Mittwoch, 07.07.2004 – Themenvielfalt macht den Tag schöner
Mich plagt heute den ganzen Tag über eine mehr oder weniger unterschwellige Übelkeit… ich habe keine Ahnung, wo ich die herhaben könnte. Morgens schreibe ich Kanji für den Test bei Yamazaki-sensei ab und in der Mittagspause fasse ich den „Sozialbericht“ von „Lloyd’s London“ für Hugosson zusammen, den er für heute noch gar nicht haben wollte… aber immerhin ist diese Arbeit damit erledigt. Stattdessen fragt er mich, wo mein Bericht über den Ausflug letzte Woche bleibe. Moment mal, den Bericht habe ich längst versendet! Er hat ihn aber nicht erhalten. Ich betreibe ein wenig Ursachenforschung und stelle fest, dass ich die E-Mail-Adresse falsch in das Adressfeld eingegeben habe. Nach „Hugosson@“ folgt nämlich zuerst mal „cc.“ und nicht gleich „hirosaki-u“. Was mich dabei wundert, ist die Tatsache, dass die Post nicht mit dem Vermerk „unbekannter Empfänger“ zurückgekommen ist. Das würde bedeuten, dass die Mail zwar noch irgendwo im Netzwerk existiert, aber eben nicht dort, wo sie eigentlich hinsollte. Aber was soll’s, ich hole die Versendung nach und es herrscht wieder Frieden im Land.
Dann ist erst mal Kondô-sensei dran und SangSu hält einen weiteren Vortrag, diesmal über die atemberaubenden Unterschiede zwischen der (inzwischen nicht mehr existenten) japanischen Fuji Bank und der amerikanischen CitiCorp Bank. Der zugrundeliegende Aufsatz stammt von 1996. Für unsereins sind die Details eigentlich langweilig, keiner von uns studiert ein wirtschaftlich relevantes Fach, abgesehen davon, dass ich die Erweiterung meines Allgemeinwissens gutheiße. Nim kommt noch nahe heran, weil sie die Feinheiten der Geflügelzucht studiert…
Der Aufsatz, der vom Computerwissenschaftler SangSu zusammengefasst und vom Finanzspezialisten Kondô genauer erklärt wird, führt den Nachweis, dass japanische Banken zu viel Kapital haben. Diese These kommt einem Laien wie mir natürlich seltsam vor – wie kann man zu viel Kapital haben? Die Fuji Bank, die durchaus stellvertretend für die gängige Praxis stand und als Paradebeispiel heute noch steht, hatte zwar riesige Rücklagen und eine große Summe laufender Kredite, aber die Investitionen waren wenig gewinnbringend angelegt. Die CitiCorp kam letztendlich zwar auf ein niedrigeres Geschäftsergebnis, aber der Gewinn pro investiertem Dollar war deutlich höher als der der Fuji Bank. Warum war das so?
Die CitiCorp hat ein breit gefächertes Investitionsfeld, wogegen die Fuji Bank, wie praktisch alle anderen japanischen Banken auch, eine klare Konzentration auf Großkunden besaß. Das heißt, Kredite wurden praktisch nie an Körperschaften vergeben, die nicht mindestens in die Kategorie „mittleres Unternehmen“ fielen. Kleine Unternehmen oder gar Privatpersonen haben in Japan überhaupt keine Chance, an einen regulären Kredit zu kommen. Ich erwähnte das bereits an anderer Stelle. Großkunden allerdings sind oft einflussreiche Konzerne, die die Möglichkeit besitzen, den Zinssatz der Bank herunterzuhandeln. Entweder die Bank setzt die Zinsrate niedrig an oder verliert das Geschäft. Ergo: Die Banken sollten also ihr Investitionskapital verringern und sich mehr auf mittlere und kleine Unternehmen konzentrieren, sowie auf individuelle Kreditnehmer, um so das Risiko einer einzelnen Investition zu streuen. Die Zeiten, wo man Kredite an japanische Großunternehmen als sicher betrachten konnte, sind seit etwa zehn Jahren vorbei, aber das haben die großen Kreditinstitute offenbar noch nicht gemerkt.
