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Aus dem noch unerforschten Inneren meines Schädels

27. Februar 2009

Big Mac Ramadan (3/3)

Filed under: Arbeitswelt — 42317 @ 17:16

Wir gingen alles noch mal durch, damit nichts vergessen wurde, zum Beispiel eine Unzahl künstlicher Blumen, die an die Wand getackert wurden und einzeln mit Bolzenschneidern wieder befreit werden mussten, hinzu kam ein Dutzend Frischhalteboxen von jeweils 30 oder 40 Litern Volumen, in denen nichts anderes als verschiedene Arten von Kerzen drin war. Wir stapelten Kisten und Kasten um, um ein Maximum an Platz rauszuholen. Dann kam der Vorarbeiter zu mir und fragte: “Kannst Du nen PC auseinandernehmen?”
Natürlich meinte er nicht die Einzelbestandteile, die man als Endnutzer besser nicht anfasst. Er wies auf die Theke an der Vorderseite des Stands, dort stand ein PC mit flachem Monitor. Sicher kann ich das. Also, Verkabelung lösen, alles einzeln einpacken und in eine Plastikkiste packen. Und wenn ich schon dabei sei, könne ich auch das Büromaterial aus dem “verborgenen” Büro an der Rückseite des Stands in die gleiche Kiste packen, also Tacker, Kugelschreiber, und Visitenkarten. Kein Problem. Hier vorne das dauerte natürlich nicht lange, alle Mehrfachstecker blieben hier, die gehörten der Messegesellschaft, und die Kiste mit dem bisherigen Material sah noch gähnend leer aus.

Ich ging also zum zweiten Büro. “Büromaterial” wie Tacker und Kugelschreiber und Visitenkarten fand ich dort in keinen großen Mengen vor, genau genommen keinen Tacker, zwei Kugelschreiber, und ein Händchen voll Visitenkarten. Dafür aber ein halbes Dutzend Toner für die beiden Laserdrucker, drei mal 500 Blatt “sia” Notizpapier, eine halbe Kiste mit Werbematerial für die Kinderzimmerdekorationsserie, ein Paar Schuhe, einigen Müll, und drei weitere Computer mit mehreren Peripheriegeräten und einem heillosen Kabelsalat unterm Tisch.
“Schaffst Du das in 20 Minuten?” fragte der Vorarbeiter. Da musste ich einen Moment drüber nachdenken. Wieder mein Gesicht?
“Ich frag ja nur, tschuldigung…” sagte er und wandte sich zum gehen. Wahrscheinlich mal wieder mein Gesicht.
“Nein, nein, das Problem ist nicht die Zeit, sondern die Optimierung vom Stauraum. Die Drucker sind schwer, müssten also unten liegen, aber die Oberseite der Drucker besteht aus einem dünnen Plastik, wenn ich da was draufstelle, geht’s vielleicht kaputt.”
“Du kannst ruhig Türmchen bauen. Sieh nur zu, dass das Zeug nach dem Transport noch funktioniert.”
Na denn… ich packte alles in Folie ein und sah zu, dass keine Kante die Oberfläche von den Flachbildschirmen eindellte. Die Drucker landeten daneben, auf einem Sack voller Registriergeräte, also solcher Strichcodeleser. Die piepsten zwar protestierend, aber ich hatte wenig Wahl im Moment. Nach dem Ausräumen dieses Büros war die Kiste rappelvoll und wurde mit einer Packfolie eingewickelt, damit nichts wieder heraus, oder beim Kurvenfahren herunterfiel.

Der Jungspund trat auf mich zu.
“Wollen wir so langsam mal abdampfen?”
“Wenn wir denn fertig sind…”
“Wir sind nur zum Einpacken da. Das Ausladen in Trier geht uns auch nichts mehr an.”
“Ach nein? Das ist natürlich super. Dann können wir so langsam los, es ist spät genug.”
Aber vorher bat man uns noch, bei der Verräumung eines massiven Holztischs zu helfen. Zumindest sah er auf den ersten Blick massiv aus. Aber beim zweiten Hinsehen wirkte er schon wesentlich fragiler, inklusive Gebrauchsspuren. Das konnte doch nicht sein? Die werden doch keinen völlig morschen Tisch in die Auslage gestellt haben?
Doch, haben sie. Der Tisch sollte mit der Platte nach unten auf die Palette gestellt werden, und als wir die Tischbeine anfassten, um ihn zu drehen, merkten wir nicht nur, dass der Tisch lächerlich leicht wie Zunderholz ist, sondern auch, wie die Messingschrauben, die die Beine festhalten sollten, knirschend aus dem Holz brachen. Ich legte den Tisch sofort ab und informierte den Kollegen am anderen Tischende. Wir packten ihn also besser allein an der Platte an. Alle vier Beine wackelten wie Kuhschwänze im Fliegenschwarm. Aber unser libanesischer Kamerad sagte, das sei in Ordnung. Wir füllten die Palette dann noch mit zwei baugleichen Bänken, auf die ich mich lieber nicht setzen würde nach der Begutachtung des Tischs, und einem Holzschrank mit verglasten Türen, aber dann war’s das auch. Die Uhr zeigte 0320 Uhr.

