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Aus dem noch unerforschten Inneren meines Schädels

15. Oktober 2024

Montag, 30.08.2004 bis Donnerstag, 02.09.2004

Filed under: Japan,My Life — 42317 @ 11:05

Und jetzt wird die Sache schwierig. Meine letzten Tage in Hirosaki waren geschäftig und es existieren keinerlei schriftliche Aufzeichnungen von mir. Mit 20 Jahren Abstand habe ich auch fast alles vergessen, was sich in der Zeit abgespielt hat. Ich musste Melanies Tagebuch zu Rate ziehen, das sich natürlich auf ihre eigenen Erlebnisse konzentriert und meine nur insoweit behandelt, wie sie uns beide betreffen.

Am 30. August trafen wir JP und seine damalige Freundin Emi, die uns aufforderten, morgen Nachmittag um Fünf mit ihnen Soba essen zu gehen. Ja, JP gehörte natürlich zu den Trierer Austauschstudenten, die 2002 bis 2003 in Hirosaki gewesen waren, und wie es scheint, befand er sich gerade zur Urlaubszwecken in Japan. Ich kann allerdings nicht rekonstruieren, ob er am vorletzten Augusttag plötzlich vor der Tür stand oder ob er sich angekündigt hatte, da sich in meinen eigenen Aufzeichnungen kein Hinweis befindet.

Am 31. August hat es wohl morgens kräftig geregnet, ab Fünf oder so. Zuvor war Melanie rausgegangen, weil sie nicht schlafen konnte und betrachtete den Sonnenaufgang. Am Nachmittag um Fünf gingen wir mit JP und Emi zum gemeinsamen Soba-Essen gegenüber vom Sunkus Conbini. Soba sind gut, treffen aber meinen persönlichen Geschmack nicht so, dass ich dringend nochmal welche essen müsste. Wir verbrachten zwei Stunden in dem Restaurant.
Danach sah ich mir mit Melanie die aktuelle SailorMoon Episode und den Film „Bayside Shakedown 2“ an. Der Inhalt der Episode wurde leider nicht festgehalten. Der Film war gar nicht schlecht. Vielleicht nicht wirklich gut, aber gar nicht schlecht. Nur das Ende zog sich ein bisschen.
Und dann fing ich an, meine Sachen zu packen. Mich ärgerte, dass ich meine erworbene CD-Sammlung über den Standardversand nicht versichern konnte. Wenn ich eine Versicherung für meine Ware wollte, musste ich den nächsthöheren Service kaufen und der kostete 10000 Yen pro Paket (also mal eben um die 75 Euro). Dann eben nicht. Die Angelegenheit lief aber gut und es ging nichts verloren.
Übrigens dauerte es nach diesem Tag noch über 10 Jahre, bis ich endlich dazu kam, SailorMoon bis zum Ende anzusehen. Ich machte im Laufe der Jahre mehrere Anläufe, blieb aber immer irgendwo stecken und musste wieder ein paar Jahre später von vorn anfangen. Ich finde die Serie gut erzählt und ich mag den Plot Twist, der dafür sorgt, dass man nicht einfach “mehr vom Gleichen” hat – eine Wunschvorstellung vieler Animefans, die zum Beispiel der Cowboy Bebop Realverfilmung nach nur einer Staffel ungerechtfertigterweise das Genick brach.

Der 1. September ging weiter mit dem Packen meiner Siebensachen. Laut Melanies Aufzeichnungen war ich an jenem Tag auch unterwegs, um unsere Gasrechnung zu bezahlen, aber das kann nicht sein, weil ich diesen Vorgang bereits am 29. August beschrieben habe. Es ist aber nicht auszuschließen, dass ich irgendwo noch irgendwas habe bezahlen müssen, denn am ersten Tag eines jeden Monats bekamen wir unsere Stipendien ausgezahlt und ich verfügte also wieder über mehr als die umgerechnet 35 Euro von vorgestern. Nun, wie es scheint, fasste mein Koffer das Sammelsurium an Dingen nicht, die ich mir in Japan zugelegt hatte und wir mussten eine große Kiste für mich in Beschlag nehmen, die Melanie eigentlich für sich selbst gekauft hatte. Auch diese Kiste wurde noch voll, mit Melanies Winterjacke als polsterndem Abschluss. Insgesamt mussten sieben Pakete zur Post, sechs kleine und das eine große, aber wir schafften mangels Transportkapazität nur fünf im ersten Rutsch.
Wir waren am Postamt um etwa halb drei. Die Pakete gingen mitunter an verschiedene Empfänger und wurden auf verschiedenen Servicestufen verschickt, das dauert halt. Bis dann alle zollrelevanten Zettel ausgefüllt und unterschrieben waren, war es auch schon Drei. Gerade noch rechtzeitig, denn um 15 Uhr kam das Abholfahrzeug, das die Pakete der vergangenen 24 Stunden zum Verteilerzentrum brachte. Auch hier bekamen wir ein Handtuch geschenkt, allerdings habe ich keine Ahnung, was aus dem geworden ist, ich habe auch an dieses Detail keinerlei Erinnerung. Zwanzig Minuten später waren wir mit den verbliebenen beiden Paketen wieder zurück und brachten auch diese auf den Weg. Wir müssen wohl schon verschwitzt und müde ausgesehen haben, denn der Schichtleiter machte uns mit einer Liebenswürdigkeit, die dem japanischen Dienstleistungsgewerbe eigen ist, darauf aufmerksam, dass man bei solch umfangreichen Sendungen einfach anrufen und die Ware ohne weitere Kosten an der Haustür abholen lassen könne. Melanie würde davon sicherlich profitieren, denn sie musste ja ebenfalls in sehr absehbarer Zeit ihre Sachen nach Hause schicken.
Wir fuhren nach Nishihiro, um die Miete zu überweisen, und dann weiter ins Center. Ich hatte mir in den Kopf gesetzt, alle meine Tagebucheinträge auszudrucken, um sie nachfolgenden „Generationen“ zur Verfügung zu stellen, sei es als mögliche Hilfestellung, sei es zur Unterhaltung, also handelte ich mit Frau Torigata aus, die vielen, vielen Seiten in Form von zwei Aktenordnern ins Regal stellen zu dürfen. Titel der Sammlung: „Hirosaki ni ‘tte“, Anlehnung an „Kinosaki ni ‘tte“ von Shiga Naoya. Und das alles hielt uns auf bis um etwa Sechs. Und dann fuhren wir zur Familie Jin, von der ich mich verabschieden wollte.
Ich glaube, ich war spontan auf diese Idee gekommen und hatte mich bzw. uns nicht angekündigt, dem entsprechend waren Frau Jin, Yûtarô und Yûmiko auch nicht zuhause. Ich bin bis heute geradezu erstaunt, dass ich von Melanie wegen dieses Fehltritts nie die Leviten gelesen bekam. Aber Großmutter Jin bat uns höflich herein, ihre Schwiegertochter und ihre Enkelin seien gerade auf einer Besorgungsfahrt, und setzte uns ins Wohnzimmer im Erdgeschoss, worauf sie zum Telefon griff, um unsere Anwesenheit mitzuteilen.
An das Zimmer erinnere ich mich relativ gut. Da standen gleich zwei Klaviere an der Wand, etwa in der Mitte standen sich zwei kleine senfgelbe Sofas an einem kleinen, etwa kniehohen Wohnzimmertisch gegenüber. Wir bekamen jeder eine geschnittene Birne, die perfekt nach Birne schmeckte und auch nicht vor Saft triefte, danach noch ein paar Kekse. Großmutter Jin wusste wohl nicht recht etwas mit uns anzufangen, also überließ sie uns selbst, und es dauerte immerhin fünfzig Minuten, bis kurz vor Sieben, bis Frau Jin mit Yûmiko zuhause eintraf. Yûtarô wurde nicht erwähnt, und Dr. Jin befand sich auf einer Tagung in Tokyo.
Wir unterhielten uns angenehm etwa eine Stunde lang und Melanie war es sicherlich unangenehm, dass wir ohne Geschenke aufgetaucht waren. Denn wir bekamen welche, und wir hatten ja den deutschen Kräutertee exakt für solche Gelegenheiten mitgebracht. Ich glaube, Herr Ikeda war der einzige, der jemals etwas davon bekam. Melanie bekam ein schön anzusehendes Taschentuch mit Kirschblütenmotiv, dazu einen Taschenspiegel mit Hasenplüschbezug dran. Ich bekam… eine edel anmutende Krawatte in Himmelblau. Natürlich besitze ich diese Krawatte noch, und sie wurde auch nie ausgepackt. Nicht allein deshalb, weil es sich um ein ideell bedeutendes Geschenk handelte, sondern auch mangels Bedarf. Bei förmlichen Gelegenheiten trage ich meine schwarze Gakuran (japanische Schuluniform) mit den Dai-Knöpfen aus Messing, die ist oben geschlossen und lässt keinen Raum zum Vorzeigen einer Krawatte. Ich besitze keinen Anzug, zu dem man eine Krawatte tragen sollte, und ich habe Zweifel, dass dies jemals der Fall sein wird, da ich nicht davon ausgehe, jemals in einer entsprechenden Position zu arbeiten oder mich auf einem entsprechenden sozialen Niveau zu bewegen. Na ja, aber bei aller Rührung muss ich dennoch einfügen, dass das Geschenk einer förmlichen Krawatte doch ein Gefühl des Alterns vermittelte. Das war natürlich nicht so gemeint; in Japan ist es normal, dass man sich als Abgänger einer Universität einen Anzug zulegt, weil der sehr förmliche Bewerbungsprozess einen solchen notwendig macht. In Deutschland kleidet man sich eher dem Arbeitsplatz angemessen, wenn ich also eine Stelle anstrebe, wo man im Tagesgeschäft keinen Anzug trägt, dann trage ich auch zum Bewerbungsgespräch keinen.
Wie dem auch sei. Melanie und ich hatten noch vor, im Sushi-Restaurant „Seijirô“ essen zu gehen, da wir nie dort gewesen waren. Frau Jin hatte das Restaurant einmal erwähnt, also fragten wir, ob sie wisse, wie lange dort geöffnet sei. Sie wusste es nicht, nahm sich aber das Telefon und rief an. Geöffnet bis um 22 Uhr, Einlass bis um 21:30. Und weil sie eine hatte, überreichte sie uns noch eine Rabattkarte des „Seijirô“, die uns eine Ermäßigung von 1000 Yen bescherte. Sie esse öfter dort und sammele die Rabattstempel daher schnell an. Wir bedankten uns für alles, tauschten Adressen aus, und fuhren los, von Yûmiko noch fünfzig Meter weit begleitet. Ich bin womöglich noch nie so ungern irgendwo weggegangen. Ich musste auch im Nachhinein feststellen (als ich zuhause handschriftliche Daten auf den Computer speicherte), dass ich den Tag meines Abflugs einen Tag vor Yûmikos Geburtstag gesetzt hatte. Diesen Umstand bedauerlich zu nennen, wäre eine Untertreibung meiner spontanen Gefühle gewesen.
Das „Seijirô“ jedenfalls mussten wir aber auch erst mal suchen und wiederfinden. Denn nach Anbruch der Dunkelheit sieht die Umgebung anders aus, wodurch wir Abzweigungen verpassten, die wir am Tag sofort erkannt hätten, und wir wussten die Strecke auch nicht gerade auswendig, also fuhren wir ein paar Umwege. Um 20:30 kamen wir an und bekamen problemlos einen Tisch. Wir haben sicherlich wie westliche Barbaren gegessen, als gäbe es kein Morgen, bei einem Budget von 4500 + 1000 Yen, also etwa 40 Euro zu der Zeit.

Ich muss an dieser Stelle kurz auf die Besonderheit dieses Budgets eingehen, dessen Einrichtung ich bisher nicht erwähnt habe. In unserem Apartment befand sich ein Gasboiler. Ein Mitarbeiter des Energieversorgers hatte den Boiler im vergangenen September eingeschaltet und die Bedienung erklärt, war aber nicht darauf eingegangen, wie man das Gerät beim Verlöschen der Flamme wieder einschaltet. Hm. Mangels Erfahrung mit Gas kam ich auch nicht auf die Idee, danach zu fragen. Wie ich bald feststellte, ging die Flamme hin und wieder von alleine aus, weil das Gas vorübergehend ungleichmäßig strömte und es zu einer harmlosen Verpuffung kam, und das schon wenige Tage nach der Freigabe. Nach einem oder zwei Versuchen hatten wir raus, wie man das Ding wieder zum Laufen bekommt, also sollte die Heizflamme beim Verlassen des Hauses zum Sparen von Gas und Geld immer abgeschaltet werden. Wer das Abschalten vergaß, und wegen mitunter unterschiedlicher Unterrichtszeiten war in der Regel klar, wer zuletzt gegangen war, musste 100 Yen in ein Sammelglas werfen, das Melanie „die Verfehlungskasse“ nannte. Ich hatte sicherlich ein anderes Wort dafür, aber wenn, dann fällt es mir nicht mehr ein. Nun ja, von dem Budget in Höhe von 4500 Yen waren 500 Yen von mir. Den Restbetrag – für unser Sushi im gehobenen Preissegment – hat demnach Melanie beigesteuert, ein Umstand, der in der Folgezeit für nicht wenig Humor sorgte.
Und dann war da natürlich noch der 1000 Yen Gutschein… aber mehr als 5000 Yen schafften wir nicht, bis einfach nichts mehr in den Magen passte. Das heißt, dass meine 500 Yen aus der Verfehlungskasse immer noch verfügbar waren.
Um kurz vor Zehn waren wir zuhause, nach einem Besuch in der Videothek, wo wir uns den „Atashi’n’chi“ Film ausliehen. Hm, es geht um Körpertausch, natürlich Mikan und ihre Mutter, die den jungen, gesunden Körper genießt und Mikan vorübergehend zu einem Sportass macht. Unterhaltsam, aber nicht sonderlich originell. Die Serie hat die besseren Drehbücher und Dialoge.
Gegen Mitternacht endete der Tag.

Und dann kam der 2. September. Melanie hatte in der Nacht nur wenig geschlafen und war schon um Fünf wieder aufgestanden. Könnte an dem reichhaltigen späten Essen gestern Abend gelegen haben. Aber lange rumliegen konnte ich auch nicht, denn ich musste gleich nach Aomori zum Flughafen aufbrechen. Ich kann mich nicht erinnern, wie ich dahin gekommen bin. Ich bin ziemlich sicher, nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln gereist zu sein, also muss mich ja eigentlich jemand gefahren haben, aber ich habe keine Erinnerung daran. Ich weiß daher auch nicht, ob es in Aomori oder in Bezug auf den Flug etwas Besonderes gab, denn meine wenigen Erinnerungen stammen vom Flughafen in Tokyo.
Dort kaufte ich eine Postkarte. Ich hatte meinem Dozenten (der Anglistik) Dr. Schäfer vor meiner Abreise letztes Jahr versprochen, ihm eine Postkarte aus Japan zu schreiben. Das fiel mir hier an dieser Stelle siedend heiß wieder ein, zum letztmöglichen Zeitpunkt. Ich habe auch keine Ahnung mehr, was auf der Karte abgebildet war oder was ich auf die Karte geschrieben habe, aber als wir uns bei unserem nächsten Besprechungstermin begrüßten, lachte er und sagte, er habe meine Postkarte erhalten, und was ich geschrieben hatte und wann ich es geschrieben hatte, sei genau gewesen, was er von mir erwartet habe.[1]
Weiter auffällig waren die am Flughafen anwesenden Deutschen. Die mussten kein Wort sagen, obwohl sie rein äußerlich auch Franzosen oder Dänen oder sonst was in der Art hätten sein können. Nein, man erkannte die Deutschen sofort an ihrem griesgrämigen Gesicht irgendwo zwischen Ernst des Lebens und schicksalsergeben erduldetem Weltschmerz, und ich fragte mich erneut: Will ich in dem Land wirklich leben, mit solchen Leuten? Aber im Nachhinein kann ich nur festhalten: Man gewöhnt sich an fast alles.
Und dann stand ich an der Zollkontrolle, wo ein Beamter meine Reisedokumente besah und wohl auch per Computer meine Daten prüfte, denn er sagte zu mir: „Sie haben Ihre Krankenversicherungsbeiträge nicht vollständig gezahlt.“ Er nannte mir den Betrag und wies mir den Weg zum nächsten Bankautomaten. Es handelte sich um eine Summe zwischen 9000 und 10000 Yen, über die ich ja in Bar verfügte, also war das kein Problem. Allerdings muss ich mich im Nachhinein fragen, ob der Zollbeamte in Deutschland einem ausreisenden Austauschstudenten ebenfalls einen solchen ausstehenden Betrag nennen kann, oder ob dies mit dem Datenschutz nicht zu vereinbaren ist. Jedenfalls wurde mir erst nach dieser Überweisung die Ausreise erlaubt. Und so ging die Reise los, ich berührte vor dem Einstieg andächtig den Erdboden, machte aus dem Flugzeug heraus noch zwei Fotos und das war’s dann.

Dieser Punkt in meinem Blog wäre eigentlich der Platz, um die Collage zu veröffentlichen, die ich von allen Mitstudierenden gemacht hatte, zu denen ich ein positives Verhältnis hatte. Von jedem ein Porträt zu einem alphabetisch geordneten Poster zusammengefügt. Aber ich hatte irgendwann ein Problem mit der Festplatte und ein paar Bilder verschwanden im Nichts. Das Poster war eines davon, die Backup CD-ROM existiert nicht mehr.
Darüber hinaus hatte ich die Absicht, mir von jeder erreichbaren Person einen kurzen Abriss geben zu lassen, was aus ihr oder ihm in den vergangenen zwei Jahrzehnten geworden war, aber das scheiterte an einem Mangel an verbliebenen Kontakten im Vergleich zu der Masse an Adressen, die ich damals notiert hatte. Das heißt, ein paar Mailadressen wurden mir im Laufe der Jahre zwar als nicht mehr existent zurückgemeldet, da konnte man nichts mehr machen, aber ich glaube, dass die technische Entwicklung die E-Mail einfach unpopulär gemacht hat. Die meisten Leute kommunizieren heutzutage doch über entsprechende Apps auf dem Handy. Wenn ich Mails schrieb und schreibe – vor allem nach Asien – dauert es mitunter Wochen, bis ich eine Antwort erhalte, falls ich eine Antwort erhalte, weil nur wenige überhaupt noch Mailpostfächer verwenden. Ich kann daher nur Aussagen über wenige Personen machen, und deren letzte Informationen sind zum Teil schon uralt. Mein Freund Hiroyuki ist die einzige dauerhafte Ausnahme, der ist genauso „oldschool“ wie ich.

Frau Jin ist weiterhin Hausfrau mit zahlreichen Hobbys, mittlerweile kurz vorm Rentenalter.
Herr Jin ist bereits in Rente.
Yûtarô geht einem Bürojob nach.
Yûmiko wurde Erzieherin in einem Kindergarten.
Großmutter Jin erfreut sich noch guter Gesundheit, aber Großvater Jin ist verstorben.
Hiroyuki ist Dozent für Germanistik an einer nicht näher genannten Universität im Großraum Tokyo und hat eine Tochter.
SangSuu arbeitet womöglich noch für Siemens und hat ebenfalls eine Tochter.
Mei und BiRei haben ebenfalls Familien gegründet.
Izham ist Network/NOC Engineer bei KDDI America.
Alex ist Senior Renewal Manager at Salesforce an der Universität von Illinois.
Misi ist so unabhängig wie eh und je und wechselt Arbeitsplätze, wie es ihm gefällt, um seine Urlaube in Kroatien zu bezahlen, die er bevorzugt auf einem Mountainbike verbringt.
Irena engagierte sich in Ihrer Freizeit im Kindertheater und arbeitete hauptberuflich für einen Reiseveranstalter, bis sie zu Beginn der Coronapandemie mangels Reiseverkehr Ihren Arbeitsplatz verlor. Als ich Ihr eine Mail zum Geburtstag schrieb, warnte sie mich davor, mich impfen zu lassen, weil diese finsteren Zwecken diene und verstieg sich zu dem Vergleich, sie gehöre als Impfverweigerin zu den heutigen Juden, setzte also die damit einhergehenden Nachteile mit einer Verfolgung durch SS Einsatzgruppen gleich. Ich legte Ihr in sicherlich höflicher aber eindeutiger Sprache dar, was ich davon hielt – und hörte nie wieder von ihr.
Yui machte ihren Doktor und gründete eine Familie, allerdings nicht mit dem erwähnten Daniel – der wurde erst nach Guantanamo kommandiert und dann in den Irak, ins berüchtigte Abu Ghraib Gefängnis (nach dem Skandal), worauf sich seine Spur verlor. Yui bat mich vor etwa 15 Jahren einmal, ob ich nicht etwas herausfinden könne, aber ich konnte nur ermitteln, dass sein Name nicht in einer der Gefallenenlisten des US Militärs auftaucht.
Marc ist Senior Research Administrator an der Tohoku Universität.
Ricci fand einen tollen Mann übers Internet und lebt mit ihm in den USA.
Ronald hat es zum Prof. Dr. an der Uni Trier gebracht und den Lehrstuhl von Frau Prof. Dr. Gössmann übernommen.

Ich schiebe an dieser Stelle die Feststellung ein, wie sehr ich tatsächlich diese vielen vielen Zeilen nur für mich schreibe. Immerhin brechen die Einträge im Japantagebuch abrupt ab. Niemand kontaktierte mich, um nachzufragen, warum ich nicht weiterschrieb, wie die Geschichte denn nun weiter- oder zu Ende gehe. Ich bin nicht so böse, dass ich annehme, dass es keinen interessiert. Ich gehe einfach davon aus, dass das Leben dem einen Riegel vorschiebt. Vollzeitarbeit, Ehe, Kinder, andere persönliche Angelegenheiten bis hin zu, ja, Interesseverschiebungen. Und wie bereits angedeutet, muss ich auch davon ausgehen, dass von den Mailadressen, die im Verteiler stehen, bestenfalls noch die wenigsten abgerufen werden. Das ist für mich persönlich schade, da ich mich natürlich auch auf ein wenig Interaktion gefreut hatte, aber ich bin auch jemand, den das Leben gelehrt hat, in dieser und vieler Hinsicht keine Erwartungen zu haben, dann bleibt auch die Enttäuschung aus. Also: Schade, aber nicht schlimm.

Kommen wir zum eindrücklichsten Teil meines Epilogs. Zum jetzigen Zeitpunkt muss ich nämlich gestehen, dass ich bei der Abreise aus Japan entschlossen war, mich von Melanie zu trennen. Wir hatten zum ersten Mal zusammen in einer gemeinsamen Wohnung gelebt und es war nicht immer leicht gewesen. Mein Manuskript ist in diesem Bereich direkter und ungeschminkter als die Blogvariante, aber viele intime Details gehen den geneigten Leser einfach nichts an. Wir befanden uns täglich in einer Situation der kulturellen Konfrontation. Japaner verhalten sich anders als Deutsche, das war anstrengend. Japaner sprechen zudem tendenziell Japanisch, was dem zugereisten Ausländer viel Mühe abverlangt, wir waren über ein wenn auch gutes Smalltalk-Japanisch nicht hinausgekommen, und gewöhnliche Alltagskommunikation war daher ebenfalls anstrengend, denn wir mussten verstehen und mussten verstanden werden und das gelang nicht immer, auch das gehörte zum alltäglichen Hintergrundrauschen, das für ein Level an Stress und Gereiztheit sorgte, das einfach nicht wegzubekommen war. Wir haben uns oft gestritten wegen irgendwelchem Blödsinn, wegen Dingen, die wir krummer nahmen, als es notwendig gewesen wäre. Ich war es leid, ich wollte nicht mehr wegen irgendwelcher Kleinigkeiten beschimpft und wie ein Idiot behandelt werden.
Zuhause angekommen musste ich mich um eine Wohnung kümmern und entgegen meiner eben geschilderten Absicht suchte ich ein Apartment für zwei Personen. Melanie blieb noch drei Wochen in Japan, zwei davon in Hirosaki, wo sie von unseren im Beni Mart angesammelten Treuepunkten lebte, und eine Woche in Tokyo, wo sie bei „Claudia“ unterkam, aber… wer ist Claudia? Jedenfalls hatte ich drei Wochen Beziehungsurlaub und die besserten meine Laune erheblich. Wir zogen zusammen in das private Wohnheim gegenüber der Uni und wohnten dort zusammen noch zehn Jahre, auch noch zwei Jahre über unseren Hochschulabschluss hinaus, dann kamen wir nach Koblenz, wo wir nun auch schon zehn Jahre leben. 2019 wurde unser Sohn geboren… was soll ich sagen? Das Leben kennt Höhenflüge und Talsohlen, ich kenne mehr das letztere, aber ich vergesse natürlich die Höhen nicht. Mein Jahr in Japan war allem Stress und Streit zum Trotz die größte Höhe, die ich je erreichte, ein definierender Zeitraum in meinem Leben, ein Zeitraum, der mein Leben teilt: Vor Japan und nach Japan. Und ja – ich vermisse Japan heute mehr als ich Deutschland je in Japan vermisst habe.


[1] Natürlich wurde da grundsätzlich Englisch gesprochen: „I received your postcard, and what you wrote and when you wrote it was exactly what I expected from you.” Und daran erinnere ich mich, als sei es letzte Woche gewesen.

29. August 2024

Sonntag, 29.08.2004 – Yude Tamago

Filed under: Japan,My Life — 42317 @ 7:00

Heute muss als erstes die Gasrechnung bezahlt werden. Ich will das vor Ort, bei der Gesellschaft selbst machen, weil ich immer noch meine Probleme beim Telefonieren mit Japanern habe. Entweder, weil die hier oft einen unverständlichen Dialekt reden, oder weil ich einfach den Gegenüber nicht sehen kann und wegen der fehlenden Körpersprache einiges weniger verstehe. Außerdem ist diese Gasangelegenheit dringend und ich will nicht warten, bis jemand bei mir vorbeikommt. Als ich das letzte Mal spät dran war mit bezahlen, stand zwar ziemlich schnell jemand vor meiner Haustür, um die ausstehenden Gebühren zu kassieren, aber darauf soll man sich nicht verlassen.
Ich gehe also zur Post und frage dort nach der Adresse von „LP Gas“. Drei Minuten später erhalte ich eine Karte, auf der das Gebäude eingezeichnet ist. Eigentlich ist es ganz einfach zu finden. Nur die fehlende Angabe eines Maßstabes auf der Karte (ver)leitet mich ein gutes Stück zu weit. Man muss eigentlich nur auf der südlichen Hauptstraße nach Osten fahren, wo sich das Book Off befindet. Das Book Off lässt man allerdings, wo es ist, und fährt daran vorbei bis kurz vor das Cub Center, ein großes Kaufhaus, vergleichbar mit dem „Globus“. Bevor man es erreicht, muss man einen kleinen Fluss überqueren, und wenn man das tut, ist man schon zu weit. Man muss die Straße vor dem Fluss links einbiegen. Dann interpretiere ich die Karte, dass ich an der ersten Kreuzung links abbiegen muss, bis ich zu einer senkrecht verlaufenden Querstraße komme. Die kann ich aber nicht entdecken. Also fahre ich noch ein wenig in der Gegend herum, um das Gelände zu sondieren und Orientierungspunkte zu finden. Schließlich bin ich wieder an der Hauptstraße. Aha, so ist das also. Der Maßstab der Karte ist geradezu lächerlich. Ich bin kurzerhand fünfmal so weit gefahren wie notwendig.
Also biege ich wieder vor dem Cub Center in die entsprechende Richtung ab und nach vielleicht fünfzig Metern in die erste Straße ein, die wie eine Kreuzung aussieht – nur ohne Ampel, sehr unscheinbar eigentlich. Und dann finde ich das Gasgebäude auch ganz schnell, 100 Meter weiter. Ich gehe zum Empfang, zahle meine Rechnung und erhalte ein Handtuch als Werbegeschenk.[1] Danach bin ich 13000 Yen ärmer und habe noch 4000 Yen in meinem Geldbeutel. Zum Glück habe ich noch Außenstände, um mein Konto wieder ein wenig aufzufüllen, und bis zum 01. September wird es wohl reichen. Ich fahre nach Hause.

Ich weiß nicht wie, aber ich komme gerade jetzt auf die Idee, ein Onsen zu besuchen. Wenn man nach Japan kommt, sollte man das schon einmal probiert haben. Was mich allerdings an einem wirklich warmen Tag wie diesem auf die Idee bringt, eine heiße Quelle zu besuchen, ist mir ebenfalls schleierhaft. Zuerst muss ich allerdings herausfinden, wo überhaupt ein Onsen ist. Dabei ist Hirosaki voll davon. Wir haben hier mehr echte heiße Quellen (also vulkanisch gespeiste) als es in Tokyo gibt. Ich nehme die Stadtkarte von Melanie und fahre in den 100-Yen-Shop. Dort frage ich die Angestellte, aber die kann mich nur ein Stück die Straße runter schicken mit dem Hinweis, dass ich dort fragen solle, da sie nur wisse, dass es weiter südöstlich, in Richtung Ishikawa, ein Onsen gebe. Ich fahre dann also zwei Kilometer in diese Richtung, einfach die Hauptstraße lang, und frage in der angegebenen Gegend eine Ladenbesitzerin. Das sei einfach zu finden, sagt die. Einfach weiter Richtung Ishikawa, an der Ampel an der Tankstelle geradeaus weiterfahren, und eigentlich könne man das blaue Schild des Badehauses bereits von der Ampel aus sehen.
Gesagt, getan, das Onsen ist dort, wo es sein soll. Ich gehe hinein und frage den älteren Herrn an der Kasse, was man denn so brauche, wenn man ins Onsen geht. Nicht viel, sagt er, man brauche ein großes Badetuch zum Abtrocknen, ein kleines Handtuch, um es sich auf den Kopf zu legen, des Weiteren Badelatschen (weil mir die zur Verfügung gestellten Größen in der Regel nicht passen) und natürlich Waschzeug. Für 300 Yen könne man dann so lange im Bad bleiben, wie man wolle. Ich fahre zurück nach Nakano und sage Melanie Bescheid. Wir packen unsere Sachen und machen uns auf den Weg zum Bad. Da ich Onsen nur aus dem Fernsehen kenne, weiß ich nicht, wie es im Bad mit Verhüllung der privaten Körperteile aussieht. Ich nehme also vorsichtshalber zwei Badetücher mit.

Der Badebetrieb ist nach Geschlechtern getrennt und man geht nackt ins Wasser. Und weil das alle machen, habe ich auch kein Problem damit. Was mich allerdings ein wenig überrascht hat, war die Großmutter, die offenbar für den Betrieb verantwortlich ist und zweimal aus einer Tür („Nur für Angestellte“) in den Männerbaderaum kam, um… was weiß ich was zu machen. Das schien niemanden sonderlich zu stören. Ich fühlte mich auch nicht peinlich berührt, aber verblüfft war ich doch, ob der Selbstverständlichkeit dieser „Besuche“.
Nachdem man sich gründlich gewaschen hat (ich beschränke mich allerdings auf zehn Minuten, weil ich nicht einsehe, mich mehrfach zu waschen, nur um den Japanern an Zeit gleichzukommen), kann man guten Gewissens in das Badebecken gehen und sich heiß einweichen lassen. Das Wasser ist nicht so heiß, wie ich dachte (dafür ist das „kalte“ Wasser der Duschen lauwarm), aber immerhin hat das Becken eine Temperatur von knapp 60 Grad Celsius. Ich kann nicht länger als fünf Minuten drinnen bleiben, ohne fürchten zu müssen, das Bewusstsein zu verlieren, also sehe ich mich auf dem kleinen Gelände ein bisschen um. Das Badehaus, dessen Männerabteilung eine Größe von vielleicht 5 x 6 Metern hat, erinnert mich irgendwie an eine Kirche. Die Decke ist sehr hoch und scheint das Dach selbst zu sein. Bei einer solchen „Dauerheizung“ muss man auch nicht auf Isolierung achten. Vor allem der kleine „Turm“, der aus dem Dach herausragt, verstärkt meinen Eindruck, aber auch die Form der Fenster und die mehrfarbige Gestaltung der Scheiben, die sich weiter oben befinden. Die Fenster auf Menschenhöhe sind völlig normal. Außen befindet sich ein so genanntes „Rotenburo“, was lediglich heißt, dass es ein Badebecken außen, unter freiem Himmel, ist. Aber dort gefällt es mir nicht sonderlich. Unter freiem Himmel (mit Sichtschutz nach den Seiten natürlich) zu baden ist zwar ganz nett, aber ich frage mich, warum das Außenbecken nur körperwarm ist. Ich habe den Verdacht, dass es nicht von der gleichen Quelle gespeist wird. Hier draußen haben wir also das Onsen für Warmduscher.
Ich gehe wieder hinein und gebe mir meine zweite Fünfminutentour. Das Handtuch auf dem Kopf bringt überhaupt nichts. Das heißt, es würde wohl was bringen, wenn das Wasser aus den Waschhähnen an der Wand, in dem ich es eingeweicht habe, tatsächlich kalt wäre. Aber es ist eben lauwarm, von daher ist der Kühleffekt annähernd Null. Nach diesem Bad bin ich so richtig aufgeheizt und wanke zurück zu den Waschplätzen. Meine Fingerspitzen kribbeln. Ich fürchte, mein Blutdruck ist etwas niedrig. An den Wasserhähnen versuche ich mein Bestes, mich etwas zu kühlen, indem ich den Waschzuber (aus Plastik, eher eine Rasierschüssel) dazu verwende, mich mit Wasser zu übergießen, aber damit ist nicht viel zu erreichen. Ich verlasse den Raum dann, sobald ich wieder gerade gehen kann.

