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Aus dem noch unerforschten Inneren meines Schädels

26. September 2011

Gaytal Kamikaze (Teil 2)

Filed under: Arbeitswelt — 42317 @ 20:32

Klären wir doch jetzt mal die Frage, wie es sein kann, dass der Kurde neuerdings wieder Bitburg fährt, wofür ja eigentlich Kelvin verantwortlich war. Zumindest glaube ich, dass diese Information aus vergangenen Einträgen irgendwie ersichtlich wurde.
Eines schönen Tages bemerkte Mike bei der Kontrolle der Auslieferfortschritte am Nachmittag, dass Kelvin eben keine Fortschritte mehr machte. Er rief ihn an und Kelvin meldete völlig überraschend, dass er krank sei. Morgens war er noch fit gewesen, aber sowas kann ja mitunter plötzlich kommen, und man muss bedenken, dass Kalaschnikow ja mit einer fast chronischen Lungenentzündung rumläuft, die er aus Arbeitswut weder auskuriert, noch durch ständiges Rauchen irgendwie sonst einer Besserung zuführt.

Jedenfalls platzte am folgenden Morgen eine kleine Bombe:
Kelvin hatte am Tag zuvor bemerkt, dass er ein Paket vermisste und deshalb Anzeige gegen Unbekannt erstattet, das heißt, das Depot mit allen Mitarbeitern unter Generalverdacht gestellt. Bis dato weiß noch keiner, was daraus geworden ist. Laut Zentralcoomputer hat Kelvin das Paket um etwa zehn Minuten vor Sieben vom Band genommen, also gescannt, und die Videoüberwachung würde wohl zeigen, ob er es ins Auto geladen oder ob es jemand illegal an sich genommen hat. Dabei ist dieser Extremfall eigentlich auszuschließen, denn es handelt sich um ein Tchibopaket, das heißt, da ist kein Kaffee drin, sondern die Art von Tand, der in den Supermärkten im so genannten “Tchibo-Shop” aushängt. Welcher Idiot würde sowas klauen? Es ist eher anzunehmen, dass Kelvin das Paket an den falschen Kunden ausgeliefert hat und nicht mehr weiß, wo. Oder er hat vergessen, seine kaputte Heckklappe zu sichern (die hält nur mit einem innen angebrachten Expander zu) und das Ding ist rausgefallen. Mike wollte oder konnte auf spätere Nachfrage hin keine weiteren Angaben machen.

Kelvin tauchte daraufhin nicht mehr in Trier auf, was ich verstehen kann, da seine Beliebtheit radikal ins Bodenlose gesunken war. Ich verstehe seinen Schritt ja auch nicht. Wenn ein Paket wegkommt, dann redet man doch zuerst mal mit den Disponenten und mit den Chef, aber wendet sich doch nicht sofort an die Polizei. Ich denke, er wird seine Gründe haben, und ich vermute, dass seine Motivation in seiner Zeit als Hermes-Fahrer begründet liegen könnte.
Da hatte er wohl dreieinhalbe Jahre gearbeitet, Montag bis Samstag, bis abends nach 22 Uhr, ohne Urlaubsgenehmigung, mit heute noch ausstehenden Lohnforderungen von etwa 5000 E. Würde mich nicht wundern, wenn er sich da einen Schaden im Kopf geholt hätte. Während andere Fahrer immer für weniger Ladung dankbar waren, nahm er alles mit, was er kriegen konnte, vor allem Paletten. Und wenn man ihn darauf ansprach, dass er ja auch früher bei Frau und Kind sein könnte, fragte er, was er denn so früh zuhause solle. Seine Frau (ebenfalls Fahrerin) sei daran gewöhnt, dass er erst abends zurückkehre und frage ihn sonst, wo er denn jetzt schon herkomme. Zur künstlichen Verlängerung des Arbeitstages ging er mehrfach am Tag Kaffee trinken oder stellte sich am Nachmittag auch schon mal eine Stunde auf einen Parkplatz. Und dann stand er jeden Morgen um Drei auf, war spätestens um halb Fünf im Depot und hielt dort paradoxerweise noch ein Nickerchen, bis die “normalen” Leute um Fünf eintrafen.

