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Aus dem noch unerforschten Inneren meines Schädels

23. Januar 2024

Freitag, 23.01.2004 – Strategischer Einkauf

Filed under: Filme,Japan,My Life — 42317 @ 7:00

Heute gibt es neues Geld und ich wende 20.400 Yen davon dafür auf, mir einen Kanjitank mitsamt Schutztasche zu kaufen. Ricci hat den PW-9100 von SHARP empfohlen und Nora ein Modell von CASIO. Ich entscheide mich für den SHARP PW-9800. In erster Linie wegen des Angebotspreises von 20.000 Yen, das sind 6.000 Yen weniger als der aktuelle Neupreis des Gerätes. Ich rausche ins Daiei und finde dort nur noch das Ausstellungsmodell vor, der gesamte Restbestand ist bereits weg. Das würde ich Glück nennen. Vor allem bekomme ich das Ausstellungsstück für 1000 Yen weniger. Für 1400 Yen kommt noch eine Schutztasche dazu und die Sache ist perfekt.

Um für alle Nicht-Japanologen zu erläutern, was ein Kanjitank ist, erläutere ich kurz die Eigenschaften des Gerätes. Es handelt sich um ein elektronisches Wörterbuch von der Größe eines luxuriösen Taschenrechners, aufklappbar, wobei der obere Teil der Bildschirm ist, von dem man die gewünschten Informationen abliest. Aber welche Informationen hat der Tank zu bieten? Man könnte hierzu die 214 Seiten starke Anleitung zu Rate ziehen, aber das Gerät ist, ein wenig japanische Lesefähigkeit vorausgesetzt, weitgehend selbsterklärend.

Im Datenspeicher befinden sich 33 Lexika verschiedener Art, darunter

  • Japanisch-Englisch
  • Englisch-Japanisch
  • Englisch-Englisch (in Form des „Oxford Advanced Learner’s Dictionary“ mit Stand 2000, was das Gerät auch für die Anglistik ganz brauchbar macht)
  • ein Bungo Lexikon (falls man sich mit klassischem Japanisch beschäftigt)
  • ein Katakana Lexikon (für japanisierte Fremdwörter)
  • ein Kanjilexikon (falls man eine Lesung nachschlagen muss)
  • ein Kommunikationslexikon für Geschäftsleute (sowohl jap.-engl. als auch engl.-jap.)
  • ein Speziallexikon für Computerterminologie
  • ein Speziallexikon mit neueren Begriffen (wie z.B. „BSE“) mit Stand 2002, unterteilt nach Themen wie „Sport“, „Gesellschaft“, „Wissenschaft“ und „Kultur“
  • ein medizinisches Lexikon mit Erklärungen zu Symptomen, Krankheiten, Lebensmitteln
  • ein Anatomielexikon, in dem man den Aufbau des Körpers (mit Bildern!) nachvollziehen kann, inklusive der wichtigsten Organe, Blutgefässe, Nervenbahnen, Gehirnregionen usw.
  • ein Reiselexikon, das alle möglichen Situationen vom Flughafen bis zu Restaurants und Hotels einschließt, inklusive allerlei Fragen, Wünsche und Beschwerden
  • Speiselexika mit Erklärungen zu verschiedenen landeseigenen Gerichten in Englisch, Italienisch, Französisch, Spanisch, Deutsch, Koreanisch und Chinesisch

Ich habe das deutsche Lexikon in dieser Sparte einmal durchgesehen und fand Erläuterungen zum Aufbau einer Speisekarte, Begriffe wie „Menü“, „Vor-“, „Haupt-“ und „Nachspeise“ erklärt werden. Es gibt Glossare zum Thema Bier, Wein, Fleisch, Fisch, Gemüse, Desserts, und auch Beschwerdetermini, wie man z.B. eine kalte Suppe wieder zurück in die Küche schickt und dabei den Anforderungen der Höflichkeit gerecht bleibt.

