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Aus dem noch unerforschten Inneren meines Schädels

20. Februar 2009

Big Mac Ramadan (1/3)

Filed under: Arbeitswelt — 42317 @ 18:22

Ich hatte mich auf eine Tagesjobanzeige der Firma ConLog aus Wittlich gemeldet, bei der es sich um einen Ableger der Spedition Elsen im gleichen Ort handelt. ConLog vermietete meine Arbeitskraft weiter an “sia”, einen Hersteller oder Vertrieb von Einrichtungs-, aber in erster Linie von Dekorationsgegenständen für das traute Heim. Der Auftrag lautete, um 1200 am 17. Februar im Industriegebiet West zu erscheinen und die Mitarbeiter der Firma nach Frankfurt am Main zu begleiten, um dort den Abbau des Messestandes vorzunehmen. Mit Messeständen habe ich ja bereits einige Erfahrung gesammelt, also wollte ich auch mal sehen, was andere Firmen so zu bieten haben, und in gewisser Weise wurde ich da nicht enttäuscht.

Die Dame von der ConLog hatte erwähnt, dass ich entweder mit dem LKW oder mit einem PKW nach Frankfurt fahren würde, und gemäß meiner Erfahrung ging ich davon aus, dass es sich bei dem PKW um den privaten des Chefs handeln würde. Doch gleich nachdem ich zehn Minuten vor der verabredeten Zeit angekommen war, drückte mir der Vorarbeiter, der sich erst gar nicht die Mühe machte, sich mit seinem Nachnamen vorzustellen, Schlüssel und Papiere eines Leihwagens in die Hand. Die Festangestellten würden mit den LKWs fahren, die Leihangestellten aufgeteilt mit zwei Opel Zafira. Natürlich begrüße ich immer die Gelegenheit, mich hinter das Steuer eines Autos zu setzen, aber so hatte ich meine Reiselektüre halt völlig umsonst mitgenommen.

Ich befand mich im “Mittelfeld” der übrigen für den Tag angeheuerten Leute. Drei waren bereits da, zwei davon von der Spedition Elsen (ein altes Schlachtschiff und ein Jungspund von etwa 20, beides archetypische Vertreter der Arbeiterklasse aus dem Lexikon der Sozialklischees), vier sollten noch kommen. Drei der vier Anderen kamen übrigens im Auftrag der Firma “Team BS”, für die ich anno 2006 einmal (indirekt) gearbeitet hatte (um zu bemerken, dass ein Job in der Stahlverarbeitung zu hart für mich ist). Einer fehlte um 1210 allerdings immer noch, und erreichbar war er per Telefon auch nicht. Die PKW wurden also schon losgeschickt, die Transporter würden noch so lange warten, bis alle Paletten verladen waren. Der Vermisste kam allerdings nie. Die beiden anwesenden ConLog-Arbeiter wurden noch schnell für die Kartei fotografiert, und dann ging’s los, nachdem wir noch einmal ermahnt wurden, in den Wagen nicht zu rauchen und sie auch sonst pfleglich zu behandeln. Wie wir mit der uns zur Verfügung stehenden Zeit umgingen, sei unwichtig, solange wir um 1700 einsatzbereit an der Halle stehen würden – Halle 4.1, Stand G10.

Der Opel Zafira ist vermutlich das neueste Auto, in dem ich je gesessen habe, und weil ich das Ding auch noch fahren sollte, musste ich mich erst mal mit der Bedienung bekannt machen.
Ein Display in der Mitte gibt Informationen über gefahrene Kilometer und durchschnittlichen Benzinverbrauch, dazu Radiosenderangaben, Temperatur und natürlich Uhrzeit. Kupplung, Bremse, Gas, Lichtschalter, Blinker, Scheibenwischer, alles klar. Das Losfahren gestaltete sich allerdings im ersten Moment schwierig, denn wo ich den Hebel für die Handbremse erwartete, bot sich mir folgendes Bild (leider unscharf):

Handbremse, Zafira

Nach ein paar Sekunden wurde mir dann klar, dass dies die Handbremse IST, und ich brauchte eine weitere, halbe Minute, um herauszufinden, wie man sie löst: Den Griff mit der rechten Hand umfassen, mit dem Daumen den Knopf drücken, erst etwas anziehen, dann lässt sie sich lösen. Der andere Fahrer, der Jungspund von Elsen, hat das wohl auch erst rausfinden müssen, denn er klopfte ans Fenster und fragt, ob ich die Handbremse mittlerweile gefunden hätte. Weil ich den Schalter für das Fenster nicht direkt finden konnte, machte ich für die Antwort eben die Tür auf. Bei der Gelegenheit tauschten wir Telefonnummern für den Notfall aus.

