Code Alpha

Aus dem noch unerforschten Inneren meines Schädels

22. September 2009

Von Nagaoka und unsichtbaren Panzern

Filed under: Japan,Militaria,My Life — 42317 @ 18:39

Ein großes Wochenende hätte es sein können, der 19. und der 20. September. Zum einen sollte Freitag auf Samstag das Nagaoka Festival unter dem Titel “Konstantin lädt ein” stattfinden, zum anderen hatte die Wehrtechnische Dienststelle (WTD 41) gegenüber Kürenz für Samstag und Sonntag “Tage der Information” angekündigt, und ich habe bereits vier Jahre gewartet, dass sich ein solches Ereignis wiederholen würde.

Am Samstag Morgen um 1015 stand ich an der Bushaltestelle vor meinem Haus, um in den Bus Richtung Avelertal zu steigen. Irgendwas gefiel mir an der Art, wie das Sonnenlicht auf die Hausseite traf und wie sich dieses Bild durch die sich verfärbenden Bäume an der Haltestelle darstellte. Ich nahm die Kamera aus der Hosentasche, um ein Foto zu machen, hatte auf dem Bildschirm allerdings das Gefühl, durch eine Jalousie zu schauen – was ist da los?

Ein Blick auf das Objektiv der Kamera zeigte mir, dass die obere Hälfte der Blende, die als Staub- und Kratzschutz vor der Linse fungiert, aus ihrer Führungsrille gesprungen war und sich nicht mehr öffnen ließ. Scheinbar bin ich in den vergangenen Tagen bei irgendeiner Gelegenheit mit irgendeiner Kante – möglicherweise ein Teppichstapel – genau daraufgestoßen.
Es stellte sich schnell heraus, dass weder meine Fähigkeiten noch das mir in jenem Moment zur Verfügung stehende Werkzeug den Schaden beheben können würde.

Dennoch fuhr ich zu dem Parkplatz am Avelertal und nahm den Shuttleservice der WTD in Anspruch, sowie einen Flyer entgegen, der mir einen Überblick über das Programm verschaffte.
Ich sah mir eine Teststrecke an, auf der Fahrwerke unter kontrollierten Bedingungen auf ihre Geländefähigkeit überprüft werden können. Sie besteht aus fünf Betonfahrspuren mit verschieden hohen Erhebungen, und eine Zahl von Ketten- und Radfahrzeugen fuhr unter den Kommentaren eines Ansagers immer wieder darüber hinweg, darunter ein Dingo Geländefahrzeug, ein Zehntonner LKW, ein Leo2 und eine Panzerhaubitze 2000.

Die Ausstellung der historischen Fahrzeuge war ein wenig gewachsen. Wie beim letzten Mal fanden sich auch an diesem Wochenende ein JgPz I (etwa 2 m hoch, halb offene Kuppel, mit 47 mm PaK), eine “Hummel” Selbstfahrlafette mit 150 mm Kanone, ein Pz III (Flamm), ein Pz V “Panther”, ein M5A1 “Stuart”, und ein sowjetischer T-34/85. Neu dazugekommen waren der Bergepanzer auf dem Fahrwerk des Pz IV (Bj. 1941) und der Jagdpanther. Beeindruckendes Gerät.

Auf dem Hof mit den Radfahrzeugen befand sich ein moderner Funktrupp auf einem 7,5t LKW, und daneben das dazugehörige Aggregat, das heutzutage scheinbar ebensoviel Platz braucht. Zu meiner Zeit war das auf einem Anhänger untergebracht, heute braucht sowas scheinbar ein eigenes Fahrzeug. Aber dieser SatTrupp ist technisch auch umfangreicher als mein alter Kilowatt-Trupp.
Der Feldwebel und der Hauptgefreite hier hatten keine Stabantenne mehr, sondern eine 4,5 m Satellitenschüssel, sie verwendeten auch keinen FS-200 Fernschreiber, sondern einen Desktop PC, dem entsprechend auch keine Lochstreifen mehr, sondern E-Mail. Der SatTrupp ist wohl seit 2001 im Einsatz.