Liebe Animefreunde, wenn Ihr mal in Japan seid, dann geht auch mal in ein Onsen. Das Erlebnis lohnt sich. Seid aber bitte nicht so naiv zu glauben, dass ihr ein paar heiße Bräute zu sehen bekommt, wenn ihr in ein gemischtes Bad geht – der Durchschnittsbesucher ist nämlich über fünfzig, eher über sechzig Jahre alt. Alles alte Großmütter, von der Last des Lebens gebeugt und Linderung suchend, und wenn Ausnahmen anwesend sind, dann handelt es sich mit größter Wahrscheinlichkeit um Kinder bis höchstens zehn Jahre, die mit den Großeltern da sind. Man sollte sich also keine Hoffnungen machen, eine „Onsen Episode“ für das eigene Leben zu bekommen. Das nur am Rande, falls jemand tatsächlich solche Hoffnungen hegt.

Melanie kommt zufällig zur gleichen Zeit auf die Idee, das Bad zu verlassen, wie ich. Ich kann deutlich ihre Gürtelschnalle vom Damenbereich her klappern hören, während ich mich anziehe. Eigentlich wundert mich das ein bisschen, weil Melanie mehr vom heißen Baden hält, als ich, und ich habe beinahe das Gefühl, dass das letzte Bad, das ich bei ihr „genießen durfte“, noch heißer eingelassen war, als dieses Onsen, weil mir damals schneller die Luft ausgegangen war.
Ich sehe an einer Seitentür, dass dieses Onsen auch über eine Sauna verfügt, und weil ich diesbezüglich neugierig bin, frage ich an der Kasse, ob man mit einem Onsenticket alles inklusive der Sauna benutzen dürfe. Ich muss annehmen, dass meine Frage nicht verstanden wurde, denn die Angestellte fängt an zu reden und redet und redet und ich verstehe sie kaum wegen des Dialekts, den sie spricht. Am Ende bin ich wirklich nicht einmal sicher, ob die Antwort positiv oder negativ war. Sie sagte aber in einem ihrer vielen Sätze, dass man alles benutzen könne. Zumindest interpretiere ich das. Also gibt es nur einen Weg, sicher zu sein. Ich schlendere also ganz nebenläufig zu der besagten Tür, sie steht offen und führt in einen Seitentrakt. Ich gehe hinein, als sei es das Selbstverständlichste der Welt, komme an etwas vorbei, was wie eine provisorische Küche aussieht und entdecke gerade noch ein Schild, auf dem angegeben ist, dass eine Stunde Sauna 1000 Yen koste, als mich die Großmutter, die so selbstverständlich ins Männerbad gekommen war, „zurückpfeift“: „Verehrter Kunde, das Bad ist in dieser Richtung.“ Höflich, aber bestimmt. Damit wäre meine Frage beantwortet. Immerhin spricht es für ihr Beobachtungsverhalten im Männerbad, dass sie sich nicht an mich erinnert. Sie wüsste sonst, dass ich bereits im Bad gewesen bin. Ob mit oder ohne Brille, mein Körperbau und meine Existenz als Ausländer überhaupt sind doch auffällig. Sie schaut offenbar nicht sehr genau hin. Wie schön für uns.

Wir fahren wieder nach Hause. Wir haben noch ein wenig Zeit – um 18:30 wollen wir uns mit Marc und Professor Fuhrt treffen, der uns zu einem Abschiedsessen eingeladen hat. Wir sind bereits seit einigen Tagen am Planen, und Herr Fuhrt sagt, dass er normalerweise lokale, traditionelle Küche aussuche. Aber die ist eben sehr fischlastig, und Melanie kann mit Fisch gar nichts anfangen. Wir sind dann also zu dem Entschluss gekommen, eine „Retro-Kneipe“ in Dotemachi zu besuchen. Dort gibt es Gerichte und Snacks aus den Vierziger und Fünfziger Jahren, angeblich zu Preisen aus diesen Zeiten, was ich aber nicht recht glauben kann.
Melanie muss sich schließlich beeilen, weil sie dachte, das Treffen sei erst um 19:30. Nein, wir treffen uns um 18:30. Dann also hopp. Wir düsen nach Dotemachi, wo mein Mentor mit seiner Frau und Marc vor dem Nakasan bereits warten. Wir sind etwas spät dran, und Melanie noch später, weil sie offenbar an einer Ampel aufgehalten wurde, die für mich noch grün gewesen war. Und das Überqueren der Straße zum Kaufhaus dauert ebenfalls geradezu ewig, weil die Ampel sehr lange braucht, um den Verkehr anzuhalten. Ich muss die Funktionsfähigkeit dieser Signalknöpfe für Fußgänger arg bezweifeln. Ich glaube, die sind rein psychologische Maßnahmen, um die Leute zu vertrösten. Es handelt sich hier um eine Einbahnstraße, nicht einmal um eine Einmündung oder Kreuzung, man muss also keinen Verkehrsfluss koordinieren und auf eine günstige Gelegenheit für Rot warten. Man könnte einfach anhalten lassen. Stattdessen steht man minutenlang an der Ampel und schaut dumm aus der Wäsche. Es könnte natürlich auch sein, dass die Ampel ohne Knopfdruck gar nicht auf Grün für Fußgänger schalten würde.
Nachdem alle eingetroffen sind, müssen wir die lahme Ampel gleich noch einmal benutzen, weil unser Ziel auf der anderen Straßenseite liegt. Auf der Halterung für den Knopf finde ich ein Paket mit drei kleinen Päckchen Nattô, noch haltbar bis Ende September. Wäre es was Anderes gewesen, hätte ich es wohl mitgenommen, aber Nattô liebe ich nicht so sehr, dass ich eine solche Fundsache an mich nehmen würde. Ich könnte vom Geruch her nicht einmal feststellen, ob das Zeug noch gut oder bereits schlecht ist – Nattô riecht immer vergammelt.

Wir biegen in eine (meines Erachtens) unscheinbare Gasse ab, in der sich mehrere Essläden aneinanderreihen. Die besagte Kneipe ist aber extrem auffällig und sieht wirklich nach Retro aus. Der Bau wurde mit Holz „ummantelt“, damit er wie ein Holzhaus aussieht. Alte Filmplakate schmücken den Eingang. Das äußere Ambiente lässt mich Schlimmes ahnen, aber ich kann aufatmen: Man sitzt auf Stühlen. Es gibt auch ein Tatamizimmer, das als „Märchenzimmer“ betitelt ist. Man muss auf allen vieren reinkriechen, weil der Eingang so klein gemacht ist. Ich sehe es mir aber nicht genauer an, ich kann so nur „märchenhafte“ Wandmalereien im Eingangsbereich sehen. Die Wände im Gastraum dagegen sind geradezu tapeziert mit alten Werbeanzeigen. Wie es scheint, ist die Marke „Kikkôman“ (Sojasoße) schon ziemlich alt.
Zur Unterhaltung der Kunden dienen noch weitere Eigenschaften des Lokals: Erstens läuft die ganze Zeit Musik, die älter als vierzig Jahre ist, und ich habe nur ein einziges Instrumentalstück gehört, das amerikanischen Ursprungs ist. Vieles von der Musik hört sich so richtig nach patriotischen Gesängen aus der Kriegszeit an, aber ich kann den Text nicht heraushören. Und dann steht da schräg hinter mir auf einem Schrank ein uralter Fernseher – oder ein Fernseher, der zumindest uralt aussieht. Der Bildschirm ist immerhin bereits größer als eine Postkarte, aber die Schalter sind noch immer Drehknöpfe. Auf dem Schwarz/Weiß Bildschirm läuft „Tetsuwan Atomu“ („Astro Boy“). Nach einigen Episoden erscheint ein Menü, das mir verrät, dass hier eine DVD läuft, mit Hilfe des Fernsehers zusätzlich auf Alt gemacht. Und zuletzt bekommt man eine Sorte Zigaretten angeboten, die man anno dazumal offenbar geraucht hat. Von uns raucht aber keiner.

Als erstes bekommt man hier aber rohen Kohl serviert, den man mit einer scharfen Soße garnieren kann. Der Kohl ist hier eine Serviceleistung, wie andernorts das kalte Wasser. Ein Schild an der Wand sagt, man könne sich nachbestellen, so viel man wolle. Ich muss auch feststellen, dass der Kohl roh tatsächlich viel besser schmeckt, als gebraten. Ich bestelle zum Trinken, wie üblich, Nihonshû, also Sake, und bin ein wenig erstaunt über die Servierweise: Ich erhalte ein Wasserglas voll, und das Glas steht bis zur Hälfte seiner Höhe in einem quadratischen Behälter. Der Angestellte gießt das Glas voll, bis es überläuft und auch der Behälter darunter randvoll ist. Wie ich so trinken soll, ohne gleich einen guten Teil zu verschütten, ist mir dabei nicht ganz klar. Ich erfreue mich auch an den Segnungen der Lichtbrechung. Das Innere des „Untersetzers“ ist rot, und sobald ich das Glas ein wenig in die klare Flüssigkeit darin tauche, schimmert auch der Inhalt des Glases bis zum Rand rot – und wird wieder völlig klar, sobald ich die beiden Objekte trenne. Optik für Kinder, aber cool.
Dann bestellen wir uns einmal durch die Speisekarte, was darauf hinausläuft, dass wir eine große Anzahl von „Zwischendurch-Mahlzeiten“ zu uns nehmen. Aber das ist ja nichts Schlechtes. Die Varietät ist so viel höher, und man bereut es bei der Qualität der angebotenen Gerichte hier auch nicht. Das Gerücht mit den Preisen wie in den Fünfzigern zerschlägt sich allerdings ziemlich schnell. Die Preise sind normal, und zwar nach heutigen Standards für die hiesige Gegend. Mit fünf satten Leuten kommen wir am Ende auf etwas mehr als 12.000 Yen.

Vor dem Ausgang läuft uns noch Oyuna über den Weg, die jemanden in der Gegend besuchen möchte. Wir wechseln ein paar Worte, dann kehren wir mit dem Ehepaar Fuhrt und Marc zum Nakasan zurück und verabschieden uns dort. Herr Fuhrt sagt, dass wir uns in Japan wohl nicht mehr sehen würden, weil er übermorgen nach Deutschland fliege, um Verwandte und Bekannte zu besuchen.
Marc wird nach Aomori zu Yumi zurückkehren. Er bittet mich allerdings, ihm eine CD mit Fotos aus Hirosaki für seine Mutter zusammenzustellen, weil sie scheinbar Bilder aus fernen Ländern mag. Ich willige ein, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich das Versprechen noch einhalten kann, während ich in Japan bin. Ich habe noch drei leere CDs, und die werde ich für meinen eigenen Krempel brauchen. Ich sollte ihm anbieten, die CD in Deutschland zu machen und sie von dort aus an eine von ihm gewünschte Adresse zu versenden.


[1] Auch dieses Handtuch ziert noch heute mein Bücherregal.

28. August 2024

Samstag, 28.08.2004 – Ans Meer! Ans Meer! („Go West“ Version)

Filed under: Japan,My Life — 42317 @ 7:00

Das Wetter ist prächtig heute. Die Sonne scheint, ein paar Wolken, und es ist nicht übermäßig warm. Ich setze mich gegen Mittag auf mein Fahrrad, mit dem Plan, heute nach Goshokawahara zu fahren (das der Einfachheit halber aber tatsächlich, entgegen der Kanjischreibung, offiziell „Goshogawara“ genannt wird). Der Ort ist wegen seines Neputa berühmt, also warum sollte ich nicht die knapp 25 km dorthin fahren?

Wie es meine fragwürdige Spontaneität aber will, biege ich vorher nach links ab, weil ich plötzlich den stärkeren Drang verspüre, vom Berg Iwaki auch mal ein Bild zu machen, das nicht von Südosten her aufgenommen wurde, sondern vielleicht auch mal ein Bild von Norden her. Ich fahre also weiter in westlicher Richtung. Als erstes löst sich dabei das Problem meines rechten Schnürsenkels. Der ist nämlich, entgegen meiner Hoffnung, bereits vor über einer Woche gerissen, und es scheint in Japan ein Ding der Unmöglichkeit zu sein, Schnürsenkel zu bekommen, die 180 cm lang sind. Das Problem löst sich, zumindest provisorisch, dadurch, dass ich einen weggeworfenen Turnschuh am Straßenrand finde. Ich nehme den Schnürsenkel heraus und fädele ihn so an meinen rechten Stiefel, dass der mir immerhin nicht mehr vom Fuß fallen kann und auch nicht mehr so locker sitzt.

Ich fahre eine Weile später auf einer Brücke an einer ebenfalls radfahrenden Schülerin vorbei und frage sie, wo denn das Meer sei. Sie muss darüber sehr erschrocken und/oder verwirrt gewesen sein, weil sie sagt, sie habe keine Ahnung. Das kann ich ja kaum glauben. Vor allem dauert es danach nur noch ein paar Minuten, bis ich an einem Schild vorbeikomme, auf dem zu lesen ist „Ajigasawa 14 km“. Nur 14 km bis zum Strand? Das ist ja lächerlich, da komme ich ja bequem in einer Stunde hin. Also trete ich in die Pedale, bringe den einzigen ernstzunehmenden Berg mit Hilfe eines Getränkeautomaten hinter mich und fahre dann bis zum Strand quasi nur bergab. Und beinahe wäre ich daran vorbeigefahren.
Ich frage mich, wo hier der Bereich ist, der bis zum 19. August als Badestrand geöffnet war. Der Abschnitt, den ich hier sehe, ist voller Müll, der aus dem Meer angespült oder aber von Besuchern weggeworfen worden ist. In erster Linie Plastikzeug, Tüten und Flaschen. Ich möchte hier lieber nicht baden. Ein einsamer Surfer verbringt hier gerade seine Zeit, ansonsten nur Angler am nahen Kai. Aber mit Surfen ist hier nicht viel, dafür sind die Wellen viel zu klein. Das Wasser scheint nur sehr langsam tiefer zu werden, weil eben jener Surfer noch 20 Meter weit draußen nur bis zur Hüfte im Wasser steht. In Tanesashi funktioniert das nicht. Fünf Meter vom Strand weg ist das Wasser bereits zwei Meter tief.
Ich drehe eine Runde an den Anglern vorbei und fahre zu einem kleinen Laden für Angelbedarf. Dort lasse ich mir eine kleine Plastiktüte geben. Da ich mit einem ganz anderen Fahrziel aufgebrochen war, habe ich keine mitgenommen, aber wenn ich schon mal da bin, kann ich auch eine Handvoll Sand mitnehmen. Ich hänge die Tüte an meinen Lenker, weil in meinen Beintaschen kein Platz ist und ich außerdem fürchten muss, dass mein Schlüsselbund wegen der ständigen Bewegung ein Loch in die Tüte reißt. Das bisschen Sand ist auch nicht schwer genug, um das Lenkverhalten des Rades zu beeinträchtigen.

Um kurz vor Drei mache ich mich auf den Rückweg. Um meiner Gewohnheit zu folgen, nehme ich auf dem Rückweg eine andere Route als auf dem Weg hin. Der Anfahrtsweg war, den Straßenschildern nach zu rechnen, knapp 40 km lang. Auf dem Schild, dass ich gerade sehe, 150 Meter vom Meer weg, steht, dass es nach Hirosaki auf diesem Weg nur 33 km seien. Also los.
Was ich dabei nicht bedacht habe, ist, dass diese Route weiter südlich verläuft. „Weiter südlich“ ist hier vor Ort gleichzusetzen mit „näher am Berg Iwaki“, was wiederum bedeutet, dass dieser Weg durch die hügeligen Ausläufer des Wahrzeichens von Tsugaru führt. Anstatt also einen großen Hügel zu haben, muss ich in der Folgezeit gut ein Dutzend kleine und mittlere Anstiege bewältigen, die meine Getränkekosten in die Höhe treiben. Ich bin ohne Gepäck aufgebrochen und fahre quasi von einem Automaten zum nächsten.
Zwischendurch liefere ich mir ein ungleiches Rennen mit drei (Ober-?) Schülern, die sich a) für cool und b) für schnell halten. Sie sind aber weder das eine noch das andere und ich lasse sie mit Hilfe meiner Gangschaltung auch bald hinter mir. Was sie nicht daran hindert, mich noch fünf Kilometer weit zu „verfolgen“, so schnell sie können.

Schließlich sind es noch neun Kilometer bis Hirosaki und ich fühle mich, als würde ich bald vom Rad fallen. Aber dann taucht ein Lawson Konbini „am Horizont“ auf. Ich stelle mein Fahrrad vor dem Laden ab, wanke, fast geistesabwesend, hinein und kaufe mir eine 2-Liter Flasche Wasser. Ich wanke wieder hinaus und muss mir von dem Angestellten meine Mütze nachreichen lassen, die ich auf dem Tresen habe liegen lassen. Ich lasse mich neben dem Konbini auf dem Boden nieder und verwende den Zigarettenautomaten als Rückenlehne. Ist mir alles egal, bequemer habe ich seit heute Morgen nicht mehr gesessen. Rechts von mir vertilgt eine Gruppe Schülerinnen in uniformen Trainingsanzügen ihre Einkäufe, bevor sie ihre Fahrradhelme aufsetzen und davonradeln. Entweder gehören die Helme zur Uniform (weil sie alle gleich aussehen), oder es gibt nur ein einziges Design abgesehen von den Helmen für Radrennfahrer.
Kurz danach kommen drei Jungs (um die 10 oder 11 Jahre alt) aus dem Ort zum Laden herüber. Der erste winkt und ruft „Konnichiwa!“ Ich winke zurück und grüße ihn gleichlautend, was ihn schon mal irgendwie erstaunt. Sie gehen in den Laden und ich trinke derweil mein Wasser weiter. Dann kommen sie wieder raus. Der „Wortführer“ geht an mir vorbei und sagt „Kakkoii“. Ich frage ihn, was er meint, und er sagt, er meine mich. Oh, danke. Ich fühle mich aber gerade ein wenig schlapp. Die drei knien dann um mich herum. „Vielleicht solltest Du was essen“ meinen sie und einer hält mir etwas hin, worauf „Wasabinori“ geschrieben steht. „Da, schenke ich Dir. Ist aber scharf.“ Ist mir auch egal, ich bin für alles dankbar. Ich kaue das ganze Teil auf einmal, es kaut sich wie Plastik, und warte auf die Wirkung des Wasabi. Die setzt auch bald ein, ich verziehe das Gesicht ein wenig und bin glücklich. Ich sage, dass das gut sei, worauf er mir noch einen Streifen hinhält. Da ich den nicht auch noch umsonst will, biete ich ihm an, zu tauschen. Noch bevor „der Deal“ klar ist, bekomme ich von einem anderen der Jungs einen Streifen einer anderen Geschmacksrichtung zugesteckt. (Dieser zweite Wasabinori-Streifen liegt noch heute in meiner Vitrine.) Ich gebe jedem dann eine der Touristenmünzen aus Trier, diese Nachbildung einer römischen Münze aus dem ersten Jahrhundert AD. Ich habe welche von diesen Dingern als Mitbringsel mitgebracht, aber nicht alle „verbraucht“. Eine bessere Gelegenheit, den für mich wertlosen Krempel loszuwerden, gibt es nicht mehr. Ich erkläre ihnen, was es damit auf sich hat und dass es sich natürlich um eine Fälschung handelt, aber die drei sind ganz begeistert davon. Sie setzen sich dann auf ihre Fahrräder, winken und fahren davon. Ich sehe, es war doch eine gute Idee, den schwereren Pfad zu wählen (auch wenn ich vorher nicht wusste, dass er schwer sein würde).

Um etwa 17:00 fahre ich von dem Parkplatz wieder weg und strebe gen Hirosaki. Die Pause hat mir gutgetan, und die zwei Liter Wasser ebenfalls. Ich lande schließlich in einem Stadtbezirk in der Nähe des Parks, und wenn ich hier nicht letztlich ein Schreinfest besucht hätte, wüsste ich jetzt nicht auf Anhieb, wo ich entlangfahren muss, um in die Innenstadt zu gelangen. Um kurz nach halb Sechs komme ich dann wieder zuhause an. Mit dieser Tour dürfte ich in die Fußstapfen von Hans Erdmann getreten sein, der nicht nur zum Iwaki gefahren ist, sondern auch noch nach Süden, über die Berge, nach Odate (wo er allerdings wegen der spürbaren Erschöpfung lieber über Nacht blieb, wie man sich erzählt). Ich habe starke Bedenken, ob ich morgen früh in der Lage sein werde, aufzustehen, ohne jeden Beinmuskel einzeln zu spüren.

27. August 2024

Freitag, 27.08.2004 – Wer sucht, der findet

Filed under: Japan,My Life — 42317 @ 10:06

Heute Abend will ich das „Skyline“ Poster bei Nissan abholen. Melanie bekommt das mit und will mich begleiten, weil wir dann im Anschluss Sushi essen können. Ich schlage also vor, dass sie vor dem „Sushi Shôgun“ auf mich wartet.
Was ich dabei vergesse, ist die Tatsache, dass ich noch ins Ito Yôkadô wollte, um den Soundtrack von „Kachô Ôji“ (auch bekannt als „Legend of Black Heaven“) unters Hörgerät zu nehmen (eine Lupe wäre unpraktisch) und mir ein bisschen was von John Sykes anzuhören, der das Titellied zur Serie gespielt hat. Ich habe mich bei Amazon bereits gewundert, warum dessen CDs im Westen so schrecklich teuer sind, und des Rätsels Lösung ist, dass der Mann von Japan aus produziert. Er ist kein „US Import“. Da wundert es mich wenig, dass man für eine CD locker 32 E löhnen muss. Ich gehe eine willkürlich ausgewählte CD durch (die erste CD, auf der sein Gesicht nicht zu sehen ist, weil er einer der wenigen Menschen ist, die ich für hässlich halte) und befinde die Musik als nicht schlecht. Solide Rockmusik mit gut gespielter Gitarre (sofern ich das beurteilen kann), aber auch nichts derart besonderes, dass ich bereits wäre, einen solchen Preis zu zahlen. Der Originalsoundtrack der Serie ist auch nicht schlecht, aber von den 22 verfügbaren Tracks sind nur neun wirklich gut, der Rest besteht aus unwichtiger Hintergrundmusik – und der Soundkrieg „Techno vs. Metal“ aus der letzten Episode ist nicht enthalten. Eine herbe Enttäuschung. Aber ich behalte dennoch den Infozettel. Vielleicht komme ich auf die CD von Sykes zurück, wenn die finanziellen Zeiten mal besser sind.
Dann finde ich endlich, eher zufällig, die Single, die ich seit Wochen suche. Ich bin mir relativ sicher, das Gesicht des Interpreten im Regal erkannt zu haben. Sie heißt „Boku ga ichiban hoshikatta mono“ („Das, was ich mir am meisten gewünscht habe“), von Makihara Noriyuki. Es handelt sich um eine Singleauskopplung aus seinem Album „Explorer“. Er hat das Lied (als Bonus) sogar in einer englischen Version gesungen, und ich bin nicht sicher, ob ich ihn beglückwünschen oder bemitleiden soll. Bei der Aussprache gibt er sich große Mühe, die ist wirklich gut für einen Japaner. Aber leider passen die englischen Silben nicht so recht in das durch die Noten vorgegebene Versmaß, also wird da viel gewurstelt und hineingepresst, damit der Text auch ganz rüberkommt, weswegen das Lied starke Qualitätseinbußen hinnehmen muss. Dafür ist dann aber sogar die obligatorische Instrumentalversion zu gebrauchen, die man für gewöhnlich sorgenfrei überspringen kann, ohne etwas zu verpassen.

Ich komme aber schließlich noch bei Nissan an, gehe durch die Tür und noch bevor ich ein Wort sagen kann, strahlt die Angestellte übers ganze Gesicht und sagt: „Ah, Sie sind der Kunde von Maeda-san, der das Skyline Poster haben wollte!“ Ich habe die Frau noch nie gesehen, ich muss offenbar zum Firmengespräch geworden sein. Ich bestätige also die Bestellung und dann darf ich mich erst mal setzen, bis die Ware irgendwo ausgegraben worden ist. Ich sehe so lange auf den Fernseher, der links von mir am Ende des Raumes hinter der Kinderecke steht. Werbung ist an sich nie sonderlich spannend (wenn auch in Japan oft besser als in Deutschland), aber an einer Stelle bin ja beinahe vom Stuhl gefallen. Da grinst mir aus dem Fernseher das Gesicht von Alex, dem Rumänen, entgegen. Er ist in einer Werbung für ein lokales Onsen zu sehen (= „heiße Quelle zum drin baden“).

Und wer hat dieses Drehbuch bloß geschrieben? Alex geht, in einen himmelblauen Yukata gekleidet, über eine der Brücken im Schlosspark (dort gibt es kein Onsen!), wo ihm ein Einheimischer in der gleichen Kluft entgegenkommt. Alex fragt ihn, wo er hingehe („Doko ni iku n desu ka?“), und der Japaner fällt erschrocken auf sein Hinterteil. Dann streckt Alex seine Rübe mitten in die Kamera und sagt „Ich bin Alex!“ („Alex desu!“). Das erscheint mir reichlich sinnfrei, aber dem Onsen scheint der Exotikfaktor eines Europäers in einem Sommerkimono als Werbeeffekt zu reichen.
Leider ist Alex gerade nicht in Hirosaki. Nicht nur wegen der Werbung… ich musste erfahren, dass er derzeit bei seiner Freundin in der Gegend von Tokyo rumhängt, und damit fällt er als Lagerstätte für Wohnartikel, das ich an Leute abgeben könnte, völlig aus. Izham hat keinen Platz. Wenn ich im Center nicht noch was biegen kann, habe ich keine Ahnung, was ich mit dem Zeug in der Wohnung machen soll, außer es wegzuwerfen.

Nachdem ich also Alex im Fernsehen bewundert habe, dauert es noch ein paar Minuten, bis die Verkäuferin zurück ist – und mir sagt, dass ich noch einen Augenblick warten solle. Noch ein wenig später kommt dann ein anderer Verkäufer mit einem riesigen, langen Paket (einen Meter lang, wie es aussieht) und nimmt das großräumig aufgerollte Plakat daraus hervor. Nun ja, es ist das, was ich haben wollte. Es kostet auch nicht 600 Yen, sondern nur 525. Nicht der ultimative Unterschied. Ich erhalte eine Quittung, verstaue das Paket so gut als möglich in meinem Rucksack (also so, dass es nicht beim Fahren rausfällt) und verabschiede mich. Diesmal bekomme ich keine Ehrenwache beim Rausgehen. Die sind alle mehr mit sich selbst beschäftigt. In der Kundenecke sitzen zwei Angestellte, und die Angestellte und vier Mechaniker in roten Overalls machen was weiß ich was.

Dann komme ich endlich zum Sushi Shôgun. Ahem, Melanie wartet bereits seit etwa einer Stunde. Dicke Luft. Es tut mir leid. Besser kann ich die Situation jetzt nicht machen. Dann essen wir wild drauflos, und ich glaube, so viel Sushi habe ich schon lange nicht mehr gegessen. Am Ende weiß ich selbst gar nicht mehr, wie viele Teller da eigentlich stehen. Die Angestellte zählt 18 Stück allein bei mir, womit ich Nan theoretisch geschlagen habe – allerdings kamen bei ihr ja auch noch ein Teller Krabbensuppe und irgendeine weitere Sonderbestellung plus Nachtisch dazu. Diese Thailänderin erscheint unschlagbar.

26. August 2024

Donnerstag, 26.08.2004 – Das letzte Yakiniku

Filed under: Filme,Japan,Musik,My Life — 42317 @ 7:00

Yui hat mir die E-Mail-Adresse ihres Freundes Daniel gegeben, und Martin „U“ war inzwischen so frei, mir das Lied „Helden der Zeit“ von „Richthofen“ per Mail zuzusenden. Da Daniel gesagt hatte, dass er die Musik von „Rammstein“ möge, habe ich mir gedacht, dass ihm „Richthofen“ auch gefallen könnte. Daniels Besuch ist bereits eine Weile her… aber ich kann ihm die Datei ja ebenfalls per E-Mail schicken. Er hat bei Yahoo immerhin 25 MB freien Platz.

Ich verlasse das Informatikgebäude um kurz nach Fünf. Wir haben ein Tabehôdai für sechs Uhr abgemacht, also habe ich noch Zeit zum Totschlagen. Um 17:25 bin ich dann bei Izham. Er ist zum Zeittotschlagen wie geschaffen. Erstens redet er sowieso gern und zweitens bin ich gestern Abend gegangen, ohne einen neuen Termin für „Combat Mission“ auszumachen. Am Samstag habe er keine Zeit, weil er an dem „Jamboree“ Ausflug zum Towada-See teilnehme. Also halten wir den Montagabend fest, da haben wir sogar „sturmfrei“. Die genannte Andrea ist nämlich nicht „nur“ eine junge Frau, die zufällig an der gleichen Uni studiert, wie Izham, die es zufällig zur gleichen Zeit nach Japan verschlagen hat – die beiden sind verheiratet. Andrea arbeitet also am Montag und wir würden niemanden stören.

Um 18:03 stehe ich dann vor dem „Sunkus“ in Nishihiro, wo Wiirit, Ii und Nan bereits warten. Von den beiden Chinesinnen und Melanie fehlt allerdings noch jede Spur. Die kommen aber nur zwei Minuten später. Wie ich bereits vermutet hatte, ist FanFan, wiederholt entgegen meiner Einladung, nicht erschienen. Das Restaurant heißt „Goemon“ und befindet sich genau vor dem hiesigen Bahnhof, gegenüber vom Skatt Land und dem Bentô-Laden, den ich vor einigen Tagen erwähnt habe. Die Atmosphäre im Inneren ist gediegener als im MooMoo, die Preise sind es auch. Hier gibt es kein Büfett, an dem man sich nimmt, was man möchte (es ist auch kein Platz dafür), sondern man bestellt einen oder mehrere Teller mit Zeug und lässt es sich bringen. Leider werden so automatisch auch Sachen bestellt, die nicht so toll sind und die ich auch nicht bestellt hätte, wenn sie gut wären. So zum Beispiel ein Reisgericht mit einem gewöhnungsbedürftigen Geschmack, das ich so schnell nicht wieder essen möchte. Ich komme nicht von alleine auf die Idee, mir beim Tabehôdai was anderes als Fleisch zu bestellen, dafür ist mir mein Geld zu schade. Ich schaufele den Reis schnell in mich hinein, damit er weg ist – Dinge, die übrig bleiben, muss man nämlich extra bezahlen, Ganz klar: Sonst könnte ja jemand massenweise Zeug bestellen, um nur mal zu probieren, aber der Rest muss dann weggeworfen werden.
Es gibt auch etwas, das eigentlich nur ich esse, nämlich „Hormon“. Das hat nichts mit Hormonen zu tun, sondern, wenn ich das richtig sehe, handelt es sich dabei um mundgerecht klein geschnittenen Darm, den man grillt und isst. Jetzt sage niemand „Igitt!“ (obwohl die rohe Masse aussieht wie schon einmal gegessen). Darm hat schon jeder gegessen, der mal Wurst gegessen hat. Die Darmstücke schmecken gar nicht schlecht. Was aber viele abschreckt, ist wohl der Umstand, dass sie, auch gegrillt, eine schwabbelig-zähe Konsistenz haben, die nicht jedermanns Ding ist. Mir macht das nicht aus, ich kaue eine Weile darauf herum und schlucke es dann am Stück. Die Stücke sind nicht sonderlich groß und man kann sie eh nicht ganz zerkauen.
An „Fleischsoßen“ gibt es hier auch nur dieses Sojasoßen-Präparat. Ich hätte mir, auch wenn es unverschämt klingt, schon etwas Ketchup gewünscht. Zum Grillfleisch ist das wohl nicht verkehrt. Die Sojasoße ist gut, das will ich nicht bestreiten, aber auf Dauer ist sie etwas eintönig.
Der Grill selbst ist deutlich besser als im MooMoo. Im Goemon gibt es nämlich einen Grillrost aus dünnen Metallstäben, während der Grill im MooMoo mehr aus Metallfläche als aus Leerraum zu bestehen scheint, weswegen dort viel schneller was anbrennt. Die Zeit ist hier im Goemon dafür wiederum begrenzt – man hat 90 Minuten Zeit für Bestellungen – aber die Zeit reicht völlig aus, um hautsatt zu werden. Auch das Fleisch ist auf jeden Fall besser als im MooMoo, und das macht den etwas höheren Preis (1640 Yen) wieder deutlich wett. An uns Europäern verdient kein Tabehôdai Laden was, und Nan muss ich in dieser Hinsicht ja zur „Europäerin h.c.“, „ehrenhalber“, ernennen – die stopft Mengen von Zeug in sich hinein, das passt ja auf keine Kuhhaut.
Zum Schluss machen wir Fotos. Mei und BiRei werde ich morgen noch einmal sehen, aber das wird dann das (vorerst) letzte Mal sein. Sie nehmen, wie Izham, am „Jamboree“ teil und werden im Anschluss zum Sightseeing nach Hokkaidô fahren. Sie kommen erst am 02.09. zurück, und da bin ich bereits unterwegs in die Heimat. Ich bitte sie, auch FanFan mitzubringen. Dann trennen wir uns und fahren nach Hause.