Wir kramten unsere Lohnzettel raus, trugen Datum und Name ein, alle anderen Wochentage strichen wir aus. Dann trug der Vorarbeiter die Arbeitszeit ein, inklusive der Fahrzeiten: 1200 bis 0630. Prinzipiell großzügig, aber während die Fahrzeiten bezahlt wurden, fiellen die Gehzeiten scheinbar nicht in die Arbeitszeit: Wir mussten ja noch eine dreiviertel Stunde bis zu den Autos zu Fuß gehen. Aber um diese Uhrzeit ist mir das gleich. 18,5 Arbeitsstunden werfen so einiges an Geld ab, das ich dringend brauche, aber nach einem Zeitraum von 15 Stunden bin ich auch ziemlich gleichgültig.

Dann also los. Ali beschrieb uns noch schnell, wie wir vom Gelände kommen, weil der Eingang, zu dem wir hereingekommen waren, natürlich geschlossen war:
“Ihr geht raus auf den Parkplatz, dann rechts, dann links, dann immer gradeaus, dann seid ihr auf der Straße.”
Abschließend bekam wir zweimal 25 E für Eventualitäten, zum Beispiel zum Tanken. Den Rest sollten wir mit Quittung im Wagen lassen. Der Tank hatte bei der Ankunft noch 75 %, also sollte das Geld überflüssig sein.

Frohen Mutes gingen wir zu sechst nach draußen. Der siebte, der ältere der Elsen-Mitarbeiter, blieb noch. Ali sagte, um 0400 komme der letzte Sattelschlepper, um den Rest einzuladen. Die hatten also noch was vor sich.
Auf den Parkplatz gekommen, bogen wir nach rechts ab und kamen nach etwas über 100 Metern an einen Kreisel. Dort kann man nicht links abbiegen, also gingen wir geradeaus. Bis wir an einem Bauzaun landeten, der das Weitergehen verhinderte. Hier wurde das “Japanische Tor” gebaut, das einmal eine weitere Zufahrt werden sollte. Der japanische Charakter des Tors offenbart sich aber erst, wenn man es aus einem gewissen Abstand betrachtet: Es ist von der Form her ein geradezu gigantischer Nachbau eines japanischen Tempeltors, in das vermutlich eine Unzahl von Büros und anderen Räumlichkeiten passt. Vom linken bis zu rechten “Pfosten” sind es bestimmt hundert Meter, und die Höhe dürfte so bei etwa 30 Metern liegen.

Es hilft nichts, wir drehten nach rechts, gingen zwischen dem Bauzaun und einem Gebäude entlang, das wir somit halb umrundeten. Auf dem Gelände herrschte alles andere als Stille. LKWs fuhren ebenso wie Gabelstapler herum, vielleicht weniger als am Tag, aber dennoch einige, Arbeiter gingen umher, manche in T-Shirts, bei klirrender Kälte. Es war beißend kalt, aber immerhin war es nicht mehr windig, das rettete viel von der gefühlten Temperatur.
Nach der halben Runde um das Gebäude drehten wir nochmal nach rechts, weil es geradeaus in der Richtung auch nicht weiter ging. Das riesige Tor hatten wir also im Rücken, und nach wenigen Hundert Metern waren wir wieder am Kreisel. Ich forderte die Gruppe auf, hier stehen zu bleiben, überquerte den Kreisel und besah mir das Schild dort. Ich wies mit dem Arm eine Zufahrt hinauf, die mit einem “Fußgänger verboten” Schild behangen ist: “Da lang ist der Ausgang, steht da.”
Und weil uns nichts besseres einfiel, gingen wir halt da hoch. Es war tatsächlich die Ausfahrt, und da vorn war sogar ein Pförtner. Wir hätten also im Kreisel rechts abbiegen müssen. Der Pförtner zeigte die Straße hinunter und sagte, wir sollten da lang gehen bis zum Hotel Tryp, dort links abbiegen und die Straße runtergehen, dann könnten wir das Parkhaus “Rebstock” schon bald sehen.