Ich unterhielt mich mit den beiden eine Weile und kam zu dem Schluss, dass sich an der Gesprächskultur der Bundeswehr nichts geändert hat. Nein, ich meine nicht die Dreifaltigkeit von Frauen, Autos und Fußball. Vielmehr unterhielten wir uns über den Leistungsmangel des Bundeswehrmaterials gegenüber dem nicht-militärischen Äquivalent, die unverschämt höheren Preise dieser qualitativ eingeschränkten Versionen, die mangelnde Anpassungsfähigkeit des Materials im Allgemeinen an die sich verändernden Aufgaben der Bundeswehr, und die Realitätsferne mancher Beschaffungsaufträge. Der Feldwebel wies an einer Stelle mit dem Daumen in Richtung der Kettenfahrzeuge im Hof nebenan und erwähnte den dort aufgestellten Marder mit Wüstentarn als Beispiel:
“Dem seine Tarnung ist nicht aufgepinselt, sondern besteht aus einem Plastiküberzug, dessen Einzelteile mit Klettverschlüssen zusammengehalten werden.” Sicherlich flexibler als ein klassischer Tarnanstrich, und muss, anders als Farbdosen und Pinsel, auch nicht immer wieder neu gekauft werden, aber “wenn das Ding mal zu dicht an einem Baum vorbeifährt, reißt es den Überzug runter und das Ding ist wieder grün.” Und je nach Situation möchte oder kann man vielleicht nicht sofort aussteigen, um den Missstand zu korrigieren.

Danach stattete ich dem Sozialdienst der Bundeswehr und dem natürlich anwesenden Wehrdienstberater einen Besuch ab, denn ich wollte ja gern ein oder zwei Kissen haben, wie sie in BW Kasernen verwendet werden. Darauf liege ich mir meine Schulter nachts nicht zu Mus. Das heißt, im Sommer habe ich keine Probleme, aber im Winter spüre ich mein Schultergelenk nachts ganz deutlich, was erst besser wird, wenn es nach dem Aufstehen irgendwann warm geworden ist.
Aber von den Anwesenden konnte mir keiner sagen, wie ich da rankommen könnte, und man empfahl mir, mich direkt an die Truppe zu wenden.

Vom Sozialdienst bekam ich einen Katalog mit Urlaubsangeboten, wo ich als Mitglied 10 % Preisnachlass erhalten könne, aber ich habe meine Mitgliedschaft im Bundeswehrverband noch zu gut schlecht in Erinnerung, wo man mich ebenfalls mit Rabattangeboten hinlockte – und ich nach Inspektion der entsprechenden Läden feststellte, dass es sich um kleine Einzelhändler handelte, die trotz (5 %) Rabatt in ihren Preisen von großen Fachmärkten wie MediaMarkt, Blitz, oder ProMarkt locker unterboten wurden.

Ich kam nicht umhin, dem Oberleutnant von der Wehrdienstberatung meine Erfahrungen mit seinem Metier zu schildern, und er beteuerte, dass das heute ganz anders gemacht werde, dass er umfassend informiere, und nicht nur Fragen beantworte, die man ihm auch stelle… denn es hätte mich schon gefreut, damals, 1997, zu erfahren, dass man als Soldat auf Zeit gleich voll bezahlt wird… meine Unterschrift unter den W10+13 “W-Flex” Vertrag hat der Bundeswehr letztendlich 17000 Mark an Löhnung gespart, die ich in den ersten 11 Monaten bekommen hätte, wenn ich statt verlängertem Wehrdienst gleich SaZ-2 gewählt hätte, was damals, nach meinem Wissen, in der Mannschaftslaufbahn möglich war.

Zum Abschied kriegte ich insgesamt den eben genannten Katalog, zwei Kugelschreiber, zwei Schlüsselbänder, und ein Mousepad mit 3D-Effekt.

