Mein Irrer Montag (Teil 2/2)
Dann folgten wir der Märchenallee, wo man auf Knopfdruck in Glaskästen animierte Szenen aus Grimms Märchen sehen und hören kann. Als Kind mochte ich das sehr und habe keins ausgelassen, aber heute… vielleicht würde ich mir aus nostalgischen Gründen eine Szene ansehen, wenn der Park nicht mittlerweile um einiges gewachsen wäre.
Die Märchenallee führt in dieser Richtung direkt nach „Österreich“, wo man sich die Tiroler Wildwasserbahn nicht entgehen lassen kann. Die Warteschlange war auch hier in ständiger Bewegung. Eine Wartezeit von über 20 Minuten existierte zwar, aber man blieb nie so lange stehen, dass es besonders auffiel. Richtig übel fand ich dagegen die aufgestellten Jodelautomaten. Man drückt auf einen Knopf und eine Jodelsequenz kommt aus dem Lautsprecher, die mit fortschreitendem Automaten immer länger wird, und jeder dritte Depp drückte auf diesen Knopf. Aber nicht etwa, weil er/sie Jodeln lernen wollte, sondern um andere Leute zu nerven. Was ihnen auch gelang.
Wir ließen den Alpenexpress Enzian aus, da es sich nur um eine harmlose Achterbahn handelt – freigegeben ab vier Jahren und 100 cm Körpergröße, das sagt im Prinzip alles.
Wir blieben bei den Habsburgern und landeten in „Spanien“. Dort befindet sich eine Arena und eine Freilichtbühne, aber die werden nur dann interessant, wenn man alle Hauptattraktionen einmal durch und noch Zeit für Shows übrig hat.
Dann nach „Portugal“. Dort gibt es immerhin den Atlantica Supersplash. Man könnte sagen, es handelt sich um eine Wasserachterbahn mit großen Booten. Da haben wir wieder eine ganze Weile gestanden, ich schätze, es war eine Dreiviertelstunde, und hier muss man den größten Teil der Schlange in der Sonne verbringen. Die aufgestellten Sonnenschirme taten jedenfalls wenig zur Sache. Und am Ende handelt es sich um das kürzeste Fahrgeschäft von allen! Das Boot wird auf Höhe gezogen, dann um 90° nach links gedreht, sodass man eine kleine Senke rückwärts fährt. Das Boot stoppt dann auf einer zweiten Anhöhe, wo es erneut um 90° nach links gedreht wird. Dann geht es einen Abhang hinunter, über eine kleine Kuppe, und dann ins Wasserbecken, wo das Gefährt hinter einer großen Masse Spritzwasser aus den Augen des Beobachters verschwindet. Und das war’s dann auch. Zwischen Einteigen und Aussteigen vergehen vielleicht drei Minuten. Das ist zwar doppelt so lang wie bei so mancher Achterbahn, allerdings verbringt man auch hier noch eine gute Minute mit der Rückfahrt.
Auch hier gibt es einen „Duschbereich“, wo man sich von viel Spritzwasser berieseln lassen kann. Außerdem befindet sich hier eine hölzerne Galeone, die „Santa Marian“, wo man von Zeit zu Zeit Kämpfe zwischen wilden Piraten und königstreuen Matrosen beobachten kann. Kein sehr großer Rahmen, aber immerhin nett aus der Ferne anzusehen. Außerhalb solcher Vorführungen scheint das Schiff als eine Art Spielplatz zu dienen, ich habe Kinder auf einem Trampolin herumhüpfen sehen.
Nach „Portugal“ folgte „Island“, wo wir den neuesten Rollercoaster bewundern durften: Blue Fire. Im schlimmsten Fall muss man dafür 90 Minuten anstehen, aber uns blieben mindestens 45 davon erspart. Es handelt sich um ein ganz hervorragendes Konzept, das so ein bisschen mit den Traditionen bricht: Man wird hier nicht erst auf eine Rampe gezogen, um sich die kinetische Energie von Masse und Schwerkraft zu Nutze zu machen. Stattdessen wird der Zug in eine Startgerade gezogen, wo zunächst eine Warnsirene ertönt, wie man sie aus Filmen kennt. Ich war sicher, was hier folgen würde, also drehte ich mich zu Melanie rüber und drückte ihren Kopf an die Kopfstütze, bevor ich das gleiche tat – und einen Augenblick später wird der Zug aus der Halle quasi herausgeschossen und beschleunigt innerhalb von 2,5 Sekunden auf 100 km/h. Es handelt sich also um eine so genannte Katapultachterbahn. Ich schätze, die bekannteste ihrer Art in Europa dürfte Space Mountain im Eurodisney bei Paris sein.
