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Aus dem noch unerforschten Inneren meines Schädels

6. September 2009

Mein leicht entflammbarer Dienstag

Filed under: My Life — 42317 @ 13:16

Springen wir zu Dienstag, dem 25. August.

Der Plan war klar: Am Dienstag Morgen wollte ich bereits vor dem Mittagessen wieder in Richtung Trier fahren. Melanie wollte unbedingt ein weiteres kleines Regal kaufen, damit die Mikrowelle nicht im Bücherregal im Wohnzimmer stehen muss. Ich behaupte, die steht da ebenso gut, wie anderswo, aber wenn Melanie mal einen Plan gefasst hat, den sie als notwendig erachtet, dann wird meine Meinung dazu irrelevant.

Dieser Teil des Plans wurde geändert: Nachdem wir um etwa 0900 aufgewacht waren, sahen wir uns nach einem Frühstück zwischen 1000 und 1400 noch den dritten Film der „Herr der Ringe“ Trilogie an, womit Melanie dann endlich die Extended Version der „Rückkehr des Königs“ gesehen hat. Das hieß nun, dass wir doch noch zum Mittagessen blieben, aber auch das war ja kein Beinbruch.

Interessant wurde die ganze Sache, nachdem der Film vorbei war und Vorbereitungen zum Aufbruch getroffen wurden. Als ich mich von meiner Großmutter verabschiedete, fiel beim Großvater der belustigt klingende Satz, „Der denkt wahrscheinlich, Du fährst nicht mit,“ und es dauerte ein paar Sekunden, bis ich verstand, was das zu bedeuten hatte. Zu dem Zeitpunkt, wo der Groschen viel, standen die beiden zusätzlichen Mitfahrer schon auf der Treppe vom Balkon, wo gerade die Tür verschlossen werden sollte. Ich erinnere an dieser Stelle daran, dass mein Großvater nicht mehr Auto fahren soll – aber scheinbar ist er der Meinung, der Arzt habe damit lediglich die Rehaphase nach dem Krankenhausaufenthalt gemeint.

„Moment mal – Du willst ja wohl nicht etwa von Saarbrücken aus heimfahren???“ fragte ich ihn spontan. Darauf sah er mich drei Sekunden an, als habe ich ihn mit einer japanischen Lebensweisheit konfrontiert, bevor wieder Bewegung in ihn kam und er den Schlüssel im Schloss drehte, um anschließend auf den Stock gestützt mit unsicheren Schritten Richtung Garage zu gehen. Meine Frage – mein Einwand – wurde ignoriert. Den Gedanken hinter seinem Gesicht konnte man interpretieren als “… nein, der kann eben unmöglich das gesagt haben, was ich gehört habe.”

Mein Plan war es, nach Saarlouis zu IKEA, dann nach Wasserbillig zum Tanken, und dann nach Trier zu fahren. Sein Plan war es, dass ich nach Saarbrücken zum Zug fahre, und er mit dem Auto wieder nach Hause.

Ich war den Rest des Tages so oberstinkesauer, wie man sich das kaum vorstellen kann, auch wenn man mich bereits eine Weile kennt, und mein Kehlkopf verkrampfte sich derart, dass meine Stimme klang, als würde ich gleich in Tränen ausbrechen – was mitnichten der Fall war, das garantiere ich.
Ich verstehe sein Argument irgendwo: Ohne einen PKW kommt er weder zum Arzt noch in den Supermarkt, und seine Liebe zur persönlichen Unabhängigkeit, vielleicht auch Stolz, verhindert, dass er ständig die Nachbarn um Hilfe bitten will, wenn irgendwas im Haushalt fehlt.

Seine Aussage „Ich fahre nur noch die Strecken, die ich kenne“ klingt an sich vernünftig, wenn die Sache nicht zwei Pferdefüße hätte: Erstens hat ihn dieser schon vor längerer Zeit gefasste Vorsatz nicht daran gehindert, einen Ausflug nach Remich (Luxemburg, d.h. 250 km hin und zurück) zu machen, denn er verstößt damit nicht gegen seinen Vorsatz: Die Strecke kennt er ja schließlich auch, er ist sie bereits Dutzende Male gefahren – was könnte also schief gehen? Der zweite Punkt könnte schief gehen: Wenn sein Arzt eine Aussage macht, wie, dass er (wegen der Gefahr eines neuerlichen Schlaganfalls) jeden Moment tot umfallen könne, dann meint er damit eindeutig nicht, „Das kann Ihnen natürlich nie während des Autofahrens passieren“!!