Die Frustration über die verflossene Möglichkeit, Fotos und Videos zu machen, färbte deutlich auf meine Laune ab. Ich verließ das Gelände wieder, ohne mir das Panzertauchen mit Notausstieg unter Wasser, oder das übliche Zerquetschen von Schrottautos anzusehen. Ich wollte versuchen, in der Stadt einen Laden zu finden, der die Kamera aufschrauben und in Ordnung bringen konnte.

Nach einem Besuch entsprechender Läden stand eines fest:
“Das könne ma net hier mache, das müsse ma einschicke.”
Wunderschön, ich brauche die Kamera aber heute! Jetzt! Sofort!
Nix is. Wieder mal ein leckeres Stück Pustekuchen.
Als ich aus dem letzten Laden kam, war ich nahe daran, die Knipse auf den Bürgersteig zu klatschen. Aber ich lasse es. Erstens waren noch 2 GB Extraspeicher drin, und zweitens bestand ja die Möglichkeit, dass ich für den Reparaturpreis plus ein paar Kröten mehr noch keine neue Kamera kriege.

Wenn ich schon mal da war, dann blieb ich auch hier und sah mir das Nagaoka Festival an. Immerhin hatte ich mich mit fünf Bildern an dem von der City-Initiative ausgeschriebenen Fotowettbewerb beteiligt, und wollte gerne sehen, was andere Leute beigesteuert hatten. Ich ging an der Bühne am Hauptmarkt vorbei, wo eine Karate-Vorführung zu sehen war, und ging gleich in das Zelt auf dem Domfreihof. Im Zelt war es trotz der Eingangsöffnung von 2,5 auf drei Metern unangenehm wärmer und schwüler als draußen, und ich wurde das Gefühl nicht los, dass das Zelt oder irgendein Bestandteil davon nach Pferd roch. Ich habe nichts gegen Pferdegeruch, ich empfinde das nicht als störend, aber es war doch auffällig.
In dem Zelt traf ich auch Kolleginnen von “Trier spielt” wieder und helfe ein bisschen beim Origamifalten. Nicht, dass ich viel davon verstehen würde, aber die Bastelanleitungen aus dem entsprechenden Buch erschienen mir nachvollziehbarer als der frustrierten Bastlerin.

Ich sah mir die vorhandenen Fotos für den Wettbewerb an und schätzte, dass es sich etwa um 50 handelte, was bedeutet, dass meine Freundin und meine Wenigkeit für schätzungsweise 20 % der Ausstellung gesorgt hatten. Die meisten Bilder waren das, was ich nicht sehen wollte, nämlich wunderhübsche Klischeebilder. Da sind Gartenanlagen, Tempeltore, Schreine, Kirschblüten, und eine Maiko (Geisha in Ausbildung) oder allgemein weibliche Menschen im Kimono. Wenig klischeehaft sind nur wenige Bilder, wie das eines mir bekannten, verklärt wirkenden Studenten unter einer Leuchtreklame, die sich “Yume (nozomi)” (“Träume (Wünsche)”) liest. Ein gutes Bild nach meinem Ermessen, aber sein wie auch mein Übel an diesem Wettbewerb ist, dass jeder Besucher, der teilnehmen will, ein Lieblingsbild auswählen darf, das heißt in erster Linie Leute, die keine Ahnung vom Thema haben. Die wählen natürlich die schönen Klischeebilder, und nicht solche, die davon abweichen oder eben solche, deren dargestellten Text man mangels Sprachkenntnis nicht lesen kann. Die Kollegin von “Trier spielt” konnte mit dem Bild von dem Schrottauto, das ich eingereicht habe, auch nichts anfangen, bis ich es ihr erklärt hatte.

