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Aus dem noch unerforschten Inneren meines Schädels

28. März 2024

Sonntag, 28.03.2004 – Auf der Straße nach Süden

Filed under: Japan,My Life — 42317 @ 7:00

Der Tag ist schön und mir ist nach Bewegung. Also setze ich mich auf mein Fahrrad und fahre einfach geradeaus Richtung Süden. Und das so lange, bis auf einmal die Straße am Fuß der Berge zwischen Aomori und Akita einfach aufhört. Insgesamt gibt es drei Optionen, weiterzukommen: Die erste verwandelt sich jedoch in einen schlammigen Bergweg, der bestenfalls mit einem geländegängigen Motorrad zu bezwingen wäre. Ein Pfad mit Treppenabschnitten zweigt ab und ein Schild sagt mir, dass man in dieser Richtung einen Tempel erreichen könne – wenn man nicht gerade ein Fahrrad dabei hat, wie ich ergänzen könnte. Die zweite Option beginnt hoffnungsvoll – ein steiler, aber stabiler Schotterweg. Aber auch der endet abrupt. Ein Seil ist quer über die Straße gespannt, mit dem Vermerk „Tachi-iri Kinshi“: „Betreten Verboten“.

Also bleibt mir nur noch ein Weg. Ich fahre zur Straße Richtung Hirosaki zurück, aber nur etwa 100 Meter weit, bis zu einem Schild an einer Abzweigung, auf dem zu lesen ist, dass in dieser Richtung ein Naturschutzgebiet liege. Die Straße ist auch eine solche, aus Asphalt, aber sie windet sich in Serpentinen den kleinen Berg hoch. Deshalb habe ich diese Möglichkeit hinausgeschoben. Aber da mir wenig anderes übrig bleibt, nehme ich diesen Weg. Nach wenigen Kilometern wieder ein Hinweisschild, das auf einen Schrein hindeutet – aber dafür müsste ich mein Fahrrad ebenfalls eine Strecke über Stufen tragen, und danach ist mir nach dem Aufstieg nicht gerade. Ich folge weiter der Asphaltstraße. Die Sonne scheint, mir ist warm und mein Rücken ist feucht unter dem Rucksack. Die Jacke habe ich bereits fünf Kilometer nach meinem Aufbruch ausgezogen. Den Pullover lasse ich auch nur deshalb an, weil ich mich nicht erkälten will.

Erster Eindruck vom Naturschutzgebiet

Das Naturschutzgebiet schließt nach hiesiger Definition scheinbar nur die Waldstücke ein, die freien Flächen zwischen der Straße und den Tannen werden komplett von Apfelplantagen eingenommen, die von den jeweiligen Besitzern offenbar auch gern als Schrottplatz verwendet werden. Mehr als ein halbes Dutzend verlassener Automobile stehen, in unterschiedlichem Verfallszustand, zwischen den Bäumen herum.

Kleinwagen und ein Kühlschrank

In einem, es ist nicht abgeschlossen und sieht eigentlich intakt aus, wenn auch mit Roststellen, finde ich eine lokale Zeitung vom April 2003. Andere sind völlig verrostet oder komplett ausgeschlachtet, ohne Reifen und mit der verrottenden Batterie als Stütze unter der Achse. Ich kann kaum glauben, was ich da sehe.

… mit Autobatterie in stinkender schwarzer Schlacke (hier nicht zu sehen)

Ich mache Fotos von dem so genannten Naturschutzgebiet und fahre weiter. Schließlich geht es wieder bergab – aber nur knapp 100 m weit, dann hört die Straße in einer Kuhle vor dem Wald plötzlich auf. Hier scheint kaum Sonne hin, es liegt noch Schnee auf dem Weg und der Wiese, und ein weiterer, ziemlich angerosteter Kleinbus markiert das Ende des Weges. Ich drehe um und fahre zurück.

Lagerplatz für Arbeitsgeräte

Die Rückfahrt auf der Hauptstraße nach Hirosaki geht wesentlich schneller vonstatten als die Hinfahrt – ich fahre von den Bergen weg, bergab, einen kleinen Fluss entlang. Im 18. Gang geht das flott; die Autos, die 40 km/h fahren (dürfen), kriechen an mir vorbei. Zwei bis drei Kilometer vor dem Stadtteil Nakano befindet sich an einer Kreuzung ein Hinweisschild, auf dem ich lese „Sen-Nen-En“„Tausend-Jahre-Park“? Ich habe noch eine Menge Zeit und biege einfach mal links ab. Nach zwei Kilometern weist mich ein weiteres Schild von der Hauptstraße herunter, rechts in eine kleinere Straße. Ich folge auch diesem Schild, aber dann verliere ich die „Spur“ des Parks und lande kurz darauf in Nishihiro. Ich frage mich, ob „Sen-Nen En“ vielleicht der Name eines Kindergartens sein könnte, den ich natürlich übersehen würde, wenn ich nach einer Erholungsfläche Ausschau halte. Aber warum sollte es für einen Kindergarten (oder überhaupt für eine Art Schule) ein so weit entferntes Hinweisschild geben?[1]

Es ist immer noch früh. Ich fahre nach Südosten. Aber da gibt es nicht schrecklich viel zu sehen. Nach etwa 10 km treffe ich auf die Bundesstraße 7, die meinen Weg kreuzt. Ich weiß nicht, ob es erlaubt ist, aber ich folge ihr in Richtung Norden, um wieder nach Hirosaki zu gelangen. Ich hätte auch weiter einer Landstraße nach Osten folgen können, aber nach den paar Stunden unterwegs schmerzt mein Hintern wegen des harten Sattels und ich will wegen der niedrigen Temperatur nicht lange irgendwo herumsitzen, bis sich mein Sitzfleisch möglicherweise wieder beruhigt. Also fahre ich wieder in Richtung Heimat. Nach drei Kilometern verlasse ich die Bundesstraße und fahre auf einer parallelen Straße in die Stadt. Bis nach Aomori sind es ab diesem Punkt noch 49 km. Nein, da will ich jetzt nicht hin, aber es fällt mir auf und ich denke, dass es eine anspruchsvolle Tagesfahrt wäre.

Eine halbe Stunde später befinde ich mich auf bekanntem Gelände, ich kann das Daiei sehen. Ich biege nach Westen ab, in die Straße, in der Misi wohnt und mache kurz Halt am „Book Max“, um mal zu sehen, was es da so gibt, aber da ist nichts von Interesse. Ich kehre nach Hause zurück und strecke die Beine aus… obwohl ich nicht recht sitzen will, weil sich mein Hintern nach dem Tagesritt anfühlt wie ein weich geklopftes Schnitzel.

Da ich mit dem Asimov fertig bin, nehme ich den nächsten Forsyth zur Hand: „No Comebacks“. Es handelt sich dabei nicht um einen Roman, sondern um eine Sammlung von Kurzgeschichten. Soweit ich das nach drei Geschichten beurteilen kann, sind sie auch sehr gut und entbehren zum Teil nicht eines gewissen Humors.


[1] Eine spätere Recherche enthüllte mir, dass es sich dabei um ein Altersheim handelt.