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Aus dem noch unerforschten Inneren meines Schädels

27. Oktober 2023

Montag, 27.10.2003 – Dröhnung durch kaputte Ölheizung

Filed under: Filme,Japan,My Life — 42317 @ 16:48

Ein kurzer Tag, gemessen an den Geschehnissen. Montag. Um 12:40 beginnt der Unterricht. Wir lernen was über japanische Satzzeichen und die Regeln, die dazugehören. In erster Linie geht es darum, unter welchen Umständen man ein Satzzeichen in die nächste Zeile schreibt oder es in das letzte Kästchen einer Zeile quetscht.

Zur Erläuterung sei gesagt, dass japanisches Schreibpapier sich nicht wie deutsches einfach in Linien unterteilen lässt. Auf einer japanischen Papierseite sind 20 mal 20 leere Schreibkästchen aufgedruckt, die ein bisschen länger als breit sind und somit das Äquivalent einer DIN A4 Seite füllen.

In jede Zeile passen also 20 Zeichen, und Satzzeichen sind auch welche, und wir behandeln heute, wie man mit diesen umgeht, weil es ja sein könnte, dass man nach dem letzten Schriftzeichen in einer Zeile noch ein Komma setzen will, und die japanische Schreibästhetik hat da halt gewisse Vorschriften, auf die ich jetzt aber nicht genau eingehen will.

Im Anschluss schreibe ich meine Post. Immer noch 10 Tage hinterher. Ich muss mehr schreiben.

Dann ist auch schon später Nachmittag und ich habe Hunger. Weil Montag ist, ist unser Ramenlokal aber geschlossen. Gegenüber davon befindet sich aber ein weiterer kleiner Laden, in dem man essen kann. Wenn wir sowieso vorbeigehen, können wir auch mal da essen, zumal der Laden auch heute geöffnet hat. „Eigyôchû“ steht an der Tür, das heißt „in Betrieb“, ergo “geöffnet“. Ich setze einen Fuß in den Laden, begrüße den Besitzer und die Frau hinter der Theke und weiß sofort, warum der Laden auch montags aufhat. Offenbar finanzielle Notwendigkeit. Der Innenraum riecht gar furchtbar nach Kerosin/Heizöl. Hmmm… offen ersichtliche Staubfäden an den Ecken der Holzleisten an der Theke ergänzen noch das ungemütliche Bild des Raumes, der durch seinen deutlichen Geruch schon genug abschreckt. Durch die Öldämpfe fühlt sich mein Kopf schon an, als würde er in Salatöl schwimmen.1

Na ja, aber man kann ja das Essen mal probieren. Die Speisekarte ist zu japanisch, als dass ich sie lesen könnte, also bitte ich den Besitzer, einen beleibten Mann um die 70, ebenso alt wie seine Frau würde ich sagen, mir die Karte vorzulesen. Es sind auch nur ein Dutzend Gerichte. Sagt mir aber alles nichts. Also bestelle ich das, was auf der Karte ganz oben steht. Aber ich habe den Namen nach wenigen Minuten wieder vergessen. Ich nenne der Frau hinter dem Tresen meine Bestellung, aber sie sieht mich an, als würde ich einen innermongolischen Dialekt sprechen. Ich sehe leicht verwirrt zu dem Herrn neben mir hinüber, der dann exakt das wiederholt, was ich gesagt habe, und zwar nicht lauter, als ich. Jetzt kommt Bewegung in die Frau.

Mein Essen besteht aus frittiertem und in Scheiben geschnittenem Hühnerschnitzel, dazu eine Tasse Misosuppe, eine Schüssel Reis und zwei Spiegeleier auf rohem Kraut. Ein ganz und gar durchschnittliches Essen eigentlich, aber mit dem rohen Kraut kann ich mich nicht anfreunden, zumal es keinerlei Soße zum Anfeuchten dazu gibt. Abgesehen von Fleisch also reines Hasenfutter von mittelmäßigem Geschmack und man kaut darauf herum wie auf Gras. Ich stopfe mir das Essen in den Rachen, weil ich Hunger habe (der treibt’s rein) – und damit das Essen verschwindet.

Die beiden alten Herrschaften wirken auch leider wenig einladend. Sie versteht mich nicht oder kann sich nicht vorstellen, dass ich gerade eben japanisch mit ihr geredet habe. Er versteht mich offenbar besser, aber – bei allem Respekt – seine Ausstrahlung ist mir unsympathisch. Natürlich kann er dafür nichts, weil das meine subjektive Wahrnehmung ist. Aber er wirkt auf mich wie einer von diesen verbitterten, beinahe grimmigen alten Leuten, denen ihre Lebenserfahrung zu schwer auf der Seele liegt. Nein. Noch einmal esse ich hier nicht.

Um 19:00 bin ich wieder zuhause und sehe mir „Ko-zure Ogami“ an. Leider überschneidet sich die Serie mit „InuYasha“ und „Meitantei Conan“, aber die Wahl fällt mir nicht sehr schwer. Lieber den Rônin Ogami. Auch hier “spannende” Kämpfe – Ogami hackt und schneidet sich seinen Weg durch Dutzende von Gegnern, weil diese zu dämlich sind, mit mehr als zwei Leuten gleichzeitig anzugreifen oder um ihren Reichweitenvorteil als Speerträger auszunutzen. Aber irgendwo ist Ogami auch ein cooler Charakter. Den wahren Werten eines Samurai zutiefst verbunden, fest wie ein Fels in der Brandung, zieht er mit seinem kleinen Sohn durch die Gegend und bekämpft das Unrecht. Und will wohl auch den Tod seiner Frau rächen, wenn ich das recht verstehe.