Schrott

Das Foto wurde von mir im März 2004 in einem ausgewiesenen Naturschutzgebiet ein paar Kilometer südlich von Hirosaki aufgenommen. Es ist anscheinend üblich, dass Bauern, die überall ihre Apfelbäume pflanzen und pflegen, ihre alten Autos nicht verschrotten, sondern als Schuppenersatz auf die Plantage stellen, um darin Werkzeug zu lagern, das sie für die Apfelzucht brauchen. Einige dieser Autos, wie das beschriebene, befinden sich in einem bereits fortgeschrittenen Stadium der Zersetzung, werden aber dennoch nicht entsorgt – wohl angesichts der damit verbundenen Kosten.
Unter dem rechten Vorderrad des dargestellten Wagens befand sich als Stütze eine Autobatterie, die ebenso alt wie der Wagen sein dürfte. Aus dieser Batterie lief alles mögliche aus (was auch immer außer Säure da drin sein mag), was in der kleinen Vertiefung eine widerliche schwarze Schlacke gebildet hatte.
Das Bild soll ausdrücken, dass Japaner zwar ein ästhetisches Umweltbewusstsein haben, was man an der effizienten Landschaftspflege und am künstlerischen Gartenbau sehen kann, dass es ihnen aber an Umweltschutzbewusstsein noch sehr mangelt. Das Foto soll einen bewussten Contrapunkt zu den anderen Darstellungen bilden, von denen mir völlig klar war, dass sie auftauchen würden.

Ein weiteres schönes Bild war wohl der Teich, mit dem ich was über scheinbare Oberflächlichkeit und faktische kulturelle Tiefe sagen wollte… aber das wäre bestenfalls einer Expertenjury aufgefallen, denn leider war es nicht möglich, einen erklärenden Text mit dazu abzugeben. Den hätte ich in das Bild drucken müssen, und das habe ich erst erfahren, als ich die fertigen Ausdrucke abgab.

Ich wechselte von den Fotos zum Tisch in der Mitte und ignorierte dabei den Aikido Verein am Fußende des Zelts. Ich redete ein bisschen mit der Fachschaftsvertretung, deren Namen ich zwar vergessen habe, deren Gesichter ich aber immerhin wiedererkenne. Die Besucherfragen sind typisch und die Antworten eingeübt: “Japanisch ist doch sicher schwer? Und was macht man dann damit?” Ich empfehle jedem Japanologen, und denen, die es werden wollen, sich so schnell wie möglich Antworten auf diese Fragen zu überlegen, denn man wird immer wieder von verschiedenen Seiten aus damit gelöchert.

Von der Fachschaft wechselte ich zum Herrn Uchita und stellte dort meine mangelnde Begabung für Kalligrafie unter Beweis. Das interessante Wechselspiel von breiten und dünnen Strichen, das sich zwangsweise aus der Form des Pinsels ergibt, rettet meine infantile Pinselschrift auch nicht.
Die freiwillige Aufgabe des Herrn Uchita, der sich in seiner Freizeit nicht nur mit moderner, sondern auch altertümlicher Kalligrafie beschäftigt, bestand darin, vorbeiwandernde Besucher dazu einzuladen, ihren Namen mit dem genannten Pinsel in Katakana zu schreiben, und wenn ihm was originelles einfiel, steuerte er auch noch eine Kanjischreibung bei.

Da kam zum Beispiel ein Mädchen mit Mutter vorbei. Herr Uchita komplimentierte sie auf die Sitzbank und forderte sie auf, ihren Namen zunächst auf Deutsch auf das Blatt zuschreiben.
Katharina.
Dann zeigte er ihr die korrespondierenden Katakana in der Liste, und Katharina wurde zu
????.
Das heißt, sie schrieb im ersten Versuch, während ich die Strichreihenfolge erklärte.
Uchita schrieb dann die schöne Variante, und die junge Kundin schließlich eine deutlich verbesserte eigene.
Da er wohl eine Eingebung hatte, steuerte er noch eine Kanjischreibung hinzu:
????.
Diese Version liest sich ebenso wie der ursprüngliche Name. An den Schriftzeichen kann man dann eine von der deutschen Ethymologie (gr. “katharos” = “die Reine/Aufrichtige”) abweichende Bedeutung festmachen:
? = mehr
? = viel
? = Heimat
? = (alter Fragepartikel ohne Bedeutung, etwa “Was” oder “Wie”)
Ich bot als Interpretation an “Zuhause ist es am schönsten” an, und damit waren alle zufrieden.