Es hieß dann also, Kelvin sei firmenintern nach Koblenz gewechselt (und der Kurde erhielt fürs erste den Kofferwagen, den Kelvin bislang gefahren hatte). Aber zwei Wochen später verbreitete sich das Gerücht, er habe dort seine neue Tour nicht gebacken bekommen und sei gänzlich gekündigt worden. Als der Kurde neulich bei ihm war, um die Kelvin überlassene Tankkarte abzuholen, sagte der nur, wenn man so einen verständnislosen Chef habe (er meine den Chef vom Depot, nicht den Herrn JP), bleibe einem gar nichts anderes übrig, als Anzeige gegen Unbekannt zu erstatten, und führte das leider nicht weiter aus. Allerdings ließ er sich vom Kurden den Personalausweis zeigen und eine peinlich detailgenaue Quittung ausfüllen, in der er die Übergabe der Tankkarte bestätigte. Der war wegen dieser paranoiden Haarspalterei jedenfalls “oberstinkesauer”, wie es Barney Geröllheimer einmal angesichts einer laut probenden skandinavischen Band ausgedrückt hatte.

Und das war nicht alles, was man an seltsamen Dingen aus Koblenz hört: Plötzlich tauchte am 19. September Kalaschnikows Fahrzeug in unserer Halle auf, nur von Kalaschnikow keine Spur. Stattdessen fuhr nun der Kurde damit. Kalaschnikow habe sich krank gemeldet und es sehe so aus, als wolle er ganz aussteigen.

Sind denn in Koblenz alle bekloppt? Ist in Koblenz vielleicht einfach der Stress höher? Immerhin handelt es sich um ein mehrfach größeres Depot mit einem viel längeren Paketband, an dem allein ein Dutzend Aufleger arbeiten und ca. 60 Fahrzeuge unserer Firma stationiert sind. Wenn ich so darüber nachdenke, fällt mir eine möglicherweise nebensächliche Anekdote ein, die unser Lagerist Antonius (Name geändert) über das Familienfest unserer Distributionsgruppe (das heißt alle Angestellten aus Koblenz und Trier) erzählt hat, als ich ihn am Montag danach fragte, wie es denn gelaufen sei (ich hatte an dem Tag bereits eine familiäre Einladung, der ich folgen musste):
“Am Trierer Tisch war total Gröhl und Party, und die Koblenzer, die saßen nur ganz still und ruhig da.” (Und das viel kleinere Trierer Team habe bereits in der ersten Nachmittagshälfte den größten Teil der bereitgestellten Cocktails gesoffen, noch bevor das Fest richtig angefangen hatte.)

Ich fühle mich versucht, aus dieser Anekdote Rückschlüsse auf das jeweilige Betriebsklima zu ziehen, und das Sammelsurium an Faktoren, die das emotionale Klima in einer Firma beeinflussen, kennt jeder zumindest implizit, der Vollzeit irgendwo arbeitet. Wie man meinen Einträgen entnehmen kann, halte ich die Stimmung in Trier für sehr gut. Natürlich haben auch mal Leute einen schlechten Tag, und wenn eine Serie zu dicht aufgelegter, großer, oder schwerer Pakete für den selben Fahrer auf einmal anrollt, dann vergeht dem auch schon mal der Spaß, aber allgemein kann ich mich nicht beschweren – und ich bin jemand, an dem eine schlechte Atmosphäre nicht einfach abprallt. Ich mache diese Arbeit gern, und das liegt nicht nur an der Arbeit an sich, sondern auch an den Leuten, die ich dort treffe.

Aus dem Grund habe ich übrigens beschlossen, den Versuch zu unternehmen, aus den Kollegen dort eine neue Spielgruppe aufzuziehen, mit denen man sich einmal im Monat zusammensetzen und “BANG!” oder “Battle Star Galactica” oder sonst was spielen kann. Prinzipielles Interesse haben bereits welche bekundet, was ja nie viel heißt. Von daher suche ich mir einen größeren Kreis von Interessierte und hoffe, dass sich ein Kern von Stammspielern ergibt. Aber das wird sich noch zeigen müssen.

