Donnerstag, 15.07.2004 – Unter den Rasen gespült
Yamazaki gelingt heute ein wirklich interessanter Unterricht, nachdem er uns einen kurzen Aufsatz über die gängigen Sportarten in Japan vorgestellt hat. Natürlich handelt es sich dabei um Fußball, Baseball und Sumo. Und weil uns gerade Sumo interessiert, legt er uns dar, wie z.B. die Rangfolge der Kämpfer organisiert ist und was es mit Phänomenen wie fliegenden Sitzkissen auf sich hat. Wir haben gestern Abend im Gastraum bei Daijô-san am Fernseher das aktuelle Sumo-Turnier gesehen, und dabei gerade einen Kampf des hierzulande hochberühmten (mongolischen) Yokozuna Asashôryû beobachten können. „Yokozuna“ ist nicht sein Name, sondern sein Titel, und es ist der höchste in der Hierarchie. Bei der beobachteten Gelegenheit verlor Asashôryû allerdings gegen einen Kämpfer, der hierarchisch unter ihm eingeordnet ist (was ja fast alle sind, wenn er zur Spitzengruppe gehört), und bei eben dieser Gelegenheit, wenn ein Yokozuna von einem Rangniederen besiegt wird, wirft das Publikum die Sitzkissen in den Ring, um der Überraschung Ausdruck zu verleihen. Den meist lachenden Gesichtern war dabei nicht zu entnehmen, dass es sich um die japanische Form des Ausbuhens handeln könnte. Es scheint sich eher um Volksbelustigung zu handeln.
Nach dem Unterricht setze ich mich ins Center und spiele eine Runde StarCraft. Ning setzt sich daneben und sieht eine Weile zu. Dann sagt er „Komm, wie spielen eine Runde gegeneinander!“ Ich habe nichts dagegen. Dazu müssen allerdings erst die entsprechenden Netzwerkprotokolle installiert werden. Fünf Minuten später legen wir dann los und weitere 15 Minuten später wischt Ning mit mir das Schlachtfeld auf, noch bevor meine Aufbauphase so richtig beendet ist. Ich habe noch nie im Leben Finger so schnell über eine Tastatur fliegen sehen – der Kerl ist ein Profi! Er kennt die Keyboard-Befehle auswendig und muss nicht mehr auf die Tasten sehen, wenn er einen Befehl zum Bauen oder Forschen oder Angreifen geben will. Er sagt, er spiele intensiv seit etwa zwei Jahren, auch auf Online-Turnieren. Na Mahlzeit… dann weiß ich ja, mit wem ich nicht mehr in den Ring steigen muss. Ich weiß schon, warum mir rundenbasierte Spiele lieber sind… da habe ich Zeit zu überlegen und muss nicht im Blitztempo alles möglichst gleichzeitig und in der richtigen Reihenfolge machen. Das ist mir zu stressig. Ning weist mich daraufhin an, was man am günstigsten in welcher Reihenfolge unternimmt. Ich kann es nachvollziehen, aber mir ist klar, dass der erste Schritt zur wahren Meisterschaft darin besteht, die Tastaturbefehle auswendig zu lernen. Ich habe mit meiner Zeit allerdings besseres vor, und ich habe auch nichts dagegen, ein reiner Spaß-Spieler ohne Turnierambitionen zu bleiben.
Ich gehe zur Post, um ein seit einiger Zeit fälliges Päckchen abzuschicken. Auf dem Rückweg treffe ich Prof. Philips in einem ungewohnt bunten und gemusterten Hemd, das er sich schon gar nicht mehr in die Hose steckt, und ich unterhalte mich eine Weile mit ihm. Mich interessiert dieser Tage die Frage, wie es möglich war, dass eine zahlenmäßig unterlegene Truppe von arabischen Wüstenreitern die Stadt Alexandria einnehmen konnte, die von 50000 Berufssoldaten und der imperialen Flotte verteidigt wurde.
Er erzählt viel – allerdings ohne viel zu sagen oder die Frage zu beantworten – und wir machen es uns in seinem Büro gemütlich (soweit das in seinem voll gestopften Büro geht). Die Rolle der christianisierten Nubier (aus dem Gebiet des heutigen Sudan) bei der Verzögerung des arabischen Vormarsches in Nordafrika ist zwar sehr interessant (die Araber nannten sie „Die den Pfeil in die Augen schießen“), aber das ist alles sehr viel strategischer als das, was ich wissen wollte. Aber er nennt mir den Namen eines arabischen Historikers aus dem 15. Jh., der wohl etwas darüber geschrieben hat. „Ibn Khaldun“ heißt der Mann und ich habe seinen Namen noch nie gehört. Aber das ist natürlich nicht weiter verwunderlich. Abgesehen von der Tatsache, dass ich historisch nicht allwissend bin, scheint es mir, dass man in Deutschland überhaupt kaum arabische Autoren liest oder zum Studium anbietet. Dabei hatten auch die ihre guten Zeiten und haben bedeutende Werke verfasst. Ibn Khaldun z.B. wird von Kennern auch als der erste Sozialforscher bezeichnet, da er offenbar sorgfältige Studien zu diesem Thema verfasst hat. Aber wenn ich die Bücher in der Abteilung für Geschichte betrachte, dann sehe ich dort in erster Linie Europäer und Amerikaner.
Ich muss also das Büro des Professors vorerst reichlich unbefriedigt wieder verlassen, aber ich werde mich mal nach den genannten Quellen umsehen, sobald ich wieder zuhause in Deutschland bin.[1] Die Bibliothek der Universität Hirosaki ist geradezu lachhaft. Dabei dachte ich, dass bereits Trier nur eine dürftige Bibliotheksgröße aufweise.
[1] Die Biografie der byzantinischen Kaiserin Theodora, der Frau Kaiser Justinians, geschrieben von Anthony Bridge (1978), gibt darauf eine interessante Antwort: Innerreligiöser Konflikt und Verfolgung entfremdeten die christlich-monophysitischen Bewohner der östlichen und südöstlichen Provinzen von der christlich-orthodoxen Elite in Byzanz und trieben sie den muslimischen Arabern in die Hände, denen es reichlich egal war, auf welche Art und Weise die christlich gesinnten Untertanen ihren Gott anbeteten, solange sie Ihre Steuern zahlten.
Schreibe einen Kommentar
Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar abzugeben.