Der Herr Großvater hat chronisch geschwollene Hände (keine Entzündung, aber Wasseransammlung im Gewebe), kann keinerlei Arbeiten mehr verrichten, kann kaum noch gehen, hat große Mühe, aus dem Autositz (oder seinem Sessel) zu kommen, ist erst zu deutlicher Sprache fähig, nachdem am Morgen sein Kreislauf ein wenig in Schwung gekommen ist, seine Aufmerksamkeitsspanne ist geschrumpft wie ein Joghurtbecher im Backofen (und wenn ich damals auf der Rückfahrt von Neuss im Beifahrersitz geschlafen hätte, anstatt bewusst auf sein Fahrverhalten zu achten, wäre ich heute vielleicht nicht mehr unter den Lebenden), und er ist auf einem Auge blind. Sein infarktgefährdetes Herz und seine anfälligen Blutgefäße im Gehirn interessieren sich nicht die Bohne dafür, wie gut er die Strecke kennt… wenn er während der Fahrt auf der Landstraße plötzlich das Bewusstsein verliert, bringt er hoffentlich nur sich alleine um – und nicht noch meine Großmutter und Leute, die in einem entgegenkommenden Fahrzeug sitzen.

Oder angenommen, es gibt nur einen Personenschaden – was sagt wohl die Versicherung, wenn sie erfährt, dass der Fahrer des Wagens eigentlich fahruntauglich war? So eine Schadensersatzforderung wegen eines Personenschadens kann ihn dabei sein (und damit mein) kürzlich erst abbezahltes Haus kosten. Aber auch ein Sachschaden wäre unter diesen Bedingungen vermutlich schon geradezu unbezahlbar.

Auf Anfrage habe ich erfahren, dass die Führerscheinstelle einen Führerschein bei fehlender Eignung eines Fahrers einziehen kann, und das auch aus Krankheitsgründen, denn ich kann nicht zulassen, dass der alte Mann sich selbst und andere gefährdet. Wenn er ins Dorf oder zum Einkaufen will, dann soll er sich ein Taxi nehmen. Für die drei Termine, die er im Monat hat, wird er sich das leisten können.

Ein Anruf bei der Fahrerlaubnisbehörde in Homburg brachte etwas Licht in den Fall: Wenn irgendjemand den begründeten Verdacht hat, dass jemand auf Grund egal welcher Einschränkungen nicht mehr fahrtauglich ist, dann kann er das den Behörden melden, und diese laden dann den Verdächtigten zu einem ärztlichen Untersuchungstermin vor, bei dem vom Amtsarzt oder Verkehrsarzt entschieden wird, ob der Betroffene seinen Führerschein behalten darf. Ungünstig für mich als Familienmitglied ist dabei, dass die Behörde dem zu Untersuchenden nicht verheimlichen darf, wer den Tipp gegeben hat. Das würde ein Familiendrama auslösen… das ist wahrscheinlich in anderen Fällen bereits geschehen und deswegen melden auch viele Familien ihre älteren Fahrer nicht und hoffen auf das Beste. Der Mann am Telefon empfahl mir allerdings, mit der Polizei Kontakt aufzunehmen, die den verdächtigten Fahrer dann “zufällig” kontrollieren könne, wenn er unterwegs ist. So würde die Polizei den Untersuchungsantrag stellen, und die Familie ist aus dem Schneider. Was ich nicht erwartet habe, ist, dass sogar der Hausarzt diese Meldung machen kann. Ich dachte, der sei durch seine Schweigepflicht gebunden. Scheinbar gilt das nicht bei Gefahr für die Allgemeinheit.

Ich werde wohl dem Herrn Doktor mal schreiben, und ihn auffordern, den gefährlichen Fahrer zu melden. Ganz eindeutig wird der Großvater empfindlich reagieren und der Arzt wird vermutlich diesen Patienten aus Trotz verlieren – andererseits: Wie lange, glaubt dieser Arzt eigentlich, wird jener Patient auch bei Nichtmeldung noch sein Patient sein, wenn er ja “jeden Moment umfallen” kann?

3 Antworten zu “Mein leicht entflammbarer Dienstag”

  1. eleanor_marx sagt:

    Das ist bestimmt nicht so einfach, so eine Entscheidung zu treffen. Vor allem nach Eurem Streß wird Dein Großvater wohl vermuten, daß Du Deine Finger da im Spiel haben könntest. Wäre eine inszenierte Polizeikontrolle da nicht listiger?

    Eigentlich wollte ich mich aber hier für Deine nette Mail bedanken! Viel eher hatte ich ohnehin nicht die Gelegenheit, meine Mails zu lesen, so daß die Grüße gar nicht zu spät kamen.

    Und: Du hast ein eigenes Haus? Wo hast Du das denn her?

  2. Dominik sagt:

    Das Haus? Mein Großvater hat es in den frühen Sechzigern gebaut, ich erbe es.

  3. W.S.K. sagt:

    Meine Güte, diesen Eintrag sehe ich ja erst jetzt… tut mir sehr leid, die Geschichte. Bist du sicher, dass das nicht unter die ärztliche Schweigepflicht fällt, der Arzt also den “Tipp” absolut nicht geben darf? Hast du mit deiner Oma darüber gesprochen, oder spricht die kein Wort gegen ihren Mann?

    Eine sehr doofe Situation, in der leider irgen etwas getan werden muss! Und das nicht nur aus der Perspektive von Jemandem, der sich schon einmal unter einem fahrenden Auto befunden hat.

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