Es ist ja immer noch genug Zeit bis Mitternacht… ich gehe also in die Videothek und leihe „Die Rückkehr der Jedi-Ritter“ aus. Und der Spruch des Films lautet hier:
„Obiwan ni yoku kitaerareta you da!“
„(Mir scheint) Obiwan hat Dich viel gelehrt.“
Aha. Dabei hat der gute Obiwan doch kaum was gemacht, außer Luke den Einstieg in die Anwendung der Macht zu ermöglichen, was wohl ein paar Tage Training während des Hyperraumflugs im „Falken“ von Han Solo gewesen sein dürften. Ich glaube, das Yoda ihm viel mehr beigebracht haben dürfte. Ob sich die Übersetzer bei der Verwendung der Form „you da“ (zum Ausdruck des Anscheins) am Ende des Satzes eine Art schwach versteckten „Yoda-Scherz“ erlaubt haben, kann ich natürlich nicht mit Bestimmtheit sagen.

25. August 2024

Dienstag, 24.08.2004 – „Omae no Chichi wa washi da!“

Filed under: Filme,Japan,My Life — 42317 @ 17:03

Ich bekomme heute nur drei Newsletter geschrieben, weil eine wahre Flut von E-Mails über mich hereinbricht. Da kam nicht ein ganzer Schwung über Nacht, sondern es kommen einzelne Mails, in schönen, regelmäßigen Abständen, die auch beantwortet werden wollen, um den Zeitbedarf dafür auch hübsch zu maximieren.
Um kurz nach Fünf gehe ich ins Center, weil Izham gesagt hatte, er sei am Nachmittag dort anzutreffen. Ist er aber nicht. Ich gehe also erst mit Melanie ins „Bunpuku“ essen, dann fahre ich zu Izham rüber und störe ihn bei seiner üblichen Ferientätigkeit – Onlinespiele. Eigentlich möchte ich nur, dass er Misi eine kurze Nachricht schreibt. Der will sich nämlich meine CD-ROMS ausleihen, um sie auf DVD zu brennen, kann sich aber nicht dazu durchringen, mir einen verbindlichen Termin zu nennen. Er soll stattdessen bei mir vorbeikommen und den Krempel abholen. Ich verbringe aber noch rund 40 Minuten vor Izhams Haustür mit Gesprächen über Hardware, Software und Spiele allgemein. Dann erst fahre ich nach Hause. Ich bemerke dort allerdings ein paar fehlende Artikel, so haben wir z.B. Wurst, aber kein Brot, also muss ich noch einkaufen gehen. Es handelt sich dabei im Übrigen um exakt die Wurst, die Melanie vor ein paar Tagen so furchtbar dringend gebraucht hat, dass ich vor meiner Radtour noch in den Supermarkt fahren musste. Und die Eier aus dem gleichen unnötigen Einkauf stehen auch noch unangetastet im Kühlschrank rum! L

Um 20:30 komme ich dann vom Einkaufen zurück und weil noch genug Zeit ist, leihe ich „Das Imperium schlägt zurück“ aus. Das macht auf Japanisch noch mehr Spaß als der erste Film! „Asteroiden interessieren mich nicht!“ wurde hier übersetzt als „Kare-tachi ga doko de mo itta koto wa Kankei de wa nai!“, wenn ich das richtig aufgeschrieben habe, also „Es spielt keine Rolle, wo die hingeflogen sind!“ Das beste aber: „Omae no Chichi wa washi da!“ (Ich bin Dein Vater!“) Und der Sprecher sagt das mit einem so wundervollen Tonfall, dass ich den Satz so schnell nicht wieder vergessen werde. In diesem Falle finde ich es ausgesprochen blöde, dass man diese Filme nicht kopieren kann. Die japanische Version hätte ich mir auch noch ins Regal gestellt.

„SailorMoon“ muss auch mal wieder sein. Rei und Minako streiten sich, weil Minako ja todsterbenskrank ist und ihre Rolle als Anführerin der Senshi nicht mehr recht wahrnehmen kann, das aber nicht einsehen will. Aber weil es ja doch dem Ende zugeht, entlässt sie Artemis aus ihren Diensten. Die hier dargestellte Minako ist also nicht nur krank, sondern auch noch von allen guten Geistern verlassen.
Die Yôma laufen natürlich immer noch frei herum und entziehen den Leuten Energie, wodurch immer wieder massenweise Passanten zusammenbrechen (für gewöhnlich knapp ein Dutzend, würde ich sagen). Ich sollte mir wirklich mal die Serie genau anschauen und nachsehen, ob das nicht immer die gleichen Leute sind.
Eines der Monster wird beinahe besiegt, erhält dann aber ein „Upgrade“ durch Einflussnahme von Königin Metallia selbst (also durch dieses Energiewesen, von dem alles Übel überhaupt erst ausgeht) und schubst Merkur und Luna ein bisschen durch die Gegend (die fliegen immer so schön, und der Schmutz, den sie danach immer im Gesicht haben, sieht eher niedlich als nach Kampf auf Leben und Tod aus), bis die ihre Energie so weit los sind, dass sie wieder in ihre „zivile“ Form zurückwechseln. Da die anderen abwesend sind, klammert sich Jupiter also an den Yôma und lässt ihn (es?) vom Blitz nicht nur erschlagen, sondern gleich in die Luft sprengen – und sich gleich mit, wie es aussieht. Makoto kommt in der Vorschau zur nächsten Episode jedenfalls nicht mehr vor. Dass Motoki im Game Center im gleichen, dramatischen Moment seinen Schildkrötenanhänger (nicht weniger dramatisch zufällig) hat fallen lassen, ist ja ein oberböses Omen! Außerdem war er zuvor mit dem „zivilen“ Nephlite einkaufen, und dass der ein Geschenk für Ami besorgen will (ein Paar Büffelhörner???), gibt mir so eine Ahnung, wer die nächste auf der Abschussliste ist.

Mittwoch, 25.08.2004 – „Risiko“ versus „Diplomacy“

Filed under: Japan,My Life,Spiele — 42317 @ 7:00

Nachdem ich wieder den ganzen Tag vor dem Bildschirm verbracht habe, bin ich am Abend zu einer Partie Risiko bei Izham eingeladen, zusammen mit den „üblichen Verdächtigen“: Chris, Baqr und Misi, dazu kommen allerdings noch Andrea und Irena. Man spielt hier noch die „alte“ Variante – also das Brettspiel. Das allerdings in der Luxusversion, in der die sternförmigen Steine durch Infanterie-, Artillerie und Kavalleriefiguren ersetzt worden sind. Ich erinnere mich, vor vielen, vielen Jahren eine solche Ausgabe meinem alten Kameraden Frank geschenkt zu haben (gekauft zusammen mit Sebastian), was aber unglücklicherweise mit Franks Erwerb eines Strategiebrettspiels namens Shôgun zusammenfiel (man spielt einen Samuraiclan im 16. Jh. und kämpft um die Vorherrschaft in Japan), also wurde es nie gespielt. Was mich auf den Gedanken bringt, dass es interessant sein könnte, eben jenes „japanische“ Spiel noch einmal zu spielen – nachdem ich ja inzwischen mehr Einsicht in die Hintergründe habe.[1]
Zurück ins heutige Hirosaki: Eigentlich wollte ich Misi bei dieser Gelegenheit meine CD-ROMS überlassen, aber ich war spät dran und wollte das später noch irgendwie hinbekommen, was natürlich nicht geklappt hat, und außerdem hatte ich bis zum Morgen noch keine Liste des Bestandes angefertigt. Ich mache ihm also das Angebot, nach Spielende einfach mit mir zu kommen und die Disketten in Empfang zu nehmen. Das lehnt er allerdings ab, weil er mit seinem Computer noch irgendwas zu tun habe. Na denn.

Wir bauen das Spiel auf. Baqr nimmt die Farbe Gelb, weil es dem Sand in Ägypten nahekommt, Izham spielt Grün, weil er immer Grün spielt (und es wird gewitzelt, dass er Grün nimmt, weil es die Farbe des Jihad ist) und ich nehme Schwarz, weil es mein Name ist. Die anderen nehmen Rot (Chris), Blau (Andrea) und Lila (Irena), ohne besonderen Grund. Misi ist es zu eng am Spieltisch, also setzt er sich lieber vor den Computer und spielt „Battlefield Vietnam“.
Mir wird schon bald wieder sonnenklar, warum ich das Brettspiel nicht sonderlich schätze: Der Würfel, also der Zufall des Glücks, hat einen zu großen Einfluss auf das Kriegsgeschehen. Nachdem ich einen Zug lang Herr über ganz Asien war, verliere ich die Entscheidungsschlacht in Siam, als der nach Australien zurückgedrängte (und ein wenig gelangweilte) Izham über die Straße von Malakka zurück auf den Kontinent strebt. Er verfügt über 16 Divisionen, ich über 14, und am Ende verliere ich 14:5, weil ich nur Mist gewürfelt habe. Dabei sieht das Spiel schon vor, dass der Verteidiger eine Runde bereits gewinnt, wenn er nur die gleiche Zahl wie der Angreifer würfelt. Unter realistischen Bedingungen würde ich annehmen, dass meine Armee, deren Kern durch ganz Asien marschiert war, über weitaus mehr Erfahrung verfügt als Izhams Truppen, die er während meiner Expansion nach Südwestasien in Australien und Indonesien quasi aus Nichts völlig neu aufgebaut hatte. Ganz zu schweigen davon, dass man nicht mal so einfach mit einer Überlegenheit von nur knapp mehr als 10 % über eine Meerenge hinweg angreifen kann.
Aber egal, ich habe verloren. Ich habe zwar eine Absprache mit Chris, was die Absteckung unserer Interessensphären (Asien und Europa) betrifft, aber er nutzt meine Schwäche aus und setzt mir von seiner Kolonie Alaska aus zu, und im Nu ist Asien wieder verloren. Dass Chris sich nicht an die Absprache gehalten hat, kann ich ihm nicht einmal übelnehmen, da es sein zufällig gezogener Auftrag war, den Schwarzen Spieler, also mich, zu besiegen. Ich hatte mich auch mit Baqr abgesprochen, und er hat sich daran gehalten. Er sollte mein „Afrikanischer Schild“ gegen die Expansion Andreas von Südamerika her sein, aber diese Aufgabe erfüllte er relativ schlecht, da er seine Truppen hübsch gleichmäßig verteilte, anstatt eine schlagkräftige Hauptarmee zu unterhalten. Obwohl… bei einem Glücksspiel wie diesem spielt das eh keine so große Rolle wie in der strategischen Variante, die ich auf der Playstation spiele.
Das für mich völlig normale Verhandeln mit meinen Grenznachbarn (im Nebenraum bzw. vor der Haustür) stößt bei der Allgemeinheit allerdings auf Ablehnung. Irena sagt, das sei dämlich. Wenn ich Verhandlungen möge, solle ich doch „Diplomacy“ spielen. Man will also nur die Würfel entscheiden lassen, was ich weitaus dämlicher finde, als mal schnell zwei Minuten mit jemandem vor die Tür zu gehen, ein bisschen über die Einflusssphären zu verhandeln und so dem Glück ein wenig unter die Arme zu greifen. Dann spielen wir eben die Kinder-Variante…
Baqr wird also von Andrea niedergemacht, und Irena kann sich auch nicht lange halten. Das Spiel wird abgebrochen, nachdem Andrea Afrika und die beiden amerikanischen Kontinente unter Kontrolle hat und der Disput in Europa und Asien (Izham gegen Chris) eine koordinierte Verteidigung gegen die Frau mangels Lizenz zum Verhandeln nicht zulässt.


[1] Es hat sich in den 20 darauffolgenden Jahren nicht ergeben, „Shôgun“ zu spielen, obwohl es im Regal steht – Frank hat es mir geschenkt. Denn man braucht nicht nur interessierte Spieler (das geringere Problem), sondern auch viel Zeit, weil ein Nachmittag mit aller Wahrscheinlichkeit nicht ausreichen wird, um den Bürgerkrieg schlüssig zu Ende zu spielen.

23. August 2024

Montag, 23.08.2004 – Yui geht

Filed under: Japan,Musik,My Life,Spiele — 42317 @ 7:00

Montag… das heißt, ich verbringe den größten Teil des Tages vor dem Rechner. Um 16:30 kommt Yui mich allerdings noch schnell besuchen. Warum dieses? Eigentlich sollte sie seit 15:00 im Bus nach Sendai sitzen. Sie sagt, dass die Arbeiten in ihrer Wohnung und die Formalitäten auf Post und Bank länger gedauert hätten, als angenommen, und dass sie deshalb einen späteren Bus, um 17:30, nehmen wolle. Sie hinterlässt mir fünf kleine Dosen mit Apfelmus, die sie auf der US Army Base in Misawa gekauft hat – in Aomori-ken gibt es ja paradoxerweise kein Apfelmus. Außerdem hat sie sich extra für den Trip in die USA Kontaktlinsen machen lassen. Dann verabschiedet sie sich. Sie wird allerdings nur vier Monate wegbleiben, bis Ende Dezember. Ich hatte mit einem Jahr gerechnet. Diese kurze Dauer ist ja völlig witzlos. Und obwohl ich der schlechteste denkbare Postkartenschreiber bin, will ich versuchen, ihr eine nach Tennessee zu schicken.

Um 17:15 verlasse ich den Computerraum wieder und suche Misi im Büro von Alex auf, wo der sich gerade mit Baqr rumdrückt. Ich frage ihn, wo Izham eigentlich wohne, denn schließlich will ich meine CD irgendwann mal wiederhaben. Statt mir das einfach zu sagen, vergewissert er sich telefonisch, dass Izham zuhause ist und wir fahren einfach hin. Izham hat eh gerade nichts besseres zu tun, als „WarCraft III“ per Internet zu spielen, also lasse ich mir kurz den Spielverlauf zeigen und etwas von seiner Musik dazu. Izham mag diesen melodiösen und künstlerischen (Pseudo-) Metal, den ich lieber als Spielerei im Regal stehen lasse, und auch die härtesten Sachen, die er mir zeigt, sind immer noch sehr harmonisch im Vergleich zu dem, was ich so hin und wieder über meinen MP3 Player höre, ganz zu schweigen von Sachen wie „Slipknot“ oder „System of a Down“. Bei Izham findet man „Stratovarius“, „Children of Bodom“ und „Blind Guardian“.
Wir spielen eine schnelle Nummer „Combat Mission“ gegeneinander, und wie erwartet versteht er erst mal gar nichts. Er hat bisher nur Echtzeitstrategiespiele gespielt, deren strategische und taktische Möglichkeiten bestenfalls im Handlungsbereich des Spiels selbst Gültigkeit haben, aber nicht viel Realismus vorweisen. Die Ausnutzung von natürlicher Deckung durch Gelände, Truppenformationen und gleichzeitige Aktionen aller Einheiten muss er noch lernen. Aber wir wollen es morgen noch einmal versuchen.

22. August 2024

Sonntag, 22.08.2004 – Einmal im Kreis gefahren

Filed under: Japan,My Life — 42317 @ 7:00

Nachdem ich am Morgen lieber ausgeschlafen habe, beginnt meine heutige Radtour erst am Mittag. Und sie beginnt mit einer Einkaufsfahrt in den Beny Mart, weil Melanie offenbar dringend ein paar Lebensmittel braucht, aber nicht selbst gehen will, obwohl sie die Zeit dazu hätte.

Danach fahre ich grob in Richtung Westen, bis ich mich dem Iwaki auf etwa sechs Kilometer genähert habe. An diesem Punkt hört die Ebene allerdings auf, und ich habe bei der mir zur Verfügung stehenden Zeit überhaupt keine Motivation für eine Hügeltour übrig. Eigentlich wollte ich ja auch eine Tour um die Stadt herum machen, und nicht zum Iwaki. Ich drehe also um und schlage eine nordöstliche Richtung ein, bis ich auf einmal am Park im Norden von Hirosaki stehe. Das trifft sich gut, dann ist der halbe Weg ja schon gemacht.
Im Vorbeifahren am Park fasse ich den Plan, heute das Reisfeld von Inakadate zu besuchen, dass zu bepflanzen ich vor einigen Wochen geholfen habe. Der Reis ist inzwischen gesprossen, also sollte man die Dreifarbigkeit des Feldes mittlerweile gut erkennen können. Ich darf mir das Foto nicht entgehen lassen, sonst war die Mühe eigentlich umsonst. Allerdings weiß ich gar nicht mehr so genau, wo der Ort überhaupt liegt, und in diesem Moment fällt mir der Ortsname auch noch nicht ein (den habe ich erst später, beim Schreiben dieses Berichtes hinzugefügt). Ich weiß nur noch, dass man in östlicher Richtung aus Hirosaki herausfahren muss, bis man dann links von der Hauptstraße deutlich das burgartig gebaute Rathaus der kleinen Gemeinde sehen kann. Ich fahre also nach Osten, aber offenbar auf der falschen der beiden Straßen. Es gibt noch eine weiter südlich. Aber ich habe ja Zeit und man kann den Ort nicht verfehlen, wenn man um Hirosaki herumfährt. Ich biege also einfach mal nach Norden ab, in Richtung Goshokawahara, das für sein Neputa berühmt ist. Von hier aus sind es bis dorthin 22 km. Als sich diese Distanz dann schließlich auf 7 km verkürzt hat (ohne, dass ich viel davon gemerkt hätte), biege ich ganz einfach nach rechts ab und bleibe 5 km weit auf dieser neuen Straße nach Osten, dann biege ich wieder nach Süden ab und komme eine Weile später an eine Einmündung, die mich wieder auf die Hauptstraße nach Hirosaski bringt. An der Kreuzung, an der ich über eine Stunde zuvor nach Norden abgebogen war, fahre ich diesmal nach Süden, einige Kilometer weit, aber nicht sehr viele, weil ich Inakadate kurze Zeit darauf gefunden habe. Ich mache an dem Rathaus also ein paar Minuten Pause, fotografiere die beiden Reisfelder und kehre dann nach Hirosaki zurück.

Meine Haut sieht mittlerweile sehr interessant aus. Die alte Haut hat sich noch nicht abgeschält, aber die neue darunter arbeitet bereits und sondert Schweiß ab, der sich zwischen den beiden Hautschichten fängt. Ich sehe aus, als hätte ich eine Menge kleiner Brandblasen (bis 1 cm Durchmesser und bis zu 3 mm dick) an beiden Armen. Dabei habe ich von meinem Sonnenbrand wirklich nicht viel gespürt. Nur ein unangenehmes Gefühl auf der Haut bei Berührung, aber kein Brennen oder ähnliches.

Den Rückweg trete ich über das Ito Yôkadô an und frage noch einmal nach den beiden noch nicht gelieferten CDs, aber man teilt mir mit, dass diese nicht mehr lieferbar seien. Bei der „Tenchi Muyô Christmas Collection“ kann ich das ja irgendwo verstehen, weil die Scheibe immerhin schon von 1995 ist, aber der „Gunslinger Girl“ Soundtrack von den „Delgados“ ist vom letzten Jahr – wie kann das also sein? Ich will aber so schnell nicht aufgeben und bestelle die CD im Daiei gleich noch mal. Vielleicht haben die andere Quellen, man weiß ja nie.

Am Abend gehen wir mit einem Teil des „KIWA American“ Clubs zum Pizzaessen ins Skatt Land und ich esse auch einige davon. Inklusive Getränk komme ich am Ende wegen des Systems der Kostenteilung billiger weg, als das, was ich gegessen habe, tatsächlich wert war, auch, wenn ich auch ein paar Stücke der Pizzen an andere abgegeben habe. Yui ist meiner Einladung gefolgt, aber sie geht schon gegen 21:00 wieder, weil sie morgen um 15:00 nach Sendai zu ihren Eltern fährt, um in drei Tagen vom dortigen Flughafen aus nach Tennessee zu fliegen. Bis dahin muss sie ihre Wohnung noch saubermachen und ein paar Verwaltungsangelegenheiten hinter sich bringen, also will sie morgen früh in der Lage sein, ausgeruht aufzustehen.

21. August 2024

Samstag, 21.08.2004 – Es geht um die Wurst

Filed under: Japan,My Life — 42317 @ 7:00

Ich wasche erst zwei Maschinen Wäsche und mache danach eine leider unnötige Tour von insgesamt über 30 km mit dem Fahrrad. Ich fahre wieder nach Ôwani, um im Max Valu dort ein Paket Würstchen zu kaufen, wie sie letzte Woche dort auslagen. Aber leider hat es sich dabei um ein Sonderangebot gehandelt, das diese Woche nicht mehr aktuell ist. Ich muss also unverrichteter Dinge nach einer kurzen Pause wieder den Heimweg antreten. Ich nehme aber die Gelegenheit war, die hiesige Tempelanlage zu fotografieren, die vielleicht kein Meilenstein der buddhistisch-japanischen Kunst ist, aber einen sehr schönen Eindruck macht. Und ausgerechnet heute muss ein Baustellenteam anrücken und die Toreinfahrt ausbessern! Also habe ich vom Tor leider nur ein Bild mit Baustellenhinweisschild.

Digital Camera

Ich habe das Glück, auf dem Rückweg, ein paar Kilometer vor dem Stadtgebiet, einen Fahrradladen zu finden, der am Wochenende geöffnet hat. Ich brauche nämlich ganz dringend Öl für meine Kette. Nachdem ich das Fahrrad zum ersten Mal geölt hatte (die Kette war damals kaum noch bewegungsfähig), ist das ganze verwendete Öl offenbar binnen weniger Tage wegen der unglaublichen Mengen von Rost von der Kette wieder abgebröselt. Sie ist inzwischen wieder völlig trocken und quietscht. Dem kann ich jetzt also abhelfen. Und weil ich schon mal hier bin, bitte ich auch um einen Schraubenschlüssel, um mein hinteres Schutzblech zu fixieren. Wenn es ständig auf dem Reifen schleift, erfüllt es seinen Zweck nicht, meinen Rücken vor Spritzwasser zu schützen. Ja, und ein wenig mehr Luft in den Reifen schadet auch nicht.

Ich fahre im Max Valu von Hirosaki Süd vorbei, und dort gibt es die Würstchen auch nicht. So ein Übel! Da finde ich ausnahmsweise mal Würstchen in Japan, die gut sind, und dann kriege ich nur drei davon!
Ich wechsele dann auf die andere Straßenseite ins GEO und sehe nach, ob man die erste Staffel von „SkyHigh“ dort ausleihen kann, aber damit ist leider Fehlanzeige. Die erste Staffel war scheinbar nicht so der Bringer, weil ich sie noch nirgendwo gesehen habe. Die zweite Staffel zu finden ist dagegen überhaupt kein Problem, aber die haben wir ja bereits im Fernsehen aufgezeichnet.

20. August 2024

Freitag, 20.08.2004 – Atarashii Kibô (Eine neue Hoffnung)

Filed under: Filme,Japan,Musik,My Life — 42317 @ 7:00

Der Taifun war da! Natürlich wieder mitten in der Nacht, so gegen 04:00. Es hat stark geregnet und der Wind war ziemlich heftig, aber es war nichts, was ich für sehr spannend halten würde. Die meisten Herbststürme in Europa fesseln mich mehr. Um 06:00 war der Spuk dann vorbei, die Sonne kam raus, strahlend blauer Himmel den ganzen Tag, als hätte es nie schlechtes Wetter gegeben.

Ich besuche heute wieder die Nissan Blue Stage Filiale und hole das bestellte Material ab, sogar die Aufkleber sind da. Oliver war ein wenig überrumpelt von meinen plötzlichen Bestellungen nach der langen „Ruhephase“ des Projekts, er sagte aber auch, dass er in Deutschland mehr als das doppelte für die Kleinteile würde zahlen müssen und von daher sei das schon in Ordnung.
Auf dem Rückweg kann ich nicht widerstehen und esse ein paar Teller Sushi im Sushi Shôgun. Ich genieße und könnte heiße Tränen darüber weinen, dass ich darauf bald werde verzichten müssen. Danach fahre ich weiter ins Ito Yôkadô, um nach den beiden CDs zu fragen, die noch ausstehen, aber sie sind noch nicht da. Ich kaufe also nur eine preisreduzierte CD mit Nationalhymnen drauf für 1000 Yen. Mehr ist sie eigentlich auch nicht wert, denn die Stücke darauf sind zwar nicht schlecht, aber auch recht kurz. Es wird jeweils nur die Länge einer einzigen Strophe gespielt, instrumental, ohne Gesang, und im Falle der Slowakei sind das gerade mal 34 Sekunden. Dennoch sind interessante Sachen dabei. Die Melodie, die unter „Russland“ gespielt wird, ist immer noch die Hymne der Sowjetunion, die argentinische Hymne klingt zum Teil wie eine Oper, die Schweizer Hymne klingt für mich so richtig nach Alpenmusik, und die irische hört sich nach einer dramatischen Filmmusik aus den Vierziger Jahren an.

Ach nein, nicht schon wieder… vor lauter Lauter habe ich vergessen, Karl zum Geburtstag zu gratulieren. Werde ich irgendwann mal wieder pünktlich sein? Ich habe den ganzen Tag dran gedacht, bis ich am Nachmittag dann dachte „Och, diesen Bericht schreibe ich noch schnell zu Ende“… und dann war’s mal wieder geschehen. Dann muss ich das am Montag nachholen.

Dann kommt mein Fernsehabend. Kurz vor Torschluss sehe ich mir noch „StarWars“ (die Episode IV von 1977) an, weil ich Darth Vader auch mal auf Japanisch hören will. Leider ist der Stimmverzerrer des japanischen Studios im 100-Yen-Shop gekauft worden, weil sich seine Stimme anhört wie die typische Roboterstimme aus einem B-Movie aus den 60er Jahren. Dennoch hat sich die Investition gelohnt, es hat Spaß gemacht, das Ganze mal auf Japanisch zu sehen, weil er ein interessantes Japanisch redet. Irgendwie eine Mischung aus ständiger Befehlsform bei gleichzeitiger Verwendung von Ausdrücken, die eigentlich eher einem alten Mann zuzuschreiben wären. Ich dachte, wenn man sich als „washi“ (eine Form von „ich“) bezeichnet, müsste man schon über 60 sein.

19. August 2024

Donnerstag, 19.08.2004 – Mehr Musik

Filed under: Japan,My Life — 42317 @ 7:00

Den Tag über schreibe ich, am späten Nachmittag gehe ich ins Ito Yôkadô. Eigentlich will ich die Verkäuferin nur fragen, ob sie sich an das Lied erinnert, das sie mir vorgestern leider nicht hatte geben können, aber sie erinnert sich nicht und meint stattdessen, ich wolle meine Bestellung abholen. Dann eben so. Na gut, fünf der sieben bestellten CDs sind da, das ist doch gar nicht schlecht. Ihr fällt beim besten Willen nicht mehr ein, von was für einer Single ich sonst noch rede.

Und die Käufe haben sich gelohnt, sind lauter gute Sachen dabei – für meinen Geschmack. Das ist natürlich wieder lauter Zeug, das ich zuhause niemandem zu zeigen brauche, mit Ausnahme von Volker in Trier vielleicht. Aber wie ich den kenne, hat der die Hälfte von dem Zeug schon längst aus dem großen, weiten Netz gezogen.

18. August 2024

Mittwoch, 18.08.2004 – Wetterwechsel

Filed under: Japan,My Life — 42317 @ 7:00

Ein weiterer Tag vor dem Monitor, der immerhin damit endet, dass ich mit Melanie zum Essen zum Ramen-LKW fahre, und das bei wechselnd starkem Niederschlag. Als wir uns ans Zahlen machen, rauscht ein heftiger Regenschauer auf die Straße, und als wir den LKW dann eine Minute später verlassen, hat der Regen völlig aufgehört – zumindest für drei Minuten. In der zweiten Hälfte des Heimwegs fängt es wieder an zu regnen, erst langsam, dann aber schnell immer mehr. Es reicht aus, um relativ nass anzukommen.

Die Temperatur ist in den letzten Tagen durchschnittlich um 10 Grad gefallen, und es hat sich immer öfters Regen eingestellt, der eigentlich in die nach ihm benannte Regenzeit gehört hätte. Ich hatte zum Beispiel den Plan gefasst, nach dem Pazifik auch das Japanische Meer zu sehen, aber das kann ich vergessen, zumindest soweit es das Baden betrifft. Der Badestrand in Ajigasawa ist genau bis morgen für den Publikumsverkehr geöffnet, und bis morgen ist keine Wetterbesserung in Sicht. Eher im Gegenteil: Der Taifun #15 rollt auf uns zu, und zwar diesmal genau auf den Punkt. Der Taifun hat einen Halbkreis um den Süden Japans, an der Küste Chinas vorbei und über Korea hinweg beschrieben und wird am 20.08. voraussichtlich genau über Aomori-ken sein. Vielleicht erleben wir dann doch noch einen Sturm aus der Reihe der berühmten japanischen Taifune.

17. August 2024

Dienstag, 17.08.2004 – Der Zehn-Minuten-Tag

Filed under: Japan,My Life — 42317 @ 7:00

Ich verbringe den Tag im Computerraum mit den üblichen Tätigkeiten. Ich habe immer noch genug Zeit, die „Echtzeit“ einzuholen, aber dafür sind mindestens vier Berichte pro Tag fällig. Am späten Nachmittag „kümmere“ ich mich weiter um die Listening Station im Ito Yôkadô. Leider verpasse ich dabei die Gelegenheit, die Verkäuferin von gestern nach dem Lied zu fragen, das ich haben wollte. In der Musikmaschine finde ich natürlich auch nichts, weil ich überhaupt nicht weiß, was ich suchen soll.

Dann geht es weiter – zu Nissan! Oliver hat bereits vor langer Zeit geschrieben, dass er an ein paar kleinen und schmückenden Einzelteilen für sein Auto interessiert sei, die man in Japan bestimmt billiger bekommen könne, weil es das Ursprungsland ist. Ich betrete die Filiale, sage höflich „Guten Tag“ und bekomme einen Eiskaffee für die paar Minuten, die ich warten muss. Ich mache dem Angestellten im Blaumann klar, was ich haben will, und die Fotos, die Oliver mir auf meine vorsichtige Anfrage geschickt hat, leisten gute Dienste. Dass ich mich dennoch mit dem Verantwortlichen eine Viertelstunde lang über die Details der Ware und der Bestellung unterhalten kann, gibt mir ein gutes Gefühl. Am 20.08. könne ich bereits alles abholen, sagt er schließlich nach mehreren Touren zwischen meinem Sitzplatz und dem Computer, es könne lediglich sein, dass das „NISMO“ Aufkleberset vielleicht ein oder zwei Tage länger braucht. Ich frage schließlich nach einem Poster des Modells „Skyline“, aber diesbezüglich verweist man mich an die „Nissan Red Stage“ Filiale ein paar hundert Meter weiter die Straße runter. Ich befände mich hier in einer Blue Stage“ Filiale, und der Skyline werde bei den Roten verkauft, heißt es. Wenn ich die Erklärung über das Wieso und Warum richtig verstanden habe, dann verkaufen die blauen Jungs die Kleinwagen und die roten die Limousinen und Mittelklassewagen. Die Nissan-Filialen schließen um 19:00 – das sind noch zehn Minuten.

Ich trete in die Pedale und komme zwei Minuten darauf in der Red Stage an und frage nach einem Poster. Der Verkäufer bittet mich, einen Moment zu warten und weist mir einen Stuhl zu. Im Unterschied zur Blue Stage erhalte ich hier allerdings keinen Eiskaffee. Macht nichts, ich habe ja vor zehn Minuten erst einen getrunken und die wollen ja auch mal Feierabend machen.
Die Suche nach einem Skyline-Poster scheint sich schwierig zu gestalten, da es etwa zehn Minuten dauert, bis der Angestellte zurückkommt und mir mitteilt, dass gerade keine auf Lager seien. Ich könne Poster bestellen, für 600 Yen das Stück, und es gebe derzeit nur Poster des „Skyline Coupé“. Ah, so ein Zufall. Ich habe während einer Wartephase bei der Blue Stage im Tuning-Katalog geblättert und war darin über das Karosserietuning der Coupé-Ausführung gestolpert. Nicht, dass mich das sonderlich interessieren würde, aber das Interessante daran war der Vermerk „Concept by Gran Tourismo“, zusammen mit einem Screenshot aus dem zweiten Teil des Spiels. Träume können also wahr werden (und die Programmierer von „Gran Tourismo“ sind garantiert „Autoträumer“). Natürlich bin ich mir nicht sicher, ob Oliver etwas mit einem Bild dieses Modells anfangen kann (eine Rennversion des Skyline wäre sicherlich interessanter), aber ich bestelle das Poster dennoch, weil Versäumnis meist eine dümmere Option ist als vorschnelles Handeln. Ich werde Oliver morgen ganz einfach schreiben und fragen, was er davon hält. Da ich keine Adresse bei Nissan hinterlassen habe, muss ich das Zeug ja nicht abholen, wenn er es nicht haben will (weil es ihm vielleicht immer noch zu teuer ist). Aber ich muss zugeben, dass ich dann schon beinahe ein schlechtes Gewissen haben werde, weil man sich so sehr um mich bemüht hat.
Dann verschwindet der Verkäufer noch einmal für den gleichen Zeitraum (und ich habe nicht verstanden, wieso), kommt dann zurück und legt mir „Skyline“ Werbeprospekte hin. Die könne ich so haben. Er habe das verfügbare Poster bestellt, und ich solle mich so um den 26.08. noch einmal melden, dann sollte es eigentlich da sein. Er gibt mir seine Visitenkarte, damit ich ihn anrufen kann. Ich behalte diesmal für mich, dass ich kein Telefon besitze, um seinen Feierabend nicht noch weiter hinauszuzögern und drücke mein Bedauern darüber aus, dass ich ihn so lange aufgehalten habe. Zu meiner Beruhigung ist auch noch eine Familie anwesend, die sich einen Ausstellungswagen zeigen lässt.
Auf dem Weg nach draußen macht er mich dann noch auf das neue Modell „Murano“ aufmerksam, das demnächst auf dem japanischen Markt erscheint. Dazu gibt es ebenfalls eine Werbebroschüre und ein Video. Dem Gewicht der Kassette nach zu urteilen, handelt es sich um einen maximal zehn Minuten langen Werbespot.
Und warum ist heute bloß alles zehn Minuten lang???
Ich werde dann sogar noch vor die Tür begleitet und verabschiedet. Maeda-san, der Angestellte, bleibt draußen stehen, bis ich mit meinem Drahtesel davongeradelt bin – ich komme mir vor, als hätte ich gerade ein Auto gekauft und nicht nur nach einem popeligen Poster für umgerechnet vier Euro gefragt!

