Mittwoch, 04.08.2004 – Melanie „Knacker Ede“ N. in Aktion
Der Tag beginnt zu einer direkt unmenschlich frühen Zeit. Zuerst begrüßt der Hund von gegenüber wieder den neuen Tag (und ich nehme eigentlich mehr an, dass er Krach macht, weil er zum „Rudel“ ins Haus will, anstatt vor der Tür sein Dasein zu fristen), dann wird mal wieder das Auto sauber gemacht, diesmal von innen mit dem Staubsauger. Und dann um halb Sieben beginnt auch noch jemand mit Klavierübungen! Wenn ich versuche, die Geräuschquelle zu orten, drängt sich mir der Verdacht auf, dass auch diese dritte frühmorgendliche Unverschämtheit aus dem Haus unseres wenig sozial anmutenden Nachbarn gegenüber herübertönt. Der Hund kann ja nichts dafür, aber um diese Zeit Klavier zu spielen, dass man es in der ganzen Straße (50 m lang) hören kann, ist eine Frechheit.
Ich „reserviere“ mir in der Frühe um halb Neun einen Platz im Center und fahre um 09:40 ins GEO, um neue CDs auszuleihen. Ich lasse mir dort das „25:00 Uhr System“ erklären.
Der Rechnungstag endet nachts um 01:00, was bedeutet, dass man ausgeliehene Sachen bis um Ein Uhr zurückbringen kann und nicht bis Mitternacht da sein muss. Im Gegenzug heißt das aber auch, dass man nach Mitternacht keine Sachen für den neuen Tag ausleihen kann, weil ja der alte noch gültig ist. Der neue Tag beginnt erst am Morgen um Zehn, und in meiner Situation finde ich das reichlich unpraktisch, weil ich so eine Menge Zeit verliere.
Wie dem auch sei, ich nehme heute eine bunte Mischung aus „Kishidan“, „Drifters“ und „Yoshida Kyôdai“ mit. Bei den „Drifters“ muss man sich an den Stil erst gewöhnen, aber sie sind wirklich lustig – sofern man ein grundlegendes Verständnis der japanischen Sprache hat, was bedeutet, dass ich zuhause niemanden dafür werde erwärmen können. Nein, Trier ist nicht „Zuhause“. Trier ist eine eigene, in sich geschlossene Dimension von seltsamen Leuten, denen man auch verrücktes Material andrehen kann, sofern es aus Japan kommt. Man muss auf jeden Fall verstehen, was die „Drifters“ sagen oder singen, sonst geht der Hauptteil vom Spaß verloren. Ich muss auch noch daran arbeiten. Ich setze mich wieder ins Center und lasse die CDs einlesen und zu MP3s verwursten.
Am frühen Abend wollte ich eigentlich zu einem Shamisen-Konzert von Shibutani-sensei gehen, aber ich stelle fest, dass ich früher hätte dran sein müssen. Zum Beispiel hätte ich das Werbeplakat besser lesen sollen. Darauf ist zu lesen, dass die Vorbestellung der Karten dringend empfohlen sei, umso mehr, weil die Anzahl der Zuhörer auf 100 Personen beschränkt sein würde. Der derzeit beste Spieler Japans hat keine Probleme damit, 100 Leute „zu seinem Ruhme“ zu versammeln, auch nicht im letzten Provinzwinkel Japans, und schon gar nicht, wenn dieser Provinzwinkel seine Heimatstadt ist. Keine Chance für mich.
Direkt amüsiert war ich aber von seiner Ankunft in dem kleinen Hotel, die ich miterleben durfte. Japaner fahren ja wirklich gerne mit dem Auto, wenn der Weg weiter als 500 m ist, also dachte ich eigentlich, er würde mit einem Wagen vorfahren. Stattdessen kommt er zu Fuß daher gelatscht, mit seiner Frau im Schlepptau, beide in Yukata gekleidet, und der Herr Sohn, in westlicher Kleidung und tendenziell so beleibt wie sein Vater, schleppt den Koffer mit dem Instrument. Wirklich ein amüsanter Anblick.
Ich überlege eine Weile, was ich tun soll. Ich fahre ins Daiei, in den „Daisô 100 Yen Shop“, um genau zu sein, und kaufe eine stabile Papprolle, um meine Poster und den SailorMoon Kalender darin zu verschicken (oder zu transportieren). Dann kehre ich nach Hause zurück und höre CDs, während ich auf dem Futon liege. Ich habe alle eingelesen, aber noch nicht angehört. Allerdings muss ich währenddessen eingenickt sein, da ich von der heimgekehrten Melanie plötzlich geweckt werde. Ich bin auch irgendwie schrecklich müde. Das liegt wohl nicht unwesentlich daran, dass ab heute Morgen um 04:30 kaum noch ans Schlafen zu denken war.