Also los. Der Jungspund hatte es wieder mal eilig, aber diesmal blieb er immerhin einmal stehen, um auf Nachzügler zu warten. Er verpasste es in der kurzen Pause allerdings auch nicht, an einen Baum auf dem Parkplatz zu pinkeln. Immerhin zeigte er sich umgänglicher, wenn sein älterer Kollege nicht dabei war. Soziolinguistik pur.
Nachdem auch der älteste von uns aufgeholt hatte, fragte ich ihn, ob’s denn ginge. “Es muss”, antwortete er nur. Wir stapften also weiter Richtung Parkhaus, beflügelt vom Gefühl der Heimkehr, und in der kalten Luft fühlte ich mich hellwach. Meine Füße fühlten sich zwar etwas platt an, aber im Nachhinein muss ich feststellen, dass die Arbeit körperlich nicht sonderlich anstrengend war. Viel Einzelkram halt, ich glaube, meine geistige Erschöpfung, mein Konzentrationsmangel, war zum fraglichen Zeitpunkt gravierender. Aber die kalte Luft wirkte dagegen. Ich fühlte mich beinahe euphorisch.

Bis wir vor der Zufahrt des Parkhauses stehen. Die ist fest verschlossen mit einer Schranke und einem schweren Schiebetor. Einen Moment lang sackt uns das Herz in die Hose. Sollten wir etwa hier festsitzen, bis das Parkhaus in ein paar Stunden wieder öffnet? Kann ja nicht sein, oder?
Aber ich erinnerte mich, dass der A-Block des Parkhauses offen gewesen war, und von außen schien es, als könne man zu Fuß auf der Innenseite bis zu den Autos kommen. Das würde zwar nicht notwendigerweise heißen, dass wir auch rausfahren könnten, aber immerhin hätten wir uns in die Autos setzen können und wären vor der Kälte geschützt gewesen. Ich ging voraus zum A-Block, zwei Kaninchen, die scheinbar in dem Grünstreifen neben dem Parkhaus lebten, flohen vor mir.
Wir erreichten die Autos und erkundeten die nähere Umgebung – auf der gegenüberliegenden Seite des Parkhauses konnte man herausfahren!

Also hinein in die PKWs, die Uhr zeigte 0430. Bis auf den Anglisten fuhren alle mit dem Jungspund, der sich bereit erklärt hatte, die Trier umliegenden Dörfer abzuklappern, wo die Leute wohnten. Der Anglist wohnt in der Trierer Innenstadt, also fuhr er mit mir, was mich doch freute. Ich machte mir erst gar nicht die Mühe, mit dem Jungspund irgendeine Route abzusprechen oder Fahrverhalten zu diskutieren. Ich hatte keine Böcke, auch auf der Rückfahrt durch den Hunsrück zu eiern, dafür bin ich dann doch zu müde. Ich wollte so weit wie möglich auf der Autobahn fahren.

Der Jungspund war zwar umgänlicher ohne seinen älteren Kollegen, aber an seiner Ignoranz gegenüber den Regeln der StVO änderte das nichts. 500 m nach dem Verlassen des Parkhauses überfuhr er eine rote Ampel. Es war kein Verkehr, es bestand keine Gefahr, und ein Blitzgerät gab es zu seinem Glück auch nicht. Als aber im nächsten Moment hinter uns eine Sirene ertönte und ein Polizeiwagen überholte, waren wir für einen Moment der Meinung (oder schadenfreudigen Hoffnung), die würden ihn meinen. Aber sie wollten nichts von ihm. Sie fuhren am ersten Zafira vorbei und bogen Richtung Innenstadt ab. Das Schauspiel hätte ich gern gesehen, muss ich zugeben.

Die Autobahnfahrt war unspektakulär, aber unnötig lang. Der Jungspund war irgendwann verschwunden, möglicherweise in Richtung Ebertheim abgebogen. Ich jedenfalls verpennte die Ausfahrt und fand mich auf der Strecke Richtung Kaiserslautern wieder, und bis ich eine Abfahrt fand, deren Richtungsangabe mir bekannt vorkam (“Köln/Koblenz”), war ich auch schon auf etwas über 40 km an Lautern ran. Ich drehte also gewissermaßen um 180° und fuhr in Richtung Koblenz (“98 km”), fand die richtige Richtung wieder (“Trier 134 km”), und machte an der Raststätte “Hunsrück” kurz halt, weil mein Nebenmann was zu Trinken brauchte. Er spendierte mir ein Snickers. Ich finde dieses zähe Karamell-Schleim-Zeugs zwar nicht sonderlich ansprechend, aber ich glaube, ich konnte den Zucker gut gebrauchen.