16. August 2024

Montag, 16.08.2004 – Großbestellung

Filed under: Japan,Musik,My Life — 42317 @ 7:00

Heute wird mein Sonnenbrand allgemein bewundert, während ich weitere CDs einlese. Ich versuche auch, Berichte zu schreiben, aber wegen der reichlich engen Zeit wird daraus zumindest nicht viel. Zwischendurch helfe ich BiRei, soweit mir möglich, bei ihren Reisevorbereitungen, z.B. wie sie vom Flughafen „Charles de Gaulle“ in die Pariser Innenstadt zu der von ihr ausgesuchten Jugendherberge kommt, die den klangvollen Namen „d’Artagnan“ trägt, und natürlich, mit welchen Bussen sie von wo aus wieder zum Flughafen zurückkommt, falls nötig. Wie es scheint, will sie von Paris aus weiter nach Venedig, und zwar mit dem Zug. Dazu suche ich ihr Stadtpläne und versorge sie mit den wichtigsten Informationen der Seiten, deren Sprache sie nicht beherrscht. Vor allem gebe ich ihr den Rat, für innereuropäische Flüge auf die Gesellschaft „RyanAir“ umzusteigen, weil es billiger ja kaum noch geht. Sie muss aber schon ein bisschen irre sein, die kleine Chinesin, wenn sie ohne europäische Sprachkenntnisse, abgesehen von einem sehr rudimentären Englisch, durch halb Europa reisen will, und das ohne irgendwelche Begleitung.

Danach verdrücke ich mich bis 17:00 in den Computerraum, denn um Fünf ist wie üblich Schluss. Ich fahre ins Ito Yôkadô. Dort wurde neuerdings eine „Listening Station“ installiert, also eine Art „Jukebox“, mit der man sich (45 Sekunden lange) Ausschnitte aus allen möglichen Musikstücken anhören kann, um sich so die Kaufentscheidung zu erleichtern. Die Bestellinformationen zu dem, was einem gefällt, kann man dann per Knopfdruck auf einem kleinen Zettel ausdrucken. In Tokyo gibt es kein Zeitlimit bei der Spielzeit, man kann sich das ganze Lied, die ganze CD anhören, so lange man keine anderen Kunden an der Benutzung hindert. Eine Zeitbegrenzung ist vor allem dann unpraktisch, wenn man vielleicht einen Song sucht, der fünf Minuten lang ist und ein Intro von einer Minute oder mehr hat – dann kriegt man den Hauptteil überhaupt nicht zu hören. Wie dem auch sei, das, was da ist, ist wesentlich besser als nichts, und ich bedauere sehr, dass denen das erst zwei Wochen vor meiner Abschiebung zurück nach Deutschland einfällt. Ich nehme das Gerät zwei Stunden lang in Beschlag (während denen auch niemand ein wahrnehmbares Interesse an dem Apparat zu haben scheint) und suche alles, alles! an Musik raus, was in Japan produziert wird und für mich irgendwie von Interesse sein könnte, von dessen Kauf ich früher aber mangels Hörmöglichkeit abgesehen habe.

Und während ich mir all das anhöre, läuft auch eine Single über Lautsprecher in der Abteilung, und ich will den Song auch unbedingt haben, weiß aber weder Titel noch Interpret. Also sage ich der gerade greifbaren Verkäuferin schnell, dass ich das Lied haben wolle. Sie geht zum Regal, muss mir aber mitteilen, dass der Wochenvorrat ausverkauft sei. Morgen seien aber wieder neue da. Natürlich bin ich jetzt gerade blöde genug, mir die Daten nicht mitteilen zu lassen…

Am Ende dieses Marathons lege ich dem Verkäufer Bestellzettel für zwölf CDs vor, die ich haben möchte. Er hat auch nicht schlecht gestaunt. „Das wollen Sie alles bestellen!?“ Eine schnelle Überprüfung zeigt, dass von diesen zwölf Scheiben wohl sieben Stück lieferbar sind. Die übrigen werden entweder nicht mehr hergestellt oder aber die Vertriebsfirmen existieren nicht mehr. Das betrifft ausgerechnet den „Animetal Marathon II“ und den „Animetal Lady Marathon“, von denen ich ganz feste hoffen muss, dass sie irgendjemand (Hiroyuki! Hiroyuki! Mein Topp-Agent in Tokyo!) mal in einen Secondhand-Laden entdeckt.

Bezüglich meiner umfangreichen Bestellung macht der Verkäufer nur einen Bestellzettel für mich, schreibt „7 CDs“ drauf und fügt meinen Namen hinzu. Die Adresse und Telefonnummer sparen wir uns inzwischen, weil man hier weiß, dass ich alle paar Tage vorbeikomme und keine Benachrichtigung brauche. Dass wir uns noch nicht mit den Vornamen ansprechen, ist gerade alles, was noch fehlt.

Auf dem Rückweg esse ich eine kleine, eher symbolische Portion Gyûdon im „Sukiya“. Ich werde keine Gelegenheit mehr haben, hier zu essen, und es war das erste Restaurant, in dem ich nach meiner Ankunft in Japan gegessen habe – zusammen mit Yui, als wir meinen Futon gekauft haben.

15. August 2024

Sonntag, 15.08.2004 – Ans Meer! Ans Meer!

Filed under: Japan,My Life — 42317 @ 7:00

Wenn ich schon in Japan bin und keine Ahnung habe, wann ich die nächste Gelegenheit haben werde, dann will ich auch mal im Pazifik geschwommen sein! Also packen wir in aller Frühe unseren Kram und machen uns um 08:15 auf den Weg zum Busbahnhof, wo wir beinahe den Bus verpassen, weil wir mit der enigmatischen Ticketmaschine auf Anhieb nicht alleine klarkommen. Aber der Fahrer hält für uns noch einmal und schon befinden wir uns auf dem dreistündigen Weg zur anderen Seite der Insel, nach Hachinohe, 3000 Yen pro Person für hin und zurück.

In der Stadt selbst ist die Küste mit Industrie verbaut, also fragen wir am Busbahnhof, wie wir denn an einen brauchbaren Strand kämen. Dazu müssten wir in die Stadt Tanesashi fahren, aber weil der Bus dorthin nicht hier am Busbahnhof abfahre, müssten wir zuerst in die Innenstadt zurücklaufen, etwa 300 m weit. Und das ist vielleicht eine lustige Bushaltestelle! Vor allem dann, wenn man Probleme mit der Sprache hat. An der Haltestelle selbst steht nämlich „Mikka Machi“ („Stadt des dritten Tages“) geschrieben, und an dem Reisezentrum direkt dahinter „Yôka Machi“ („Stadt des Achten Tages“). Zwei unterschiedlich lautende Ortsbezeichnungen am selben Platz… ich halte das für etwas verwirrend. Aber gut, ich habe diese Verwirrlichkeit schon bemerkt, als wir zum ersten Mal daran vorbeigefahren sind und war darauf vorbereitet.
Das genannte Reisezentrum beherbergt auch gleichzeitig einen lokalen Radiosender, in dessen Studio man von der Straße aus hineinsehen kann. Wir fragen dort eine junge Frau, wie wir denn nach Tanesashi kämen. Sie sagt, wir müssten erst mit der Linie 20 bis zur Endstation nach Same fahren, und dann ein paar Meter weiter in den 100-Yen-Bus nach Tanesashi umsteigen, der bis direkt an den Strand fahre. Damit sind also insgesamt weitere 900 Yen für den Transfer von Hachinohe an den Strand (und wieder zurück) fällig.

Ein paar Minuten später sind wir dann endlich da – Pazifikküste, Nordjapan! Es badet sich sehr angenehm in diesem Meer. Das Wasser ist nicht zu kühl, es schmeckt ausschließlich nach Salz und nach nichts anderem, und vor allem schwimmt kein Unrat darin. Für meinen Geschmack könnten die Wellen etwas höher sein, aber an solchen Orten herrscht bestimmt sowieso Badeverbot. Die Wellen sind dennoch kräftig genug, um einen Menschen von 95 kg ganz heftig an den Strand zu spülen – und Sandpapier trägt seinen Namen nicht umsonst. Aber so gut hat es mir schon lange nicht mehr im Wasser gefallen.
Von der vielen Sonne in Hirosaki ist hier nicht viel übrig. Es ist bewölkt, aber warm, was mir auch ganz lieb ist, weil ich ja erstens baden möchte und zweitens meinen Sonnenbrand an den Armen nicht noch steigern möchte. Der hält sich noch in relativen Grenzen. Ich merke eigentlich nur was davon, wenn ich an der Haut an meinen Unterarmen und meiner Stirn reibe. Nach einer Stunde fängt es dann an zu regnen, aber das stört mich wenig. Erstens bin ich eh nass und zweitens ist es in dieser Situation im Wasser wärmer als draußen. Allerdings regnet es natürlich auch auf unsere Rucksäcke mit dem Zeug drin, das eigentlich trocken bleiben soll. Und wir haben nicht ewig Zeit, da wir jeweils rechtzeitig unsere Busse wieder kriegen müssen, um nicht mit einem Minimum an Geld hier an der Ostküste festzusitzen.
Melanie ist natürlich inzwischen auch wieder kalt, wie üblich, und vom Schaukeln der Wellen sei ihr schlecht (was ich aber nicht zuletzt auf das Salzwasser zurückführe, das man ja in kleinen Mengen dabei zu sich nimmt), also packen wir zusammen.

Da beginnt der Spaß erst so richtig. Ich habe nämlich keinen Gedanken an Ersatzklamotten verschwendet. Die Shorts, die ich zum Baden getragen habe, kann ich auswringen und die weite Armeehose dann anziehen, aber Unterhosen trage ich in diesem Stadium nicht mehr, weil sich in denen eine ganze Baggerschaufel voll Sand angesammelt hat. Sogar in den Seitenstreifen der Shorts steckt Sand, durch welche Öffnungen auch immer der da rein gekommen sein mag.[1] Ich habe lediglich den Sand in meinen Hosentaschen erfolgreich entfernen können, bevor ich das Wasser verlassen habe. Das alles dauert seine Zeit, und der Wasserschlauch vor der Toilette leistet ganz gute Dienste. Als wir dann schließlich fertig sind, nehme ich noch eine Handvoll Sand in einer Plastiktüte mit.

Wir steigen kurz vor der Abfahrt in den 100-Yen-Bus und fahren zurück nach Same, und dort müssen wir dann die richtige Bushaltestelle für den Rückweg nach Hachinohe suchen. Mehr durch Zufall bemerken wir, dass die Busse hier an der Endstation eine kleine Runde fahren und ein Stück weiter vorne wieder auf die Hauptstraße einbiegen. Sie fahren dann die von uns aus gesehen übernächste, und nicht die nächste Bushaltestelle an, die uns ein schrecklich mageres Bild von Rückfahrtmöglichkeiten vermittelt hatte. Ich habe mir bereits Sorgen gemacht. Wir warten also vor der richtigen Haltestelle zehn Minuten lang auf den Bus, und das Dach der Haltestelle schützt uns vor dem Platzregen, der in diesen Minuten niedergeht.

Zurück in Hachinohe wissen wir dann zwar, an welcher Haltestelle wir in den Expressbus zurück nach Hirosaki steigen müssen, wir wissen, wie sie heißt, aber wir müssen sie erst suchen, weil uns der genaue Standort nicht bekannt ist. Die Haltestelle heißt „Jû-ichi-nichi Machi“, also „Stadt des elften Tages“. Irgendjemand hat sich das Benennen der einzelnen Bezirke offenbar sehr einfach gemacht. Nachdem das dann aber geklärt ist, suchen wir einen Platz zum Essen, und dazu müssen wir die Hauptstraße verlassen. Dort habe ich nur einen „Mo’s Burger“ gesehen, und da kann man beim besten Willen nicht essen. Wir finden ein Ramen-Restaurant, das unseren Bedürfnissen voll und ganz entspricht. Wir warten dann noch 15 Minuten lang auf den Bus und fahren gen Hirosaki, wo wir um 21:00 eintreffen.


[1] Den Rest dieses Sandes trug ich noch 20 Jahre später in derselben Hose mit mir herum, was dem Ganzen einen sehr nostalgischen Charakter gibt.

14. August 2024

Samstag, 14.08.2004 – Auf, in die Ferne zieht es mich

Filed under: Japan,My Life — 42317 @ 7:00

Ich fasse den spontanen Plan, eine Radtour um den Stadtbereich von Hirosaki herum zu machen, also eine grobe Runde entgegen dem Uhrzeigersinn durch die Vororte, bis ich wieder da bin, wo ich losgefahren bin. Ich mache während kurzer Pausen ein paar Fotos von der Gegend und „entdecke“ dabei etwa südöstlich von meinem Standort einen kleinen Berg, der durch Wintersportschneisen arg verunstaltet aussieht. Trotzdem zieht es mich dorthin. Wirklich entdeckt habe ich den Berg natürlich weit früher, man kann ihn nämlich von meinem Balkon aus sehen. Aber ich habe bisher noch nicht den Drang verspürt, seinen Gipfel aus der Nähe zu sehen. Ich lasse also von meiner Rundfahrt ab und fahre 17 km nach Südosten, in den Ort Ôwani („Großes Krokodil“???), der sich durch seine Aufmachung und Selbstdarstellung auch gleich als Wintersportort zu erkennen gibt.

Das Große Krokodil am Ajara-Takahara-Tunnel

Ab dort geht es nur noch bergauf, also lasse ich mein Fahrrad unter einer Brücke, am Rande eines Parkplatzes, stehen und gehe zu Fuß weiter. Man findet hier Skipisten und –lifte, die sich gerade im Sommerschlaf befinden. Sogar eine Sprungschanze kann ich sehen – die meinen es offenbar ernst. Laut einem Hinweisschild haben die Asiatischen Winterspiele von 2003 hier stattgefunden.[1]
Ich setze mir in den Kopf, die Skipiste direkt vor mir hinaufzusteigen, und von unten sieht das auch ganz einfach aus. Ich beginne meinen Aufstieg, sehe mich aber nach zwei Dritteln der Strecke nicht nur einer immer senkrechter werdenden Steigung gegenüber, sondern auch noch einer immer dichter werdenden und übermannshohen Vegetation.

Von unten betrachtet harmlos

Im Zentrum wachsen zähe Ranken und Disteln, zum Rand hin immer mehr Schilf. Zudem ist der Boden trotz der Hitze wegen des starken Bewuchses feucht und glitschig, was die Steigung von weit mehr als 100 % noch verstärkt. Nach drei Vierteln geht es ohne Buschmesser nicht mehr weiter – und ich habe keines. Also, geistige Notiz: Beim nächsten Flug nach Japan – Buschmesser nicht vergessen. Der Schweiß fließt mir in Strömen vom Leib und brennt in den vielen Schnitten an meinen Armen, die ich mir an den Disteln und vor allem am Schilfgras geholt habe. Von den gleichzeitigen Auswirkungen des sich einstellenden Sonnenbrandes ganz zu schweigen. Ich gehe wieder in die erste Hälfte der Piste zurück und tue, was ich von Anfang an hätte tun sollen: Ich schlage den ausgeschilderten Pilgerpfad ein, den es hier seit Ende des 15. Jh. gibt.
Der Berg, man nennt ihn „Ajara-san“ („-san“ für „Berg“), wurde früher als heilig betrachtet und zog viele Pilger, die am Schrein auf dem Gipfel ein Gebet sprechen wollten, und auch Asketen an, die an seinen Hängen ihr Einsiedlerdasein fristeten. Von daher ist es eigentlich ein Hohn, dass man einen Touristenberg daraus gemacht hat – im Winter Skifahren, im Sommer Paragliding. Knapp ein Dutzend der Fallschirmsegler sind hier und es sind immer drei oder vier in der Luft. Das spricht meines Erachtens Bände über die Tiefe der Religiosität der Japaner (zumindest der dafür Verantwortlichen), die ja sonst an Festtagen in langen Schlangen vor den Tempeln und Schreinen ihren offensichtlich reichlich oberflächlichen Ausdruck findet. Der Pragmatismus hat gesiegt und man betet ja ohnehin lieber den Geldgott an (was natürlich keine spezifische Eigenschaft der Japaner ist).

Aber mal zum Nahwinkel zurück: Bis zur Spitze sind es laut offizieller Angabe nur etwa vier Kilometer – aber die ziehen sich wie Kaugummi. Der Pfad, den ich hinaufgehe, windet sich, sofern notwendig, in Serpentinen den Berg hinauf, und nicht Luftlinie, wie ich das von anderen Orten ja gewohnt bin. Es handelt sich dabei sogar um eine Abkürzung, wie mir ein Schild am ersten Rastplatz verrät. Der eigentliche Weg führt über den Westhang hinauf, aber der ist einige Kilometer länger. Der Ostpfad hier ist offenbar die schnellere Variante, für den Gläubigen mit wenig Zeit. Für die Pilger gab es ursprünglich drei Rastplätze, die jeweils an Quellen gelegen waren, die im Laufe der Zeit leider versiegt sind. Hinweisschilder und Sitzbänke erinnern daran. Lediglich an der dritten Rast befindet sich ein Wasserhahn, aus dem frisches, kühles Wasser kommt, aber dafür gibt es keine Sitzgelegenheit. Die Hälfte des Weges führt durch einen Nadelwald, liegt also im Schatten, und der Wald ist angenehm frei von Müll.

Auf dem ersten Kamm angekommen und aus dem Wald heraus, stelle ich fest, dass der Aufstieg an der Piste meinen linken Stiefel geschrottet hat! Unglaublich, aber wahr. An der Spitze befindet sich eine daumenbreite, offene Stelle an der Naht zwischen Sohle und Schuh. Da geht sie hin, meine Wasserdichte. Und wenn ich das richtig sehe, werden es die tollen Plastikschnürsenkel, die ich erst im Frühjahr für den rechten Schuh gekauft habe, auch nicht mehr lange machen. Hoffentlich halten sie, bis ich zuhause bin. Hier gibt es ja keine Schnürsenkel in der optimalen Größe, wie ich sie brauche. Auf jeden Fall brauchen alle meine vier Schuhe eine Generalüberholung, und soweit man mir mitgeteilt hat, gibt es in ganz Trier einen einzigen Schuhmacher, der die nötige Ausrüstung hat, den Kampfschuh BW wieder instand zu setzen. An den Gersheimer Schuhmacher brauche ich erst gar nicht zu denken… erstens sollte man ihm seinen Ruhestand gönnen, und zweitens hat er vor ein paar Jahren erst ein paar Stiefel von mir „repariert“, indem er die lose Sohle mit einer Portion Kleber wieder befestigt hat – sie ist nach einer Woche wieder abgefallen.

Ich kann den weiteren Weg vorerst über eine betonierte Straße fortsetzen. Ich lasse den Startplatz der Paraglider rechts von mir liegen und wende mich nach links, in Richtung des zweiten Kamms, auf dem ich ein größeres Gebäude sehen kann. Es handelt sich dabei um das Hotel „Aomori Royal“, das mit einem „Grillgarten“, einer Kapelle (für Hochzeiten im christlichen Stil) und einem Golfclub aufwarten kann. Hier oben, auf dem Kamm, befindet sich, ich traue meinen Augen kaum, ein geräumiger Golfplatz, und der ist gut besucht.
Um zum Gipfel zu kommen, muss man (über die Rollbahnen der Golfwagen) quer über den Golfplatz gehen, und das Schild „Achten Sie auf fliegende Golfbälle!“ trägt da nicht gerade zu meiner Beruhigung bei. Also, zweite geistige Notiz: Beim nächsten Flug nach Japan – Buschmesser und Stahlhelm nicht vergessen. Immerhin scheint man eine Vorwarnzeit von zwei Sekunden zu haben – die Bälle machen leise pfeifende Geräusche im Flug, ähnlich wie Mörsergranaten. Nein, ich finde den Vergleich ganz und gar nicht unpassend oder zu übertrieben, denn das einzige, was einen Golfball von einer solchen Granate unterscheidet, ist, dass er mir keine Körperteile wegreißt, nachdem er vor mir auf dem Boden aufgeschlagen ist. Golfbälle bleiben halt an einem Stück, aber ich spüre auch keine große Motivation, das Härteverhältnis von einem „Ranger 7“ zu meinem Schädel zu testen. Ich verlasse die Einschlagzone lieber und gehe über eher ungepflegte Pfade neben dem Gelände weiter. Eine halbe Stunde später ist es dann soweit – ich habe den Gipfel erreicht und dieser hier hat einen Schrein.

Sehr schöner Platz hier oben. Am Ostrand des Geländes hat sich auch bereits eine Familie niedergelassen, die sehr verwirrt erscheint, jemanden hier zu sehen, der offenbar zu Fuß den Berg hochgekommen ist. Knapp unterhalb des Schreingeländes befindet sich nämlich eine Gondelstation. Man kann vom Fuß des Berges bis zur Spitze auf über 700 m Höhe hochfahren. Einer Laune folgend nehme ich mir ein „o-Mikuji“ aus der bereitgestellten Schale und spende dem Schrein dafür 100 Yen. Auf dem Papierzettel befindet sich zunächst einmal ein Haiku, dessen Informationsgehalt mir allerdings verborgen bleibt, weil ich die Wortzusammenstellung nicht verstehe. Darunter befindet sich die reichlich buddhistisch klingende Weissagung, dass mir nach allen schmerzhaften Schicksalsprüfungen der kommenden Zeit zehn Tage Glück ins Haus stünden.

Ich bleibe noch fünf Minuten im Schatten eines Baumes sitzen, dann gehe ich zur Seilbahnstation und setze mich in den „Panoramaraum“. Das Panorama wäre auch wirklich umwerfend, wenn einem da nicht der Stahlbetonpfosten der Seilbahn im Weg wäre! Er befindet sich genau in der Mitte vom „Bild“. Abgesehen davon kann man weit in die Tsugaru Ebene hineinsehen. Links im Blickfeld erkennt man gleich den Berg Iwaki, rechts am nördlichen Horizont kann man sogar das Gebiet um den Berg Hakkôda sehen. Ich gebe mir Mühe, um den Pfosten herum zu fotografieren. Nach draußen zu gehen und mich vor den Pfosten zu stellen, bringt ja auch nichts, weil ja ein paar Meter weiter bereits der nächste steht, und der hängt dann genau mit seinem „Geweih“ im Bild.

Ich steige den Berg schließlich wieder hinunter und finde am Rand des Golfplatzes einen Golfball. Meiner Sammelleidenschaft folgend nehme ich ihn mit. Ich habe immer noch über 40 andere zuhause herumliegen und habe eigentlich keine Ahnung, was ich damit machen soll. Man kann sie wohl kaum bei E-Bay verkaufen mit dem Vermerk, dass sie aus Japan stammen.
Der Abstieg geht natürlich deutlich schneller vonstatten als der Aufstieg, und bald sitze ich wieder auf meinem Fahrrad. Mein Magen macht deutliche Geräusche und verlangt nach etwas Füllung. Ich fahre also in den Max Valu Supermarkt im Ort und kaufe mir einer Laune folgend drei Würstchen, das Stück für 48 Yen. Sie sind gefroren, aber man kann sie in der Mikrowelle im Markt ja warm machen. Die Würstchen sind überraschend gut, vor allem die scharfe Sorte. Normalerweise muss ich von Würstchen in Japan eher abraten. Vielleicht habe ich ja Glück und finde die gleichen im Max Valu in Hirosaki.

Dann beginnt der Rückweg, noch einmal 17 km in der sengenden Sonne, diesmal über die Bundesstraße. Was hat mich bloß auf diese Idee gebracht? Dieser Weg ist nämlich länger, weil ich erst wieder durch halb Hirosaki fahren muss, um nach Nakano zu kommen. Kurz vor Sonnenuntergang bin ich dann wieder zuhause – und die nächste Reise kommt gleich morgen.


[1]   JP und Konsorten waren als freiwillige Helfer dabei.

13. August 2024

Freitag, 13.08.2004 – Seelenwanderung

Filed under: Japan,My Life,Zeitgeschehen — 42317 @ 7:00

Um 08:40 bin ich im Center, verschiebe Daten und bearbeite währenddessen meine Post. Zum Brennen meiner Datensätze erhalte ich leider keine Gelegenheit, weil ich keine Rohlinge mehr habe und der Laden an der Uni geschlossen ist. Ich muss also bei Gelegenheit ins ItoYôkadô fahren und dort welche kaufen.
Dann bin ich mit der Post fertig, aber mit dem Kopieren noch lange nicht. Auch das Lesen im Forum dauert nicht so lange wie meine Datenübertragung vom Download-Computer auf den Brennerrechner, also lese ich, was von „Kevin & Kell“ (up to date) noch übrig ist. Mir drängt sich der Verdacht auf, dass diese Geschichte inzwischen einfach zu lange ist. Es werden immer wieder abgedrehte Plots eingeführt, aber das geht mir so langsam zu weit. Auch, dass die Zeit stillsteht, geht mir auf den Wecker. Die dargestellte Familie hat 1995 Nachwuchs bekommen, und der ist bis 2004 nicht älter als ein Jahr geworden. Ähnliches gilt für die anderen Charaktere, z.B. die Kinder, die ja längst mal aus der Highschool raus sein sollten. Ein reichlich unflexibles Konzept… es sollte hat doch irgendwann mal Schluss sein, und sei es eben wegen des steigenden Alters der Charaktere, die aus dem ursprünglich geplanten Konzept herauswachsen. Auch der „Cosby Clan“ hat schließlich das Fortschreiten der Zeit nicht überlebt, trotz Verzögerungstaktiken.

MinJi ist nach langer Zeit auch mal wieder da. Ich habe sie seit längerem nicht gesehen, und gerade während Neputa war sie nicht da. Sie sagt, dass sie die ganze vergangene Woche faul auf ihrem Bett gelegen und keine Motivation verspürt habe, Neputa zu sehen. Ich möchte aber eher annehmen, dass sie ihre Tage hatte und es ihr wohl zu mies ging, um sich die Nächte mit Feiern um die Ohren zu schlagen, aber das sage ich ihr natürlich nicht.

Und dann hält mich dieser ganze Mist bis um halb Vier am Nachmittag auf! Dabei hätte ich zu gerne die „SailorMoon Show“ im Ito Yôkadô gesehen. Ich habe vor lauter Arbeit nicht mehr dran gedacht. „Fünf junge Frauen in engen und kurz geschnittenen Kostümen“ klingt an sich reizvoll, aber dann diese lustigen kugelrunden Kopfmasken??? Man kann auch übertreiben, was die Herstellung einer Ähnlichkeit mit den Originalcharakteren betrifft. Die Fans in Tokyo haben Glück – die können Live-Shows der Schauspielerinnen sehen, die zwar nicht die besten ihres Faches sind, aber zum Teil irre gut aussehen. Schade, wäre bestimmt lustig gewesen. Vor allem frage ich solche Leute immer gerne, ob man sich nicht allgemein ein bisschen doof dabei vorkommt, in einem Kostüm herum zu rennen (was in Japan mit starken sexuellen Untertönen verbunden ist) und einen auf „genki!“ (etwa: „lebhaft“) zu machen. Ich habe eine ähnliche Anfrage auch schon an die offizielle Adresse von Sawai Miyu (Usagi) geschickt, aber keine Antwort erhalten. Um genau zu sein, wollte ich wissen, wie man sich bei dem Gedanken fühlt, dass hunderte von männlichen Zuschauern die Show nur deshalb anschauen, weil es eine Menge Unterwäsche zu sehen gibt. Vielleicht war diese Frage etwas zu hart.

Ich versuche daraufhin, den Rechner, von dem ich meine Daten heruntergenommen habe, zu formatieren, aber wenn ich in den MS-DOS Modus wechseln will, stürzt das Gerät ab. Und ich habe leider keine Ahnung, wie man eine Festplatte formatiert, ohne MS-DOS zu verwenden. Ich sehe also stattdessen zu, dass ich meinen fünf Seiten langen Bericht über den 19.07. fertig gebacken bekomme, was mit den Schlusszeiten des Informatikgebäudes auch gerade so hinhaut.

Im Ito Yôkadô kaufe ich einen 10er Pack CDs (und hoffe, dass ich nicht mehr brauche), bestelle den Titelsong „Pleasure“ der „Crayon Shin-chan“ TV-Serie, und auch noch auch noch das aktuelle „Doraemon“ Schlusslied „Aa, ii na“. Zu meinem Erstaunen (oder Entsetzen) stelle ich fest, dass das Lied von zwei „Morning Musume“ Mädchen aus dem so genannten „Hello Project“ gesungen wird. Aber gut, auch ein blindes Huhn trinkt mal ein Korn und mir gefällt das Lied, also kann ich die Single auch kaufen. Sie wird am 18.08. erst neu erscheinen, also bekomme ich wohl eine der ersten überhaupt. Vielleicht sind ja brauchbare Gimmicks drin.
Dann fahre ich in Richtung Heimat und sehe Leuten beim Feuermachen vor ihrer Haustür zu. Heute beginnt nämlich O-Bon, das japanische Totenfest, und das Feuer soll die Seelen der Ahnen zum Haus zurückführen. Wie die Geister vor lauter Feuern das richtige Haus finden und wie das funktioniert, weil die Ahnen (wegen der höheren Mobilität der modernen Gesellschaft) ja eventuell ganz wo anders gewohnt haben, ist mir nicht klar. Ich bin sicher, die finden ihre lebenden Nachfahren auch ohne Feuer, aber ohne Feuer ist es weniger romantisch, und es unterstützt auch die sentimentale Stimmung.
Weil ich gerade an der entsprechenden Straße vorbeifahre, unterhalte ich mich ein wenig mit den Großeltern Jin und der Schwester der Großmutter und deren Sohn, der das unglaubliche Ereignis eines brennenden, 20 cm hohen Kleinholzfeuers auf Video festhält. Die beiden sind extra aus Tokyo angereist, weil der originale Familiensitz ja in Hirosaki liegt. Ähnliches gilt für Mutter Eiko, die mit ihren beiden Kindern in ihr Heimatdorf nördlich von Hachinohe gefahren ist, um O-Bon bei ihrer „Stammfamilie“ zu verbringen. Die drei werden am kommenden Donnerstag wieder zurück sein. Dr. Jin ist, wie üblich, arbeitsmäßig gebunden und daher nicht anwesend.
Mich hätte ein „Bon-Odori“, ein „Totenfest-Tanz“ (oder „Totentanz“, wie mir scherzhaft durch den Kopf ging) interessiert, aber man erzählt mir, dass es in Hirosaki keinen zentral organisierten Tanz gebe. Der eine oder andere Kulturverein mache das sicher, aber dann im kleinen Rahmen und nicht in der breiten Öffentlichkeit, und man könne mir nicht sagen, wo ich einen zu sehen bekommen könnte.

12. August 2024

Donnerstag, 12.08.2004 – Auberginen Tabehôdai

Filed under: Japan,My Life — 42317 @ 7:00

Ich verbringe den Vormittag zunächst mit Forum und Post, und als „Mittagspause“ bringe ich ein Paket zur Post, damit mein hier gekaufter Krempel auch nach Hause kommt. Ricci fährt heute nach Tokyo zurück und Melanie hat mir extra eine Notiz an den Fernseher geheftet, damit ich rechtzeitig um 15:55 am Bahnhof erscheine. Ich kehre danach auch gleich wieder in den Computerraum zurück und die Schreib-Session geht weiter, bis um 17:00, dann muss ich leider abbrechen. Ich vermisse die Zeiten der Winterferien, wo das Gebäude bis um 21:00 geöffnet hatte.

Ich fahre ins Naisu Dô und kaufe drei Artbooks aus meiner „Wunschliste“ (verstaut im obersten Regal, für das man über 175 groß sein sollte, um was herausnehmen zu können), womit ich auch hier mit allen meinen Einkäufen fertig bin. Dann fahre ich in den Beny Mart, kaufe Unmengen von Aquarius und leihe in der Videothek die vierte „InuYasha“ Staffel für Melanie aus, bevor ich nach Hause zurückkehre.

Wegen der ungeheuren (für gestern) gekauften Materialmengen müssen wir heute Abend Auberginen-Tempura essen, aber nach knapp drei Vierteln der zur Verfügung stehenden Menge habe ich erst mal genug davon für die nächsten paar Monate. Ich werfe den Rest der Auberginen in den Müll (was mussten die auch so viele davon kaufen???) und eine kleine Pizza in den kleinen Ofen. Ah … schon viel besser.

