Sonntag, 30.05.2004 – Gibt’s hier nichts zu trinken?
Wir spielen heute also Reisbauern. Dazu fahren wir, der Kurs von Kuramata-sensei, zusammen mit Kashima-sensei und einem mir unbekannten Lehrer in ein nahes Städtchen (Dorf), dessen Namen ich mir als „Inakadate“ gemerkt habe, und finden uns am Rathaus ein. Eigentlich hatte ich gedacht, dass es sich dabei um eine kleine Aktion ausschließlich für uns Austauschstudenten handeln würde, mit vielleicht ein oder zwei einheimischen „Veteranen“ als Instruktoren. Stattdessen sehe ich hier Hunderte von Leuten! Die meisten davon sind offenbar professionelle Bauern, und da ist eine kleine Gruppe von Landfrauen in traditioneller Arbeitskleidung, aber es befindet sich auch eine französische Reisegruppe vor Ort; etwa zehn Erwachsene, vielleicht mehr, und etwa ein halbes Dutzend Kinder zwischen sechs und vierzehn Jahren sind hier. Auch Maeda Yôko ist hier, mit ihrer Tochter Minato und ihrem zweiten Sohn Riku, den sie auf dem Rücken trägt.
Die Anwesenden werden in kurzen Eröffnungsreden begrüßt und eine ältere Dame erklärt kurz, wie Reis überhaupt gepflanzt wird. Man nimmt sich ein Stück Erde mit Sprösslingen aus bereitgestellten Kästen, sofern einem diese nicht von Leuten am Rand des Feldes auf Wunsch zugeworfen werden. Auf dem Schlamm des Feldes ist ein enges Schachbrettmuster eingezeichnet und man setzt jeweils einen Sprössling auf die Kreuzungen, indem man mit dem Finger ein zwei bis drei Zentimeter tiefes Loch bohrt und den Grashalm hineinsetzt.
Und dann geht es los, barfuß in den Matsch. Der ist überraschend warm und fühlt sich sehr gut an, sehr weich und ohne irgendwelche Bröckchen, und auch der harte Untergrund ist frei von Störobjekten. Da hat jemand gute Vorarbeit geleistet. Ich fühle mich beinahe 20 Jahre jünger und erinnere mich an Zeiten, in denen ich zu weniger produktiven Zwecken im spätsommerlichen Schlamm gespielt habe.
Ich habe mit dem Gedanken gespielt, meine Schuhe anzulassen, nachdem ich beobachtet hatte, dass die Einsinktiefe nicht über die Höhe meiner Stiefel hinausgehen würde, aber das Argument, dass ich mit den Schuhen, wenn auch grob gereinigt, ja wieder in das Auto unseres Centerchefs steigen müsste, lässt mich den Gedanken verwerfen.
Man muss sich vorsichtig bewegen, weil man etwa 25 cm tief einsinkt und leicht hinfallen kann, wenn der Fuß im falschen Moment zu sehr oder zu wenig stecken bleibt. Stolpern oder ausrutschen sind die Alternativen. Wir alle haben Kleider zum Wechseln dabei, aber dennoch möchte ich nicht derjenige sein, der ein Schlammbad nimmt und anschließend entsprechende Fotos ertragen muss. Ich pflanze etwa eine halbe Stunde lang Reis, dann weiß ich, dass es zwar Spaß gemacht hat, dass ich aber darauf verzichten kann, meinen Lebensunterhalt damit zu verdienen. Wir haben heute ein ungeheuerliches Glück mit dem Wetter, es ist warm und so schwach bewölkt, dass die Sonne nicht vom Himmel brennt, aber es gibt ja auch schlechte Tage, an denen die Bauern trotzdem raus müssen, wenn sie was zu beißen haben wollen.
Ich wandere noch in der Gegend herum und fülle meinen Fotospeicher. Wegen des ereignisreichen Wochenendes kann ich leider nicht so viele Fotos von dem heutigen Ereignis machen, wie ich gerne würde, aber da das Center an Wochenenden geschlossen ist, kann ich meine Kamera von Samstag auf Sonntag nicht entleeren.
Ich habe mich die ganze Zeit schon gefragt, wozu dieser seltsame Holzrahmen gut ist, der da von einem Planquadrat des Feldes zum anderen verschoben wird. Und dann werden mit Plastikbändern an Holzstöcken Markierungen in den Boden gesteckt. Der Fall wird klar, wenn man a) alle Ausführungen des ersten Redners bei der Begrüßung verstanden hat (nein, mein Herr) oder b) auf den Turm des schlossartig angelegten Rathauses steigt. Es werden hier drei Sorten Reis gepflanzt und jetzt erst wird mir der Zweck klar. Jede dieser drei Reissorten hat eine andere Blattfarbe, Gelb, Grün oder Lila. Die mit Hilfe der Markierungen angelegte Kombination der Sorten auf dem Feld wird letztendlich ein Bild ergeben, sobald der Reis ein gewisses Wachstumsstadium erreicht hat. Das linke Bild wird einen Mönch darstellen, das rechte (für das ich keinen Platz mehr hatte) eine Frau, und das Ganze wird noch weiter verziert durch einen Schriftzug. Im Turm selbst befinden sich Fotos mit den verwendeten Felddarstellungen der vergangenen Jahre. Die Mona Lisa war auch schon dabei.
Wir waschen nach getaner Arbeit unsere Füße und Hände (kaltes Wasser und Kratzbürste!) und bekommen ein kostenfreies Mittagessen geboten, das ich sehr genieße. Es handelt sich um einen Gemüseeintopf mit Shimidôfu (das ist Tofu, der über Winter dem Frost ausgesetzt wird), und lustigerweise gibt es hier Reis nur in Form von Onigiri.
Und, hey, hieß es nicht, dass nach getaner Pflanzarbeit in Japan kräftig einer gehoben wird? „Ta-ue de Sake ga nomeru zo!“ heißt es doch in dem Lied von „Beethoven & Barracuda“, oder hat da jemand übertrieben? Ich muss mich also leider ausschließlich an die Flasche Aquarius halten, die ich selbst mitgebracht habe.
Wir machen uns auf den Heimweg. Ich bearbeite in der Bibliothek noch meine Post, kann aber wegen der morgigen Klausur nicht ewig bleiben. Ich stelle auch fest, dass meine Haut an exponierten Stellen von der Sonne gerötet ist, aber ich verspüre kein Brennen, auch nicht, wenn ich daran reibe.
Guter Tag.
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