Ich hatte schon fast vergessen, wie viel Lob ein einzelner Japaner in kürzester Zeit zu äußern im Stande ist, Herr Uchita sprudelte über davon. Meisterwerke habe ich bei der Handvoll von Schreibern nicht im Ansatz gesehen, aber schließlich machen diese Leute das auch zum ersten Mal und ich halte es für deutlich, dass Kinder mehr Geschick an den Tag legen, als Erwachsene, was mit ihrer größeren Übung im Malen zusammenhängen könnte. Von den Erwachsenen zeigte eine Innenarchitektin mehr Begabung als der Durchschnitt, wohl aus einem ganz ähnlichen Grund.

Etwa an dieser Stelle sah ich Peter und Marco vom Animeclub (plus eines weiteren Bekannten, der wohl ebenfalls dazugehört, mir aber nicht weiter vorgestellt wurde – nennen wir ihn X) und wanderte mit denen durch die Innenstadt, auf der Suche nach interessanten Dingen. Ganz klar zu beobachten war, dass sich die Anzahl der anwesenden Japaner sehr in Grenzen hielt. Ich hätte wegen der Vielzahl japanischer Firmen in Luxemburg mit mehr gerechnet, aber vermutlich drückten die sich alle in dem großen JTI (Japan Tobacco Industries) Zelt an den Kaiserthermen rum. Das knappe Dutzend Japaner, an die ich mich erinnern kann, bestand zum geringeren Teil aus Austauschstudenten, die als Besucher da sind, und zum größeren Teil aus freiwilligen Helfern an den Fressbuden, die es natürlich auch hier geben muss.

Auch hier wurden Klischees eingehalten: Es gab Frühlingsrollen und Misosuppe. Dabei sind mir Frühlingsrollen in Japan nicht dauerhaft im Gedächtnis geblieben. Gyôza schon eher (chinesische Ravioli?). Auf Sushi hatte man vermutlich wegen der fehlenden Kühlmöglichkeiten und den abschreckenden Preisen verzichtet. Aber wo waren die Yakisoba? Wo die so genannten “Frankfurter” Würste und Bananen mit Schokoüberzug am Stiel? Wo waren die Süßkartoffeln? Wo die Takoyakibällchen, und Ikayaki, der gegrillte Tintenfisch? Ramen und o-Nigiri waren ebenfalls abwesend. Mir fehlte hier so viel, dass ich darüber völlig vergaß, was es eigentlich in der Tat zu essen gab. Außer Misosuppe und Frühlingsrollen. Ich habe aber sicher auch so einiges übersehen, Augenzeugen mögen mich also bitte korrigieren, falls notwendig.

Abgesehen vom Zelt vorm Dom handelte es sich hier um eine für mich leider völlig uninteressante Veranstaltung. Das breit angekündigte “japanische Feuerwerk” am Abend könnte für mich nicht unbedeutender sein. Auf dem Kornmarktplatz war allerdings für 15 Uhr eine japanische Geigerin angekündigt, und weil X auf Geigenmusik steht, gingen wir halt hin. Ihr Name wurde in der Broschüre transkribiert als “Ruri Takitsawa… soso… ist mir die Existenz einer Silbe “tsa” bislang entgangen, oder hat da jemand in Unkenntnis den mir bekannten Namen “Takizawa” verunstaltet?
Der Ansager der kleinen Bühne hat es jedenfalls nicht gebacken bekommen, den Namen vorher zu üben, oder zu fragen, wie man ihn denn ausspricht, denn er braucht drei Versuche, bis er es durch Zuruf der Geigerin hinbekommt. Sie komme aus Yokohama, sagt er dann, und sei zwölf Jahre alt.
Das muss aber ein Talent sein, wenn man die extra aus Yokohama herbestellt!

