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Aus dem noch unerforschten Inneren meines Schädels

12. Mai 2024

Dienstag, 11.05.2004 – Das Dunkle Geheimnis[1]

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 22:06

Ich gehe früh, mit Melanie zusammen, zur Universität, damit ich noch vor Beginn des Unterrichts damit beginnen kann, meine Post zu bearbeiten. Ich sitze also bis 14:10 in der Bibliothek.

Kondô-sensei hat heute einen Herrn Kôdô zu Gast, der, wie auch sein Vorgänger vergangene Woche, über geschäftliche Dinge redet. Allerdings macht Kôdô-san das ganz anders als Tsushima-san, und er ist auch nicht selbständig, sondern der Chef der hiesigen Filiale der Versicherung „Tokio Marine & Fire“. Dabei handelt es sich um eine finanziell bedeutende Versicherung in Japan.
Er lässt Einzelheiten seines Werdegangs weg und redet ausschließlich über die Begleiterscheinungen eines Versicherungsunternehmens und wo japanische Besonderheiten liegen. Zum Beispiel schreibt sich der Name seiner Versicherung tatsächlich in westlicher Umschrift, und zwar auf die deutsche Art und Weise „Tokio“ mit „i“ (anstatt wie im Englischen: „Tokyo“), wie zur Meiji-Zeit (1868-1912). Es handele sich um die gewissermaßen graphemische Darstellung der langen Geschichte und der hohen Erfahrung des Hauses.
Des Weiteren gebe es sowohl „Fire & Marine“ als auch „Marine & Fire“ Versicherungen, und die Reihenfolge der Begriffe zeige, ob die Gesellschaft bei ihrer Gründung mit Brand- oder Seefahrtspolicen begonnen habe. Weiterhin neigten „Feuer“ Versicherungen dazu, eher Privatleute, Individuen und ihre Familienhaushalte, zu versichern, während „Marine“ Versicherungen sich mehr an Geschäftskunden, also ganze Unternehmen, wendeten. Tokio Marine & Fire ist also eine solche und Kôdô-san erzählt, dass man hierbei viel höhere Prämien erhalte. Ganz klar, es geht ja auch um wesentlich wertvollere Policen. In diesem Zusammenhang sei es besonders günstig, Mitglied der Handelskammer zu sein, weil man gerade dort viele potentielle Kunden treffe.
Dann geht er auf finanzielle Dinge und Ersatzansprüche ein und kommt schließlich auf Erdbeben zu sprechen. Natürlich könne man sich gegen solche Fälle versichern, wegen der relativen Häufigkeit von Erdbeben in Japan aber nur bis zu einer bestimmten Summe, umgerechnet 400.000 E. Bei einem einzelnen Autounfall können, je nach Situation, schon einmal eine Million (Euro) herausspringen, aber bei Naturkatastrophen sei das wegen des großräumigen Schadensausmaßes und des damit verbundenen Liquiditätsproblems nicht zu machen. Gewissermaßen als Anekdote fügt er hinzu, dass das World Trade Center in New York in erster Linie von einem japanischen Unternehmen versichert worden sei. Diese Firma habe zwar ein paar Stücke vom Kuchen an Subunternehmer weiterverkauft, sei aber in Folge der Anschläge vom 11. September völlig ruiniert gewesen.
Wir werden auch diesmal gebeten, eine kurze Beurteilung des Vortrags zu verfassen.

Dann gehe ich ins Center. Nim hat mir am Morgen zwei kleine Schokoriegel geschenkt und einen davon gebe ich Melanie. Jû bemerkt das, rückt zu mir herüber und fragt in einem schelmischen Tonfall: „Oh, Du hast was zu verschenken?“ Ich gebe ihm den zweiten Riegel, weil ich eigentlich wenig Interesse daran habe. Das wiederum wird von MinJi bemerkt, und sie sieht mich sehr bittend an. Ich spüre schon wieder diese aufkeimende Hitze in meinem Kopf, aber ich habe keinen Schokoriegel mehr. Jû gibt ihr daraufhin die Hälfte von seinem.

Am frühen Abend fahre ich mit meiner Datenübertragung fort, aber ich komme wegen Zeitmangels nicht besonders weit. Immerhin habe ich jetzt meine Fotos wieder auf dem richtigen Rechner liegen. Ich würde den Memorystick also noch eine Weile brauchen und Misi überlässt ihn mir.
Ich fahre nach Hause. Als ich ankomme, stelle ich fest, dass ich Misis Memorystick während der Fahrt verloren haben muss! Grande Catastrophe. Aber ich erinnere mich an einen sanften Schlag an meiner Hose auf den letzten 75 m vor der Ampel am „King Kong“. Eigentlich dachte ich, es sei ein kleiner Stein gewesen, der durch das Vorderrad weggeschleudert worden war. Möglicherweise und hoffentlich muss ich diese „Hypothese“ überarbeiten – und neu prüfen, und das sofort. Ich ziehe meine Schuhe wieder an und verfluche die schwache Straßenbeleuchtung. Und meine eigene Fahrlässigkeit. „Tu’s in Deinen Geldbeutel!“ hatte er gesagt. „Ich hab noch nie was einfach so aus meiner Hosentasche verloren“, sagte ich dazu.
Ich untersuche minutiös Bürgersteig und Fahrbahnrand ab der Ampel, am Ministop vorbei nach Norden. Die Beleuchtung ist wirklich mies, aber die vorbeifahrenden Wagen sorgen für „Gefechtsfeldbeleuchtung“. Fünfzig Meter hinter dem Ministop finde ich den gesuchten Gegenstand in der (trockenen) Regenrinne wieder, zumindest äußerlich unbeschadet. So weit habe ich also Glück, und durch den kleinen umhüllenden Lederbeutel hat die Plastikoberfläche nicht einmal einen Kratzer, und es scheint auch kein Wagen drübergerollt zu sein. Ob das Stück allerdings tatsächlich noch funktioniert, werde ich erst morgen erfahren. Diesen Vorgang sollte ich Misi besser verschweigen, sonst leiht er mir den Speicherstein nie wieder.

Ich gehe nach Hause und früh schlafen; ich muss auch früh wieder aufstehen, um die Vokabeln zu wiederholen, mit denen ich heute Morgen begonnen habe.


[1] Dieser Eintrag ging durch einen Fehler beim Speichern der Datei verloren und wurde anhand des Manuskripts am 23. Januar 2006 rekonstruiert.

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