Wir besuchen mit Hugosson heute eine wirklich naheliegende NPO. Sie hat ihren Sitz im Studierzimmer eines Professors im Physikgebäude nebenan, und weil da alle ganz umweltbewusst sind (die anwesenden Studenten wohl eher weniger freiwillig), läuft da auch keine Klimaanlage. Das Zimmer ist ein Backofen und die Fenster müssen geschlossen bleiben, damit nicht ein Windstoß wichtige Papiere durcheinanderbringt. Nach fünf Minuten, in denen ich nur stillsitze, läuft mir der Schweiß bereits in Strömen vom Gesicht und ich wage gar nicht, meine Arme auf dem Tisch abzustützen, weil sich an den Berührungsflächen sofort Pfützen bilden. Der Professor macht für uns Gäste eine Ausnahme und schaltet die Klimaanlage ein. Nach weiteren fünf Minuten kann man den Raum dann als bewohnbar betrachten.
Das erklärte Ziel dieser Organisation ist die Renaturierung stillgelegter Agrarflächen, um durch menschlichen Einfluss verdrängte Insektenarten, unter anderem (oder vor allem) ein paar sehr schöne Libellenarten, wieder anzusiedeln. Diesbezüglich seien bereits einige Erfolge eingetreten – auch solche, die eigentlich nicht beabsichtigt waren. So habe sich nach der Aufnahme der Arbeit der NPO die Rote Libelle, die unter der japanischen Bezeichnung „Akatombo“ jedem Kind in Japan ein Begriff ist, stark verbreitet. Allerdings sei diese Libelle vorher in Aomori nicht heimisch gewesen, bis vor fünfzig Jahren gab es sie hier oben noch gar nicht – es war zu kühl. Die Verbreitung dieses Raubinsekts nach Norden ist also ein Anzeichen für die globale Erwärmung. Aber die spürt man auch weiter südlich. In Tokyo sollen schon Gottesanbeterinnen gesehen worden sein, und auch ein paar hässliche und auch giftige Spinnenarten sollen sich bereits in der Südhälfte von Honshû ausgebreitet haben. Na Mahlzeit, darauf kann ich verzichten. Aber vor die Wahl gestellt, würde ich lieber mit einer Gottesanbeterin zusammenleben.
Nebenbei hat man sich der Umwelterziehung der einheimischen Kinder verschrieben, und ich persönlich finde das angesichts des Mülls, den man auch in den Wäldern findet, recht notwendig. Der Professor ist sehr angetan vom deutschen Mülltrennungssystem, lobt es in den höchsten Tönen und zeigt uns ein paar typische Fotos, die er während einer Umwelttagung in Frankfurt am Main gemacht hat: Mülltonnen. Ich habe schon öfters Touristen in Trier am Bahnhof gesehen, die angesichts der verschiedenartigen Müllboxen auf dem Bahnsteig die Kamera rausholten und Fotos von den Eimern machten. Dann zeigt er ein paar andere Fotos und Statistiken, die belegen (sollen) wie sehr der Kohlendioxidgehalt der Luft in den vergangenen 200 Jahren zugenommen hat. Festgestellt wird das alles anhand von Ablagerungen verschiedener Art, in erster Linie durch Proben von den Polkappen, wo sich ja jedes Jahr eine aussagekräftige neue Schicht von Eis bildet.
Der liebe Professor redet viel und wir überziehen zehn Minuten lang, aber nach dieser Stunde hat keiner von uns mehr Unterricht. Zuletzt bittet er uns, an einer Radiosendung der „Apple Wave“, des Aomori-ken Lokalsenders, teilzunehmen, um von unseren heimatlichen Mülltrennungs- und anderen Umweltmaßnahmen zu berichten. Er kann uns noch kein Datum nennen, aber er werde mit unserem Dr. Hugosson in Kontakt treten, um die Sache in die Wege zu leiten. Natürlich interessiert mich diese Erfahrung… obwohl hier kaum jemand Radio hört und was von mir mitbekommen wird. Würde sich der Betrieb einer Radiostation lohnen (durch Werbeeinnahmen z.B.), dann gäbe es sicher mehr als zwei oder drei pro Region. Wenn ich bedenke, wie viel Radioauswahl ich in Deutschland genieße… dort kann ich mir beinahe für jedes Interessengebiet einen anderen Sender aussuchen – Musik auf RTL oder SR1, Nachrichten auf der Europawelle und beknackte Moderatoren auf Radio Salü (wenn man sich wieder vergewissern möchte, warum man diesen Sender nicht hören will).
Ich surfe danach ein bisschen im Internet und finde die Homepage von Koike Rina.