Mike sagt übrigens, ich müsse öfter mal „Nein“ sagen – da ich wenige Pakete im Auto habe, erkläre ich mich oft bereit, Pakete für die Fahrer zu übernehmen, die ihre Autos voll haben. Ich müsse aber den Zeitfaktor besser im Auge haben: Ich fahre weniger Pakete, aber fast dreimal so viele Kilometer. Die vollen Autos sind um zwei Uhr Nachmittags leer und die Fahrer liegen auf der Couch, ich habe meinen letzten Kunden, wenn’s gut läuft, um Vier und muss dann noch etwa eine Stunde fahren, bis ich zuhause bin. Ich sollte Hilfe also nur noch dann zusagen, wenn der Betroffene nicht alles ins Auto bekommt.

Wenn ich schon von “den Leuten” spreche, dann komme ich zum Schluss noch zu neueren personellen Entwicklungen.
Zunächst einmal wurde der Kurde von Peter auf Gefahrgutlehrgang nach Köln geschickt, zwei Wochenenden. Ausgerechnet der, der für so viele Schäden, Strafen und Bußgelder verantwortlich ist? Meine Freundin meinte schon spöttelnd, dass es sich dabei vielleicht um eine ausgeklügelte Intrige handele, den Kurden loszuwerden: Der Dozent in Köln sei dafür bekannt, sehr streng zu sein und Kursteilnehmer, die unpünktlich zum Unterricht erschienen, aus dem Lehrgang zu werfen, und die Disziplin unseres kurdischen Kollegen ist ja nun mal keine. Ich halte Peter allerdings nicht für diese Art von Mensch, von daher glaube ich eher, dass er ihn durch Übergabe von Verantwortung zu erziehen versucht. Ebenfalls ein interessanter militärischer Grundsatz: Wenn ein Rekrut rebellisch oder sonst irgendwie quer kommt, mach ihn zum Stubenältesten oder gib ihm sonst eine Verantwortung. Das hat schon bei manchen Leuten Wunder bewirkt.
Und, man höre und staune, der Kurde war unter den zwei Dritteln der Teilnehmer, die den Kurs tatsächlich bestanden haben. Jetzt warten wir darauf, dass er einen ausgibt.

Des weiteren zieht sich die Beantragung der Mittel für einen C/E Führerschein beim Arbeitsamt in die Länge. Mein ursprünglicher Vermittler ist nicht mehr für mich zuständig, weil ich nicht arbeitslos mit Hartz-IV Bezug bin. Er verwies mich an eine Frau Cornell, die für Arbeitssuchende ohne Leistungsbezug zuständig ist, aber auch die musste mich nach einem fünf Minuten dauernden Informationsgespräch unverrichteter Dinge wieder gehen lassen, weil ich mich zwar arbeitssuchend gemeldet habe, aber immer noch in Arbeit sei. Sie verwies mich an ein Programm mit der Bezeichnung “Wegebau”, wo sich allerdings nicht der von Arbeitslosigkeit bedrohte Arbeitnehmer, sondern dessen Noch-Arbeitgeber melden müsse, um eine arbeitsplatzerhaltende Maßnahme für den Arbeitnehmer zu beantragen. Ich gab die entsprechenden Daten an Peter weiter und harre nun der Dinge, die da kommen.

Peter braucht nun aber einen LKW-Fahrer ab dem 1. Oktober und hatte sich noch nicht wirklich um einen Ersatz für den leider gegangenen DJ gekümmert. Ich hielt also Rücksprache mit jemandem, der einen C-Führerschein hat, sprach die Sache mit Peter ab, und erreichte somit, dass Puck ab Anfang Oktober das Einführungspraktikum bei Transoflex macht.
Ich hatte gar nicht darauf zu hoffen gewagt, dass Puck zusagen würde, und die sehr wenigen Leute, denen ich vor diesem Eintrag davon erzählt habe, wollten es kaum glauben. Ich freue mich selbst, dass er sich dazu entschlossen hat und hoffe, dass er den Job und damit mehr Perspektive und Struktur (und Einkommen) in seinem Leben erhält.