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Aus dem noch unerforschten Inneren meines Schädels

20. Juli 2024

Dienstag, 20.07.2004 – In Eile

Filed under: Japan,My Life,Uni — 42317 @ 7:00

Jetzt hat Melanie heute also Geburtstag und ich habe ihr Geschenk noch nicht gekauft. Glücklicherweise hat sie an einem Dienstag Geburtstag, was mir wegen ihrer Unterrichtskonstellation am Morgen eine ganze Menge Zeit verschafft. Ich schwinge mich also auf mein Fahrrad und düse zum Sakurano. Und meine Güte, ist das vielleicht heiß heute! Ich muss peinlichst darauf achten, dass mein Fahrrad im Schatten steht, sonst kann ich auf dem Sattel nachher Spiegeleier braten und eigentlich möchte ich keine. Man muss wirklich keine Alternativen haben, um sich freiwillig in diesen Freiluft-Backofen zu begeben. Ich habe keine. Heute ist der Tag.
Ich fahre in das entsprechende Stockwerk hoch, gehe in die Abteilung für Studio-Ghibli-Merchandising und kaufe nach einem dreiminütigen Auswahlprozess und einer fünfminütigen Suche nach einer geöffneten und zuständigen Kasse ein „Totoro“ Stofftier und lasse es als Geschenk einpacken. Mir persönlich gefallen die schwarzen Katzen aus dem „Kiki“ Sortiment viel besser, aber Melanie wollte ein „Totoro“ Produkt. So sei es also. Ich bringe das Paket gleich nach Hause, schreibe eine Widmung auf die Außenseite und lasse es auf dem Schreibtisch liegen, bevor ich zur Uni fahre. Sie wird es also in einem geeigneten Moment finden.

Kondô-sensei bringt uns heute in einen Schönheitssalon, der extra für uns seinen freien Tag für zwei Stunden unterbricht. Außerdem bekommen wir so die erste (und einzige) Frau aus unserem Referentenkreis zu sehen. Sie ist bereits seit 20 Jahren in diesem Geschäft tätig und erläutert uns kurz, was hier so läuft und wie es um die finanziellen Anreize bestellt ist. Die Leute lassen eine Menge Geld in diesen Läden, auch wenn sie aus verschiedenen Gründen kommen. Der Fuß z.B. repräsentiere den gesamten Körper, heißt es. Für jede Körperregion gebe es eine Stelle am Fuß, und wenn man irgendwo Beschwerden habe, müsse man nur den entsprechenden Neuralgischen Punkt massieren. Den deutlichsten Unterschied macht die Unterteilung Männer und Frauen. Ja, wer hätte das gedacht? Einige Männer frequentieren den Laden, und sie tun das, weil sie gut aussehen wollen. Die Damen dagegen kommen her, um sich zu entspannen und den Stress mal draußen zu lassen.
„Männer gehen zusammen in die Kneipe und trinken sich einen an. Das ist deren Form von Stressabbau“, erläutert die Chefin. „Frauen machen das aus verschiedenen Gründen nicht. Sie gehen lieber in einen solchen Salon und lassen sich eine Stunde lang massieren.“
Sie erzählt weiter, dass das Personal (sie hat eine Angestellte Mitte Zwanzig) auch geschult werde, kleine Problemberatungen zu machen, da die Kundinnen auch über solche reden. Das Alter der Kundinnen reiche von 20 bis 83, aber der Durchschnitt liegt bei Mitte Vierzig.
Dann werden die Räumlichkeiten gezeigt und vorgeführt, wie hier Geld verdient wird. Wir werden in zwei Gruppen aufgeteilt. Der Laden besteht aus einem Empfangs- und Wartezimmer, das vom „Arbeitsbereich“ durch eine Glaswand abgetrennt ist. Dort hinten gibt es drei kleine Kabinen. In zweien stehen Liegetische für Massagen, in der mittleren befindet sich ein Stuhl, der aussieht wie aus einem Science-Fiction Film, aber er wird nicht erläutert. Nun, Irena und Melanie erhalten eine Massage der Füße im Schnellverfahren (also knapp 10 Minuten), die Männer lehnen das Angebot durch die Bank dankend ab. Nun übernimmt jeweils das zweite Bein von Irena und Melanie, als wäre das die normalste Sache der Welt. Sie hat diesen Job ebenfalls gelernt, professionell, aber einen solchen freiwilligen Einsatz hätte ich nicht erwartet.
Nachdem ich dann also eine halbe Stunde Massagearbeit beobachtet habe, frage ich die Mitarbeiterin, ob sie Kartoffeln zerquetschen könne, weil man bestimmt eine Menge Kraft für diese Arbeit braucht, und sie ja täglich Finger und Unterarme trainiere. Aber sie lacht darüber und sagt, dass wesentlich mehr mit Körpergewicht gedrückt werde, als tatsächlich mit Muskeln.

Wir verabschieden uns schließlich und jeder geht seiner Wege. Melanie biegt ab nach Shita-Dotemachi und ich gehe in Richtung Universität, mit einem Abstecher in den Supermarkt, um eine Flasche Yoghurt-Kalpis zu besorgen. Da ich dieser Tage wegen der Menschenfülle nur ungern in die Bibliothek gehe, muss ich mit dem Center vorliebnehmen. Melanie ist sogar vor mir angekommen. Sie sagt, die „Card Captor Sakura“ Metallic-Karten, die sie habe kaufen wollen, gebe es nicht mehr. Außerdem teilt sie mir mit, dass ich eine Verabredung mit Yui am Morgen vergessen habe. Oh, übel. Immerhin habe ich eine gute Ausrede.

Wegen der Mängel meines derzeitigen fahrbaren Untersatzes (das vordere Bremskabel ist gerissen), muss ich mir ein neues Fahrrad aneignen. Ich beobachte also seit einigen Tagen ein brauchbar aussehendes Modell und habe festgestellt, dass es seit zwei Wochen nicht von der Stelle bewegt worden ist. Also erlaube ich mir, es zu benutzen. 21 Gänge, Federung an beiden Achsen und funktionierende Bremsen. Eine Lampe hat es auch nicht, aber immerhin vorne und hinten Reflektoren. Ich werde wohl die restlichen Wochen damit klarkommen, so lange es mir nicht unter dem Hintern zusammenbricht.