Code Alpha

Aus dem noch unerforschten Inneren meines Schädels

14. Juni 2009

Oh Canada…

Filed under: Arbeitswelt — 42317 @ 17:25

Bei einem lockeren Tagesjob quasi genau vor meiner Haustür (ein bisschen außerhalb vom gegenüberliegenden Ende der Uni) hatte ich diesmal das Vergnügen, einen Kanadier kennen zu lernen. Es ging darum, im Kellergeschoß eines Hauses eine zusätzliche Wand einzubauen, eine Fläche von ca. vier Quadratmetern, und besagter Kanadier ist a) ein erfahrener Bauschreiner und b) der Schwiegersohn der Schwester der alten Dame, die in besagtem Keller wohnt.

Mein erster Eindruck war, dass es sich um einen Hanseaten handele, wegen der markant alveolaren Aussprache des Lautes “R”, aber die typischen Schwierigkeiten bei der Auswahl der Artikel “der”, “die”, oder “das” entlarvten ihn schnell als gebürtigen Ausländer, und als er dann anfing, von Eishockey zu erzählen und wie ihn sein Vater zum Teil mitten in der Nacht vor den Fernseher gesetzt habe, um die Endspiele Kanadas gegen die CSSR oder die UdSSR zu sehen, war der Fall klar (und wurde auch schnell bestätigt).

Aber zuerst bot man mir was zu essen an, Brötchen, Kartoffelsalat, und Wiener Würstchen. Ich aß eine kleine Portion davon, damit der Magen nicht knurrte, und erwehrte mich aller Versuche, mir erneut etwas auf den Teller zu laden. Das hing noch nicht einmal damit zusammen, dass es sich um den langweiligsten Kartoffelsalat handelte, den ich je gegessen habe (ich glaube, da waren nur Kartoffeln und Mayonnaise nebst einiger Spurenelemente von Gewürzen drin), sondern schlicht damit, dass ein voller Bauch nicht gern arbeitet, und Dave, der Kanadier, stimmt mir da zu.

Wir sägten also ein paar armdicke Balken zurecht, dübelten sie an Decke und Boden fest, verschraubten dann Längs- und Querbalken, montierten Spanplatten an einer Seite, füllten den Zwischenraum mit Dämmstoff, montierten anschließend auch Spanplatten auf der zweiten Seite und waren fertig. Zum Tapezieren am Folgetag würde er mich nicht brauchen.

Das klingt nach einer Stunde, es waren aber sieben, und das, ohne dass grobe Fehler gemacht wurden, abgesehen von ein paar Schnittfehlern, die daher kommen, dass Dave englisch denkt: Er misst innen etwas aus, SAGT “eins-vier-und-dreißig”, und stellt dann fest, dass sein Querbalken neun Zentimeter zu lang ist, weil er DENKT “one-point-fourthree,  also “1,43” statt “1,34”. Er sagte, er habe öfters Probleme mit der deutschen Eigenart, die zweistelligen Zahlen “in falscher Reihenfolge” zu nennen.

Zwischendurch wurde neben uns ein kleiner Tisch aufgebaut, auf dem Lipton Eistee, schwarzer Tee, und eine Flasche Mineralwasser bereitstanden, und daneben ein Teller mit Teilchen aus der Bäckerei. Tee und Wasser haben wir getrunken, die Teilchen aber liegen gelassen. Das Konzept, dass essen und arbeiten sich nicht so vertragen, schien nicht ganz angekommen zu sein.
“Mögen Sie beide denn keine Teilchen?”
“Doch, aber erst nach der Arbeit.”

Sie wurden aber auch nachher nicht gegessen. Zumindest nicht von uns. Ich spürte nach dem Aufräumen einen Anflug von hungergeleiteter Versuchung, aber der Gedanke an meine schmutzigen Hände hielt mich zurück.