Dann konnten wir tatsächlich losfahren. Bei mir saßen zwei BS-Leute, hinten einer, dem man nicht nur sofort den Studierten ansah, sondern auch, dass er in meinem Alter ist und meiner Statur nicht unähnlich, und vorne ein Milchgesicht russischer Bauart, mit einem Händedruck aus der Butterdose und einer Stimme, für die man besser ein Hörgerät bereithalten sollte. Ich habe den vagen Verdacht, dass ich schon einmal mit dem gearbeitet habe, vielleicht bei einem Umzug, aber ich kann mich nicht genau erinnern und behalte es als eher unwichtig für mich.

Im zweiten Wagen, gesteuert von dem Jungspund, saßen dann also neben den beiden Angestellten von Elsen noch einer von ConLog, der Unsicherheit aus allen Poren verströmte (wobei ich nicht erschließen konnte, ob es an seinem Mangel an solcher Arbeitserfahrung liegt oder ob es bei ihm ein allgemeines Phänomen ist), und der “freie” Arbeiter, der bereits vor mir eingetroffen war. Über 50 war der bestimmt, eher schweigsam, nicht unfreundlich, aber auch irgendwie geistig langsam und vom Erscheinungsbild ein bisschen heruntergekommen, sein linker Jackenärmel war nur noch halb vernäht. Ich musste unweigerlich an einen Freund denken, der neuerdings beim Arbeitsamt in der “Abteilung” für über Fünfzigjährige arbeitet und wahrscheinlich zum Teil eine ebensolche Klientel hat.

Das nächste Problem erschien am Horizont: Der Wagen hat kein serienmäßiges Navigationsgerät, und ich war nicht darauf vorbereitet, selbst nach Frankfurt zu steuern. Wenn ich längere Fahrten mache, setze ich mich vorher für gewöhnlich fünf Minuten hin und präge mir die Strecke und die Autobahnabfahrten ein, im Zweifelsfall mache ich Notizen. Die Gelegenheit hatte ich nicht, aber immerhin hatte sich der Jungspund zuversichtlich gezeigt, die Strecke hinzubekommen, also ließ ich ihn vorfahren.

Das ging gut, bis wir die Stadtgrenze hinter uns gelassen hatten. Da drehte mein Vordermann nämlich auf, fuhr “Tempolimit plus 10 %” und etwas darüber hinaus – und das sehe ich nicht ein. Das Schild “100” heißt, dass eben diese Zahl auf meinem Tacho nicht überschritten wird. Aber die Autobahn in Richtung Wittlich ist übersichtlich, also hatte ich keine Probleme, ihm auch mit etwas Abstand zu folgen. Zumindest, bis er auf einmal von der Autobahn abbog und eine Landstraße wählte, die sich in die höheren Regionen des Hunsrück hinaufarbeitet.
Je höher wir kamen, desto nebliger wurde es, abschnittsweise mit Sichtweiten von nicht einmal 100 m, das Thermometer zeigte knapp über 0° an, zum Teil serpentinenartige Kurven, und der Jungspund fährt wie im schönsten Maiwetter. Ich nehme den Fuß vom Gas. Ich war der Fahrer, das heißt, ich trage nicht nur die Verantwortung für ein fremdes Auto, sondern auch für meine beiden Insassen, und wie ich damit umgehe, muss man schon mir überlassen.

Irgendwann stand der erste Wagen dann am Straßenrand, ich hielt dahinter an. Der Jungspund stieg aus, kam herüber, grinste mich grenzdebil an und fragte mich, ob ich das Gaspedal nicht finden könne. Womöglich hielt er das für einen gelungenen Scherz. Ich erklärte ihm, dass ich bei Nebel und Glatteisgefahr auf einer mir unbekannten Strecke nicht schneller als 80 zu fahren bereit sei.
“Halt ein bisschen drauf – wir müssen um Fünf da sein!” sagte er beschwörend.