11. August 2024

Mittwoch, 11.08.2004 – Du da, im Radio…

Filed under: Japan,My Life,Zeitgeschehen — 42317 @ 7:00

Heute bin ich „eingeladen“, bei einem Programm des lokalen Radiosenders „Apple Wave“ mitzuwirken. Mit dabei sind Dr. Hugosson, Prof. Tsurumi (der die Umwelt-NPO leitet, wo wir letztlich die Aktivierung der Klimaanlage bewirkt haben), MunJu (die erst vor der Tür des Senders zu uns stößt), KiJong, Nun und meine Wenigkeit. Von KiJong mache ich noch schnell ein Foto, bevor es dafür zu spät ist, und es wird das letzte sein, das ich für mein Posterprojekt machen werde.
Das Studio ist geradezu winzig. Es gibt einen Büroraum von vielleicht 30 qm, dazu drei kleine Aufnahmestudios. Das größte davon, der Hauptsenderaum, ist schätzungsweise 2,5 x 3 Meter groß. Nach einer kurzen Vorbesprechung über die Inhalte (es wird keine Live-Aufnahme) werden wir in einen kleinen Aufnahmeraum gebracht, vielleicht 4 qm groß. Zuerst sollen wir uns, nach Ansage der Radiosprecherin, selbst vorstellen, kurz sagen, was uns nach Japan getrieben hat und beschreiben, was uns an Japan besonders aufgefallen ist. Danach folgt die zweite Runde und wir sollen die Müllsituation und -handhabung in Japan mit der in unseren Heimatländern vergleichen. Die kleine Gesprächsrunde wird am 19.08. um 16:30 gesendet, und zuerst machen wir eine Probeaufnahme, um zu sehen, ob die Zeit für das reicht, was wir sagen wollen und ob man eventuell irgendwo Einschnitte machen muss. Wir überschreiten die festgesetzte Zeit von 25 Minuten zwar um zwei Minuten, aber das sei nicht schlimm, wir könnten alles so lassen.
Der größte Teil wird in Japanisch gehandhabt und ich bin da der bedeutendste Zeitverschwender, da ich gleich nach meiner Selbstvorstellung beim Thema „Auffälligkeiten in Japan“ dazu übergehe, den Müll in den japanischen Wäldern und die Schrottautos in den so genannten Naturschutzgebieten zu geißeln. Es folgen ein paar nachfolgende Fragen spontaner Natur, auf die ich mich nicht habe vorbereiten können, also falle ich um und wechsele, wenn auch erlaubt, schandhaft ins Englische, was von Dr. Hugosson übersetzt wird.

Dr. Hugosson und Nun

Die beiden Koreanerinnen sprechen ausschließlich Japanisch, weil ihnen die Englischoption weitgehend fehlt und es für sie auch weniger notwendig ist, wie mir scheint. Nun redet einen abenteuerlichen Mix aus Englisch und Japanisch, der mich sehr amüsiert. Englische Wörter und Satzteile in japanischer Grammatik! Mich wundert schon beinahe, dass sie die Übersicht darüber behalten kann, was sie eigentlich alles sagt.
Interessant fand ich dabei, dass man in Thailand (meist auf dem Land) seinen Hausmüll offenbar einfach irgendwo vergräbt, während sich gleichzeitig Bürgerinitiativen dagegen sträuben, offizielle Müllhalden einzurichten, wo man nur kann. Die Industrie ihrerseits gibt Abfall und minderwertiges Material aus der Produktion zu günstigen Preisen oder umsonst an die Bevölkerung ab, damit sich die Leute selbst was draus basteln können! Das ist das seltsamste Müllvermeidungskonzept auf industrieller Ebene, von dem ich je gehört habe. Aber eigentlich fördert man dadurch die illegale Müllentsorgung mit Hacke und Spaten – ganz abgesehen von dem, was man einfach so im Hof verbrennt.
Es war eine interessante Erfahrung, im Radio zu sein. Aber ich fürchte, dass kaum jemand was davon mitbekommen wird – es hört ja kaum jemand Radio, und wenn, dann nur mit halbem Ohr. Ich sagte ja bereits, dass es hier in der Gegend vielleicht zwei Radiostationen gibt, die man klar empfangen, und eine dritte irgendwo weiter weg, von der man bei der Sendersuche nur spürt, dass sie da ist. Ich diskutiere das im Anschluss mit einer der Angestellten, die das alles nicht so eng sieht. Der Sender ist klein und die Werbeeinnahmen reichen aus, um die Gehälter zu bezahlen. Ich nehme ganz einfach an, dass es sich finanziell nicht lohnt, noch mehr Radiostationen zu eröffnen, die um Sponsoren buhlen müssen. Man gibt ja als solcher kein Geld für Werbung aus, wenn kaum jemand was von der Werbung wahrnimmt. Wir werden zuletzt noch eingeladen, noch einmal zu kommen, bevor wir nach Hause fliegen. Aha, das wäre dann in meinem Fall also im Verlauf der kommenden beiden Wochen. Dann verabschieden und trennen wir uns.

Ich mache einen Abstecher in die hiesige Filiale einer Krankenversicherung und besorge mir dort ein Werbeposter der Versicherung: Ueto Aya in einem Pandakostüm. Ein besseres Bild von ihr wird es so schnell nicht geben, weil sie nämlich eigentlich das ist, was man auf gut Deutsch einen „Hungerhaken“ nennt. Aber sie hat ein hübsches Gesicht und das Pandaposter sieht niedlich aus. Eigentlich wollte ich beide Versionen des Posters haben (mit zwei verschiedenen Posen, einmal vor einem roten, einmal vor einem weißen Hintergrund), aber es war nur eines, das rote, verfügbar. Macht nichts, ist besser als keines. Ich ziehe mich ins Physikgebäude zurück und verschwinde zwischendurch kurz ins Center, um neue Musik auf meinen Memorystick zu laden. Dort treffe ich Melanie und Ricci, die annähernd täglich hier vorbeischauen, um ihre Post zu überprüfen.

Abends essen wir „selbst gemachtes Tempura“, was aber lediglich heißt, dass wir Gemüsestücke in einer Panade wälzen und dann frittieren. Nichts Besonderes also, und nichts spezifisch Japanisches – das Gericht, das man hier unter dieser Bezeichnung kaufen kann, kommt nämlich aus Portugal. Wohl ein Kulturimport aus dem späten 16. Jahrhundert.

10. August 2024

Dienstag, 10.08.2004 – Vom Berg bezwungen

Filed under: Japan,My Life — 42317 @ 7:00

Während Ricci und Melanie heute zum Berg Iwaki fahren, verbringe ich den Tag weitgehend im Center, fahre aber auch ins GEO und leihe ein paar CDs aus. Ich habe dabei Glück, dass das Center nicht um Fünf schließt, wie letztlich, sonst hätte die Zeit nicht ausgereicht, alle CDs einzulesen.

Ich nehme mir dann jeweils 250 MB der neuen Musikdaten auf dem Memorystick mit in den Computerraum und höre mir die aufgenommenen Lieder an, während ich am Rechner arbeite. Die Stücke, die mir nicht gefallen, werden dann einfach gelöscht und der Rest wieder auf den Computer zurückgebracht und bei Gelegenheit auf eine CD gebrannt, sobald genug Daten da sind, für die sich eine CD lohnt.

Bis die beiden Damen von ihrem Ausflug zurück sind, ist es etwa 19:00.

Und was kriege ich da zu hören!? Da sind die zwei schon mit dem Bus auf den Parkplatz (auf Höhe 1200 m) hochgefahren und dann noch einmal 200 m mit der Gondel bis kurz vor den Gipfel (50 heftig steile und steinige  Meter zum Klettern für Flachlandtiroler), um sich den Gipfel dann doch entgehen zu lassen. Das letzte Stück war offenbar zu steil, und man soll sich als körperlich unbegabter Mensch auch nicht zu viel zumuten. Sie gaben sich also mit einem kleineren Nebengipfel zufrieden. Eigentlich hätten sie dann auch gleich zuhause bleiben und Fotos im Reiseprospekt betrachten können. J

Als Abendprogramm läuft dann weiter „InuYasha“, dem ich mittlerweile kein Gramm Interesse mehr entgegenbringen kann. Hier bin ich derjenige, der die ständigen Kämpfe bemängelt. Die machen nichts anderes. Man kommt sich vor wie bei „DragonBall“. Es wird langweilig nach einer Zeit.

9. August 2024

Montag, 09.08.2004 – Essen zum Selberbasteln

Filed under: Japan,My Life,Spiele — 42317 @ 7:00

Huh, der Eintrag für heute wird kurz.

Ich sitze den ganzen Tag in der Bibliothek rum und schreibe, nur unterbrochen von einer kurzen Runde Combat Mission. Ich bin immer noch reichlich überrascht, dass der Gegner kopflos davonzulaufen beginnt, spätestens drei Minuten, nachdem er seinen letzten Panzer verloren hat. Einen geordneten Rückzug angesichts feindlicher gepanzerter Übermacht würde ich verstehen, aber gleich diese Panik…[1]

Was soll’s, ich gehe ins Ito Yôkadô und möchte eine CD von Orikasa Ai bestellen, eine möglichst alte, um an ihre Leistungen in „Tenchi Muyô“ von 1993 möglichst nahe ranzukommen. Leider sind die ersten drei „Jahrgänge“ ausverkauft und ich bekomme nichts Älteres als eine CD von 1998. Aber das ist mir Recht, ich mag die Stimme dieser Frau.

Wieder zuhause, brauche ich meine Schuhe erst gar nicht auszuziehen, weil wir zum Okonomiyaki-Essen gehen.

Ah, ich weiß schon, warum ich Sushi mag. Vor allem sitzt man dabei auf Stühlen! Und man nimmt die Sushi vom Teller und isst sie einfach. Okonomiyaki muss man sich selber machen. Das macht den Genießer in punkto Zutaten zwar sehr unabhängig, aber es ist mir zu viel Mühe, vor allem deshalb, weil „Essen gehen“ für mich in erster Linie dem Essen dient und nicht dem Zubereiten desselben, lecker hin oder her.


[1]   Verluste senken die Moral der Truppen und Panzer als teure Truppenkomponente tun dies bei Ausfall in besonderem Maße.

8. August 2024

Sonntag, 08.08.2004 – Sachsen raus!

Filed under: Filme,Japan,Militaria,My Life — 42317 @ 7:00

Wir verbringen den Tag wieder weitgehend mit Fernsehen. Ich aktualisiere dabei mein Tagebuch, das es mal wieder nötig hat. Wir schauen uns weitere Episoden von „InuYasha“ an, aber ich finde darin leider die Langzeitmotivation nicht, die nötig ist, um eine Serie mit so vielen Episoden anzusehen. „Ranma“, von der gleichen Autorin, hat mir besser gefallen. „InuYasha“ bringt’s nicht. Die Story kommt nicht weiter, und wenn mal was erreicht wurde, kommt irgendwas dazwischen und die Helden müssen wieder von vorn anfangen, das gilt für das Einsammeln von Kristallsplittern und das Bekämpfen böser Oberfieslinge ebenso wie für romantische Beziehungen.

Am frühen Abend fahren wir ins Kino, um „King Arthur“ zu sehen. Ich finde den Film gar nicht schlecht, auch wenn er vom „Kultfaktor“ her nicht an den Klassiker „Excalibur“ herankommt, der die mythische Seite der Artus-Sage behandelt, während „King Arthur“ damit Werbung macht, auf Basis archäologischer Kenntnisse eine realistische Version der Geschichte zu erzählen. Die Sage spielt im 5. Jh. nach Christus, und dennoch laufen die Jungs in „Excalibur“ mit Rüstungen herum, die ich im späten Mittelalter, sagen wir: 700 Jahre später, ansetzen würde. In „King Arthur“ dagegen sehen wir spätrömische Kavallerie (der Begriff „Knight“, „Ritter“, wird bereits verwendet). Artur ist der Kommandeur einer kleinen Eliteeinheit, Sohn eines Römers und einer Einheimischen, die Ritter Parcifal, Gawayn und Lancelot sind in ihrer Jugend zum Dienst für Rom zwangsrekrutierte Leute eines Reitervolks aus dem Gebiet des heutigen Kasachstan. Guinevere ist eine keltische Ureinwohnerin, Merlin ein einflussreicher Schamane. Die Römer sind im Begriff, sich aus Britannien zurückzuziehen, was den Blutzoll der Ritter, die vor ihrem Entlassungstag stehen, reichlich sinnlos erscheinen lässt, und die bösen Sachsen landen an der Ostküste (am „Saxon Shore“), um das Machtvakuum zu füllen. Artus und seine vier Ritter tun sich also mit den Kelten zusammen und vernichten die Invasionstruppe – worauf er von den Kelten zum König ausgerufen wird.
Nette Geschichte, und viele Kämpfe, die auch gar nicht schlecht choreographiert sind. Ohne Magie und Mythos, und das finde ich auch gut so. Kein mächtiger Zauberer, kein finsterer Mordred, keine böse Hexe, kein Bootsausflug nach Avalon und vor allem kein Heiliger Gral. Stattdessen Ausblicke auf die aus Machtbewusstsein geborenen Auswüchse des Christentums in dem sich anbahnenden Mittelalter. Dämlich fand ich, dass der Film als „Ich-Erzählung“ von Lancelot anfängt, der am Ende aber getötet wird. Wie kann er was erzählen, wenn er tot ist?
Aber: Till Schweiger! Der hat hier wohl die coolste Rolle seines Lebens, als Sohn des oberbösen sächsischen Anführers, so als wilder Krieger mit kurz geschorenen Haaren und geflochtenem Ziegenbart. Sein Name wurde sogar einzeln im Abspann genannt, und nicht in einem Pulk mit anderen Nebenrollen. Ich hatte das Gefühl, dass sein Englisch inzwischen besser ist als damals in „Tomb Raider“.
Melanie bemängelt, dass so viel gekämpft wurde. Ich bemängele bestenfalls, dass es in dem Film keine Panzer gibt (Scherz am Rande). Nein, nein, mir kommt seltsam vor, dass die Sachsen Armbrüste benutzen… ich weiß es nicht wirklich genau, aber das fünfte Jahrhundert erscheint mir für Armbrüste etwas früh. Ich sollte das bei Gelegenheit prüfen.[1] Mir ist es vor allem ganz lieb, dass man die romantischen Aspekte der Sage in einem begrenzten Rahmen belassen hat. Vielleicht stelle ich den Film irgendwann ins Regal neben „Excalibur“, mal sehen, wie sich mein Konto entwickelt.

Zum Tagesausklang wollen wir noch was essen, vorzugsweise Sushi, aber der nahe gelegene Sushi Shôgun macht ja so früh zu, also müssen wir ausweichen. Wir gehen also in das „Omuraisu“ Restaurant gegenüber vom Kino. Wie früher bereits angedeutet, handelt es sich dabei um eine Mischung aus Reis und Omelett, mit verschiedenen Beilagen – jede Variation, die man sich in Japan vorstellen kann. Ich esse aber lieber Spaghetti. Die Portionen sind nicht allzu groß (für Japaner aber noch geeignet) und die Preise liegen leicht oberhalb des gewohnten Durchschnitts für eine Mahlzeit. Aber das Essen schmeckt, also bin ich zufrieden. Ich muss es ja so schnell nicht noch einmal essen.


[1]   Einen Vorläufer der Armbrust gab es bereits im antiken Griechenland, der zwar seinen Weg ins Römische Reich, aber aus technischen Gründen keine große Verbreitung fand. Effektive Armbrüste tauchten dann erst im 11. Jh. bei den Normannen auf, z.B. in der Schlacht von Hastings 1066.

7. August 2024

Samstag, 07.08.2004 – Am Teichtütenpark

Filed under: Japan,My Life — 42317 @ 7:00

Von Nachwirkungen meiner lautstarken Abendbeschäftigung von gestern bin ich verschont geblieben, aber dafür sind wir wieder recht früh wach: Die Neputa-Teilnehmer aus Nakano sind nach einer durchzechten Nacht mit ihrem Wagen heimgekehrt und drehen, aus Leibeskräften trommelnd, noch eine Extratour durch den Stadtteil – morgens um Sieben. Damit ist das diesjährige Neputa offiziell beendet. Und kurz danach wird es ganz einfach wieder zu warm im Schlafraum, um noch liegen bleiben zu können, nachdem sich der Hund heute Morgen ausnahmsweise mal zurückhält. Also stehen wir auf und sehen im Prinzip den ganzen Tag Videos an.

„Ikebukuro West Gate Park“ steht auf dem Plan. Es handelt sich dabei um eine Gegend in Tokyo und die Live-Action Serie dreht sich um Jugendbanden, Verbrechen und Verwicklungen mit Polizei und Yakuza. Ganz interessant, aber für mich nicht gut genug, um sie mit nach Hause nehmen zu wollen. Es handelt sich wohl vom Konzept her um eine Komödie, es gibt immer wieder mal kleine Slapstickeinlagen, aber die ernsten Elemente sind mir zu ernst. Ich mochte diese Mischung von Humor und blutigem Ernst noch nie. Das habe ich bei den Animeserien „BurnUp W“ und „Gunsmith Cats“ bereits bemängelt. In frühen Episoden von „Ikebukuro West Gate Park“ werden junge Frauen und Mädchen von einem Serienmörder stranguliert oder aufgeschlitzt, andere werden vergewaltigt, ermordet und dann in einem Wald entsorgt, während auch Szenen gezeigt werden, die Slapstick und eine chaotische Art von Humor darstellen. Nein, nein, das eine oder andere allein ist mir Recht, aber diese Vermischung muss nicht sein.

Ich sehe mir das daher auch nicht den ganzen Tag an. Am frühen Abend ziehe ich mich zurück und lese endlich mal „Dengeki Pikachu“ zu Ende. Die komplette erste Staffel der TV-Serie findet sich tatsächlich in angenehm kompakter Form in diesen drei Bänden. Das letzte Kapitel zeigt noch Satoshis Aufbruch zur „Orange Liga“, mit dem Vermerk „Fortsetzung folgt in Band 4“ – aber der ist ja nie erschienen, wie es scheint. Stattdessen haben sich Manga durchgesetzt, die den Anime als Vorlage haben, was ich persönlich bedauere. Andererseits hat man den Originalmanga auf diese Art und Weise daran gehindert, zu einem Endlosprodukt wie die Serie zu werden. Und wenn’s am besten ist, soll man ja aufhören.[1]


[1]   „Dengeki Pikachu“ ist nicht der Originalmanga, es handelt sich um ein Fanprodukt ohne lizenzrechtlichen Zusammenhang mit dem Pokemon Franchise. Der Ursprung von Pokemon ist das Spiel für den GameBoy Color.

6. August 2024

Freitag, 06.08.2004 – YAAA YADOOOO!!

Filed under: Japan,My Life,Zeitgeschehen — 42317 @ 7:00

Eigentlich hatte ich fest vor, mir einen Platz im Center zu reservieren, um dann um 09:40 ins GEO zu fahren und mir ein paar CDs auszuleihen, aber mein Tagebuch hält mich eine Weile länger auf, als ich gedacht hätte (weil ich nicht mitten in einem Eintrag zu schreiben aufhöre). Als ich um kurz nach Zehn damit fertig bin, bittet Nim mich darum, ihr beim Brennen ihrer eigenen CDs zu helfen, und mittendrin taucht Izham auf und „der alte Malaye“ redet gerne und viel. Wir diskutieren zu dritt ein wenig die Kolonialgeschichte Südostasiens und britische Vorgehensweisen bei der Erweiterung des Empire, dann die Situation in Süd-Thailand (soweit sie mir aus Nachrichten und Zeitungsartikeln bekannt ist – da treiben sich Islamisten rum), und wie man „Terroristen“ von „Freiheitskämpfern“ unterscheiden kann, ohne zu einem Ergebnis zu kommen.
Ebenso fruchtlos endet mein Versuch, ihm einen Spieltermin für Combat Mission zu entlocken. Er scheint mir jemand, der solche Spiele schnell begreift, also will ich ihn in die „Play by E-Mail Gemeinde“ mit einbeziehen. Allerdings kann ich ihm derzeit nur die deutsche Version des Spiels anbieten, und er ist erst dabei, ein paar grundlegende deutsche Begriffe und Ausdrücke zu lernen. Man muss für das Spiel vielleicht zwei Dutzend Begriffe beherrschen, die in erster Linie in die Kategorie „Fortbewegungsarten im Gelände“ und „Geländeeigenschaften“ fallen, wie z.B. die Begriffe „Dorf“, „Stadt“, „Ackerland“ oder die Abstufungen „wenig“, „mäßig“ und „stark“ (im Sinne von „viel“). Das sollte er bewältigen können. Misi konnte das schließlich auch – aber möglicherweise hat ein Ungar aus Mitteleuropa damit – bedingt durch die räumliche Nähe und ungarische Geschichte – weniger Probleme als ein Malaye vom anderen Ende des Planeten.

Abgesehen von einem kurzen Ausflug nach Hause, weil ich was vergessen habe (und ich habe schon wieder vergessen, was es war), bin ich den ganzen Tag im Center und warte auf Yui, die ja nicht weiß, wann ihr Unterricht endet. Es geht bei ihr um Vorbereitungen für Feldforschung und Personenbefragung bezüglich ihres bevorstehenden Auslandsstudiums in Tennessee, und offenbar sind das Veranstaltungen ohne festgesetztes Ende. Derweil schreibe ich weiter in mein Tagebuch, lese „Kevin & Kell“, soweit bis heute vorhanden, und gehe natürlich meine Post durch.
An bedeutenderen Dingen finde ich nur ein weiteres Schreiben von Tamara vor, die sich wohl wegen des beharrlichen Schweigens meines Vermieters dazu entschlossen hat, lieber in Chiba, östlich vom Großraum Tokyo, zu wohnen.[1] Ihr Fragevolumen hat bis heute kaum abgenommen und ich finde es sehr löblich, dass sie sich informiert – man sollte Informationsquellen nutzen, die sich anbieten. Bei diesem Gedanken werfe ich einen schielenden Seitenblick nach Trier und sehe zwei Leute, die zwar von meinem Newsletter direkt betroffen sind, aber keinerlei Interesse an Vorinformation zeigen.
Da schreibt mir doch letztlich Nikolas, dass er meinen Newsletter weder sonderlich aufmerksam lese noch aufhebe. Dass er ihn nicht aufhebt, trifft mich ja wenig, der Umfang ist schließlich annähernd gewaltig, und es steht auch vieles drin, was nur für mich persönlich von Bedeutung ist. Aber die organisatorisch wichtigen Teile, die ihm den Start und das Leben in Hirosaki leichter machen können, sollte er doch rauspicken. Wenn der Politologiestudent XY meinen Newsletter nur überfliegt (und sei es nur aus Höflichkeit) und dann wegwirft, kann ich das verstehen, aber wenn jemand so verfährt, den die Informationen, die ich liefere, unmittelbar betreffen, weil er im Jahr darauf herkommt, dann entzieht sich das meinem rationalen Denken. Dabei schreibe ich doch genau deshalb einen Newsletter, weil meine direkten Vorgänger es an brauchbaren Informationen haben fehlen lassen. Ich hätte mir welche gewünscht, schließlich erfährt man vor Ort Dinge, an die jemand zuhause nicht denkt und daher nicht explizit fragt. Von JP war ja nichts zu hören, und das, was Stefan (auf meine Anfrage hin) geschrieben hat, war doch stark von seiner Antipathie gegenüber Japanern geprägt. … genug gelästert.[2]
Ich gehe kurz vor Schluss noch ins Sekretariat meiner Fakultät und versuche, meinen Jahresbericht dort abzugeben, da Yui heute offenbar keine Zeit mehr hat, aber dort heißt es, ich solle ihn im Center abgeben. Das ist natürlich umso besser. Dann kann ich noch zu Torigata-san gehen und sie bitten, noch ein paar Korrekturen vorzunehmen, da es dem Center sicherlich weniger als der Hauptverwaltung ausmacht, wenn ich einen Tag zu spät dran bin.

Um 17:20 begebe ich mich zum ausgemachten Treffpunkt und warte auf Melanie und Ricci. Wir wollten in den Yakiniku-Laden gehen, den uns Kazu vor ein paar Tagen gezeigt hatte. Leider hat das Restaurant aber wohl wegen Neputa geschlossen, also verlagern wir ins „Skylark Gusto“, wo ich mir eine „Cheeseplate“ genehmige – Pizzateig nur mit Käse drauf. „Für drei Personen“ steht auf der Karte. Danke, seine Majestät haben gelacht. Macht sich gut mit Tabasco, könnte nur eine Spur mehr Salz gebrauchen.
Nach dem Essen suchen wir die Stelle an einem Straßenrand auf, die Melanie am Nachmittag für uns „reserviert“ hat. Es ist hier völlig normal, dass man für Straßenparaden (wie Neputa) eine Plastikplane (zum Draufsetzen) auf den Bürgersteig klebt, vielleicht noch seine Initialen anbringt, um so einen möglichst guten Aussichtspunkt zu bekommen. Unser Platz liegt an der vierspurigen Hauptstraße, die vom Bahnhof Richtung Daiei wegführt, 100 Meter vom Bahnhof weg, in Sichtweite des Hotels „Shinjuku“, direkt unter einer Laterne. Die Laterne könnte dabei helfen, mir den Kamerablitz zu ersparen. Diese Bilder sind einfach zu selten gut geworden.[3]

Und dann geht der Spaß los, die Wagen ziehen mal auf der einen, mal auf der anderen Seite der beiden Doppelfahrspuren vorbei. Das Ganze wird geradezu niedlich untermalt von dem Kleinkind unserer „Bordsteinnachbarn“, das ständig fröhlich lachend zu uns oder anderen Zuschauern kommt und sich offenbar daran erfreut, vor kurzem Laufen gelernt zu haben. Die Mutter muss es alle paar Minuten wieder von irgendwoher (im Umkreis von fünf Metern) einsammeln.
Und eine derart ausgelassene Parade habe ich noch nie erlebt. Ich finde die Stimmung auch wesentlich angenehmer als die deutschen Fastnachtsparaden, die nicht gerade zur besten Jahreszeit und auch noch bei Tag stattfinden. Da kommt irgendwann, kurz nach Beginn, von einem der Wagen eine Frau, wohl etwa Mitte Dreißig, zu mir herüber und hält mir auffordernd eine Schöpfkelle hin. Es ist völlig normal, dass die Wagenteams kaltes Wasser für die Träger und Trommler dabeihaben. Ich nehme also an. Und als ich gerade einen großen Schluck im Mund habe, sagt sie „Das ist Nihonshû…“, (also auf „Deutsch“: Sake). Ah, ja, jetzt hab ich’s auch gemerkt. Aber er ist gut. Weil ich den Mund noch voll habe, deute ich mit einer Handgeste an, dass ich damit sehr wohl einverstanden bin – Daumen und Zeigefinger zu einem Kreis geformt. Runter damit. Dann gibt sie weiter fleißig Sake aus ihrem Fass an die Träger ab und bespritzt sie auch damit, als ob es Weihwasser wäre. Die Träger machen mir auch schon einen entsprechenden Eindruck. Vielleicht war dieser Auftakt auch ganz gut so, weil Alkohol ja Hemmnisse senkt. Es kommen nämlich immer wieder welche der bereits erwähnten „Antreiber“ zu mir, also Leute mit Megaphonen, in die sie „YAA YADOO!“ reinbrüllen, und die anderen vom Wagenteam brüllen hinterher.

Warum kommen die zu mir? Erstens einmal bin ich ein Ausländer, zweitens bin ich ein großer Ausländer, und drittens bin ich ein großer Ausländer in Armeehosen. Also kommt da der erste auf mich zu und brüllt mich mit „YAA YADOO!“ an, dass mir die kurz geschnittenen Haare nur so nach hinten geföhnt werden und hält mir das Megaphon hin. Er ist der erste, also weiß ich nicht recht, was er von mir will. „Schrei Yaa Yadoo!“ sagt er und legt noch eine Nummer vor. Er hält mir das Megaphon hin und ich gebe ihm eine Antwort wie aus den besten Tagen bei „Agony“. Die Truppe an den Zugseilen grölt und jubelt, bevor sie weiterzieht.

Es kommen noch zwei weitere Herren mit dem gleichen Anliegen, die beide älter sind als ich. Aber es kommen nicht nur solche, sondern auch Jugendliche, bis zu etwa meinem Alter, ohne Megaphon. Die haben offensichtlich eine Menge Alkohol im Blut und wollen, dass ich mit ihnen um die Wette brülle. Da steht z.B. auf einmal einer neben mir, legt seinen Arm um meine Schulter und legt los: „YAA YADOO!“ Ich gebe es zurück, aber er ist damit nicht zufrieden. „A, dame. Mada, mada“, sagt er in einem Ton wie ein weiser Sensei und winkt ablehnend mit der Hand. „Nein, nicht so. Das üben wir noch einmal.“ Und dann machen wir die Runde noch zweimal, bis er zufrieden ist. Wohlgemerkt, er steht dabei direkt an mir, von meinem Mund zu seinem Ohr sind es nicht mehr als 25 cm. Theoretisch sollte er jetzt eine Weile taub sein. Aber seine gleichaltrigen Kameraden vor und neben uns sind ganz aus dem Häuschen und jubeln um die Wette.

Aber das war erst die Mittelstufe. Zum Glück habe ich zwischendurch am Automaten (die sind nie weit) etwas zu trinken gekauft, um die Kehle wieder etwas zu befeuchten. Einige Zeit darauf kommt nämlich eine weitere Gruppe im gleichen Alter wie die letzte vorbei, und sie geben sich, mit nacktem Oberkörper, dramatisch Gewohnheiten aus dem Baseball hin. Einer rutscht mit Anlauf auf dem nackten Bauch über den Asphalt bis direkt vor meine Füße, als sei mein Standort eine Base auf dem Sportplatz. Er dürfte Schmerzen haben, wenn die Wirkung des Alkohols nachlässt, denn er bringt diese Aktion alle paar Meter. Aber dann muss ich mir einen Brüllwettbewerb mit drei seiner Kameraden gleichzeitig liefern, die das sehr passioniert und sehr theatralisch machen. Man muss diese Grimassen beim Grölen einfach live gesehen haben! Ich brülle mich also mit „YAA YADOO!!“ völlig heiser und kann den Verein offenbar zufrieden stellen. Der Bauchrutscher geht mit erschrockenem Gesicht in die Knie (danke für die Blumen…) und der Rest der Mannschaft johlt fröhlich. Umarmung. Wir sind eh alle völlig verschwitzt.

Ein bisschen Karneval gehört auch dazu

Die Tänzerinnen mit den Schellen fand ich auch nicht schlecht… sehr lebendige Mädchen. Habe ich bereits erwähnt, dass die Neputa-Kostüme keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen machen und wegen der kurzen Hosen sehr viel Bein freilassen? Stellenweise Augenweiden wie am Fließband. Scheu vor Ausländern scheint hier weitgehend unbekannt, zumindest heute. Es haben wohl alle genug getrunken. Ich muss mich nur an den Straßenrand stellen und bekomme eine Menge dafür geboten.

Auch diese Parade dauert mehr als zwei Stunden. Zum Ende dürfen wir noch eine Gruppe Betrunkener in uniformen, weißen Outfits bewundern, die aussehen wie ein Prügelkommando der Yakuza aus dem Fernsehen. Sie pöbeln die Polizisten an, die hinter der Prozession hergehen, sind zu den Zuschauern und Passanten aber ausgesprochen freundlich (wenn auch auf alkoholisierte Art und Weise). Unruhestifter mit klaren Prinzipien – hat man das schon gesehen?

Wir kehren nach Nakano zurück, aber ich genehmige mir noch eine kleine Portion Oden, bevor wir endgültig nach Hause gehen. Dann legen wir uns aber bald schlafen. Der Tag war recht anstrengend.


[1]   Wenn man in Japan ein Apartment mieten möchte, braucht man einen Bürgen, zum Beispiel die Universität oder den Arbeitgeber. Einreisende mit Work Holiday Visum haben so jemanden nicht; und Negativbescheide durch das Ignorieren der Anfrage kundzutun, ist eine weltweit verbreitete Unsitte.

[2] Nikolas machte Gebrauch vom ungeschriebenen Recht aller jungen Leute, ihre Erfahrungen selbst zu machen, sich also unvoreingenommen in die gleichen oder zumindest ähnlichen Situationen zu begeben wie ein Vorgänger. Wir sprachen irgendwann darüber und ich akzeptierte seine Einstellung.

[3] Japaner verfügen über genug Anstand, solche Markierungen auch zu respektieren.

4. August 2024

Donnerstag, 05.08.2004 – 88, ohne Politik

Filed under: Japan,My Life — 42317 @ 13:49

Ich leihe heute keine CDs aus – was den schlichten Grund hat, dass ich nicht beizeiten daran denke. Ich gehe dennoch ins Center, spiele ein paar Minuten „StarCraft“, verliere, und wechsele dann ins Informatikgebäude. Ich muss endlich meinen Newsletter abarbeiten, sonst muss ich zu viel nachholen, nachdem ich wieder in Deutschland bin – und wie es dort mit meiner freien Zeit aussehen wird, weiß der Himmel. Das Gebäude schließt um Fünf, also gehe ich zurück ins Center, um dort auch mal kurz bei Animetric vorbeizuschauen, damit mich nicht die Anzahl der Einträge seit meinem letzten Besuch erschlägt, weil ich zu lange gewartet habe.
Ippei, der ja bei unserer Neputa Party mit anwesend war, schreibt mir, dass wir ihn um Acht vor dem Physikgebäude treffen sollten, um anschließend ins „88“ (Eingeborene nennen das nicht „Hachi-jû-hachi“, sondern „Hattachi“), eine Kneipe in Nishihiro direkt gegenüber vom BariBari (dem Okonomiyaki Restaurant), zu gehen. Also fahre ich nach Hause, um Melanie und Ricci von dieser Terminfestlegung zu unterrichten.

