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Aus dem noch unerforschten Inneren meines Schädels

17. März 2024

Mittwoch, 17.03.2004 – Angelabert

Filed under: Japan,My Life — 42317 @ 7:00

Es ist warm heute. Sogar sehr warm, möchte ich sagen. Ich fahre ohne Jacke ins Center, zum ersten Mal im neuen Jahr. Ich finde eine E-Mail von einer „Tamara Di Florio“ vor, mit dem Betreff „anlaber“. Ah ja… wäre ich einem natürlichen Impuls gefolgt, hätte ich die Mail sofort ans Anti-Spam Team von GMX gemeldet und sie in den Datenmülleimer befördert. Aber der Betreff erscheint mir eher unüblich für eine Werbemail für erotische Dienstleistungen und ich sehe mir an, was ich da habe. Wäre der Inhalt reines HTML-Format gewesen, wäre sie auch tatsächlich verschwunden – aber ich finde einen Text vor. Darinnen schreibt mir eine (ihrem Schreibstil nach zu urteilen) äußerst nervöse junge Frau, die billig nach Japan kommen und dafür ein „Work-Holiday-Visum“ in Anspruch nehmen möchte. Aha, einer meiner mit ihr bekannten E-Bay Kunden war so frei, sie an mich zu verweisen. Na gut, das macht ja nichts, aber er hätte mich vorwarnen können.

Was soll’s… sie will also ein solches Visum, und die Voraussetzung dafür ist, dass sie in Japan einen Job findet, der ihren Unterhalt sicherstellt – ein ganz normaler Aushilfsjob würde reichen, sagt sie, also Regale einräumen oder kellnern oder alles, was sich anbietet. Ob ich ihr dabei helfen könne, möchte sie wissen. Ich mache sie darauf aufmerksam, dass ich hier in der tiefsten Provinz sitze und ihr in keiner Weise helfen kann, in einer der großen Städte besser zurechtzukommen. Es stellt sich weiterhin heraus, dass sie das Visum auch erst bekommen kann, nachdem ihr Touristenvisum ausgelaufen ist – das heißt, sie hat ein paar Wochen Zeit, sich selbst einen Job zu suchen. Große Hoffnungen kann ich ihr natürlich nicht machen.

In dem Moment kommt Nun herein. Sie sieht erschöpft aus und ich frage, ob es ihr gut gehe. Ja, sagt sie, sie sei nur unausgeschlafen. Warum dieses? Es sind doch Ferien? Ja, schon, aber sie sei Mitglied des Reitclubs der Universität, die Ausritte seien derzeit täglich und begännen morgens um 06:00 (im Sommer sogar schon ab 05:00), was entsprechend frühes Aufstehen nötig mache. Außerdem müsse sie in 50 Minuten zur Arbeit. Oha, Arbeit? Erzähl mir mehr… Sie erzählt, dass sie zuhause in Thailand ganz professionell Thai-Fußmassage gelernt habe. Sie sei hier in Hirosaki einfach in einen Schönheitssalon marschiert und habe einfach gefragt, ob sie arbeiten dürfe. Sie darf und sichert sich so ein zusätzliches Einkommen. Das macht etwas Mut und ich schildere Tamara den Fall. Danach schreibe ich Volker und frage ihn nach Auslandspraktika, mit denen er ja zwei Jahre Erfahrung hat.

Ich spiele bereits mit dem Gedanken, in den Computerraum zu gehen, als Misi das Center betritt. Ich leihe mir seinen Memorystick und drei leere CDs und fange an, ein paar Sachen zu brennen. Ich habe jetzt je eine Episode von „Comic Party Revolution“, „Android Ana Maico“, „Miyuki“, „Mezzo DSA“ und „Gunslinger Girl“, sowie zwei Episoden von „Airmaster“. Ich werde mir die Stücke bei Gelegenheit anschauen und dann entscheiden, wovon ich mehr brauche und was ich sein lasse. Ich habe auch den „Crayon Shin-chan“ Film „Das Imperium der Erwachsenen schlägt zurück“, aber keine Möglichkeit, ein 700 MB Paket auf einen Rechner zu verpflanzen, der einen Brenner hat. Misi hat bereits festgestellt, dass man den Standard DivX-Player auf den Unirechnern installieren kann, und ich werde das alsbald in Angriff nehmen, damit ich nicht immer den Computer im Center verwenden muss. Außerdem empfiehlt er mir für den „Shin-chan“ Film einen so genannten Filesplitter – damit könne man die große Datei in mehrere kleine aufspalten und Stück für Stück transferieren. Ich installiere ein solches Programm und versuche erst einmal, mit der Bedienung klarzukommen. Aber das ist nicht schwer. Ich lasse das Programm einfach mal laufen und hoffe, dass alles fertig und bereit ist, bevor das Center schließt (und den Rechner möglicherweise mitten im Vorgang ausschaltet).

Ich gehe schließlich in den Computerraum und schreibe Berichte. Ich finde außerdem bereits die Antwort von Tamara vor. Zeitverschiebung kann, etwas Timing vorausgesetzt, auch Vorteile haben. Zum jetzigen Zeitpunkt kann ich ihr allerdings noch nichts Neues mitteilen.
Ansonsten ist nur Post von Frank da, der sich zwei Tage Zeit ausbittet, um sich mit dem Gelände der Stadtkarte vertraut zu machen. Ja, soll er haben, kein Problem. Er fragt weiterhin, ob es in Hirosaki eine Webcam gäbe, damit ich mal winken könne. Er meint natürlich eine öffentliche Kamera, die ihre Bilder ins Internet entsendet. Offiziell gibt es eine solche Kamera im Park, aber die ist entweder außer Funktion, oder aber sie ist gebucht von einem Service, der Geld dafür verlangt, den Park von Hirosaki im Internet live betrachten zu können. Ich muss die Frage also vorerst verneinen.

Aber… es gibt ja WebCams direkt an der Universität! Ich stelle fest, dass ich unter dem Link http://133.60.236.50/imglnk/1FE_C3.jpg tatsächlich zu sehen bin (sofern die Kamera funktioniert, und das scheint sie heute nicht zu tun), und das zwischen 11:00 und 17:00 japanischer Zeit. Zumindest im Moment, weil Ferien sind und das Gebäude um 17:00 schließt. Ab dem 06.04. wird sich das wieder ändern… das Gebäude bleibt dann wieder bis um 21:00 geöffnet, aber ein paar Tage darauf wird das Sommersemester beginnen und ich kenne meinen Stundenplan natürlich noch nicht. Das heißt, dass ich erst am späten Nachmittag dort auftauchen werde. Zeitumrechnung… wenn es in Japan fünf Uhr nachmittags ist, zeigt die Uhr in Deutschland zehn Uhr am Morgen (im Sommer).

Ich fahre nach Hause. Entgegen der angenehmen Tagestemperatur ist es nach Anbruch der Dunkelheit allerdings richtig kalt. Ich vermisse meine Jacke und beeile mich, nach Hause zu kommen.