Die Fahrt ging weiter wie gehabt. Ich kämpfte noch ein bisschen mit dem Zehenspitzengefühl, denn der Zafira hat eine empfindliche Bremse, die recht schnell zuhaut. Meine Mitfahrer nickten an Einmündungen also ein paar Mal mit dem Kopf, bis ich es raus hatte, und mein eher stiller russischer Nebenmann fragte mich, ob ich tatsächlich Auto fahren könne. Der Hintermann grunzt missbilligend, aber ich entnahm dem Tonfall der Bemerkung, dass sie nicht böse gemeint war. Ich verwies auf das ungewohnte Auto und gab mir Mühe, mir beim Bremsen mehr Zeit zu lassen.

Um etwa 1305 hielten wir wieder am Rand der Landstraße in einem Waldstück. Scheinbar musste im vorderen Wagen jemand pinkeln, und rauchen wollen die Elsener auch noch. Wieder kam der grinsende Jungspund zu mir und ermahnte mich dazu, zügiger zu fahren. Sein älterer Kollege pflichtete ihm bei und sagte:
“Wir sind schon ne Stunde unterwegs und immer noch im Kreis Bernkastel-Kues!”
Dass der Landkreis “Bernkastel Wittlich” heißt, behalte ich für mich. Ich machte stattdessen darauf aufmerksam, dass ich nur so schnell fahre, wie die Polizei erlaubt, und dass ich, im Unterschied zu ihm, keine schöne lange Gerade zum Überholen der beiden Sattelschlepper mehr gehabt hatte, die im Laufe der Zeit zwischen uns eingebogen waren. Interessierte den aber nicht, er wiederholte noch einmal, dass wir um 1700 bereitstehen müssten.
“Ich fahr auch meine Hundert!“ sagte der Jungspund. Das kommentierte ich auch nicht weiter. Mein unbewusster Gesichtsausdruck sollte genug sagen.

Mit dem Gedrängel stießen die beiden er bei mir auf taube Ohren. Ich würde nicht flotter fahren, nur weil die das gerne so hätten, weil ich die Notwendigkeit nicht einsehe. Ich bin im Sommer 2003 selbst zweimal nach Frankfurt gefahren, und trotz eines geringfügigen Staus brauchte ich nicht länger als dreieinhalbe Stunden – bei einem Startpunkt, der etwa 100 km weiter südlich als Trier liegt. Die Fahrt ging also weiter und mein Hintermann stimmte mir voll und ganz zu.
“Fahr nur, wie Du es für richtig hältst… was will Dir der Typ übers Autofahren erzählen? Ist der überhaupt schon über 20? Dem ist das doch alles scheißegal… Du bist hier verantwortlich für zwei Insassen, in einem ungewohnten Auto. Also mach nur weiter so.”
Moralisch gestärkt fuhr ich also auf meine Art und Weise weiter. Den Jungspund verlor ich eine Weile nach der Auffahrt auf die Autobahn Richtung Mainz aus den Augen, aber das ist mir egal. Spätestens ab Mainz sollte Frankfurt ausgeschildert sein, und ab dem Einzugsgebiet von Frankfurt die Messe, bzw. das Gelände, ebenso.

Und genauso kam’s, ich fand problemlos das richtige Parkhaus “Rebstock”, wenn auch nach einem kleinen Umweg über den LKW-Parkplatz. Wir wurden einfach ins Parkhaus hineingewunken, einen Parkschein bekam ich nicht zu sehen.
Ich warf einen Blick auf die Uhr: 1445, in Worten: Viertel vor Drei. Wir hätten eine Stunde im Stau stehen können und wären immer noch zu früh da gewesen. Ich rief den Jungspund an und teilte ihm mit, dass wir ihm Parkhaus seien, Ebene C-0. Er antwortete, er werde gleich da sein, um uns zum Messegelände zu führen.

Ich nutzte die Wartezeit, um mir die Bedienungsanleitung des Autos anzusehen.
Weitere Beobachtungen zur Kontrolle des Autos: Der von meinem Fahrlehrer angemahnte Schulterblick beim Spurwechsel ist ein Ding der Unmöglichkeit. Die Schulterstützen des Rücksitzes und in erster Linie die Fahrzeugsäule hinten links machen es unmöglich, aus der Gegend irgendwelche optischen Informationen zu beziehen. Ich bleibe nach links also auf den Außenspiegel beschränkt. Die Aussicht nach rechts ist gut.