Als ich dann am Abend pünktlich vor Ort bin, Melanie und Ricci fahren langsamer als ich, ist aber keiner da – mit Ausnahme von Ôshima, dem „Resident Bishônen“ des „KIWA American“ Clubs. Er sagt, er warte auf Nachzügler wie uns, also „nur noch auf uns“, weil der Treffzeitpunkt auf 19:30 vorverlegt worden ist – allerdings hat der irre Ippei das erst nach Sechs Uhr abends geschrieben, und um diese Uhrzeit erreichen mich keine Neuigkeiten mehr auf elektronischem Wege. Ôshima bringt uns also zum „88“, wo die übrigen Leute, ausschließlich Japaner vom Club, vor der Tür auf uns warten.
Der Abend wird lustig, obwohl der Laden hier keine Stühle hat, was bedeutet, dass mir dauernd die Beine einschlafen oder mir die Handgelenke vom Abstützen mangels Stuhllehne wehtun. Ich habe zumindest zeitweise eine Wand im Rücken, das macht es erträglicher. Einer unserer Damen geht es weniger gut. Nachdem sie ein bisschen was getrunken hat, wirklich nicht viel, wird sie schon mal krebsrot. Das ist noch ganz amüsant. Schließlich aber zieht sie es vor, den Rest der Zeit in der Waagerechten zu verbringen. Es sind genug Tischplätze frei, auf deren Sitzfläche sie sich legen kann. Sie sagt, sie habe heute bereits zu viel gegessen.
Der Laden hier schenkt übrigens einen ganz hervorragenden Sake aus, der aus Hyôgo importiert wird. Sehr sanft im Geschmack, der beste, den ich bisher getrunken habe. Aus Hyôgo? Ich bin amüsiert. Wer von den Schülern von Katsuki Noriko könnte jemals den „Hyôgo Country Club“ vergessen? J Und das Essen ist auch sehr gut. Irgendwie ungewöhnlich auch, zumindest zum Teil. Was ist wohl „Tempura Ice Cream“? Ich lasse mich überraschen: Es bedeutet, dass man Vanille-Eisbällchen „blitzfrittiert“ – schnell in Mehlpanade gewälzt und für wenige Sekunden ins Frittieröl. Und das ist gar nicht so schlecht, wie es sich anhört. Natürlich ist das Preis-Leistungs-Verhältnis nicht das beste, und ich muss es auch nicht noch einmal essen. Aber es war wirklich nicht schlecht. Ich bin direkt erstaunt.
Um 22:00 gehen wir wieder, erst einmal „im geschlossenen Verband“. Da hatte nämlich jemand die Idee, noch ein wenig Feuerwerk zu kaufen. Ich habe es abgelehnt, mich daran zu beteiligen, weil Feuerwerk in erster Linie Geld- und Materialverschwendung ist, Pyrokunst hin oder her. Allerdings fängt es sowieso in diesen Minuten an zu regnen und die Sache fällt aus, auch wenn Ôshima sich bereits auf den Weg gemacht hat. Er wird per Telefon benachrichtigt. Wir fahren also jeder nach Hause.

Um 23:00 meldet sich Yui noch – an meiner Haustür. Sie möchte einen passenden Termin für die Korrektur meines Jahresberichtes finden, aber an den Tagen, an denen ich Zeit habe (was derzeit eigentlich fast immer ist), hat sie Unterricht, und sie weiß zum Teil nicht einmal, wann er jeweils endet. Im Extremfall wende ich mich an Torigata-san im Center.
Melanie fällt dann bald ins Bett, während ich mit Ricci noch bis 00:30 über allen möglichen Kram rede, über dessen Sinn oder Unsinn man sich streiten kann. Es sollte nicht notwendig sein, mir die Inhalte zu merken, also unterlasse ich es.

Mittwoch, 04.08.2004 – Melanie „Knacker Ede“ N. in Aktion

Filed under: Japan,Manga/Anime,Musik,My Life — 42317 @ 13:44

Der Tag beginnt zu einer direkt unmenschlich frühen Zeit. Zuerst begrüßt der Hund von gegenüber wieder den neuen Tag (und ich nehme eigentlich mehr an, dass er Krach macht, weil er zum „Rudel“ ins Haus will, anstatt vor der Tür sein Dasein zu fristen), dann wird mal wieder das Auto sauber gemacht, diesmal von innen mit dem Staubsauger. Und dann um halb Sieben beginnt auch noch jemand mit Klavierübungen! Wenn ich versuche, die Geräuschquelle zu orten, drängt sich mir der Verdacht auf, dass auch diese dritte frühmorgendliche Unverschämtheit aus dem Haus unseres wenig sozial anmutenden Nachbarn gegenüber herübertönt. Der Hund kann ja nichts dafür, aber um diese Zeit Klavier zu spielen, dass man es in der ganzen Straße (50 m lang) hören kann, ist eine Frechheit.

Ich „reserviere“ mir in der Frühe um halb Neun einen Platz im Center und fahre um 09:40 ins GEO, um neue CDs auszuleihen. Ich lasse mir dort das „25:00 Uhr System“ erklären.

Der Rechnungstag endet nachts um 01:00, was bedeutet, dass man ausgeliehene Sachen bis um Ein Uhr zurückbringen kann und nicht bis Mitternacht da sein muss. Im Gegenzug heißt das aber auch, dass man nach Mitternacht keine Sachen für den neuen Tag ausleihen kann, weil ja der alte noch gültig ist. Der neue Tag beginnt erst am Morgen um Zehn, und in meiner Situation finde ich das reichlich unpraktisch, weil ich so eine Menge Zeit verliere.
Wie dem auch sei, ich nehme heute eine bunte Mischung aus „Kishidan“, „Drifters“ und „Yoshida Kyôdai“ mit. Bei den „Drifters“ muss man sich an den Stil erst gewöhnen, aber sie sind wirklich lustig – sofern man ein grundlegendes Verständnis der japanischen Sprache hat, was bedeutet, dass ich zuhause niemanden dafür werde erwärmen können. Nein, Trier ist nicht „Zuhause“. Trier ist eine eigene, in sich geschlossene Dimension von seltsamen Leuten, denen man auch verrücktes Material andrehen kann, sofern es aus Japan kommt. Man muss auf jeden Fall verstehen, was die „Drifters“ sagen oder singen, sonst geht der Hauptteil vom Spaß verloren. Ich muss auch noch daran arbeiten. Ich setze mich wieder ins Center und lasse die CDs einlesen und zu MP3s verwursten.

Am frühen Abend wollte ich eigentlich zu einem Shamisen-Konzert von Shibutani-sensei gehen, aber ich stelle fest, dass ich früher hätte dran sein müssen. Zum Beispiel hätte ich das Werbeplakat besser lesen sollen. Darauf ist zu lesen, dass die Vorbestellung der Karten dringend empfohlen sei, umso mehr, weil die Anzahl der Zuhörer auf 100 Personen beschränkt sein würde. Der derzeit beste Spieler Japans hat keine Probleme damit, 100 Leute „zu seinem Ruhme“ zu versammeln, auch nicht im letzten Provinzwinkel Japans, und schon gar nicht, wenn dieser Provinzwinkel seine Heimatstadt ist. Keine Chance für mich.
Direkt amüsiert war ich aber von seiner Ankunft in dem kleinen Hotel, die ich miterleben durfte. Japaner fahren ja wirklich gerne mit dem Auto, wenn der Weg weiter als 500 m ist, also dachte ich eigentlich, er würde mit einem Wagen vorfahren. Stattdessen kommt er zu Fuß daher gelatscht, mit seiner Frau im Schlepptau, beide in Yukata gekleidet, und der Herr Sohn, in westlicher Kleidung und tendenziell so beleibt wie sein Vater, schleppt den Koffer mit dem Instrument. Wirklich ein amüsanter Anblick.

Ich überlege eine Weile, was ich tun soll. Ich fahre ins Daiei, in den „Daisô 100 Yen Shop“, um genau zu sein, und kaufe eine stabile Papprolle, um meine Poster und den SailorMoon Kalender darin zu verschicken (oder zu transportieren). Dann kehre ich nach Hause zurück und höre CDs, während ich auf dem Futon liege. Ich habe alle eingelesen, aber noch nicht angehört. Allerdings muss ich währenddessen eingenickt sein, da ich von der heimgekehrten Melanie plötzlich geweckt werde. Ich bin auch irgendwie schrecklich müde. Das liegt wohl nicht unwesentlich daran, dass ab heute Morgen um 04:30 kaum noch ans Schlafen zu denken war.
Wir sehen uns dennoch zwei Episoden der Serie „InuYasha“ an, die ersten beiden Episoden überhaupt. Ich wollte mir schon länger mal ein Bild von dieser Serie machen.[1] Ich habe hier und da eine Episode im Fernsehen gesehen, aber das sagt einem natürlich reichlich wenig, wenn man die Entstehungsgeschichte nicht kennt, und japanische Animeserien sind in den meisten Fällen darauf ausgelegt, dass sich eine fortlaufende Geschichte entfaltet – anders als viele amerikanische (Zeichentrick-) Serien, die man auch in willkürlicher Reihenfolge ansehen kann, ohne einer größeren Verwirrung wegen des Inhalts anheim zu fallen, weil eine fortlaufende Storyline für gewöhnlich nicht gegeben ist.

Außerdem erfahre ich im Laufe des Abends, wie der Tag meiner beiden Mitbewohnerinnen so gelaufen ist, und der schien ziemlich filmreif – zumindest für die versteckte Kamera, wäre sie da gewesen. Geplant war, für Ricci ein Fahrrad aus dem Haufen an der Uni zu besorgen, um ihr die Reisen durchs Stadtgebiet angenehmer zu machen und die Buskosten bei Null zu halten. Der Abend sollte dann mit „Shrek 2“ im örtlichen Kino enden.
Der Start lief auch gut. Es wurden zwei brauchbare Fahrräder gefunden, zum Cycland geschoben, mit Luft versorgt, und sie fuhren zum Einkaufen ins Ito Yôkadô. Aus dem Laden wieder heraus stellten sie allerdings fest, dass jemand die frisch besorgten alten Mühlen geklaut hatte – alle beide. Also mussten sie in der Hitze des Tages zu Fuß zur Uni zurücklaufen und neue Fahrräder besorgen. Die brauchten natürlich ebenfalls Luft, also wurden auch diese beiden zum Cycland geschoben. Dass man auf halber Strecke, quasi in Steinwurfweite zur Uni, bei „Bicycle Saitô“ ebenfalls Luft pumpen kann, ist Melanie offenbar völlig entgangen. Wie es scheint, hat sie die Existenz des Ladens bis heute nicht wahrgenommen, obwohl sie bestimmt bereits mehr als tausendmal daran vorbeigekommen ist. Wie dem auch sei, die beiden standen also am Cycland und pumpten Luft, als sich das Ventil von Riccis Reifen mit einem Pfeifen verabschiedete. Ein neues Rad musste her. Die Tour zur Uni war ein weiteres Mal fällig, noch einmal musste ein altes Fahrrad von seiner Absperrvorrichtung „befreit“ werden, und natürlich kam man um eine weitere Tour zum Cycland nicht herum.
Der Mann im Fahrradladen dürfte nicht schlecht gestaunt haben, als dieselben beiden Leute bereits zum dritten Mal mit einem neuen Satz Fahrrädern angerückt kamen. Ob er allerdings überhaupt bemerkt hat, dass die Zwei immer neue Räder hatten, sei dahingestellt. Wegen all dieser Schwierigkeiten und der impliziten Fußmärsche, die sich wegen der auf Grund der Wetterverhältnisse immer weiter sinkenden Ausdauer der beiden Damen immer länger hinzogen, war es dann zu spät geworden, um noch pünktlich im Kino zu sein. Der Film würde also später angesehen werden müssen. Ich muss annehmen, dass die beiden noch müder sind als ich.

Melanie hat sich übrigens – wenn mies läuft, dann richtig – bei der Gelegenheit, aus dem überwucherten Fahrradhaufen immer weitere Drahtesel zu bergen, die Hose, von der sie gehofft hat, sie würde wenigstens die letzten paar Tage noch überstehen, nicht nur schmutzig gemacht, sondern auch gleich zerrissen.


[1]   Der Manga ist von Takahashi Rumiko, das heißt, das Konzept geht nicht über coole Charaktere und ihre Konflikte hinaus, das Traumpaar kommt wegen allerlei Empfindlichkeiten und Missverständnissen nicht zusammen, und wenn die Geldkuh irgendwann totgemolken ist, wird schnell ein Schluss gebastelt.

Dienstag, 03.08.2004 – Horch, was kommt von draußen rein…

Filed under: Japan,Manga/Anime,My Life — 42317 @ 13:31

Ich verbringe den Morgen im Center – abgesehen von einem Ausflug zum GEO, um mich mit weiteren CDs einzudecken. Um etwa 13:00 fahre ich dann zum Bahnhof, um gemeinsam mit Melanie unseren Besuch in Empfang zu nehmen: Ricci kommt heute aus Tokyo zu uns hoch. Melanie ist schon eine Weile länger am Bahnhof als ich, aber sie ist mir im ersten Moment entgangen, weil sie im Warteraum gesessen hat – der hat eine Klimaanlage. Realistisch betrachtet: Nachdem ich „Hallo Ricci!“ gesagt habe, verschwinde ich auch gleich wieder ins Center. Meine ganzen Sachen liegen noch dort (mehrere Leute haben ihre Sachen über Nacht im Center gelagert, um sich für den Umzug gestern Abend umziehen zu können) und ich will die geliehenen CDs heute noch eingelesen bekommen. Ich schreibe noch meine Post, lasse das Forum aber sein, um nicht zu spät nach Hause zu kommen.

Wir essen Nudelsalat. Melanie hat ihn gemacht, weil es sich erstens um ein kühles Essen handelt und weil Ricci zweitens kein Fleisch mehr essen möchte. So sei es denn. Aber der Kontrast ist lustig, wenn man bedenkt, dass unsere Freundin Heidi, die Veganerin, in Japan zum Fleisch „bekehrt“ worden ist. Aber es soll jeder essen, wie es ihm am besten passt. Ich brauche hin und wieder Fleisch und tauge daher nicht zum Hindu.[1] Ein paar Tage werde ich aber wohl ohne auskommen. Schade ist nur, dass dadurch ein paar Läden ausfallen, in denen wir hätten gemeinsam essen können. Was mich daran erinnert, dass wir keinen Reis mehr haben. Aber so kurz vor Schluss will ich auch keinen neuen Sack mehr kaufen. Aber es gibt auch genug Nudeln zu kaufen, die lassen sich besser portionieren.

Um 23:30 fahre ich ins GEO und bringe die CDs zurück. Ich sehe mich ein wenig im Laden um und finde den „Hello Kitty“ Anime. Ich hätte nicht gedacht, dass ich ihn tatsächlich mal sehen würde, also von außen, heißt das. Wie es scheint, handelt es sich um die Neuversion, und nicht um das Original von 1976. Hayashibara Megumi spricht die Hauptrolle, und die Frau ist erst seit Ende der Achtziger eine große Nummer im Geschäft.


[1]   Vegetarismus wird vom Hindu nicht gefordert, Fleischgenuss gilt wegen des Tötungsakts jedoch als unrein.

Montag, 02.08.2004 – Mittendrin statt nur dabei

Filed under: Japan,Musik,My Life,Uni,Zeitgeschehen — 42317 @ 13:26

Ich fahre am Morgen ins GEO und leihe mir wieder eine Reihe CDs aus. Dass ich keine Telefonnummer angegeben habe, sorgt noch immer für Verwirrung unter den Angestellten.

Leider bin ich, zurück im Center, ein bisschen spät dran und der für das Einlesen der Audio CDs benötigte Computer ist bereits von einer Chinesin besetzt, die an einem Aufsatz schreibt. Ich begnüge mich derweil mit einem anderen, aber der will nicht so, wie ich will. Ich beantworte also nur meine Post und schreibe zwei, drei Einträge ins Forum, bis der „richtige“ Rechner endlich verfügbar wird. Dummerweise wird die Zeit am Nachmittag knapp und eine der CDs kann nicht mehr eingelesen werden, also habe ich 250 Yen umsonst ausgegeben. Um 16:30 beginnen nämlich die Vorbereitungen für den heutigen Neputa Umzug, an dem auch die Universität Hirosaki (und mit ihr die Austauschstudenten) teilnehmen wird.

Wir bekommen also die dazu notwendigen Trachten ausgeteilt. Ein blauer Überwurf („Hanten“) mit „Hirosaki Daigaku“ Stickerei am Kragen und einem größeren, gleichlautenden Aufdruck auf dem Rücken, der mit einem braunen Stoffgürtel zusammengehalten wird. Für Schuhe und Hosen sind wir selbst verantwortlich, weshalb hier einige Leute mit langen Hosen rumlaufen, so z.B. Chen „Dragon“ und Arpi, der slowakische Ungar.

Arpi und Nim

Dann ziehen wir ins Schorum ein und werden erst einmal verköstigt, mit einem lauwarmen Büffet, wie man sagen könnte. Nach wenigen Augenblicken ist mir schon einmal klar, was ich auf den ersten Blick gewusst habe: Die Würstchen („Frankfurter“) schmecken furchtbar. Während alle anderen Platten bis aufs letzte Krümelchen blank geputzt werden, bleibt ein Berg von diesen Würstchen übrig. Das sonstige Angebot ist verlockend, aber ich will nicht zu viel essen. Ich will nicht mit einem vollgestopften Magen an dem Umzug teilnehmen, das macht müde und träge. Zum Essen gibt es, passend zur festlichen Gelegenheit, auch schon Bier, dem einige Leute bereits kräftig zusprechen. Vor allem SangSu macht den Eindruck, als sei er bereits nicht mehr ganz nüchtern, noch bevor die Sache richtig angefangen hat. Es werden dabei massenweise Erinnerungsfotos geschossen, und ich bitte einige der Leute darum, mir die Bilder auch zu schicken, auf denen ich abgebildet bin, aber ich habe wenig Hoffnung, dass irgendjemand meiner Bitte Folge leisten wird.

Dominik und Nan

Die gut aussehende junge Frau, mit der Kashima-sensei heute unterwegs ist, ist übrigens seine Tochter Nami. Sie ist 17 Jahre alt und gestern aus Tokyo eingetroffen – und sie wird auch bleiben. Dazu wurde die bürokratische Meisterleistung vollbracht, es ihr zu ermöglichen, die Oberschule zu wechseln. Ich habe ja die Schwierigkeiten eines solchen Verwaltungsaktes bereits erwähnt. Im Übrigen ist sie in Korea geboren und hat wegen der beruflichen Tätigkeit ihres Vaters eine Weile in den USA verbracht. Ihr Englisch sei also sehr gut, aber ihr Koreanisch absolut mies, sagt sie. Wie kann das sein, angesichts einer koreanischen Mutter? Allerdings schiebe ich die Frage auch ganz schnell wieder beiseite, da ich ja persönlich noch weitere Leute mit einem solchen Familienhintergrund kenne, deren Koreanisch mir bis zum heutigen Tag noch nicht einmal aufgefallen wäre.
Die Mutter befinde sich gerade auf einem Betriebsausflug, erzählt Kashima-sensei – nach Hawaii. Sie arbeitet bei einer Immobilienfirma in Tokyo und verdiene eine ungeheure Menge Geld, sodass sie sich nicht veranlasst sehe, ihre Arbeit aufzugeben und aufs Land nach Hirosaki zu ziehen. Auf jeden Fall würde mich interessieren, wie die Frau Mutter aussieht, nachdem mir bei der Tochter bereits die Kinnlade runtergeklappt ist und ich Kashima ganz unverblümt für seinen hübschen Nachwuchs loben musste. Eine familiäre Ähnlichkeit kann ich dem grinsenden Lehrer nämlich nicht bescheinigen.

Der eine oder andere Verantwortungsträger sagt dann auch noch ein paar Worte, und dann sind wir dran, eine improvisierte Dankesrede für das tolle vergangene Jahr in vier, fünf Sätzen zu halten. Dann geht die Sache langsam zu Ende und wir ziehen los, zum Treffpunkt, also dorthin, wo der Wagen der Universität steht. Das wäre dann die Hauptstation der hiesigen Feuerwehr. Ich gehe mit Melanie noch schnell zu Eve, weil sie auf dem Weg wohnt, um unser Gepäck dort abzustellen. Ich will keinen Rucksack von mehr als 10 kg Gewicht mit mir rumschleppen, zumindest nicht während des Umzugs. Außerdem befinden sich darin die CDs aus dem GEO, zwei Videos aus dem King Kong, mein Geldbeutel und allerhand nicht unwichtiger Kleinkram.

Eve in lockerer Stimmung

Wir finden uns schließlich alle an der Feuerwehrstation, quer gegenüber von der Uniklinik, ein. Das heißt, Eve, Melanie und ich sind die ersten, während die übrigen Ausländer erst einer nach dem anderen und schließlich in einem größeren Pulk eintreffen. Die anderen machen sich auch gleich über das kostenlose Eis her, das ausgeteilt wird, auch das Bier fließt hier in Strömen, ebenso der Sake, und es gibt bereits kleinere Trinkwettbewerbe unter Japanern. Links neben mir schüttet sich einer ein Wasserglas voll Sake in den Hals, unter dem Jubel seiner Trinkkumpane. Ich glaube, ich bleibe lieber nüchtern.

Unser Wagen, “Hirosaki Daigaku”

Irgendwann wird der Wagen dann in seine Startposition geschoben, die Zugseile befestigt und ausgerollt, und dann beginnt der Spaß. Und diese Zugseile sind nur zur Show da – zu meiner allergrößten Enttäuschung. Die großen Wagen haben nämlich Motoren, die das Gefährt mit einer Geschwindigkeit von zwei bis vier Kilometern pro Stunde vorwärtsbewegen. Man hält also nur das Seil in der Hand, wie in alten Zeiten, und läuft einfach mit – meine Güte, wie langweilig. Und dann soll man da in Stimmung kommen (was mir persönlich meistens recht schwerfällt) und die Parolen mitgrölen („YAA! YADOO!“). Unser „Antreiber“, also der mit dem Megaphon, der die Parole vorgibt, hat keine Ahnung von Takt. Dafür ist er sehr laut und sehr motiviert bei der Sache. Zwischendrin verschwindet Kuramata-sensei, der eigentlich den Anfang vom Seil festhalten soll, für eine Weile und überlässt mir die Spitze, weil er Fotos machen möchte. Das ist dann auch der Grund, warum sich meine eigenen Fotos an diesem Tag in Grenzen halten.

An den Seilen: BiRei, Weerit, dahinter Kuramata-sensei

Wir landen auch im lokalen Fernsehen. Nächstes Jahr kann man die Videos des diesjährigen Festes kaufen. Der Kameramann hält mir das Objektiv aus dreißig Zentimeter Entfernung mitten ins Gesicht, ich brülle (auf Kommando des Antreibers) „YAA! YADOO!“ in die Kamera und stoße mir den Kopf an der Linse. Der Kameramann muss mich für völlig betrunken halten. Der Kerl, der den Scheinwerfer trägt, lacht jedenfalls amüsiert.

Kuramata-sensei kommt schließlich zurück und sagt, ich solle mir die großen Trommeln weiter hinten ansehen, bzw. anhören, es sei ein echtes Erlebnis. Das lasse ich mir nicht zweimal sagen, also lasse ich das langweilige Seil sein und gehe zu den großen Taiko. Ah… das donnert und vibriert durch alle Eingeweide in einem ebenso einfachen wie eingängigen Rhythmus. Hier gefällt es mir viel besser, ich geselle mich also zu den Leuten, die derzeit diese Trommeln ziehen, das sind Chris, Izham, Misi und Alex, und lasse mich zudröhnen. Ob die Trommeln einen eigenen Motor haben oder tatsächlich gezogen werden, kann ich nicht genau sagen. Das Gerät braucht auf jeden Fall Lenkung und die meiste Zeit über habe ich das Gefühl, dass ich der einzige bin, der den Wagen daran hindert, von der Straße herunter gegen verschiedene Laternenpfosten zu rollen. Und diese Lenkmanöver sind nicht ganz ohne, bedenkt man das Gewicht des Wagens. Kurz darauf schwitze ich aus allen Poren. Aber das ist ja, was ich wollte. Jetzt macht die Angelegenheit erst so richtig Spaß, und der Sound macht alle Strapazen wieder wett.

Ich finde auf der Strecke eine Flöte in einer Stoffhülle. Alex meint, dass ich mir doch ein ganz tolles Souvenir gefunden hätte, aber das muss ich verneinen. Ich habe die Flöte, bzw. die Stoffhülle, nämlich heute schon mehrfach gesehen und ich weiß, zumindest optisch, wem sie gehört. Etwa eine Minute darauf hat die kleine Besitzerin den Verlust auch bemerkt und kommt in ihrem himmelblauen Kimono die Straße zurückgelaufen. Ich winke ihr zu, was sie zwar bemerkt, aber im ersten Moment ignoriert, weil ihr noch nicht klar ist, womit ich winke. Das gelingt ihr erst im zweiten Hinsehen. „Du hast Dein Instrument verloren!“ rufe ich ihr zu. Dann fange ich mir erst einmal den üblichen Blick ein („Der will mich bestimmt fressen…“), aber sie nimmt die Flöte an und bedankt sich leise.

Zorori ist auch dabei

Wir schieben schließlich alle unsere Wagen auf den Universitätscampus, und damit wäre der offizielle Teil dann beendet. Ein organisiertes Besäufnis hinterher gibt es nicht, was mich eingedenk japanischen Brauchtums doch ein bisschen wundert. Stattdessen gibt es kaltes Wasser, „Yakult“ Yoghurt-Drinks und Tüten mit Süßigkeiten, die mich nicht interessieren und aussehen wie ein Chemieunfall bei BASF. Ich trinke stattdessen eine Menge Wasser in kleinen Schlucken. Große Schlucke sind mit den Schöpfkellen aus Holz auch schwer zu bewerkstelligen.
Es kommt der Plan auf, nach Nishihiro zum Trinken zu fahren, zusammen mit „den üblichen Verdächtigen“, darunter auch Mitglieder von „KIWA American“. Ich lerne bei dieser Gelegenheit Hidaka Ippei kennen, und er ist wohl der erste japanische Student (soll heißen: „der erste studierende Mann“, weil ich ja bereits eine Menge sympathischer studierender Frauen getroffen habe), der mir wirklich sympathisch ist. Ist natürlich ganz toll, dass ich diese Leute erst kennen lerne, wenn ich quasi schon beim Zusammenpacken für die Heimreise bin!
Okay, also hängt Nishihiro im Raum. Die andere Hälfte der (planerisch aktiven) Anwesenden spricht sich dagegen dafür aus, einfach eine Fuhre Getränke und Snacks im Konbini zu besorgen und vor der Bibliothek ein geselliges Beisammensein zu veranstalten, weil die frische Luft ja was für sich habe. Mir ist das völlig egal. Der Entscheidungsprozess dauert scheinbar ewig und nimmt eine Viertelstunde in Anspruch. Das wäre auch schneller gegangen, aber was uns (immer noch) fehlt, ist ein charismatischer Anführer, der die Entscheidung auf sich nimmt und sagt: „Wir machen das jetzt so…“.
Schließlich setzt sich die Freiluft-Idee durch und die Masse der Leute verschwindet in Richtung Konbini. Da ich bereits was zu trinken bei mir habe, fahre ich auf den Platz vor der Mensa und fahre dort im Kreis, bis alle wieder zurück sind. Es wird auch ganz lustig, und der alkoholisierte SangSu redet wieder wie ein Wasserfall. Ich kann seinem verwirrten Redefluss nicht wirklich folgen; es geht ihm wohl um japanische Phonologie und die Angewohnheit von Jugendlichen, Sätze mit dem semantisch sinnlosen Füllwort „saa“ zu beenden, das sich auch hinter jedem Satzteil und hinter jedem Hauptwort beliebig einsetzen lässt, wenn ich meiner eigenen Erfahrung trauen darf.[1]

Wir sind auf dem Gelände nicht allein. Ich will es erst nicht recht glauben, aber um das Gebäude neben uns spielt eine Gruppe von einem halben Dutzend StudentInnen Verstecken. Dabei dachte ich eigentlich, man sei mit etwa 20 Jahren wirklich zu alt dafür, aber die Teilnehmer haben einen kindhaften Spaß daran, also sei es ihnen gegönnt.

Um 23:15 fahre ich dann zum GEO, um meine CDs zurückzugeben, bevor der Kalendertag vorüber ist. Von der Uni über King Kong in Nakano bis zum GEO dauert es mit dem Fahrrad nur 20 Minuten. Danach komme ich wieder zurück, aber nur noch, um zu erleben, dass SangSu inzwischen völlig hin ist und nervtötende Ambitionen zeigt, anderen was von seinem Bier abzugeben. Er schüttet was in Melanies leere Getränkedose und auch etwas in meine leere PET-Flasche (was jedoch dezent im Rasen landet). Er trinkt den Rest dann aus seiner eigenen Dose, schüttet sich noch ein paar Tropfen auf den Kopf und wiederholt dasselbe mit Melanie, die ihm dafür eine scheuert, weil sie das gar nicht lustig findet. Sie ist auch nicht begeistert davon, dass wir ihn in seinem Zustand wieder mal nach Hause bringen müssen.
SangSu aber will sich scheinbar nicht nach Hause bringen lassen. Während Melanie sich noch verabschiedet und unseren Müll einsammelt, setzt er sich auf sein Fahrrad und biegt um die nächste Ecke in Richtung Mensa. Da man ihn in dem Zustand nicht alleine lassen sollte, folgen wir ihm, sobald der Müll im Fahrradkorb verstaut ist. Aber SangSu ist verschwunden. Er muss zwar direkt vor Irenas Nase vorbeigefahren sein, aber die hat ihn nicht bemerkt, weil sie so sehr ins Gespräch mit einem der Koreaner vertieft war. (Gerüchte behaupten, die beiden seien vor SangSus Rausch aus unserem Kreis geflohen, um hier vor der Mensa Zuflucht zu finden.) Da SangSu verschwunden ist, fahren wir nach Hause. Ich habe nichts dagegen, ihn nach Hause zu bringen, wenn er für seine Verkehrssicherheit nicht mehr alleine sorgen kann, aber ich gehe ihn nicht auch noch suchen, wenn er einfach verschwindet, so lange er noch alleine gehen kann.


[1]   Wenn man jemandem eine Frage stellt und die Person antwortet nur „Saa…“, dann bedeutet das in der Regel „Ich weiß nicht“ oder „Ich bin nicht sicher“.

Sonntag, 01.08.2004 – Der Neputa Auftakt

Filed under: Japan,Militaria,My Life,Zeitgeschehen — 42317 @ 12:52

Dank unseres improvisierten Vorhangs können wir tatsächlich bis 08:30 schlafen, bevor es zu warm wird. Ich finde das ausgesprochen erholsam. Wir verbringen den Tag mit dem Kopieren von „Atashin’chi“ Videos und ich bin sicher, dass sich die Investition lohnt. Nicht gelohnt hätte sich eine Kopie der OVA „Streetfighter ZERO – The Animation“ (wenn es sich denn hätte kopieren lassen): Da verwendet eine böse Organisation Kampfdaten und Ki-Energie starker Kämpfer, um Super-Cyborgs daraus zu basteln, und der Chef will der stärkste Kämpfer überhaupt werden. Ryû hat derweil Probleme, weil seine „Hadôken“ Attacke wohl böse Ursprünge hat und er deshalb an gefährlichen Aussetzern leidet. Die Bösen wollen diese ungeheure Kraftentfaltung natürlich für sich nutzen und entführen seinen jüngeren Bruder… den es plötzlich gibt. Seine Existenz wäre zumindest mir unbekannt gewesen. (Der Bruder hat übrigens die Stimme von Daisuke aus „Digimon“.) Und dann wird viel gekämpft und die Guten gewinnen natürlich. Das einzig Erwähnenswerte der zweiteiligen Serie ist die Tatsache, dass Ryû von Kain Kosugi gesprochen wird. Er macht den Job auch nicht schlecht, aber der Mann ist mir zu unsympathisch, als dass ich seinem aufgeblähten Testosteron-Ego eine solche Rolle gönnen würde.

Der Tag ist immer noch heiß, und möglicherweise vertrage ich die Temperatur nicht. Ich fühle mich nicht bei bester Gesundheit, mein Magen fühlt sich irgendwie flau an. Trotzdem gehe ich mit Melanie zur Eröffnungsparade des diesjährigen Neputa-Festes, das insgesamt eine Woche lang dauern wird. Mir ist eigentlich überhaupt nicht nach Bewegung, aber ich weiß auch, dass ich das nicht verpassen sollte und auch nicht will. Wir haben ja bereits das Neputa der „Hirosaki Kôtôgakkô“ (das ist die Oberschule von Kazu) gesehen. Das war sehr schön, aber auch sehr kurz, da war nach einer halben Stunde alles vorbei. Aber das war für eine einzelne Organisation, eine Oberschule, doch eigentlich gar nicht schlecht. Heute ist das alles ein bisschen anders.