Sehr cool fand ich, dass sich in den Griffen des Sitzes Abnehmer für einen Herzfrequenzmesser befinden. Beim Start wird meine Herzfrequenz mit 106 angegeben. Draußen während der Fahrt kann ich die digitale Anzeige wegen des Rüttelns und der hellen Sonne leider nicht lesen.
Die erste Kehre kippt den Zug um etwa 90°, dann folgen Kuppen und Täler, ein Looping und drei Korkenzieher, wobei man einmal durch die Loopingschleife hindurch fährt.
Hier sind mir zum ersten Mal besondere Wartereihen für die vordersten Sitzplätze aufgefallen. Ich habe sie zwar schon beim Silver Star gesehen, wusste aber nicht, um was es sich dabei handelt. Hier erkenne ich den Zusammenhang: Wenn man bereit ist, die dreifache verbliebene Wartezeit (60 statt 20 min) zu investieren, kann man ganz vorn fahren. Einige Leute sind da ganz wild drauf, aber heute sind die Schlangen nicht so schrecklich lang, 30 Minuten für Frontfahrer würde ich schätzen. Mir ist es egal, ich sehe keinen großen Unterschied zwischen vorn und in der Mitte, mich reizt ganz hinten eigentlich mehr, ohne dass ich sagen könnte, warum.
Dann verschlug es uns nach „Skandinavien“, wo wir Andersens Märchenturm und Vineta völlig übersahen und direkt zum so genannten Fjord Rafting gingen. Dabei handelt es sich um eine eher gemütliche Wildwasserbahn, die wegen des Spritzwassereffekts und der größeren Bewegungsfreiheit des sich wild drehenden Boots interessant ist. Außerdem möchte ich schätzen, dass die fünf Personen, die insgesamt in unserem Boot saßen, mehr als eine halbe Tonne auf die Waage brachten. Von den drei Franzosen, die da noch dabei waren, wog garantiert keiner weniger als 100 Kilo, und den einen möchte ich auf 130 kg schätzen. Ob nun Masse und Trägheit zum Spaß der Fahrt beitrugen, kann ich nicht einschätzen, aber es sah lustig aus.
Unser Abstecher nach „Holland“ war kurz und blieb beim Besuch der Piraten in Batavia, dem wohl einzigen Fahrgeschäft mit Piratenthema weit und breit, dessen Szenario nicht in der Karibik angesetzt ist (Batavia liegt auf Java, heißt heute Jakarta und ist die Hauptstadt von Indonesien). Eher reizvoll für Kinder und mit veralteter Technik ausgestattet, sind wir wirklich aus nostalgischen Gründen hier mitgefahren, ohne jede Wartezeit, da wollte keiner hin, in einem halbvollen Boot. Was mir noch nie aufgefallen ist, und Melanie wies mich darauf hin, ist der streckenweise starke Duft von Zitronengras während der Fahrt, die teilweise durch eines der Restaurants führt, von wo aus man zu gegebener Zeit die Show Geheimnisvolles Asien sehen kann. Die Boote fahren dabei unterhalb des Blickfelds der Gäste zwischen den Tischen und der Bühne vorbei. Irgendwie fand ich diese Eigenschaft die gelungenste Kombinationsleistung.
„Chocoland“ ignorierend stellten wir uns als nächstes bei der Euro-Mir Achterbahn in „Russland“ an. Voraussetzungen: Acht Jahre und 130 cm, also die Mitte zwischen den mittelmäßigen und den extremen Achterbahnen. Das versprach immerhin etwas. In der Warteschlange unter der lebensgroßen Nachbildung der Mir Raumstation gab’s das Technostück „Angellight“ in der russischen Version, und während man nach dem Start auf Höhe geschraubt wird, gibt es weitere stampfende Beats aus der Russendisco. Das soll kein beleidigendes Vorurteil sein, es war nur ein Begriff, der mir spontan durch den Kopf ging. Das gleiche Gestampfe könnte natürlich auch in jeder anderen Disco laufen.
Die Wagen der Euro-Mir haben nun eine Besonderheit: Sie drehen sich während der Fahrt, nur an bestimmten Stellen, glaube ich, und jeweils um 90°, in welche Richtung, habe ich vergessen, was einem die Höhe, in der man sich befindet, deutlicher vor Augen führt, als wenn man nur geradeaus schauen würde; zumindest war das mein Eindruck. Auch während der rasanten Abfahrt dreht sich das runde Gefährt, und ich glaube, dass man ein bisschen auf seinen Hals achten muss, für den Fall, dass sich im falschen Moment umsieht, denn es könnte sein, dass man sich denselben dabei verrenkt.
