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Aus dem noch unerforschten Inneren meines Schädels

24. September 2009

Ich geh dann mal Zelten

Filed under: Arbeitswelt — 42317 @ 14:52

Kommen wir zum 20. September.
Ich wurde am Mittwoch zuvor überraschend von der City-Initiative kontaktiert und gefragt, ob ich am Sonntag nicht Zeit und Lust hätte, auf das bis dahin leere Zelt am Domfreihof aufzupassen, für zehn Stunden von 0900 bis 1900, das Ganze ohne besondere Aufgaben. Das Zelt könne am Sonntag nicht abgebaut werden und müsse daher bewacht werden.
Gut, die zahlen zwar nur 6 E die Stunde, aber dafür, zehn Stunden totzuschlagen und dabei, wenn auch zwingend ortsgebunden, machen zu können, was man will, kann man auch nicht mehr verlangen, und 60 E sind sechzig Euro.

Als ich am Sonntag Morgen um 0855 ankam (es stellte sich als zeitlich günstiger heraus, den Bus ab Uni Süd zu nehmen und an der Basilika auszusteigen), war niemand da. Eigentlich sollte ich das Zelt von der Nachtschicht des Wachdiensts übernehmen, aber weit und breit keine Menschenseele, außer ein paar Dombesuchern, die unter den feierlichen Klängen eines Chors durch das Tor der Kultstätte schritten, und der Frau Bohlen, die vorm “Domstein” Tische saubermacht.
Nach zehn Minuten wurde mir das Warten zu dumm. Ich knöpfte den Eingang vom Zelt auf, ging hinein, und baute mir von der Bierzeltgarnitur einen Tisch und eine Bank mit Blick zum Eingang auf. Ich hatte zum Lesen eine inoffizielle Biografie von Patrick Stewart dabei (die mehr ein “Behind the Scenes of Star Trek: Next Generation” mit Schwerpunkt auf den Captain und seinen Darsteller ist), von der ich nicht sicher war, ob sie noch bis zum Tagesende reichen würde, außerdem noch ein paar andere SciFi Titel, u.a. “Door to Summer” von Heinlein, meinen MP3 Player mit Vorlesungen zum Thema Relativitätstheorie und meine komplette GameBoy Sammlung dabei. Als Tageszehrung werden mir zwei Liter Wasser dienen.
Um 0915 rief der Wachdienst bei mir an, fragte, ob ich vor Ort sei, und wünschte mir viel Vergnügen bis zum Abend. Der Verantwortliche hatte sich scheinbar kurz vor meiner Ankunft auf einen abschließenden Rundgang begeben, der so rund nicht sein kann, weil er ja dann wieder zum Dom zurückgekehrt wäre.

Ich saß da und las bis zum frühen Nachmittag, hin und wieder regnete es ein bisschen oder auch ein bisschen viel. Ich ermunterte Leute, sich bei mir unterzustellen, aber die gingen dann doch lieber noch die paar Schritte bis zum Dom. Wenn es nicht regnete, vertrat ich mir die Beine mit einer Runde um das Zelt. Eine Weile schien die Sonne auf das Plastikdach, und das machte sich im Klima darinnen schon bemerkbar, von daher hatte ich die Regenphasen eigentlich lieber. Das Zelt hat nämlich einen waagerecht ausgerichteten Plankenboden, unter dem das Regenwasser hindurchläuft, ohne mich mit seiner Feuchtigkeit zu belästigen.

Am frühen Nachmittag wechselte ich zu meinem MP3 Player, muss allerdings feststellen, dass alle Batterien hoffnungslos ausgelutscht sind. Dann eben keine Lektion zu Schwarzen Löchern und Raum-Zeit-Krümmung.

Unter meinen Spielen waren (und sind) einige, die ich seit Jahren nicht angefasst habe. Bei “NBA Challenge”, das ich einmal irgendwo gefunden habe, muss ich das auch nicht bedauern. “Tetris” habe ich nicht mehr so richtig drauf… ich versage auf B-9/5 so total, dass mich auch der psychologische Trick mit der Supergeschwindigkeit nicht rettet: Man drückt im Startbildschirm das Steuerkreuz nach unten und dabei auf Start; das Spiel wird daraufhin in doppelter Geschwindigkeit laufen. Wechselt man dann nach wenigen Minuten von “Super 9” auf “Normal 9”, dann kommt einem der normale Spielmodus recht gemütlich vor. Aber es mangelte mir mittlerweile oder vielleicht auch nur heute irgendwie an der schnellen, intuitiven Auffassungsgabe, die man braucht, um die zufällig anrollenden Blocks in günstige Positionen zu schieben.