Dummer Gedanke! Diese von Spenden getragene Veranstaltung verfügt gar nicht über die Mittel, echte Talente vom anderen Ende des Planeten einzufliegen. Ich ging also eher davon aus, dass die junge Dame auf dem Weg nach Trier den Umweg über Düsseldorf genommen hat, dass sie also möglicherweise in Yokohama geboren ist, aber derzeit in Düsseldorf lebt und irgendwie in diese Veranstaltung hineinbeschwatzt wurde.
Frl. Takizawa fiedelte in ihrem blauen Kimono also erst mal zwei klassische Stücke, bevor sie nach höchstens mal zehn Minuten eine Pause machte. Vielleicht war das aber auch notwendig, um dem lokalen Karnevalsverein (in friederizianischen Trachten) den singenden und klingenden Abmarsch zum Hauptmarkt zu ermöglichen, ohne, dass sich das Klangprogramm biss.
Ich muss allerdings über die Geigerin sagen, dass ich mich bereits nachdem sie zwei Takte gespielt hatte, nicht des Gedankens erwehren konnte, schon lange nicht mehr eine so durchschnittliche Leistung auf einer Violine gehört zu haben. Aber wen wundert’s? Die Solistin ist 12 Jahre alt und sie spielt exakt auf der Qualitätsstufe, die man von einem normalen und durchschnittlich begabten zwölf Jahre alten Kind erwarten kann. Nicht mehr. Warum sie öffentlich auftritt oder dazu ermuntert wurde, ist mir ein Rätsel. Was mir bleibt, ist der Respekt davor, dass sie sich traut, vor Publikum zu spielen. Zum letzten Mal hatte ich dieses Gefühl so stark, als ich vor zehn Jahren die Tanz- und Gesangsvorstellung stark übergewichtiger Sailor Senshi erlebte, die weder singen noch tanzen konnten.

Was machen wir als nächstes? Meine drei Begleiter wollten sich eine scharfe Currywurst geben und gingen in die Fressecke dieser vor etwas mehr als einem Jahr neu eröffneten Einkaufsgalerie in der Fußgängerzone. Die Wurst, bzw. die Soße dazu, gibt es dort in zehn Schärfegraden, wenn ich mich nicht irre; interessant wird das Ganze ab Stufe vier, und Stufe sechs ist schon nichts mehr für den Normalbürger. Stufe sechs gibt es erst “ab 18”, und höhere Stufen erhält man nur mit “Schärfepass”, einem Stück Glanzpapier, das einer Rabattkarte nicht unähnlich ist. Man erhält darin Stempel zur Dokumentation der bereits erreichten Stufen, und erst, wenn man einen Stempel für die Sechs erhalten hat, wird einem die Sieben oder höhere verkauft. Zum Mundspülen wird Hochwaldmilch angeboten, weil Wasser ja die ganz falsche Wahl wäre.

Viele Leute – in erster Linie männliche Testosteronsklaven, wie ich annehme – essen sowas als Mutprobe, wie ich höre, andere loben den Geschmack, obwohl das nur wenige sind. Ich habe von einigen Besuchern Kommentare gelesen, die die Wurst als bestenfalls durchschnittlich bezeichnen, während die Soße lediglich mit irgendeinem Konzentrat aufgemotzt wird, was sie zwar scharf mache, den Geschmack aber in den Hintergrund treten lasse.
Meine Männlichkeit braucht jedenfalls keine scharfe Wurstsoße zur Selbstbestätigung, von daher lehnte ich die angebotenen Stückchen dankend ab. Erstens bin ich kein Fan von Currywurst, und zweitens hatte ich nichts im Bauch. Auf nüchternen Magen eine sehr scharfe Soße zu essen, würde meine Magenschleimhaut nicht schätzen, und da steh ich nicht so drauf. Ich werde vielleicht irgendwann mal zum Einstieg eine Vier und eine Fünf essen, aber nicht auf leeren Magen.

