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Aus dem noch unerforschten Inneren meines Schädels

28. Juli 2024

Mittwoch, 28.07.2004 – Der (zweite) längste Tag!

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

Heute sind also gleich drei Klausuren fällig… zwei für Japanisch und eine bei Dr. Hugosson. Es sind auch die einzigen, die ich überhaupt schreiben muss, von daher sollte ich mich nicht zu laut beschweren. Kondô-sensei hat ja nur regelmäßige Anwesenheit und ein Referat erwartet, und das gleiche gilt für Kuramata-sensei, der eben einen reisrelevanten Vortrag haben wollte und das Thesenpapier dazu. Yamazaki-sensei gab sich in seinem Essay-Kurs mit der Masse an Hausaufgaben als Leistungskontrolle zufrieden, die wir im Laufe des Semesters verfassen mussten. Ich will wahrscheinlich gar nicht wissen, was bei diesen Japanischklausuren herausgekommen ist… die eine Hälfte der Aufgaben ist schrecklich leicht, die andere Hälfte sagt mir überhaupt nichts.

Kondô-sensei tut daraufhin in seiner Unterrichtszeit was sehr entspannendes und lädt uns alle ins Schorum ein, wo es ja „All you can drink“ für 200 Yen gibt. Also Saft, Tee und Kaffee, so viel man trinken kann oder will, und das mit Klimaanlage. Wir haben sogar Glück und bekommen einen Tisch, an den auch sechs Leute passen, was zur Mittagszeit keineswegs üblich ist. Ich sehe Yuan an einem der anderen Tische sitzen und schließe aus ihrer Gesellschaft (drei Leute im Studentenalter und ein älterer Herr), dass wohl auch andere Lehrkräfte die gleiche Idee hatten.
Wir selbst machen nichts weiter kompliziertes, als uns gegenseitig Abschnitte aus einem Buch vorzulesen, das sich zweisprachig mit internen Phänomenen japanischer Betriebe auseinandersetzt, also mit Themen wie „Mobbing“ und „Sexuelle Belästigung“, aber auch positive Dinge, wie „Hochzeiten am Arbeitsplatz“. Uninteressant ist das nicht, aber ich finde nicht viel, was sehr Japan-spezifisch wäre.
Ein Punkt ist es bestimmt: Das Beispiel schildert den Fall eines mittleren Angestellten, der in eine Filiale am anderen Ende Japans versetzt wird. Das vorgestellte Problem dabei ist das aktuelle Schulsystem. Wenn dieser Angestellte ein Kind hat, das eine Oberschule besucht, wird er wahrscheinlich getrennt von seiner Familie leben müssen, weil Oberschulen nicht in die Pflichtschulzeit fallen und die Schulen mitten im Schuljahr, anders als die Pflichtschulen, keine neuen Schüler akzeptieren. Auch der Wechsel zwischen zwei Schuljahren gestaltet sich als ein bürokratischer Gewaltakt.
Sehr interessant fand ich das Kapitel „Unterhaltung potentieller Kunden und Geschäftspartner“. Das heißt, man lädt Leute, mit denen man Geschäfte machen möchte, in ein edles Restaurant, einen Host-Club oder zum Golf ein. Kondô-sensei erzählt, dass auch er in seiner Funktion als Generalverwalter der Mitsubishi Bank zu einem „zwanglosen Essen“ eingeladen worden sei, um „eventuelle Investitionen“ der Bank zu besprechen. Und am Ende überreichte ihm der Gastgeber ein kleines Paket und sagte: „Bitte nehmen sie diese Biskuits für ihre Frau Gemahlin an.“ (Ich versuche, auf diese Art und Weise höfliches Japanisch zu übersetzen.) Dass sich unter den Keksen ein Umschlag mit 50.000 Yen befand, merkte er dann erst zuhause.
„Warum so wenig?“ will ich wissen. Man kann doch einen Mann in einer derart hohen Position nicht mit solchen „Peanuts“ locken, oder? Kondô erklärt, dass eine zu hohe Summe den Empfänger abschrecken könnte, von daher gebe man ihm hin und wieder kleine Summen (ohne das genauer zu definieren), die aber für gewöhnlich nicht so klein seien, um völlig uninteressant zu sein. Natürlich habe er das Geld zurückgegeben, sagt er.

Und dann gehen wir zu Hugosson rüber und schreiben eine so genannte Klausur. Und die ist deshalb nur „so genannt“, weil wir erstens unsere Unterlagen verwenden dürfen, die jedoch völlig überflüssig sind, weil wir zweitens als Beantwortung der drei Aufgaben lediglich unsere Meinung zu den drei behandelten Großthemen abgeben sollen. Wenn man regelmäßig im Unterricht war, ist das kein Problem, weil man dann die Begriffe kennt, die man für einen halbwegs kompetent klingenden Kommentar braucht. Das einzige Problem ist, dass die Ränder der Seiten ständig durchweichen, weil sich auf dem Tisch wieder einmal Schweißpfützen bilden.
Während wir schreiben, korrigiert er Hausarbeiten aus seinem Englischkurs. Und nachdem ich fertig bin, zeigt er mir welche davon. Auffällig ist gleich das unerwartet gute Englisch, und er zeigt mir auch den Grund dafür: Die betreffende Hausarbeit wurde 1:1 von einer Seite im Internet kopiert. Da die Quellenangabe fehlt, ist das eine glatte Null wegen Plagiarismus. Mein Gott, der Autor hätte die Sätze wenigstens umformulieren können. Ich bin ja selbst nicht gefeit gegen die Versuchungen des Abschreibens, aber für gewöhnlich nehme ich dafür Texte aus einer Sprache, die ich für meine zu schreibende Klausur erst einmal übersetze. Das verhindert zumindest, dass man den Satz nur in eine Suchmaschine eingeben muss, um mich zu überführen. Aber mittlerweile ist mir auch klar, dass gegen das Abschreiben wenig spricht, solange man eine Quellenangabe anhängt.

Aber dann ist der Mist heute endgültig gelaufen. Ich verziehe mich ins Center, wo ich gegen Sieben als letzter hinauskomplimentiert werde. Ich verlege in die Bibliothek. Ich habe meine Post heute noch nicht angesehen und im Forum will ich natürlich auch noch kurz vorbeischauen. Es wird etwa 22:00, bis ich nach Hause komme. Ich bin gerade noch zur Öffnungszeit (bis 21:45) in den Beny Mart gekommen und stelle fest, dass Aquarius derzeit nur 150 Yen die Flasche kostet – ich kaufe also auf Vorrat.