Ich wechselte zu “Final Fantasy Legend II”. Ich ging davon aus, lediglich noch einen Speicherplatz zum Endkampf zu haben, aber halt! Ich erinnerte mich dunkel, dass ich während meiner Oberstufenzeit (also 95-97) ein neues Spiel begonnen hatte, in dem ich zuletzt Venus City von ihrer rassistischen Herrscherin befreit hatte… und zwar mit einer Abenteurergruppe, die nur aus Menschen besteht – eine Kombination, die von der Spielanleitung als ungünstig, weil teuer, verworfen wird. Es dauerte ein paar Minuten, bis mir die Optionen und Strategien wieder bewusst waren, immerhin habe ich dieses Spiel seit über zehn Jahren nicht gespielt, und ich muss mich sehr wundern, dass die Spielstände noch einwandfrei vorhanden sind. Meine Speicherkarte für die Playstation hält diesen Qualitätsstandard nicht.

Warum sind Menschen im Gegensatz zu Androiden, Mutanten und Monstern als Spielercharaktere so teuer?
Weil die letztgenannten drei ihre Angriffsoptionen nach einer Nacht im Gasthaus wieder aufladen, während die Menschen ständig neue Waffen kaufen müssen. Ein Schwert zum Beispiel hat in der Regel 50 Attacken, bevor es unbrauchbar wird. Unrealistisch, aber so sind hier halt die Spielregeln. Die Sonderregeln für Androiden sind dergestalt, dass verwendete Gegenstände auf 50 % ihrer Haltbarkeit reduziert, dafür aber “wiederaufladbar” werden. Außerdem stehen Mutanten und Monster oftmals magische “Massenvernichtungsmittel” zur Verfügung, also Angriffe, die sich auf die gesamte Gegnergruppe, anstatt lediglich auf ein Individum, auswirken. Ein Mutantenmagier mit Flächenangriff ist ein dicker Bonus für die Gruppeneffizienz. Aber ich wollte es ja wissen, wie das mit nur Menschen so ist.
Ich bin damals darauf gekommen, dass das Management einer ausschließlich aus Menschen bestehenden Gruppe reine Betriebswirtschaftslehre in ihrer simpelsten Form ist.

Angenommen, man erhält für ein totes Monster 250 GP (“gold pieces”). Das ist Geld, das Menschen nachher für neue Ausrüstung brauchen. Nehmen wir weiterhin an, dass das Schwert des Helden, der das Monster niederstreckt, im Laden 40.000 GP gekostet hat und 50 Anwendungen erlaubt. Der eine Schlag, mit dem das Monster getötet wurde – und man braucht im Idealfall nur einen – kostet also ein Fünfzigstel = 2 % des Neupreises: 800 GP. Würde ich so weitermachen, hätte die Gruppe am Ende 40.000 GP ausgegeben, aber nur 50 x 250 = 12.500 GP eingenommen. Die Gruppe wäre bald pleite. Und diese Rechnung beachtet noch nicht die 1:1 Kosten, die durch die Heilung von verlorenen Lebenspunkten der Helden im “Inn” enstehen, und ganz extrem wird die Sache, wenn man mangels Können (das heißt mangels genügend großer Fähigkeit, Schaden auszuteilen) mehrere Schläge für ein Monster braucht.

Der Heldenmanager muss also auf Waffen zurückgreifen, deren Kosten das errechnete Einkommen pro Schlag unterschreiten. Zum Beispiel ein Schwert für 11.000 GP. Das kostet pro Schlag nur 220 GP. Pro Monster würde also ein Gewinn von 30 GP anfallen. Ausgaben 11.000, Einnahmen 12.500 GP. Besser als nichts, aber wahrscheinlich nicht genug, da die Helden ja auch Schaden einstecken, der beim Heiler bezahlt werden muss. Bei einem Gewinn von 30 GP muss man 10 Monster für einen Heiltrank umbringen, der, verteilt auf vier Anwendungen, etwa 750 Lebenspunkte zurückbringt (und damit deutlich günstiger als der Heiler ist).
Also noch günstigere Waffen finden. Diese sind dann natürlich direkt proportional zu ihrem Kaufpreis weniger effektiv, und das heißt: Leveln tut not. Die statistischen Werte der Helden müssen mittels Training so weit steigen, dass ihre körperlichen Eigenschaften die mangelnde Schadenskapazität ihrer Waffen ausgleichen.
Anders als bei “Final Fantasy Legend I” muss ich zum Waffenkaufen auch nicht zeitraubend den Weltenturm hinuntersteigen, weil sich in meiner Sammlung magischer Steine (“Magi”) ein “Pegasus Magi” befindet, mit dem ich mich zu jeder beliebigen bereits besuchten Stadt teleportieren kann. Echt praktisch.
Zuletzt muss man sich nur davor hüten, vor lauter Finanzplanung den Wert von 999.999 GP im Geldbeutel (oder eher: “auf dem Ochsenkarren”?) zu überschreiten – dann fängt die Zählung nämlich wieder bei 0 GP an, und alles Gold ist verloren.

