliebenen Hiromi, die gerne in ein recht schnelles Japanisch verfällt, dass mir davon schwindelig wird. Sie finde es äußerst absonderlich, dass ein Mann in meinem Alter das aktuelle „SailorMoon“ Fernsehdrama anschaut. Natürlich ist ihr die Motivation von Männern, diese Serie zu sehen, völlig klar. Ich will das auch gar nicht abstreiten. Ich frage mich, ob sie vielleicht Skrupel hätte, eine TV-Serie anzusehen, in der fünf hübsche Jungs die Hauptrolle spielen?

Yui kommt nach ca. fünf Minuten wieder zurück, drückt mir das Telefon in die Hand und sagt „Red mit ihm.“ Moment mal – mit wem? Ich beantworte mir die Frage selbst: Es muss sich um ihren Freund handeln, also den jungen Mann, von dem ich bisher nur erfahren habe, dass er Mitglied der Militärpolizei in Misawa sei. Ich atme kurz durch, versuche mich zu konzentrieren (weil Telefonieren auf Japanisch aufgrund nicht einsetzbarer Körpersprache schwieriger ist, als ein Dialog Auge in Auge) und begrüße meinen Gesprächspartner. Yui winkt heftig mit ihrer rechten Hand, schüttelt den Kopf und ruft mir zu: „Nein, er spricht kein Japanisch!“ Was bitte? Ich starte mein System neu; eine Sekunde später bewegt sich das Rädchen im Hirn endlich und rastet mit einem leisen „klick“ ein. Jetzt wird mir der Fall sonnenklar. Yui ist mit einem Besatzungssoldaten zusammen!
Und der Mann ist tatsächlich Amerikaner, aus Florida, und er wird noch 18 Monate im Land bleiben, dann läuft sein Vertrag aus. Er sei bemüht, Japanisch zu lernen. Er macht über das Telefon einen ganz sympathischen Eindruck, und ich hege nach wenigen Sätzen bereits den Verdacht, dass dieser Typ hier viel zu nett ist für einen Job bei der Militärpolizei. „Ach, wenn irgendwo was läuft, muss man natürlich eingreifen, und es gibt leider immer wieder welche, die den schlechten Ruf der Truppe ausmachen“, sagt er dazu.
Aber Daniel, so sein Name, passt auch irgendwo in das gängige Klischee einer Armee aus Freiwilligen, von der man ja gerne sagt, sie bestehe zum Großteil aus Leuten, die wegen irgendwelcher Defizite keine Chancen auf dem freien Arbeitsmarkt hätten, aber immerhin körperlich etwas zu leisten im Stande seien. Daniel redet laaaangsaaaam, und das nicht auf die Art und Weise, wie Yui langsam redet, damit ich ihrem Redefluss folgen kann. Er spricht tatsächlich im Tonfall einer Person, deren Mühlen langsam mahlen. Er sagt, er werde Yui beim Auszug helfen, wenn sie zum Auslandsstudium nach Tennessee abreise, bei der Gelegenheit könne man ja zusammen was trinken gehen. Ja, wieso nicht.
Wie gesagt: Vielleicht nicht helle, aber sympathisch. Jetzt bin ich natürlich gespannt, ob er vom Erscheinungsbild her in das MP-Klischee passt. Was dann wohl ein Schrank von 1,90 Höhe und 120 Kilo Kampfgewicht wäre.

Yui und Hiromi gehen schließlich, weil sie Unterricht haben. Ich mache noch ein Buch versandfertig und will eigentlich in die Bibliothek verschwinden, aber Ning, der Chinese, der aus welchen Gründen auch immer Deutsch lernen möchte, plagt sich derzeit mit dem deutschen Plural (und natürlich mit den maskulinen, femininen und neutralen Artikeln der deutschen Sprache) herum, für den ich ihm nur empfehlen kann, die Geschlechtlichkeit der Nomina auswendig zu lernen, da mir nicht viele Regeln bekannt sind, an denen man sich orientieren kann. Ich helfe ihm also bei seinen Übungen, und als ich dann endlich in die Bibliothek komme, ist es zu spät, um noch mit einem Bericht anzufangen. Die Post hält mich auf.

Neben meinem Stuhl finde ich einen Ausdruck vom Rechenzentrum, darauf steht ein Name und LogIn Informationen, also Nutzerdaten für das Computernetzwerk der Universität. Sasaki Chio, soso… ich logge mich auf ihrem Nutzerkonto ein und schreibe eine Textmitteilung in ihren Hauptordner, in dem ich sie dazu auffordere, ihr Passwort zu ändern und solche Papiere nach Möglichkeit nicht zu verlieren. Danach vernichte ich den Zettel.
Oh… jetzt bleibt natürlich die Frage, ob sie sich ohne diesen Zettel überhaupt einloggen kann, um meine Nachricht zu finden!? Also gut, wenn ich noch einmal einen solchen Zettel finde, schreibe ich eine entsprechende Notiz und gebe den Zettel beim Fundbüro ab.

Um 21:00 komme ich nach Hause und sehe mir noch „Mito Kômon“, „Atashin’chi“ und „Nadia“ an, bevor ich um halb Zwölf schlafen gehe.

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