Bei der Euro-Mir handelt es sich schon um eine der bekannteren Achterbahnen, aber schon nachdem das Ding in das erste Tal stürzte war mir eins klar: So wild ist das hier nicht. Eine Achterbahn für Weicheier. Der einzige Bonuspunkt besteht aus den Drehungen. Und ich glaube, das liegt daran, dass ich die Achterbahnen in einer willkürlichen Reihenfolge durchgegangen bin. Nachdem man den Silver Star erlebt hat, schockt einen so schnell nichts mehr, muss alles andere eine ungerechte Spur fader wirken, da wirkt so manche eigentlich gute Achterbahn wie kalter Kaffee, glaube ich. Verehrte Freunde, wenn es Euch also nach Rust in den Park verschlägt: Geht zuerst auf alle übrigen Achterbahnen, dann auf die Euro-Mir, als vorletztes auf Blue Fire und als allerletztes auf den Silver Star. Auf diese Art und Weise wird sich das Adrenalinerlebnis immer wieder ein Stück steigern.
Ein Blick auf die Uhr: Hätte der Park wie in den Prospekten angegeben um 1800 zu gemacht, dann hätten wir für Euro-Mir schon keine Zeit mehr gehabt. Es hatte sich im Laufe des Tages allerdings ergeben, dass die Öffnungszeiten bis um 2000 verlängert worden waren. Das bedeutet, dass der Park mittlerweile so groß ist, dass man bei einer Auslastung von schätzungsweise zwei Dritteln (ich schätze das an den heutigen Wartezeiten ab) innerhalb von neun Stunden gerade genug Zeit hat, die Hauptattraktionen abzuklappern. Man sollte also entweder so pünktlich erscheinen, dass man um 0900 durchs Tor gehen kann – oder die Flocken für zwei Tage Eintritt inklusive Übernachtung mitbringen.
Wir hatten also noch Zeit. Wir nutzen sie, um den Poseidon noch einmal zu fahren, und weil wir grade da waren und sie noch keiner von uns kannte, fuhren wir auch einmal mit Pegasus, einer reichlich unspektakulären Achterbahn ab vier Jahren und einem Meter Körpergröße, soll heißen: Für Kinder. Sie heißt wahrscheinlich nicht umsonst „YoungStar Achterbahn“. Entsprechend bedauerlich empfand ich daher anschließend den Zeitverlust. Vielleicht hätte ich stattdessen noch einmal Blue Fire fahren sollen? Aber Melanie sagte, sie wolle keine große Achterbahn mehr fahren, und eigentlich spürte auch ich eine gewisse Müdigkeit, nachdem ich den ganzen Tag durch den sonnendurchfluteten Park gewandert war und einige heiße Stunden in Warteschlangen verbracht hatte.
Wir machten uns also auf den Heimweg. Noch ein schneller Anruf bei der Familie meines kranken Freundes, der nichts Neues brachte, dann ins Auto und auf nach Straßburg.
Auf der Hinfahrt war das Finden des Wegs leicht. Wenn man in Saargemünd auf die Autobahn fährt, kommt man gar nicht umhin, das Schild in Richtung Straßburg zu sehen. Von der anderen Richtung sieht die Sache anders aus. Mir war nicht klar, dass weder Brumath (wo der gebührenpflichtige Teil der Autobahn endet) noch Saargemünd irgendwo ausgeschildert sind. Nachdem ich 20 Kilometer in die falsche Richtung durch die Pampa geeiert bin, fand ich mich in einem kleinen Kaff wieder, wo ich in ein Hotel marschierte und nach dem Weg fragte. Die wechselhafte Geschichte der Region liefert ja immer noch genügend Leute, die in der Lage sind, Deutsch zu verstehen und zu sprechen. Die Madame am Empfang bedeutete mir also, dass ich nach Straßburg zurückfahren und dort auf die Autobahn Richtung Metz/Paris/Nancy fahren muss, die führe ein gutes Stück nach Nordwesten, bis ich Saargemünd gar nicht mehr verpassen könne.
Eine bestätigende Aussage erhielt ich auch vom Kassierer einer Tankstelle, die wir ein paar Kilometer später anfuhren. „L’autoroute Paris/Metz? Tout droit,“ sagte er, und wenn ich eine Vokabel aus dem Französischunterricht nicht vergessen habe, dann ist das „Tout droit“, was nicht zuletzt an der Gestikulation des Lehrers, Herrn Kohl, lag.
Ich fuhr also immer geradeaus auf der Autobahn, zahlte wieder 6,50 E Gebühr, und bog erst ab, als Saargemünd auf dem entsprechenden Schild erschien. Auf wundersame Art und Weise fand ich den richtigen Weg durch die Vororte dieser kleinen Stadt, trotz Nacht und dämmrigem Kopf, nachdem ich mich einfach auf einen Wegweiser gestürzt hatte, auf dem „Zweibrücken“ zu lesen war.
Insgesamt hat die Fahrt dann über eine Stunde länger gedauert, als gedacht, aber das war mir in dem Moment egal. Ich habe im Anschluss wie ein Stein geschlafen, trotz meines eher unbequemen Couchbetts.