Wer ist Koike Rina? Dabei handelt es sich um die junge Schauspielerin, die die menschliche Luna in der „SailorMoon“ Realserie spielt. Aus verschiedenen Kommentaren kann ich entnehmen, dass Luna manche Leute so sehr an die wenig beliebte ChibiUsa erinnert, dass sie keine Chance hat, irgendwelche Sympathiepunkte zu erreichen. Diese Kommentare höre ich derweil nur aus Deutschland, aber wen wundert das? Die Animeserie war in erster Linie in Europa ein Erfolg, vor allem in Deutschland und Italien. Italiener haben wir hier aber keine, und auch Amerikaner, die immerhin einen Teil der Serie kennen könnten, haben wir auch nicht. Die Japaner, die ich gefragt habe, kennen zwar alle die Animeserie, streiten aber ab, die Realserie zu kennen. Andererseits wird sie aber auch zu einer Zeit gesendet, zu der Studenten noch tief und fest schlafen.
Wie dem auch sei, ich habe also “Lunas“ Homepage gefunden.
Aha… sie ist 1993 geboren und 135 cm groß, bei knapp 29 kg Gewicht. Meine Güte – ein Zwerg, und ein ziemlich leichter obendrein. Sie wird wohl noch ein paar Zentimeter wachsen. Rina ist unter Vertrag bei einer Promotion-Firma, die „Very Berry“ heißt, was im Japanischen Englisch irgendwo wieder lustig klingt, weil beide Begriffe gleich ausgesprochen werden. Diese Firma verdient ihr Geld offenbar mit der Vermittlung junger „Talente“ an Firmen, die etwas mit diesen produzieren, was sich irgendwie vermarkten lässt.
Eine der Firmen, die Rina „gemietet“ haben, ist z.B. „Idolland“ („Idol“ ist die japanische Bezeichnung für junge Showstars). Diese Firma wiederum verdient ihr Geld mit so genannten „Image Videos“. Das sind Videos, die, so fasse ich das zumindest auf, für die jeweilige Vertragsnehmerin (die sind nämlich alle weiblich, soweit ich das überblicken kann) als Werbemaßnahme zur „Weitervermietung“ dienen sollen – zumindest offiziell. Dass diese Videos nämlich für die Darstellung des künstlerischen Potentials der Vertragsnehmerin geeignet (oder auch nur gedacht) sind, halte ich für äußerst fragwürdig. Man kann sie auch im Handel kaufen, für 3900 Yen pro DVD. Dafür bekomme ich 40 Minuten Unterhaltung. Ich möchte es mal so nennen.
Man werfe einen Blick auf die Seite www.idolland.co.jp. Die Aufmachung der Seite sagt alles darüber aus, um was es hier tatsächlich geht. Aber für die, die keinen Zugang haben, führe ich das noch ein wenig aus. Die Gestaltung der Cover der DVDs (von den Fotos auf der Idolland Homepage mal ganz abgesehen) zeigt mir, dass hier sehr körperbetonte Aufnahmen verkauft werden. Oh nein, natürlich keine expliziten Details. Das würde dem ganzen Geschäft ja den legalen Rahmen rauben. Die meisten der dargestellten Mädchen sind minderjährig. Das ist im Idol-Business allerdings nichts Ungewöhnliches, und ich habe auch gar nichts dagegen, wenn die Mädchen singen und tanzen. Eben das tun sie in den „Idolland“ Produktionen aber eben nicht. Da sind Titel wie „Chûgakusei“ („Mittelschülerinnen“) nicht selten, und die Mädchen werden dargestellt in den „üblichen“ Outfits: Freizeitkleidung, Schuluniform, Schulsportdress (also T-Shirt mit kurzen, enganliegenden Hosen) und Badeanzug. Die Posen möchte ich dabei schon für „eindeutig“ bis „obszön“ halten, aber mir scheint, dass es Abstufungen je nach Alter der Vertragsnehmerin gibt: Je näher die Person an 21 (Volljährigkeit) herankommt, desto deutlicher treten die eigentlichen Zwecke dieser Aufnahmen hervor. Aber die ältesten Models bei „Idolland“ tragen immer noch Schuluniform, sind also bestenfalls 18 Jahre alt – sofern das Alter nicht falsch angegeben wird.