Danach kommt eine Serie mit dem schönen Titel „Lion Sensei“. So weit ich das verstehe, geht es in der Serie um einen verwitweten Oberschullehrer um die 502, der aus wohl eitlen (und humoristischen) Gründen eine ziemlich schlechte Perücke trägt. Humoristisch deshalb, weil diese Episode gleich mal damit anfängt, dass ihm seine Perücke vom Kopf in die Toilette fällt (und ich erinnere daran, dass altmodische japanische Toiletten aus einem länglichen Keramikloch im Boden bestehen, über dem man im Knien sein Geschäft verrichtet). Aber er will natürlich nicht zugeben, dass er eine Glatze hat und das Ding in einer Tüte nach Hause tragen, nein, er setzt sich das nasse Ding auf den Kopf und flüchtet so nach Hause.

Zwischenmenschliche Beziehungen an einer Oberschule und die Probleme, die ein allein erziehender Vater einer Tochter um die 18 Jahre so haben kann, bilden den Stoff für die einzelnen Kapitel. Das ist zumindest nicht uninteressant und ich werde mir noch weitere Episoden ansehen.

Des Weiteren läuft eine Serie, deren Titel ich nicht entziffern kann. Die Serie spielt in der Edo-Zeit Japans, und den Hauptdarsteller assoziiere ich am ehesten mit „Tai Ginseng“ – das heißt, mit einer sehr alten TV-Werbung für dieses Zeug, die vor etwa 20 Jahren im deutschen Fernsehen zu sehen war. Ein etwas zu jung aussehender, weil auf alt geschminkter, Darsteller. Es geht darum, dass eben jener Herr inkognito mit seinen Leibwächtern (?) das Land durchstreift und die unsauberen Machenschaften kleiner Lokalfürsten aufdeckt, die das Volk ausnehmen und auf ungerechte Art und Weise unterdrücken. Ich sage “ungerecht“, weil sich in Japan die Begriffe „unterdrücken“, „regieren“ und „Frieden haben“ mitunter mit demselben Kanji schreiben…

Nun ja, abgesehen davon, dass hier wieder die für Realserien typische atemberaubende Choreografie und oskar-reife schauspielerische Künste an den Tag gelegt werden, besteht der Höhepunkt einer jeden Sendung darin, dass am Ende die Bösen konfrontiert werden, es wird gekämpft, und wenn der Kampf so richtig läuft, dann lässt Tai Ginseng sein Mon (Wappen) von einem seiner Begleiter zeigen: “Ruhe! Ruhe! Seht her, wen Ihr vor Euch habt!“ und alle fallen auf die Knie und bitten um Gnade, weil er wohl ein hohes Tier der feudalen Regierungshierarchie ist. Eigentlich könnte er sein Wappen auch vor dem Kampf zeigen, weil zu diesem Zeitpunkt die Schuld der Bösen grundsätzlich bereits bewiesen ist – aber nein, wir wollen uns zuerst ein wenig prügeln. Die Serie lohnt sich in erster Linie wegen des unfreiwilligen Humors, der ihr innewohnt.

Diese Truppe von Protagonisten ist auch lustig zusammengewürfelt: Die höfliche Dame im Kimono entpuppt sich als erfahrene Kampfamazone im Lederdress, der japanische Herkules macht alle waffenlos fertig, der braucht keine Schwerter, Stäbe oder Stöcke, das kleine Mädchen, das wohl zu Herkules gehört, ist ein sieben Jahre alter Ninja in Ausbildung, und dann ist da noch „der treue Heinrich“ in zweifacher Ausfertigung, dem die Aufgabe zufällt, am Ende das Wappen in die Luft zu halten und “Shizumareee! Shizumareee!” zu rufen, damit alle Bösen auch wissen, dass sie so richtig in der Jauchegrube sitzen. Heinrich & Heinrich, Herkules, Xena, Ninjagirl und Tai Ginseng unterwegs. Erinnert auch ein wenig an das „A-Team“, das den Schwachen und Machtlosen vom Untergrund in Los Angeles aus zur Seite steht, nur ohne das obligatorische „McGyver-Basteln“ und nicht von der Regierung verfolgt. Sehr pathetisch. Aber lustig. Ich muss noch herausfinden, wie die Serie heißt.3

1 Ich füge hinzu, dass die Inneneinrichtung etwas heruntergekommen schien, ohne dabei gemütlich zu wirken, wie das im Bunpuku der Fall war, dazu noch bezeichnenderweise kein einziger übriger Gast.

2 Gespielt von Takenaka Naoto

3 Die Serie heißt „Mito Kômon“ und der Protagonist ist Tokugawa Mitsukuni (1628-1701), Lehnsherr der Provinz Mito und Vetter des Shôgun Tokugawa Iemitsu. In der späten Edozeit wurden Legenden um seine angeblichen Wohltaten als verkleideter Reisender erstmals niedergeschrieben.

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