Nach Trier fuhren wir eine Weile auf der Bundesstraße. Stellenweise zäh fließender Verkehr, scheinbar die ersten Pendler, aber auf der Autobahn erübrigte sich das wieder. Das Thermometer zeigte -7,5° C an, und wir hatten Glück, dass es trocken blieb. Leider blieb auch meine Scheibenwischeranlage trocken, weil die Wasserleitung einfror. Ich hatte also einen Grauschleier und Streifen auf der Scheibe, aber ich konnte der Route folgen. Ich sorgte mich nur ein bisschen, weil ich Probleme hatte, die Straßenschilder scharf zu sehen.

Es klappte aber alles. Rein in den Kreisverkehr, die Paulinstraße runter. Ich ließ meinen Mitfahrer auf Höhe des Blumenladens raus und fuhr zum Moselufer, um den Wagen ins Industriegebiet zu bringen. Als ich über die Konrad-Adenauer-Brücke fuhr, war es 0645. Ich bog schließlich auf den “sia” Parkplatz ein und stellte fest, dass der Jungspund scheinbar ebenfalls erst vor knapp fünf Minuten eingetroffen war. Der Unsichere war noch bei ihm, weil er noch im eigenen Wagen nach Kroev fahren musste und der andere auf dem Weg wohnt.

Ich warf die Wagenpapiere, die ungenutzten 25 E, den geliehenen Filzstift und das Teppichmesser ins Handschuhfach, die Wagenschlüssel in den Firmenbriefkasten unter der Laderampe. Wir verabschiedeten uns und ich ging die nächste Haltestelle suchen, die ich ein paar Hundert Meter weiter auch fand: Abfahrt 0704 – das war vor fünf Minuten. Na herrlich. Nächster Bus in zwanzig Minuten. Da ich nie viel davon gehalten habe, einfach stehen zu bleiben, ging ich noch bis zur nächsten Haltestelle, wo noch zehn Minuten verblieben. Ich wäre auch noch weitergegangen, aber ich konnte mich nicht erinnern, wie weit es bis zur nächsten Haltestelle ist. Ich verspürte keine Gelüste, den nächsten Bus wegen meiner Rastlosigkeit zu verpassen, außerdem sagten meine Füße, dass sie nicht mehr wollten. Ich blieb also ziemlich apathisch stehen und erfuhr den Sonnenaufgang im Industriegebiet West.

Ein paar Minuten später rief meine Freundin an, und genau in diesem Moment war der Akku alle. Die wird sich wohl Sorgen gemacht haben, denn eigentlich dachten wir ja, ich sei um drei Uhr morgens zurück. Das tat mir natürlich leid, aber ich hatte keine Gelegenheit, mich zu melden, außerdem konnte ich mir nicht sicher sein, wie erfreut sie auf einen Anruf zu diesen Zeiten reagiert hätte.

Ich stieg in den Bus, freute mich auf eine gemütliche Leerfahrt; stattdessen war er proppevoll mit Schülern ab 11 aufwärts. Dann also stehen. Ein paar von den Jungs machten Hausaufgaben. Ich hatte da ein Déja-vu. Aber meine aktive Wahrnehmung schaltet immer mehr ab. Am Hindenburg Gymnasium waren dann endlich genug von denen ausgestiegen, dass ich mich setzen konnte, und um 0810 war ich dann zuhause. Ich nahm einen Snack zu mir und ging anschließend ins Bett, nachdem ich meine Freundin gebeten hatte, um kurz nach Zehn in der Teppichgalerie anzurufen, in der ich heute eigentlich ab 1400 arbeiten sollte.
Die Chefin stellte mich verständnisvoll frei, bis morgen, obwohl sie alleine im Laden war. Dann hoffe ich mal, dass nicht allzuviel los ist, denn alleine die Ware vom Stapel zu hieven, ist je nach Stapel nicht ganz ohne.

Wäre ich nicht geweckt worden, hätte ich vermutlich durchgeschlafen. So stand ich um 1630 wieder auf, freute mich bis um Mitternacht an einer Runde DSA und schlief dann gleich noch einmal bis zum Mittag, 48 Stunden nach Arbeitsbeginn. Ein kleines Abenteuer für sich, aber ich glaube, für die würde ich durchaus noch einmal arbeiten.