Sagen wir es kurz und knapp: Die liebe Rina kommt aus dem Loli-Business. Wie ich mit der „Altersabstufung“ andeutete, gibt zumindest das Cover ihrer DVD keine allzu erotischen Bilder her (ein magerer Spatz im Badeanzug ist nicht sonderlich anziehend in meinen Augen). Aber letztendlich handelt es sich dabei um ein Produkt, das in bewegten Bildern das zeigt, was man auch in dem kleinen Bilderbuch sehen kann, das ich vor wenigen Wochen gekauft habe. Man kann die inneliegende Pädophilie aus dem Bildschirm herausriechen. Aber ich will hier keinen Vorurteilen Vorschub leisten. Es gibt in Japan ganz bestimmt nicht mehr Pädophile als anderswo in der so genannten zivilisierten Welt – die legalen Grauzonen am Rand dieser Ausrichtung sind nur akzeptierter als sonst wo. Ich persönlich führe das auf eine Eigenart der japanischen Kultur zurück, die jedem Japaner und jeder Japanerin eingeimpft wird und sich in der Sprache niederschlägt.
Als ich im Winter in Tokyo war, habe ich mich, wie ich erzählt habe, mit Shizuka getroffen, die ich von ihrem Studienjahr in Trier her kannte. In Akihabara kamen wir an einem großen Werbeplakat vorbei, auf dem Nakama Yukie abgebildet war, und meine Sympathie für diese junge Frau habe ich in meinem Tagebuch schon öfters zur Sprache gebracht. Beim Anblick des Posters machte ich die Bemerkung, dass sie meines Erachtens die derzeit schönste Frau Japans sei. Shizuka sah mich an und fragte mich, ob ich sie „niedlich“ finde – „Kawaii?“ Die Rückfrage ließ mich kurz stutzen, weil ich an diesen Begriff überhaupt nicht gedacht hatte. Ich sagte, nein, „niedlich“ sei das falsche Wort, ich fände Yukie „schön“ – „utsukushii“. Bei „kawaii“ denke ich in erster Linie an „niedliche“ Kleinstkinder aller Art, seien es Tiere oder Menschen, aber nicht an erwachsene Frauen.
Sensibilisiert durch diese kurze Episode fielen mir in den folgenden Monaten öfters solche Kommentare auf, in denen der Begriff „kawaii“ auf erwachsene Frauen angewendet wurde, um ihr Äußeres und ihre Ausstrahlung zu beschreiben, und nach und nach fielen mir auch derlei Kommentare aus japanischen Filmen ein, die ich gesehen hatte. Ich muss daraus schließen, dass die Begriffe „hübsch“, „gut aussehend“ und „niedlich“ hier synonym sind. Der implizierte Sexismus solcher Sprachmuster besteht darin, dass, laut japanischem Sprachgebrauch, eine Frau, die nicht „niedlich“ ist, auch nicht „hübsch“ – und damit nicht anziehend sein kann. Ich habe eine solche Prägung nicht und bin durchaus der Meinung, dass schöne Frauen nicht unbedingt auch immer irgendwie niedlich sind.
„Niedlich“ ist ein Begriff, den ich – wieder beim Thema – mit einer kindlich-unschuldigen Art von Schönheit in Verbindung bringe. Nakama Yukie zum Beispiel besitzt für mich eine „erwachsene“ Schönheit, in der ich persönlich keine „Kindhaftigkeit“ sehe und auch nicht sehen kann. In Japan zu einer Frau zu sagen, sie sei „kawaiku nai“ („nicht niedlich“) ist allerdings schon eine Art Affront, da damit alle anderen äußeren Qualitäten, die die Angesprochene haben mag, in Frage gestellt werden. Diese zweifelsfrei männliche Sicht der Dinge hat natürlich der Kosmetikindustrie ihren Stempel aufgedrückt.[1]
Ein weiteres sprachliches Phänomen in dieser Richtung ist die seltsame Angewohnheit von japanischen Frauen, sich im mehr oder minder engen Bekanntenkreis mit dem eher kindlichen Suffix „-chan“ anzusprechen, den ich gerade beschrieben habe. Als Mitteleuropäer will ich nicht verstehen, warum erwachsene Frauen sich mit Bezeichnungen anzureden, wie sie eher in den Kindergarten passen würden. Ich würde gar nicht auf die Idee kommen, eine Japanerin, die 16 Jahre oder älter ist, mit diesem meines Erachtens diskriminierenden Suffix anzusprechen. Es ist ein Sexismus, der sich in der Sprache niederschlägt und die japanische Frau in ein untergeordnetes, kindliches Muster presst. Um dieses Konzept für die Frauen akzeptabel zu machen, erzählt man ihnen von klein auf, dass niedlich zu sein eine weibliche Tugend sei.