Dave ist ein unterhaltsamer Kerl. Nicht mehr ganz schlank, noch nicht Vierzig, mit angegrauten Haaren und Kinnbart, Liebhaber von Tätowierungen, und mit Händen, die zum Beruf passen. Vor 16 Jahren ist er nach Deutschland gekommen, wie genau, sagte er nicht, und hat hier geheiratet. Er hebt bereitwillig hervor, dass er wenig Bildung habe und mit Büchern kaum was anfangen könne. Die Gebrüder Grimm jedenfalls hält er für die beiden Typen aus dem Film “Brothers Grimm”… nun ja, bei ihm zuhause lese man den Kindern Mark Twain vor. In seiner frühen Jugend habe er “D&D” und “Squad Leader” gespielt… und war überrascht, dass ich schon mal davon gehört habe. Heute hänge sein Herz eher an Spielkonsolen und PC-Spielen, nachdem er vor gar nicht allzu langen Jahren noch der Meinung gewesen war, das sei alles Quatsch. Dann allerdings habe er an einem lokalen Pokerturnier teilgenommen und sei bereits als zweiter ausgeschieden. Da er mit einem Freund und Mitfahrer da war, konnte er nicht einfach so verschwinden, und saß gelangweilt in der Gegend herum, bis ihm sein Bekannter seine PSP (PlayStation Portable) zum Zeitvertreib lieh… und seitdem sei er ein Fan. Über Konsolen kann ich leider nicht reden, ich hänge nicht sonderlich an ihnen, nachdem die Controller seit der PS2 so kompliziert geworden sind. Ich mag Maus und Joystick. Mit seiner Erwähnung von “Warhammer” konnte ich allerdings auch wenig anfangen, da er das PC Spiel meint und ich dabei eher an ein Tabletop mit Maßband und Miniaturen denke.

Bevor er eine Anstellung als Arbeiter bekam, hielt er sich mit Schwarzarbeit über Wasser, worüber er scheinbar gern Witze macht: “Den Akkubohrer hier hab ich vor 16 Jahren von meinem ersten Schwarzgeld gekauft… und die Handsäge da von meinem zweiten.” Der Akkubohrer ist übrigens von FESTO, kostete damals 400 DM, und läuft nach all den Jahren noch problemlos, nur der aktuelle Akku sei neu. Auch die Bits (die Schraubaufsätze) seien bereits einige Zeit alt, aber die sind noch fast wie neu. Wer solche Sets im Sonderangebot für sechs Euro made in Korea kaufe, sei ja selber schuld.

Wir arbeiteten nicht langsam, waren aber auch nicht in Eile. Prima Sache, gute Stimmung. Ich habe dann und wann mit den Zähnen geknirscht, wenn ich an der linken Wand Schrauben drehen musste, weil ich den Schrauber dann mit der linken Hand bedienen musste, was bedeutete, dass mir öfters Schrauben runterfielen und sie nicht so schön im Holz verschwinden, weil ich mit Links nicht so viel Druck machen kann. “Das Leben ist kein Ponyhof!” sagt Dave dann scheinbar gern, vergaß aber auch nie, hinzuzufügen, dass es der bekloppteste Spruch sei, den er in Deutschland je gehört habe.

Das habe er auch zu einem seiner früheren Helfer gesagt, einem Wehrdienstverweigerer von der Art “pazifistischer Punk”. Der habe sich beim Nageln auf den Finger geschlagen und sei darüber in Tränen ausgebrochen. “Ich habe gedacht, was ist das? Ein Mann flucht, wenn er sich auf den Finger schlägt und mault rum, aber der fing an zu weinen! Unglaublich.”

Da hatten sich auch die zwei Richtigen getroffen. Dave war einige Jahre bei der kanadischen Infanterie, war 91 im Irak, 92 in Bosnien und 93 in Mogadishu. Dieser Lebenslauf hat ihn nicht seine lockere Art gekostet, ihm aber scheinbar verrückte Begegnungen eingebracht. So habe er vor ein paar Monaten eine Antwort auf ein Bewerbungsschreiben erhalten (sein Job ist nach 15 Jahren der derzeitigen Krise zum Opfer gefallen), und sei zu einem Gespräch eingeladen worden. Also sei er hingefahren, habe dann eine halbe Stunde gewartet, um schließlich zu hören, “Es tut mir leid, dass wir Ihnen derzeit keinen Job anbieten können, aber ich bin ehemaliger Fallschirmjäger und ihr Lebenslauf liest sich so irre, dass ich Sie unbedingt kennenlernen wollte.”

Um 2100 sind wir fertig. Ich wasche meine Hände, tausche besten Dank mit der Auftraggeberin aus und erhalte einen Umschlag mit Geld… ein erstaunlicher Stundenlohn für meine Verhältnisse, der die beiden Wochenenden, die ich diesen Monate nicht im Teppichladen arbeite (gestern und am 27.), wieder ausgleicht.

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