Ich konnte Peter dafür gewinnen, sich im Anschluss die Panzer ebenfalls anzusehen. Er hatte am Tag darauf keine Zeit, und ich bedauerte es doch irgendwie, die Rundfahrt durchs Gelände nicht gemacht zu haben, also setzten wir uns in den Bus, der wegen einer NPD-Kundgebung an der Porta und der obligatorischen Antifa-Gegenveranstaltung am gleichen Ort einen Umweg fahren musste.
“Arbeit zuerst für Deutsche!”
Ja, was sind denn Deutsche? Sind das blond-blauäugige Mustermänner und -frauen aus Adolfs Märchenbuch? Oder sind das Leute mit einem einwandfrei deutschen Pass? Da die NPD und ihre Spießgesellen in konstruierten ethnischen Kategorien denken, wird die zweite Variante wohl flachfallen.
Rhetorisch ungeschickt aber auch die gegenüberliegende Ecke.
“Reichtum für alle!” sagt das erste Plakat der LINKEN.
“Reichtum stärker besteuern!” sagt das zweite.

Ich kam mit Peter um 1630 in der WTD an, reichlich spät, bedenkt man, dass die Jungs um 1700 Feierabend machen wollen. Wir schauten uns den Rest der Hundevorführung an, gingen dann aber gleich auf die Panzerbahn, wo die übliche Schlange vorm Podium stand. Wir warteten etwa 15 Minuten, bis wir dran waren (mit neun anderen), in dem Leo2 Chassis eine schnelle Runde zu drehen. Besser als eine Achterbahn, auf ihre Weise, und das völlig umsonst. Das Vehikel bringt es nur auf 70 km/h, schaukelt aber schön und fliegt auch schon mal von einer Kuppe zur nächsten.

Danach sahen wir uns in aller Ruhe die ausgestellten Fahrzeuge an und verließen um kurz nach halb sechs das Gelände. Nach unten versagte der Fahrdienst leider völlig, da musste man zu Fuß gehen.
Es sind über 250 Betonplatten bis zur Hauptstraße, und pro Platte benötige ich vier bis fünf Schritte, je nach Grad der Straßensteigung. An der Stelle “rettete” uns allerdings Sönke, der nach einer Verabredung in Luxemburg heute nicht mehr rechtzeitig kommen konnte. Er ließ Peter an der Bushaltestelle raus und nahm mich mit vor die Hautür, wo ich allerdings feststellte, dass ich vergessen hatte, dass ich noch einkaufen muss. Also in den nächsten Bus und Richtung Bahnhof gefahren.

Dabei musste irgendwas mit meiner Zeitwahrnehmung schiefgegangen sein: Ich denke, zwischen Peters Aussteigen aus dem PKW und meinem Einsteigen in den Bus konnten keine zehn Minuten vergangen sein; als ich dann fünf bis zehn weitere Minuten später wieder an ihm vorbeifuhr, hatte er bereits die ganze Strecke bis zur ATU Zweigstelle zurückgelegt, in schätzungsweise etwas mehr als einer Viertelstunde. Er ist entweder besser zu Fuß, als man ihm ansieht, oder ich habe mich irgendwo zeitlich verschätzt.

Zu guter Letzt war es ein interessanter Samstag, wenn auch im Hinblick auf meine Kamera kein besonders guter. Ich muss die Woche also mal zu MediaMarkt tigern und mich erkundigen, was ich für eine Reparatur löhnen muss, und der Gedanke ist mir von Haus aus unangenehm.
Und wenn ich mir die Sache hier so ansehe, könnte ich auch eine neue Schreibtischlampe gebrauchen.

Schreibe einen Kommentar