Von einigen der als deutsch aufgeführten Gerichte habe ich allerdings noch nie gehört oder habe sie nie gegessen. Z.B. „Räucherlachs mit Meerrettich“, „Riesengarnele mit Kräutersoße und Butterreis“, „Birne Helene“ oder „Strammer Max“ (offenbar eine Art Käsetoast). Natürlich stehen da nur kurze Beschreibungen und keine ganzen Rezepte.

In dieser kleinen Maschine findet man so viele Sachen, dass ich wohl nie die Möglichkeit haben werde, alles davon ausschöpfen zu können. Und angetrieben wird das Ding von gewöhnlichen Batterien, also keine überteuerte Knopfzelle oder ähnlicher Unsinn. Dann also: Auf gute Zusammenarbeit.

Nach dem Unterricht von Ogasawara-sensei gehe ich in die Bibliothek, schreibe einen Bericht und kümmere mich um meine Post. Vor einigen Tagen habe ich eine Anfrage an die Gemeinde Gersheim geschrieben, ob man mir Tipps geben könne, wie ich möglich kostengünstig heizen kann. Die Anfrage wurde auf die Ämtern eigene, kuriose Weise beantwortet: Die Gemeinde Gersheim verwies mich gleich ganz nach oben an das Bundesumweltministerium. Ich schilderte auch denen meine Situation, von wegen Japan und Ölheizung und Größe der Fensterflächen. Als Antwort bekam ich eine Weiterleitung an eine sechste Person, die die Ausführungen zu meiner Situation überhaupt nicht gelesen zu haben schien: Der oder die Sachverständige (an der Sinnigkeit dieser Bezeichnung in diesem Kontext bestehen Zweifel meinerseits) forderte mich dazu auf, meine Räumlichkeiten und vor allem die Fenster auf Euronorm XYZ-Hastdunichtgesehen umzurüsten!

Na, vielen Dank für das Gespräch. Ich habe doch ganz klar in meine Ausführungen geschrieben, dass ich in Miete wohne (ergo: meine Wohnung also nicht ohne weiteres umbauen kann) und dass ich in Japan bin, wo die Leute noch nicht einmal wissen, wie man „Euronorm“ schreibt, nicht zuletzt wegen des Diphthongs. Also heize ich einfach weiter wie gehabt.

Und ich rechne die Sache ein bisschen durch, kalkuliere den durchschnittlichen Bedarf und den durchschnittlichen Kerosinpreis (etwa 27 Cent/Liter) und komme auf 150 E, mit denen ich den ganzen Winter über (einen Raum) heizen kann. Gut, nehmen wir an, dass der Winter noch kräftig zulangt und rechnen mit 200 E für den Winter. Als Laie gehe ich davon aus, dass ich demnach (mit einem Ofen, wie ich ihn hier habe) ein Wohnzimmer, ein Esszimmer und eine Küche für etwa 600 E heizen könnte. Dann frage ich mich natürlich, wo die vierstelligen Eurobeträge zuhause herkommen? Der Heizölpreis lag doch Ende 2003 in Deutschland bei nur (?) knapp über 30 Cent pro Liter? Jetzt weiß ich natürlich nicht, ob die tolle Grafik, aus der ich das entnommen habe, auch die Steuern mit einbezog.[1]

Misi erscheint in der Bibliothek und sieht reichlich verschwitzt aus – weil er immer noch, trotz der Straßenglätte, mit dem Fahrrad fährt. Das ginge schneller, sagt er, und das reicht ihm als Grund. Viel Glück weiterhin. Obwohl er mir eigentlich vernünftiger erscheint als SangSu.

