Code Alpha

Aus dem noch unerforschten Inneren meines Schädels

25. Juli 2024

Sonntag, 25.07.2004 – Subtropischer Glutofen

Filed under: Japan,My Life — 42317 @ 7:00

Was war das für eine Nacht! Die Hitze war so drückend, dass man kaum schlafen konnte. Dem entsprechend übermüdet stehen wir dann am Morgen auf, und Melanie fasst endgültig den Plan, einen Ventilator zu kaufen.

Da wir um 11:30 mit Familie Jin verabredet sind, gehe ich vorher nicht noch eine Stunde in die Bibliothek, und auch Melanie verzichtet, nicht zuletzt wegen der brütenden Hitze, auf den geplanten Abstecher ins Ito Yôkadô. Wir werden auch ohne Extratouren völlig verschwitzt ankommen. Aber wir sind pünktlich.
Entgegen meiner etwas beschränkten Vorstellung fahren wir nicht zum Sushi Shôgun, sondern in einen anderen Kaiten-Sushi Laden, der „Seijirô“ heißt. („Kaiten-Sushi“ bedeutet, dass die Sushiteller auf einem Laufband vorbeirollen und man sich nimmt, was man möchte.) Wir müssen gerade mal eine Minute warten, bis eine Sitzgelegenheit für acht Personen frei wird – das sind die drei Generationen der Jin-Familie und Melanie und ich.
In diesem Laden sind die Teller (das heißt die Preise dessen, was auf dem Teller liegt) nach Farben geordnet. Im Sushi Shôgun kostet jeder Teller nur 105 Yen (100 Yen plus Konsumsteuer), aber im Seijirô sind die Portionen wesentlich größer, und auch die Auswahl erscheint mir umfangreicher. Die Preise fangen bei 105 Yen an und klettern hoch bis 525 Yen. Auf dem teuersten Teller liegen dann vier Reisbällchen, die mit Muschelfleisch verschiedener Art belegt sind. Ich habe es mir – mit Erlaubnis des Spenders, Dr. Jin – nicht nehmen lassen, diese Spezialität zu probieren, allerdings komme ich zu dem Schluss, dass das Geschmackserlebnis dem Preis nicht gerecht wird. Ich bleibe lieber beim Sushi Shôgun.
Und dann werden Geschenke ausgeteilt. Warum dieses? Die Mutter ist mit den Kindern offenbar ein paar Tage in Okinawa gewesen und hat uns je ein T-Shirt mitgebracht. Das für Melanie hat Größe „L“… und das ist ihr zu eng. Ich bekomme eine Geburtstagskarte, auf der schon draufsteht „Nicht öffnen“. Ich tue es trotzdem, urplötzlich springt mir ein Federmechanismus entgegen und die Aufschrift sagt „Wir haben Sie gewarnt“. Auch der Großvater bekommt Geschenke, er hat heute Geburtstag und wird 75 Jahre alt.
Nach etwa einer Stunde verlassen wir das Lokal wieder ich will gar nicht wissen, wie viele Tausend Yen ich aus dem Geldbeutel von Dr. Jin gefressen habe, also belasse ich es dabei, mich angemessen zu bedanken.

Wir überqueren aber erst einmal nur die Straße. Nicht nur, weil dort die Autos stehen, sondern weil der Parkplatz zum „Yamada Denki“ Elektrokaufhaus gehört. Melanie möchte ja einen Ventilator kaufen. Wir finden auch bald einen ziemlich großen, für einen überraschend günstigen Preis von nur 2000 Yen. Ich hätte nicht mit einem derartigen Tiefpreis gerechnet, eher mit dem Doppelten. Und es liegt nicht daran, dass wir das Ausstellungsstück bekommen, weil nichts anderes mehr da ist. Das Modell kostet tatsächlich nur so viel. Während wir unseren Ventilator aussuchen, führt Yûmiko ihren wie üblich übergroßen Energiehaushalt vor, indem sie herumspringt und anderen (harmlosen) Unsinn macht. Der Laden ist klimatisiert, aber ich würde bei dem Wetter nicht auf die Idee kommen, mich mehr als notwendig zu bewegen. Ich spüre, dass ich sie um diese Lebendigkeit beneide. Ich glaube, ich werde alt.
Nachdem wir den Ventilator dann im Kofferraum verstaut haben, wechseln wir das Geschäft und gehen in den „Universe“ Supermarkt gleich links nebenan. Eigentlich brauchen wir nichts Dringendes, aber dennoch werden wir von Frau Jin mit einer Tüte voll Zeug und einer riesigen Melone beschenkt. Ich gebe zu bedenken, dass unser Kühlschrank viel zu klein sei, um diesen essbaren Fußball unterzubringen, und dass sie bestimmt nicht lange haltbar sei, wenn wir sie außerhalb des Kühlschranks lagern. Aber das lässt sie nicht gelten. Stattdessen schaut sie mich streng wie ein alter Mathelehrer an und sagt: „Dann müsst Ihr sie eben schnell essen!“
Was soll ich da noch sagen?
Wir haben jetzt also eine Melone für 1400 Yen in der Küche stehen, den Rest kann ich geschickt irgendwie im Kühlschrank unterbringen, und das war eine Meisterleistung. Nachdem wir nämlich auch noch den Garten der Familie „besichtigen“ durften, haben wir mehrere Tomaten und Salatgurken und einen riesigen Daikon (eine Art Riesen-Rettichwurzel von 2 kg), dazu einen Strauß Bananen, einen Salatkopf und eine Art Kuchen. Der Kühlschrank ist jetzt brechend voll. Und ich sage es gleich im Voraus: Der Salatkopf und der Daikon sind letztendlich vertrocknet im Müll gelandet, weil keiner wusste, was wir damit anfangen sollten. Aber sonst ist alles, sogar die Melone, nach mehrtägiger Lagerung gegessen worden, ohne schlecht geworden zu sein.
Mutter Eiko fährt diese Nahrungsmittellieferung mit dem Wagen nach Nakano, wir folgen mit dem Fahrrad. Die Hitze ist wirklich zum Umfallen. Ich kann nicht höher als im 17. Gang fahren (der dritte von sieben nach meiner Rechnung, weil ich nur das größte Zahnrad vorne verwende), ohne zu spüren, dass es zu anstrengend wird. Den Getränkeeinkauf verschiebe ich also auf einen Zeitpunkt nach Sonnenuntergang.

Der Ventilator leistet jetzt unschätzbare Dienste – das Raumklima ist gleich viel angenehmer, wenn die Luft bewegt wird. Trotzdem fühle ich mich gerade ziemlich erschlagen und lege mich eine Stunde lang hin, während Melanie tatsächlich trotz der sengenden Hitze ins Ito Yôkadô fährt – allerdings mit dem Bus.

Schreibe einen Kommentar