Wir finden zuerst einen Platz auf der Brücke 50 m von „Mr. Donut“ entfernt. Ich finde den Platz gar nicht schlecht, weil sich vor mir zwar noch drei Reihen von Leuten befinden, aber die sitzen alle. Nur Melanie gefällt der Platz nicht, er sei zu weit von der Straße weg. Also wechseln wir den Standort, indem wir einen geradezu riesigen Bogen laufen, und landen vor der Tür der Toshin-Bank, deren Angestellte schätzungsweise 200 Liter Wasser, eisgekühlt, an Teilnehmer und natürlich auch an durstige Zuschauer verteilen.
Und dann ziehen über zwei Stunden lang etwa jede Minute ein erleuchteter Wagen nach dem anderen an uns vorbei. Meine Kamera reicht natürlich bei weitem nicht aus, um alles zu fotografieren. Melanies Kamera genießt hier den Vorteil, dass sie einfach nur den Film zu wechseln braucht, wenn einer voll ist. Aber es ist auch nicht so schlimm, dass die Anzahl der Fotos, sie ich machen kann, begrenzt ist, weil die meisten Wagen irgendwo gleich aussehen. Wenn man ein halbes Dutzend gesehen hat, weiß man, was man zu erwarten hat. Einzig die Wagen mit den dreidimensionalen Modellen aus Wachspapier unterscheiden sich gleich auf den ersten Blick voneinander. Ich suche mir die besten Motive raus und hoffe, dass die Bilder was werden. Ich sagte ja bereits, dass meine Kamera für Nachtaufnahmen kaum zu gebrauchen ist, und zusätzlich die Bewegung des Fahrzeugs durch eigene, parallele Bewegung auszugleichen, ist nicht ganz leicht.
Auch die Jieitai ist mit einem Aufgebot von Leuten vertreten, und die Jungs von der Armee fallen mit ihrem Auftritt so ganz aus dem Rahmen. Sie tragen wohl Kriegerkleidung aus der Edo-Zeit, schwarze Hakama (weite Hosen) und weiße Oberteile, mit passendem Stirnband natürlich, und heben sich so von dem ab, was die übrigen Leute so tragen, meist ein blauer Überwurf und eine kurze Hose. Auch die Musik, die die Jieitai mitgebracht hat, ist so ganz anders. Hier kommt die Musik aus Lautsprechern, und es handelt sich nicht um Neputa-Musik, die lediglich auf Flöten, Trommeln und Schellen beruht. Bei der Jieitai läuft ein Stück, dass sich mehr wie ein Heldengesang auf die Imperiale Armee aus den frühen Vierzigern anhört. Dazu führen die Mitglieder einen Tanz mit Fächer und Schwert vor. Dass dabei keine Kehlen am Straßenrand aufgeschlitzt werden, wundert mich schon beinahe, da die Klinge des einen oder anderen Katana so manchen Zuschauer nur um Handlänge verfehlt.
Es gehört zur „Neputa Show“, dass die Wagen (oder viele davon) gedreht werden, damit man sie von allen Seiten betrachten kann. Die wirklich großen Wagen haben einen Mechanismus, mit dem sie gedreht werden. Zum Teil ist dieser Mechanismus elektrisch, zum Teil rennen die Träger um den Wagen herum und drehen den oberen Teil mit Hilfe von Seilen, während das Fahrwerk weiterhin fest auf dem Boden bleibt. Die kleineren Modelle jedoch (und es bleibt der persönlichen Wahrnehmung überlassen, was ein „kleineres Modell“ ist) werden kurzerhand hochgehoben und die Träger rennen ein-, zweimal im Kreis über die Straße. Normalerweise folgen die Träger dabei einem „Antreiber“, der den Weg vorgibt. Eigentlich sollte der Antreiber darauf achten, dass der Weg frei ist, und die Trägheitswirkung des Objektes kennen, aber das geht auch schon mal schief. Zehn Meter links von mir hat sich einer dieser Leute am Straßenrand etwas verschätzt, die Truppe kriegt die Kurve nicht so, wie gewünscht, und der Antreiber wird von einer Querstrebe des Festwagens in die Zuschauermenge katapultiert. Die nehmen‘s mit Humor. Ein anderer Teilnehmer wird später von einer ebensolchen Querstrebe sichtlich unangenehm in den Rücken getroffen. So ist das Leben. Aber die haben das alles wieder vergessen, wenn sie noch ein bisschen mehr trinken.
Da die Wagen auch zum Teil recht hoch sind, muss man sich wegen der Stromleitungen was einfallen lassen, die hier ja alle überirdisch verlaufen. Da sind z.B. zwei oder drei Leute, die mit Stangen vorneweg laufen. Die Stangen sind so lang wie der Wagen hoch ist, und bei Bedarf heben sie die Leitungen einfach an. Der Großteil der Wagen hat jedoch „Lotsen“ und „Aufsitzer“, die den obersten Teil der Wachspapierkonstruktion einfach abklappen und die (isolierten) Leitungen mit den Händen über den Wagen hinwegheben, während die Lotsen vorneweg laufen und wild pfeifen und mit Leuchtstäben winken, um auf ein Hindernis aufmerksam zu machen. Die Mechanik der Wagen kann außerdem nicht nur dazu verwendet werden, die Wagen zu drehen, sondern auch dazu, die Wagen zu senken, um das Passieren von Leitungen und Bäumen einfacher zu machen. Das Vorbeilotsen dieser voluminösen Konstruktionen um unflexible Laternen und Ampeln herum ist sogar noch abenteuerlicher und schon beinahe eine koordinatorische Meisterleistung.
Für die letzte halbe Stunde bietet man uns Stühle an. Die Damen und Herren, die vorher darauf gesessen haben, gehen bereits nach Hause oder woanders hin. Leider ist mein Stuhl kaputt und ich muss recht vorsichtig darauf sitzen, aber es ist weitaus bequemer als das weitgehend stille Stehen, wodurch meine Beine schon ziemlich steif geworden sind.

Das Ende des heutigen Umzugs wird schließlich durch einen kleinen Wagen angezeigt, auf dem genau das geschrieben steht: „Schluss für heute“. Wir folgen dem Wagen bis zu der Kreuzung, wo unsere Fahrräder stehen und machen uns auf den Heimweg. Ich könnte eine Mütze voll Schlaf wirklich gut gebrauchen.

Samstag, 31.07.2004 – Der Anfang des letzten Kapitels

Filed under: Japan,My Life — 42317 @ 12:43

Hua! Ferien! Ferien… was fange ich damit jetzt an? Ich sollte aber, wie üblich, keine Probleme damit haben, mich nicht zu langweilen.

Und der Spaß fängt auch gleich sommerlich an. Um 05:30 powert die Morgensonne bereits so heftig ins Zimmer, dass an ein Weiterschlafen überhaupt nicht zu denken ist. Also stehe ich auf und aktualisiere mein Tagebuch, bis dann endlich „SailorMoon“ läuft.

Usagi kämpft weiter gegen die zerstörerischen Kräfte an, die in ihr wohnen. Mamoru erhält unterdessen durch Zutun von Jedyte Endymions Herz und Seele (natürlich in Form eines Steins) zurück, aber der scheint mehr eine Kontrollfunktion von Seiten des bösen Oberkommandos zu sein.
Die Mädchen leisten freiwillige Arbeit in einem Kindergarten und treten da in lustigen Kostümen auf. Ami und Usagi scheinen diese Gelegenheit in erster Linie dazu nutzen zu wollen, Makoto mit Motoki zu verkuppeln. Weil Makoto (wohl kaum zufällig) ein Schildkrötenkostüm trägt und Motoki ein Schildkrötenfan ist, erzählen sie ihm, dass bei diesem Kindergarten ein besonderes Exemplar zu finden sei, das er einfangen könne. Er ist in der Stunde der Wahrheit allerdings viel zu „angetan“ von der gebotenen Gelegenheit, als dass er ein klares Wort herausbringen könnte.
Die Identität der Senshi wird heute eher gezwungenermaßen gleich zwei Freunden offenbart, nämlich Motoki und Naru. Während Motoki die Angelegenheit mit Fassung trägt, landet Naru aber erst einmal mit leichten Verletzungen und einem großen Schock im Krankenhaus, nachdem Usagi alias PowerSailor RangerMoon wieder einen glatten Amoklauf hinlegt und sie beinahe in die Luft gesprengt hätte, mitsamt dem ganzen anderen Krempel, der in Flammen aufging.

Und dann wird unser Tag so richtig heiß. Ans Anziehen brauche ich erst gar nicht zu denken. Hinzu kommt, dass ich ausgesprochen schlecht geschlafen habe. Am frühen Nachmittag lege ich mich noch einmal für ein paar Augenblicke hin – wir haben das Fenster verdunkelt und so die Innentemperatur etwas gesenkt. Allerdings hat der Futon auf dem von der Sonne verwöhnten Balkon gehangen und ich liege darauf wie ein Kuchen auf dem Backblech, nur weicher.
Am frühen Abend stehe ich dann wieder auf und fühle mich deutlich besser, aber an eine effektive Beschäftigung ist heute nicht mehr zu denken. Wir eignen uns weitere „Crayon Shin-chan“ Filme an, bevor wir (wieder) schlafen gehen. Wir bleiben allerdings dabei, das Fenster mit der Armeedecke zu verhängen, das sollte den Morgen angenehmer machen. Vielleicht kann man so die mögliche Schlafzeit bis nach Acht hinauszögern.

30. Juli 2024

Freitag, 30.07.2004 – Der letzte Tag

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

Heute ist der letzte Unterrichtstag, den ich vorerst in Japan haben werde. Ich stehe um 06:30 auf – weniger, weil ich das so will, als eher wegen der unbarmherzigen Morgensonne, die uns mit aller Kraft aus dem Schlafraum schmeißt. Das Licht finde ich nicht einmal so extrem, aber die Hitze ist um diese Uhrzeit bereits unerträglich. Man steht auf und schwitzt bereits. Duschen erscheint irgendwie überflüssig, weil man nur was anzuziehen braucht, um wieder in Schweiß auszubrechen.

Und gerade gibt wieder einer dieser billigen Kugelschreiber seinen Geist auf. Warum bloß? Die Mine ist noch halb voll! Was soll dieser Unsinn? Das Schriftbild verblasst völlig… ich nehme einen aus meiner Sammlung gefundener Schreiber.

Wir absolvieren dann also unsere letzte Unterrichtsstunde – bei Yamazaki, weil heute planmäßig nämlich nicht Freitag, sondern Montag ist. Der asiatische Teil der Klasse ist komplett anwesend, was mich ein wenig wundert, wenn ich an die letzte Stunde vor den Winterferien denke. Nur Valérie und Eve sind abwesend. Yamazaki hat sich schwer ins Zeug gelegt und gibt uns heute die Klausur vom Mittwoch zurück. Das Ergebnis ist das übliche, also nicht so schlecht, wie ich vermutet hatte. Aber dann beendet er den Unterricht eine halbe Stunde vor der Zeit. Es ist auch nichts mehr zu tun.

Ich gehe ins Center und verschiebe – endlich – ein paar Blocks meiner Daten, nebenher übertrage ich meine neu gekauften CDs ins MP3 Format, bis auf die „X-Box“, die ich nicht auszupacken wage. Das hält mich dann wieder ein paar Stunden auf, während denen ich Mei beim Sticken zusehe und BiRei etwas aufheitere, während sie eher unmotiviert mit ihren Hausarbeiten beschäftigt ist.
Währenddessen kommt MunJu vorbei. Ihre Gastmutter ist Lehrerin an einer Mittelschule, die für heute ein Schulfest angesetzt hat, und ich habe bereits vor einigen Wochen versprochen, etwas für das Fest zu kochen – das heißt, die Zubereitung soll vorgeführt werden, also ohne sichere Vorbereitung am heimischen Herd! Aber das Schulfest falle leider aus, sagt sie – einer der Schüler sei gestern beim Baden in einem örtlichen Fluss ertrunken. Da feiert man nicht am Tag darauf ein Fest.
Dann wechsele ich in die Bibliothek und schreibe einen Newsletter von fünf Seiten. Das braucht natürlich Zeit und ich bekomme einen höllischen Durst. Ich hole mir was aus dem Automaten in der Mensa, weil ich keine Motivation verspüre, bei dieser Hitze in den Supermarkt zu gehen, und 1,5 Liter oder mehr wären mir gerade auch zu viel.

Bis ich mit allem fertig bin, ist es Neun und ich verpasse ganz eindeutig gerade den Anfang von dem neuen „Lupin III.“ Film, der heute Abend im Fernsehen läuft. Während ich aufbreche, treffen sich Baqr, Misi, Irena, Mélanie und die beiden Chilenen gerade vor dem Hauptgebäude, um zum Karaoke zu gehen. Misi fragt, ob ich nicht mitwolle. Das muss ich leider ablehnen, weil ich Karaoke überhaupt nicht mag und ich sowieso zu spät dran bin. Die Verspätung hindert mich allerdings zugegebenermaßen nicht daran, an der Oden-Bude Halt zu machen und mir einen Oden-Spieß zu genehmigen. Währenddessen fährt der Karaoke-Haufen an mir vorbei und ich treffe die Leute dann vor dem King Kong wieder. Dort bemerkt Misi erstmals, dass ich ein „neues“ Fahrrad verwende und reagiert entsprechend ungläubig. In Sachen Gangschaltung und Federung habe ich ihn diesmal eindeutig geschlagen.

Zuhause stelle ich die Melone, die wir von Jin Eiko erhalten haben, erstmals in den Kühlschrank, weil endlich genug Platz darin ist. Den Salatkopf werfe ich weg. Der sieht inzwischen so traurig aus, dass ich ihn eigentlich nicht mehr essen möchte. Lupin wird währenddessen aufgezeichnet, ich werde es mir bei Gelegenheit ansehen. Dann fange ich an, meine Artbooks zu verpacken. Ich stelle zwei Pakete von jeweils knapp 5 kg zusammen, und ich werde womöglich noch zwei weitere brauchen. Am Montag gibt es ja wieder einen Satz Geld, also wird es finanziell wohl hinhauen.

29. Juli 2024

Donnerstag, 29.07.2004 – Große Tour

Filed under: Japan,My Life,Zeitgeschehen — 42317 @ 7:00

Heute ist Donnerstag und ich habe die ganze Zeit über das Gefühl, es sei Freitag. Yamazaki lässt uns heute einen letzten Aufsatz schreiben – eine Nacherzählung irgendeines Märchens oder einer Sage (was wohl beides in den Bereich „Mukashi-banashi“ fällt). Na, ich kenne ja genug.

Danach setze ich mich ins Center und spiele zwei kurze Runden „StarCraft“. Dann gehe ich in die Bibliothek und kümmere mich um geschäftlichere Dinge. Der Bericht für Prof. Fuhrt muss ja geschrieben werden. Ich schreibe eine Art Abriss, sende ihm das vorläufige Ergebnis zu und frage, was er davon halte. Er sagt, ich könne ruhig mehr persönliche Ansichten hineinschreiben und das ganze mehr zu einem Erfahrungsbericht über die komplette Breite meines Aufenthalts machen. Das finde ich dann doch sehr beruhigend, das erlaubt mir eine Menge Füllstoff.

In der folgenden Stunde stürzt der Computer gleich zweimal ab, was mir mit Windows2000 Professional noch nie passiert ist. Aber das frustet mich dann doch sehr, ich will nicht mehr. Der Tag ist noch jung, ich kann also ein paar andere notwendige Dinge in Angriff nehmen. Zuerst fahre ich zur Post und kaufe zwei Pakete, weil ich meine Artbooks auch irgendwann nach Deutschland schicken sollte. Dann fahre ich zur Bank und zahle meine Miete für diesen Monat, bringe anschließend meine Pakete nach Hause und kaufe noch einmal 12 Liter Aquarius, bevor ich den Kühlschrank komplett ausräume, das Eis rausschlage und das Ding mal wieder saubermache.

Und dann schwinge ich mich auch schon wieder auf mein Fahrrad und fahre ins Book Off. Heute will ich dort alles kaufen, was ich in den vergangenen Monaten ins Auge gefasst, aber nie zu kaufen gewagt hatte. Jetzt oder nie! Ich könnte es sonst bereuen. Da wären zuerst drei Magic Knight Rayearth Soundtrack CDs, zwei CDs von Miyamura Yûko und von X-Japan die „Last Live“, die „Ballad Collection“ und die „X-Box“ – kurz für „Best of X-Japan Box“. Wegen einer schlechten Erfahrung von Misi im letzten Winter bin ich schlau genug, in die CD Hüllen hinein zu sehen, bevor ich sie (nach dem Bezahlen, weil es vorher nicht geht) mit nach Hause nehme. Und das ist auch gut so: In einer der Hüllen von Miyamura Yûko befindet sich die CD „Best of The Alfee 1997-2000“, und das interessiert mich ja nun überhaupt nicht, weil „The Alfee“ für mich eine der Bands ist, die zwei, drei brauchbare Songs, aber sonst nur Schlaflieder produziert haben. Ich reklamiere diesen Umstand und erhalte mein Geld zurück, worauf ich von drei „Rayearth“ CDs auf vier aufstocke. Die Papphülle und das Booklet der Miyamura-CD verlangt allerdings keiner von mir zurück, also sage ich vielen Dank und freue mich über das kleine Bilderbuch.
Nach diesem „faulen Ei“ bemerke ich zuhause aber, dass sich durchaus auch ein „goldenes Ei“ in meinem Einkauf befindet. Die „X-Box“ hat – neu – ursprünglich 6000 Yen gekostet, ich habe noch 2600 Yen dafür gezahlt. Für „X-Japan“ Produkte ist das ein ziemlich günstiger Preis, weil die Band einen (durchaus verdienten) Kultstatus genießt. Aber das Beste an der Box entdecke ich erst, nachdem ich sie geöffnet habe: Alles originalverpackt! Da sind zwei CDs, ein (VHS) Video, und sogar ein T-Shirt. Alles noch fabrikneu verschweißt. Das T-Shirt hat zwar Größe „L“ – da passe ich nicht rein – aber es wird gut in meine Sammlung von T-Shirts passen. Zum Anziehen ist es eh viel zu schade, auch wenn es „Made in El Salvador“ ist.
Aus dem Book Off heraus führt mich meine Reise ins Ito Yôkadô. Zuerst fährt Prof. Fuhrt an meiner Nase vorbei in Richtung Heimat, dann passiert mir das gleiche auf ähnliche Entfernung mit Yamazaki-sensei, der mich jedoch ebenfalls bemerkt und winkt. Ich gehe in die CD Abteilung (wohin auch sonst) und kaufe „Saraba“ von „Kinmokusei“, das Titellied von „Atashin’chi“. Weil Melanie gerade drauf und dran ist, die „Crayon Shin-chan“ Filme zu kopieren, kaufe ich noch einen Satz neuer Videokassetten.

Und als ich dann endlich wieder zuhause bin, von Schweiß überströmt, erklärt Melanie, dass wir jetzt zum Tempel- und Schreinfest an der Pagode fahren. Ich wasche mich also im Eilverfahren und wir fahren los.
Das Fest scheint mir das gleiche zu sein, wie alle anderen Schreinfeste auch, mit dem Unterschied, dass die Anzahl von Buden und Besuchern hier jeweils die dreifache ist. Wieder einmal stehen die Leute Schlange, um ein kurzes Gebet sprechen zu können, und damit ihnen nicht langweilig wird, ist an der Vorderseite des Tempels ein Flatscreen Monitor angebracht, auf dem man eine Reportage betrachten kann.
Wir treffen auch ein paar Leute „von unserer Sorte“. Irena und Valérie sind hier und sie haben sich in Yukata, in Sommerkimonos, geworfen, die auch nichts daran ändern, dass ihnen heiß ist. Irena sagt, dass ihr andauernd der Schweiß die Beine runter laufe. Misi sticht wegen seiner schieren Körperlänge aus der Masse der Wartenden wie immer deutlich hervor, und es hätte mich auch schwer gewundert, wenn er seine Kamera nicht dabeigehabt hätte. Wir treffen auch Nim, die mit japanischen Bekannten hier ist, und schließlich auch Nan und Wiirit – und, meine Güte, der war beim Friseur! Er sieht mit kurzen Haaren wesentlich besser aus als mit dem (wenn auch gepflegten) Wischmob, den er vorher die ganze Zeit zur Schau trug. Ich beglückwünsche ihn zu seinem Wandel und lasse mir das Versprechen geben, bei Gelegenheit ein Foto davon machen zu dürfen.
Wir klappern danach einmal alles ab, was interessant erscheint, und Melanie kauft weitere Mamori (Talismane), bevor wir endlich nach Hause gehen können.

28. Juli 2024

Mittwoch, 28.07.2004 – Der (zweite) längste Tag!

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

Heute sind also gleich drei Klausuren fällig… zwei für Japanisch und eine bei Dr. Hugosson. Es sind auch die einzigen, die ich überhaupt schreiben muss, von daher sollte ich mich nicht zu laut beschweren. Kondô-sensei hat ja nur regelmäßige Anwesenheit und ein Referat erwartet, und das gleiche gilt für Kuramata-sensei, der eben einen reisrelevanten Vortrag haben wollte und das Thesenpapier dazu. Yamazaki-sensei gab sich in seinem Essay-Kurs mit der Masse an Hausaufgaben als Leistungskontrolle zufrieden, die wir im Laufe des Semesters verfassen mussten. Ich will wahrscheinlich gar nicht wissen, was bei diesen Japanischklausuren herausgekommen ist… die eine Hälfte der Aufgaben ist schrecklich leicht, die andere Hälfte sagt mir überhaupt nichts.

Kondô-sensei tut daraufhin in seiner Unterrichtszeit was sehr entspannendes und lädt uns alle ins Schorum ein, wo es ja „All you can drink“ für 200 Yen gibt. Also Saft, Tee und Kaffee, so viel man trinken kann oder will, und das mit Klimaanlage. Wir haben sogar Glück und bekommen einen Tisch, an den auch sechs Leute passen, was zur Mittagszeit keineswegs üblich ist. Ich sehe Yuan an einem der anderen Tische sitzen und schließe aus ihrer Gesellschaft (drei Leute im Studentenalter und ein älterer Herr), dass wohl auch andere Lehrkräfte die gleiche Idee hatten.
Wir selbst machen nichts weiter kompliziertes, als uns gegenseitig Abschnitte aus einem Buch vorzulesen, das sich zweisprachig mit internen Phänomenen japanischer Betriebe auseinandersetzt, also mit Themen wie „Mobbing“ und „Sexuelle Belästigung“, aber auch positive Dinge, wie „Hochzeiten am Arbeitsplatz“. Uninteressant ist das nicht, aber ich finde nicht viel, was sehr Japan-spezifisch wäre.
Ein Punkt ist es bestimmt: Das Beispiel schildert den Fall eines mittleren Angestellten, der in eine Filiale am anderen Ende Japans versetzt wird. Das vorgestellte Problem dabei ist das aktuelle Schulsystem. Wenn dieser Angestellte ein Kind hat, das eine Oberschule besucht, wird er wahrscheinlich getrennt von seiner Familie leben müssen, weil Oberschulen nicht in die Pflichtschulzeit fallen und die Schulen mitten im Schuljahr, anders als die Pflichtschulen, keine neuen Schüler akzeptieren. Auch der Wechsel zwischen zwei Schuljahren gestaltet sich als ein bürokratischer Gewaltakt.
Sehr interessant fand ich das Kapitel „Unterhaltung potentieller Kunden und Geschäftspartner“. Das heißt, man lädt Leute, mit denen man Geschäfte machen möchte, in ein edles Restaurant, einen Host-Club oder zum Golf ein. Kondô-sensei erzählt, dass auch er in seiner Funktion als Generalverwalter der Mitsubishi Bank zu einem „zwanglosen Essen“ eingeladen worden sei, um „eventuelle Investitionen“ der Bank zu besprechen. Und am Ende überreichte ihm der Gastgeber ein kleines Paket und sagte: „Bitte nehmen sie diese Biskuits für ihre Frau Gemahlin an.“ (Ich versuche, auf diese Art und Weise höfliches Japanisch zu übersetzen.) Dass sich unter den Keksen ein Umschlag mit 50.000 Yen befand, merkte er dann erst zuhause.
„Warum so wenig?“ will ich wissen. Man kann doch einen Mann in einer derart hohen Position nicht mit solchen „Peanuts“ locken, oder? Kondô erklärt, dass eine zu hohe Summe den Empfänger abschrecken könnte, von daher gebe man ihm hin und wieder kleine Summen (ohne das genauer zu definieren), die aber für gewöhnlich nicht so klein seien, um völlig uninteressant zu sein. Natürlich habe er das Geld zurückgegeben, sagt er.

Und dann gehen wir zu Hugosson rüber und schreiben eine so genannte Klausur. Und die ist deshalb nur „so genannt“, weil wir erstens unsere Unterlagen verwenden dürfen, die jedoch völlig überflüssig sind, weil wir zweitens als Beantwortung der drei Aufgaben lediglich unsere Meinung zu den drei behandelten Großthemen abgeben sollen. Wenn man regelmäßig im Unterricht war, ist das kein Problem, weil man dann die Begriffe kennt, die man für einen halbwegs kompetent klingenden Kommentar braucht. Das einzige Problem ist, dass die Ränder der Seiten ständig durchweichen, weil sich auf dem Tisch wieder einmal Schweißpfützen bilden.
Während wir schreiben, korrigiert er Hausarbeiten aus seinem Englischkurs. Und nachdem ich fertig bin, zeigt er mir welche davon. Auffällig ist gleich das unerwartet gute Englisch, und er zeigt mir auch den Grund dafür: Die betreffende Hausarbeit wurde 1:1 von einer Seite im Internet kopiert. Da die Quellenangabe fehlt, ist das eine glatte Null wegen Plagiarismus. Mein Gott, der Autor hätte die Sätze wenigstens umformulieren können. Ich bin ja selbst nicht gefeit gegen die Versuchungen des Abschreibens, aber für gewöhnlich nehme ich dafür Texte aus einer Sprache, die ich für meine zu schreibende Klausur erst einmal übersetze. Das verhindert zumindest, dass man den Satz nur in eine Suchmaschine eingeben muss, um mich zu überführen. Aber mittlerweile ist mir auch klar, dass gegen das Abschreiben wenig spricht, solange man eine Quellenangabe anhängt.

Aber dann ist der Mist heute endgültig gelaufen. Ich verziehe mich ins Center, wo ich gegen Sieben als letzter hinauskomplimentiert werde. Ich verlege in die Bibliothek. Ich habe meine Post heute noch nicht angesehen und im Forum will ich natürlich auch noch kurz vorbeischauen. Es wird etwa 22:00, bis ich nach Hause komme. Ich bin gerade noch zur Öffnungszeit (bis 21:45) in den Beny Mart gekommen und stelle fest, dass Aquarius derzeit nur 150 Yen die Flasche kostet – ich kaufe also auf Vorrat.

27. Juli 2024

Dienstag, 27.07.2004 – Formalitäten!

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

Unser Nachbar von gegenüber hat eine echte Begabung dafür, uns am frühesten Morgen zu wecken. Allerdings tut er das ausnahmsweise nicht mittels einer Autowäsche. Sein uns bislang bekannter Hund ist offenbar tot oder sonst irgendwie verschwunden und auch gleich durch einen kleinen Welpen ersetzt worden. Und der junge Hund begrüßt ab 04:00 den neuen Tag, indem er bellt und winselt und sonst allerlei Geräusche macht, als werde er gerade geschlachtet. Dieser Vorgang zieht sich hin bis um 07:00, also über drei Stunden, während denen es bestenfalls möglich ist, in einen flachen Schlaf von ein paar Minuten zu fallen, bevor man wieder geweckt wird. Ich stehe also reichlich früh auf und schreibe an meinem Tagebuch. Melanie macht die erste Unterrichtsstunde blau, indem sie die ganze Zeit über hinter mir sitzt und „Der Gefangene von Azkaban“ liest.

Vor dem Unterricht gehe ich noch schnell meine Post durch und sehe mich einem organisatorischen Problem in Trier gegenüber. Ich muss darauf hoffen, durch Mithilfe von „Agenten“ in Trier einen Platz im Phonetikkurs von Ms. Oakeshott zu bekommen, um nicht ein weiteres Semester in der Anglistik damit zu verlieren. In Trier hat man es sich in der Anglistik ja offenbar einfallen lassen, die Kurseinschreibungen am Ende des Semesters vorzunehmen, und das unter Abschaffung der Bevorzugung höherer Semester. Am Dienstag bin ich allerdings noch nicht wieder in Trier und kann mich dem entsprechend auch nicht selbst einschreiben. Ich habe Sebastian darum gebeten und er hat nörgelnd zugestimmt, das alte Waschweib. Allerdings schockt er mich auch gleichzeitig mit der Mitteilung, dass man eine Immatrikulationsbescheinigung vorzeigen muss, um seinen Namen auf die Liste setzen zu können. Wenn ich das recht verstehe, setzt das voraus, dass man die Bescheinigung für das kommende Semester bereits hat, in dem der Kurs stattfinden soll, oder wie sehe ich das? Ich schreibe an Bill Argent, aber der kann mir nicht viel weiterhelfen, also bin ich auf das Wohlwollen der ewig gestressten und frustriert aussehenden Angela Oakeshott angewiesen, die zu E-Mails ein Verhältnis hat wie ein Asket zum Schweinebraten… na Mahlzeit. Trotzdem schreibe ich ihr ein paar erklärende Zeilen. Besser, dass sie es später liest als gar nicht. Man kann mir immerhin nicht vorwerfen, dass ich es nicht versucht hätte.

Kondô-sensei stellt uns heute als den letzten Vortragenden unserer Unterrichtsreihe einen weiteren Herrn Shibutani vor, der allerdings nur zufällig ebenso wie der beleibte Shamisenspieler vor wenigen Wochen heißt. Der heutige Shibutani ist Kaufmann und der aktuelle Vorsitzende der Junioren-Handelskammer, er handelt mit allem möglichen Tee und den Requisiten, die man in Japan dafür so braucht, inklusive des Materials für Sadô, Teezeremonien. Er war übrigens letzte Woche dabei, als wir den Salon besucht haben. Die Besitzerin ist eine Bekannte von ihm und er hat sich bereit erklärt, die Hälfte von uns mit seinem Wagen dorthin zu bringen. Beeindruckenderweise zeigt er heute gleich eingangs auf SungYi und sagt „Sie waren letzte Woche nicht dabei, richtig?“, womit er tatsächlich richtig liegt. Das finde ich beachtlich. Ich glaube nicht, dass ich in der Lage wäre, aus einer zwölfköpfigen Schar von mir völlig unbekannten Leuten, die ich nur einmal gesehen habe, nach einer Woche auf Anhieb den rauszupicken, den ich noch nicht gesehen habe.
Das ist dann aber auch schon ein großer Teil von dem, was ich verstanden habe von dem, was er tatsächlich sagt. Er spricht zwar sehr deutlich, aber ich kann in dieser brütenden Hitze meine Konzentration nicht lange genug aufrecht erhalten, um einem Vortrag von dreißig Minuten zu in japanischer Sprache zu folgen. Ich wage ja kaum, den Tisch zu berühren, auf dem ich normalerweise meine Arme ablege, denn wenn ich das mache, bilden sich binnen einer Minute richtige Pfützen auf der Tischoberfläche. Halte ich die Arme dagegen zu nah am Körper, nässt das T-Shirt durch. Shibutani-san war so schlau, sich ein Handtuch mitzubringen. In seinem Anzug ist ihm garantiert noch wärmer als uns.
Quasi zur Entspannung mache ich während des Vortrags ein Foto von FanFan, weil sie in den letzten Tagen mit zwei kurzen Zöpfen rumlauft, um den Nacken frei zu haben, und sie sieht so noch mehr zum Knuddeln aus als sonst. Ich hätte auch gerne ein Bild von MinJi gemacht, weil sie nämlich ständig einnickt und in der kurzen Phase, bevor ihr Kopf einen Ruck nach unten macht, ein äußerst „intelligentes“ Gesicht zur Schau trägt. Aber leider sind die Köpfe von Nun und FanFan die ganze Zeit im Weg und ich kann keinen passenden Moment erwischen.

v.l.n.r. SungYi, FanFan, Nun

Shibutani muss um 15:00 bereits wieder weg, weil er offenbar eine Verabredung mit Verantwortlichen der Universität hat. Kondô-sensei beendet also den Unterricht, ich gehe ins Center und bearbeite meine Post zu Ende, bevor ich in die Bibliothek wechsele und weiter an meinem Newsletter schreibe. Meine Güte, Zeit ist rar dieser Tage, und ich will nicht einmal behaupten, dass das an verstärkten Lernbemühungen liegen würde.

Ich finde im Forum einen Link zu einem weiteren IQ-Test, der leider einfacher gestrickt ist als der bei „TheSpark“, und auch der „attestiert“ mir einen IQ von 126, womit er sich mit allen anderen deckt, die ich ebenfalls gemacht habe. Außerdem sagt die Endauswertung, ich sei ein „Word Warrior“, ein „Wortkrieger“, redegewandt, diskussionsfreudig und in der Lage, komplexe Satzstrukturen zu erkennen und zu verstehen. Sei das nun wahr oder nicht, mir gefällt das Wort. Sogar besser als Kais Vorschlag, der auf „BookMaster“ lautete, als CB-Funk noch ein Thema war.

26. Juli 2024

Montag, 26.07.2004 – Wie sag ich’s meinem Professor?

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

Ich nutze den frühen Morgen, um mein Tagebuch zu aktualisieren und mir im Anschluss meine Grammatiklektionen anzusehen. Am Mittwoch werden gleich drei Klausuren geschrieben, und ich finde das etwas stark. Dafür sind es aber auch die einzigen Klausuren, die ich zu schreiben habe. Eine bei Dr. Hugosson, über die ich mir wenig Gedanken machen muss, weil ich regelmäßig den Unterricht besucht habe, und zwei Vokabel-Kanji-Grammatik-Klausuren bei Ogasawara- und Yamazaki-sensei.

Nach dem Unterricht brauche ich eine Pause. Aber nachdem ich dann innerhalb einer Stunde die dritte Partie „StarCraft“ gegen den Computer schmählich verloren habe, suche ich mir andere Unterhaltungsmöglichkeiten. Ich finde aber keine. Also kann ich mich wieder der „Nicht-Pause“ zuwenden.
Ich stelle fest, dass der Computer, auf dem der Hauptanteil meiner Daten lagert, immer mehr Macken zeigt, und ich fürchte, dass er in nicht allzu langer Zeit zusammenbrechen wird. Ich muss dringend meine Daten auf einen XP-Rechner transferieren und auf CD brennen, sonst könnte ich mir einige Mühe umsonst gemacht haben. Natürlich sind derzeit alle XP-Rechner auf längere Dauer besetzt. Ich hoffe, dass das nach Beginn der Semesterferien abflaut und dass der Computer so lange aushält.
Ich gehe also in die Bibliothek (wow, freie Plätze!), versende meine Post und schreibe meine Kommentare ins Forum, dann verfasse ich die beiden Berichte für Hugosson. Ich bin davon abgegangen, sie trocken-objektiv zu schreiben, weil mich der Verdacht überkommen hat, dass Hugosson in der Tat Meinungen und keine minutiösen Protokolle haben will. Überhaupt mag ich persönlich keine trockenen Aufsätze. Also schreibe ich meine subjektiven Eindrücke von der jeweiligen Angelegenheit und hoffe, dass es ihm zur Zufriedenheit gereicht. (Solche Satzkonstruktionen gewöhnt man sich an, wenn man bei den „falschen“ Leuten Lateinunterricht genommen hat.)