Um acht Uhr komme ich nach Hause. Ich verarbeite etwas Restgemüse, indem ich es mit dem Reis verkoche. Schmeckt wirklich gut. Und wenn ich schon beim Experimentieren bin, versuche ich mich an Milchreis, indem ich einen Becher Reis in der fetten Morinaga-Milch koche. Das Endergebnis ist recht fest, der Boden knusprig braun. Man kann es essen, aber es nicht das, was ich haben wollte. Ich glaube, das wird mir Gelegenheit geben, die Einstellung „o-Kayuu“ am Reiskocher auszutesten = „Brei“. Ich hätte gleich drauf kommen sollen.

Das Produkt wird dadurch besser, zwar immer noch leicht braun am Boden, aber immerhin als Brei erkennbar. Ich muss noch am Geschmack arbeiten und sollte etwas mehr Milch verwenden, um den Reis weicher zu kriegen.

Wir sehen uns einen Spätfilm an, aus purer Neugier, eine US-italienische Koproduktion. „Attack the Mummy“ („Greif die Mumie an“ – hä?) heißt der Streifen laut Programmheft. Ich glaube, die meinen wohl eher „Attack of the Mummy“ („Angriff der Mumie“). Und der Film ist ebenso schlecht, wie es der Titel verspricht. Da ist eine Art Scheich in Ägypten, der, aufbauend auf einem jüngst entdeckten Grab, einen Freizeitpark (!) eröffnen will, in dem die Besucher Geld dafür zahlen sollen, aus einem Zug heraus (mit Hilfe irgendeiner technologischen Hexerei) reanimierte Mumien (!) und das Innere des unterirdischen Grabmals zu bewundern. Der mumifizierte und natürlich bandagierte Pharao persönlich (!) kommt bei Ankunft des Zuges aus seinem Sarkophag und erzählt den Gästen mit monotoner Stimme was über sich (!) und verschwindet anschließend wieder hinter seiner Klappe. Natürlich gibt es einen Fehler in dem Kontrollsystem und die Mumien drehen am Rad, vor allem der Pharao, der offenbar durch Mauern gehen kann und den Helden (und die Frau an dessen Seite) durch die Gänge scheucht, bis er endlich bezwungen werden kann. Wie das so üblich ist, stürzen die Höhlen natürlich in sich zusammen, nachdem der Pharao tot ist und die Helden knapp entkommen sind.

Überraschenderweise war der Film nicht synchronisiert, sondern nur untertitelt. Aber das war auch das einzig Gute daran. Man hörte einigen Stimmen an, dass Englisch nicht ihre Muttersprache ist, und ich sage deshalb „Stimmen“ und nicht „Schauspieler“, weil der Film klar hörbar nachvertont worden ist, obwohl die Mundbewegungen mit den gesprochenen Lauten völlig übereinstimmen, das heißt, es handelt sich nicht um eine übersetzte Synchronisation. Das Schönste aber war, dass es keine einzige Außenaufnahme gab, sondern alles in einem Studio gedreht worden, und in einem billigen dazu. („Unser Studio hat einiges an Geschichte zu bieten… 1975 stand Steven Spielberg da draußen auf dem Parkplatz und sagte, er würde sich lieber lebendig häuten lassen, als hier zu arbeiten.“)[2] Alle Großaufnahmen von den Gewölben sind im Sandkasten gemacht worden, mit einer Modelleisenbahn, und die Aussicht aus den Fenstern der Eisenbahn ist jenseits jeder Proportionalität – die Leute, die draußen rumlaufen, sehen etwa 50 % größer aus als die im Zug. Die Spezialeffekte scheinen vom heimischen PC zu stammen. Um 03:00 ist der Film zu Ende. Und was haben wir darüber gelacht…


[1] In der Tat lagen meine Heizkosten am Ende des Winters weit unter 150 Euro. Und die vierstelligen Beträge zuhause rühren von der Tatsache, dass mein Elternhaus keinerlei Isolierung aufwies.

[2] Frei nach einer „Simpsons“ Episode, deren Titel mir entfallen ist (mit Homer als Manager einer Countrysängerin)

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