An den Blinker muss ich mich auch gewöhnen. Statt der gewöhnlichen Bedienung “Hochdrücken = rechts blinken” und “Runterdrücken = links blinken” hat der Zafira vier Einstellungen, mit zwei Klicks jeweils nach oben und nach unten. Ein Klick bewirkt, dass der Blinker dreimal aufleuchtet und dann abschaltet. Bewegt man den Schalter zwei Klicks weit, blinkt das Licht so lange, bis man es selbst wieder abschaltet. Oft genug schaltete ich dabei den Hebel zu weit zurück und blinkte kurz in die andere Richtung. Möglicherweise habe ich damit ein paar andere Verkehrsteilnehmer verwirrt.

Anders als in jedem anderen Wagen, an den ich mich erinnern kann, schaltet man das Fernlicht nicht ein, indem man den entsprechenden Hebel zu sich heranzieht. Im Zafira handelt es sich dabei nur um die Lichthupe. Um das Fernlicht einzuschalten, muss man den Hebel nach vorn drücken.

Zu guter Letzt verfügt dieses Auto über sechs Gänge. Mit knapp 2000 Umdrehungen 100 zu fahren, ist schon irgendwie cool, aber ich muss auch immer wieder bewusst an den letzten Gang denken, um ihn nicht völlig zu vergessen.

Der erste Wagen traf bald danach ein und wir machten uns zu Fuß auf den Weg zum Messegelände. Es war widerlich kalt, das dürfte vordergründig an dem starken Wind gelegen haben, der uns um die Ohren pfiff. Der Fußmarsch dauerte 45 eiskalte Minuten, vorbei am Hotel Tryp, am japanischen Generalkonsulat, und an einem japanischen Restaurant mit dem Namen “Sushi-Shô”.
Ich lenkte mich etwas von der Kälte ab, indem ich mich mit dem Studierten unterhielt, der mit mir zusammen gefahren ist. Es stellt sich heraus, dass er in Trier Anglistik studiert hat und derzeit einen privaten Kurs absolvierte, um ein Übersetzerzertifikat zu bekommen. Dafür müsse er 210 E pro Monat löhnen, deshalb mache er noch solche Jobs wie den heute.
Währenddessen rannten unsere “Führer” vorneweg, ignorierten rote Fußgängerampeln zum einen und langsamere Kollegen (wie den genannten Überfünfziger) zum anderen. Irgendwie gingen sie mir auf den Keks. Wir passierten mehrere Verkehrskontrollen der Polizei, aber leider wurden die beiden da vorne nie erwischt. Schade eigentlich.

Warum haben wir nicht einfach den Shuttlebus zur Messe genommen? Der war kostenlos und windgeschützt. Wahrscheinlich wollten die beiden einfach Zeit totschlagen. Oder sie wussten zum Zeitpunkt der Beschlussfassung bereits, dass sie den Streckenabschnitt durch eine Grünanlage dazu nutzen würden, in die Sträucher zu pinkeln. Proleten…

Dann standen wir vor dem gesuchten Eingangsbereich und wurden noch einmal daran erinnert, dass wir erst um 1700 hier zu sein hatten. Was sagte die Uhr? 1545. Ich fragte den älteren “Elsen”, was für Möglichkeiten es denn gebe zum Zeittotschlagen.
“Ha, keine Ahnung! So oft war ich noch nicht hier… Kaiserstraße, da ist ein Puff,” meinte er und lachta herzhaft über seinen Witz.
“Nee, ist mir noch zu früh am Tag dafür…” gab ich missbilligend zurück.
“Mir ist es egal, Ihr könnt machen, was Ihr wollt, solange Ihr um Fünf wieder hier seid.”
Dann schnappte er sich seinen jüngeren Kollegen und stapfte davon, wer weiß, wohin.
Wir übrigen sahen einander an.
“Es gibt doch bestimmt irgendwo ein Café…” suggerierte der Unsichere.
“Ach was! Doch nicht in Frankfurt!” gab ich zurück. Zuerst sah er mich ungläubig an, dann lachte er.

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