Neuerdings sitzt mir aber auch Prof. Fuhrt im Nacken, der einen Bericht über die Entwicklung meines Forschungsvorhabens haben will, wenn ich ihn Recht verstehe, um diesen dann an höhere Stellen weiterzureichen. Ich habe bisher allerdings nur ein paar Artikel aus dem online Lexikon für BW-Slang ins Japanische übersetzt – für alles Weitere fehlte mir schlicht die Zeit. Fünfzig Kanji pro Woche in den Kopf zu bekommen, ist kein Zuckerschlecken, und hin und wieder sollte man in die Grammatik schauen, um nicht den Faden zu verlieren. Gut, ich hätte mehr Zeit machen können, aber Freizeit ist mir wichtig, vor allem hier in Japan, wo ich so schnell nicht noch einmal hinkommen werde. Aber auch hier verbringe ich viel von meiner Freizeit mit meinem Newsletter. Ich arbeite nicht effektiv genug, um alles unter einen Hut zu bringen, das ist mir sehr wohl bewusst. Was soll ich jetzt also in den Bericht schreiben? Mir wird schon was einfallen… ich bin nicht umsonst der „Word Warrior“.
Ich glaube, das wird meine nächste E-Mail-Adresse. Der ganze Spam in meinen existierenden GMX Postfächern geht mir so langsam zu sehr auf die Nerven. Aber für heute habe ich erst mal genug Berichte geschrieben.

Kurz nach Anbruch der Dunkelheit entlädt sich ein Gewitter über Hirosaki und ich sehe zu, dass ich unter einem Dach bin. Ich wähle den 11. Stock des Landwirtschaftsgebäudes und betrachte die wirklich beeindruckenden Blitze. Sehr dick und lang, zum Teil mit mehreren Ästen. Das habe ich bereits seit Jahren nicht mehr gesehen. Dabei ist das Gewitter circa 10 km entfernt, wenn ich die etwa 30 Sekunden Pause zwischen Blitz und Donner richtig interpretiere. Der Regen hört schließlich weitgehend auf, also fahre ich Richtung Heimat und zum Einkaufen. Als ich den Beny Mart verlasse, gießt es dagegen wieder in Strömen. Ich habe es nicht weit bis nach Hause, aber es reicht, um bis auf die Knochen nass zu werden. Immerhin hat der Regen eine angenehme Temperatur.

25. Juli 2024

Sonntag, 25.07.2004 – Subtropischer Glutofen

Filed under: Japan,My Life — 42317 @ 7:00

Was war das für eine Nacht! Die Hitze war so drückend, dass man kaum schlafen konnte. Dem entsprechend übermüdet stehen wir dann am Morgen auf, und Melanie fasst endgültig den Plan, einen Ventilator zu kaufen.

Da wir um 11:30 mit Familie Jin verabredet sind, gehe ich vorher nicht noch eine Stunde in die Bibliothek, und auch Melanie verzichtet, nicht zuletzt wegen der brütenden Hitze, auf den geplanten Abstecher ins Ito Yôkadô. Wir werden auch ohne Extratouren völlig verschwitzt ankommen. Aber wir sind pünktlich.
Entgegen meiner etwas beschränkten Vorstellung fahren wir nicht zum Sushi Shôgun, sondern in einen anderen Kaiten-Sushi Laden, der „Seijirô“ heißt. („Kaiten-Sushi“ bedeutet, dass die Sushiteller auf einem Laufband vorbeirollen und man sich nimmt, was man möchte.) Wir müssen gerade mal eine Minute warten, bis eine Sitzgelegenheit für acht Personen frei wird – das sind die drei Generationen der Jin-Familie und Melanie und ich.
In diesem Laden sind die Teller (das heißt die Preise dessen, was auf dem Teller liegt) nach Farben geordnet. Im Sushi Shôgun kostet jeder Teller nur 105 Yen (100 Yen plus Konsumsteuer), aber im Seijirô sind die Portionen wesentlich größer, und auch die Auswahl erscheint mir umfangreicher. Die Preise fangen bei 105 Yen an und klettern hoch bis 525 Yen. Auf dem teuersten Teller liegen dann vier Reisbällchen, die mit Muschelfleisch verschiedener Art belegt sind. Ich habe es mir – mit Erlaubnis des Spenders, Dr. Jin – nicht nehmen lassen, diese Spezialität zu probieren, allerdings komme ich zu dem Schluss, dass das Geschmackserlebnis dem Preis nicht gerecht wird. Ich bleibe lieber beim Sushi Shôgun.
Und dann werden Geschenke ausgeteilt. Warum dieses? Die Mutter ist mit den Kindern offenbar ein paar Tage in Okinawa gewesen und hat uns je ein T-Shirt mitgebracht. Das für Melanie hat Größe „L“… und das ist ihr zu eng. Ich bekomme eine Geburtstagskarte, auf der schon draufsteht „Nicht öffnen“. Ich tue es trotzdem, urplötzlich springt mir ein Federmechanismus entgegen und die Aufschrift sagt „Wir haben Sie gewarnt“. Auch der Großvater bekommt Geschenke, er hat heute Geburtstag und wird 75 Jahre alt.
Nach etwa einer Stunde verlassen wir das Lokal wieder ich will gar nicht wissen, wie viele Tausend Yen ich aus dem Geldbeutel von Dr. Jin gefressen habe, also belasse ich es dabei, mich angemessen zu bedanken.

Wir überqueren aber erst einmal nur die Straße. Nicht nur, weil dort die Autos stehen, sondern weil der Parkplatz zum „Yamada Denki“ Elektrokaufhaus gehört. Melanie möchte ja einen Ventilator kaufen. Wir finden auch bald einen ziemlich großen, für einen überraschend günstigen Preis von nur 2000 Yen. Ich hätte nicht mit einem derartigen Tiefpreis gerechnet, eher mit dem Doppelten. Und es liegt nicht daran, dass wir das Ausstellungsstück bekommen, weil nichts anderes mehr da ist. Das Modell kostet tatsächlich nur so viel. Während wir unseren Ventilator aussuchen, führt Yûmiko ihren wie üblich übergroßen Energiehaushalt vor, indem sie herumspringt und anderen (harmlosen) Unsinn macht. Der Laden ist klimatisiert, aber ich würde bei dem Wetter nicht auf die Idee kommen, mich mehr als notwendig zu bewegen. Ich spüre, dass ich sie um diese Lebendigkeit beneide. Ich glaube, ich werde alt.
Nachdem wir den Ventilator dann im Kofferraum verstaut haben, wechseln wir das Geschäft und gehen in den „Universe“ Supermarkt gleich links nebenan. Eigentlich brauchen wir nichts Dringendes, aber dennoch werden wir von Frau Jin mit einer Tüte voll Zeug und einer riesigen Melone beschenkt. Ich gebe zu bedenken, dass unser Kühlschrank viel zu klein sei, um diesen essbaren Fußball unterzubringen, und dass sie bestimmt nicht lange haltbar sei, wenn wir sie außerhalb des Kühlschranks lagern. Aber das lässt sie nicht gelten. Stattdessen schaut sie mich streng wie ein alter Mathelehrer an und sagt: „Dann müsst Ihr sie eben schnell essen!“
Was soll ich da noch sagen?
Wir haben jetzt also eine Melone für 1400 Yen in der Küche stehen, den Rest kann ich geschickt irgendwie im Kühlschrank unterbringen, und das war eine Meisterleistung. Nachdem wir nämlich auch noch den Garten der Familie „besichtigen“ durften, haben wir mehrere Tomaten und Salatgurken und einen riesigen Daikon (eine Art Riesen-Rettichwurzel von 2 kg), dazu einen Strauß Bananen, einen Salatkopf und eine Art Kuchen. Der Kühlschrank ist jetzt brechend voll. Und ich sage es gleich im Voraus: Der Salatkopf und der Daikon sind letztendlich vertrocknet im Müll gelandet, weil keiner wusste, was wir damit anfangen sollten. Aber sonst ist alles, sogar die Melone, nach mehrtägiger Lagerung gegessen worden, ohne schlecht geworden zu sein.
Mutter Eiko fährt diese Nahrungsmittellieferung mit dem Wagen nach Nakano, wir folgen mit dem Fahrrad. Die Hitze ist wirklich zum Umfallen. Ich kann nicht höher als im 17. Gang fahren (der dritte von sieben nach meiner Rechnung, weil ich nur das größte Zahnrad vorne verwende), ohne zu spüren, dass es zu anstrengend wird. Den Getränkeeinkauf verschiebe ich also auf einen Zeitpunkt nach Sonnenuntergang.

Der Ventilator leistet jetzt unschätzbare Dienste – das Raumklima ist gleich viel angenehmer, wenn die Luft bewegt wird. Trotzdem fühle ich mich gerade ziemlich erschlagen und lege mich eine Stunde lang hin, während Melanie tatsächlich trotz der sengenden Hitze ins Ito Yôkadô fährt – allerdings mit dem Bus.

24. Juli 2024

Samstag, 24.07.2004 – „Normal“ ist ein subjektiver Begriff

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 15:12

Heute schlägt das Wetter so richtig zu – das Thermometer klettert auf die diesjährige Rekordmarke von 30 Grad Celsius. Und morgen soll sich das noch steigern. Meine Güte, man vergeht hier vor Hitze. Ich weiß auch, dass ich in Deutschland schon heißere Tage erlebt habe, aber die Luftfeuchtigkeit hier haut mich beinahe aus den Latschen.

Ich schlage mir den Tag in der Bibliothek um die Ohren, wo ich ausnahmsweise auf Anhieb einen Platz gefunden habe, während Melanie zusammen mit ihrem Kultur-Seminar irgendein Kraut ernten geht, mit dem man Stoffe indigoblau färben kann. Die Färberei gehört im Anschluss auch mit dazu und Melanie holt sich hübsch blaue Ränder um die Fingernägel, die aussehen wie ungesunde Blutergüsse; als hätte jemand mit einem Hammer drauf geschlagen. Das Tuch, das sie gefärbt hat, wird hinterher allerdings nicht tiefblau, sondern eher olivgrün… was ist da wohl schief gegangen? Würde mich natürlich interessieren, wie sich die Tücher der anderen so verhalten haben.

Ich mache heute insgesamt wohl kaum sehr sinnvolle Dinge, und das Forum bietet heute ein paar interessante Diskussionsmöglichkeiten. Außerdem stelle ich fest, dass der DivX-Player, der sich ja bedingt auf dem Unisystem installieren lässt, seinen Dienst nicht mehr verrichtet. Ich versuche es mit einem Update, und seitdem geht gar nichts mehr. Bei der ersten Installation vor einem halben Jahr habe ich noch ein dutzend Male auf „Fehler ignorieren“ gedrückt und die Filme liefen trotzdem. Jetzt erhalte ich keine Fehlermeldungen mehr, aber das Programm läuft nicht. Also kann ich vorerst keine Filme mehr sehen.

Zum Abendessen kaufe ich Pizza, weil mir gerade danach ist. Die „Half & Half“ Pizza ist gar nicht schlecht, eine Hälfte Thunfisch, eine Hälfte Salami, und ist geschmacklich die beste, die ich in Japan bisher gegessen habe. Ich kaufe noch Extra-Käse dafür. Dabei fällt mir auf, dass man sich auch an japanische Preise gewöhnt, wenn man nur lange genug vor Ort ist. In Deutschland würde ich jedem, der mir eine Pizza aus dem Tiefkühlfach für 3,00 E verkaufen will, den Vogel zeigen, und umgerechnet 4,00 E für 450 Gramm geraspelten Käse würde ich zuhause auch ein starkes Stück nennen.

23. Juli 2024

Freitag, 23.07.2004 – Sie waren sieben…

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

Da mein Referat für heute bereits fertig ist, verbringe ich meine Zeit im Center mit der „Pflege“ meines Postfachs. Ab 12:30 können wir dann für das „Reisseminar“ unsere Handouts kopieren und um 12:40 mit den Kurzvorträgen loslegen. Da wie üblich keiner der erste sein will, mache ich den Vorschlag, ganz einfach ganz links oder ganz rechts anzufangen und die Reihe durchzugehen. Melanie sitzt ganz links und beginnt. Ihre Schwierigkeiten bei der Aussprache des englischen Begriffs „Subsidies“ konnten im Vorhinein zwar nicht gelöst werden, aber dennoch ist es ein solider Vortrag für die Leistungsebene, in der wir uns in diesem Seminar bewegen.
Dann bin ich dran und rede nicht über Reis im Sinne eines Nahrungsmittels, sondern über „Rice“ als Begriff im amerikanischen Englisch und was man daraus machen kann. Schon mal den Begriff „Riced Car“ gehört? Ich auch nicht. Auf Deutsch würde man wohl sagten „Aufgemotzte Karre“, ein Auto mit vielen optischen Extras, die einen aggressiven, sportlichen Look ausmachen sollen. „Spanish Rice“ wäre das genaue Gegenteil – eine alte Schrottkiste, die in Deutschland nie über den TUV käme, aber in den USA in ärmeren Gebieten anzutreffen ist, oft gefahren von Leuten lateinamerikanischer Herkunft, die sich nichts Besseres leisten können. Ich erreiche den gewünschten Unterhaltungseffekt und bleibe von Fragen verschont.
Die übrigen Vorträge halten sich in einem vernünftigen und ernsthaften Rahmen. Interessant fand ich auf jeden Fall, dass die thailändische Version von „Hallo, wie geht’s?“ auf „Heute schon Reis gegessen?“ lautet. Aber angeblich sagt man in Osaka unter Geschäftsleuten ja auch „Heute schon Geld verdient?“

Ogasawara-sensei hat zum Semesterende den Plan gefasst, einen Film vorzuführen. Natürlich nicht, ohne vorher den Unterrichtsstoff zu Ende zu behandeln, was angesichts der Restzeit ihr Vorhaben reichlich obsolet erscheinen lässt. Sie hat „Shall we dance?“ ausgesucht. Es handelt sich dabei um einen Tanzfilm der japanischen Art und ich möchte betonen, dass es sich dabei um ein japanisches Original handelt – der Film mit Richard Geere ist die Kopie. Ein (verheirateter) Geschäftsmann sieht aus seiner S-Bahn heraus eine melancholisch und geheimnisvoll anmutende Frau am Fenster einer Tanzschule stehen und nimmt fortan Tanzunterricht – mit sehr zaghaften und lustigen, wenn auch klischeehaften, Anfängen. Es sind ein paar bekannte Gesichter in dem Film zu sehen, aber erst Takenaka Naoto macht die Angelegenheit so richtig interessant. Könnte die beste Rolle sein, in der ich ihn seit langem (ähem, im Laufe des vergangenen Jahres…) gesehen habe. Aber die Zeit ist leider knapp, wie ich bereits angedeutet habe, und wir bekommen vielleicht etwas mehr als eine halbe Stunde zu sehen, bevor die Unterrichtszeit um ist. Ich bleibe noch ein paar Minuten länger, muss dann aber auch gehen, weil ich erstens noch in mein Postfach sehen möchte und zweitens habe ich heute eine größere Verabredung.

Ich habe bereits letzten Monat für heute ein Tabehôdai im MooMoo angekündigt und warte ab 17:00 dort vor der Tür voller Spannung, wer letztendlich denn wohl kommt. Und in dieser Situation, während ich noch mit meiner Post zu Gange bin, eröffnet mir Valérie, dass in der Nähe der Shimoda Heights I (also dort, wo sie und Irena und Misi wohnen) eine Grillparty stattfinde, wo sich auch eine größere Anzahl der Studenten einfinden werde. Ah, deshalb ist die Zahl der Zusagen mal wieder so gering. Aber vielleicht war die Ankündigungszeit auch zu lang, und außerdem bin ich nicht der geborene Propagandist. Valérie und Misi z.B. pflegen ja viel engere Kontakte zu Austauschstudenten als ich, und von daher könnte meine Ansage schlicht vergessen worden sein. Ach, was soll’s, ich stelle mich einfach mal da hin und warte, wer kommt, und wenn es zu wenige sind (weniger als fünf Personen), dann können wir ja immer noch zur Party gehen.
Schließlich kommen dann Mei, BiRei, Yukiyo, SangSu, Shin und Melanie. Wir sind also zu siebt… eine direkt schicksalhaft anmutende Zahl. Wir beschließen, dennoch zum Yakiniku-Tabehôdai zu gehen und auf die anderen zu pfeifen. Dann stopfen wir uns eben im kleinen Rahmen voll. Shin quengelt zwar, dass keiner der anderen Chinesen da ist, mit denen er sonst immer Kontakt pflegt (ob ihm überhaupt klar ist, dass Mei und BiRei ebenfalls chinesische Staatsbürger sind, weiß ich nicht), aber ich überrede ihn, sich uns dennoch anzuschließen. Er soll ja essen, nicht reden. Der Laden ist weitgehend leer, wie um diese frühe Zeit zu erwarten, bis auf eine Fünfergruppe Schülerinnen, die während unserer Wartezeit bereits hineingegangen war. Wir haben also freie Tischauswahl. Einer natürlichen Regung folgend, suche ich einen Tisch mit Stühlen aus.

Der Spaß geht bereits bei der Getränkeauswahl los. Wir werden uns schnell einig, 200 Yen draufzulegen und ein Softdrink-Nomihôdai einzuschließen – wenn auch nicht einstimmig. Shin weiß entweder nicht, was er will, oder er leidet an mangelnder Kommunikationsfähigkeit. Zuerst fasst er ein alkoholisches Nomihôdai ins Auge, aber das würde seinen Preis auf 3300 Yen hochschrauben, und das ist wohl etwas viel. Dann fragt er nach Bier, und der Kellner, dessen wachsenden Verwirrungsgrad man deutlich erkennen kann, legt ihm Preise und Mengen dar. „Das ist aber teuer!“ bemerkt Shin frei raus, und ich muss mich beherrschen, wegen dieser Unverfrorenheit nicht laut zu lachen. Als er dann zwischen warmem und kaltem Sake schwankt, helfe ich seiner Entscheidung nach und ermuntere ihn, kalten Sake zu trinken, weil das Wetter so heiß ist. Nachdem das geschafft ist, packe ich mir zwei große Tabletts voll mit Fleisch und wir fangen mit dem Essen an.
Ich hätte nie gedacht, dass ausgerechnet ich auf solche Methoden zurückgreifen würde, aber da Shin die ganze Zeit still vor sich hin isst, muss ich ihm die eine oder andere Frage stellen, weil ich glaube, dass er sich sonst ausgeschlossen vorkommt. Er befindet sich hier unter lauter jungen Leuten, von denen ich zwar der älteste bin – aber ich bin immer noch mehr als 15 Jahre jünger als er. Zu meinem Glück springt auch Yukiyo auf diesen Zug auf und ich muss ihn nicht mehr alleine bearbeiten. So bekommen wir heraus, dass er 43 Jahre alt und seit 14 Jahren verheiratet ist, und einen Sohn von 13 Jahren hat. Dass er in Pharmazie promoviert hat, wusste ich immerhin schon. Seine Frau jedenfalls ist Ärztin und befindet sich ebenfalls in Hirosaki, während der Sohn in China bei den Großeltern lebt. Seine Frau ist auch der Grund, warum er die ganze Zeit über im Kaikan wohnen kann. Normalsterbliche Studenten dürfen da nur ein Jahr bleiben (auch Marc bereitet sich auf seinen Auszug vor), aber verheiratete Paare genießen Sonderregelungen. Er ist bereits seit drei Jahren hier und wird wohl noch zwei Jahre bleiben. Außerdem ist rasch zu bemerken, dass er gar kein Fleisch isst, sondern ausschließlich Fisch und andere Meeresfrüchte. Ja, er mache das mit Absicht, er möge kein Fleisch. Ich bin verdutzt und muss mir die Frage stellen, warum er trotz der geringen Auswahl an Meeresfrüchten einer Einladung in ein solches Restaurant folgt, zu einem „Yakiniku Tabehôdai“ – einem „So viel Sie an Grillfleisch in sich reinstopfen können, bevor Sie platzen“ Essen.

Um etwa 19:00 sind wir dann wieder einmal pappsatt. Ich habe drei Tabletts mit Fleisch und eine große Portion Nachspeise verschlungen. Ich werde solche Gelegenheiten in Deutschland wirklich vermissen, wo es leider keine Restaurants gibt, die auf diese Art von Essvergnügen ausgelegt sind. „All you can eat“ gibt es bei uns bestenfalls mal als seltenes Sonderangebot, und die letzten beiden, die ich in den vergangenen 15 Jahren gesehen habe, konnte man im Pizza Hut bestellen – da würde ich wirklich nur essen, wenn man mich einlädt, und auch dann nur ungern. Die Pizza schmeckt nach Seife, weil den Leuten öfters das Gewürzfass mit dem Oregano ausrutscht, und die Portionen sind so klein, dass es sich vom Preis her gar nicht lohnt, dort zu essen.

Wir machen ein paar Erinnerungsfotos und es wird mir bewusster denn je, dass all das bald nichts anderes mehr als Erinnerung sein wird. Volker hat mich vor meiner Abreise nach Japan gefragt, ob mir die letzten Tage in Deutschland nicht irgendwie „unwirklich“ vorkämen. Nein, so kamen sie mir in Deutschland auf jeden Fall nicht vor. Dieses Gefühl befällt mich jetzt. Als ob ich abgesetzt von meinem Körper das Geschehen wie im Fernsehen beobachten würde. Oder als ob ich träumte und mir im selben Moment bewusst wäre, dass der Wecker gleich klingeln müsse. Das trifft es wahrscheinlich am ehesten. Ich fürchte, dass Sebastian Recht haben und ich Japan mehr vermissen könnte, als Deutschland. Aber auch die Zeit vom Oktober 2003 bis zum August 2004 wird niemals den Sommer 1997 toppen können – und den habe ich ganz eindeutig in Deutschland verbracht. Ich betrachte meinen Japanaufenthalt also als die zweitbeste Zeit in meinem bisherigen Leben.

Zwischendurch hat sich der Laden weitgehend gefüllt, sogar der Ersatzraum weiter hinten scheint benutzt zu sein. Rechts hinten neben meiner Position befindet sich eine Gruppe junger Frauen (oder sagen wir besser „Mädchen“), deren Klamotten so „hip“ sind, dass ich davon gleich Augenbluten bekomme, wenn noch einmal eine durch mein Sichtfeld geht. Gleichzeitig sind sie auch so lebendig (sprich: „laut“), dass der ältere Herr am Tisch gegenüber offenbar Ohrenbluten zu bekommen droht und sich dieselben auch mehrfach zuhält. Schließlich gibt er entnervt auf und verlässt das Lokal. Ich fühle mich wenig gestört, da unsere „Nachbarinnen“ für mich nur eine Geräuschkulisse im Hintergrund sind, die ich kaum bewusst wahrnehme.
Um halb Acht bezahlen und gehen wir dann. Wir spalten die Rechnung nach gleichen Teilen auf. Ich zahle alles, um den Geschäftsablauf zu beschleunigen und sammele dann von jedem 1800 Yen ein. Shin gibt mir das Geld und macht dann das, was man wohl einen „französischen Abgang“ nennt – er verschwindet einfach. Draußen sehe ich ihn gerade noch mit seinem Fahrrad um die Ecke biegen. Ich hab’s versucht, aber wenn er nicht will…
Wir übrigen trennen uns an der Tür, bis auf Yukiyo und SangSu, die uns noch auf den Campus begleiten, weil Melanie ja ein neues Fahrrad braucht. Wir trennen uns erst am Physikgebäude, wo Yukiyo in Richtung Nishihiro abbiegt und SangSu schon mal nach Hause fährt, weil er ja keinen Grund hat, auf uns zu warten.

Wir nehmen ein Rad aus dem völlig überwucherten Abstellplatz, prüfen, ob die Technik herhält, was sie herhalten soll, schrauben das Schloss ab und pumpen am „Cycland“ neue Luft in die Reifen. Dort steht immer noch nachts ein Eimer aus, in dem zwei Luftpumpen stehen, und immer noch ist eine davon kaputt. Offenbar hat das noch keiner dem Besitzer mitgeteilt, aber ich habe auch wenig Interesse, das zu tun, weil ja eine Pumpe funktioniert und mehr brauche ich auch nicht.

22. Juli 2024

Donnerstag, 22.07.2004 – Tanzende Mädchen!

Filed under: Japan,Musik,My Life,Uni — 42317 @ 12:20

Nach dem Unterricht gehe ich gleich ins Center und kurz darauf erscheint Kazu. Sie sagt, die Veranstaltung ihrer Oberschule beginne um 10:40. Ich sehe auf die Uhr: „10:30“ sagt die. Ich beende also, was ich gerade schreibe und besteige mein Fahrrad, um zur Bürgerhalle am Rand des Stadtparks zu fahren.
Auf dem Weg verabschiedet sich das rechte Pedal meines Fahrrades. Es ist der Druckkraft meines Körpergewichtes bei der Beschleunigung aus dem Stand nicht gewachsen. Nun ja, ein Rad, das umsonst war, muss wohl auch Nachteile haben. Es scheint, dass der Hauptteil des Pedals, auf dem der Fuß ruht, ein aufsteckbares Plastikteil ist, dessen Halterung offenbar schon ziemlich ausgeleiert ist. Was übrig bleibt, ist ein etwa fünf Zentimeter langer Stumpf. Damit fährt es sich zwar nicht ganz so bequem, aber es ist machbar. Wer hat sich dieses Patent bloß ausgedacht? Wozu soll das gut sein, dass man das Pedal teilweise entfernen kann? Warum nicht einfach ein Metallpedal mit Kugellager, fest installiert und aus einem Stück?
Als nächstes muss ich am Eingang des Parks einem Mittelschüler ausweichen, der es offenbar jenseits jeder Rücksichtnahme eilig hat. Ich kann gerade so vermeiden, in der Hecke zu landen, fange mir aber einen 20 cm langen Kratzer am linken Arm ein, der angesichts der Hitze und des Schweißes leicht zu brennen beginnt. Aber das kann ich in ein Kämmerchen in meinem Hinterkopf sperren. Die große Hitze und die pralle Sonne sind schon schwerer zu ignorieren, von daher bin ich ganz froh, als ich dann endlich in das klimatisierte Gebäude komme. Ich suche mir einen Platz möglichst weit vorne, der es mir erlaubt, die ganze Breite der Bühne auf einem Foto erfassen zu können. Von weiter hinten hätte ich nur eine helle Fläche in der Mitte einer schwarzen Fläche statt einer beleuchteten Bühne in diesem dunklen Raum. Kazu sitzt mit angestrengten Augen da, weil sie ihre Brille vergessen hat. Ich mache einen Scherz und sage, dass es ja auch eigentlich mehr ums hören als ums sehen ginge.
Es handelt sich wohl jeweils um die Mädchen einer ganzen Klasse, weil nie weniger als ein Dutzend davon auf der Bühne stehen. Die Nummern sind modern, die Musik amerikanisch. Es wundert mich direkt, dass nicht die grausigen japanischen Kopien der nicht minder grausigen amerikanischen Originale laufen, also Britney Spears, Jennifer Lopez , Christina Aguilera und Konsorten versus Hamasaki Ayumi, Misia, Utada Hikaru und was weiß ich, wie die alle heißen. Die Hälfte von dem, was ich mitbekomme, gefällt mir zwar auch nicht, aber immerhin ist es besser, die Originale zu spielen, als die noch blasseren japanischen Popkopien. Es läuft aber nicht nur aktuelle Chart-Musik. Auch „Larger than Life“ (ich glaube, das ist von den Backstreet Boys, und es gibt ein tolles Cowboy Bebop Fanvideo dazu) läuft hier zum Beispiel.
Das Publikum ist eigentlich auffälliger als die Darbietungen selbst. Da sitzen ganze Fanclubs (vornehmlich weiblich) in den Reihen, die ihre jeweilige Favoritin anfeuern und es auch während der Auftritte nicht an lautstarken Zurufen mangeln lassen. Direkt vor der Bühne sitzt eine Reihe von Jungs, die an sich das gleiche machen, nur weniger schrill, und sie bringen am Ende jeweils einen Strauß Blumen „an die Frau“.

Nach den Tanznummern, die weitgehend irgendwie alle gleich waren, was Choreografie und Musikstil betrifft, fällt der Vorhang und hinter diesem bereitet sich das Orchester der Schule auf seinen Auftritt vor. Nach knapp zehn Minuten ist der Umbau beendet und es folgt ein Konzert von 40 Minuten. Der Dirigent muss ein beliebter Lehrer sein, weil auch er zu Beginn positive Zurufe aus dem Publikum erhält, als er gerade mit dem Taktstock ausholt. Er lacht und hält den Zeigefinger an die Lippen. In Deutschland würde ich nie erwarten, dass jemand seinen eigenen Lehrer anfeuert. Bei uns scheint man ja eher froh, wenn man „das Pack“ endlich los ist. Ich bin eigentlich kein großer Fan von Blasorchestern (zum Leidwesen meines Großvaters), aber die Jungs und Mädchen da unten sind zumindest nicht schlecht, soweit ich das beurteilen kann. Zumindest sind sie besser als die MusikerInnen der Oberschule in unserer Nachbarschaft in Nakano, deren Bemühungen wir seit Ende der Winterpause wieder jedes Wochenende bewundern dürfen.
Kazu erzählt, dass morgen ein regionaler Wettbewerb solcher Schulorchester stattfinde und bedauert, dass die hier anwesenden Musiker wegen des heutigen Festes keine Zeit zum Üben hätten. Allerdings muss ich mich dann auch fragen, ob das Konzert hier denn keine Übung ist?

Nach dem Konzert ist die Sache auch schon gelaufen, aber wir bleiben noch eine halbe Stunde sitzen, weil es hier so schön kühl ist. Dann gehen wir zum Ausgang. Offenbar war das Timing gut, weil Kazu plötzlich von einer Gruppe Schülerinnen lautstark begrüßt wird. Im ersten Moment habe ich damit gerechnet, einen Gehörsturz zu erleiden. Dasselbe wiederholt sich, wenn auch in geringerem Maße und nicht mehr ganz so laut, noch mehrere Male. Ich sagte ja bereits, dass sie offenbar niemand Unbekanntes ist. Der letzten Gruppe werde ich auch vorgestellt und aufgefordert, meine Meinung über die Show zu sagen. Ich möchte beinahe vermuten, dass Kazu mich hier auf die Probe stellen will, da ich während unserer „Ruhezeit“ nach dem Ende der Veranstaltung zwar die gründliche Vorbereitung gelobt, aber die roboterhafte Ausführung bemängelt hatte. Ich wiederhole, was ich über die Vorbereitung bereits gesagt habe und halte mich mit dem Rest bedeckt. Ich kann ihnen ja schlecht ins Gesicht sagen, dass sie mit der Ausdruckskraft eines C3PO tanzen, als ob sie an Fäden hängen würden. Also lobe ich die bewundernswerten Bemühungen, die man ja wirklich sehen konnte. Und dennoch, meine Güte, machen die fünf Mädchen Gesichter, als ob sie gleich weglaufen und sich im nächsten Mauseloch verstecken wollten! He – ich habe gesagt: „Ihr habt Euch sehr gut vorbereitet und ich finde das toll“, und nicht „Ich schlepp Euch zu mir nach Hause und esse Euch zum Nachtisch!“ Sehe ich so besorgniserregend aus?
Kazu sucht noch einen der Lehrer, weil sie ein paar Worte mit ihm reden möchte. Allerdings scheint er vom Erdboden verschluckt und keiner kann ihr sagen, wo er hingegangen sein könnte. Wir kehren also zur Universität zurück.

Im Center übertrage ich gleich meine (wenigen) neuen Bilder auf den Computer, und danach besteht der Tag eigentlich nur noch aus Pause. Es ist mir kaum möglich, konzentriert an etwas zu arbeiten. Erstens ist es viel zu heiß und zweitens ist irgendeinem verantwortlichen Trottel eingefallen, den Haupteingang unseres Gebäudes ausgerechnet ab Beginn der Klausurenphase restaurieren zu lassen. In den vergangenen Tagen ist da ein schweres Arbeitskommando angerückt, das mit kleinen Baggern, Schleifmaschinen, Metallfräsen und Presslufthämmern zu Gange ist. Der entsprechende Abschnitt wird offenbar komplett entkernt und neu gemacht! Sind die nicht ganz bei Trost? Warum machen die das jetzt und nicht erst nach dem 30. Juli, wenn alle Klausuren geschrieben sind und man keinen mehr stören kann? Die Fensterwand des Ryûgakusei Centers liegt genau im Schallbereich der Baustelle. Das finde ich ganz toll… Die Bibliothek dürfte ja wegen der anstehenden Hausarbeiten voll sein, also brauche ich da auch nicht hinzugehen. Außerdem liegt auch die Bibliothek im Einwirkungsbereich der Baustelle, nur eben vor dem Eingang, anstatt dahinter. Und zusätzlich hat man in der Bücherei die Wahl, entweder wegen des Lärms die Fenster zu schließen und vor Hitze und Menschengeruch zu vergehen, oder aber die Fenster zu öffnen, sich den Schmalz aus den Ohren hämmern zu lassen, dafür aber frische Luft zu haben.