Das Heldenmanagement machte ich dann einen guten Teil des Nachnmittags über, las das Buch weiter und sah dann auf die Uhr: 1600. Ich könnte mal was essen, aber wie tun? Ich konnte nicht weg, zumindest nicht weit. Bei Blasendruck bin ich in den “Domstein” gegangen, mit kommandomäßiger Präzision hinein und wieder heraus, da ich den Weg zu deren Toiletten ja auswendig kenne. Dazu irgendwann später mal mehr. Der Döner am Hauptmarkt ist fad und überteuert. Pommes kaufe ich mir nicht an der Bude, weil das Kilo im Supermarkt 90 Cent, im Straßenverkauf aber pro Portion 1,80 E kostet. Wieviel werden das sein? 100 Gramm? 150 Gramm? Selbst wenn ich das Fritierfett und die Arbeitskosten mit einbeziehe, ist das eine wahrhaft fette Gewinnspanne. Wenn ich mal ebenso fett im Lotto gewinnen sollte, eröffne ich ein Lokal, nenne es “Truppenküche”, stelle Metzger als Köche ein, und verkaufe günstiges Bundeswehrniveau zu überhöhten Preisen an Nostalgiker.
Ich versuche es bei einer Pizzeria in der Neustraße, aber die eröffnen an Sonntag Nachmittagen erst um 1700. Und als ich dann nochmal anrufe, muss ich erfahren, dass die nicht liefern.

Okay, die letzten beiden Stunden würde ich auch noch rumkriegen. Ich schüttete mir mein Wasser in den Bauch, damit der Magen nicht knurrte.
Um 1730 legte ich die letzten paar Seiten des Buchs noch einmal beiseite, um mit einer Partie “Gargoyle’s Quest” eine Punktlandung zum Feierabend hinzulegen.
Brennende Stadt, der Zundo Druer Kugelfisch, Portal, hallo Baron, Fingernail of the Spectre, Monsterturm, Gremlin Stick, Blockbuster, Candle of the Poltergeist, Wings of the Falcon, Essence of the Soulstream, Bellzemos, Darkoan, Armor of Guile, Desert of Destitution, Zakku Druzer, Candle of Darkness, Claw, Marjorita, Rushifell, Eternal Candle, Darkfire, Breager, Abspann.

Blick auf die Uhr: 1830. Entweder ich habe Illusionen über die bisherige Zeit, dieses Spiel durchzuspielen (ich habe gedacht, es dauere 90 Minuten), oder ich habe irgendwas besser gemacht als sonst. Aber das kann ich ausschließen. Ich spiele dieses Spiel seit Jahren von vorn bis hinten durch, ohne dabei auch nur ein Leben zu verlieren oder ein neues kaufen zu müssen.
Ich habe wohl was verwechselt… denn das Spiel füllt eine Zugfahrt nach Saarbrücken, und die dauert etwas mehr als eine Stunde. Ich glaube, die Legende von den 90 Minuten sind entstanden, als ich vor über 10 Jahren mal spielend von zuhause nach Bebelsheim gelaufen bin; von Haustür zu Haustür hat es für ein Spiel gereicht, und aus irgendeinem Grund habe ich gedacht, der Spaziergang habe 90 Minuten gedauert… vermutlich habe ich damals die Abmarschzeit falsch in Erinnerung gehabt.

Die letzte halbe Stunde las ich in meinem Buch, und bis ich an der Bushaltestelle angekam bin, war es zu Ende. Um kurz vor Sieben packte ich zusammen, und als ich gerade die Sitzbank wieder in den Stapel zurücklegte, kam auch schon die Ablösung, die sich die Nacht am Laptop um die Ohren schlagen wollte. Seine Frage, wann das Zelt morgen abgebrochen werde, konnte ich leider nicht beantworten. Ich nahm meinen Rucksack und machte mich auf den Heimweg.
Das war sehr kurzweilig und schnell vorbei.

Eine Antwort zu “Ich geh dann mal Zelten”

  1. W.S.K. sagt:

    Eine Abhandlung zu Final Fantasy Legend II und zu Gargoyle’s Quest! Unglaublich! 😉

    FFL II habe ich jüngst unter meine 11 Lieblingsspiele gerechnet (Hier, gepostet am 22. September: http://forums.ubi.com/eve/forums/a/tpc/f/908103432/m/4501032097); aber es ist ewig her, dass ich es gespielt habe. Und dann ganz sicher auch per Emulator auf PC… ich muss da vielleicht mal wieder dran gehen.

    Und Gargoyle’s Quest in einer Stunde: Respekt!

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