Wenn ich zu viel darüber nachdenke, wird mir noch übel davon. Ich bin ganz froh, dass der Umgang, den ich mit der Familie Jin pflege, nicht auf solche Stereotypen schließen lässt. Dr. Jin bedenkt seine Frau mit der sehr höflich zu nennenden Bezeichnung „Eiko-san“, und dieses Suffix wird, laut dem einen oder anderen Soziologen, für gewöhnlich schnell vergessen, sobald man mal dasselbe Kopfkissen geteilt hat.
Ich gehe schließlich nach Hause. Ein Blick in den Himmel zeigt mir, dass der Himmel, der den ganzen Tag über, wie auch während der Tage zuvor, weitgehend klar gewesen war, jetzt bewölkt ist. Was mich daran erinnert, dass heute „Tanabata“ ist. Was ist Tanabata?
Laut einer Legende, die aus eigentlich aus China stammt, waren da vor langer Zeit einmal der Hirte Hikoboshi und die webende Prinzessin Orihime (die Sterne Vega und Altair), die sich so innig liebten, dass sie ihre Arbeit vernachlässigten. Darüber war der Himmelskaiser sehr erzürnt und er trennte die beiden durch den Himmelsfluss (die Milchstraße), über den sich nur am siebten Tag des siebten Monats eine Brücke spannt. Wenn es an diesem Tag allerdings regnet, tritt der Fluss über die Ufer, die Brücke bildet sich nicht und die beiden müssen ein Jahr auf die nächste Gelegenheit warten. Zu dumm, dass um dieses Datum gerade Regenzeit ist…
Ich bin sicher, dass es auch andere Versionen dieser Legende gibt, mindestens so viele, wie es diesbezügliche lokale Bräuche in Japan gibt. Manche Regionen z.B. feiern Tanabata erst am 07. August, weil dieses Datum näher an den ursprünglichen Zeitpunkt im Mondkalender herankommt, als der neuere Sonnenkalender. Ich habe Versionen gelesen, denen zu Folge auch der Hirte ein Prinz gewesen sein soll, und andere, nach denen er trotz seiner niederen Geburt die Prinzessin habe heiraten dürfen, bevor die beiden aus genannten Gründen getrennt wurden. Anderswo heißt es auch, dass sich die beiden nicht direkt begegnen, sondern nur sehen könnten, was natürlich nur geht, wenn der Himmel klar ist – was während der Regenzeit eigentlich eine Seltenheit ist.
Aber Tanabata ist ja nicht nur Legende, sondern auch eine feierliche Praxis. Abgesehen davon, dass anlässlich des Festes vielerorts kräftig gebechert wird, gibt es schöne Festivals zu sehen. Die Stadt Sendai zum Beispiel, ein Stück südlich von Hirosaki gelegen, ist berühmt für ihr Tanabata-Fest. Weiterhin ist es Brauch, kleine Papierzettel mit Wünschen an einen Bambusstrauch zu binden, in der Hoffnung, dass die Wünsche wahr werden. Gewöhnlich tut man das vor der eigenen Haustür, aber auch Bambusdekorationen an Bahnstationen werden verwendet. Traditionellerweise werden die Bambusgewächse in einen Fluss geworfen oder in ein Reisfeld gesteckt, um Unglück abzuhalten und eine gute Ernte zu erbitten.
Was jeweils aus dem Bambus wird, der für das Tanabata-Fest der Japanologie in Trier verwendet wird, ist mir allerdings nicht klar. Reisfelder haben wir ja keine, ebenso mangelt es unserer Fakultät an Kindern, die jung genug wären, um tatsächlich zu glauben, dass Wünsche wahr werden, die man an eine exotische Graspflanze heftet, die als Schlag- und Stichwaffe, sowie als Folterwerkzeug und Nahrungsmittel einen weitaus größeren Bekanntheitsgrad besitzt, und ich habe auch noch kein „Kommando“ bemerkt, dass den Bambus in die Mosel geworfen hätte, um so Unglück bei den kommenden Klausuren abzuwenden.
[1] Ich übersetze kawaii grundsätzlich als hübsch (engl. pretty) und verwende niedlich (engl. cute) nur in passend erscheinenden Kontexten – was mir noch den Unmut so manches selbstbewussten Hobbyübersetzers einbrachte.