Wir sehen uns dennoch zwei Episoden der Serie „InuYasha“ an, die ersten beiden Episoden überhaupt. Ich wollte mir schon länger mal ein Bild von dieser Serie machen.[1] Ich habe hier und da eine Episode im Fernsehen gesehen, aber das sagt einem natürlich reichlich wenig, wenn man die Entstehungsgeschichte nicht kennt, und japanische Animeserien sind in den meisten Fällen darauf ausgelegt, dass sich eine fortlaufende Geschichte entfaltet – anders als viele amerikanische (Zeichentrick-) Serien, die man auch in willkürlicher Reihenfolge ansehen kann, ohne einer größeren Verwirrung wegen des Inhalts anheim zu fallen, weil eine fortlaufende Storyline für gewöhnlich nicht gegeben ist.
Außerdem erfahre ich im Laufe des Abends, wie der Tag meiner beiden Mitbewohnerinnen so gelaufen ist, und der schien ziemlich filmreif – zumindest für die versteckte Kamera, wäre sie da gewesen. Geplant war, für Ricci ein Fahrrad aus dem Haufen an der Uni zu besorgen, um ihr die Reisen durchs Stadtgebiet angenehmer zu machen und die Buskosten bei Null zu halten. Der Abend sollte dann mit „Shrek 2“ im örtlichen Kino enden.
Der Start lief auch gut. Es wurden zwei brauchbare Fahrräder gefunden, zum Cycland geschoben, mit Luft versorgt, und sie fuhren zum Einkaufen ins Ito Yôkadô. Aus dem Laden wieder heraus stellten sie allerdings fest, dass jemand die frisch besorgten alten Mühlen geklaut hatte – alle beide. Also mussten sie in der Hitze des Tages zu Fuß zur Uni zurücklaufen und neue Fahrräder besorgen. Die brauchten natürlich ebenfalls Luft, also wurden auch diese beiden zum Cycland geschoben. Dass man auf halber Strecke, quasi in Steinwurfweite zur Uni, bei „Bicycle Saitô“ ebenfalls Luft pumpen kann, ist Melanie offenbar völlig entgangen. Wie es scheint, hat sie die Existenz des Ladens bis heute nicht wahrgenommen, obwohl sie bestimmt bereits mehr als tausendmal daran vorbeigekommen ist. Wie dem auch sei, die beiden standen also am Cycland und pumpten Luft, als sich das Ventil von Riccis Reifen mit einem Pfeifen verabschiedete. Ein neues Rad musste her. Die Tour zur Uni war ein weiteres Mal fällig, noch einmal musste ein altes Fahrrad von seiner Absperrvorrichtung „befreit“ werden, und natürlich kam man um eine weitere Tour zum Cycland nicht herum.
Der Mann im Fahrradladen dürfte nicht schlecht gestaunt haben, als dieselben beiden Leute bereits zum dritten Mal mit einem neuen Satz Fahrrädern angerückt kamen. Ob er allerdings überhaupt bemerkt hat, dass die Zwei immer neue Räder hatten, sei dahingestellt. Wegen all dieser Schwierigkeiten und der impliziten Fußmärsche, die sich wegen der auf Grund der Wetterverhältnisse immer weiter sinkenden Ausdauer der beiden Damen immer länger hinzogen, war es dann zu spät geworden, um noch pünktlich im Kino zu sein. Der Film würde also später angesehen werden müssen. Ich muss annehmen, dass die beiden noch müder sind als ich.
Melanie hat sich übrigens – wenn mies läuft, dann richtig – bei der Gelegenheit, aus dem überwucherten Fahrradhaufen immer weitere Drahtesel zu bergen, die Hose, von der sie gehofft hat, sie würde wenigstens die letzten paar Tage noch überstehen, nicht nur schmutzig gemacht, sondern auch gleich zerrissen.
[1] Der Manga ist von Takahashi Rumiko, das heißt, das Konzept geht nicht über coole Charaktere und ihre Konflikte hinaus, das Traumpaar kommt wegen allerlei Empfindlichkeiten und Missverständnissen nicht zusammen, und wenn die Geldkuh irgendwann totgemolken ist, wird schnell ein Schluss gebastelt.
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